SÜDWESTRUNDFUNK SWR2 Wissen – Manuskriptdienst Friedrich Wilhelm von Steuben Held des amerikanischen Unabhängigkeitskrieges Autor: Michael Reitz Redaktion: Martin Gramlich Regie: Günter Maurer Sendung: Freitag, 12.04.2013, 8:30 Uhr, SWR2 Wissen Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Mitschnitte auf CD von allen Sendungen der Redaktion SWR2 Wissen/Aula (Montag bis Sonntag 8.30 bis 9.00 Uhr) sind beim SWR Mitschnittdienst in Baden-Baden für 12,50 € erhältlich. Bestellmöglichkeiten: 07221/929-26030 SWR 2 Wissen können Sie ab sofort auch als Live-Stream hören im SWR 2 Webradio unter www.swr2.de oder als Podcast nachhören: http://www1.swr.de/podcast/xml/swr2/wissen.xml Manuskripte für E-Book-Reader E-Books, digitale Bücher, sind derzeit voll im Trend. 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Seuchen greifen um sich. Die Freiwilligen sind schlecht ausgebildet und extrem disziplinlos. Das alles soll sich ändern. Durch einen preußischen Offizier, der erst seit Kurzem in Amerika ist. Und in Valley Forge aus einem zusammengewürfelten Haufen eine schlagkräftige Armee machen soll. Ansage: Friedrich Wilhelm von Steuben – Held des amerikanischen Unabhängigkeitskrieges. Eine Sendung von Michael Reitz. O-Ton – Charlotte Lerg: Er wusste sich schon immer ins richtige Licht zu stellen und hatte auch ganz gute Verbindungen, Beziehung, wie man das so nennt. Sprecherin: Charakterisiert die Münchner Historikerin Charlotte Lerg Friedrich Wilhelm von Steuben. Sie ist Autorin des Buches „Die amerikanische Revolution“. O-Ton – Charlotte Lerg: Dadurch hat er immer wieder die Möglichkeit gefunden, sich durchzumogeln und letztlich auch sein Weg nach Amerika (…) zeigt dieses eher etwas neben der legalen Spur Laufende, was sicherlich in der Zeit auch nicht so ungewöhnlich war wie heute, weil es noch nicht so viele Regulierungen gab, aber doch sehr auffällig ist, wenn man seinen Lebensweg anschaut. Sprecher: Im Jahr 1763 ist der Siebenjährige Krieg in Europa vorüber. Die meisten Staaten, die an ihm beteiligt waren, sind hoffnungslos verschuldet: Russland, Frankreich, Österreich und vor allem Großbritannien. Preußen dagegen, mit dessen Expansionsdrang dieser Krieg begonnen hatte, ist zwar nicht gerade reich geworden, kann aber durch eine konsequente Sparpolitik seine Finanzen stabilisieren. Dazu muss allerdings das liebste Kind von König Friedrich dem Großen abspecken: die preußische Armee. Opfer dieser Maßnahme sind vor allem Truppenführer, die sich während des Krieges keine allzu besonderen Verdienste erworben haben. Oder nicht so ganz dem entsprechen, was man sich höheren Orts unter einem preußischen Offizier vorstellt. 2 Sprecherin: Auch der 1730 in Magdeburg geborene Baron Friedrich Wilhelm von Steuben, Spross einer alten Offiziers- und Adels-Familie, ist hiervon betroffen. Gerade mal im Rang eines Hauptmanns wird er unmittelbar nach Kriegsende entlassen. Neben der Sparpolitik des Königs muss hierfür jedoch noch etwas anderes eine Rolle gespielt haben. Zumal von Steuben in seinen Memoiren auch Andeutungen in diese Richtung macht: Zitator: Des Siebenjährigen Kriegs darf ich mich nicht schämen, obgleich am Ende desselben ein unüberlegter Schritt und vielleicht ein unversöhnlicher Feind die Erwartung einer besseren Belohnung vereitelte. Kurz, ich sah mich genötigt, den preußischen Dienst zu verlassen. Sprecherin: Was dieser „unüberlegte Schritt“ nun genau war – darüber zerbricht sich die SteubenForschung noch heute den Kopf: Tatsache ist, so die Historikerin Charlotte Lerg: O-Ton – Charlotte Lerg: Er hatte wohl eine sehr aufbrausende Persönlichkeit und hat sich damit auch Feinde gemacht (…) Es gab viele Gerüchte, das hat sich dann auch noch fortgezogen. Musik: Menuett Ende des 18. Jahrhunderts Sprecherin: Baron Friedrich Wilhelm von Steuben liebt das Leben. Der stattliche und gutaussehende Mann ist weinseligen Tanzveranstaltungen ebenso zugetan wie den Frauen. Einer Prügelei oder gar einem Duell geht er selten aus dem Weg. Seiner Geldbörse ist das wenig zuträglich: Zeit seines Lebens ist er immer knapp bei Kasse. Und passt so gar nicht in die von Etikette, Standesdünkel und Untertanen-Mentalität geprägte preußische Gesellschaft. Als er 1764 Hofmarschall in Hechingen bei der schwäbischen Linie der Hohenzollern wird, ist er dort ebenfalls alles andere als glücklich. Daran ändern auch die vielen Reisen in deutsche und europäische Städte nichts, auf denen er als Hofmarschall seinen Dienstherren Fürst zu HohenzollernHechingen begleiten muss. Von Steuben fühlt sich eingeengt und langweilt sich. Musik: Liberty Song Sprecher: In den britischen Kolonien Nordamerikas sind zur gleichen Zeit die Zustände nicht so beschaulich. Großbritannien konnte zwar als Siegermacht des Siebenjährigen Krieges dem unterlegenen Frankreich dessen amerikanische Besitzungen entreißen. Doch der Preis für diese enorme militärische Leistung ist eine britische Staatsverschuldung von insgesamt 130 Millionen Pfund – wobei sich der jährliche Haushalt Britanniens zu dieser Zeit auf gerade mal acht Millionen beläuft. Die Regierung steht unter Druck. Und erhebt für die Siedler der dreizehn Kolonien, die sie jetzt als britische Staatsbürger betrachtet, höhere und vor allem eigens für sie geschaffene Steuern. 3 Sprecher: Die Amerikaner beginnen, sich dagegen aufzulehnen, zumal sie bisher so gut wie keine Abgaben zahlen mussten. Ihre Hymne wird der 1768 geschriebene „Liberty Song“ – eine Aufforderung an alle Amerikaner, sich nicht der britischen Steuerdiktatur zu beugen. O-Ton – Thomas Freiberger: Und je mehr Steuergesetze erlassen wurden, umso stärker schaukelte sich das Ganze auf. Sprecher: Erklärt der Bonner Historiker Thomas Freiberger. Einer seiner Forschungsschwerpunkte: die amerikanische Gründergeneration. O-Ton – Thomas Freiberger: Als man dann auch noch beschloss, Truppen zu stationieren, sahen sich natürlich alle darin bestätigt: Jetzt versuchen sie also uns zu unterdrücken mit regulären Truppen. Und das Schlagwort kam, dass also sozusagen die amerikanischen Kolonisten zwar Engländer waren, aber nicht so wie Engländer behandelt wurden, und dass sie besteuert wurden ohne dass sie einen Repräsentanten im britischen Parlament sitzen hatten, und dass das britische Parlament sowieso korrupt sei. Sprecher: Die britischen Truppen sind zwar keine Kampfeinheiten, sondern nur zur Sicherung des Territoriums dort stationiert, aber die Amerikaner fühlen sich provoziert. Seit langer Zeit verwalten sie ihr Gebiet selbst, jede Kolonie organisiert alle Belange des öffentlichen Lebens in eigener Regie. Die britischen Zölle auf importierte Waren, Steuern, die immer dreister und immer höher werden, sehen sie als Beeinträchtigung ihrer Autonomie. Hinzu kommt: Die Ansiedlungen zwischen St-Lorenz-Strom im Norden und dem Golf von Mexiko im Süden sind reich und dadurch ausgesprochen selbstbewusst. Großbritannien will diese boomende Gesellschaft zur Kasse bitten. Und provoziert damit ab Ende der 1760-er Jahre eine Reihe von bewaffneten Konflikten, bei denen aufgebrachte Amerikaner mit britischen Zolleintreibern, Polizisten oder regulären Truppen aneinandergeraten. Die Einfuhrzölle werden zwar bald abgeschafft, doch das Empire verfolgt jetzt eine neue Strategie: Britische Kaufleute können ihre Waren ohne Zwischenhandel in Amerika verkaufen. Nutznießer: die Britische Ostindienkompanie. Ihr Produkt: Tee Musik: Liberty Song Sprecher: In der Nach vom 16. zum 17. Dezember 1773 entern Rebellen im Bostoner Hafen mehrere britische Frachter und werfen Tee im heutigen Wert von circa 700.000 Euro über Bord. Mit dieser sogenannten „Boston Tea Party“ ist für Großbritannien das Maß voll. Das Empire verstärkt seine Truppen in Nordamerika. Der Historiker Thomas Freiberger beschreibt die nun folgende Eskalation. O-Ton – Thomas Freiberger: Die Briten haben sich natürlich überlegt, wie kriegen wir diesen Aufstand niedergeschlagen? Dann haben sie sich überlegt, dann müssen wir die Zentren dieses 4 Aufstands bekämpfen. Da dachten sie natürlich, das sei Massachusetts und vor allen Dingen Boston. Als sie dann Boston belagert haben und die Sache wurde nicht besser, haben sie gedacht, dann müssen wir die ganzen Neu-England-Staaten abschneiden vom Rest der anderen Kolonien. Dann haben sie das versucht, und das hat auch nicht funktioniert, weil sie einfach nicht erkannt haben, dass also diese Unabhängigkeitsbewegung schon viel weiter gestreut war und dass es gar keine Zentren gab richtig mehr in dieser Bewegung, sondern dass die ganzen Kolonien erfasst worden sind. Sprecher: Denn auch wenn die Kolonien untereinander nicht immer konfliktfrei agieren, gegen die Briten wollen sie von nun an mit einer Stimme sprechen. Im September 1774 tritt in Philadelphia der erste sogenannte Kontinentalkongress zusammen. Er beschließt ein Handelsboykott gegen Großbritannien. Als in Boston stationierte britische Kampftruppen versuchen, in den nahegelegenen Städten Lexington und Concord Waffen der amerikanischen Selbstschutzverbände zu beschlagnahmen, kommt es zum ersten größeren Gefecht. Die Amerikaner – allesamt militärische Amateure, aber hochmotiviert – können es für sich entscheiden. Der Unabhängigkeitskrieg ist ausgebrochen, ein Kampf David gegen Goliath. O-Ton – Thomas Freiberger: Die amerikanischen Kolonisten haben gegen den gefährlichsten Gegner gekämpft, den es damals gab. Das sind eher Guerillakriegstaktiken gewesen – zuschlagen und fliehen sozusagen, also mit dieser Technik gegen die britischen Soldaten vorzugehen. Das konnte aber eben immer nur bis zu einem gewissen Grad funktionieren. Sie konnten damit natürlich kein riesiges Landheer besiegen. Aber sie konnten den Gegner schwächen und auf Zeit spielen. Das ist eine der großen Erkenntnisse des amerikanischen Unabhängigkeitskrieges. Vielleicht einer der erfolgreichsten Guerillakriege, die es gegeben hat. Musik: Menuett Sprecherin: In Deutschland verliert der protestantische Baron Friedrich Wilhelm von Steuben durch eine Intrige der katholischen Geistlichen seine Stellung als Hofmarschall von Hohenzollern-Hechingen. In gleicher Position kommt er jedoch in Karlsruhe unter, der Residenz des badischen Markgrafen Karl Friedrich. Spannender wird sein Leben dadurch nicht. Der mittlerweile 45-jährige von Steuben will noch etwas aus sich machen, und das einzige, was er gelernt hat, ist Kriegsführung. Er versucht mehrere Male, wieder in militärische Dienste einzutreten. Doch fatalerweise ist nirgendwo Krieg in Sicht – außer in Amerika. Friedrich Wilhelm von Steuben streckt seine Fühler in Richtung Übersee aus. Und macht während einer Reise nach Frankreich eine Bekanntschaft, die schlagartig sein ganzes Leben verändert: die des amerikanischen Gesandten in Paris, Benjamin Franklin. Charlotte Lerg erzählt: O-Ton – Charlotte Lerg: Steuben hatte sich auch große Hoffnungen von diesem Treffen gemacht, weil er sich zu dem Zeitpunkt schon entschieden hatte, nach Amerika zu gehen. Aber Franklin war in einer schwierigen Lage zu dem Zeitpunkt, weil er nichts zusichern durfte. Er durfte nicht mehr sagen: Ja, klar, kommt alle nach Amerika, wir brauchen jeden Mann, so dass 5 Franklin jetzt sehr vorsichtig war, irgendwelche Zusicherungen zu machen, was Steuben zunächst natürlich sehr enttäuscht hat. Sprecherin: Doch bei aller Zurückhaltung: Benjamin Franklin will den preußischen Baron unbedingt nach Amerika holen. Und so schreibt er an den mittlerweile zum Oberbefehlshaber der amerikanischen Unabhängigkeitsarmee ernannten George Washington. Ein Empfehlungsschreiben, in dem er sich vor Lob überschlägt. Zudem verpasst er dem ehemaligen Hauptmann von Steuben kurzerhand einen wesentlich höheren Dienstgrad: Generalleutnant. Von Steuben soll den amerikanischen Freiwilligen preußische Disziplin beibringen – und die würden einen einfachen Hauptmann wohl nicht ernst nehmen. Die Kosten für Überfahrt und militärische Ordonanz Baron von Steubens übernehmen die Franzosen. Sie sind nur allzu bereit, sich an den Briten zu rächen. Doch es ist nicht nur die Aussicht auf eine neue Karriere, die von Steuben nach Amerika lockt, meint Charlotte Lerg: O-Ton – Charlotte Lerg: Zum anderen darf man auch nicht vergessen, dass dieser Amerikanische Unabhängigkeitskrieg zu diesem Zeitpunkt sehr viel Aufsehen erregte in Europa, gerade unter den der Aufklärung zugewandten, etwas gebildeteren Schichten, zu denen sich Steuben auf jeden Fall auch gezählt hat. Es war ja auch eine gewisse Romantik damit verbunden, in diesen Krieg zu ziehen, der auch Heldenmut versprach. Auch wenn man sich den Charakter Steubens ansieht, denke ich, es war so eine Mischung aus dieser Perspektivlosigkeit einerseits, und andererseits aber auch diesem Versprechen von einer neuen militärischen Aufgabe in Amerika. Denn was auch nach Europa gedrungen war, war, dass eben die Armee tatsächlich in einigen Schwierigkeiten steckte und dass dann letztlich er sich berufen fühlte, da für Ordnung zu sorgen. Sprecherin: Auf einem französischen Schmugglerschiff, das vollgestopft ist mit Waffen und Pulver für die amerikanischen Aufständischen, trifft Friedrich Wilhelm von Steuben Ende des Jahres 1777 in Amerika ein. An den Kontinentalkongress schreibt er: Zitator: Der einzige Beweggrund, der mich in diesen Weltteil führte, ist der Wunsch, einem Volk zu dienen, das einen so edlen Kampf für seine Rechte und Freiheit kämpft. Ich verlange weder Geld noch Titel. Ich möchte gerne mit meinem Blut die Ehre erkaufen, dass mein Name eines Tages unter den Verteidigern Ihrer Freiheit genannt werde. Sprecher: Das kommt bei den Amerikanern gut an – zumal sich die Ereignisse seit den Gefechten von Lexington und Concord 1774 überschlagen haben. Musik: Liberty Song Sprecher: Im Mai 1775 ist der zweite Kontinentalkongress zusammengetreten und erklärt sich zur einzigen Interessenvertretung der vereinigten dreizehn Kolonien. Er stellt eine Kontinentalarmee auf, die die überall verstreuten Milizverbände vereinigen soll, druckt sein eigenes Geld und ist auf der Suche nach kompetentem militärischem 6 Führungspersonal. Denn die Kampfbereitschaft und Mobilität der Freiwilligen ist zwar extrem hoch, ihr Ausbildungsstand aber spottet jeder Beschreibung. O-Ton – Thomas Freiberger: Das heißt also, wir haben es hier mit sogenannten Minutemen zu tun. Das war die Idee, dass jeder Farmer, Handwerker etc. in der Lage sein musste, innerhalb von wenigen Minuten mit einer Muskete kampfbereit zu sein, falls eben die Briten kamen. Und diese Minutemen waren eben dann diejenigen, die dort gekämpft haben. Das waren dann einfache Leute aus dem Volk, die also bewaffnet den Kampf aufgenommen haben, die aber keinerlei militärische Ausbildung etc. hatten nach den klassischen Idealen, wie sie im 18. Jahrhundert vorherrschten. Sprecher: Am 4. Juli 1776 – die militärischen Auseinandersetzungen dauern nun schon über ein Jahr an – erklären die Kolonien ihre Unabhängigkeit von Großbritannien. Die Vereinigten Staaten von Amerika sind geboren. Die Briten reagieren prompt: Innerhalb kurzer Zeit schaffen sie insgesamt fast 80.000 Soldaten auf den Kontinent – für damalige Verhältnisse eine gewaltige Streitmacht, die knapp 12.000 Amerikanern gegenübersteht. Doch genau diese Übermacht ist es, die der Kolonialmacht im Laufe des Unabhängigkeitskrieges zum Verhängnis werden soll, beschreibt der Historiker Thomas Freiberger. O-Ton – Thomas Freiberger: Die Briten sind da auch relativ arrogant reingegangen. Die haben gesagt, mit tausend ausgebildeten Soldaten rolle ich Ihnen ganz Amerika auf. Das hat sich dann schnell als Fehler erwiesen. Denn der amerikanische Kontinent entsprach in keiner Weise den europäischen Bedingungen. Das war unwegsames Territorium, nicht erschlossen, kaum befestigte Straßen, und das war ein ganz großer Nachteil, womit man in London einfach nicht gerechnet hat zu diesem Zeitpunkt. Sie kamen dort an mit ihren Schiffen und ihren Waffen, dann begann das Problem: Wie bekommen wir die Waffen an die Punkte, wo die Schlachten stattfinden sollen? Und das erwies sich als riesiges Problem. Sprecher: Das Kriegsglück wechselt in dieser Phase des Kampfes David gegen Goliath ständig die Seiten, jede Partei kann Siege feiern und muss Niederlagen einstecken: Sprecherin: Müssen die Briten im März 1776 Boston verlassen, gewinnen sie ein halbes Jahr später die Schlacht von Long Island um New York. Die Moral der amerikanischen Verbände ist auf dem Nullpunkt, als sie weitere kleine Gefechte verlieren und permanent auf der Flucht sind. George Washington gelingt im Winter ein Motivationsschub, indem er bei eisiger Kälte über den Delaware-Fluss setzen lässt und Kolonialtruppen in der Stadt Trenton schlägt. September 1777 besetzen die Briten Philadelphia. Aber schon im Oktober dieses Jahres werden sie in Saratoga während einer mehrwöchigen Schlacht von den amerikanischen Truppen empfindlich geschlagen. Sprecher: Schließlich ist die amerikanische Kontinentalarmee am Ende ihrer Kräfte und kriegsmüde. Sie zieht sich nach Valley Forge zurück – in der Hoffnung, sich dort so erholen zu können, dass sie die Briten endgültig zur Aufgabe zwingen kann. Die haben nur wenige Meilen entfernt ebenfalls ihr Winterlager bezogen. 7 O-Ton – Thomas Freiberger: Die Kontinentalarmee war unglaublich schlecht aufgestellt und auch ausgerüstet. Soldaten hatten keine richtige Kleidung. Einige liefen barfuß, waren verwundet, Seuchen brachen aus im Camp. Sprecherin: General George Washington zieht eine wichtige Lehre aus dem bisherigen Kriegsverlauf: eine hohe Motivation alleine reicht nicht aus, die britische Kriegsmaschinerie in die Knie zu zwingen. Das Kampfgeschehen ist viel zu sehr dem Zufall überlassen und die Erfolge der Amerikaner verdanken sich im Wesentlichen ihrer genauen Kenntnisse der örtlichen Gegebenheiten. Hinzu kommt: die Freiwilligen sind schwer von der Notwendigkeit eines längeren Dienstes und von Ordnung innerhalb der Armee zu überzeugen. Schließlich kämpfen sie für Unabhängigkeit. Und auch der Kongress ist wachsam: Er fürchtet die Schaffung eines stehenden Heeres, das den Amerikanern nach dem Krieg seinen Willen aufzwingen könnte. George Washington empfiehlt dem Kongress den preußischen Baron von Steuben in einem Brief als positives Beispiel für ein Militär, das sich höheren Zielen unterordnet. Zitator: Er scheint ein Edelmann im wahren Sinne des Wortes zu sein, und, soweit ich Gelegenheit hatte, ihn kennenzulernen, vereinigt er großes militärisches Wissen mit einer bedeutenden Weltkenntnis. O-Ton – Charlotte Lerg: Washington war immer wieder im Konflikt mit dem Kongress, um mehr Gelder für die Armee zu bekommen, um die immer weiter zu professionalisieren und auch, um die Versorgung zu gewährleisten, die chronisch nicht gewährleistet war, was sowohl Essen als auch Deckung, Kleidung usw. anging. Insofern kann dieses Lob Washingtons für Steuben durchaus auch in diesem politischen Kontext gedeutet werden, dass er wirklich auch eine Position für ihn heraushandeln wollte, dass er darstellen wollte, wie notwendig es ist für die Armee, dass sie jemanden haben. Sprecher: Nur mühsam gelingt es der militärischen Führung, eine dreijährige Dienstzeit in der Armee durchzusetzen – aber es melden sich kaum mehr Freiwillige. Als die Rekrutierung neuer Soldaten immer problematischer wird, verpflichtet man die Amerikaner per Gesetz in die Milizen. Deren Sold ist jedoch spärlich. Am schlimmsten in Valley Forge ist jedoch das Problem des Hungers. O-Ton – Thomas Freiberger: Die Briten haben ihre Nahrungsmittel mit harter Währung, mit Sterling bezahlt, und bekamen so von der Landbevölkerung um Valley Forge herum die gesamten Nahrungsmittel verkauft. Während die Kontinentalarmee mit Zertifikaten Nahrungsmittel kaufen sollte, wo ein gewisser Währungswert garantiert wurde, der aber de facto natürlich durch den Krieg gar nicht mehr garantiert werden konnte. Die waren also nichts wert. So, und was hat die Bevölkerung gemacht, bei allem Enthusiasmus für die amerikanische Revolution? Im Endeffekt, wenn es um die Wurst geht, dann verkauft man die Dinge eben, damit man überleben kann selber mit seiner Familie. Und genau das ist geschehen. Soldaten verhungerten inmitten einer der nahrungsreichsten 8 Regionen der Kolonien. Und Washington musste dazu übergehen, gewaltsam Nahrung zu requirieren in dieser Region. Sprecherin: In dieser Situation trifft Baron Friedrich Wilhelm von Steuben Ende Februar 1778 in Valley Forge ein. Von George Washington sehnlichst erwartet, beginnt er sofort mit seiner Arbeit, trotz eines kleinen Hindernisses. O-Ton – Charlotte Lerg: Er kam an und sprach fast gar kein Englisch. Steuben ist angereist mit einem Übersetzer, einem französischen Generalssohn, der das für ihn übersetzte, für ihn alles gedolmetscht hat, und dann hat er auch durchaus viele seiner Befehle zunächst in Deutsch gegeben. Sprecher: Die Sprachbarriere ist noch das kleinste Problem. Offene Ablehnung, die oft bis an die Grenzen der Meuterei geht, ist in den ersten Wochen die fast durchgängige Reaktion auf den Drillmaster aus Preußen. Von Steubens Programm ist erbarmungslos, er staucht auf dem Exerzierplatz die Soldaten zusammen und lässt immer und immer wieder dieselben Handgriffe, Kampfformationen, Angriffs- und Fluchttaktiken einüben. Sprecherin: Doch das ist nur eine Seite des Preußen. Die andere zeigt einen fürsorglichen Offizier, der die Kranken im Lazarett besucht, sich die Sorgen der Soldaten anhört und Offiziere maßregelt, die militärische Erziehung mit Sadismus verwechseln. Er isst dasselbe Essen wie die einfachen Soldaten und ist morgens der Erste auf dem Exerzierplatz. O-Ton – Charlotte Lerg: Disziplin war insofern nötig, als dass es zum einen keine strukturierten Trainingspläne gab. Dass sie überhaupt ausgebildet worden waren, war eine neue Entwicklung. Er hat eingeführt, wie man marschiert, hat dann Marschier-Formationen beigebracht, unterschiedliche Tempi und dadurch überhaupt Knowhow hineingebracht in diese Armee. Sprecherin: Baron von Steuben macht aus Amateuren Profis. Vor allem dadurch, dass er eine Methode einführt, die später zum festen Bestandteil des amerikanischen Pragmatismus wird: Niederlagen müssen verkraftet werden, doch wichtiger ist der Blick auf Erfolge. Das gilt insbesondere für die Schlacht von Saratoga, die von Steuben mit George Washington analysiert. Denn der Sieg der Amerikaner war nur möglich geworden, weil sie der offenen Feldschlacht gegen die Briten wochenlang auswichen und sie mit eine Fülle von Scharmützeln mürbe gemacht hatten. Von Steuben integriert diese GuerillaTaktik in seinen Ausbildungsplan, indem er den Rekruten vermittelt, dass auch für solche militärischen Nadelstiche Disziplin notwendig ist. Die Soldaten erkennen immer mehr, dass die Schleiferei des Barons keine Schikane ist, sondern Voraussetzung erfolgreicher Kriegführung. Musik: March of the 35th Regiment Sprecher: 9 Das Jahr 1778 bringt den Amerikanern die endgültige Wende. Die Armee geht dank der Methoden des Herrn Baron Friedrich Wilhelm von Steuben gestärkt aus dem Winterlager Valley Forge in die neuen Auseinandersetzungen mit den Briten. Die Vereinigten Staaten schließen einen Bündnisvertrag mit Frankreich, das nun offiziell Waffen und Munition liefert. Und unter dem Einfluss von Steubens ändert George Washington seine Taktik, wie der Historiker Thomas Freiberger beschreibt: O-Ton – Thomas Freiberger: Was er dann macht, ist, dass er die Kontinentalarmee viel weiter streut über das Land, so dass also viele kleinere Einheiten in der Lage waren, schnell zu fliehen im Zweifelsfall, wenn die Briten angegriffen haben, und dass sozusagen nicht eine Region so massiv betroffen ist von den Kriegshandlungen, wie das der Fall gewesen ist. Sprecher: Auf Anraten Baron von Steubens werden die amerikanischen Streitkräfte flexibler und ziehen den Kriegsschauplatz auseinander. Ihr Sieg in der Schlacht von Monmouth im Sommer 1778 ist die Folge der harten, aber effektiven Ausbildung in Valley Forge. Die Briten erkennen, dass sie es mit einer veränderten Armee zu tun haben und suchen ihr Heil in der Verstärkung ihres Truppenkontingents. Doch der endgültige Sieg der Amerikaner ist nicht mehr aufzuhalten, vor allem, als Frankreich mit einem Teil seiner Flotte und Truppenverbänden aktiv in den Krieg eingreift. Verhandlungen beginnen, die im September 1783 zu einem Friedensschluss führen. Musik: Lovely Nancy Sprecherin: Dreizehn amerikanische Kolonien, die sich zu den Vereinigten Staaten von Amerika zusammenschlossen, haben den militärischen Giganten Großbritannien besiegt. Unter anderem dank des Engagements des Preußen Friedrich Wilhelm von Steuben. Sprecherin: Nach dem Krieg wird die Armee aufgelöst. Baron von Steuben schreibt seine Memoiren. Der Grund hierfür ist nicht persönliche Eitelkeit, sondern der Umstand, dass er durch den Wegfall seines Solds in erhebliche Finanznöte geraten ist. Die Historikerin Charlotte Lerg: O-Ton – Charlotte Lerg: Es war für alle Generäle und auch für die Soldaten lange Zeit unklar, ob sie die ihnen versprochenen Pensionen bekommen. Um herauszufinden, ob jemandem diese Pension zustand, musste sie immer beschreiben, wie sie den Krieg verbracht hatten. Das galt für den einfachen Soldaten genauso wie für die Offiziere. Deswegen hat in diesem Zusammenhang auch Steuben immer wieder seinen Verdienst herausgestellt, um an die Pension zu kommen, die ihm letztlich auch zugesprochen wird. Sprecherin: Friedrich Wilhelm von Steuben baut sich im Staat New York ein Haus, das er in aller Bescheidenheit „Louvre“ nennt. Dort widmet er sich seiner letzten militärischen Aufgabe: dem Verfassen eines Instruktionshandbuchs für die Armee. Das sogenannte „Blue Book“. 10 O-Ton – Charlotte Lerg: Die Grundzüge dafür schreibt er tatsächlich im berüchtigten Valley Forge, weil er sich erst einmal überlegen muss, wie organisiere ich diese Armee, die ja auch nicht sämtliche Glieder einer klassischen Armee, wie er sie z.B. aus Preußen hatte, aufweisen konnte, weil die Männer einfach nicht da waren und auch die Waffen nicht. So hat er praktisch ein Buch geschrieben, das speziell für die amerikanische Armee ausgelegt war, sich natürlich auf sein Wissen aus der preußischen Armee berufend. Sprecher: Das „Blue Book“ wird zur Grundlage des Ausbildungsprogramms der ersten Militärakademie der Vereinigten Staaten in West Point und bleibt lange Zeit verbindlich für die amerikanischen Streitkräfte. Musik: Liberty Song Sprecherin: Baron Friedrich Wilhelm von Steuben stirbt im November 1794 auf seinem Landsitz in Utica, New York. Die Deutschen in den Vereinigten Staaten sind bis heute stolz auf ihn, weil sich in seiner Person Tugenden ausdrücken, die als klassische Eigenschaften des amerikanischen Pioniergeistes gelten: die Liebe zur Freiheit, Durchhaltewillen, Problemen nicht auszuweichen und Fehlschläge als Ansporn zu sehen. 1919 gründete sich in den Vereinigten Staaten die Steuben-Gesellschaft. Auf der 5th Street von Manhattan veranstaltet sie seit den 1950er Jahren alljährlich im November die SteubenParade zu Ehren des preußischen Hauptmanns und amerikanischen Revolutionsoffiziers. Ein gängiger Scherz behauptet, dies sei die einzige Parade New Yorks, nach der die Straßen sauberer sind als davor. Preußische Ordnung im Herzen Amerikas! Musik: Liberty Song **.**.**.**.** 11