Tarifpolitik Arbeitszeit: Viel Spielraum für Unternehmen Bei der Arbeitszeit ermöglichen Tarifverträge viel Flexibilität. Die Interessen der Beschäftigten kommen bisweilen zu kurz. Der Wunsch nach flexibleren Arbeitszeiten ist weit verbrei- Ähnliches gilt für Überstunden: Hier gibt es in der Druckintet – allerdings verstehen Arbeitgeber darunter in der Regel dustrie und dem bayerischen Hotel- und Gaststättengewerbe etwas anderes als Beschäftigte: Viele Unternehmen würden überhaupt keine tarifliche Einschränkung, ansonsten „mehr ihr Personal bei Bedarf gern länger arbeiten lassen, ohne auf oder weniger weit gefasste Grenzen“. Ein obligatorischer FreiVorgaben wie den Achtstundentag oder Mindestruhezeiten zeitausgleich ist in lediglich zwei Branchen vorgeschrieben – Rücksicht nehmen zu müssen. Aus Arbeitnehmersicht wäre und auch dort nur, soweit die betrieblichen Belange dies zulases dagegen wünschenswert, die Arbeitszeit besser an die ei- sen. Auch Wochenendarbeit ist der Auswertung zufolge nur in genen Bedürfnisse anpassen zu können. wenigen Bereichen tariflich wirksam eingegrenzt. Tarifverträge stellen einen Versuch dar, diese unterschiedWeit verbreitet seien mittlerweile Arbeitszeitkonten, schreibt lichen Interessen in Einklang zu bringen. Reinhard Bispinck, der WSI-Experte. Langzeitkonten, die längere Auszeiten beider Leiter des WSI-Tarifarchivs, hat untersucht, wie das in der spielsweise für Weiterbildung oder vor der Rente ermögliPraxis aussieht. Dafür hat er die Regelungen in 23 ausgewähl- chen sollen, gibt es in sechs der 23 untersuchten Tarifgebiete. Ein tariflich fixiertes Recht auf Teilzeit hätten die Gewerkten Tarifgebieten ausgewertet, die einen Querschnitt der deutschen Tariflandschaft darstellen. Der Analyse zufolge können schaften nur in Einzelfällen und auch dort nicht zwingend sich die Betriebe über mangelnde Spielräume nicht beklagen. durchgesetzt, so der Autor. Auch Ansprüche auf einen WechBei den Arbeitnehmerrechten gebe es zwar Fortschritte, in sel in Vollzeit stehen in der Regel unter dem Vorbehalt, dass vielen Branchen bestehe aber noch eine Menge Gestaltungs- die betrieblichen Verhältnisse dies zulassen. Als wichtige Erbedarf. „Die Auswertung zeigt, dass pauschale Forderungen rungenschaft seien aus Arbeitnehmersicht tarifliche Klauseln nach noch mehr Flexibilisierung und einer Aufweichung des zu betrachten, die eine Mindestarbeitszeit pro Tag vorschreiArbeitszeitgesetzes nicht nur unnötig sind. Sie würden die Pro- ben. Sie sollen verhindern, dass Teilzeitbeschäftigte für nur ein bleme von Beschäftigten, Arbeit und Familie unter einen Hut oder zwei Stunden in den Betrieb müssen. zu bringen, weiter verschärfen“, sagt Bispinck. „Gesetzliche Fortschritte hat Bispinck auch bei den Regelungen zu Regelungen haben eine Ankerfunktion, die auch die Tarifpoli- Freistellungen ausgemacht. In der Metall- und Elektroindustrie tik beeinflusst.“ Nordwürttemberg und NordAls Standard ist in den baden besteht beispielsweise meisten Tarifverträgen eine ein Anspruch auf bis zu fünf Lange Arbeitstage auf dem Bau Wochenarbeitszeit festgeJahre Auszeit für die persönliDie tarifliche Wochenarbeitszeit beträgt ... legt, die im Westen im Schnitt che Qualifizierung. Freistellun37,5 Stunden beträgt. Dabei gen für die Pflege von Kindern West 40 Stunden reicht das Spektrum von 34 oder Partnern sind mittlerBauhauptgewerbe Stunden bei der Deutschen weile in diversen Tarifverträ40 Stunden Ost Telekom bis hin zu 40 Stungen geregelt. Demografieta39 den im Bauhauptgewerbe. In rifverträge, die das Spektrum Banken 39 der klassischen Altersteilzeitden neuen Bundesländern sehen die Tarifverträge durchtarifverträge deutlich erwei37,5 schnittlich 38,7 Stunden vor. tern, stellen nach wie vor eine Chemische Industrie 40 Abweichungen von der Seltenheit dar. Wochenarbeitszeit sind oft Alles in allem sei das Flexi­ 37,5 dauerhaft möglich. In einer bilitätspotenzial der tariflichen Einzelhandel 38 Reihe von Branchen darf die reArbeitszeitbestimmungen aus guläre Arbeitszeit im Rahmen betrieblicher Sicht sehr hoch, 35 resümiert Bispinck. Dagegen bestimmter Korridore variieren Metallindustrie 38 – in der Chemie­industrie beikönne von einer flächendespielsweise zwischen 35 und ckenden und wirksamen ta34 Deutsche Telekom 40 Stunden pro Woche. Befrisriflichen Regulierung von Ar34 tete Verkürzungen sind häufig beitszeitoptionen, die den als beschäftigungssichernde Interessen der Beschäftigten Quelle: WSI-Tarifarchiv 2016 Grafik zum Download: bit.do/impuls0573 Maßnahme vorgesehen. AnRechnung tragen, keine Rede sonsten lassen die meisten Tasein – auch wenn es den Gerifverträge eine gewisse „Grundflexibilität“ durch temporäre werkschaften an einigen Stellen gelungen sei, ArbeitnehmerSchwankungen zu, wobei die Ausgleichszeiträume bis zu zwölf rechte tariflich stärker zu verankern.< Monate betragen. Im Großen und Ganzen gebe es „sehr große Quelle: Reinhard Bispinck, WSI-Tarifarchiv: Arbeitszeit – Was bietet der tarifvertragliche betriebliche Gestaltungsmöglichkeiten bei Lage und Verteilung Instrumentenkoffer? Eine Analyse von 23 Branchen und Tarifbereichen, Elemente qualitativer der regelmäßigen Arbeitszeit“, so Bispinck. Tarifpolitik Nr. 82, November 2016 Download: bit.do/impuls0572 Böckler Impuls · 19/2016 · Seite 3