signale 0011 Programmheft - Signale Graz

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www.signale-graz.at
Inhalt
Inhalt
Editorial
Wagnis Live-Elektronik
impuls — Akademie / Festival / Wettbewerb / Veranstaltungen
Programm
Michele Del Prete: Cambiamenti Di Stato
Michele Del Prete: Biographie
Karlheinz Essl: Sequitur XIII
Karlheinz Essl: Biographie
Hyunsuk Jun: Papilio Ulysses
Hyunsuk Jun: Biographie
Germán Toro-Pérez: Rulfo / ecos I
Germán Toro-Pérez: Biographie
Aliona Yurtsevich: TREE /study – III
Aliona Yurtsevich: Biographie
Das erweiterte Instrument
Ausblick
signalegraz 0011 Mitwirkende
Seite 47, 101111, / Impressum
Editorial
»Musik ist die Kunst der Hoffnung auf
Resonanz« Jean- Luc Nancy
Die Veranstaltungsreihe signale graz widmet sich der Präsentation musikalischer
und klangkünstlerischer Arbeiten, die
in substantieller Form vermit tels mo derner Medientechnologie konzipiert
oder realisiert wurden. Die Aufführung
solcher Werke stellt eine besondere Herausforderung für Publikum, InterpretInnen und VeranstalterInnen dar, da viele dieser Arbeiten allgemein etablierte
Formen der Präsentation und Rezeption
auf ihre jeweils besondere Art aus den
Angeln heben. Damit gerät auch ein
traditionelles Verständnis der Begriffe
Werk, Konzert, Komposition, Notation,
Instrument, Interpretation und Improvisation aus den Fugen und muss immer
wieder neu verhandelt werden. So erfordert jede Arbeit ihre spezifische Hörhaltung und Aufführungssituation – und
damit größtmögliche Flexibilität seitens
des Publikums, der InterpretInnen und
der VeranstalterInnen.
Mit signalegraz verfolgt die Kunstuniversität Graz das Ziel, die besten Bedingungen dafür zu schaffen, sich diesen Herausforderungen an das Zuhören und
Nachdenken zu stellen. Dabei steht die
sinnliche Erfahrung im Rahmen künstlerisch und technisch exzellenter Aufführungen im Vordergrund. Ergänzt wird
diese durch ein ausgewähltes Angebot
zur Reflexion in Form einer Internetseite
und eines Booklets, dessen dritte Ausgabe Sie in Händen halten. Diese Form der
Präsentation folgt der Überzeugung, dass
Erfahrung und Reflexion einander bedingen und daher als Einheit begriffen werden sollten. Mit dem György - Ligeti - Saal
im MUMUTH besitzt die Kunstuniversität
Graz einen weltweit einzigartig ausgestatteten Aufführungsraum und damit
eine ideale Heimat für signale graz . Die
Programmierung und Durchführung dieser Veranstaltungsreihe wird von Studierenden und AbsolventInnen sowie von
mehreren Instituten der Universität getragen. Das vom Institut für Elektronische
Musik und Akustik koordinierte Team erarbeitet das Programm gemeinsam mit
den Instituten für Bühnengestaltung und
Musikästhetik sowie dem Institut für Komposition, Musiktheorie, Musikgeschichte
und Dirigieren. Die Durchführung erfolgt
in enger Zusammenarbeit mit der Veranstaltungsabteilung und besonders
der Haustechnik des MUMUTH. Der Untertitel der Veranstaltungsreihe deutet
das Spektrum der Arbeiten an, die mit
signalegraz präsentiert werden sollen. Dieses reicht von Elektroakustischer Musik
(als Überbegriff verstanden) über Algorithmische Komposition und Radiokunst
(als wichtige Exponenten genannt) bis
zur Performance (als Gegenpol zur Warenform des Werkes gedacht). Die Heterogenität dieser Aufzählung ist ein Indiz für
die Unübersichtlichkeit des Feldes, dessen sich signale graz annimmt. Zudem ist
es auch Programm der Veranstaltungsreihe, historische Positionen aus den letzten
Jahrzehnten zeitgenössischen Ansätzen
gegenüber zu stellen.
Die erste Veranstaltung der Reihe im
März 2010 programmierte als Auftakt
eine vielgestaltige und kontrastreiche
Auswahl solcher Positionen aus dem
letzten halben Jahrhundert. Das zweite
Konzert im Oktober 2010 setzte sich mit
aktuellen Ansätzen der Algorithmischen
Komposition auseinander und die dritte
Veranstaltung am heutigen Abend, die
in Kooperation mit impuls stattfindet, widmet sich dem Thema Live-Elektronik, der
Verbindung von Instrumentalmusik und
Elektronik.
Im Dezember 2011 wird im Rahmen der
Konzertreihe ein international besetztes Jubiläumskonzert anlässlich des 85.
Geburtstags Gottfried Michael Koenigs,
e i n e m d e r w i c ht i g s te n P i o n i e re d e r
Elektronischen Musik und der Computermusik, stattfinden.
Gerhard Eckel und Gerriet K. Sharma
Wagnis Live-Elektronik
Unter Live-Elektronik soll hier eine spezielle Spielart der Elektroakustischen Musik
verstanden werden, bei der den MusikerInnen im Konzert wieder die zentrale Rolle der Interpretation zufällt. Live-Elektronik
wird also nicht nur im Studio produziert,
sondern auch im Konzert gespielt. Zu
der für jede Aufführung Elektroakustischer Musik notwendigen Einrichtung
und Interpretation eines Stücks durch
die Klangregie vor und während des
Konzerts kommt noch eine instrumentale
Form des Musizierens hinzu, bei der meist
auch traditionelle Musikinstrumente Verwendung finden. Die Instrumente der
Live-Elektronik unterliegen dabei nicht jener Standardisierung, die für traditionelle
Instrumente typisch ist. Das macht eine
Aufführung dieser Musik zur besonderen Herausforderung. Den MusikerInnen
wird große Flexibilität abverlangt, da
die Eigenschaften der Live-Elektronik-Instrumente meist als Teil der Komposition
festgelegt werden und daher von Stück
zu Stück sehr stark variieren können. Um
ein komponiertes Instrument zu spielen
bedarf es nicht nur der für jede Interpretation zeitgenössischer Musik notwendigen musikalischen und instrumentenspezifischen Fähigkeiten, sondern auch
eines grundlegenden Verständnisses der
in der Komposition (des Stücks und der
Instrumente) angewendeten Konzepte
und Techniken. Erschwert wird diese
Situation noch dadurch, dass LiveElektronik oft zur Erweiterung traditio neller Instrumente eingesetzt wird. Die
Spielbedingungen eines traditionel len Instruments können sich dadurch
stark verändern und erfordern von den
InterpretInnen eine besondere Auseinandersetzung. Die von den Möglichkeiten der Live-Elektronik ausgehende
Faszination lässt KomponistInnen und
MusikerInnen aber immer wieder das
Wagnis eingehen, auf diesem Wege
neue Formen des Musizierens zu verwirklichen. Diesen Prozess zu unterstützen, war das Ziel des im Rahmen der
7. internationalen impuls Ensemble- und
Komponistenakademie für zeitgenössische Musik veranstalteten Live-Elektronik-Workshops, dessen Ergebnisse in
diesem Konzert präsentiert werden.
Gerhard Eckel (2010)
impuls
Akademie Vom 5. bis 16. Februar 2011
findet in Graz die inzwischen 7. internationale impuls Ensemble- und Komponistenakademie für zeitgenössische Musik
statt. Gegründet von Beat Furrer und
Ernst Kovacic hat sich impuls binnen weniger Jahre zu einer der international führenden Institutionen auf diesem Gebiet
entwickelt. Dies nicht zuletzt dank eines
internationalen Teams mit renommierten
SpitzenmusikerInnen und KomponistInnen als TutorInnen (u. a. Pascal Dusapin,
Rebecca Saunders, Georg Friedrich
Haas, Bill Forman, Uli Fussenegger, Ian
Pace, Ernesto Molinari, Marcus Weiss),
die für höchste Qualität garantieren.
Instrumentalklassen und Ensemblespiel,
Kompositionsklassen, zahlreiche Lectures
und Spezialprogramme wie Ensemble
meets Composer, Leseproben mit dem
Klangforum Wien, Elektronik- und Improvisationsworkshops … – impuls schafft für
junge MusikerInnen und KomponistInnen
aus der ganzen Welt einen umfassenden
Zugang zu zeitgenössischer Musik, fördert in einer intensiven Akademiephase
gemeinsame Arbeits- und Lernprozesse,
bietet eine internationale Austauschplattform und im Rahmen des impuls
Festivals auch zahlreiche Auftrittsmöglichkeiten.
Festival Zwischen 5 . und 16 . Februar
findet in Graz 2011 auch bereits zum
zweiten Mal das impuls Festival für zeitgenössische Musik statt. Am Programm
des Festivals stehen neben Akademiepräsentationen auch Konzerte mit dem
Klangforum Wien, dem jungen ensemble Interface und dem internationalen
impuls TutorInnenteam, Werke der klassischen Moderne, der zeitgenössischen
Musik, die impuls MinutenKonzerte, Podiumsdiskussionen, Roundtables, Vorträge, KomponistInnengespräche und
natürlich auch Urauf führung en von
impuls Kompositionsauf trägen sowie
Kompositionen der Live-Elektronik – wie
z. B. das signale graz 0011 Live Electronics
Konzert.
impuls
Wettbewerb impuls fördert junge KomponistInnen nicht nur durch seine Akademie, sondern auch über
den impuls Kompositionswettbewerb: impuls vergibt
jedes zweite Jahr bis zu
sechs Kompositionsaufträge für Ensemble an junge KomponistInnen, die über den internationalen
impuls Kompositionswet tbewerb no miniert werden. In der Folge werden
diese KomponistInnen auch zum impuls Kompositionsworkshop nach Wien
und Graz eingeladen, im Zuge dessen
ihre neuen Werke kollektiv und intensiv über knapp eine Woche hinweg
mit Spitzenensembles wie dem Klangforum Wien erarbeitet, diskutiert und
erprobt werden. Darüber hinaus sind
die KomponistInnen natürlich auch
zur Uraufführung ihrer neuen Stücke
im Rahmen des impuls Festivals und der
impuls Akademie nach Graz eingeladen.
Veranstaltungen Neben Kompositionswettbewerb, Akademie und Festival
bietet impuls auch Kurzworkshops für
junge MusikerInnen in Österreich an,
schafft für sie Präsentationsplattformen
und kooperiert für Konzerte und andere
Musikvermittlungsprogramme auch mit
anderen VeranstalterInnenn und Kulturinstitutionen.
www.impuls.cc
Programm
unter der Leitung von Gerhard Eckel und Peter Plessas
Michele Del Prete:
Cambiamenti Di Stato 2008
Karlheinz Essl:
Sequitur XIII 2009
Hyunsuk Jun:
Papilio Ulysses 2005
Germán Toro-Pérez:
Rulfo / ecos I 2006
Aliona Yurtsevich:
TREE / study – III 2007
Michele Del Prete:
Cambiamenti Di Stato
2008
Der Titel Cambiamenti Di Stato (»Zustandsänderungen«) verweist auf die Bedeutung der sich verändernden Zustände der Bassklarinette und ihres Klanges
innerhalb des Werkes. Die elektronische
Verarbeitung der Klänge unterstützt die
Wandlungen, denen das Soloinstrument
unterzogen wird, indem sie ihm eine
klangliche Umwelt bietet, auf welche
sich die Änderungen beziehen können.
In einer grundlegenden Bezugsebene
setzt Michele Del Prete die klanglichen
Möglichkeiten der Klarinette in den Kontext physikalischer Zustände. Wie Klappengeräusch, Spaltklang und Luftton
Klangzustände des Instruments Bassklarinette darstellen, sind Eis, Wasser und
Dampf unterschiedliche Erscheinungsformen eines einzelnen Elements. Und
wie das Element Wasser Abbild und
Träger jener Intensität von Temperatur
und Druck ist, welcher es ausgesetzt wurde, so transportiert die Klarinette durch
ihre klanglichen Zustände die ihr eingeschriebenen Zustände von Energie und
Ausdruck. Die gestalthafte »Verände rung im Gleichen« wird auf diese Weise
thematisiert.
Zweck wird sie aufgenommen und ihr
Klang in Echtzeit der Live-Elektronik zugeführt, welche ihn verarbeitet und im Verlauf des Stückes eine Klangtextur generiert. Diese wird über acht Lautsprecher
als Raumklang wiedergegeben. Somit
erscheint die Bassklarinette nicht in ihrer
einfachen, eigentlichen Klanggestalt,
sondern ihr Zustand wird komplexer.
Im Element Wasser wie in der Bassklarinette sind diese Zustandsänderungen
angelegt und damit möglich. Die LiveElektronik stellt die Umwelt für diese
Transformation dar. Die Bassklarinette
wird durch Verzögerungen mit ihrem
eigenen transformierten Klang konfrontiert, sowie durch Frequenzverschiebungen und Mikroverzögerungen mit einem
»Klangschatten« versehen. Zu diesem
Dem Attribut der Wandelbarkeit und der
ihm innewohnenden Möglichkeit zur Verarbeitung stellt Del Prete sein Konzept der
»Canoni morti« gegenüber. Der Klang
der Canoni morti wird nicht während der
Aufführung verräumlicht, sondern sie
sind in ihrer elektronischen räumlichen
Verarbeitung vorprogrammiert. Da sie somit keine Wandlungsfähigkeit aufweisen
sind sie »tot«, dienen jedoch als Horizont
für die Raumklang-Regie, welche in Echtzeit auf die klangliche Realisierung des
Stücks reagiert.
Andreas Pirchner (2010)
Michele Del Prete:
Biographie
Michele Del Prete, geboren 1970 in Novara (Italien), studierte Philosophie an den
Universitäten von Turin, Utrecht, Leiden und Berlin, wo er 2005 mit einer Arbeit über
Franz Rosenzweig den Ph. D. erwarb. Er nahm an zahlreichen Kongressen teil, u. a.
in Cambridge, Jerusalem, Rom, Darmstadt, Paris, Helsinki oder an der Harvard
University. 2009/10 unterrichtete er Wahrnehmungs- und Gestaltpsychologie an der
Accademia di Belle Arti in Turin. 2008 erhielt er sein Diplom in Composition and New
Technologies am Conservatorio B. Marcello in Venedig. Es folgten ein Kompositionsworkshop bei Giacomo Manzoni und Meisterklassen mit Claudio Ambrosini und
Agostino Di Scipio. Seit 2009 studiert er Komposition bei Beat Furrer an der Kunstuniversität Graz. Michele Del Prete arbeitet seit 2003 mit Texten von Roberto Bacchetta.
Seine Werke wurden in Venedig (Conservatoire of Venice, Teatrino Groggia, Biennale Musica), Pordenone (Festival del Teatro Indipendente, 2008 und 2009), Rom
(Teatro Manhattan), Mestre (Galleria Contemporaneo), Novara (Centro culturale
UXA), Mailand (Festival 5 Giornate 2009 and 2010), Fiesole (Estate Fiesolana 2009
and 2010), Helsinki (Theater Academy), Berlin (BKA Theater), Barcelona (Festival
Zeppelin 2009), Graz (KUG) und Sassari (La terra fertile 2010) aufgeführt.
Karlheinz Essl:
Sequitur XIII
2009
Sequitur ist eine Serie von 14 Kompositionen Karlheinz Essls. Alle sind durch die
Klanglichkeit eines stets anderen Soloinstruments (z. B. Flöte, Violine, Toy-Piano)
gekennzeichnet. Dieses interagiert zur
musikalischen Klang- und Strukturerzeugung mit der immer gleichen Anordnung
von Live-Elektronik: dem von Essl entwickelten Sequitur-Generator. Der Umfang
der Serie sowie die intensive klangliche
Erforschung der Möglichkeiten eines
einzelnen Soloinstruments – bei Essl in
ein Spannungsverhältnis zur Live-Elektronik gesetzt – verweisen auf Luciano
Berios Zyklus Sequenzas.
nicht wie etwa bei Ligetis Atmosphères 1
eingesetzt, um zu einer extremen strukturellen und klanglichen Verdichtung zu
gelangen, welche die Wahrnehmbarkeit
des einzelnen Klangereignisses auflöst
und auf diese Weise ein Klangkontinuum
betont. Vielmehr bleiben die einzelnen
Klangereignisse im vorliegenden Stück
wahrnehmbar, auch wenn sie sich durch
die Technik des Kanons bedingt überlagern. Essl wählte außerdem einen Kanon
mit kürzer werdendem Einsatzintervall
der kanonischen Stimmen. Diese Technik bricht das starre Prinzip der konstanten Einsatzintervalle eines traditionellen
Kanons 2 auf und führt zu einer zuneh-
Die Bedeutung des Titels Sequitur (lat. für
»er/sie/es folgt«) bezieht sich auf das dem
Stück zugrunde liegenden Konstruktionsprinzip eines Kanons. Dieses wird jedoch
menden Verdichtung der musikalischen
Struktur. Die einzelnen Schichten des
Kanons werden zusätzlich mit dem Verlauf der Zeit immer stärker verzerrt und
»verfallen« so gegenüber den jüngeren
Einsätzen.
In allen Stücken der Sequitur-Serie setzt
Essl seinen selbst entwickelten SequiturGenerator ein. Dieser wurde in der Software Max/MSP realisiert und verarbeitet
die klanglichen Ereignisse des Soloinstruments, welche durch ein Mikrophon
übertragen werden, in Echtzeit. Das
Klangergebnis des Stückes ist die Summe der (notier ten) Per formance der
SolistIn und deren Verarbeitung durch
die Live-Elektronik. Das Resultat der Realisierung von Essls Vorgaben ist bei jeder Aufführung einzigartig. Anders als
in improvisierter Musik sind bei Sequitur
XIII die zu spielenden Noten für die SolistInnen genauestens in der Partitur festgelegt. Die strukturelle Einzigartigkeit der
Realisierung wird durch zufallsgesteuerte Operationen und ein selbsttätiges
Verhalten in der elektronischen Verarbeitung und der anschließenden modifizierten Rückspielung der Live-Klänge erreicht. Das Gestaltungsprinzip des
strengen Kanons erscheint auf diese
Weise durch die Elektronik aus den
Angeln gehoben. Die SolistInnen werden mit ihrem eigenen Spiel konfrontiert, wobei das Zusammenspiel zwischen InterpretIn und Computer durch
die verzerrten akustischen Reflektionen
der Live-Elektronik stets neu und überraschend ausfällt.
Andreas Pirchner (2010)
»Etwa in der Mitte der ›Atmosphères‹
findet sich ein 56stimmiger Kanon. Die Stimmen
imitieren einander zwar nicht im Rhythmischen,
wohl aber in der Abfolge der Tonhöhen. […] Es ist
unmöglich, den Kanon mit dem Ohr zu verfolgen«
(vgl. Kaufmann, S. 110–112).
1
Eine Verfahrensweise, um aus einem
einstimmigen Satz einen zweistimmigen Satz
herzustellen, besteht darin, die zweite Stimme
später als die erste einsetzen zu lassen. Sie ahmt
die erste genau nach, imitiert sie streng (Knaus/
Scholz, S. 15). Der Kanon wird nach dem Intervallverhältnis benannt, in dem die zweite Stimme im
Vergleich zur ersten einsetzt: etwa »Kanon in der
Terz« (Knaus/Scholz, S. 37).
2
Essl, Karlheinz,
http://www.essl.at/works/sequitur.html.
Kaufmann, Harald,
»Strukturen im Strukturlosen: Über György Ligetis
›Atmosphères‹«, in Spurlinien: Analytische Aufsätze über Sprache und Musik, Wien 1969, S. 107–117.
Knaus, Herwig / Scholz, Gottfried,
»Formen in der Musik. Herkunft, Analyse, Beschreibung«, Bd. 1, Wien 1988.
Karlheinz Essl:
Biographie
Karlheinz Essl, 1960 in Wien geboren, studierte Musikwissenschaft und Kunstgeschichte an der Universität Wien sowie Komposition bei Friedrich Cerha und elektroakustische Musik bei Dieter Kaufmann, 1989 promovierte er mit einer Dissertation über Anton
Webern. Als Kontrabassist spielte er in verschiedenen Kammermusik- und Jazzformationen. Er arbeitet als Komponist, Medienkünstler,
Musikkurator und Kompositionslehrer. 1990–94 war Karlheinz Essl composer-in-residence bei den Darmstädter Ferienkursen für
Neue Musik. 1992/93 arbeitete er an einem Performance-Projekt mit Harald Naegeli und realisierte einen Kompositionsauftrag
des IRCAM. 1995–2006 unterrichtete er Algorithmische Komposition an der Anton Bruckner Privat-Universität in Linz, daneben
hielt er Gastvorlesungen u. a. in Toronto, Kopenhagen und Köln. Seit 2007 ist er Kompositionsprofessor für elektroakustische und
experimentelle Musik an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien. Seit 1993 ist er Musikintendant der Sammlung Essl
in Klosterneuburg/Wien. 1997 wurde ihm ein Komponistenportrait bei den Salzburger Festspielen gewidmet, 2004 erhielt er den
Würdigungspreis des Landes Niederösterreich für Musik. Karlheinz Essl entwickelt neben Instrumentalwerken und Kompositionen
mit Live-Elektronik auch generative Kompositions-Software, Improvisationskonzepte, Klanginstallationen, Performances sowie Internet-Projekte, auch hat er laufend Auftritte als Live-Performer mit dem selbstentwickelten computer-basierten Meta-Instrument
m@ze°2. Seine Werke wurden bei zahlreichen internationalen Festivals aufgeführt, dabei arbeitete er auch mit vielen bekannten
Ensembles zusammen.
Weitere Informationen: http://www.essl.at
Hyunsuk Jun:
Papilio Ulysses
2005
Papilio Ulysses für Violine und elektronische Klänge wurde im Jahr 2005 von
Hyunsuk Jun komponiert. Während bei
anderen seiner Stücke außermusikalische Einflüsse aus Literatur oder der
bildenden Kunst auftreten, ist es bei
dem vorliegenden Stück der Odysseusfalter (lat. Papilio ulysses), der als Quelle
der Inspiration dient. Wie sich die Farbnuancen des Blaus der Flügel von Papilio
ulysses mit dem Blickwinkel ändern, unter dem sie betrachtet werden, so zeigen
auch die elektronischen Klänge der Komposition neue Sichtweisen auf das durch
sie kontextualisierte Spiel der Violine.
.
Die Live-Elektronik nimmt dabei die Rolle eines Tonbandes ein. Auf dieses Tonband werden Klänge aufgenommen
sowie durch elektronische Verfahren des
Studios modifiziert und gemischt, um
dann in der Aufführungssituation allein
oder in Kombination mit Instrumenten
abgespielt zu werden.
Das Tonband wurde erstmalig 1935 von
der Firma AEG bei der Berliner Funkausstellung vorgestellt und von Beginn der
1950er Jahre an für Tonband-Kompositionen eingesetzt. Doch liegt bei den
meisten zeitgenössischen Kompositionen,
welche im Studio vorpräpariertes
Material verwenden, keine elektromagnetische Bandaufzeichnung
mehr vor. Die Klänge werden heute in der
Regel am Computer sowohl bearbeitet
als auch durch diesen in Echtzeit wiedergegeben.
Durch den Umstand, dass die Klänge
vorproduziert sind, exemplifiziert Papilio
Ulysses eine andere Herangehensweise
zur Hervorbringung des klanglichen Resultats der Aufführung als das Konzept
der in Echtzeit erzeugten elektronischen
Klänge. Ein Teil des hörbaren Stücks ist
bereits »unveränderlich « vorproduziert
und der Aufführung damit eingeschrieben. In der Verbindung von diesem
Material und dem Instrumentalvortrag
ergeben sich eigene ästhetische Qualitäten und produktive Reibungen.
Andreas Pirchner (2010)
Hyunsuk Jun:
Biographie
Hyunsuk Jun studierte 2001–2005 zunächst Komposition an der ChuGye
Universit y for the Ar ts (Korea), an schließend elektroakustische Komposition an der Korea National Universit y of Ar ts. Seit 20 09 studier t er
Komposition an der Kunstuniversität
Graz. Seine Werke umfassen Kompo sitionen für Orchester, Kammermusik,
elektronische Klänge und Tonband.
Seine Kompositionen wurden beim
Seoul International Computer Music
Festival, Seoul Creation Music Festival,
Panmusic Festival und Nong project
der Korea National University of Arts
(Korea), bei SIGGRAPH 2007 (USA) und
in der Aram Art Gallery aufgeführt.
Hyunsuk Jun erhielt 2004 und 2005 erste Preise beim Seoul computer music
contest.
Germán Toro-Pérez:
Rulfo/ecos I
Rulfo/ecos I ist das zweite Stück aus Germán Toro-Pérez’ Zyklus Rulfo/voces/ecos.
Dieser umfasst fünf Stücke für Streichtrio
und Live-Elektronik, wurde 2006 uraufgeführt und bezieht sich auf das Werk des
mexikanischen Schriftstellers Juan Rulfo,
welcher in seinem schmalen, jedoch experimentellen Oeuvre in düsteren Worten das harte Leben der mexikanischen
Landbevölkerung beschreibt.1
Der musikalische Bezug des Zyklus zu
Rulfos Sprache der Einsamkeit zeigt sich
in den monodischen Phrasen der jeweiligen Soloinstrumente . 2 Charakteristisch
2006
für ecos I ist das bis an seine artikulatorischen Grenzen ausgereizte Cello, für
dessen gestischen Ausdruck die klangliche Spannung zwischen Phrasen, welche
durch Glissandi gekennzeichnet
sind, und solchen, welche diskrete, schnelle Tonsprünge aufweisen, kennzeichnend
ist. Diese Dialektik des Ausdrucks verdichtet sich im Verlauf des Stückes durch die
steigende Intensität, und es fällt leicht,
dabei an den Dialog zweier Charaktere
zu denken, welche gleichsam durch das
Cello gezeichnet werden und somit zwei
Seiten eines einzelnen Wesens aufzeigen.3
Der virtuose, springende Vortrag des Cellos spielt sich vor dem klanglichen Hintergrund der Live-Elektronik ab. Diese hat
die Aufgabe das Klangbild des jeweiligen
Soloinstruments zu erweitern 4 sowie die
Erinnerungen an die Vergangenheit zu
vergegenwärtigen. Es treten hier ausgedehnte Klangtexturen auf, welche die
Erfahrung eines Klangraumes suggerieren. Zunächst erscheinen sie statisch
und erzeugen eine Art Klangkontinuum,
welches jenen Raum bewirkt, in welchem
sich die virtuosen, in sich beschleunigten
Gesten des Cellos ereignen, und von welchem sie sich gleichzeitig unterscheiden.
Durch eine anaphorische Verbindung
wird das klanglich Vergangene durch
die Live-Elektronik in den direkten Kontext der Gegenwart des Stückes gesetzt,
sowie das Spiel des Cellos als aktueller
Modus des Vergangenen und seines eigenen Vortrags inszeniert. Auf diese Weise wird HörerInnen eine fragmentarische
Zeiterfahrung, in welcher die Erinnerung
die kontinuierliche Gegenwart vorübergehend überdeckt, zuteil.
Andreas Pirchner (2010)
Rulfos Stil wird als innovativ und experimentell angesehen. Seine Vorliebe für absurde
Handlungen und sonderbare Charaktere machen
ihn zum Ideengeber des »Magischen Realismus«.
(Ocasio, S. 98f.)
1
2
Vgl. Ender.
Germán Toro-Pérez erwähnt selbst Rulfos Erzählung No oyes ladrar los perros (»Hörst du
nicht die Hunde bellen?«) als beispielhaft. Sie kann
als Monolog verstanden werden: Vater und Sohn
sind ein einziger Mensch, der Selbstgespräche
führt.
3
4
Vgl. Ender.
Ender, Daniel,
»Der Wert des Schöpferischen. Der Erste Bank
Kompositionsauftrag 1989–2007. 18 Portraitskizzen und ein Essay«, Wien 2007.
Ocasio, Rafael,
»Literature of Latin America«, Westport 2004.
Germán Toro-Pérez:
Biographie
Germán Toro - Pérez, 1964 in Bogotá geboren, studierte Komposition bei Luis Torres
Zuleta in Bogotá und bei Erich Urbanner und Karl-Heinz Füssl an der Universität
für Musik und darstellende Kunst in Wien. Außerdem belegte er Dirigierkurse bei
Karl Österreicher und Peter Eötvös und betrieb Studien der Elektroakustik und
Computermusik in Wien und am IRCAM in Paris. Seine Werke umfassen Instrumentalwerke und elektroakustische Kompositionen sowie Werke, die in Zusammenarbeit mit Grafikdesign, Malerei und Experimentalfilm entstanden sind. Er
erhielt sowohl Kompositionsstipendien als auch Kompositionspreise, u. a. in Bogotá,
Bourges und Österreich. Seine Werke wurden in Europa, Südkorea und Nord- und
Südamerika bei Festivals wie Wien Modern, Klangspuren Schwaz, Sonorities Belfast, Borealis (Norwegen), Humor y Aliento (Mexiko) u. a. aufgeführt. Dabei arbeite te er mit zahlreichen Ensembles wie z. B. den New Century Players L. A., dem Mosaik
Berlin oder dem Klangforum Wien zusammen. Er ist außerdem Mitbegründer des
NewTon-Ensembles. Germán Toro - Pérez war 1999–2006 Leiter des ComputermusikKurses an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien, 2006/07 war er
dort Gastprofessor für elektroakustische Komposition. Seit 2007 leitet er das Institu te for Computer Music and Sound Technology (ICST) an der Zürcher Hochschule
der Künste.
Aliona Yurtsevich:
TREE / study – III
2007
TREE / study – III ist eine Arbeit für SoloFlöte und 6-kanalige Live-Elektronik. Sie
ist Teil des Projekts TREE, welches von
Aliona Yurtesevich im Jahr 2006 initiiert
wurde und inzwischen zehn Arbeiten
umfasst. Grundidee des Projekts ist es,
Eigenschaf ten und Verhaltensweisen
von Bäumen hörbar zu machen. Die
einzelnen Arbeiten des TREE - Projekts
nähern sich diesem Ziel aus unterschiedlichen Blickwinkeln. Im Falle der
vorliegenden TREE / study – III wurden
nicht etwa physikalische Schwingungen
aufgezeichnet, sondern die Zeichnung
eines kahlen Baumes auf ein zuvor erstelltes Raster übertragen, dessen Werte dem Tonumfang der Flöte zu einem
bestimmten Zeitpunkt entsprechen. Der
graphische Verlauf der Äste wurde auf
diese Weise in Tonfolgen übersetzt und
die strukturellen Eigenschaften des Baumes somit sonifiziert.
Der Begriff »Sonifikation« bezeichnet
die Wahrnehmbarmachung von Daten
oder visuellen Eindrücken durch auditive Reize. Hierbei findet eine Übersetzung in bestimmte Parameter des
resultierenden Klanges statt (»Parameter-mapping«). Ursprünglich ist die Sonifikation ein naturwissenschaftliches
Ver fahren, es fand jedoch mitunter
auch in der Musik Anwendung. So wurde beispielsweise John Cages Atlas
Eclipticalis (1961), in welchem Sternkarten
auf Notenpapier übertragen wurden, als
musikalische Sonifikation bezeichnet.
Die räumliche Struktur des Nachthimmels dient Cage als kompositorische
Grundlage. Er stellt so eine ähnliche
Nähe zu natürlichen Gegebenheiten
her, wie sie auch Prinzip der Sonifikation
ist. Zentrales und wichtiges Unterscheidungsmerkmal der wissenschaftlichen
oder musikalischen Sonifikation ist das
Vorhandensein von naturwissenschaftlichem Erkenntnisinteresse oder künstlerischem Konzept.
Durch künstlerisch- konzeptionelle Übersetzungen macht Yurtsevich mittels ihres
TREE - Projekts die Struktur einer der Natur
innewohnende Klanglichkeit wahrnehmbar, welche dem menschlichen Ohr
normalerweise nicht zugänglich ist. So
schafft Musik eine Verbindung zwischen
dem lautlosen, starren Abbild und dem
zeitlich bewegten Klang. Nach dem ersten Teil von TREE / study – III, welcher
den Stamm eines Baumes repräsentiert
und einen komplexen Klangraum aus
Mehrklängen eröffnet, ist es die Aufgabe
der Live-Elektronik, die von der Flöte gespielten Sequenzen (»Äste«) aufzuzeichnen und im weiteren Verlauf des Stückes
zeitlich gedehnt wieder zuzuspielen. So
entsteht eine sechsfache, feinverästelte
Mehrstimmigkeit, welche den Verlauf der
Äste in ihrer klanglichen Repräsentation
in der Partitur zunächst »übereinander«
legt und auf diese Weise in Beziehung
setzt. Durch die sechskanalige Umsetzung erweitert sie sich wieder um die ursprünglich vorhandene Raumdimension
und leistet schließlich einen neuen sinnlichen Zugang zu den strukturellen und
formalen Eigenschaften des altbekannt
erscheinenden Phänomens Baum.
Andreas Pirchner (2010)
Aliona Yurtsevich:
Biographie
Aliona Yurtsevich, 1970 in Weißrussland geboren, studierte zunächst Klavier und
Pädagogik an der Academy of Music in Minsk (Bachelor 1993). Ab 1993 lebte sie
in New York, wo sie sich hauptsächlich mit experimenteller Kunst, Film, Multimedia
und Design beschäftigte. Ab 2006 studierte sie Komposition an der Kunsthochschule Utrecht (Master 2009). Aliona Yurtsevich schrieb zahlreiche Werke für Kammermusik und Soloinstrumente, aber auch für Kunstfilme, Installationen und Tanz. Ihre
Arbeiten wurden in den Niederlanden, in Italien, in Ungarn und in den USA aufgeführt. Sie erhielt diverse Preise, so wurde z. B. ihre Zusammenarbeit mit dem Choreographen Brian Tijon … In the stillness between two waves of the sea … beim
Internationalen Dance Festival 2010 in Budapest als Best Duo Dance Production
ausgezeichnet. Ihr vielfältiger kreativer Hintergrund führte unter anderem zu Arbeiten im experimentellen Multimedia-Theater, wobei die individuelle Klangtheatralik und der visuell-ästhetische Aspekt der musikalischen Darstellung eine zentrale
Rolle einnehmen. Ein weiterer Schwerpunkt ihrer Arbeit liegt in der Erforschung der
Wechselbeziehung zwischen unterschiedlichen kreativen Formen und Sprachen im
musikalischen Kontext.
Weitere Informationen: http://ay-tones.hku.nl
Das erweiterte Instrument
Die Aufführung eines Werkes unter Verwendung elektronischer Instrumente
wird gemeinhin als Live-Elektronik bezeichnet. Dieser Begriff hat sich historisch als Komplement zur Arbeit im
elektronischen Studio entwickelt und
unterstreicht die konzertante Darbietung und Interpretation des Werkes. Die
Komposition von elektronischer Musik
im Studio und deren darauffolgende Fixierung auf einem Tonträger ermöglicht
einen großen Einfluss auf das klangliche Resultat. Hierbei kann Musik zum
Klingen gebracht werden, die aufgrund
komplexer Produktionstechniken unter
keinen Umständen instrumental gespielt
werden kann. Die Frage, wann Tonbandmusik denn eigentlich für die Zuhörer geboren wird, verhält sich dabei wie Erwin
Schrödingers Katze in seinem berühmten
Gedankenexperiment zur Quantenmechanik: Solange eine Kiste ungeöffnet
bleibt, die eine Katze und einen Mechanismus enthält, der das Tier mit 50%
Wahrscheinlichkeit tötet, befindet sich
dieses gleichermaßen in Schwebe zwischen den beiden möglichen Zuständen. Ähnliches lässt sich auch über
Tonbandmusik sagen, welche erst durch
das Hörbarmachen des fixierten Materials entsteht. Ihre Aufführung über Lautsprecher im Konzert umgeht dabei viele
Probleme der Niederschrift musikalischer
Intentionen im Notentext und klammert
unzulängliche Interpretationen im Instrumentalspiel weitgehend aus.
Kompositionen mit Live - Elektronik be schreiten den Weg einer Mischform und
sind der Aufführungssituation akustischer
Musik näher positioniert. Durch das Zusammenspiel von akustischen und
elektronischen Instrumenten kann die
Live-Elektronik in einer bekannten Konzer tsituation er fahrbar werden. Die
zeitliche Struktur, die bei der Tonbandmusik starr vorgegeben ist, wird den
SpielerInnen wieder zurück in die Hand
gegeben. Dies er forder t die übliche
Koordination unter den MusikerInnen
und führt zu einer variablen Gestalt des
Werkes in der Darbietung. Kleinste unbewusste Variationen etwa der Dauer einer
Fermate oder der Stärke eines Fortissimo
führen zu unterschiedlichsten emotionalen Erfahrungen für die Zuhörenden
wie auch für die Spieler selbst. In der Aufführung derartiger Werke schließen sich
Komposition und Interpretation nicht gegenseitig aus, sondern sie bedingen sich.
Neben der Rolle als Ensembleinstrument kommt der Live-Elektronik durch
die ihr gegebene Möglichkeit zur Beeinflussung akustischer Instrumente eine
Sonderstellung zu. Das elektronische Instrumentarium, welches aus verschiedenen Bausteinen der Studiotechnik und
der Signalverarbeitung gebildet wird,
ist gleichermaßen Klangerzeuger wie
auch Klangformer. Durch die modulare
Zusammensetzung der Geräte wird diese
Eigenschaft explizit sichtbar, sie ist aber
den meisten Instrumenten gegeben. Ein
Streichinstrument etwa lässt sich in einen
klanganregenden Teil – die Bewegung
der Saite durch die Bogenhaare – sowie
in einen klangformenden Teil – die Beeinflussung der angeregten Schwingungen
durch Finger und Resonanzkörper – trennen. Gleiches gilt für die menschliche
Stimme: auch hier ist eine Unterteilung
in Klangerzeuger (Stimmlippen) und
klangformenden Filter (Vokaltrakt) möglich. Beim Musizieren mit Live-Elektronik
macht die Klangformung nun nicht
bei den Abmessungen des Instrumentes Halt, sondern wird ganz entschieden erweitert. Dieses wird meist durch
Mikrophone, Zusammenschaltungen
verschiedener Geräte und Lautsprecher ermöglicht. Dabei kann die Rolle
der Transformation sogar von einem eigenen Spieler ausgeführt werden, und
das erweiterte akustische Instrument
wird gleichsam im Tandem gespielt. Der
Einfluss der Klangformung auf die Wahrnehmung des akustischen Instrumentes reicht hierbei von fast unmerklichen
Schattierungen bis zur gänzlich neuen Gestaltung des Klanges. Ein neues
Element kommt hierbei mit der Klangspeicherung dazu. Hiermit kann die
Aufnahme einzelner Phrasen und die
darauffolgende Wiedergabe im selben
Musikstück, oft in transformierter Form,
realisiert werden. Diese Art der Gegenüberstellung des akustischen Instrumentes mit seinem elektronischen Spiegelbild
kann zu einem musikalischen Dialog gestaltet werden, ja sogar die weitere Form
der Komposition bestimmen, etwa indem
bereits gespieltes Material zu einem späteren Zeitpunkt das musikalische Gerüst
des Werkes bestimmt. Die Transformation
als Instrument wie auch als Parameter
kann somit komponiert und mittels LiveElektronik gespielt werden. Da einer der
Gründe für die Faszination elektronischer
Musik in neuartigen Klängen, Transformationen und musikalischen Formen
liegt, verweigern sich manche ihrer Methoden der Nachvollziehbarkeit durch
die Zuhörer. Die Verschmelzung von
akustischen und elektronischen Instrumenten bietet dem Publikum jedoch die
Möglichkeit, das visuelle Erleben einer
Performance und die eigene Hörerfahrung als Ausgangs- sowie Anhaltspunkt
für die Rezeption verschiedener Werke
heranzuziehen.
Peter Plessas, bis 2009 Studium Toningenieur an der Kunstuniversität sowie
Technischen Universität Graz. Er war
2 010 künstl e risch - wisse nscha f tlicher
Mitarbeiter des IEM. Entwicklung und
Aufführung von Werken mit Live - Elektronik, sowie Vermittlung der damit
verbundenen Aufführungspraxis und
Techniken.
Ausblick
signalegraz wird sich nach dem Konzertabend 0011 zum Thema »Live-Elektronik«,
dem dieses Booklet gewidmet ist, sukzessive den verschiedenen Aspekten der
im Untertitel der Reihe angesprochenen
musikalischen und klangkünstlerischen
Felder widmen. An zwei Abenden im Jahr
werden wir versuchen, den HörerInnen
einen möglichst konzentrierten Einblick in
das jeweils ausgewählte Feld zu ermöglichen. Dabei legen wir großen Wert auf
eine sorgfältige Auswahl der Werke, eine
detailgetreue Aufführungspraxis und eine
ansprechende Darstellung des ergänzenden Hintergrundwissens im Booklet und
auf unserer Internetseite.
Neben den beiden Konzer ten bie tet signale graz in Zusammenarbeit mit
Studierenden, KUG - MitarbeiterInnen,
Lehrenden und geladenen Gästen in
unregelmäßigen Abständen ein Rahmenprogramm an, das sich dem weit
gefächerten Themenfeld der Reihe widmet. Diese Veranstaltungen erfordern jeweils einen sehr intensiven Proben- und
Arbeitsprozess. Ob Lautsprecherkonzert,
Ensembleaufführung mit Live-Elektronik
oder interaktive Tanz Performance, jedes Setup muss recherchiert, installiert,
erprobt und angepasst werden. Im Rahmen der signalegraz Workshops möchten
wir MusikerInnen, KomponistInnen und
PerformerInnen die Möglichkeit bieten,
an diesem Prozess aktiv teilzuhaben
und Stücke, Techniken und Verfahren
zu erlernen, die in solch konzentrierter
Form nur selten angeboten werden. Weiters werden im Rahmen der signale graz
Soirées öffentliche Vorträge im CUBE
des Instituts für Elektronische Musik und
Akustik der Kunstuniversität Graz abgehalten. Für die Konzerte laden wir regelmäßig renommierte KomponistInnen
ein, deren Stücke im MUMUTH zur Aufführung gelangen. Dabei möchten wir
auch die Chance nutzen, eine direkte
Diskussion zwischen Publikum, MusikerInnen und KomponistInnen zu fördern.
Hierzu ist bereits die erste signale graz
Masterclass in Planung: Das Konzert
signale graz 0100 wird dem Werk des
deutschen Komponisten Gottfried Michael Koenig gewidmet sein, einem der
wichtigsten Pioniere der Elektronischen
Musik und der Computermusik, der 2011
seinen 85. Geburtstag feiert. Auf dem
Programm stehen sowohl elektronische
als auch instrumentale Werke. Begleitet wird die Veranstaltung von einer
signale graz Masterclass mit Gottfried
Michael Koenig am darauf folgenden
Tag. Das Konzert wird am 16.12.2011 um
19.45 Uhr im MUMUTH Graz stattfinden.
Weitere Informationen finden Sie auf:
www.signale-graz.at
signale 0011
Mitwirkende
Veranstalter
Kunstuniversität Graz, Institut für
Elektronische Musik und Akustik (IEM)
Kooperationen
Institut für Bühnengestaltung, Institut für
Musikästhetik, Institut für Komposition,
Musiktheorie, Musikgeschichte und
Dirigieren, Veranstaltungsabteilung,
MUMUTH Technik, impuls Akademie
Kurator
Gerriet K. Sharma
Leitung Workshop
Gerhard Eckel, Peter Plessas
Komponisten:
Michele Del Prete, Karlheinz Essl, Hyunsuk
Jun, Germán Toro-Pérez, Aliona Yurtsevich
Musiker
Flöte, Elektronik
Hannah Reardon-Smith
Violoncello, Elektronik
Karolina Öhman
Bassklarinette, Elektronik
Marij Van Gorkom
Violine, Elektronik
Mari Targo
Klavier, Elektronik
Tomoko Honda
Graphische Gestaltung
Nico Bergmann
Redaktion
Elisabeth Kappel, Dieter Kleinrath, Gerriet
K. Sharma, Elena Ungeheuer
Webpage
Dieter Kleinrath
Videotrailer
David Pirrò, Gerriet K. Sharma
Tonmeister
Ulrich Gladisch
Beleuchtungsmeister
Ralf Beyer
Technische Leitung
Peter Fischer
Planung Audioeinrichtung MUMUTH
Stefan Warum, Ulrich Gladisch, Gerhard
Eckel
Lautsprecherkuppel und AmbisonicsSystem
Thomas Musil, Hannes Pomberger,
Winfried Ritsch, Alois Sontacchi, IOhannes
m zmölnig, Franz Zotter
Leitung Veranstaltungsabteilung
Margit Mahmoudi
Institutsreferentin IEM
Brigitte Bergner
Idee und Koordination
Gerhard Eckel
Seite 47,
101111,
,
Impressum
Im Unterschied zum üblichen Dezimalsystem, das auf der Zahl 10 basiert und die
Ziffern 0 bis 9 verwendet, basiert das Binärsystem auf der Zahl 2 und kommt daher
mit nur zwei Ziffern aus: 0 und 1.
Computer arbeiten mit dem Binärsystem,
weil sich die beiden Ziffern leicht als die
Zustände eines Schalters darstellen lassen: Aus und Ein.
IMPRESSUM Medieninhaber und Herausgeber: Institut für Elektronische Musik und Akustik (IEM) der Universität für Musik und darstellende Kunst Graz
Univ. Prof. Dr. Gerhard Eckel / Adresse: Inffeldgasse 10/3, 8010 Graz / Ansprechpartner: Gerriet K. Sharma / E-mail: [email protected]
Graphik und Satz: Nico Bergmann / Druck: Fries Printmedien
www.signale-graz.at
impuls academy | competition | festival
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