Amerikas Kriege

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Amerika den Amerikanern
USA zweimal an der Eroberung Kanadas scheiterten (im Unabhängigkeitskrieg wie im Krieg von 1812), verlor Mexiko im Krieg mit den
USA (1848) etwa ein Drittel seines Gebiets. Zwar war der mexikanische Norden nur spärlich besiedelt, aber es bedeutete psychologisch
einen herben Verlust, der im kulturellen Gedächtnis der Mexikaner
bis heute nachwirkt.
Diese Landgewinne bescherten den USA eine schier uneinnehmbare geostrategische Situierung. Daher ist es nicht verwunderlich, dass
der größte Krieg der USA im 19. Jahrhundert durch einen inneren
Konflikt herbeigeführt wurde. Ganz bewusst stellte Präsident Abraham Lincoln den Bürgerkrieg als interne Angelegenheit der Vereinigten Staaten dar, indem er die abtrünnigen Staaten als rebellierend
brandmarkte. So wollte er verhindern, dass europäische Mächte wie
das Britische Weltreich, das zeitweilig mit den Südstaaten sympathisierte, oder gar Mexiko in diesen Konflikt hineingezogen würden.
Waren die USA vor dem Bürgerkrieg eher eine Republik aus mehreren, vergleichsweise autonom agierenden Staaten, formte Lincoln daraus einen Bundesstaat mit starker Zentralgewalt.
Im 18. und 19. Jahrhundert deuteten die Amerikaner ihre Expansion und Landnahme nicht nur ökonomisch, sondern vor allem
religiös. Mit Konzepten wie Manifest Destiny, d. h. eines vorherbestimmten Auftrages sich den Kontinent untertan zu machen, begründeten sie z. B. die Annexion von Texas und den Krieg gegen Mexiko.
Viele Amerikaner versuchten sich selbst eine besondere Mission zuzuschreiben und sie taten das gerne in Begriffen und Bildern, die aus der
Bibel stammten. Lange bevor der Kontinent erobert war, sprachen
bereits die Gründerväter von der kommenden Landnahme, für die die
US-Amerikaner einen göttlichen Auftrag hätten – vergleichbar dem
Volk Israel im Alten Testament. Die eigentlich in erster Linie von der
Aufklärung geprägten Gründerväter verbanden diese Sichtweise mit
dem puritanischen Sendungsbewusstsein eines auserwählten Volkes.
Gegen Indianer und Franzosen:
Koloniale Kriege
D
as überragende militärische Phänomen der nordamerikanischen Kolonien seit 1607, dann der Innen- und Außen-
politik der USA seit der formellen Unabhängigkeit 1783 war die
Expansion nach Westen: durch Besiedlung und Erschließung, durch
Kauf und Abtretung, aber auch durch Rechtsbruch und Infiltration,
durch Krieg und Völkermord. Die USA expandierten seit 1800 mit einer Dynamik, einer Geschwindigkeit und Intensität, die kaum Parallelen in der Weltgeschichte kennt. Diese Expansion nach Westen war
zugleich die wichtigste Ursache für den Aufstieg der ehemals dreizehn
Kolonien zur Weltmacht im 20. Jahrhundert. Im Weg standen den USA
dabei weniger die europäischen Mächte als die Ureinwohner Nordamerikas, die Indianer, die in den Indianerkriegen um ihr Überleben
kämpften.
Die Urerfahrung von Expansion, Dynamik und Fortschritt, mit
der die Amerikaner ihre Nation entwickelten, hat die amerikanische
Gesellschaft und den Charakter Amerikas tief geprägt. Mit der Westexpansion gelang es, selbstständig zu werden, eine eigene Identität –
eben in Abgrenzung zu dem statisch wirkenden Europa – zu entwickeln und die alten Kolonialmächte Frankreich, England, Spanien und
Russland vom nordamerikanischen Kontinent größtenteils zu vertreiben. Das gelang, weil die Vereinigten Staaten am Rande des eurozentrischen Weltsystems lagen und weil die europäischen Nationen die
Kriege und Konflikte untereinander in der Regel für wichtiger hielten
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als die Eindämmung der aufsteigenden Macht auf der anderen Seite
des Atlantischen Ozeans.
Von daher ist es wichtig, Amerikas Kriege bereits vor der Staatsgründung durch die Unabhängigkeitserklärung am 4. Juli 1776 zu
betrachten. Denn die „Eroberung“ des nordamerikanischen Kontinents begann schon vor der Unabhängigkeit mit den Kriegen der englischen Kolonisten.
Pilgerväter und Puritaner in der Neuen Welt
Die Beziehungen der ersten englischen Kolonisten zu den fremden
Bewohnern der Neuen Welt waren zunächst von Freundlichkeit und
gegenseitiger Hilfe bestimmt. Die Engländer hätten sich ohne die
Unterstützung der Indianer nie in der neuen Welt halten und Kolonien
gründen können. In den ersten Monaten nach der Ankunft der englischen Händler und Siedler schien ein friedliches Zusammenleben zwischen ihnen und den Indianern durchaus möglich. Doch sehr bald
änderte sich das Verhältnis zwischen den beiden Gruppen: Auf Überfälle der Indianer folgten grausame Verfolgungen seitens der Europäer,
die mit der Auslöschung ganzer Dörfer endeten. Anders als die
Indianer hatten die Europäer die Mittel, jahrelang Krieg zu führen,
selbst wenn dadurch z. B. die Virginia Company, die 1607 Jamestown
als englische Siedlung in Nordamerika gegründet hatte, in den Bankrott getrieben wurde.
Zu den seit 1620 eingewanderten Pilgervätern, die in Plymouth
ein zweites Zentrum der englischen Kolonisation errichteten, kamen
ab 1629 Zehntausende Puritaner hinzu, die einerseits Sicherheit vor
religiöser Verfolgung suchten, andererseits von dem Selbstverständnis
getrieben waren, dass Amerika das von Gott für sie auserwählte Land
sei. Hier sollten sie ihre Religion frei von der Kontrolle der englischen
Staatskirche ausüben können und dem Christentum zu neuer Blüte
Ko l o n i a l e K r i e g e
verhelfen. Sie betrachteten sich als ein auserwähltes Volk und zogen
selbstbewusst Parallelen zur Geschichte und Befreiung des Volkes
Israel aus der ägyptischen Gefangenschaft. Die Indianer empfanden
sie als übermächtige, beständige Bedrohung, gegen die es sich im Namen Gottes zu erwehren galt. Denn die Indianer lebten auf dem Land,
das sie als das Ihre, ihnen von Gott zuerkannte betrachteten.
Im Jahre 1629 gründeten die Puritaner die Massachusetts Bay
Colony mit Boston als Hauptstadt. Ihr Anführer, John Winthrop, war
von religiösem Sendungsbewusstsein erfüllt. Er gab vor, dass es ihre
Aufgabe sei, die amerikanische Wildnis urbar zu machen und nach
biblischem Vorbild ein „himmlisches Jerusalem“, eine Stadt auf einem
Berge („a city upon a hill“) zu errichten, die dem Rest der Welt als
leuchtendes Beispiel dienen sollte. Er hielt eine Rede vor den Puritanern an Bord des Schiffes Arabella, bevor sie in Nordamerika an Land
gingen, die später unter dem Titel „A Model of Christian Charity“ aufgezeichnet wurde. Das Bild der Stadt auf dem Hügel als leuchtendes
Beispiel stammt aus der Bergpredigt des Matthäusevangeliums, wenn
Jesus sagt: „Ihr seid das Licht der Welt. Eine Stadt, die auf einem Berg
liegt, kann nicht verborgen bleiben.“ Das Symbol der Stadt auf dem
Berg ist in der amerikanischen Kultur so tief verankert, dass spätere
Präsidenten wie Kennedy oder Reagan darauf zurückgreifen konnten.
Was Winthrop den Puritanern darüber hinaus predigte, war die
Grundannahme, dass der Mensch von Geburt an schlecht sei und dass
hinter allem Weltlichen der Teufel stecke. Das Schicksal der Menschen
sei von Gott vorherbestimmt. Dass man von ihm auserwählt und geliebt war, konnte man nur durch eigenen Wohlstand demonstrieren.
Aufgrund dieser Annahme verbreitete sich die Ansicht, dass sich göttliche Gnade durch wirtschaftlichen Erfolg und Wohlstand zeige. Die
Puritaner waren daher ehrgeizig, asketisch und fleißig, damit sie ihre
persönliche Auserwähltheit allen unter Beweis stellen konnten.
Für die Puritaner existierte eine klare Aufteilung der Welt in Gut
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und Böse. Während sie selbst das Gute vertraten, wurden andere
Gruppen zum Bösen stilisiert. Diese Unterteilung findet sich auch heute noch in der amerikanischen Populärkultur. Helden wie Superman,
Captain America und Luke Skywalker sind stets im Kern gut und
kämpfen gegen das absolut Böse. In den meisten europäischen Erzähltraditionen ist dies anders. Hier ist die Welt nicht in Schwarz und Weiß
geteilt, sondern hier finden sich alle Schattierungen von Grau. Helden
haben auch eine dunkle Seite, und Bösewichte können eine innere
Wandlung durchleben und geläutert in den Kreis der Guten zurückkehren. Dieser europäische Ansatz hielt erst in den letzten Jahren Einzug in die amerikanische Populärkultur, hat aber das puritanische
Modell keineswegs verdrängt.
Die Ersten, die in die „manichäische Falle“ gerieten und als böse
konstruiert wurden, waren die Indianer, denn sie standen der Besiedlung des neuen Kontinents im Weg. Zudem verstanden diese fremden
Menschen weder den religiösen Eifer der Puritaner, noch konnten sie
etwas mit dem Christentum anfangen. Während die Puritaner annahmen, dass sie das Geschenk des Christentums zu den Heiden brachten, empfanden die Indianer aufgrund des brutalen Vorgehens der
englischen Kolonisten diese Religion als unmenschlich. Es dauerte
nicht lange, bis Stamm für Stamm mit den weiter vordringenden Puritanern in Kontakt kam. Den Kontakten folgten Missverständnisse,
gescheiterte Verhandlungen, gewalttätige Auseinandersetzungen und
tragische Ereignisse wie Pockenepidemien, denen etwa der Stamm der
Massachusset fast vollständig zum Opfer fiel.
Schnell drehte sich die Spirale der Gewalt und die Lage spitzte
sich zu. Einem Angriff der Engländer folgte ein Gegenangriff der Indianer, die daraufhin wieder von einer Strafexpedition heimgesucht und
bestraft wurden. Die Kolonisten führten mitunter sogar Präventivschläge, um den Rachezügen der Indianer zuvorzukommen. Gewalt
wurde mit Gewalt beantwortet und so ist es nicht verwunderlich, dass
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