SÜDWESTRUNDFUNK SWR2 Wissen – Manuskriptdienst Friedrich

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SÜDWESTRUNDFUNK
SWR2 Wissen – Manuskriptdienst
Friedrich Wilhelm von Steuben
Held des amerikanischen Unabhängigkeitskrieges
Autor: Michael Reitz
Redaktion: Martin Gramlich
Regie: Günter Maurer
Sendung: Freitag, 12.04.2013, 8:30 Uhr, SWR2 Wissen
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MANUSKRIPT
Musik:
Lovely Nancy
Sprecher:
Winter 1777, Valley Forge, ein kleiner Ort im heutigen US-Bundesstaat Pennsylvania.
Seit knapp zwei Jahren herrscht Krieg zwischen den dreizehn nach Unabhängigkeit
strebenden amerikanischen Kolonien und dem britischen Mutterland. Im Oktober hat die
amerikanische Freiwilligenarmee im nahegelegenen Saratoga zwar in einer grausamen
und zermürbenden Schlacht gesiegt und ihr Siegeslied „Lovely Nancy“ erklingen lassen.
Doch gleichzeitig ist es den verhassten Briten gelungen, ausgerechnet Philadelphia zu
besetzen, die Hochburg der Unabhängigkeitsbewegung. Der besiegte General George
Washington zieht sich mit dem Rest seiner Armee – etwa 5000 Soldaten – ins
Winterlager nach Valley Forge zurück, um sie neu zu formieren. Die Männer sind
zerlumpt, schlecht ausgerüstet und unterernährt. Fünftausend Menschen leben in
Valley Forge in behelfsmäßigen Baracken, die hygienischen Verhältnisse sind
grauenhaft. Seuchen greifen um sich. Die Freiwilligen sind schlecht ausgebildet und
extrem disziplinlos. Das alles soll sich ändern. Durch einen preußischen Offizier, der
erst seit Kurzem in Amerika ist. Und in Valley Forge aus einem zusammengewürfelten
Haufen eine schlagkräftige Armee machen soll.
Ansage:
Friedrich Wilhelm von Steuben – Held des amerikanischen Unabhängigkeitskrieges.
Eine Sendung von Michael Reitz.
O-Ton – Charlotte Lerg:
Er wusste sich schon immer ins richtige Licht zu stellen und hatte auch ganz gute
Verbindungen, Beziehung, wie man das so nennt.
Sprecherin:
Charakterisiert die Münchner Historikerin Charlotte Lerg Friedrich Wilhelm von Steuben.
Sie ist Autorin des Buches „Die amerikanische Revolution“.
O-Ton – Charlotte Lerg:
Dadurch hat er immer wieder die Möglichkeit gefunden, sich durchzumogeln und
letztlich auch sein Weg nach Amerika (…) zeigt dieses eher etwas neben der legalen
Spur Laufende, was sicherlich in der Zeit auch nicht so ungewöhnlich war wie heute,
weil es noch nicht so viele Regulierungen gab, aber doch sehr auffällig ist, wenn man
seinen Lebensweg anschaut.
Sprecher:
Im Jahr 1763 ist der Siebenjährige Krieg in Europa vorüber. Die meisten Staaten, die an
ihm beteiligt waren, sind hoffnungslos verschuldet: Russland, Frankreich, Österreich
und vor allem Großbritannien. Preußen dagegen, mit dessen Expansionsdrang dieser
Krieg begonnen hatte, ist zwar nicht gerade reich geworden, kann aber durch eine
konsequente Sparpolitik seine Finanzen stabilisieren. Dazu muss allerdings das liebste
Kind von König Friedrich dem Großen abspecken: die preußische Armee. Opfer dieser
Maßnahme sind vor allem Truppenführer, die sich während des Krieges keine allzu
besonderen Verdienste erworben haben. Oder nicht so ganz dem entsprechen, was
man sich höheren Orts unter einem preußischen Offizier vorstellt.
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Sprecherin:
Auch der 1730 in Magdeburg geborene Baron Friedrich Wilhelm von Steuben, Spross
einer alten Offiziers- und Adels-Familie, ist hiervon betroffen. Gerade mal im Rang
eines Hauptmanns wird er unmittelbar nach Kriegsende entlassen. Neben der
Sparpolitik des Königs muss hierfür jedoch noch etwas anderes eine Rolle gespielt
haben. Zumal von Steuben in seinen Memoiren auch Andeutungen in diese Richtung
macht:
Zitator:
Des Siebenjährigen Kriegs darf ich mich nicht schämen, obgleich am Ende desselben
ein unüberlegter Schritt und vielleicht ein unversöhnlicher Feind die Erwartung einer
besseren Belohnung vereitelte. Kurz, ich sah mich genötigt, den preußischen Dienst zu
verlassen.
Sprecherin:
Was dieser „unüberlegte Schritt“ nun genau war – darüber zerbricht sich die SteubenForschung noch heute den Kopf: Tatsache ist, so die Historikerin Charlotte Lerg:
O-Ton – Charlotte Lerg:
Er hatte wohl eine sehr aufbrausende Persönlichkeit und hat sich damit auch Feinde
gemacht (…) Es gab viele Gerüchte, das hat sich dann auch noch fortgezogen.
Musik:
Menuett Ende des 18. Jahrhunderts
Sprecherin:
Baron Friedrich Wilhelm von Steuben liebt das Leben. Der stattliche und
gutaussehende Mann ist weinseligen Tanzveranstaltungen ebenso zugetan wie den
Frauen. Einer Prügelei oder gar einem Duell geht er selten aus dem Weg. Seiner
Geldbörse ist das wenig zuträglich: Zeit seines Lebens ist er immer knapp bei Kasse.
Und passt so gar nicht in die von Etikette, Standesdünkel und Untertanen-Mentalität
geprägte preußische Gesellschaft. Als er 1764 Hofmarschall in Hechingen bei der
schwäbischen Linie der Hohenzollern wird, ist er dort ebenfalls alles andere als
glücklich. Daran ändern auch die vielen Reisen in deutsche und europäische Städte
nichts, auf denen er als Hofmarschall seinen Dienstherren Fürst zu HohenzollernHechingen begleiten muss. Von Steuben fühlt sich eingeengt und langweilt sich.
Musik:
Liberty Song
Sprecher:
In den britischen Kolonien Nordamerikas sind zur gleichen Zeit die Zustände nicht so
beschaulich. Großbritannien konnte zwar als Siegermacht des Siebenjährigen Krieges
dem unterlegenen Frankreich dessen amerikanische Besitzungen entreißen. Doch der
Preis für diese enorme militärische Leistung ist eine britische Staatsverschuldung von
insgesamt 130 Millionen Pfund – wobei sich der jährliche Haushalt Britanniens zu dieser
Zeit auf gerade mal acht Millionen beläuft. Die Regierung steht unter Druck. Und erhebt
für die Siedler der dreizehn Kolonien, die sie jetzt als britische Staatsbürger betrachtet,
höhere und vor allem eigens für sie geschaffene Steuern.
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Sprecher:
Die Amerikaner beginnen, sich dagegen aufzulehnen, zumal sie bisher so gut wie keine
Abgaben zahlen mussten. Ihre Hymne wird der 1768 geschriebene „Liberty Song“ –
eine Aufforderung an alle Amerikaner, sich nicht der britischen Steuerdiktatur zu
beugen.
O-Ton – Thomas Freiberger:
Und je mehr Steuergesetze erlassen wurden, umso stärker schaukelte sich das Ganze
auf.
Sprecher:
Erklärt der Bonner Historiker Thomas Freiberger. Einer seiner
Forschungsschwerpunkte: die amerikanische Gründergeneration.
O-Ton – Thomas Freiberger:
Als man dann auch noch beschloss, Truppen zu stationieren, sahen sich natürlich alle
darin bestätigt: Jetzt versuchen sie also uns zu unterdrücken mit regulären Truppen.
Und das Schlagwort kam, dass also sozusagen die amerikanischen Kolonisten zwar
Engländer waren, aber nicht so wie Engländer behandelt wurden, und dass sie
besteuert wurden ohne dass sie einen Repräsentanten im britischen Parlament sitzen
hatten, und dass das britische Parlament sowieso korrupt sei.
Sprecher:
Die britischen Truppen sind zwar keine Kampfeinheiten, sondern nur zur Sicherung des
Territoriums dort stationiert, aber die Amerikaner fühlen sich provoziert. Seit langer Zeit
verwalten sie ihr Gebiet selbst, jede Kolonie organisiert alle Belange des öffentlichen
Lebens in eigener Regie. Die britischen Zölle auf importierte Waren, Steuern, die immer
dreister und immer höher werden, sehen sie als Beeinträchtigung ihrer Autonomie.
Hinzu kommt: Die Ansiedlungen zwischen St-Lorenz-Strom im Norden und dem Golf
von Mexiko im Süden sind reich und dadurch ausgesprochen selbstbewusst.
Großbritannien will diese boomende Gesellschaft zur Kasse bitten. Und provoziert
damit ab Ende der 1760-er Jahre eine Reihe von bewaffneten Konflikten, bei denen
aufgebrachte Amerikaner mit britischen Zolleintreibern, Polizisten oder regulären
Truppen aneinandergeraten. Die Einfuhrzölle werden zwar bald abgeschafft, doch das
Empire verfolgt jetzt eine neue Strategie: Britische Kaufleute können ihre Waren ohne
Zwischenhandel in Amerika verkaufen. Nutznießer: die Britische Ostindienkompanie. Ihr
Produkt: Tee
Musik:
Liberty Song
Sprecher:
In der Nach vom 16. zum 17. Dezember 1773 entern Rebellen im Bostoner Hafen
mehrere britische Frachter und werfen Tee im heutigen Wert von circa 700.000 Euro
über Bord. Mit dieser sogenannten „Boston Tea Party“ ist für Großbritannien das Maß
voll. Das Empire verstärkt seine Truppen in Nordamerika. Der Historiker Thomas
Freiberger beschreibt die nun folgende Eskalation.
O-Ton – Thomas Freiberger:
Die Briten haben sich natürlich überlegt, wie kriegen wir diesen Aufstand
niedergeschlagen? Dann haben sie sich überlegt, dann müssen wir die Zentren dieses
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Aufstands bekämpfen. Da dachten sie natürlich, das sei Massachusetts und vor allen
Dingen Boston. Als sie dann Boston belagert haben und die Sache wurde nicht besser,
haben sie gedacht, dann müssen wir die ganzen Neu-England-Staaten abschneiden
vom Rest der anderen Kolonien. Dann haben sie das versucht, und das hat auch nicht
funktioniert, weil sie einfach nicht erkannt haben, dass also diese
Unabhängigkeitsbewegung schon viel weiter gestreut war und dass es gar keine
Zentren gab richtig mehr in dieser Bewegung, sondern dass die ganzen Kolonien
erfasst worden sind.
Sprecher:
Denn auch wenn die Kolonien untereinander nicht immer konfliktfrei agieren, gegen die
Briten wollen sie von nun an mit einer Stimme sprechen. Im September 1774 tritt in
Philadelphia der erste sogenannte Kontinentalkongress zusammen. Er beschließt ein
Handelsboykott gegen Großbritannien. Als in Boston stationierte britische
Kampftruppen versuchen, in den nahegelegenen Städten Lexington und Concord
Waffen der amerikanischen Selbstschutzverbände zu beschlagnahmen, kommt es zum
ersten größeren Gefecht. Die Amerikaner – allesamt militärische Amateure, aber
hochmotiviert – können es für sich entscheiden. Der Unabhängigkeitskrieg ist
ausgebrochen, ein Kampf David gegen Goliath.
O-Ton – Thomas Freiberger:
Die amerikanischen Kolonisten haben gegen den gefährlichsten Gegner gekämpft, den
es damals gab. Das sind eher Guerillakriegstaktiken gewesen – zuschlagen und fliehen
sozusagen, also mit dieser Technik gegen die britischen Soldaten vorzugehen. Das
konnte aber eben immer nur bis zu einem gewissen Grad funktionieren. Sie konnten
damit natürlich kein riesiges Landheer besiegen. Aber sie konnten den Gegner
schwächen und auf Zeit spielen. Das ist eine der großen Erkenntnisse des
amerikanischen Unabhängigkeitskrieges. Vielleicht einer der erfolgreichsten
Guerillakriege, die es gegeben hat.
Musik:
Menuett
Sprecherin:
In Deutschland verliert der protestantische Baron Friedrich Wilhelm von Steuben durch
eine Intrige der katholischen Geistlichen seine Stellung als Hofmarschall von
Hohenzollern-Hechingen. In gleicher Position kommt er jedoch in Karlsruhe unter, der
Residenz des badischen Markgrafen Karl Friedrich. Spannender wird sein Leben
dadurch nicht. Der mittlerweile 45-jährige von Steuben will noch etwas aus sich
machen, und das einzige, was er gelernt hat, ist Kriegsführung. Er versucht mehrere
Male, wieder in militärische Dienste einzutreten. Doch fatalerweise ist nirgendwo Krieg
in Sicht – außer in Amerika. Friedrich Wilhelm von Steuben streckt seine Fühler in
Richtung Übersee aus. Und macht während einer Reise nach Frankreich eine
Bekanntschaft, die schlagartig sein ganzes Leben verändert: die des amerikanischen
Gesandten in Paris, Benjamin Franklin. Charlotte Lerg erzählt:
O-Ton – Charlotte Lerg:
Steuben hatte sich auch große Hoffnungen von diesem Treffen gemacht, weil er sich zu
dem Zeitpunkt schon entschieden hatte, nach Amerika zu gehen. Aber Franklin war in
einer schwierigen Lage zu dem Zeitpunkt, weil er nichts zusichern durfte. Er durfte nicht
mehr sagen: Ja, klar, kommt alle nach Amerika, wir brauchen jeden Mann, so dass
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Franklin jetzt sehr vorsichtig war, irgendwelche Zusicherungen zu machen, was
Steuben zunächst natürlich sehr enttäuscht hat.
Sprecherin:
Doch bei aller Zurückhaltung: Benjamin Franklin will den preußischen Baron unbedingt
nach Amerika holen. Und so schreibt er an den mittlerweile zum Oberbefehlshaber der
amerikanischen Unabhängigkeitsarmee ernannten George Washington. Ein
Empfehlungsschreiben, in dem er sich vor Lob überschlägt. Zudem verpasst er dem
ehemaligen Hauptmann von Steuben kurzerhand einen wesentlich höheren Dienstgrad:
Generalleutnant. Von Steuben soll den amerikanischen Freiwilligen preußische Disziplin
beibringen – und die würden einen einfachen Hauptmann wohl nicht ernst nehmen. Die
Kosten für Überfahrt und militärische Ordonanz Baron von Steubens übernehmen die
Franzosen. Sie sind nur allzu bereit, sich an den Briten zu rächen. Doch es ist nicht nur
die Aussicht auf eine neue Karriere, die von Steuben nach Amerika lockt, meint
Charlotte Lerg:
O-Ton – Charlotte Lerg:
Zum anderen darf man auch nicht vergessen, dass dieser Amerikanische
Unabhängigkeitskrieg zu diesem Zeitpunkt sehr viel Aufsehen erregte in Europa,
gerade unter den der Aufklärung zugewandten, etwas gebildeteren Schichten, zu denen
sich Steuben auf jeden Fall auch gezählt hat. Es war ja auch eine gewisse Romantik
damit verbunden, in diesen Krieg zu ziehen, der auch Heldenmut versprach. Auch wenn
man sich den Charakter Steubens ansieht, denke ich, es war so eine Mischung aus
dieser Perspektivlosigkeit einerseits, und andererseits aber auch diesem Versprechen
von einer neuen militärischen Aufgabe in Amerika. Denn was auch nach Europa
gedrungen war, war, dass eben die Armee tatsächlich in einigen Schwierigkeiten
steckte und dass dann letztlich er sich berufen fühlte, da für Ordnung zu sorgen.
Sprecherin:
Auf einem französischen Schmugglerschiff, das vollgestopft ist mit Waffen und Pulver
für die amerikanischen Aufständischen, trifft Friedrich Wilhelm von Steuben Ende des
Jahres 1777 in Amerika ein. An den Kontinentalkongress schreibt er:
Zitator:
Der einzige Beweggrund, der mich in diesen Weltteil führte, ist der Wunsch, einem Volk
zu dienen, das einen so edlen Kampf für seine Rechte und Freiheit kämpft. Ich verlange
weder Geld noch Titel. Ich möchte gerne mit meinem Blut die Ehre erkaufen, dass mein
Name eines Tages unter den Verteidigern Ihrer Freiheit genannt werde.
Sprecher:
Das kommt bei den Amerikanern gut an – zumal sich die Ereignisse seit den Gefechten
von Lexington und Concord 1774 überschlagen haben.
Musik:
Liberty Song
Sprecher:
Im Mai 1775 ist der zweite Kontinentalkongress zusammengetreten und erklärt sich zur
einzigen Interessenvertretung der vereinigten dreizehn Kolonien. Er stellt eine
Kontinentalarmee auf, die die überall verstreuten Milizverbände vereinigen soll, druckt
sein eigenes Geld und ist auf der Suche nach kompetentem militärischem
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Führungspersonal. Denn die Kampfbereitschaft und Mobilität der Freiwilligen ist zwar
extrem hoch, ihr Ausbildungsstand aber spottet jeder Beschreibung.
O-Ton – Thomas Freiberger:
Das heißt also, wir haben es hier mit sogenannten Minutemen zu tun. Das war die Idee,
dass jeder Farmer, Handwerker etc. in der Lage sein musste, innerhalb von wenigen
Minuten mit einer Muskete kampfbereit zu sein, falls eben die Briten kamen. Und diese
Minutemen waren eben dann diejenigen, die dort gekämpft haben. Das waren dann
einfache Leute aus dem Volk, die also bewaffnet den Kampf aufgenommen haben, die
aber keinerlei militärische Ausbildung etc. hatten nach den klassischen Idealen, wie sie
im 18. Jahrhundert vorherrschten.
Sprecher:
Am 4. Juli 1776 – die militärischen Auseinandersetzungen dauern nun schon über ein
Jahr an – erklären die Kolonien ihre Unabhängigkeit von Großbritannien. Die
Vereinigten Staaten von Amerika sind geboren. Die Briten reagieren prompt: Innerhalb
kurzer Zeit schaffen sie insgesamt fast 80.000 Soldaten auf den Kontinent – für
damalige Verhältnisse eine gewaltige Streitmacht, die knapp 12.000 Amerikanern
gegenübersteht. Doch genau diese Übermacht ist es, die der Kolonialmacht im Laufe
des Unabhängigkeitskrieges zum Verhängnis werden soll, beschreibt der Historiker
Thomas Freiberger.
O-Ton – Thomas Freiberger:
Die Briten sind da auch relativ arrogant reingegangen. Die haben gesagt, mit tausend
ausgebildeten Soldaten rolle ich Ihnen ganz Amerika auf. Das hat sich dann schnell als
Fehler erwiesen. Denn der amerikanische Kontinent entsprach in keiner Weise den
europäischen Bedingungen. Das war unwegsames Territorium, nicht erschlossen, kaum
befestigte Straßen, und das war ein ganz großer Nachteil, womit man in London einfach
nicht gerechnet hat zu diesem Zeitpunkt. Sie kamen dort an mit ihren Schiffen und ihren
Waffen, dann begann das Problem: Wie bekommen wir die Waffen an die Punkte, wo
die Schlachten stattfinden sollen? Und das erwies sich als riesiges Problem.
Sprecher:
Das Kriegsglück wechselt in dieser Phase des Kampfes David gegen Goliath ständig
die Seiten, jede Partei kann Siege feiern und muss Niederlagen einstecken:
Sprecherin:
Müssen die Briten im März 1776 Boston verlassen, gewinnen sie ein halbes Jahr später
die Schlacht von Long Island um New York. Die Moral der amerikanischen Verbände ist
auf dem Nullpunkt, als sie weitere kleine Gefechte verlieren und permanent auf der
Flucht sind. George Washington gelingt im Winter ein Motivationsschub, indem er bei
eisiger Kälte über den Delaware-Fluss setzen lässt und Kolonialtruppen in der Stadt
Trenton schlägt. September 1777 besetzen die Briten Philadelphia. Aber schon im
Oktober dieses Jahres werden sie in Saratoga während einer mehrwöchigen Schlacht
von den amerikanischen Truppen empfindlich geschlagen.
Sprecher:
Schließlich ist die amerikanische Kontinentalarmee am Ende ihrer Kräfte und
kriegsmüde. Sie zieht sich nach Valley Forge zurück – in der Hoffnung, sich dort so
erholen zu können, dass sie die Briten endgültig zur Aufgabe zwingen kann. Die haben
nur wenige Meilen entfernt ebenfalls ihr Winterlager bezogen.
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O-Ton – Thomas Freiberger:
Die Kontinentalarmee war unglaublich schlecht aufgestellt und auch ausgerüstet.
Soldaten hatten keine richtige Kleidung. Einige liefen barfuß, waren verwundet,
Seuchen brachen aus im Camp.
Sprecherin:
General George Washington zieht eine wichtige Lehre aus dem bisherigen
Kriegsverlauf: eine hohe Motivation alleine reicht nicht aus, die britische
Kriegsmaschinerie in die Knie zu zwingen. Das Kampfgeschehen ist viel zu sehr dem
Zufall überlassen und die Erfolge der Amerikaner verdanken sich im Wesentlichen ihrer
genauen Kenntnisse der örtlichen Gegebenheiten. Hinzu kommt: die Freiwilligen sind
schwer von der Notwendigkeit eines längeren Dienstes und von Ordnung innerhalb der
Armee zu überzeugen. Schließlich kämpfen sie für Unabhängigkeit. Und auch der
Kongress ist wachsam: Er fürchtet die Schaffung eines stehenden Heeres, das den
Amerikanern nach dem Krieg seinen Willen aufzwingen könnte. George Washington
empfiehlt dem Kongress den preußischen Baron von Steuben in einem Brief als
positives Beispiel für ein Militär, das sich höheren Zielen unterordnet.
Zitator:
Er scheint ein Edelmann im wahren Sinne des Wortes zu sein, und, soweit ich
Gelegenheit hatte, ihn kennenzulernen, vereinigt er großes militärisches Wissen mit
einer bedeutenden Weltkenntnis.
O-Ton – Charlotte Lerg:
Washington war immer wieder im Konflikt mit dem Kongress, um mehr Gelder für die
Armee zu bekommen, um die immer weiter zu professionalisieren und auch, um die
Versorgung zu gewährleisten, die chronisch nicht gewährleistet war, was sowohl Essen
als auch Deckung, Kleidung usw. anging. Insofern kann dieses Lob Washingtons für
Steuben durchaus auch in diesem politischen Kontext gedeutet werden, dass er wirklich
auch eine Position für ihn heraushandeln wollte, dass er darstellen wollte, wie
notwendig es ist für die Armee, dass sie jemanden haben.
Sprecher:
Nur mühsam gelingt es der militärischen Führung, eine dreijährige Dienstzeit in der
Armee durchzusetzen – aber es melden sich kaum mehr Freiwillige. Als die
Rekrutierung neuer Soldaten immer problematischer wird, verpflichtet man die
Amerikaner per Gesetz in die Milizen. Deren Sold ist jedoch spärlich. Am schlimmsten
in Valley Forge ist jedoch das Problem des Hungers.
O-Ton – Thomas Freiberger:
Die Briten haben ihre Nahrungsmittel mit harter Währung, mit Sterling bezahlt, und
bekamen so von der Landbevölkerung um Valley Forge herum die gesamten
Nahrungsmittel verkauft. Während die Kontinentalarmee mit Zertifikaten Nahrungsmittel
kaufen sollte, wo ein gewisser Währungswert garantiert wurde, der aber de facto
natürlich durch den Krieg gar nicht mehr garantiert werden konnte. Die waren also
nichts wert. So, und was hat die Bevölkerung gemacht, bei allem Enthusiasmus für die
amerikanische Revolution? Im Endeffekt, wenn es um die Wurst geht, dann verkauft
man die Dinge eben, damit man überleben kann selber mit seiner Familie. Und genau
das ist geschehen. Soldaten verhungerten inmitten einer der nahrungsreichsten
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Regionen der Kolonien. Und Washington musste dazu übergehen, gewaltsam Nahrung
zu requirieren in dieser Region.
Sprecherin:
In dieser Situation trifft Baron Friedrich Wilhelm von Steuben Ende Februar 1778 in
Valley Forge ein. Von George Washington sehnlichst erwartet, beginnt er sofort mit
seiner Arbeit, trotz eines kleinen Hindernisses.
O-Ton – Charlotte Lerg:
Er kam an und sprach fast gar kein Englisch. Steuben ist angereist mit einem
Übersetzer, einem französischen Generalssohn, der das für ihn übersetzte, für ihn alles
gedolmetscht hat, und dann hat er auch durchaus viele seiner Befehle zunächst in
Deutsch gegeben.
Sprecher:
Die Sprachbarriere ist noch das kleinste Problem. Offene Ablehnung, die oft bis an die
Grenzen der Meuterei geht, ist in den ersten Wochen die fast durchgängige Reaktion
auf den Drillmaster aus Preußen. Von Steubens Programm ist erbarmungslos, er
staucht auf dem Exerzierplatz die Soldaten zusammen und lässt immer und immer
wieder dieselben Handgriffe, Kampfformationen, Angriffs- und Fluchttaktiken einüben.
Sprecherin:
Doch das ist nur eine Seite des Preußen. Die andere zeigt einen fürsorglichen Offizier,
der die Kranken im Lazarett besucht, sich die Sorgen der Soldaten anhört und Offiziere
maßregelt, die militärische Erziehung mit Sadismus verwechseln. Er isst dasselbe
Essen wie die einfachen Soldaten und ist morgens der Erste auf dem Exerzierplatz.
O-Ton – Charlotte Lerg:
Disziplin war insofern nötig, als dass es zum einen keine strukturierten Trainingspläne
gab. Dass sie überhaupt ausgebildet worden waren, war eine neue Entwicklung. Er hat
eingeführt, wie man marschiert, hat dann Marschier-Formationen beigebracht,
unterschiedliche Tempi und dadurch überhaupt Knowhow hineingebracht in diese
Armee.
Sprecherin:
Baron von Steuben macht aus Amateuren Profis. Vor allem dadurch, dass er eine
Methode einführt, die später zum festen Bestandteil des amerikanischen Pragmatismus
wird: Niederlagen müssen verkraftet werden, doch wichtiger ist der Blick auf Erfolge.
Das gilt insbesondere für die Schlacht von Saratoga, die von Steuben mit George
Washington analysiert. Denn der Sieg der Amerikaner war nur möglich geworden, weil
sie der offenen Feldschlacht gegen die Briten wochenlang auswichen und sie mit eine
Fülle von Scharmützeln mürbe gemacht hatten. Von Steuben integriert diese GuerillaTaktik in seinen Ausbildungsplan, indem er den Rekruten vermittelt, dass auch für
solche militärischen Nadelstiche Disziplin notwendig ist. Die Soldaten erkennen immer
mehr, dass die Schleiferei des Barons keine Schikane ist, sondern Voraussetzung
erfolgreicher Kriegführung.
Musik:
March of the 35th Regiment
Sprecher:
9
Das Jahr 1778 bringt den Amerikanern die endgültige Wende. Die Armee geht dank der
Methoden des Herrn Baron Friedrich Wilhelm von Steuben gestärkt aus dem
Winterlager Valley Forge in die neuen Auseinandersetzungen mit den Briten. Die
Vereinigten Staaten schließen einen Bündnisvertrag mit Frankreich, das nun offiziell
Waffen und Munition liefert. Und unter dem Einfluss von Steubens ändert George
Washington seine Taktik, wie der Historiker Thomas Freiberger beschreibt:
O-Ton – Thomas Freiberger:
Was er dann macht, ist, dass er die Kontinentalarmee viel weiter streut über das Land,
so dass also viele kleinere Einheiten in der Lage waren, schnell zu fliehen im
Zweifelsfall, wenn die Briten angegriffen haben, und dass sozusagen nicht eine Region
so massiv betroffen ist von den Kriegshandlungen, wie das der Fall gewesen ist.
Sprecher:
Auf Anraten Baron von Steubens werden die amerikanischen Streitkräfte flexibler und
ziehen den Kriegsschauplatz auseinander. Ihr Sieg in der Schlacht von Monmouth im
Sommer 1778 ist die Folge der harten, aber effektiven Ausbildung in Valley Forge. Die
Briten erkennen, dass sie es mit einer veränderten Armee zu tun haben und suchen ihr
Heil in der Verstärkung ihres Truppenkontingents. Doch der endgültige Sieg der
Amerikaner ist nicht mehr aufzuhalten, vor allem, als Frankreich mit einem Teil seiner
Flotte und Truppenverbänden aktiv in den Krieg eingreift. Verhandlungen beginnen, die
im September 1783 zu einem Friedensschluss führen.
Musik:
Lovely Nancy
Sprecherin:
Dreizehn amerikanische Kolonien, die sich zu den Vereinigten Staaten von Amerika
zusammenschlossen, haben den militärischen Giganten Großbritannien besiegt. Unter
anderem dank des Engagements des Preußen Friedrich Wilhelm von Steuben.
Sprecherin:
Nach dem Krieg wird die Armee aufgelöst. Baron von Steuben schreibt seine
Memoiren. Der Grund hierfür ist nicht persönliche Eitelkeit, sondern der Umstand, dass
er durch den Wegfall seines Solds in erhebliche Finanznöte geraten ist. Die Historikerin
Charlotte Lerg:
O-Ton – Charlotte Lerg:
Es war für alle Generäle und auch für die Soldaten lange Zeit unklar, ob sie die ihnen
versprochenen Pensionen bekommen. Um herauszufinden, ob jemandem diese
Pension zustand, musste sie immer beschreiben, wie sie den Krieg verbracht hatten.
Das galt für den einfachen Soldaten genauso wie für die Offiziere. Deswegen hat in
diesem Zusammenhang auch Steuben immer wieder seinen Verdienst herausgestellt,
um an die Pension zu kommen, die ihm letztlich auch zugesprochen wird.
Sprecherin:
Friedrich Wilhelm von Steuben baut sich im Staat New York ein Haus, das er in aller
Bescheidenheit „Louvre“ nennt. Dort widmet er sich seiner letzten militärischen
Aufgabe: dem Verfassen eines Instruktionshandbuchs für die Armee. Das sogenannte
„Blue Book“.
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O-Ton – Charlotte Lerg:
Die Grundzüge dafür schreibt er tatsächlich im berüchtigten Valley Forge, weil er sich
erst einmal überlegen muss, wie organisiere ich diese Armee, die ja auch nicht
sämtliche Glieder einer klassischen Armee, wie er sie z.B. aus Preußen hatte,
aufweisen konnte, weil die Männer einfach nicht da waren und auch die Waffen nicht.
So hat er praktisch ein Buch geschrieben, das speziell für die amerikanische Armee
ausgelegt war, sich natürlich auf sein Wissen aus der preußischen Armee berufend.
Sprecher:
Das „Blue Book“ wird zur Grundlage des Ausbildungsprogramms der ersten
Militärakademie der Vereinigten Staaten in West Point und bleibt lange Zeit verbindlich
für die amerikanischen Streitkräfte.
Musik:
Liberty Song
Sprecherin:
Baron Friedrich Wilhelm von Steuben stirbt im November 1794 auf seinem Landsitz in
Utica, New York. Die Deutschen in den Vereinigten Staaten sind bis heute stolz auf ihn,
weil sich in seiner Person Tugenden ausdrücken, die als klassische Eigenschaften des
amerikanischen Pioniergeistes gelten: die Liebe zur Freiheit, Durchhaltewillen,
Problemen nicht auszuweichen und Fehlschläge als Ansporn zu sehen. 1919 gründete
sich in den Vereinigten Staaten die Steuben-Gesellschaft. Auf der 5th Street von
Manhattan veranstaltet sie seit den 1950er Jahren alljährlich im November die SteubenParade zu Ehren des preußischen Hauptmanns und amerikanischen
Revolutionsoffiziers. Ein gängiger Scherz behauptet, dies sei die einzige Parade New
Yorks, nach der die Straßen sauberer sind als davor. Preußische Ordnung im Herzen
Amerikas!
Musik:
Liberty Song
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