Öffentliches Recht

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Öffentliches Recht
Stunde 9
Grundrechte (des GG; auf europäischer Ebene ist ein ähnlicher Katalog in Arbeit):
Geltung der Grundrechte im öffentlichen Recht als unmittelbar bindendes Recht (Art. 1
Abs. 3 GG), Geltung im Privatrecht nur mittelbar (über die Generalklauseln, etwa § 242,
sog. Drittwirkung, s. dazu schon Stunde 1). Europ.Grundrechtscharta ist dagegen nicht
unmittelbar verbindlich.
Wie geht das technisch?
entweder wird unmittelbar aus einem Grundrecht ein Anspruch abgeleitet (1)
oder das Grundrecht wirkt sich bei der Auslegung und Anwendung eines
Gesetzes, einer Verordnung oder einer Satzung (u.U. als Korrektur) aus; sog.
Auslegung „im Licht des GG“ oder „verfassungskonforme Auslegung (2).
Zu 1: Beispiele: Unmittelbare Anspruchsgrundlage, wenn sonst kein Gesetz dafür in
Betracht kommt: Fall Schleyer (auf Austausch der Gefangenen gegen Geisel), oder
Anspruch auf Unterlassung von Behauptungen durch einen Amtsträger (s. oben) oder
Anspruch auf Asylanerkennung (Art. 16 a) oder Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer
(Art. 4) o.ä.
Zu 2: Weitaus häufiger dienen die Grundrechte (und allgemein auch das ihnen
zugrundeliegende Menschenbild) aber bei der Gesetzesauslegung und -anwendung als
Hilfe und Korrektur:
Beispiel § 53 Abs. 6 S.2 AuslG: Abschiebung auch bei Lebensgefahr entgegen Art.
2 Abs. 2 GG, wenn es um existenzielle Gefahren geht, die einer ganzen
Bevölkerungsgruppe drohen?
Oder: Ist eine korrigierende Auslegung des § 21 Abs. 1 AuslG möglich, soweit die
Vorschrift Väter benachteiligt (Korrektur durch Art. 3 Abs. 2 GG) oder ist der zu eng
gefaßte Wortlaut nicht mehr auslegungsfähig?
Oder: Ist bei der Frage, ob eine Schüssel-Antenne ein Gebäude im baurechtlichen
Sinn verunstaltet (dann ist die Anbringung unzulässig), auch die Bedeutung des
Rechts auf Zugang zu möglichst vielen Sendern (vgl. Art. 5 Abs. 1 GG) zu
berücksichtigen?
Oder: Wenn jemand durch einen Vorwurf („Stasi-Spitzel“) im strafrechtlichen Sinn
beleidigt wird, welche Rolle spielt bei der Auslegung der strafrechtlichen Vorschrift
die Meinungsfreiheit (Art. 5)?
Oder: Blockadefälle (Mutlangen): Strafrechtlich könnte Nötigung vorliegen; dabei ist
aber auch die Bedeutung der Art. 5 und 8 einzubeziehen.
Oder: Ein indischer Sikh trägt keinen Motorradhelm, sondern aus religiösen
Gründen immer einen Turban. Setzt sich Art. 4 gegen die StVO durch?
Oder: Gilt das das Schächtungsverbot aus dem Tierschutzrecht auch für die
Religionen, die das Schächten sogar vorschreiben? S. Anlage
In all diesen Fällen gibt es keine mathematisch saubere (determinierte) Lösung, sondern
es kommt auf eine Abwägung unter den beteiligten Rechtsgütern an, die das jeweilige
Gewicht dieser Güter, den Grad ihrer Beeinträchtigung und die jeweiligen öff. Interessen
einbezieht, aber auch die Tatsache, dass es in erster Linie der Gesetzgeber ist, der den
Schutzbereich der Grundrechte absteckt, jedenfalls bei den Grundrechten mit
Gesetzesvorbehalt (die durch einfaches Gesetz einschränkbar sind). Der
Abwägungsvorgang kommt in dem Begriff „Schaukeltheorie“ bildlich zum Ausdruck.
Ein Gegensatz zu bindenden Grundrechten sind sog. Programmsätze oder
Staatszielbestimmungen; sie gewähren grundsätzlich kein subjektives Recht auf
entsprechende Maßnahmen. Allerdings: Eine gewisse Dynamik geht durchaus auch von
ihnen aus.
Beispiele: Art. 20 a betr. natürliche Lebensgrundlagen; Art. 3 Abs. 2 S.2
(Gleichstellung von Männern und Frauen fördern. Tierschutz (und die Tiere).
Schutz der Grundrechte: Wegen der unmittelbaren Geltung beachtlich für Behörden und
alle Gerichte; bei (nach Auffassung des Betroffenen) Mißachtung oder fehlerhafter
Anwendung Möglichkeit der sog. Verfassungsbeschwerde vor dem
Bundesverfassungsgericht. Allerdings ist Voraussetzung dafür, daß der Rechtsweg
„erschöpft“ ist dh daß der Betroffene alle ihm vorher zustehenden Rechtsmittel und
Rechtsbehelfe ausgeschöpft hat.
Einteilungsarten/Gruppen von Grundrechten
Einteilung möglich z.B. in Deutschenrechte („Jeder Deutsche“...) und Jedermannsrechte
(„Jeder...“)
oder Einteilung in Grundrechte mit Gesetzesvorbehalt, mit sonstigen Schranken oder
(scheinbar) unbeschränkte Grundrechte. Generell gilt: Kein Grundrecht gilt ohne jede
Schranke; mindestens sind die Grundrechte Dritter eine solche Schranke!
oder Einteilung in Freiheitsrechte und Gleichheitsrechte, prozessuale Grundrechte u. sog.
Institutsgarantien ( s. unten).
Tendenzen:
Grundrechte, die Abwehrrechte sind, werden dynamisiert als Ansprüche (s. Fall Schleyer,
oben) und Teilhaberechte (z.B. Art. 12 GG, Ausbildungsansprüche).
Programmsätze und Staatszielbestimmungen werden zu Grundrechten uminterpretiert.
„Negative“ Grundrechte (z.B. Recht, keine Religion zu haben, keine Meinung zu äußern
usw) werden entwickelt als Kehrseite der „positiven“ Grundrechte.
Neuentdeckung: Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung; Grundlage des
Datenschutzes.
Die Institutsgarantien des GG (teilweise gleichzeitig auch Grundrechte):
Eigentum und Erbrecht (Testierfreiheit) in Art. 14 GG, Ehe und Familie in Art. 6 GG,
Berufsbeamtentum in Art. 33 Abs. 5 GG (s. auch Art. 33 Abs. 4 GG als Grenze der
Privatisierung!)
Zum Eigentum: Nicht nur Grundeigentum, auch erworbene Ansprüche und BGBEigentum an bewegl. Sachen gehören dazu; Entzug nur durch Enteignung mit
Entschädigungspflicht. Problem ist die Abgrenzung zur sog. Eigentumsbindung, die ohne
Entschädigung möglich ist (dh das Eigentum wird nicht entzogen, sondern durch den
Gesetzgeber mit Pflichten ausgestaltet).
Aktuell zu Art. 6: Darf der Staat gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften oder
heterosexuelle nichteheliche Gemeinschaften im Sozialrecht, Beamtenrecht,
Ausländerrecht und BGB und den anderen Rechtsgebieten der Ehe im Sinn des Art. 6 GG
(traditionell) gleichstellen?
Problem der Pflicht des Staates zur Förderung (Privilegierung) von Ehe und
Familie; das schließt eine Gleichstellung von heterosexuellen nichtehelichen
Lebensgemeinschaften mit der Ehe und Familie im Sinn von Art. 6 wohl aus. Anders
könnte es aber bei den gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften sein; hier könnte
es sogar einen Verfassungsauftrag zum Abbau von Diskriminierung geben. Das Problem
ist inzwischen vom BVerfG entschieden (s. oben).
Schutzbereich des Art. 6 umfaßt auch das Recht, eine Ehe erst noch zu schließen.
Fall aus dem Ausländerrecht: Bleiberecht, wenn die Eheschließung unmittelbar
bevorsteht.
Sonderproblem: Scheinehe dh nur formal geschlossene Ehe ohne
Lebensgemeinschaft. s. dazu etwa § 19 AuslG; mit Aufhebung der ehelichen
Lebensgemeinschaft endet grs. der besondere Schutz der Ehegatten.
Art. 6 GG schützt (wenn auch abgeschwächt) auch die reine Ausländerehe!
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