Projekt Annette Galinski Wohnen im Restaurant Umnutzung der ehemaligen Metzgerhalle bei Zürich Um 1900 im schweizerischen Dielsdorf im Kanton Zürich erbaut, erfuhr das ursprünglich als Schlachterei und Metzgerei mit Restaurant genutzte Gebäude zahlreiche An- und Umbauten bis in die 1960er-Jahre hinein. Nach langen Überlegungen zur Zukunft der sog. Metzgerhalle, entstand durch Sanierung, Teilabriss und Neubau ein gut durchdachtes Mehrfamilienhaus im Minergie-Standard. Bausubstanz 4 | 2010 Z ahlreiche historische Gebäude prägen die knapp 5 500 Einwohner zählende Gemeinde Dielsdorf, deren Geschichte sogar bis ins 6. Jahrhundert reicht. Das ehemalige »Restaurant zur Metzgerhalle« steht in unmittelbarer Nähe zum Dorfzentrum an der Hauptstraße, die Dielsdorf mit Zürich verbindet. Bereits 20 Jahre nach der Erbauung wurde der Stall zum Saal umgebaut, der Schlachthof in ein separates Gebäude an der Westseite ausgegliedert und ein neuer Keller erstellt. In den 1950er-Jahren entstanden die Metzgerei, eine neue Abstellhalle, Zimmer für Angestellte im Dachgeschoss des Haupthauses sowie eine verbindende Überdachung der hinteren Gebäudeteile. Seit dem Umbau des Ladengeschäfts im Jahr 1960 verblieb das Gebäudeensemble über 40 Jahre beinahe unverändert. Genutzt wurden Metzgerei und Laden bis in die 1980er-Jahre, während das Restaurant bis 2000 in Betrieb blieb. 11 Projekt Historische Umgebungssituation Historisches Gebäudeensemble mit Haupthaus und Metzgerei Entwurfsidee Ende 2005 erwarb die Schäfer AG aus Dielsdorf die Metzgerhalle und beauftragte die L3P-Architekten AG aus dem benachbarten Regensberg mit der Umnutzung zu einem Mehrfamilienhaus mit attraktiven Mietwohnungen. Keine leichte Aufgabe, denn die Bausubstanz war in einem sehr schlechten Zustand. Und so zog man ebenso in Erwägung, die rund 150 Jahre alte Liegenschaft komplett abzubrechen und neu zu bauen. Nach langen Überlegungen entschieden sich Bauherr und Architekten für den Erhalt des Haupthauses, vor allem im Hinblick auf die Stellung innerhalb des historischen Ortsbildes. Die architektonisch weniger relevanten, jüngeren Anbauten wurden abgebrochen und die Tradition der angebauten Wirtschaftsgebäude in zeitgemäßer Form weitergeführt. »Aus architektonischer Sicht sollte die Gebäudeerweiterung mit ihrer Form und Materialisierung deutlich als Ergänzung erkennbar werden«, so die Architekten des bereits seit 1966 bestehenden Büros der L3PArchitekten AG. Die Lage und Kompaktheit des Anbaus an der Westseite des Haupthauses und die Nutzung der früheren Parkbereiche ermöglichte die Ausweitung der Außenräume zugunsten der Wohnqualität an der stark befahrenen Wehentalstraße, der Hauptstraße und Verbindung von Dielsdorf und Zürich. An der Südseite des Gebäu- 12 Ehemaliger Saal im Erdgeschoss des Haupthauses deensemles entstanden den Wohnungen zugeordnete aber auch gemeinschaftlich genutzte Hofräume mit einer Mischung aus befestigtem Untergrund und Begrünung auf unterschiedlichen Höhenniveaus. Die Einfachheit und Materialisierung des Neubaus ergänzen den Altbau mit seiner teils verputzen, teils von Fachwerk geprägten Fassade, ohne mit ihm in Konkurrenz zu treten. So präsentiert sich das Ensemble in einer gelungenen Spannung zwischen Alt und Neu, Geschichte und Modernität. Während das Haupthaus in seiner Kubatur eher liegend und auf größerer Fläche ruhend wirkt, sind die äußeren Gestaltungselemente des etwas höheren Anbaus, wie die Holzfassade, die Fensterformate und Klappläden, vertikal ausgerichtet. Das lebendige Spiel der hölzernen Fassade prägt die großen Wohneinheiten bis in die Innenräume. Die stehenden Fichtenlatten der Außenhaut sind in fünf verschiedenen Breiten ohne erkennbares Muster angebracht; ebenso unregelmäßig erscheinen die Fensterformate. Sie variieren in der Breite bis zu schmalen vertikalen und raumhohen Schlitzen. Geschützt werden sie von außen mit Läden, die sich nahtlos in das Muster der Fassadenlattung einfügen und wie Stalltüren mit einfachen Haken zu schließen sind. In geschlossenem Zustand wird der Gebäudeteil zum komplett holzverkleideten Kubus; erst mit geöffneten Läden lässt sich die Struktur des Baus an der Fassade zu den Innenhöfen wie auch zur Straße hin ablesen. Bausubstanz 4 | 2010 Projekt Lageplan Umbau, Sanierung und Neubau Das Haupthaus hat sich äußerlich kaum verändert: Die Fassade wurde gereinigt und ausgebessert, Fensterlaibungen aufgefüllt und die Dachunterseite neu gestrichen. Tiefgreifende Veränderungen erfuhr das Innere des Gebäudes, wobei nur wenige historische Details und Bauteile übernommen werden konnten. Die massiven Balkendecken, einige Fachwerkwände und bemalte Säulen im ehemaligen Saal wurden freigelegt und restauriert. Die Neugliederung der Grundrisse ermöglichte die Schaffung von Wohnungen auf Minergie-Standard mit dem notwendigen Schallschutz. Dazu wurde jede Einheit mit einer eigenen kontrollierten Lüftung versehen und alle Fenster mit der originalen Sprosseneinteilung ersetzt. Ein neues Treppenhaus im Haupthaus, als raue Betonkonstruktion ausgeführt, erschließt die beiden Gebäudeteile über drei Geschosse. Als Geländer zwischen den Treppenläufen dienen über die komplette Höhe gespannte Drähte. Im ehemaligen Restaurant, in zentralster Lage, ist ein heller Gewerberaum mit geschliffenem Betonboden für die unterschiedlichsten Nutzungen untergebracht. Ebenfalls mit Zugang vom Erdgeschoss befindet sich eine 2½-ZimmerMaisonettewohnung, darüber zwei weitere 2½-ZimmerWohnungen. Im Neubau findet auf drei Geschossen jeweils eine Wohnung Platz. Bausubstanz 4 | 2010 13 Projekt Die einfache, aber ausdrucksstarke Materialisierung verleiht den Wohnräumen eine angemessene Schlichtheit, um – der Zielsetzung der Architekten gemäß – die Geschichte des Haupthauses mit der Modernität des Umbaus bzw. Neubaus zu vereinen. So verfügen die Wohnungen im Neubau über helle, homogen anmutende Anhydritböden, Sichtbeton­decken und weiß gestrichene Wände. Der Altbau kombiniert die historischen Fensterformate mit leuchtend gelbgrünen Küchenkombinationen und der Auskleidung der Dachschrägen mit Grobspanplatten in den beiden Dachwohnungen. Raumhöhen von 2,75 bis zu 5 m 14 unter dem Dach lassen den Räumen Luft nach oben und vermitteln Weite. Organisiert sind die Wohnungen im Neubau um einen durchgehenden zentralen, mit einem goldbraunen Anstrich versehenen Betonkern. Er nimmt alle Serviceräume, Nasszellen, Waschküchen und die Haustechnik jeder Wohnung auf. Um ihn herum gliedern sich die Räume in einen offenen Wohn-Essbereich auf der Südwest­ seite sowie zwei bis drei Zimmer nach Süden und Norden. Jede Wohnung verfügt über einen eigenen Außenraum im Hofbereich, die Dachmaisonette erweitert sich über zwei übereinanderliegende Balkone ins Freie. Bausubstanz 4 | 2010 Projekt Bausubstanz 4 | 2010 15 Projekt Energiekonzept Das bestehende Gebäude wurde im sog. Minergie-Standard für Umbauten, der Anbau im Minergie-Standard für Neubauten konzipiert. Aufgrund dieser Vorgaben wurden folgende Aspekte umgesetzt: möglichst hohe passive Solarnutzung, hohe Dämmwerte der Gebäudehülle und Reduktion der Transmissions- und Lüftungsverluste. Die Qualitätsmarke Minergie bezeichnet und qualifiziert in der Schweiz Güter und Dienstleistungen, die einen rationellen Energieeinsatz ermöglichen. Ein nach den Kriterien von Minergie saniertes oder neu erstelltes Haus garantiert mehr Lebensqualität bei niedrigem Energieverbrauch und schafft einen Mehrwert für das Gebäude. Die wichtigsten Voraussetzungen für das Erreichen des Qualitätsstandards sind eine dichte Gebäudehülle, dicke Wärmedämmung, effiziente Wärmeerzeugung und Komfortlüftung. In Zahlen und Werte übersetzt bedeutet dies: Außenbauteile: U-Wert < 0,2 W/m2K, Fenster (Rahmen und Glas): U-Wert < 1,3 W/m2K, kompaktes Gebäudevolumen und kontrollierte Lüftung mit Wärmerückgewinnung. Minergie-Neubauten benötigen rund die Hälfte der gesetzlich zulässigen Heizenergiemenge. In allen Bereichen eines Raumes herrscht die gleiche Temperatur, an Fensterflächen ist kein Kaltluftabfall festzustellen, es gibt keine kalten Ecken und keine Zugerscheinung. Haustechnik Die installierte Ersatzluftanlage sieht pro Wohneinheit eine separate Kleinanlage vor und ist Bestandteil der energiesparenden Maßnahmen mit gleichzeitiger Komfortsteigerung. Die frische und im Winter zudem kalte Außenluft wird zum Gerät geführt und über den eingebauten Wärmetauscher (Wirkungsgrad bis 90 %) mechanisch erwärmt. Diese Frischluft wird strömungs- und zugfrei in alle Zimmer geführt. Zur Küche und zu den Nasszellen strömt die Luft kaskadenförmig und wird dort abgesaugt. Die Absaugstellen bringen die Abluft zum Lüftungsgerät zurück, in dem Wärmeenergie wiederum über den Wärmetauscher der Zuluft abgegeben wird. Die abgekühlte Abluft wird ins Freie abgelüftet. Im Lüftungsgerät eingebaut sind Filter, die Staub, Rußpartikel und auch Blütenpollen zurückhalten. Neben der Energieein- 16 Projekt sparung durch die genannten Maßnahmen stand vor allem die verbesserte Schalldämmung gegen die stark frequentierte Wehentalerstraße im Vordergrund. Durch den Einbau der Komfortlüftungen ist es möglich, trotz geschlossener Fenster über 24 Stunden gute Raumluft zu haben. Die Raumheizung erfolgt zentral über eine Wärmepumpe. Zwei Erdsonden (Bohrungen von je 175 m Tiefe) entnehmen dem Erdreich Wärme und nutzen dabei kleinste Temperaturunterschiede. Unter Einsatz der Hilfsenergie Strom wird aus diesen Differenzen mittels Verdichtung die erforderliche Raumtemperatur mit einer Niedertemperaturbodenheizung sichergestellt. Die Vorlauftemperatur beträgt dabei 30 °C. Um 100 % Nutzwärme zu erzeugen, werden rund 20 bis 25 % Energie in Form elektrischen Stroms benötigt. Die Aufbereitung des Warmwassers bis ca. 55 °C erfolgt ebenfalls über die Wärmepumpe. Der Wärmeleistungsbedarf des gesamten Gebäudeensembles beläuft sich lediglich auf 20 kW. PROJEKTDATEN Standort: 8157 Dielsdorf ZH/Schweiz Architektur: Arge Frank Schäfer Arch.ETH und L3P Architekten AG FH SIA, 8158 Regensberg/Schweiz, www.l3p.ch Bauherr: privat Fotos: Sabrina Dohle, www.sabrinadohle.de Bauzeit: Anfang 2009 bis April 2010 Anzahl Wohnungen: 3 Neubauwohnungen, 5 Umbauwohnungen Anzahl sonstige Räume: 1 Gewerberaum Anlagekosten (BKP 1 bis 9) Umbauteil: ca. € 1 273 000 Anlagekosten (BKP 1 bis 9) Neubauteil: ca. € 1 000 000 Gebäudekosten (BKP 2/m3, SIA 416) Umbauteil: ca. € 430/m³ Gebäudekosten (BKP 2/m3, SIA 416) Neubauteil: ca. € 550/m³ Heizwärmebedarf (Qh) Umbauteil: 77,5 kWh/m² Heizwärmebedarf (Qh) Neubauteil: 57,2 kWh/m² INFO/KONTAKT Gelungene Verwandlung Das verworrene Gebilde aus Haupthaus und diversen Anbauten nicht komplett abzureißen, war angesichts des heutigen Zustands eine sehr gute Entscheidung. Ebenso der Rückbau auf das Herzstück, die ursprüngliche Metzger halle, und die Ergänzung mit einem äußerlich kontrastierenden Anbau. Auch wenn nur wenige historische Elemente erhalten werden konnten, spielen die Architekten geschickt mit vorhandenen und neu geschaffenen Stil­ elementen sowie deren Materialbeschaffenheiten. Mit den erweiterten Außenräumen, dem notwendigen Schallschutz und der energieoptimierten Klimatechnik ist eine ganz besondere und individuelle Wohnqualität in gewachsener Ortsstruktur entstanden. Bausubstanz 4 | 2010 Dipl.-Ing. Annette Galinski Annette Galinski, Jahrgang 1966, absolvierte eine kaufmännische Ausbildung und studierte Architektur an der Bauhaus Universität Weimar. Nach einigen Jahren in der Hoch- und Innenausbauplanung sowie einem Volontariat im Fachbuchbereich leitete sie von 2001 bis 2004 das Fachbuchlektorat Architektur der Verlagsanstalt Alexander Koch. Seit 2005 kommuniziert sie mit ihrer Agentur Architekturtext Architektur-themen über Fach- und Sachbücher, Zeitungs- und Zeitschriftenbeiträge sowie Fachveranstaltungen wie Vorträge und Führungen. Annette Galinski ist externe Redakteurin der Fachzeitschrift Baubsubstanz. Agentur Architekturtext Albrecht-Dürer-Straße 13 71636 Ludwigsburg Tel.: 07141 6488755 Fax: 07141 6488756 E-Mail: [email protected] Internet: www.architekturtext.de 17