Inhaltsverzeichnis Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 I. Franzsische Revolution – ltere und neuere Deutungsmuster . . 3 II. Vorgeschichte und Ursachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Frankreich im spteren 18. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . 2. Versuche der Lsung der Krise . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 14 28 III. Die Franzsische Revolution – Ereignisse und Chronologie 1. Die konstitutionelle Revolution . . . . . . . . . . . . . 2. Radikalisierung (1791–1792) . . . . . . . . . . . . . . . 3. Gironde versus Montagne . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die Terreur (Schreckensherrschaft) . . . . . . . . . . . . 5. Die Reaktion im Thermidor . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Das Direktorium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1 Innenpolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2 Außenpolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 30 45 54 60 69 74 74 79 IV. Die napoleonische Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 V. Die Franzsische Revolution – Epochenumbruch oder Kontinuitt in Frankreich? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 VI. Franzsische Revolution, Europa und Atlantische Welt – Auswirkungen und Kontinuitten . . . . . . . . . . . . . . 1. Das Heilige Rmische Reich deutscher Nation . . . . . 2. Die Batavische Republik . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Schweiz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Italien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Republikanismus auf den britischen Inseln . . . . . . . 6. Haiti . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Die Unabhngigkeitsbewegungen in Spanisch-Amerika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 97 101 103 105 107 110 114 VII. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 Auswahlbibliographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 Namenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 V II. Vorgeschichte und Ursachen 1775 1776, 4. Juli 1785 1786 1787, 22. Feb. 8. April 25. Mai Juni 16. Juli 1787/88 1788 8. Aug. 24./26. Aug. Nov./Dez. 27. Dez. Mehlkrieg: Unruhen wegen Preissteigerung von Grundnahrungsmitteln in Paris und Umland Unabhngigkeitserklrung der Dreizehn Kolonien in Britisch-Nordamerika (ab 1777 Vereinigte Staaten von Amerika) „Halsbandaffre“ Knigin Marie Antoinettes von Frankreich Plan des franzsischen Ministers Calonne zur Sanierung der Staatsfinanzen Erffnung der Notabelnversammlung in Versailles Entlassung Calonnes; Lomnie de Brienne wird sein Nachfolger Entlassung der Notabelnversammlung Reformgesetze Briennes Pariser Parlement fordert den Knig auf, die Generalstnde einzuberufen sogenannte Adelsrevolte Versorgungskrise und Hungersnot Einberufung der Generalstnde fr den Mai 1789 Brienne wird entlassen, Necker als leitender Minister zurckberufen Zweite Notabelnversammlung Necker setzt die Verdoppelung der Zahl der Abgeordneten des Dritten Standes durch Die Forschung hat sich – auch in vergleichender Perspektive – immer wieder intensiv mit den lang- und mittelfristigen Ursachen und Auslsern der Franzsischen Revolution beschftigt. Ziel einer solchen Ursachenanalyse ist es nicht zuletzt, den Ausbruch von Revolutionen, die immer Unordnung und Gewalt mit sich bringen, wenn nicht genau zu prognostizieren, dann doch zumindest mit gewissen Wahrscheinlichkeiten vorhersagen zu knnen. Dass dies nicht immer gelingt, zeigt die berraschung, mit der europische Medien Anfang 2011 auf den Ausbruch der Revolutionen in Nordafrika reagierten. Vllig unerwartet kamen die Erhebungen gegen die wenig demokratischen Regime fr Revolutionsforscher allerdings nicht. Denn hier lag eine Gemengelage vor, die in der vergleichenden Revolutionsforschung durchaus das Potenzial fr eine revolutionre Erhebung hatte: grßere Gruppen an gut ausgebildeten jungen Menschen, denen der Zugang zu ihren Qualifikationen entsprechenden Berufen aus ihrer Sicht ebenso verwehrt scheint wie die Partizipation an fr ihr Land wichtigen politischen und wirtschaftlichen Entscheidungen, sowie schnell wachsende Preise fr Grundnahrungsmittel, die jenseits der gebildeten Eliten auch die sogenannten Massen mobilisieren knnen. Trotz aller im Folgenden genannten Parameter, die den Ausbruch der Revolution von 1789 sicherlich begnstigten, liegt keine Zwangslufigkeit der Entwicklungen vor. 13 Vorgeschichte und Ursachen II. 1. Frankreich im spteren 18. Jahrhundert 14 Grenzen Frankreich hatte im Laufe des 18. Jahrhunderts seine Grenzen konsolidieren knnen. Nord-, West und Sdgrenze standen fest und verliefen ungefhr dort, wo sie heute auch verlaufen, d. h. im Sden an den Pyrenen, im Westen an der Atlantikkste. 1768 kam Korsika zu Frankreich. Lediglich an der Ostgrenze sollte es noch zu Gebietserweiterungen kommen: 1766 durch die Einverleibung des Herzogtums Lothringen, 1798 durch die Annexion der Republik Mulhouse und des Comtat Venaissin inklusive Avignon (1790) in der heutigen Provence. Dazu kamen die in den 1940er Jahren in berseedepartements umgewandelten Kolonien, vor allem die Antillen und Franzsisch-Guyana, 1860 Nizza und das heutige franzsische Savoyen. Frankreich war alles andere als ein zentralistischer Einheitsstaat. Die Staatstheorie des Absolutismus hatte sich nur in Einzelbereichen praktisch durchsetzen knnen. Statt Herrschaftskonzentration am Hof, in der Hand des Knigs, muss fr Frankreich eine Fraktionalisierung der Macht konstatiert werden. Navarra bestand immer noch als eigenstndiges Knigreich. In der Bretagne war Ludwig XVI. lediglich Herzog der Bretagne, in der Provence war er Graf der Provence. Es gab insgesamt sieben Provinzen mit Stndeversammlungen, daneben die sogenannten eroberten Lande (pays conquis), die voll der Autoritt des Knigs unterstanden und in denen knigliche Herrschaft nicht wie in anderen Provinzen durch mchtige Zwischeninstanzen beschrnkt war. Insgesamt gab es 40 Provinzen mit sehr unterschiedlichen Sprachen: neben Franzsisch u. a. Baskisch, Bretonisch, Provenzalisch, Okzitanisch, Moselfrnkisch. Eine Homogenisierung des Rechts hatte lediglich in der le-de-France, d. h. in der Region um Paris, stattgefunden. In Nordfrankreich wurden unterschiedliche Gewohnheitsrechte praktiziert, in Sdfrankreich das geschriebene rmische Recht. Das Zollrecht wurde von den einzelnen Provinzen ebenso unterschiedlich gehandhabt wie auch das Steuerrecht. E Absolutismus I Absolutismus bedeutet, dass die hchste Souvernitt im Staat beim Frsten oder Monarchen liegt. Verbunden ist dieses Herrschaftsverstndnis mit der Idee des Gottesgnadentums. „Absolutismus“ ist kein Begriff des 16. oder 17. Jahrhunderts, sondern wurde erst im England des frhen 19. Jahrhunderts geprgt, d. h. im Kontext einer konstitutionellen Monarchie, die das alleinige monarchische Regime als erledigt ansah. Gleichzeitig wurde der Begriff „Absolutismus“ im 19. Jahrhundert zu einem Epochenbegriff, der die Phase der Frhen Neuzeit in Europa beschreibt, in der in vielen europischen Staaten bzw. Territorien des Reiches die stndischen Gewalten zugunsten grßerer Souvernitt des Herrschers ausgeschaltet wurden, was den sogenannten Dualismus von Herrscher und Stnden berwandt. Meist bezeichnet „Absolutismus“ als Epochenbegriff die Phase zwischen 1648 und 1789. In dem Land, das aus deutscher Perspektive das Paradebeispiel absolutistischer Herrschaft darstellt, das Frankreich Ludwigs XIV., des Sonnenknigs (roi soleil), hat sich der Begriff absolutisme nicht als Epochenbezeichnung durchgesetzt. Hier wird fr die Zeit vor 1789 von „Ancien Rgime“ gesprochen. Staatstheoretiker des spten 16. Jahrhunderts wie etwa Jean Bodin (1530–1596) in seinen Six Livres sur la Rpublique (1576) (mit Rpublique ist Frankreich im spteren 18. Jahrhundert II. hier die res publica, also das Gemeinwesen, nicht die republikanische Staatsform gemeint) vertraten die Auffassung, dass der Frst oder Knig nicht nur von Gottes Gnaden regiere, sondern absolute Souvernitt und Kontrolle ber die Gesetzgebung, Steuern, Justiz, Verwaltung, Innen- und Außenpolitik, Religion, Krieg und Frieden und die Wirtschaft haben sollte. Nach Jean Bodin gehrt der franzsische Theologe und Hofprediger Jacques Bossuet (1627–1704) zu den wichtigsten Theoretikern des Absolutismus. Bossuet argumentierte, dass die Monarchie nicht nur die am hufigsten vorkommende, lteste, sondern auch die erfolgreichste Staatsform gewesen sei, da Knige von Gott eingesetzt seien und sie ihre Souvernitt und Legitimation einzig durch Gott erhielten. Knige seien nur Gott verantwortlich, sonst niemandem, keiner Stndevertretung, keinem Parlament. Bossuet glaubte jedoch an einen Unterschied zwischen einem von Gott eingesetzten Monarchen, der dem Naturrecht und Gott verantwortlich ist, und einem Herrscher, der auf der Basis von Willkr regierte. Letzterer verstoße gegen das gttliche Gesetz und sei als gesetzloser Tyrann zu bezeichnen. Auch Thomas Hobbes (1588–1679) entwickelte in seinem Leviathan Ideen, die absolutistische Staatstheorien mit nhren halfen. Reformen waren in der zweiten Hlfte des 18. Jahrhunderts im Sinne eines aufgeklrten Absolutismus auch in Frankreich – von Seiten des Knigs – intendiert. Ludwig XVI. aus dem Haus Bourbon, seit 1770 verheiratet mit einer der Tchter der Habsburgerin Maria Theresia, Marie Antoinette (1755–1793), seit 1774 Knig von Frankreich, war alles andere als ein reformunwilliger Knig. Seine Politik schwankte jedoch immer wieder zwischen den von seinen Ministern, vor allem Necker, fr notwendig erachteten Reformen und seinem traditionellen Verstndnis des kniglichen Gottesgnadentums bzw. der Sonderrechte von Erstem und Zweitem Stand. In der zweiten Hlfte des 18. Jahrhunderts wurde das Straf- und Prozessrecht humanisiert, die Folter abgeschafft. 1779 verschwand auf den Krondomnen die Leibeigenschaft vollends. Ebenso wurden der Leibzoll fr Juden abgeschafft und 1787 die Provinzialverwaltungen neu geordnet. Tiefgreifende Reformen – gerade im Steuerrecht – konnten jedoch wegen der fehlenden Durchsetzungsfhigkeit der Krone und ihres Verwaltungsapparates nicht realisiert werden. Sie scheiterten an den Partikularinteressen einzelner Provinzen und Stnde. Frankreich hatte im spteren 18. Jahrhundert eine geschtzte Bevlkerung von 27 Millionen Menschen, mehr als andere vergleichbare Staaten und Territorien (England zhlte im spten 18. Jahrhundert lediglich eine Bevlkerung von 12 Millionen). Ca. 15 % der Bevlkerung Frankreichs lebte in Stdten, 85 % auf dem Land. Paris nahm unter den franzsischen Stdten mit 600.000 Einwohnern eine exzeptionelle Stellung ein, fnf andere Stdte hatten eine Bevlkerung von 50.000 bis 100.000, nmlich Rouen, Straßburg, Lille, Marseille und Nantes. In Lyon lebten ca. 140.000 Menschen. Im spteren 18. Jahrhundert war ein starkes Bevlkerungswachstum zu verzeichnen, und zwar weniger durch eine Erhhung der Geburtenrate als vielmehr durch eine Steigerung des Durchschnittslebensalters dank verbesserter Hygiene, weniger Seuchen, weniger Hungersnte und weniger Bevlkerungsverluste durch Kriege – insgesamt also eigentlich eine Verbesserung der Lebensbedingungen des „gemeinen Mannes“. Die verfgbaren Ressourcen blieben jedoch hinter den steigenden Bevlkerungszahlen zurck und begnstigten ein Ungleichgewicht zwischen demographischen und konomischen Ressourcen, also Verknappung und Verteuerung der Lebensmittel Reformen Demographie 15 Vorgeschichte und Ursachen II. und wachsender Arbeitslosigkeit. Die steigende Lebenserwartung der lteren Bevlkerung fhrte wiederum dazu, dass die jngere Bevlkerung weniger schnell Zugang zu dauerhafter Beschftigung bekam. Die Folge war eine hhere Jugendarbeitslosigkeit. Als besonders drckend wurden diese verringerten Aufstiegschancen vor allem im Brgertum wahrgenommen, d. h. in den Schichten, die durch Alphabetisierung und eine bessere Schulbildung auch Zugang zu Aufklrungsliteratur hatten. E 16 Absolutismus II In der Frhen Neuzeit wurden sehr unterschiedliche Regime als absolutistisch bezeichnet, beispielsweise die Herrschaft Philips II. von Spanien (1527–1598), die Ludwigs XIV. von Frankreich (1638–1715) und die Friedrichs II. von Preußen (1712–1786), der als sogenannter aufgeklrter Monarch regierte. Der Absolutismus war nicht die einzige Staatstheorie, die im 16. und 17. Jahrhundert entwickelt wurde. Neben absolutistischen Staatsvorstellungen gab es auch republikanische Staatstheoretiker wie Johannes Althusius (1557–1638), der frhe Formen des Prinzips der Volkssouvernitt formulierte. Ebenso wurde von den Monarchomachen ein Widerstandsrecht der Stnde gegenber einem despotischen Herrscher eingefordert, das den Tyrannenmord in einigen Fllen mit einschloss. Absolutismus als Staatstheorie koexistierte folglich whrend der gesamten Frhen Neuzeit mit republikanischem bzw. stndisch geprgtem Gemeinwesen. Whrend absolutistische Staatstheorien sich – so die ltere Forschung – in Frankreich als Herrschaftspraxis duchsetzten, gab es in Europa auch Staaten, in denen absolutistische Herrschaftsvorstellungen langfristig wenig oder keinen Raum fanden: in England, den Niederlanden, Wrttemberg oder in Polen. Hier bestand – ebenso wie auf Reichsebene – ein Dualismus fort bzw. verschob sich staatliche Souvernitt hin zu den Stnden und Parlamenten. Doch auch in Staaten wie Frankreich, in denen sich absolutistische Staatstheorien wie nirgendwo sonst zu manifestieren schienen, konnte sich absolutistische Herrschaft nicht wirklich durchsetzen. Die potestas absoluta der Krone erweist sich als Mythos. Zwar fanden im Frankreich des 17. und 18. Jahrhunderts durchaus von der Krone gesteuerte Prozesse der Brokratisierung, Zentralisierung, Verrechtlichung und Vereinheitlichung des Rechts, der Arrondierung des Staatsgebietes durch expansive Außenpolitik statt, außerdem kam es zu Einfhrung und Ausbau von Merkantilismus, Staatskirchentum und eines knglichen Hofes, der den Adel des Landes durch Verhfischung unter seine Kontrolle zu bringen suchte. Bei genauerem Hinsehen ist jedoch das Frankreich Ludwigs XIV. weit von einer Realisierung absolutistischer Herrschaftsansprche entfernt gewesen, wie vor allem Nicholas Henshall in seinem The Myth of Absolutism betont hat (London 1992). Grundstzlich war ein absoluter Herrschaftsanspruch von drei entscheidenden Faktoren begrenzt: 1.) durch Widerstand gegen die Gesetze des Knigs, beispielsweise durch die Parlements, d. h. die obersten Gerichtshfe, die knigliche Dekrete zu registrieren hatten, damit sie in den Provinzen berhaupt zur Anwendung kommen konnten; 2.) durch den Mangel an Kontrolle lokaler und regionaler Verwaltungen durch die Krone bzw. den Frsten; 3.) durch die Unfhigkeit kniglicher Verwalter, Steuern einzuziehen. Selbst die von Ludwig XIV. eingesetzten Intendanten, die in den Provinzen fr eine bessere Durchsetzung kniglicher Gesetze und Reformen htten sorgen sollen, mussten mit den regionalen Institutionen wie den Parlements zusammenarbeiten, um berhaupt die Stimme der Krone hrbar zu machen. Auch behielten die Gouverneure der Provinzen, denen die Intendanten beigesellt wurden, viele ihrer Privilegien und viel von ihrem Einfluss. Monarchen mit absolutistischem Machtanspruch mussten also mit lokalen und regionalen Eliten innerhalb von deren Vorstellungen von Legalitt und Traditionen kooperieren, um ihre knigliche Politik zumindest partiell durchsetzen zu knnen. Frankreich im spteren 18. Jahrhundert Zu den langfristigen Ursachen der Franzsischen Revolution zhlt die traditionelle franzsische, von der marxistisch-leninistischen Geschichtstheorie stark beeinflusste Sozial- und Wirtschaftsgeschichte die Krise des Ancien Rgime bzw. des Feudalismus. „Kampf dem Feudalismus“ gehrte zu den Parolen, mit denen Revolutionre ab 1789 das Ancien Rgime – ein Terminus, der in den Cahiers de dolances, die zu den Wahlen der Generalstnde landesweit angefertigt wurden, ebenso benutzt wurde wie in den Debatten der Generalstnde bzw. der Nationalversammlung – beseitigt wissen wollten. „Kampf dem Feudalismus“ hieß vor allem, die Privilegien des Ersten (Klerus) und Zweiten (Adel) Standes abzuschaffen. Doch gab es im Frankreich des spten 18. Jahrhunderts wirklich noch feudale Strukturen? Feudalismus in Frankreich bedeutet fr die Zeit vor 1789 vor allem, dass wir es mit einer noch deutlich agrarisch geprgten Wirtschaft und Gesellschaft zu tun haben. 85 % der Bevlkerung Frankreichs waren am Vorabend der Revolution in der Landwirtschaft ttig. Im Unterschied zu England werden die in Frankreich angewandten landwirtschaftlichen Methoden vor 1789 als wenig effizient beschrieben. Krisen waren fr die große Mehrheit der Bevlkerung Frankreichs vor allem Hungerkrisen, ausgelst durch Missernten, Spekulation mit Getreidepreisen und hnlichem. Die Produktionsmethoden in der Landwirtschaft waren summa summarum – zumindest im Vergleich mit England – in einigen franzsischen Regionen noch rckstndig. Große berschsse konnten im Anbau von Weizen und Roggen kaum erwirtschaft werden, so dass Hungerkrisen auftraten, wenn die Ernten einige Jahre schlechter ausfielen. Daran konnten auch physiokratische Experimente zunchst wenig ndern (landwirtschaftliche Produktion fr den Markt, weniger zur Selbstversorgung bzw. im Sinne einer Subsistenzwirtschaft). Kritik lsten bereits vor 1789 die Eigentumsverhltnisse in Frankreich aus. Eigentmer des grßten Teils des zur Verfgung stehenden Ackerlandes waren, wie Michel Vovelle 1989 gezeigt hat, der Adel (mit 30 %) und der Klerus mit 6–10 %. 30–40 % des Bodens war jedoch bereits in der Hand von Bauern, 30 % in der Hand des Brgertums. Franzosen, die ihr Land nicht selbst besaßen, sondern es von einem Seigneur (Grundherr) gepachtet hatten, waren neben der Pacht meist noch mit vielen anderen Abgaben belastet: Abgaben fr die Nutzung von Mhlen, Backfen oder Keltereien, bei der Vererbung oder beim Verkauf von Besitz. Dazu hatten abhngige Bauern Frondienste zu leisten, in der Regel jedoch nicht mehr als zwlf Tage pro Jahr. Darber hinaus bte der Seigneur ber seine abhngigen Bauern die niedere Gerichtsbarkeit aus. Leibeigenschaft gab es in Frankreich im Gegensatz zu vielen Gebieten in Mittel- und Osteuropa so gut wie nicht mehr. Insgesamt befand sich die franzsische Landwirtschaft genau zwischen zwei Extremen: ostelbisches Junkertum und Leibeigenschaft auf der einen Seite, Pachtsysteme und frhkapitalistische Anbaumethoden in der Landwirtschaft in England auf der anderen. Bei der Frage nach der Abschaffung des Feudalismus in Frankreich ging es weniger darum, ein – im europischen Vergleich – gar nicht einmal so rckstndiges System durch ein neues zu ersetzen, sondern letztendlich um eine gefhlte Krise des Ancien Rgime, eines Systems, das sich schon, wie dies Michel Vovelle formuliert hat, in einem fortgeschrittenen Stadium der Zer- II. Feudalismus 17