LSB (Sankt Augustin) 48(2007)1, 152-156 Kathrin Wollenick 1 (1. Preisträgerin Kategorie Poster) Ganganalyse und Laufbandtraining bei neurogenen Gangstörungen – Teilstudie zur Diplomarbeit Summary Neurogen gait disorders result from a multitude of different diseases. Also the gait disorder shows in various ways. In the course of this work a training program has been created, that includes modifiable tasks for each test person. This walking training comprises two main points: the propriozeptive training and the treadmill training. In order to provide a modifiable training program, the individual tendencies to gait will be demonstrated in single-case-studies. Zusammenfassung Neurogene Gangstörungen resultieren aus einer Vielzahl von verschiedenen Krankheitsbildern. Auch die Gangstörung selbst gestaltet sich sehr variabel. Im Zuge dieser Arbeit wurde mit Hilfe der formativen Evaluation ein Trainingsprogramm erstellt, welches für jeden Probanden modifizierbare Aufgaben enthält. Dieses „Gehtraining“ umfasst zwei Schwerpunkte, das propriozeptive Training und das Laufbandtraining. Um als Ergebnis ein modifizierbares Trainingsprogramm anzubieten, werden in einer Einzelfallanalyse individuelle Tendenzen zum Gangbild aufgezeigt. Schlagworte: Gang, Gangstörungen, Laufbandtraining, propriozeptives Training 1 Betreuerin der Arbeit ist Frau Dr. Grit Schöley, Institut für Rehabilitationssport, Sporttherapie und Behindertensport, Sportwissenschaftliche Fakultät, Universität Leipzig. 152 1. Einleitung Neurogene Gangstörungen sind durch neurologische Erkrankungen verursachte Veränderungen oder Einschränkungen beim Gehen (Schimpf, 1999). Daraus resultieren typische Bewegungsauffälligkeiten wie Bewegungsverlangsamung mit Haltungsabweichungen, Funktionseinschränkungen und Gleichgewichtsstörungen. Abhängig von der betroffenen Region im Hirn oder Rückenmark liegen bei jedem Patienten unterschiedliche Kombinationen, Ausprägung und Rückbildungstendenzen der vielseitigen Symptome, besonders des Gehens, vor (Schöley, Innenmoser, 1999). Die neurologische Rehabilitation im Bereich der Sporttherapie bedarf besonderer Methoden und Trainingsverfahren. Individuelle Korrekturen des Gehens sowie die Stabilisation des Gleichgewichtes sind Teilbereiche des Alltagstrainings in der Sporthalle. 2. Problemstellung/Fragestellung Die Bewältigung spezieller Aufgabenstellungen im ambulanten Rehabilitationssport (z. B. Hindernisparcour) setzt eine ausreichende Mobilität voraus. Bei einer zeitnahen Übernahme der Patienten aus der stationären bzw. teilstationären Rehabilitation können die größten Erfolge bei der Beeinflussung der Gangzyklusparameter erzielt werden. Beim normalen Gehen im Alltag erreichen die Betroffenen keinen ausreichenden Trainingseffekt. Durch vielerlei äußere Einflussfaktoren und eine differenzierte Zielstellung der Fortbewegung bei Alltags- oder Arbeitsaktivitäten fällt es den Betroffenen schwer, sich auf die optimale Technik und Intensität des Gehens zu konzentrieren. Mit der Ausschaltung störender Einflüsse bietet das Laufband den Patienten die nötige Sicherheit, an ihrem Gangbild zu arbeiten. Durch die problemlose Kontrolle von Geschwindigkeit, Neigungswinkel und die Möglichkeit des repetetiven Übens hat das Laufband weitere Vorteile gegenüber dem Gehtraining auf der Gehstrecke. In Rahmen dieser Untersuchung sollen Optimierungsmöglichkeiten der individuellen Gestaltung eines propriozeptiven Trainings sowie der methodischen Umsetzung des Laufbandtrainings erörtert werden. Um diese Erkenntnisse in das ambulante Setting zu integrieren, ist es notwendig, individuelle Gangparameter und -merkmale sowie das Trainingsprogramm gehfähiger Betroffener zu analysieren. Dabei steht die Frage, inwieweit ein ergänzendes, integratives Laufbandtraining im Zuge der ambulanten Rehabilitation praktizierbar ist und das Gangbild der Patienten positiv beeinflusst. 153 3. Theoretisches Konzept Die Steuerung der Bewegungen erfolgt parallel vernetzt und, mit hoher nutzungsabhängiger Plastizität versehen, durch motorische Zentren im Gehirn. Je nach Funktionsbeanspruchung können sich die Aktivierungsgebiete ausdehnen und verschieben. Die posturale Motorik dient der Erhaltung des Körpergleichgewichts. Sie kompensiert sowohl äußere Störungen des Gleichgewichts, als auch vom Körper selbst verursachte Gleichgewichtsänderungen, die durch Informationen aus dem Vestibularorgan, dem visuellen und propriozeptiven System wahrgenommen werden (Jenrich, 2000). Aufgrund dieser Tatsache, wurde das Laufbandtraining durch ein propriozeptives Training ergänzt und stellt somit ein integratives Vorgehen dar. Praktische Umsetzung: propriozeptives Training Mobilisation der unteren Extremität im Sitz: • Beine in die Waagerechte strecken • Ferse/Fußspitze abwechselnd auf den Boden aufsetzen • bei ausgestrecktem Bein Dorsalextension im Fußgelenk Gleichgewichtsschulung im Stand: • Gleichgewicht auf rechtes bzw. linkes Bein verlagern • Einbeinstand mit betontem Kniehub des gehobenen Beins • Ball mit der Fußsohle vor- und zurückrollen Erarbeitung von Technikelementen: • Schritt vorwärts/rückwärts (Abrollen über den ganzen Fuß) • Übersteigen von Hindernissen mit individuellen Schwerpunkten (Kniehub, Fersenaufsatz) Der Schwerpunkt des Gehtrainings lag trotzdem beim Laufbandtraining, sodass im Laufe des Interventionszeitraumes das Laufbandtraining mehr und mehr in den Mittelpunkt rückte. Dies spiegelte sich hauptsächlich in der zunehmende Laufdauer wider. Die individuelle Schwerpunktsetzung bei der Gestaltung des Laufbandtrainings wurde anhand eines Prä-Tests (Ultraschalltopometrie der Firma Zebris) als Ausgangspunkt der Intervention herausgearbeitet. Der komplexe Vorgang des Gehens kann auf dem Laufband in jeder Trainingseinheit mehrere hundert Mal in gleicher Bewegungsausführung wiederholt werden. Hesse (1999) spricht bei dieser Trainingsintensität vom „repetetiven“ Üben. 154 Die Probanden wurden während der gesamten Zeit auf dem Laufband individuell betreut. Dabei wurden zu Beginn vermehrt taktile, zum späteren Zeitpunkt häufiger verbale Hilfestellungen gegeben. Zur Steigerung der Belastungsintensität wurden neben der Laufdauer auch Neigungswinkel und Laufgeschwindigkeit stetig angepasst. Für diese Anpassung an das wachsende Leistungsvermögen formuliert Hummelsheim (2005) das „Shaping - Prinzip“. 4. Methode 4.1 Probandenkennzeichnung An der Einzelfallstudie nahmen fünf männliche Probanden mit einem Altersdurchschnitt von 58 Jahren teil. Die individuellen Krankheitssymptome lassen sich aus den verschiedenen Diagnosen ableiten: Schlaganfall, Schädelhirntrauma und inkomplettes Querschnittssyndrom. Die Probanden kamen zeitnah aus der stationären Rehabilitation zum Gehtraining. Die Zeitdauer seit der Erkrankung lag zwischen 7 und 26 Monaten. 4.2 Ablauf der Intervention • Trainingseinheiten insgesamt: 21 • Intensität: 2 x pro Woche á 30 min • Teil 1: propriozeptives Training (5-15 min in Abhängigkeit des Leistungsfortschrittes) • Teil 2: Laufbandtraining (5-20 min abhängig vom Leistungsfortschritt) 4.3 Untersuchungsverfahren Für die Verlaufsdiagnostik kamen folgende Verfahren zu Einsatz: • die Befindlichkeitsmessung (Basler-Fragebogen) vor und nach jeder Trainingseinheit (Hobi, 1985), • die Herzfrequenzmessung (POLAR), • die Blutdruckmessung (RR) und • die Beurteilung subjektiven Belastungsempfinden (Borg). 155 5. Schlussfolgerung/Ausblick 1. Eine zeitnahe Übernahme der Patienten aus der stationären Rehabilitation, um mit einem Gehtraining in der ambulanten Rehabilitation die erarbeitete Mobilität zu festigen und zu verbessern. 2. Das modifizierte Trainingsprogramm mit individuell angepassten Schwerpunkten/Übungen lässt eine praktische Umsetzung, mit nur wenigen Materialien (Bälle, Seile, …) zu. 3. Die Verbindung von propriozeptiven Training und Laufbandtraining ist nach der vorliegenden Studie praktikabel und sollte das Alltagstraining in der Halle inhaltlich ergänzen. 4. Die Anschaffung eines Trainingslaufbandes zur Integration in den ambulanten Rehabilitationsport in der Halle. Literatur Jenrich, W. (2000). Grundlagen der motorischen Koordination. physikalische Medizin, Rehabilitationsmedizin, Kurortmedizin, (10). Hesse, S. (1999). Treadmill training with body weight support in hemiparetic patients- further research needed. Neurorehabil Neural Repair, (13). Hummelsheim, H. (2005). Schlaganfall – Grundprinzipien der Rehabilitation motorischer Störungen. In Stiftung Deutsche Schlaganfallhilfe, Sport nach Schlaganfall (S. 69-75). Köln: SPORT und BUCH Strauß. Schimpf, O. (1999). Physiotherapie in der Neurologie. Stuttgart: Thieme. Schöley, G. & Innenmoser, J. (1999). Nutzen und Anwendungsmöglichkeiten verschiedener Verfahren der Ganganalyse in der Sporttherapie mit Hemiparetikern nach Schlaganfall. Leipziger Sportwissenschaftliche Beiträge, 40 (2), 131155. Sankt Augustin: Academia. Verfasser Kathrin Wollenick, Institut für Rehabilitationssport, Sporttherapie und Behindertensport, Sportwissenschaftliche Fakultät, Universität Leipzig 156