Ausgabe 2012 PROPHYLAXEdialog Zeitschrift für Oralprävention in der Praxis Phänomen Dentinhypersensibilität Karies bei Vorschulkindern Mundgesundheit in Pflegeheimen Relevanz von Abrasionen Impressum/Inhalt/Editorial Editorial Herausgeber (V.i.S.d.P.): Gebro Pharma GmbH Bahnhofbichl 13 · 6391 Fieberbrunn Sehr geehrte Leserin, sehr geehrter Leser, GABA International AG Grabetsmattweg · 4106 Therwil · Schweiz Medizinisch-wissenschaftliche Abteilung: Dipl.-Biochem. Bärbel Kiene in der neuen Ausgabe des PROPHYLAXEdialogs wird wieder eine große Bandbreite aktueller Themen behandelt. Der Bogen spannt sich von Dentinhypersensibilität über Karies – mit den Vorschulkinder Schwerpunkten und ältere Patienten – bis hin zum Themenbereich Erosion/Abrasion. Gerade Erosion rückt immer stärker ins Blickfeld fachlicher Diskussionen. Internet: www.gaba.at Die Meinung der Autoren muss nicht in jedem Fall der Meinung des Herausgebers entsprechen. Nachdruck und auszugsweise Veröffentlichung ist bei Quellenangabe gestattet. In den Artikeln wird von internationalen Expertinnen und Experten nicht nur Bekanntes zusammengefasst, es werden auch neue und innovative Ansätze gezeigt. Immer wieder Anlass für kontroverse Diskussionen ist die RDA-Thematik. In dieser Ausgabe (S. 20 ff.) werden die RDA-Messung und die klinische Relevanz unterschiedlicher RDA-Werte dargestellt sowie das Ergebnis eines internationalen Workshops in Frankfurt am Main zusammengefasst. Wir hoffen, dass diese Beiträge zu einer umfassenderen Betrachtung des Themas „RDAWert“ beitragen. Argininbicarbonat (Quelle: Christian Scheibe) Wir wünschen eine spannende Lektüre und verbleiben mit freundlichen Grüßen Inhalt Das Phänomen Dentinhypersensibilität (DHS) in der zahnärztlichen Praxis Teil 1: Definition, Epidemiologie, Ätiologie und theoretische Grundlagen der DHS DDr. Ulrike Beier, Innsbruck, Österreich; PD Dr. Christian R. Gernhardt, Halle-Wittenberg, Deutschland Kariesepidemiologie – Voraussetzung für die Bestimmung der Mundgesundheit und Nachweis über die Effektivität prophylaktischer Maßnahmen Prof. Dr. Annerose Borutta, Jena, Deutschland Wie geht man mit der ersten Karies bei Vorschulkindern um? Dr. Gert Stel, Groningen, Niederlande Hufeland-Preis ging an Zahnmediziner Empfehlungen für eine angemessene Mundgesundheitsversorgung bei älteren Menschen im Pflegeheim Dr. Luc De Visschere, Prof. Dr. Jacques Vanobbergen, Gent, Belgien 02 3 7 9 11 11 Verleihung des ECG-GABA-Preises 2011 15 (Zahn-)Gesunde Ernährung – im Fokus: Saures! Dr. Gerta van Oost, Dormagen, Deutschland 16 Relevanz von Abrasionen / Zähneputzen bei Erosionen Judith von Hinckeldey, Alexandra Tolle, Dr. Nadine Schlüter, Prof. Dr. Joachim Klimek, Prof. Dr. Carolina Ganß, Gießen, Deutschland 18 Bestimmung der relativen Dentinabrasion (RDA) Prof. Dr. Thomas Imfeld MBA, Zürich, Schweiz 20 RDA-Werte – Konsequenzen für die tägliche Praxis? Annette Schmidt, PD Dr. Christian R. Gernhardt, Halle-Wittenberg, Deutschland 23 Abrasivität von Zahnpasten und ihre klinische Bedeutung Prof. Dr. Christof Dörfer, Kiel, Deutschland 26 Europerio7 28 Ausgabe 2012 Dr. Reinhold Unterwurzacher Scientific Affairs Gebro Pharma PROPHYLAXEdialog Dentinhypersensibilität Das Phänomen Dentinhypersensibilität (DHS) in der zahnärztlichen Praxis Teil 1: Definition, Epidemiologie, Ätiologie und theoretische Grundlagen der DHS DDr. Ulrike Beier, Medizinische Universität Innsbruck, Österreich; PD Dr. Christian R. Gernhardt, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Deutschland Einleitung Dentinhypersensibilität (DHS) ist ein weit verbreitetes Erkrankungsbild in der zahnärztlichen Praxis. Bis zu einem Viertel unserer Patienten könnten unter den bisweilen starken Schmerzen, die sich in Folge der DHS ergeben, leiden. Diese Patienten klagen über temperaturempfindliche Zähne beim Trinken, der Nahrungsaufnahme und der Reinigung der Zähne. In einigen Fällen kommt es sogar zu Schmerzen bei der Atmung. Als Ursachen kommen vor allem der so genannte nichtkariogene Zahnhartsubstanzverlust als auch der parodontale Attachmentverlust in Betracht. Definition Charakterisiert wird die DHS als „kurzer, starker Schmerz bei thermischer, evaporativer, taktiler oder chemisch-osmotischer Reizung von freiliegenden Dentinkanälchen, dessen Entstehung nicht durch andere Defekte oder Krankheitsmechanismen erklärt werden kann“ (Addy & Dowell 1986; Orchardson & Collins 1987). Freiliegende Dentinflächen sind somit eine Grundvoraussetzung für die Entstehung der DHS. Kariöse Läsionen Pulpitische Beschwerden Defekte oder frakturierte Füllungen Parodontale Erkrankungen Insuffiziente Passung von laborgefertigten Restaurationen Schmelz-Dentin-Frakturen Risse bei stark restaurierten Zähnen Schliff-Facetten Postoperative Schmerzen nach restaurativer Therapie Falsch platzierte parapulpäre Stifte Orofaziale Schmerzen anderer Genese Tab. 1: Mögliche differenzialdiagnostische Ursachen, die vor der Diagnose DHS abgeklärt werden müssen PROPHYLAXEdialog Ähnliche Symptome können aber auch durch kariöse Läsionen, insuffiziente Restaurationen wie defekte oder frakturierte Füllungen oder durch mangelhafte Passung von laborgefertigten Restaurationen (Inlays, Kronen, Brücken) ausgelöst werden (Porto et al. 2009). Des weiteren müssen auch pathologische Faktoren wie Schmelz-Dentin-Frakturen, Risse bei stark restaurierten Zähnen, „Cracked tooth syndrome“, SchliffFacetten, postoperative Beschwerden nach Füllungstechniken oder falsch platzierte parapulpäre Stifte als Differenzialdiagnose ausgeschlossen werden (siehe Tab. 1). Allgemein gilt für die reizinduzierten Symptome der DHS, dass die Beschwerden zeitlich begrenzt sind und wieder abklingen, was sie von pulpitischen Beschwerden unterscheidet. Epidemiologie Die Angaben zur durchschnittlichen Verbreitung der DHS in der Bevölkerung variieren stark, sie liegen in der Fachliteratur bei Angaben zwischen 8 und 57 % (Dababneh et al. 1999). Bei der isolierten Betrachtung von Parodontalpatienten wird sogar eine Prävalenz von 72,5 bis zu 98 % angegeben (Chabanski et al. 1997). Die stark unterschiedlichen Studienbedingungen bei den zugehörigen Untersuchungen sind hierfür verantwortlich; so werden reine Fragebogenuntersuchungen mit detaillierten klinischen Studien verglichen. Des weiteren basieren einige Studien auf reinen Fragebogenuntersuchungen ohne klinische Untersuchung der Patienten. In diesen Fällen kann es natürlich zu einer Verfälschung der Ergebnisse kommen, weil auch Antworten von Patienten möglich sind, die eher einer Differenzialdiagnose zuzuordnen wären (siehe Tab. 1). Bei der Betrachtung unterschiedlicher Studienpopulationen zeigen sich verschiedene Häufigkeiten der DHS, hingegen ergibt sich bei einheitlichem Studiendesign eine durchschnittliche Prävalenz von 15 % bis 25 % (Flynn et al. 1985; Fischer et al. 1992; Graf & von Galasse 1977). Das entspricht ungefähr jedem 4. bis 7. Erwachsenen (Dowell & Addy 1983). Die Anzahl von Patienten mit DHS ist im Alter von 20 bis 40 Jahren am größten, der Höhepunkt ist in der Literatur gegen Ende des dritten Lebensjahrzehnts angegeben (Addy & Pearce 1994). Ab dem 40. Lebensjahr kommt es aufgrund physiologischer Sekundärdentinbildung zu einer Reduktion der Dentinpermea- Ausgabe 2012 30 Dentinhypersensibilität bilität und somit zur Abnahme der Empfindlichkeit (Brodowski & Imfeld 2003). Auch Zellzahl, nervliche Versorgung und Durchblutung der Pulpa nehmen im Alter immer weiter ab, so dass die Zahnpulpa schmerzunempfindlicher wird (Trowbridge 1986). Frauen sind im Allgemeinen häufiger betroffen als Männer, was auf ein gesteigertes Gesundheitsbewusstsein zurückgeführt werden kann (Addy 1990). Der Oberkiefer ist häufiger betroffen als der Unterkiefer. Dies wird mit der grazileren vestibulären Knochenstruktur in Verbindung gebracht, die bei entsprechender Ätiologie schneller als im Unterkiefer zu Rezessionen führt. Auch ist die linke Kieferseite häufiger betroffen als die rechte. Als Erklärung hierfür wird angenommen, dass der Großteil unserer Patienten Rechtshänder ist und damit beim Putzen der linken Kieferseite mehr Druck und Zeit aufwendet. Bei der Betrachtung der einzelnen Zähne wurde festgestellt, dass Eckzähne am häufigsten betroffen sind, was durch die dominierenden Bukkalflächen begründet wird (Orchardson & Collins 1987; Brodowski & Imfeld 2003; Addy & Mostafa 1987). hartsubstanzen (Dentin) unter Anwendung falscher Putztechniken und abrasiver Zahnpasten. Im Falle des Zahnschmelzes ist dies meist nur in Kombination mit erosiven Einflüssen möglich (Abb. 1). Generell geht man davon aus, dass durch das gesteigerte Mundgesundheitsbewusstsein und kontinuierliche Prophylaxemaßnahmen die Anzahl von Patienten mit DHS in den nächsten Jahren noch zunehmen wird (Dababneh 1999). Die Abrasivität der Schleifstoffe in den Zahnpasten ist ausschlaggebend für deren Wirkung: die Entfernung des exogenen Zahnoberhäutchens, welches wiederum Voraussetzung für die Bakterienanheftung und Verfärbungen ist, aber auch eine mögliche Ursache für auftretende Abrasionen (Levitch et al. 1994). Die heutzutage handelsüblichen Zahnpasten besitzen im Allgemeinen Abrasionswerte, die den kritischen Grenzwert nach der „British Specification for Toothpastes“ nicht überschreiten. Aber sowohl die zu intensive Zahnpflege als auch die Kombination einer zu harten Zahnbürste mit einer abrasiven Zahnpasta kann zu einem Substanzabtrag im zervikalen Bereich führen (Hotz 1985; Barbakow et al. 1989). Besonders horizontale Bürstbewegungen mit hohem Anpressdruck können im zervikalen Bereich die Ursache für Zahnhartsubstanzdefekte sein (Gross et al. 1996). DHS tritt häufig auf: zwischen dem 20. und 40. Lebensjahr Höhepunkt Ende des 3. Lebensjahrzehnts Frauen > Männer Oberkiefer > Unterkiefer linke Kieferseite > rechte Kieferseite an Eckzähnen Tab. 2: Auftreten der DHS Ätiologie Es können einer oder mehrere der folgenden ätiologischen Faktoren bei der Entwicklung der nicht-kariogenen Dentinexposition und damit bei der Freilegung der Dentintubuli eine Rolle spielen: W Attrition W Abrasion W Erosion W Abfraktion W Verlust an Attachment Attritionen entstehen durch die okklusale Abnutzung bei Zahnkontakt wie Kauen und Bruxismus. Freiliegende Zahnhälse sind häufig die Folge von Abrasionen durch mechanische Abtragung von Zahn- 04 Ausgabe 2012 Abb. 1: Freiliegende Dentinoberflächen in Folge abrasiver Veränderungen Erste Anzeichen hierfür sind häufig Gingivarezessionen im Eckzahn- und Prämolarenbereich, die aufgrund der schmalen angewachsenen Gingiva sowie einer nur dünnen bedeckenden Knochenlamelle hierfür prädestiniert sind (Yaacob & Park 1990). Eine Folge hiervon ist der Verlust der dünnen Zementschicht über der entblößten Wurzeloberfläche innerhalb kurzer Zeit (Mellberg & Sanchez 1986) und die Exposition der Dentinoberfläche. Abrasionen im interdentalen Bereich können auch durch den exzessiven Gebrauch von Interdentalbürstchen, Zahnseide oder Zahnhölzern verursacht werden, die sich klinisch als glatte konkave Vertiefung darstellen. Erosionen werden durch diätetische oder endogene (z.B. Regurgitation von Magensäure) Säuren hervorgerufen (Attin 2006; ten Cate & Imfeld 1996; Attin et al. 2005). Sie zeigen sich als flache unverfärbte Vertiefungen, meist an oralen und vestibulären Zahnflächen. Dies kann bei entsprechend langer Einwirkungszeit der ätiologischen Faktoren zur vollständigen Entfernung des Zahnschmelzes führen, so dass schließlich Dentinoberflächen freiliegen (Abb. 2). PROPHYLAXEdialog Dentinhypersensibilität Des Weiteren können an Zahnersatz befindliche Klammern oder Prothesenränder Ursachen für freiliegende Wurzeloberflächen sein. Denkbar sind auch Fenestrierung, Dehiszenz der vestibulären Knochenlamelle und die dadurch bedingte Entstehung von Gingivarezessionen durch kieferorthopädische Zahnbewegungen. Theoretische Grundlagen Abb. 2: Massive erosive Zahnschädigung. Ansicht von palatinal. Bei Defekten durch falsche Zahnputztechnik wird ein zusätzlicher Einfluss von säurehaltigen Nahrungsmitteln und Getränken auf das Erscheinungsbild angenommen (Eccles & Jenkins 1974). Zahnhartsubstanzverluste sind nach Säureeinwirkung ausgeprägter, und die Zahl der offenen Dentinkanälchen steigt an, wie rasterelektronenmikroskopische Untersuchungen zeigten (Absi et al. 1992). Abfraktionen (keilförmige Defekte) sind ein häufiger klinischer Befund im zervikalen Bereich bei älteren Patienten (Brady & Woody 1977; Graehn et al. 1991). Auch diese Form des nicht-kariösen Zahnhartsubstanzdefekts kann zu freiliegenden Dentinoberflächen und damit verbundener Hypersensibilität führen. Die ursächlichen Faktoren, die zum Erscheinungsbild des keilförmigen Defekts führen, sind aber bisher noch nicht vollständig geklärt. Es wird vermutet, dass es durch okklusale Überbelastungen zu Mikrofrakturen im zervikalen Bereich kommt, die im weiteren Verlauf auch durch den Einfluss des Zähneputzens zu einem Herauslösen von Zahnhartsubstanz führen (Brady & Woody 1977; Lee & Eakle 1996). Die Prävalenz der keilförmigen Defekte wird mit 5 bis 50 % angegeben, wobei eine Zunahme der Anzahl mit steigendem Alter zu beobachten ist (Brady & Woody 1977; Graehn et al. 1991). Klinisch ist der keilförmige Defekt an den vestibulären Flächen lokalisiert und imponiert durch seine scharfkantige Begrenzung. Denudierte Dentinoberflächen können auch aus dem Verlust an parodontalem Attachment resultieren. Da die exponierte Wurzelzementschicht aufgrund ihrer geringen Säureresistenz schnell verloren geht, liegt das darunter liegende Dentin frei und ist somit den schmerzauslösenden Noxen ausgesetzt. Neben der bereits beschriebenen inadäquaten Durchführung der Mundhygiene (Zahnputzdefekte) sind auch iatrogene Ursachen wie Parodontalbehandlungen (Scaling, parodontal-chirurgische Eingriffe etc.), akute oder chronische parodontale Erkrankungen, wie auch Traumata mögliche Ursachen (Dowell & Addy 1983). Ergebnisse von Studien mit parodontal behandelten Patienten konnten eine positive Korrelation zwischen Dentinhypersensibilität und einer durchgeführten Parodontalbehandlung nachweisen (Wallace & Bissada 1990). Die Prävalenz der Dentinüberempfindlichkeit ist bei Patienten mit parodontaler Problematik deutlich höher als bei Patienten ohne parodontale Problematik (Chabanski et al. 1996). PROPHYLAXEdialog Aufbau des Dentins und Smear layer Das Dentin kann zeitlebens nachgebildet werden und ist im Gegensatz zum Schmelz ein vitales, weniger stark mineralisiertes Hartgewebe. Der anorganische Anteil besteht mit 70 Gewichtsprozent überwiegend aus Hydroxylapatit, 20 Gewichtsprozent sind organische Anteile, größtenteils kollagene Fasern und Odontoblastenfortsätze, der restliche Anteil ist Wasser. Die Zahnpulpa wird vom Dentin umgeben, mit der es eine funktionelle Einheit bildet. Das Dentin wird koronal vom Schmelz und im Wurzelbereich von Zement überzogen, der nach Lage und Aufbau koronal in azellulären, fibrillären Zement und weiter apikal und im Bi- bzw. Trifurkationsbereich in zellulär-fibrillären Zement eingeteilt wird (Schroeder 1987). Die von der Zahnpulpa zur Peripherie radiär verlaufenden Dentinkanälchen sind charakteristisch für das Dentin. Unterhalb der Pulpa-Dentin-Grenze liegen die Odontoblastenzellkörper, die mit ihren Fortsätzen diese flüssigkeitsgefüllten Dentintubuli zum Teil bis ins Manteldentin im Bereich der Schmelz-Zement-Grenze durchziehen. Im Dentinkanal befindet sich noch eine klare proteinhaltige Flüssigkeit, die auch als Dentinliquor bezeichnet wird, der einem leicht nach außen gerichteten Druck von ca. 25 bis 30 mm Hg-Säule unterliegt (Mitchem & Gronas 1991). Anzahl und Durchmesser der Dentinkanälchen nehmen von der Pulpa zur Schmelz-Dentin-Grenze ab (Mjor & Nordahl 1996; Marshall et al. 1997), wie auch die Anzahl der Tubuli von koronal nach apikal abnimmt. So befinden sich im Bereich der Pulpa-Dentin-Grenze ca. 45.000 bis 65.000 pro mm2 mit einem Durchmesser von 2 bis 4 µm, was einem Anteil der Kanälchen im pulpenumgebenden Dentin von ca. 80 % entspricht (Mjor 1979; Garberoglio & Brännström 1976). Bis zur Schmelz-Dentin-Grenze verringert sich der Durchmesser der Kanälchen auf ca. 1 µm, und die Gesamtanzahl reduziert sich auf 16.000 bis 20.000 pro mm2. Der prozentuale Anteil in diesem Bereich macht daher nur noch etwa 4 % aus (Marshall et al. 1997). Das Dentin entsteht aus der Zahnpapille und ist entwicklungsgeschichtlich ektodermaler Herkunft. Es wird während der gesamten Lebensdauer eines Zahns gebildet. Chronologisch unterscheidet man folgende Dentinformen: W Primärdentin ist das Dentin, das bis zum Abschluss des Wurzelwachstums gebildet wird. W Sekundärdentin ist das unter physiologischen Bedingungen angelagerte Dentin nach Abschluss des Wurzelwachstums. Ausgabe 2012 50 Dentinhypersensibilität W Tertiärdentin wird aufgrund äußerer Einwirkungen (Attrition, Karies, Präparation, Trauma, Erosion) als Resultat der Abwehrleistung der Pulpa gebildet (früher Reizdentin). Sensibles Dentin zeigt mehr eröffnete und größere Tubulidurchmesser (Pashley 1992). Aufgrund der Geometrie kommt es bei einer Verdopplung des Tubulusdurchmessers zu einer 16-fachen Verschiebung der Tubulusflüssigkeit (Garberoglio & Brännström 1976). Die Smear layer entsteht nach mechanischer Bearbeitung des Dentins mit Hand- oder rotierenden Instrumenten und ist eine Hydroxylapatitkristalle und partiell denaturiertes Kollagen enthaltende Schleifstaub-/Schmierschicht (Pashley 1984; 1992). Die Schichtstärke der Schmierschicht wird mit 1 bis zu 5 µm angegeben. Die Smear layer verbindet sich mit dem darunterliegenden Dentin so fest, dass ein Abwischen oder Absprühen mit Wasserspray nicht möglich ist (Brännström 1984; Pashley et al. 1993). Die in die Dentinkanälchen eindringende Schmierschicht wird folglich als so genannte „smear plugs“, die eine durchschnittliche Länge von 1 bis 2 µm aufweisen, bezeichnet. Sie können auch über 10 µm tief in die Kanälchen hineinragen (Heymann & Bayne 1993; Pashley 1990). Sie funktionieren als biologischer Wundverband, da sie auf diese Weise den Flüssigkeitsfluss in den Dentintubuli reduzieren, was zu einer Reduktion der Permeabilität von bis zu 86 % führt und die Pulpa vor externen Reizen schützt (Pashley 1992). Dieser biologische Schutz ist leider nur zeitlich begrenzt vorhanden, weil die Smear layer nicht säure- und hydrolysestabil ist (Nakabayashi & Bonding 1996). Theorien der Reizleitung im Dentin Es existieren drei anerkannte Theorien zur Reizleitung im Dentin, die sich in der Annahme der Art des Rezeptors unterscheiden: W Hydrodynamische Theorie nach Brännström (Brännström 1963) W Direkte Konduktionstheorie (Byers & Dong 1983; La Fleche et al. 1985) W Transduktionstheorie (Byers & Dong 1983) Allen Theorien der Reizleitung im Dentin ist gemeinsam, dass sie sich auf eine laminare Strömung innerhalb der Dentinkanälchen als Teil des Übertragungsmechanismus stützen. Die daraus resultierende Erregung der Nervendigungen und Weiterleitung ins ZNS mit der Empfindung Schmerz konnte aber bis heute nicht eindeutig geklärt werden (Addy & West 1994; Gillam 1995). Bei einer ausgelösten Schmerzempfindung erfolgt als lokale Antwort eine Hyperämie der Zahnpulpa (Mehrdurchblutung bis 30 %) (Andersen et al. 1994), die bis zu einer halben Stunde anhalten kann (Edwall et al. 1987). Als Schutzmechanismus, ausgelöst durch die Extravasation, wird der Auswärtsstrom der Tubulusflüssigkeit in den Dentinkanälchen erhöht. 06 Ausgabe 2012 Die populärste Theorie ist die hydrodynamische Theorie nach Brännström (1963; 1986; Brännström & Astrom 1972; Brännström et al. 1969). Thermische und osmotische Reize bewirken eine Änderung der Flüssigkeitsströmung in den Dentinkanälchen und erzeugen somit eine Hydrodynamik innerhalb der Dentintubuli. Durch die Hydrodynamik kommt es zu einer Bewegung der Odontoblastenfortsätze und Erregung der sie umgebenden freien Nervendigungen. Unter physiologischen Bedingungen ist ein langsamer Auswärtsfluss des Dentinliquors in den Dentintubuli zu verzeichnen (Mitchem & Gronas 1991), da in der Pulpahöhle ein erhöhter Druck herrscht. Kälte kontrahiert die Tubulusflüssigkeit und erzeugt somit einen erhöhten Auswärtsstrom, der Schmerzen zur Folge hat. Hitze hingegen erzeugt einen zur Pulpa gerichteten Flüssigkeitsstrom und löst meist nur schwache oder kaum wahrnehmbare Schmerzen aus. Die direkte Konduktionstheorie geht von einer direkten Nervstimulation innerhalb der Dentinkanälchen aus. Nervenfasern werden durch die hydrodynamischen Veränderungen selbst oder auch durch mechanische Irritationen erregt. Odontoblasten sind in diesem Modell weitgehend unbeteiligt. Die Theorie wird gestützt durch den Nachweis von Nervenfasern unter der Schmelz-Dentin-Grenze mit der Hilfe von Softfixierung (Byers & Dong 1983; La Fleche et al. 1985). Die Transduktionstheorie geht davon aus, dass der Odontoblast selbst als Rezeptor fungiert und nach entsprechender Reizung die hervorgerufene Erregung auf pulpennahe nachgeschaltete Nerven überträgt. Bisher konnten keine synaptischen Verbindungen, „tight“- oder „gap“-Junctions gefunden werden, daher ist der Übertragungsweg bisher unbekannt (Byers & Dong 1983). Ausblick Eine korrekte Diagnosestellung mit Ausschaltung aller differenzialdiagnostischen Möglichkeiten und die Kenntnis der ätiologischen und prädisponierenden Faktoren der DHS müssen für eine erfolgreiche Therapie vorhanden sein. Therapiemöglichkeiten stehen sowohl für die häusliche als auch für die professionelle Anwendung in der zahnärztlichen Praxis zur Verfügung. Teil 2 des Artikels – in der nächsten Ausgabe – beschäftigt sich ausführlich mit den unterschiedlichen Wirkmechanismen und individuellen Indikationen der Therapiemöglichkeiten für den zahnärztlichen Patienten. DDr. Ulrike Stephanie Beier Medizinische Universität Innsbruck Dept. Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde und Mund-, Kieferund Gesichtschirurgie, Universitätsklinik für Zahnersatz und Zahnerhaltung, MZA Anichstraße 35 . 6020 Innsbruck . Österreich PD Dr. Christian R. Gernhardt Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg Dept. Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde, Universitätspoliklinik für Zahnerhaltungskunde und Parodontologie Große Steinstraße 19 . 06108 Halle · Deutschland E-Mail: [email protected] PROPHYLAXEdialog Karies Kariesepidemiologie – Voraussetzung für die Bestimmung der Mundgesundheit und Nachweis über die Effektivität prophylaktischer Maßnahmen Prof. Dr. Annerose Borutta, Universitätsklinikum, Jena, Deutschland Einleitung Die Karies zählt neben den marginalen Parodontitiden zu den häufigsten Erkrankungen im orofazialen System. Epidemiologische Untersuchungen, vor allem wenn sie repräsentativ für eine bestimmte Region oder ein bestimmtes Land sind, liefern wertvolle Informationen über den aktuellen Mundgesundheitsstatus in der Bevölkerung und den daraus abzuleitenden Behandlungsbedarf. Andererseits dienen ihre Ergebnisse auch als Nachweis über die Effektivität durchgeführter präventiver und kurativer Maßnahmen. Repräsentative oralepidemiologische Untersuchungen werden in Deutschland seit 1989 mit den Deutschen Mundgesundheitsstudien (DMS) an Erwachsenen der Altersgruppen 35 bis 44 Jahre und 65 bis 74 Jahre sowie bei 12- und 15-Jährigen regelmäßig durchgeführt. Daneben führt die Deutsche Arbeitsgemeinschaft für Jugendzahnpflege (DAJ) seit 1994/1995 alle vier Jahre repräsentative Untersuchungen an Schulkindern durch, in denen seit 2004 die Altersgruppen 6 bis 7 Jahre, 12 Jahre und 15 Jahre erfasst werden. Methodisch orientieren sich beide Untersuchungen an den „Oral Health Surveys – Basic Methods“ (World Health Organisation (WHO) 1997). Definition epidemiologischer Grundbegriffe Basis für die Kariesepidemiologie ist der DMFTIndex. Dieser gibt die durchschnittliche Anzahl kariöser (DT), gefüllter (FT) und aus Kariesgründen extrahierter (MT) bleibender Zähne in der untersuchten Population an. Er wird getrennt für das Milch- und das bleibende Gebiss erhoben, wobei für die Milchzähne Kleinbuchstaben (dt, mt, ft) verwendet werden. Dabei handelt es sich bei den kariösen Stadien in jedem Falle um fortgeschrittene Dentinläsionen, die entweder noch nicht die Pulpa (D3) oder bereits die Pulpa (D4) erreicht haben. Neben der zahnbezogenen Befundung – wie von der WHO empfohlen –, bei der jeder Zahn nur eine Bewertung (ungünstigste) erhält, liefern flächenbezogene Erhebungen (dmfs/DMFS) eine exaktere Beschreibung, da hierbei für jede Zahnfläche (s/S) eines jeden Zahns der jeweilige Status (kariös, gefüllt oder extrahiert) angegeben wird. Noch präziser sind epidemiologische Untersuchungen, die kariöse Frühstadien im Sinn schmelzbegrenzter Läsionen (D1, D2) erfassen. PROPHYLAXEdialog Bislang haben sich mit Ausnahme der DMS-Studien in Deutschland Methoden zur Früherfassung kariöser Läsionen nur unzureichend durchgesetzt. Gerade die Erfassung solcher Frühstadien ist zeitgemäß und sollte sowohl bei den zahnärztlichen Vorsorgeuntersuchungen im Öffentlichen Gesundheitsdienst (ÖGD), bei den DAJ-Studien als auch in der zahnärztlichen Praxis Einzug finden. Epidemiologische Situation bei Kindern in Deutschland Seit Jahrzehnten geht aus epidemiologischen Untersuchungen ein allgemeiner Kariesrückgang („Caries decline“) in den Industrieländern hervor, der sich vor allem im bleibenden Gebiss von Kindern und Jugendlichen nachweisen lässt. Der 10-Jahres-Vergleich der DAJ-Studien macht deutlich, dass sich in Deutschland die Karies bei den 12-Jährigen im Zeitraum 1994 bis 2004 um 20 % (Niedersachsen) bis 70,4 % (BadenWürttemberg) reduziert hat. Ein Kariesrückgang wurde auch für das Milchgebiss dokumentiert, allerdings in deutlich geringerem Umfang mit Werten zwischen 10,6 % (Niedersachsen) und 35,5 % (MecklenburgVorpommern) (Pieper 2004; Deutsche Arbeitsgemeinschaft Jugendzahnpflege e.V. (DAJ), Bonn 2005). Konform mit der enormen Verbesserung in der Mundgesundheit im letzten Jahrzehnt wird eine starke Polarisierung der Karies beobachtet. Während die Mehrheit der Kinder und Jugendlichen über ein nahezu kariesfreies Gebiss verfügt, vereinen 10,2 % der 12-Jährigen 61,1% der Gesamtkarieserfahrung auf sich. Bei 26,8 % der 15-Jährigen wurden 79,2 % der Gesamtkaries dokumentiert (IDZ, Institut der Deutschen Zahnärzte (Hrsg.): Vierte Deutsche Mundgesundheitsstudie (DMS IV), Köln 2006). Häufig sind es soziale Faktoren wie unzureichende Bildung, niedriger sozioökonomischer Status und Migrationshintergrund, die eine regelmäßige, präventiv orientierte Inanspruchnahme zahnärztlicher Dienste limitieren. Das Prophylaxeteam sollte über ausreichende Kenntnisse des Kariesrisikos verfügen und Frühstadien der Karies erkennen. Letztere sind weißliche („White spot“) oder bräunliche Verfärbungen („Brown spot“), die bei Vorschul- und Schulkindern vor allem im Fissurenbereich der Molaren oder an den Zahnhälsen lokalisiert sind. Allerdings treten Frühstadien von Karies auch schon bei Kleinkindern kurz nach Durchbruch der ersten Milchzähne auf (Borutta et al. 2002; 2006). Sie sind zunächst an den Palatinal- und Labialflächen oberer Inzisivi lokalisiert. Bei Nichtbeachtung schreiten sie sehr Ausgabe 2012 70 Karies schnell voran und entwickeln sich zur Defektkaries mit Einbeziehung weiterer Zähne (Molaren, Eckzähne) bis hin zur völligen Zerstörung des Milchgebisses. Wegen ihres Schweregrades und ihrer hohen Verbreitung zwischen 7 % und 20 % (Splieth et al. 2009) hat sich die frühkindliche Karies in Deutschland zu einem „Public-Health-Problem“ entwickelt, das der dringenden Lösung bedarf. Für das Praxisteam bedeutet das, bereits die werdenden Mütter über die Risikofaktoren der frühkindlichen Karies aufzuklären und sie zu motivieren, ihre Kinder spätestens gegen Ende des ersten Lebensjahres erstmalig beim Zahnarzt vorzustellen. Motivation und Instruktion für eine zweckentsprechende Zahn- und Mundhygiene mit einer fluoridhaltigen Kinderzahnpasta sowie Empfehlungen für eine gesundheitsfördernde Ernährung sollten die Schwerpunkte der Beratung beim Erstbesuch sein. Stellen sich dennoch Frühstadien einer Karies ein, können weitere Fluoridierungsmaßnahmen helfen, eine Progression zu vermeiden. Bei Schulkindern ist eine regelmäßige präventive Betreuung notwendig, da insbesondere die neu durchgebrochenen bleibenden Zähne sehr kariesanfällig sind. Sie kann vom Zahnarzt und vom Prophylaxeteam durchgeführt werden und schließt vom 6. bis 18. Geburtstag Maßnahmen der Individualprophylaxe (IP I bis IP V) ein. Kariöse Frühläsionen können sich in allen Altersgruppen entwickeln. Nach dem Durchbruch aller bleibenden Zähne sind die Kontaktflächen besonders gefährdet, weshalb im Approximalbereich bei Jugendlichen (12 bis 18 Jahre) im Rahmen der Vorsorgeuntersuchungen intensiv nach Frühläsionen geschaut werden sollte. Die epidemiologischen Ergebnisse der DMS IV zeigten bei den 15-Jährigen zusätzlich zum DMFT von 1,8 2,1 Initialläsionen. Mehrheitlich (1,6 Läsionen) waren es aktive Läsionen, die bei Nichtbeachtung in eine Dentinkaries (D3, D4) übergehen können. Alarmierend ist dabei auch, dass die 15-Jährigen im Durchschnitt mehr als doppelt so viele Initialläsionen wie die 12-Jährigen (0,9 Läsionen) aufwiesen, mit einer mehr als dreifach höheren Anzahl aktiver (1,6 Läsionen) als inaktiver Läsionen (0,5 Läsionen) (IDZ: DMS IV, Köln 2006). Epidemiologische Situation im Erwachsenenalter Während im Kindes- und Jugendalter die Kariesanfälligkeit aufgrund verschiedener Faktoren sehr hoch ist, verringert sie sich zunehmend im Erwachsenenalter. Epidemiologischer Beweis dafür sind die Daten aus den DMS-Studien (IDZ: DMS IV, Köln 2006; IDZ: DMS III, Köln 1999). Erkennbar bleibt aber auch für diese Altersgruppe eine Polarisierung, die wie bei Jüngeren durch die soziale Schichtzugehörigkeit begründet ist. Auf knapp ein Viertel aller Erwachsenen entfielen alle kariösen Zähne, während die Übrigen ein kariessaniertes Gebiss hatten. Hinzu kamen 1,5 kariöse Frühläsionen, von denen 0,7 als aktiv galten bzw. bereits eine Schmelzkaries waren. 08 Ausgabe 2012 Die im Erwachsenenalter gehäuft auftretenden und mit dem Alter an Schweregrad zunehmenden Parodontalerkrankungen imponieren u.a. durch einen Rückgang der Gingiva, wodurch es zunehmend zu einer Freilegung des Zahnhalses und der Zahnwurzel kommt. Exponierte von Dentin bzw. Wurzelzement bedeckte Areale sind aber überaus kariesgefährdet, weshalb bei diesen Patienten die Gefahr einer Wurzelkaries besteht. Nach den aktuellen Ergebnissen der DMS IV (IDZ: Vierte Deutsche Mundgesundheitsstudie (DMS IV), Köln 2006) hat bereits etwa jeder fünfte 35- bis 44Jährige eine Wurzelkaries entwickelt mit einem Root Caries Index (RCI) (Katz et al. 1982) von 8,8. Innerhalb von acht Jahren hat sich die Häufigkeit der Wurzelkaries nahezu verdoppelt. Insofern liegt auch ein erhöhter Interventionsbedarf für die Prävention und Therapie vor. Die hinsichtlich ihrer Mundgesundheit heute noch am stärksten benachteiligte Altersgruppe ist die der Senioren (65 bis 74 Jahre). Gegenwärtig weisen sie einen DMFT-Wert von 22,1 aus, wobei durchschnittlich 14,1 extrahierte Zähne den Hauptanteil am DMFT ausmachen. Die Häufigkeit extrahierter Zähne steht mit der Schulbildung im Zusammenhang. Senioren mit höherer Schulbildung haben weniger extrahierte Zähne. Insgesamt haben die Senioren mit 53 % den höchsten Anteil an Approximalkaries, der damit nahezu doppelt so häufig ist wie bei den 12- (28,6 %) und 15-Jährigen (28,9 %). Mit der in Zukunft zu erwartenden rückläufigen Anzahl extrahierter Zähne steigt aber die Gefahr der Wurzelkaries. Fast jeder zweite Senior (45 %) hat bereits eine Wurzelkaries entwickelt. Es wurde aber nachgewiesen, dass bei kontrollierter Inanspruchnahme zahnärztlicher Dienste die Häufigkeit von Wurzelkaries eingeschränkt werden kann. Zusammenfassung Der Mundgesundheitsstatus, gemessen an Häufigkeit und Schweregrad der Karies, hat sich in den letzten 10 Jahren vor allem im Kindes- und Jugendalter stark verbessert. Um diese Situation zu erhalten, müssen die prophylaktischen Maßnahmen kontinuierlich weitergeführt werden. Im Rahmen der regelmäßigen Inanspruchnahme zahnärztlicher Dienste sollten bei allen Patienten kariöse Frühstadien beachtet und durch effektive Maßnahmen in ihrer Progression eingeschränkt werden. Die Kariesverbreitung im Erwachsenenalter ist ebenfalls rückläufig. Im Seniorenalter könnte es zu einer Häufung der Wurzelkaries kommen, die bereits heute im Erwachsenenalter imponiert. Künftige Präventionsstrategien sollten daher stärker auf die Vermeidung dieser Kariesform ausgerichtet werden. Prof. Dr. med. habil. Dr. h.c. Annerose Borutta Zentrum für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde Universitätsklinikum Jena WHO Kollaborationszentrum „Prävention oraler Erkrankungen“ Bachstraße 18 . 07743 Jena · Deutschland E-Mail: [email protected] PROPHYLAXEdialog Karies Wie geht man mit der ersten Karies bei Vorschulkindern um? Dr. Gert Stel, Universität Medical Center Groningen, Niederlande Frühes Auftreten von Zahnfäule; frühkindliche Karies (Early Childhood Caries, ECC) Der Kariesbefall kann mit dem Moment beginnen, in dem Milchzähne in die Mundhöhle durchbrechen. Es wurden viele Theorien aufgestellt, wie das Kind eine kariogene Mundflora erwerben kann, doch diese sind nicht überzeugend. Viele Wissenschaftler und Zahnärzte stimmen jedoch zu, dass eine ungünstige Kombination aus einer hohen Kohlenhydrataufnahme, einem niedrigen Mundhygieneniveau und dem Fehlen adäquater Präventivmaßnahmen (sowohl in der Zahnarztpraxis als auch zu Hause) zu rascher Verschlechterung der Mundgesundheit beiträgt. Da die frühen Anzeichen von Zahnkaries in der primären Dentition von den Eltern/ Erziehern des Kindes nicht immer bemerkt werden und die ersten Zahnarztbesuche normalerweise erst in einem späteren Alter stattfinden, wird das frühe Auftreten der kindlichen Karies häufig übersehen. Als Resultat individueller und gruppenbasierter Präventivmaßnahmen in den letzten Jahrzehnten in den Niederlanden hat die Mehrzahl der jungen Eltern einen zufriedenstellenden bis guten Gebisszustand. Dies gilt natürlich nicht automatisch auch für deren Kinder; viele Eltern neigen jedoch zu der Ansicht, dass ihr Mundhygieneverhalten keine negativen Auswirkungen auf die Mundgesundheit ihrer Kinder hat. region und/oder den Atemwegen. Eltern und Zahnärzte müssen ihre anamnestischen Fähigkeiten kombinieren, um festzustellen, ob das Kind ernsthafte dentale Probleme hat, die behandelt werden müssen, oder ob es andere, z.B. allgemeinmedizinische, Ursachen für Schmerzen und Beschwerden gibt. Schwierigkeiten beim Kauen können unterschiedliche Ursachen haben, z.B. eine nekrotische Pulpa in einem Milchmolaren oder eine sich entwickelnde Ohrinfektion. Eine weitergehende Untersuchung kann das zugrundeliegende Problem aufdecken. Ein interessantes Hilfsmittel kann die so genannte „dentale Ampel“ sein, die von Kollegen der ACTAZahnklinik in den Niederlanden entwickelt und validiert wurde. Dieses Tool basiert auf objektivem und validiertem Verhalten des Kindes. Es scheint, dass ein für die Eltern einfach festzustellendes Verhalten – wie etwa Weinen beim Essen, Weglegen von Süßigkeiten und die Hände nach dem Essen fest an die Wange halten – in Zusammenhang mit möglichen zahnbedingten Problemen steht. Die „Ampel“ zeigt an, dass frühe Anzeichen von einem Zahnarzt beurteilt und gegebenenfalls behandelt werden sollten. Zahnärztliche Behandlung von Initialkaries bis hin zu tiefen kariösen Läsionen ist nicht einfach Erster Zahnarztbesuch findet meistens nicht statt, bevor Karies intraoral sichtbar ist Forschungsarbeiten zeigen, dass viele Erstbesuche beim Zahnarzt mit umfangreicher restaurativer Arbeit oder noch schlimmer, mit der Extraktion von kariösen Milchmolaren enden. Das Kind hatte bislang keine Erfahrungen mit einem Zahnarzt und kann somit negativ auf die erste und/oder anschließende Behandlung reagieren. Karies im Milchgebiss, insbesondere in den Kontaktbereichen der Milchmolaren, entwickelt sich schnell, und in Entwicklung befindliche Approximalkaries ist klinisch schwer diagnostizierbar. Bei Vorliegen ungünstiger Ernährungsgewohnheiten und/oder schlechter Mundhygiene kann davon ausgegangen werden, dass bei Auftreten der ersten Anzeichen einer Demineralisation an einsehbaren Stellen die Approximalbereiche ebenfalls betroffen sind. In vielen Ländern (wie etwa in den Niederlanden) findet der erste Zahnarztbesuch eines Kindes im Vorschulalter dann statt, wenn es über Beschwerden im Mund klagt und/oder die Eltern eine deutlich sichtbare Verfärbung oder Kavität, meistens in der Molarenregion, bemerken. Es ist nicht immer eindeutig klar, ob die Beschwerden des Kindes ihren Ursprung in den Zähnen haben, da es in der frühen Kindheit viele Gründe für Beschwerden in der orofazialen Region gibt. Dazu gehören viele Arten von Infektionen in der Ohren- Da die beste Methode der Kariesdiagnostik immer noch die visuelle Inspektion, unterstützt durch Röntgenaufnahmen, ist, sollte bei regelmäßigen Untersuchungen der Mundhöhle mit besonderer Sorgfalt auf optimale Bedingungen für die Karieserkennung geachtet werden. Polieren der Zähne ergibt ein sauberes Gebiss, das bereit für die Inspektion ist. Es ist ratsam, die sichtbaren, kavitätenbildenden kariösen Läsionen auch röntgenologisch zu beurteilen. Wenn die Läsion tief ist, jedoch keine spontanen Schmerzen verursacht, PROPHYLAXEdialog Ausgabe 2012 90 Karies und wenn keine Anzeichen einer interradikulären Erkrankung vorliegen, kann ein eher konservativer Ansatz bei der Zahnbehandlung empfohlen werden. Nach Exkavation einer manifesten Karies kann eine indirekte Pulpaüberkappung die Therapie der Wahl sein. Das Belassen von infiziertem Dentin in der axialen Region einer tiefen Kavität kann nur akzeptiert werden, wenn es voraussichtlich möglich ist, ein gutes adhäsives Füllungsmaterial in korrekter Weise zu verwenden, um die präparierte Kavität zu versiegeln. Wenn dies der Fall ist, scheint das Belassen von infiziertem Dentin der Pulpa nicht zu schaden. Das erwähnte adhäsive Material kann ein Glasionomer oder ein Kompomer sein. Die Versiegelung ist der springende Punkt – und so ist eine gute periphere Haftung an den Kavitätenrändern absolut unverzichtbar. Selbstverständlich sollten die auf diese Weise behandelten Zähne sowohl klinisch als auch röntgenologisch sorgfältig überwacht werden. Achten auf Prävention im Vorschulalter Es wird allgemein angenommen, dass die Einstellung der Eltern zur Mundhygiene sehr viel zur Zahngesundheit ihrer Kinder beiträgt. Informationen über orale Erkrankungen und deren Prävention sind zwar leicht zugänglich; die betreuenden Zahnärzte wissen aber im Einzelfall nicht, ob das Wissen der Eltern ausreicht, um die restaurative oder präventive Betreuung sicherzustellen. Wenn Eltern über mehrere Informationsquellen verfügen, kann dies zu Unentschlossenheit und Konflikten führen. In einer kürzlich veröffentlichten Studie wurde angedeutet, dass Eltern, obwohl ihnen korrekte Informationen von Ärzten und/oder Zahnärzten gegeben wurden, diese in ein weniger günstiges zahnbezogenes Verhalten zu „übersetzen“ scheinen. Es ist ratsam, sowohl Eltern als auch Kinder bereits in frühem Alter in die Zahnarztpraxis einzuladen, um die Notwendigkeit und die vorteilhaften Auswirkungen präventiver Maßnahmen zu betonen. Natürlich sind schriftliche Informationen unverzichtbar, welche auf die spezielle Situation zugeschnitten sind und am Ende des Besuches ausgehändigt werden. Es sollten nicht nur die Ernährungsaspekte angesprochen werden, sondern auch die korrekte Anwendung von Fluoriden! Die Verwendung fluoridhaltiger Produkte zu Hause (Kinderzahnpasta mit angemessenen Konzentrationen von Fluorid mit 500 ppm in der Altersgruppe < 6 und 1.200 –1.400 ppm in den älteren Gruppen sowie bei Risikopatienten) und professionell applizierte topische Fluoride können zu einem besseren Zustand der (primären) Dentition des Kindes beitragen. Recall-Intervalle sollten individuell festgelegt und ein besonderer Schwerpunkt auf eine geeignete Mundhygiene gelegt werden. Wenn das Mundhygieneniveau zu sinken scheint, ist das Recall-Intervall entsprechend anzupassen. 10 Ausgabe 2012 Der Schwerpunkt des Zahnarztes sollte auf der Trias „Ernährung“, „Mundhygiene“ und „präventive Maßnahmen“ liegen. Da jeder dieser Faktoren zu einer Verhinderung von Karies beitragen kann, sollten alle von der Zahnarztpraxis beurteilt und bei Bedarf angegangen werden. Und dies nicht nur einmalig, sondern regelmäßig und individuell an die familiäre Situation des Kindes angepasst werden. In den Niederlanden hat die Organisation Ivory Cross kürzlich eine neue Empfehlung für Allgemeinzahnärzte herausgegeben, die alle drei Punkte enthält und sich auf individuell ausgerichtete Prävention konzentriert. Das Hauptziel der Zahnärzte sollte die frühestmögliche Beurteilung der Zahngesundheit von Klein- und Vorschulkindern sein, da die ersten Zeichen von ECC häufig übersehen oder fehlinterpretiert werden. Zusätzlich sollte eine individuelle Beurteilung des Kariesrisikos erfolgen, und präventive Maßnahmen sollten Ernährungsinformationen, individualisierte Empfehlungen zur Mundgesundheit sowie angemessene Prophylaxemaßnahmen umfassen. Zu Letzterem gehören häusliche Plaquekontrolle und die Verwendung fluoridhaltiger Zahnpasta. Wenn solche grundlegenden Maßnahmen offensichtlich weniger effektiv oder gar wirkungslos sein sollten, müsste eine intensivere Fluoridanwendung erfolgen. Dazu können professionell applizierte topische Fluoridlacke mit hohen FluoridKonzentrationen und/oder spezielle Produkte mit höherem Fluoridgehalt gehören. Es gibt viele unterschiedliche Meinungen über die benötigten Konzentrationen von Fluorid in diesen Produkten. Es kann jedoch davon ausgegangen werden, dass sich der Zahnarzt diesbezüglich im Allgemeinen auf die nationalen Richtlinien seiner Berufsorganisationen verlassen kann. Kooperation zwischen Ärzten und Zahnärzten Ganz allgemein hat ein Kind im Vorschulalter mehr Kontakte mit Ärzten als mit Zahnärzten. Um sicherzustellen, dass ein erhöhtes Kariesrisiko bei einem Kind auch von Ärzten festgestellt wird, sollte bei der Ausbildung von Allgemeinärzten mehr Betonung auf die Erkennung dentaler Anomalien und/oder potenzieller Probleme gelegt werden. Auf der anderen Seite könnten die zahnmedizinischen Lehrpläne auch mehr Zeit für die pädiatrische Medizin vorsehen. Als Resultat werden Zahnärzte potenzielle dentale Auswirkungen von Allgemeinerkrankungen und/oder medizinischen Interventionen durch Allgemeinärzte oder Kinderärzte besser verstehen. Dr. Gert Stel University Medical Center Groningen Center for Dentistry and Oral Hygiene Antonius Deusinglaan 1, FB 21 9713 AV Groningen · Niederlande E-Mail: [email protected] PROPHYLAXEdialog Mundgesundheit Hufeland-Preis ging an Zahnmediziner Auszeichnung für Prof. Dr. Klaus Pieper aus Marburg Für seine Präventionsstudie „Frühkindliche Gebisszerstörung – Ein neues Konzept der Prävention als Chancengleichheit für alle Kinder“ ist Prof. Dr. med. dent. Klaus Pieper, Direktor der Abteilung Kinderzahnheilkunde im Medizinischen Zentrum für Zahn-, Mundund Kieferheilkunde der Philipps-Universität Marburg, mit dem Hufeland-Preis ausgezeichnet worden. Die Erkenntnisse der zweijährigen Interventionsstudie zeigen auch Möglichkeiten auf, wie die frühkindliche Karies erfolgreicher bekämpft werden kann. So zeigte die Auswertung zum Beispiel, dass noch immer häufiges nächtliches Trinken zuckerhaltiger Getränke aus der Saugflasche entscheidend zur Entstehung einer frühkindlichen Karies beiträgt. Der Hufeland-Preis – benannt nach dem deutschen Mediziner Christoph Wilhelm Hufeland (1762 –1836) – ist der renommierteste Prophylaxepreis Deutschlands. Seit 1959 wird er jährlich für hervorragende wissenschaftliche Arbeiten auf dem Gebiet der Präventivmedizin verliehen. Dies ist in der Geschichte des Hufeland-Preises erst das vierte Mal, dass diese besondere Würdigung für ein Projekt aus der Zahnmedizin verliehen wird. Empfehlungen für eine angemessene Mundgesundheitsversorgung bei älteren Menschen im Pflegeheim Dr. Luc De Visschere, Prof. Dr. Jacques Vanobbergen, Universität Gent, Belgien Begründung Die proportionale Zunahme des Anteils älterer Menschen in der Bevölkerung ist mit Sicherheit einer der wichtigsten Prozesse in der jüngsten Entwicklung unserer Gesellschaft. Die Lebensqualität eines erheblichen Anteils älterer Menschen gibt Anlass zu großer Sorge, insbesondere mit Hinblick auf die Mundgesundheit. Die gesellschaftliche Gruppe der älteren Menschen ist durch eine enorme Diversität gekennzeichnet. Bei älteren Erwachsenen zeigt sich eine komplexe Kombination und Exprimierung individueller genetischer Prädispositionen, Lebensweisen, Sozialisation und Umfelder, Wohlstand und Bildung. Insbesondere wird diese Diversität beim Gesundheitsstatus beobachtet, einschließlich der Mundgesundheit. Im Vergleich zu anderen Altersgruppen ist die Heterogenität bezüglich der funktionellen Abhängigkeit bei den über 65-Jährigen größer. Die wichtigsten der für diese Heterogenität verantwortlichen Faktoren sind die lebenslange Geschichte der Verhaltensmuster der Person, der kumulative Effekt von Risikofaktoren, die zunehmende Komorbidität und die damit eng verbundene Polypharmazie. Aufgrund der reziproken Auswirkungen der Allgemeingesundheit auf die Mundgesundheit ist es wichtig, dass beide so lange wie möglich in optimalem Zustand bleiben. Systemische Erkrankungen beeinträchtigen die Mundgesundheit und umgekehrt (Seymour et al. 2007; Rautemaa et al. 2007). PROPHYLAXEdialog Verschiedene Medikamente haben ebenfalls einen negativen Effekt auf die Mundgesundheit, etwa durch Induktion von Xerostomie, Hyposalivation, Schleimhautläsionen und gestörter Blutgerinnung (Chiancio 2004). Außerdem betreffen verschiedene Aspekte der Mundgesundheit die Lebensqualität und das Wohlbefinden (Tsakos et al. 2006; Kandelman et al. 2008; Marino et al. 2008). Die Mundgesundheit beeinflusst Kauvermögen, Nahrungsauswahl, Gewicht, Sprache, Geschmack, Hydrierung, Aussehen sowie psychosoziales Verhalten und ist dadurch nicht nur für die älteren Menschen selbst, sondern auch für ihre Verwandten und Gesundheitsdienstleister ein Thema (Nordenram et al. 1994; Nitschke & MŁller 2004; Ikebe et al. 2006). Der Schlüsselfaktor für die Realisation und Erhaltung einer guten Mundgesundheit ist die tägliche Mundhygiene mit Entfernung der oralen bakteriellen Plaque, die vor allem aus pathogenen gram-negativen Keimen besteht (Hancock & Newell 2000; Attin & Hornecker 2005). In den letzten Jahrzehnten führte eine signifikante Zunahme der Maßnahmen zur Mundgesundheitspflege zu einer bemerkenswerten Verbesserung der Mundgesundheit. Wenngleich ein großer Anteil von Patienten positive Auswirkungen durch einen eher präventiven Ansatz erfährt, der überwiegend auf selbst durchgeführter Pflege basiert, lassen sich Risikogruppen identifizieren, für die ein gezielterer Ansatz notwendig ist. Neben Zahnärzten und Dentalhygienikerinnen sind Krankenschwestern sehr wichtige Gesundheitsdienstleister bei Maßnahmen für die Mundgesundheit älterer Menschen und bei der Kontinuität der Versorgung für die am meisten pflegeabhängige Gruppe. Ausgabe 2012 11 Mundgesundheit Krankenschwestern werden häufig koordinierende, unterstützende und ausübende Aufgaben in der Mundgesundheitspflege zugewiesen (Boyle 1992; Wardh et al. 2000; Brady et al. 2006). Diese Kompetenzen erfordern genaue Kenntnisse, eine positive Einstellung und die richtigen Fähigkeiten. Viele quantitative und qualitative Umfragen zeigen fehlendes Wissen, mangelhafte Einstellung und Fähigkeiten, Zeitmangel, Personalknappheit sowie fehlende Kooperation der Heiminsassen als wichtige Hindernisse, die zu einer unzulänglichen Mundgesundheit bei institutionalisierten älteren Menschen führen, besonders bei denen mit Demenzsyndrom. Es besteht eine Diskrepanz zwischen dem Ziel des Pflegepersonals, die Mundgesundheit zu optimieren, und dem bei älteren Heimbewohnern beobachteten Mundhygieneniveau. Um diese Diskrepanz zu beseitigen und die Mundpflege zu optimieren, sollten bessere Einblicke in Aspekte gewonnen werden, die mit schlechter Mundhygiene und inadäquater Mundgesundheit verbunden sind. Dementsprechend müssen neue Strategien entwickelt werden, um eine optimale Mundgesundheit zu fördern. Die Einführung innovativer Pflegewege ist allgemein als komplexer Prozess anerkannt (Tannahill 1986). Die meisten Fachleute für die Verbesserung des Gesundheitswesens betonen die Wichtigkeit, sich gute Kenntnisse des Problems, der Zielgruppe, ihrer Umgebung sowie der Hindernisse für Veränderungen anzueignen, um effektivere Strategien für eine Veränderung zu entwickeln (Grol 1997; Rashidianet al. 2007: Shiffman et al. 2004). Wenn innovative Pflegewege beschritten werden sollen, ist es wichtig, Einblicke in Determinanten zu erhalten, die den gesamten Implementierungsprozess erleichtern oder behindern können (Grol & Wensing 2006). Das AMOR- und ABRIM-Projekt Implementierung einer Mundhygienerichtlinie und ABRIM eine überwachte Implementierung eines „Mundgesundheitspflegeprotokolls“, basierend auf Richtlinien, die von der Niederländischen Vereinigung von Pflegeheimärzten entwickelt wurden (De Visschere et al. 2010). Unterschiedliche Aspekte beider Projekte wurden durch quantitative Wirkungs- und qualitative Prozessevaluierungsmethoden beurteilt (van der Putten 2010; De Visschere et al. 2009; 2010). Die Intervention des AMOR-Projekts umfasste eine Einführungssitzung (1 h) mit dem Leiter der jeweiligen Institution zur Erklärung, Begründung und Durchführung des Interventionsverfahrens. Es folgte die Bestellung eingetragener Krankenschwestern als Organisatoren der Mundgesundheitspflege, verantwortlich für das Implementierungsverfahren auf ihrer Station. Des Weiteren umfasste sie eine Halbtagssitzung zur theoretischen und praktischen Schulung für alle ernannten Mundgesundheitskoordinatoren, die wiederum die anderen Krankenschwestern, Pflegehelfer oder Hilfspfleger schulen mussten (nach dem Prinzip „Ausbildung der Ausbilder“), eine orale Beurteilung aller Neuzugänge, durchzuführen von den geschulten Mundgesundheitskoordinatoren anhand neu entwickelter Beurteilungsformulare, einen „individualisierten Mundhygieneplan“, der von den geschulten Mundgesundheitskoordinatoren vorzubereiten war, unter Berücksichtigung der Mundgesundheitsbedürfnisse des Insassen gemäß der oralen Beurteilung, sowie den Grad der Abhängigkeit des Insassen. Das Mundhygieneprotokoll beschrieb klar und deutlich die Anweisungen für die Reinigung der Zähne, des Weichgewebes und der Prothesen sowie die Integration des „individualisierten Mundhygieneplans“ in die tägliche Pflege, durchzuführen von allen an der täglichen Pflege beteiligten Personen. In Flandern (Belgien) wurden zwei Projekte zur Förderung der Mundgesundheitspflege geplant und entwickelt: das AMOR1- und das ABRIM2-Projekt. Beide Projekte wurden von GABA International unterstützt. Beim AMOR-Projekt wurde die Implementierung zu Beginn des 5-Jahres-Implementierungszeitraums eingeführt und nur durch einen jährlichen Kontrolltermin zur Evaluierung der Auswirkungen unterstützt. Beim zweiten Versuch (ABRIM) wurde die Implementierung während eines Studienzeitraums von 6 Monaten aktiv überwacht. Diese Projekte zielten auf eine Verbesserung der Mundhygiene und eine Beeinflussung der Einstellung von Pflegepersonen gegenüber der Mundgesundheitspflege. AMOR beinhaltete eine nicht überwachte 1 Action Mouth Care in Older People in Nursing Homes (Aktion Mundpflege bei älteren Menschen in Pflegeheimen) 2 Actively Supervised Implementation of an „Oral Health-care Guideline“ (Aktiv überwachte Implementierung einer „Mundgesundheits-Pflegerichtlinie“) 12 Ausgabe 2012 Abb. 1: Untersuchungsarzt bei der Schulung eines Mundgesundheitspflegeteams (ABRIM-Projekt) Beim ABRIM-Projekt wurde ein Mundgesundheitspflegeteam aufgestellt, das aus einem Projektsupervisor auf Institutionsebene, mindestens zwei Mundgesundheitspflegeorganisatoren (Krankenschwestern oder Pflegehelfern) pro Station, einem Arzt und optional einem Beschäftigungs- oder Sprachtherapeuten bestand. PROPHYLAXEdialog Mundgesundheit Die Überwachung der Implementierung der Richtlinie wurde von einem Untersuchungsarzt (Erstautor) mit Unterstützung durch eine Dentalhygienikerin durchgeführt und enthielt die gleiche Intervention wie beim AMOR-Projekt. Zusätzlich wurden alle Materialien und Produkte für die Mundgesundheitspflege für jeden Insassen kostenlos zur Verfügung gestellt und alle 6 Wochen Überwachungstermine vom Untersuchungsarzt organisiert, mit einem Treffen von Projektsupervisor und Mundgesundheitspflegeorganisatoren, um den Implementierungsprozess sowie Überwachungsprobleme zu verfolgen. Nach 5 Jahren Implementierung (AMOR) reflektierten die Plaquewerte an Zähnen (> 1,5) und Prothesen (> 2) immer noch den großen Anteil gebrechlicher älterer Menschen, die nicht in der Lage waren, ihre Zähne oder Prothesen angemessen zu reinigen und die keinerlei Hilfestellung erhielten. Dessen ungeachtet blieb bei diesem quantitativen Ansatz ungeklärt, warum es den meisten Krankenschwestern und Pflegekräften nicht gelang, Mundhygiene bei Insassen durchzuführen. Es fanden sich wichtige Störfaktoren, die sowohl mit der Intervention (erklärende Variable) als auch den Mundhygienewerten (Ergebnis) in Zusammenhang standen. Die Kapazität des Pflegeheims und das Vorhandensein von Zahnpasta waren mit Prothesen-Plaquewerten korreliert, während der Grad der Abhängigkeit der Insassen und das Vorhandensein von Mundspülungen mit den Zahn-Plaquewerten in Zusammenhang standen. Das Problem der Mundhygiene war anscheinend so lange minimal, wie der Insasse in der Lage war, seine eigenen Zähne angemessen zu reinigen. Sobald der Heiminsasse jedoch anfälliger und pflegeabhängiger wurde, fiel die Mundhygiene der natürlichen Bezahnung schnell aus und musste von Pflegekräften übernommen werden. Trotzdem waren die Pflegekräfte allgemein in der Lage, die Prothesen der Insassen zu reinigen, jedoch nicht deren natürliches Gebiss, wie es beim Feedback in Einzelfällen berichtet wurde. Das Mundhygieneprotokoll wurde in einer echten Pflegeheimsituation implementiert. Folglich war es bei einigen Störfaktoren nicht einfach, sie zu kontrollieren; dazu gehörten die hohe Personalfluktuation sowie die Schwierigkeit, die Einhaltung des Protokolls innerhalb von Interventionspflegeheimen zu kontrollieren. Es wurde ein Neuheits- und Hawthorne-Effekt beobachtet, bei dem das neue Pflegeprotokoll zu einem anfänglichen Vorteil führte, der im Lauf der Zeit wieder verschwand. Andererseits profitierten im Rahmen des Hawthorne-Effekts sowohl die Interventions- als auch die Kontrollgruppen direkt oder indirekt von der Studienteilnahme. Die im ABRIM-Projekt gemessenen Baselinewerte von Prothesen- und Zahnplaque waren niedriger als beim AMOR-Projekt, was einen gewissen Fortschritt bezeugt. Nichtsdestoweniger wurden die Prothesen- und Zahnplaque durch die überwachte Implementierungsintervention verbessert, wenn auch mit geringerem Nutzen als erwartet. Die Intervention war am zufriedenstellendsten bei der Prothesenplaque, gefolgt von Zungen- und Zahnplaque. PROPHYLAXEdialog Ein hochsignifikanter Unterschied zeigte sich zwischen den verschiedenen Pflegeheimen für alle Plaquewerte. Die Variable „Institution“ war für fast alle Unterschiede bei den Hygienewerten während des Studienzeitraums verantwortlich. Außerdem könnte der Hawthorne- und/oder Neuheitseffekt einen positiven Einfluss auf die Hygienewerte gehabt haben, insbesondere bei Baseline. Dies wurde durch die Tendenz erklärt, bei der Teilnahme an einem Experiment bessere Leistungen zu erbringen, was zu einer kurzfristigen Verbesserung des jeweils interessanten Ergebnisses führt. Analyseunterschiede zwischen Interventions- und Kontrollgruppen führten außerdem zu der Annahme, dass individuelle Charakteristika der Institutionen die Ergebnisse beeinflusst hatten. Die Komplexität dieser Charakteristika erschwerte eine quantitative Analyse ihres Einflusses auf die verschiedenen Plaquewerte, was bei weiteren Forschungsarbeiten auf jeden Fall für den qualitativen Ansatz spricht. Abb. 2: Untersuchungsarzt bei Mundgesundheitspflegeschulung vor Ort (Zungenschaben) Überlegungen Die Implementierung eines Mundhygieneprotokolls erfüllte nicht alle Erwartungen. Die Plaquewerte bei der Nachkontrolle blieben in beiden Studien unbefriedigend, was die Schwierigkeit demonstriert, bei institutionalisierten älteren Menschen ein angemessenes Mundhygieneniveau herzustellen und zu erhalten. Beeinflussende Faktoren auf individueller und institutioneller Ebene wurden untersucht, um logische Erklärungen für diese enttäuschenden Ergebnisse zu finden. Quantitative Datenanalysen zeigten eindeutig, dass alle individuellen einflussnehmenden Faktoren durch die Institution überstimmt wurden, insbesondere in der ABRIM-Studie. Dieses Phänomen muss bei der Entwicklung künftiger Implementierungsstrategien berücksichtigt werden. Die qualitative Datenanalyse zeigte, dass das Mundhygieneprotokoll an sich von den Krankenschwestern gut angenommen wurde. Dies deutet darauf hin, dass das Mundhygieneprotokoll unter Berücksichtigung einiger notwendiger Anpassungen für die breitere Anwendung weitergegeben werden kann. Ausgabe 2012 13 Mundgesundheit Organisation Arbeitsbelastung Hohe Arbeitsbelastung Zeitmangel (Wochenende) Zeitpunkt der Mundgesundheitspflege Krankenschwestern Insassen Mundgesundheit Mundgesundheitspflege Aufmerksamkeit Wichtigkeit Grad der Abhängigkeit Mobilität Aktionen Reinigung von Zähnen/Prothesen* Selbsterfahrungsgesteuert* Palliativ Bewusstsein Priorität Sozialkontakt Kommunikation Teilzeitarbeit* Feedback Unfähigkeit Interne Wirkungsbeurteilung Mitarbeit Widerwille Stimmung Verachtung Kenntnisse & Fähigkeiten Kommunikation Festhalten an alten Gewohnheiten Aufklärung Mundgesundheitspflege Einstellung Verantwortlichkeit Bewusstheit Empathie Wille Skepsis Machbarkeit Angst Nicht-Mitarbeit Fehlen von Mundgesundheitspflegemaßnahmen* Dankbarkeit Probleme Wahrnehmbarkeit* Kommunikation Ernsthaftigkeit der Konsequenzen Genauigkeit Schulung Implementierung Studienbeteiligung Kognition Selbstbestimmung * Einstellung zu Mundgesundheitspflege Negativ / Positiv Resignation Abscheu Vergesslichkeit Faulheit Sorglosigkeit Nachfragegesteuerte Mundgesundheitspflege Duldung* Verlassen auf andere Resignation Mangelndes Überlegen * Neue durch das ABRIM-Projekt aufgezeigte Hindernisse, Kursivschrift zeigt Inkonsistenz zwischen Befragten an. Abb. 3: Klassifizierungsmodell von hemmenden und fördernden Faktoren für die Integration von Mundgesundheitspflege in die tägliche Pflege 14 Ausgabe 2012 PROPHYLAXEdialog Mundgesundheit Es sind zusätzliche Nachweise aus weiteren Forschungsarbeiten notwendig, um Ratschläge zur Mundhygiene zu untermauern und deren weitverbreitete klinische Anwendung zu unterstützen. Auf der anderen Seite waren offensichtlich einige Teile des Implementierungsverfahrens unzulänglich und inadäquat durchgeführt worden. Zwei wichtige Versäumnisse waren die unzureichende interne Schulung von Krankenschwestern und Pflegehelfern sowie der Widerstand gegen die regelmäßige interne Wirkungsbeurteilung durch Offenlegungsverfahren. Empfehlungen Unter Berücksichtigung der Ergebnisse des AMORund ABRIM-Projekts können einige Empfehlungen zur Unterstützung von Pflegeheimen gegeben werden, die mit der Implementierung eines Mundhygieneprotokolls beginnen möchten. Vor Beginn der Implementierung eines Mundgesundheitsprotokolls müssen die Einstellung zur und die Wahrnehmung der Mundgesundheit von Krankenschwestern auf Stationsebene beurteilt werden. Die Beurteilung kann durch persönliche Gespräche mit offenen Fragen, basierend auf dem Klassifizierungsmodell (siehe Abb. 3), erfolgen, um hemmende und fördernde Faktoren festzustellen. Anschließend sollten die erhaltenen Resultate die weiteren Implementierungsstrategien bestimmen, einschließlich Inhalt und Häufigkeit der theoretischen und praktischen Schulungssitzungen sowohl auf Institutions- als auch Stationsebene. Aufklärungs- und Schulungssitzungen müssen zielgerichtet auf die beobachteten Einstellungen und Wahrnehmungen des mit der täglichen Pflege befassten Personals eingehen. Das Implementierungsverfahren muss von einer in Mundgesundheitspflege geschulten Person beaufsichtigt, aktiv geführt und kontinuierlich überwacht werden. Um diese Empfehlung zu erfüllen, wird dazu geraten, einen Zahnarzt oder Mundhygienespezialisten oder andere Hilfspersonen hinzuzuziehen. Interne Beurteilungen des Mundgesundheitszustands der Insassen sowie laufender Prozesse müssen regelmäßig durchgeführt werden, um den Fortschritt der Implementierung zu verfolgen. Eine zusätzliche externe Überwachung und Feedback durch einen Mundgesundheitsexperten werden empfohlen. Um die festgestellten Mundgesundheitsbedürfnisse der Insassen zu erfüllen, müssen neue Initiativen mit mobiler zahnärztlicher Ausrüstung realisiert werden, die die notwendige Mundgesundheitspflege liefern und die Implementierungsverfahren sowie die in den Pflegeheimen an der Mundgesundheit arbeitenden Pflegekräfte unterstützen. Dr. Luc De Visschere Universiteit Gent . Vakgroep Tandheelkunde Maatschappelijke Tandheelkunde De Pintelaan 185 · 9000 Gent · Belgien E-Mail: [email protected] PROPHYLAXEdialog Verleihung des ECGGABA-Preises 2011 Auszeichnung geht an Prof. Dr. Roeland De Moor (Belgien) und seine Forschungsgruppe für ihre Studie zu adhäsiven Versorgungen im Zahnhalsbereich Der ECG-GABA-Preis 2011 wurde während des Jahreskongresses des ECG (European College of Gerodontology) verliehen. Er ging an eine Autorengruppe im belgischen Gent. GABA als Spezialist für orale Prävention unterstützte den Preis mit 5.000 SFr. v.l.: Ariane Stengers (GABA) Prof. Dr. Roeland De Moor, Prof. Dr. Jacques Vanobbergen (Präsident der ECG) Die Gewinner, Prof. Dr. Roeland De Moor und sein Forschungsteam von der Universität Gent, erhielten den Preis für ihre Forschungsarbeit „Zwei Jahre Nachbeobachtung von adhäsiven Versorgungen im Zahnhalsbereich bei Xerostomie-Patienten nach Kopf- und Halsbestrahlung“. Prof. De Moor nahm den Preis entgegen und hielt einen beeindruckenden Vortrag mit vielen Detailbildern zu seiner Arbeit. Ziel der Studie war die Untersuchung des klinischen Abschneidens von Restaurationen der Klasse V mit Glasionomer (konventionell und kunstharzmodifiziert) und Kompositharz bei Xerostomie-Krebspatienten nach Kopf- und Halsbestrahlung hinsichtlich Randschluss, anatomischer Form und Kariesrezidiv. De Moor et al. kamen zu dem Ergebnis, dass moderne Glasionomerpräparate aufgrund ihrer höheren Abrasionsbeständigkeit und schlechteren Löslichkeit zwar einen besseren Erosionsschutz bieten, dies jedoch nicht bei Xerostomie gilt. Laut Gewinnerteam schützen Glasionomere besser vor Karies. Andererseits ist Kompositharz stabiler. Aufgrund der Ergebnisse dieser zweijährigen Nachbeobachtung werden für die Versorgung von Wurzelkarieskavitäten konventionelle Glasionomere empfohlen. Das European College of Gerodontology ist ein europäisches Expertengremium, das sich ausschließlich wissenschaftlichen Bestrebungen auf dem Gebiet der Gerodontologie widmet. Die Organisation fördert gerodontologische Zahnheilkunde und Verbreitung der Forschungsergebnisse innerhalb wie außerhalb Europas. Sie arbeitet mit ausländischen und einheimischen, landesweit agierenden wissenschaftlichen Organisationen, Fachgesellschaften und Unternehmen zusammen. Bei jeder Tagung gibt es die Möglichkeit, sich um den ECG-GABA-Preis zu bewerben, mit dem Arbeiten aus dem Gebiet der Gerodontologie ausgezeichnet werden. Weitere Informationen: www.epa2012.nl Ausgabe 2012 15 Erosion (Zahn-)Gesunde Ernährung – im Fokus: Saures! Dr. Gerta van Oost, Dormagen, Deutschland Gesunde Ernährung, gesunde Zähne?! Eine ausgewogene, die Leistungsfähigkeit erhaltende Ernährung enthält Getreideprodukte, Gemüse auch als Rohkost, frisches Obst, Milchprodukte, Fisch, Fleisch und Eier, Nüsse oder Samen, Öle und Getränke, vor allem Wasser. Die in den Lebensmitteln enthaltenen Nährstoffe wie Kohlenhydrate und Ballaststoffe, Fettund Aminosäuren, Mineralstoffe, Vitamine und sekundäre Pflanzenstoffe sind für Wachstum und Gesundheit des Körpers unabdingbar. Wasser und Getränke machen die Hälfte der gesamten Tagesverzehrmenge aus – und an heißen Sommertagen mit hohem Flüssigkeitsbedarf noch mehr. 1500 bis 2000 ml sollten es täglich sein. Unter den pflanzlichen Lebensmitteln spielen Vollkornprodukte, Gemüse und Obst eine überragende präventive Rolle. Bei den tierischen Lebensmitteln sind Milch, insbesondere Sauermilchprodukte wie Joghurt, Kefir und Dickmilch von großer gesundheitlicher Bedeutung. Fleisch, Fisch und Eier machen lediglich ca. 7% des Tagesverzehrs aus. Die tägliche Aufnahme empfehlenswerter Lebensmittel eines Erwachsenen könnte z.B. so aussehen: ca. 150 – 300 g Brot/Getreideprodukte, 150 – 250 g Kartoffeln/Reis/Nudeln, 650 – 800 g Gemüse und Obst, 250 – 300 g Milchprodukte, 100 –150 g Fleisch/Fisch/Ei, 25 – 45 g Öl bzw. Fett; insgesamt sind das 1500 bis 2000 g – ähnlich der Flüssigkeitsmenge. Die genannten Lebensmittel verspeisen wir in der Regel in Form von Mahlzeiten, meistens in drei Hauptund bis zu zwei Zwischenmahlzeiten. Die Zahl der Mahlzeiten ist abhängig von Alter, Körpergewicht, Berufstätigkeit, Freizeitgestaltung oder Erkrankungen. Drei Mahlzeiten pro Tag sind für gesunde Erwachsene ratsam – auch aus oralprophylaktischer Sicht. Kinder benötigen zusätzlich zwei Zwischenmahlzeiten. Zu jeder Mahlzeit gehört ein Glas Wasser. Haupt- und Zwischenmahlzeiten sollen überwiegend aus pflanzlichen Lebensmitteln bestehen. Eine Sättigungsbeilage wie Brot, Kartoffeln, Reis, Nudeln soll Bestandteil jeder Hauptmahlzeit sein. Empfehlenswerte Zwischenmahlzeiten sind (Frucht- oder Natur-)Joghurt, Äpfel, Nüsse oder ein belegtes Brot mit Käse. Süßes sollte die Ausnahme sein. Doch nicht alles, was für den Körper gesund ist, tut auch den Zähnen gut – vor allem, wenn falsche Ess- und Trinkgewohnheiten hinzukommen oder Diätfehler begangen werden. Hier gelten ein paar zusätzlich zu beachtende oralprophylaktische „Spielregeln“. 16 Ausgabe 2012 Risikofaktor Säure Die tägliche Ration Obst und Gemüse gehört zu einem modernen, leistungsgerechten, aktiven Lebensstil. Eine leichte, vitamin- und nährstoffreiche Ernährung enthält Obst und Salate. Wenn jedoch Salate stets nur mit Fertigwürzen und Essig angemacht werden, fehlt nicht nur das ernährungsphysiologisch wichtige Öl, sondern die Mischung ist auch risikoreich für die Zahngesundheit. Zitrusfrüchte, klare essighaltige Salatsoßen, Säfte, Softdrinks, Lightgetränke – auch aromatisierte Mineralwässer mit niedrigem Kaloriengehalt – enthalten Säuren (s. Tab 1). Insbesondere Zitronen- und Phosphorsäure stellen ein ernstes Risiko für die Zahnoberfläche dar (vgl. Tab. 2). pH-Werte in Getränken Fruchtsäfte (z.B. Apfel-, Aprikosen-, Birnen-, Grapefruit-, Kirsch-, Orangen-, Traubensaft) Zitronensaft 3,0 bis 3,7 Gemüsesäfte (Karotten-, Tomatensaft) 4,0 bis 4,2 Limonaden 2,5 bis 3,5 Erfrischungsgetränke (z.B. Cola-Getränke, Limonaden, auch in „light“) 2,6 bis 3,0 Isotonische (Sport-)Getränke 3,0 bis 3,7 Aromatisierte Wässer (z.B. Mineralwasser mit Zitrone) ca. 3,3 Eistee 3,8 bis 3,9 Mineralwasser mit Kohlensäure ca. 5,5 Trinkwasser lt. Trinkwasserverordnung ca. 7,0 6,5 bis 9,5 Trinkmilch 6,6 bis 6,8 Schwarzer Tee 6,5 bis 7,0 Kaffee 5,2 bis 5,6 2,7 bis 3,0 Tab. 1: pH-Werte in Getränken Das erosive Potenzial von Lebensmitteln ist nicht nur von den in ihnen enthaltenen Säuren abhängig, sondern gleichermaßen von ihrem pH-Wert (je kleiner, desto höheres Erosionsrisiko), ihrer Pufferkapazität (je größer, desto höheres Erosionsrisiko) und der Konzentration von Calcium-/Phosphat-Ionen (je größer, desto geringeres Erosionsrisiko). Detaillierte Angaben über ausgewählte Lebensmittel und Medikamente sind in folgender Quelle einsehbar: Lussi et al.: Analysis of the erosive effect of different dietary substances and medications. Br J Nutr (2011). PROPHYLAXEdialog Erosion Säurehaltige Lebensmittel und Getränke Beispiele Maßgebliche geschmacksgebende Säure Erosives Potenzial Kernobst Apfel, Birne Apfelsäure ja Apfelsine, Pampelmuse Zitronensäure ja Tomate Möhre Rhabarber Zitronensäure Apfelsäure Zitronen-, Apfel-, Oxalsäure ja ja ja ja ja und entspr. Getränke Zitrusfrüchte und entspr. Getränke Gemüse und Gemüsesäfte Sauer eingelegte Gemüse Gewürzgurken Rote Bete Essigsäure Milchsäurevergorenes Gemüse Sauerkraut Milchsäure ja Essig Apfelessig Weinessig Essigsäure ja Sauermilchprodukte Joghurt Milchsäure Kefir, Dickmilch Süßigkeiten/ Süßwaren Saure Bonbons Zitronensäure Geleebonbons Weinsäure Weingummi Eistee Cola-Getränke Limonaden, Limonadenkonzentrat Energy- und Wellnessdrinks, Isotonische Sportgetränke Früchtetee Risikofaktor: häufiges Essen /Trinken Neben der falschen Auswahl von Nahrungsmitteln spielen Ernährungs- bzw. Trinkgewohnheiten und gestörtes Essverhalten eine erhebliche Rolle bei Zahnschäden. W Häufige Kleinmahlzeiten lassen den Zähnen keine Erholungspause. W In Schicht Arbeitende versuchen sich häufig über Colagetränke wach zu halten. W Jugendliche haben oft Softdrinks auf Schritt und Tritt dabei. W Snacks, Energieriegel und Erfrischungsgetränke sind ubiquitär über Automaten in den Arbeitsstätten verfügbar. W In etlichen Büros steht eine Schale mit Naschzeug – mitunter ein Ersatz für Hauptmahlzeiten. nein (hoher Calciumgehalt) Tagesprotokoll eines 17-Jährigen ja ja 07.15 Zitronensäure Phosphorsäure ja ja Zitronensäure ja Zitronensäure ja (Apfel-)Essigsäure ja ja Kombucha Brottrunk, Kwass Obstessig-Drink Zitronen-, Apfelsäure Milch-, Essigsäure Milchsäure Essigsäure Mineralwasser Kohlensäure 07.00 1 Zigarette 1 Dose Cola Arbeitsbeginn 10.00 Frühstückspause 1 Bounty 1 Fruchtjoghurt 1 Dose Limonade 1 Zigarette 12.30 Mittagspause 1 Portion Pommes 1 Bratwurst Ketchup und Mayonnaise 1 Dose Cola 1 Dose Limonade 1 Zigarette 14.30 Kaffeepause (und zwischendurch) 2 Zigaretten 2 Dosen Cola light 16.00 Arbeitsende ja ja ja nein (geringe Pufferkapazität) Saure Snacks, Drops oder Bonbons – über den Tag verteilt – greifen den Zahnschmelz an und erhöhen das Risiko für Karies und Erosionen. Zähneputzen 07.45 16.15 2 Butterbrote 2 Glas Apfelsaft 19.00 1 große Pizza 2 Glas Orangensaft 1 Glas Cola 3 Zigaretten 23.00 Bad, Zähneputzen, ins Bett Tab. 2: Säurehaltige Lebensmittel und ihre maßgeblichen Säuren PROPHYLAXEdialog Aufstehen Ausgabe 2012 17 Erosion Tipps vom Ernährungsprofi Wie könnte die Alternative aussehen? Welche Nahrungsmittel sind gesund, genussvoll und unbedenklich für die Zähne? Mahlzeiten Das von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) propagierte Motto „5 am Tag“ sollte generell ein Ziel für jeden sein. Fünf Portionen Gemüse und Obst am Tag – wobei Saures mit Vorsicht zu genießen ist – werden entweder auf drei Mahlzeiten verteilt oder dienen als Rohkost/Frischobst für zwischendurch. Getränke Grundsätzlich gilt: Leitungswasser ist aus allgemeinund zahngesundheitlicher Sicht das wichtigste und sicherste Getränk. Kaffee und (grüner oder schwarzer) Tee in Maßen tragen ebenso zur Deckung des Flüssigkeitsbedarfs bei. Oralprophylaktisch ebenso unbedenklich sind Kräutertees; vereinzelte Früchtetees, wie z.B. Hagebuttentee, dagegen können extrem sauer sein. Sportgetränke sind, wie auch spezielle Sportlernahrung, nur für Leistungssportler wirklich sinnvoll. Sind Getränke hauptverantwortlich für den säurebedingten Zahnschmelzverlust, so hilft oft schon eine einfache Umstellung der Trinkgewohnheiten. Säfte und Erfrischungsgetränke, so erfrischend sie sein mögen, sollten Sie wegen ihres sauren pH-Werts nicht über den Tag verteilt – immer wieder mal einen Schluck – konsumieren, vor allem dann nicht, wenn sie zusätzlich Zucker enthalten. Dies stellt für die Zähne jedes Mal eine Säure- und Kariesattacke dar! Handelsüblicher Fruchtsaft kann 5- bis 8-mal erosiver sein als die entsprechende Originalfrucht. Saure Getränke genießen Sie besser zu den Mahlzeiten. Am besten kombinieren Sie Saures mit schützenden, neutralisierenden Milchprodukten, z.B. eine Quarkspeise als Nachtisch oder ein Stück Käse zum Abschluss. Kauaktive Nahrung bevorzugen Alles, was gut gekaut werden muss, regt den Speichelfluss an und ist von Vorteil. Deshalb ist ein Apfel zwischendurch kein Problem für die Zähne; und erst recht eignen sich Rohkost wie Karotten, Kohlrabi oder Paprika. Mit Nüssen oder Käse sind Sie ebenso gut bedient. Setzen Sie reichlich knackige, kauaktive Nahrungsmittel auf Ihren Speiseplan – sowohl zu den Mahlzeiten als auch, wenn nötig, als Zwischenmahlzeit. Dr. Gerta van Oost Meerbuscher Straße 45a · 41540 Dormagen · Deutschland Ernährungsmedizinische Kommunikation und Beratung Relevanz von Abrasionen/Zähneputzen bei Erosionen Anforderungen an eine passende Zahnpasta Judith von Hinckeldey, Alexandra Tolle, Dr. Nadine Schlüter, Prof. Dr. Joachim Klimek, Prof. Dr. Carolina Ganß, Justus-Liebig-Universität Gießen, Deutschland Dentale Erosionen entstehen durch die direkte Einwirkung von Säuren auf Zahnoberflächen ohne Beteiligung von Mikroorganismen (Abb. 1). Abb. 1: Klinisches Erscheinungsbild von Erosionen. Der Defekt ist in der Ausdehnung breiter als tief, muldenförmig und matt. Typisch ist der intakte Schmelzrand entlang der Gingiva. 18 Ausgabe 2012 Durch die chronische Säureexposition kommt es zu einem Mineralverlust, der von außen nach innen fortschreitet. Bei initialen kariösen Läsionen ist die Zone des größten Mineralverlustes unterhalb einer pseudointakten Oberflächenschicht lokalisiert. Durch diese strukturellen Gegebenheiten ist eine Remineralisation einer solchen Läsion prinzipiell möglich. Auf der erosiv veränderten Zahnoberfläche sind dagegen zwar mineralische Präzipitationen denkbar, Remineralisationsprozesse im eigentlichen Sinn finden jedoch nicht statt. Oberflächlich verbleibt lediglich eine teilweise demineralisierte Schicht (Abb. 2) mit verringerter Mikrohärte (Lussi et al. 1995). Abb. 2: Histologisches Bild von erodiertem Schmelz. Die ultrastruktuellen Veränderungen sind mit dem klassischen Ätzmuster vergleichbar und gehen mit einer verminderten Oberflächenhärte einher (Meurman & Frank 1991). PROPHYLAXEdialog Erosion Die erodierte Zahnhartsubstanz ist somit weniger widerstandsfähig gegenüber mechanisch verursachten Substanzverlusten (Abrasion) als die nicht erosiv veränderte Zahnhartsubstanz. Die Basisversorgung mit Fluoriden zur Kariesprophylaxe erfolgt in Deutschland über fluoridhaltige Zahnpasten. Auch zur Erosionsprophylaxe ist die Zahnpastenfluoridierung bei moderaten alltäglichen Säureeinflüssen sicherlich meist ausreichend. Dennoch treten beispielsweise bei Personen mit vermehrten Säureexpositionen trotz dieser Basisversorgung klinisch manifeste Erosionen auf. Es stellt sich daher die Frage, welche Anforderungen an Zahnpasten für diese Personengruppe gestellt werden müssen. Die Eigenschaften von Zahnpasten lassen sich u.a. durch die Abrasivität sowie durch die enthaltenen Wirkstoffe unterscheiden. Die Abrasivität einer Zahnpaste auf gesundem Schmelz wird durch den REA-Wert beschrieben, der RDA-Wert ist ein Maß für die Abrasivität einer Zahnpaste auf gesundem Dentin. Beide korrelieren allerdings nicht miteinander und es ist unklar, inwieweit diese Werte für die Abrasivität auf erosiv veränderten Zahnhartsubstanzen sowohl unter Laborbedingungen als auch unter klinischen Bedingungen relevant sind. In einem Laborversuch zeigte sich, dass der erosivabrasive Substanzverlust im Schmelz durch den Zusatz von Abrasiva zu Zahnpasten zwar prinzipiell erhöht wird. Jedoch zeigten sich keine eindeutigen Unterschiede zwischen Zahnpasten mit mittlerem und hohem REA-Wert (Wiegand et al. 2008) bzw. für fluoridfreie Zahnpasten unterschiedlicher Abrasivität (Hara et al. 2009). Dentin hat insgesamt eine geringere Mikrohärte als Schmelz und ist somit grundsätzlich anfälliger für Abrasionen. In verschiedenen Studien zeigte sich für Dentin so auch ein Zusammenhang zwischen der Abrasivität der untersuchten Zahnpasten und der Höhe eines erosiv-abrasiv bedingten Substanzverlustes (Hooper at al. 2003; Wiegand et al. 2009). Daher sollte Patienten mit manifesten Erosionen mit freiliegendem Dentin von der Verwendung einer hochabrasiven Zahnpaste abgeraten werden. Neben Abrasiva enthalten Zahnpasten verschiedene Wirkstoffe, die unterschiedliche Effekte zeigen können. Herkömmliche fluoridhaltige Zahnpasten führen auf der Zahnoberfläche zu einer Ausfällung von CaF2ähnlichen Präzipitaten (Nelson et al. 1983; Øgaard 2001). Diese Auflagerungen sind unter erosiven Bedingungen relativ leicht säurelöslich und bieten nur bedingt Schutz vor erosiven Säureeinwirkungen (Ganß et al. 2007; Ganß et al. 2008). Eine zentrale Anforderung an eine geeignete antierosive Zahnpaste wäre daher, Beschichtungen auf der Zahnoberfläche zu etablieren, die unter erosiven und abrasiven Bedingungen stabiler als die CaF2-ähnlichen Präzipitate sind. Das könnte zum einen durch andere, säureresistentere mineralische Präzipitate, aber beispielsweise auch durch Biopolymere erzielt werden. PROPHYLAXEdialog Nach der Applikation von zinnhaltigen Mundhygieneprodukten können zinnreiche mineralische Niederschläge in Form von komplexen Zinn-Phosphat-Verbindungen auf der Zahnoberfläche nachgewiesen werden (Ganß et al. 2008; Schlüter et al. 2009). Diese sind deutlich weniger säurelöslich als CaF2-ähnliche Präzipitate (Babcock et al. 1978). Durch wiederholte Säureexpositionen kommt es zusätzlich durch komplexe Demineralisations- und Repräzipitationsvorgänge zur Einlagerung von schwer löslichen, zinnhaltigen Verbindungen in die äußeren Schichten der Zahnhartsubstanz (Schlüter et al. 2009). Für zinn- und fluoridhaltige Mundspüllösungen konnte daher eine den konventionellen Fluoriden überlegene Effektivität sowohl unter Labor- als auch unter Mundbedingungen nachgewiesen werden. Aber auch für Zahnpasten wurde eine im Vergleich zu einer konventionellen Fluoridzahnpaste bessere antierosive Wirksamkeit eines zinnfluoridhaltigen Testproduktes gezeigt (Hooper et al. 2007; Young et al. 2006). Einige Zahnpasten enthalten als Wirkstoff nanokristalline Formen von Hydroxylapatit. Diese sollen zu Präzipitaten und Remineralisationsprozessen auf der erodierten Zahnoberfläche führen und eine Reparatur der Zahnhartsubstanz erreichen. Hydroxylapatitpräzipitate sind allerdings bekanntermaßen unter sauren Bedingungen gut löslich. Zusätzlich gibt es keine Hinweise darauf, dass die nanokristallinen Formen in dieser Hinsicht andere Eigenschaften aufweisen. Deshalb ist ein nennenswerter erosionsprotektiver Effekt von Zahnpasten mit solchen Zusätzen unwahrscheinlich (Klimek et al. 2010). Die Erosivität von Säuren kann durch den Zusatz von Biopolymeren gesenkt werden (Barbour et al. 2005; Beyer et al. 2010), daher könnte die Anwendung von Biopolymeren in Zahnpasten ebenfalls eine Option zur Erhöhung der erosionsprotektiven Wirksamkeit darstellen. Erste Versuche zeigten, dass möglicherweise ein protektiver Film auf der Zahnoberfläche entsteht und somit die erosive Demineralisation (Barbour et al. 2005) sowie die Reduktion der Mikrohärte verringert wird (Beyer et al. 2010). In der letzten Zeit wurden verschiedene Zahnpasten auf den Markt gebracht, die von den Herstellern aufgrund spezieller Inhaltsstoffe oder höherer Bioverfügbarkeit von Fluorid als besonders effektiv gegen Erosionen/Abrasionen ausgewiesen werden. In einem Laborversuch wurde die Wirksamkeit von einigen dieser speziellen, zum Teil fluoridfreien Zahnpasten mit der von herkömmlichen NaF-haltigen Pasten verglichen. Es konnte gezeigt werden, dass durch ein Putzen mit den NaF-haltigen Zahnpasten auf erodierten Zahnoberflächen der Substanzverlust zumindest nicht erhöht wird. Die speziellen Zahnpasten mit Fluorid waren den konventionellen Fluoridzahnpasten allerdings nicht überlegen. Die fluoridfreien Produkte mit nanokristallinem Hydroxylapatit als Wirkstoff zeigten sogar einen höheren Substanzverlust. Ausgabe 2012 19 Schwerpunktthema: RDA In diesem Versuch wurden ebenfalls zinn- und fluoridhaltige Produkte untersucht. Verglichen mit den fluoridhaltigen Zahnpasten ergab sich nur für einige dieser Produkte eine bessere Wirksamkeit (Neutard et al. 2010; von Hinkeldey et al. 2010). Zahnpasten mit spezieller antierosiver Wirkung könnten somit für Personen, die häufig erosive Getränke oder Nahrungsmittel konsumieren, aber auch für Personen, die bereits leichte Erosionen haben, grundsätzlich als Präventionsmaßnahme dienen. Insgesamt zeigt sich aber, dass die derzeit auf dem Markt befindlichen Zahnpasten mit der Indikation zur Erosionsprophylaxe den herkömmlichen Zahnpasten nicht überlegen sind. Daher wäre eine Produktentwicklung vielversprechend, die die protektiven Eigenschaften von Fluoridzahnpasten mit denen von beispielsweise Zinn als derzeit bestem antierosiven Wirkstoff sowie einem Biopolymer verbindet und somit einen verbesserten erosionsprophylaktischen Effekt aufweist. Judith von Hinckeldey Poliklinik für Zahnerhaltung und Präventive Zahnheilkunde des Medizinischen Zentrums für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde Justus-Liebig-Universität Schlangenzahl 14 · 35392 Gießen · Deutschland Bestimmung der relativen Dentinabrasion (RDA) von Zahnpasten Prof. Dr. Thomas Imfeld MBA, Präventivzahnmedizin und Orale Epidemiologie, Zentrum für Zahnmedizin, Universität Zürich, Schweiz Wirkung und Nebenwirkungen der Mundhygiene Zahnpasten sollten Nahrungsreste, Plaque und Verfärbungen entfernen, Karies und Gingivitis verhütende Wirkstoffe enthalten, Dentin und Schmelz möglichst wenig abradieren sowie den Schmelz polieren. Zusätzlich erwartet der Konsument eine Atem erfrischende Wirkung. Zähnebürsten mit einer Zahnpaste ist für die Aufrechterhaltung der Mundgesundheit unerlässlich. Die Reinigungsleistung einer Zahnpaste wird durch die Abrasivstoffe im Produkt bestimmt. Zahnpasten können aber bei den heutigen Ernährungsverhältnissen, der steigenden Prävalenz von Zahnerosionen und dem wachsenden kosmetischen Wunsch nach weißeren Zähnen zu Zahnhartsubstanzabtrag führen. Es stellt sich deshalb die Frage, ob bei der derzeitigen Karies- und Parodontitisprävalenz noch eine gleich hohe mechanische Abrasivität der Zahnpasten notwendig ist, oder ob eine neue Kosten-Nutzen-Analyse der mechanischen Mundhygiene erfolgen muss. Mögliche Schäden der mechanischen Mundhygiene an Weichgeweben sind Epithelverletzungen, Epithelabrasion, Gingivarezession und Stillman Clefts. An der Zahnhartsubstanz beobachtet man vor allem Abrasionen von Dentin, welche sich in keilförmigen Defekten 20 Ausgabe 2012 an den Zahnhälsen manifestieren. Für die Entstehung solcher Putzschäden an der Zahnhartsubstanz können neben falschen Zahnputztechniken auch Zahnpasten mitverantwortlich sein. RDA-Workshop Aufmerksame Leser von wissenschaftlichen Publikationen, Werbetexten und Packungsaufdrucken bemerken, dass für handelsübliche Zahnpasten teilweise unterschiedliche RDA-Werte veröffentlicht werden. Dies irritiert, da die Messung der relativen Dentinabrasion von Zahnpasten für die tägliche Anwendung nach einem vorgeschriebenen Protokoll, einer ISO-Norm durchgeführt wird. Für Prophylaxepasten gestaltet sich die Situation noch komplizierter. Große Hersteller verwenden z.T. firmeninterne Messverfahren oder nutzen die Protokolle der Zahnpasten-RDA-Bestimmung. Die GABA International AG hat deshalb im Juni 2007 in Frankfurt am Main einen RDA-Workshop organisiert, an welchem sich Zahnmediziner mit Erfahrung in der Bestimmung und klinischen Relevanz von RDA-Werten beteiligten. Unter der Schriftleitung von Prof. John Hefferren entstand als Ergebnis dieses Workshops eine Sonderausgabe des Journal of Clinical Dentistry mit dem Titel „Methods to Determine Dentine Abrasiveness – Summary Proceedings of a Workshop in Frankfurt, Germany“ (J Clin Dent XXI, Supplement, 2010). Prof. Christof Dörfer beleuchtet im ersten Beitrag das Thema der Abrasivität von Zahnpasten aus klinischer Sicht. Abrasivstoffe sind unverzichtbare Zahnpastenbestandteile, da die Reinigungswirkung primär mechanisch erreicht wird. RDA-Messungen ermöglichen es wohl, das abrasive Potenzial von Zahnpasten zu ermitteln, sie sind jedoch nicht geeignet, den tatsächlichen Zahnhartsubstanzverlust in der Mundhöhle mit PROPHYLAXEdialog Schwerpunktthema: RDA Sicherheit vorherzusagen. Extrapolationen von RDAMessungen im Labor auf die klinische Situation können zu einer Überschätzung der abrasiven Wirkung führen, da das Pellikel eine gewisse Schutzwirkung hat. In zwei Beiträgen stellt Prof. John Hefferren die Chronologie der Bemühungen zur Messung der Zahnpastenabrasivität dar. Erste Richtlinien zur Pastenabrasivität wurden vom US-amerikanischen National Bureau of Standards bereits 1937 erlassen. Diese basierten auf qualitativen Kratztests auf Glas. Es folgte der Einsatz anderer Testoberflächen wie Silber, Antimon, Bronze, Kupfer und Acrylkunststoffe, auf welchen der Abrieb gemessen wurde. 1976 beschrieb die American Dental Association erstmals das Protokoll der RDA-Messung an radioaktiven menschlichen Zähnen. Die Abrasivität der Testpasten wurde dabei derjenigen eines Referenz-Standardmaterials mit arbiträrer Abrasivität von 100 verglichen. 1981 erschien die Zahnpastenspezifikation BSI 4137 des British Standards Institute welche neben der RDA-Messung auch eine profilometrische Messung empfahl. 1995 wurde die bis heute gültige internationale Zahnpastenspezifikation ISO 11609 publiziert. Prof. Martin Addy erklärt in seinem Beitrag die profilometrische Methode der Abrasivitätsmessung gemäß einer Modifikation der Vorschrift BSI 4137 des Britischen Instituts für Standards. Es werden menschliche oder Rinderzähne verwendet. Dr. Carlos Gonzalez-Cabezas beschreibt in seinem detaillierten Beitrag die Methode der RDA-Messungen am Oral Health Research Institute der Universität Indiana, USA. Das Vorgehen entspricht der ISO 11609Norm. Zwecks Validierung und interner Kontrolle wird in Indiana immer eine eigene Testpaste mitgeprüft. Prof. Thomas Imfeld stellt die Methode der RDAMessung des Labors für Präventivzahnmedizin des Zahnmedizinischen Zentrums der Universität Zürich vor. Auch da wird nach ISO 11609 gearbeitet. Diese ISO-Norm schreibt im Wesentlichen Folgendes vor: Zahnwurzeln werden bestrahlt, so dass aus dem Phosphat der Zahnhartsubstanz das radioaktive instabile Phosphorisotop 32P und Gammastrahlung entstehen. Abb. 1: Eingebettete, bestrahlte menschliche Zahnwurzeln PROPHYLAXEdialog Abb. 2: V8-cross-Bürstmaschine Abb. 3: Bürstmaschine mit Handzahnbürsten auf eingebetteten Zahnwurzeln Abb. 4: Bürsten in Aktion mit der Aufschlämmung einer Testzahnpaste Die Zahnwurzeln werden eingebettet (Abb. 1) und auf einer Bürstmaschine während einer standardisierten Zeit mit standardisierten Bewegungen und standardisiertem Auflagegewicht gebürstet (Abb. 2, 3 und 4). Dabei werden Handzahnbürsten mit planem Borstenfeld verwendet. Bürstmedien sind Aufschlämmungen (Slurries) der Testzahnpasten sowie ein Slurry eines Standardabrasivs. Die Bürstdurchgänge erfolgen in „Sandwich-Technik“. Es erfolgt zuerst ein Durchgang mit dem Standard, dann einer mit der Testpaste und darauf nochmals ein Durchgang mit Standard. Nach jedem Bürstdurchgang wird die Strahlungsaktivität von 32P gemessen. Ein 32P-Gehalt im Slurry nach dem Bürsten ist die Folge von Zahnhartsubstanzabrasion. Die Werte der zwei Standardslurries eines jeden SandwichDurchgangs werden gemittelt und dieses Resultat wird gleich 100 gesetzt. Die relative Dentinabrasion der dazwischen verwendeten Testpaste wird in Prozent des Standardwerts ausgedrückt. Dieser Prozentwert ist die RDA-Zahl. So ist z.B. das Abrasionspotenzial einer Zahnpaste mit RDA 50 halb so groß wie dasjenige des Standards. Details des Messverfahrens sind in der ISO 11609Norm allerdings nicht exakt vorgegeben. Entsprechend wurden am Workshop zwar viele Übereinstimmungen, aber auch einige Unterschiede im Vorgehen der RDALaboratorien von Indiana und Zürich eruiert (Tab. 1). Ausgabe 2012 21 Schwerpunktthema: RDA Parameter Indiana, USA Zürich Dentinmaterial Mensch Rind Anzahl Proben pro Testpaste 8 8 Bürstmaschine V8-cross V8-cross Zahnbürste Oral-B 40 plus (spec. Ed.) Paro M 43 Auflagegewicht 150 g 250 g Bürstbewegung 1.500 Hin- und Herbewegungen 1.500 Hin- und Herbewegungen Bürstgeschwindigkeit 175–180 Zyklen/Minute 60 Zyklen/Minute Bürstdauer ca. 8,3 Minuten 25 Minuten Testpasten Aufschlämmung 25 g Paste + 40 ml bidestilliertes Wasser 25 g Paste + 40 ml Speichelersatz (puffert wie Speichel) Messung des 32P Flüssigszintillation PhosphorImager ® Tab. 1: Vergleich der wichtigsten Parameter des Vorgehens bei RDA-Messungen in Indiana, USA, und in Zürich RDA Zürich RDA Indiana Umrechnungsfaktor* Beurteilung der Abrasivität Anwendungshinweise in Bezug auf Abrasivität 1– 20 2 – 40 0,5 sehr wenig abrasiv Es besteht ein Risiko für die Akkumulation von Zahnverfärbungen. 21– 40 41– 70 = 0,6 wenig abrasiv 41 – 80 71–120 = 0,6 mittel abrasiv geeignet für die tägliche Reinigung 81–120 121–170 = 0,7 abrasiv > 120 > 170 = 0,7 nicht erforderlich für den täglichen Gebrauch Verwendung angezeigt bei verstärktem Auftreten von Verfärbungen Tab. 2: Umrechnung von RDA-Zahlen aus Indiana, USA, und aus Zürich mit Vorschlag einer RDA-Einteilung für die Produktauslobung * Der Umrechnungsfaktor basiert auf den im Text erläuterten Ringversuchen. Ringversuche mit gleichen Testpasten in verschiedenen Laboratorien führten zu zahlenmäßig unterschiedlichen Resultaten. Das spricht nicht per se gegen die RDA-Messmethode, vielmehr zeigt es, dass man zahlenmäßig nur Werte, aus dem gleichen Labor vergleichen sollte. RDA-Werte verschiedener Laboratorien sind nicht eins zu eins vergleichbar. Die Auswertung der Ringversuche zeigte jedoch auf, dass die Ergebnisse von Indiana und Zürich fast parallel verlaufen und eine Umrechnung möglich ist (Tab. 2). Problematisch für das zahnärztliche Team und für Konsumenten ist die Tatsache, dass bei rein nummerischen Angaben des RDA-Werts auf Packungen und in der Werbung nicht präzisiert wird, aus welchem Testlabor die Werte stammen. Aus diesem Grund wäre es sehr erstrebenswert und sachdienlich, auf Zahnpasten – in Analogie zu den Härteangaben von Zahnbürsten (weich, mittel, hart) – RDA-Klassifikationen anstelle von RDA-Zahlen auszuloben. Ein Vorschlag zur 22 Ausgabe 2012 Klassifizierung von RDA-Werten ist in Tab. 2 ersichtlich. Damit würden die heute störenden Unklarheiten bezüglich RDA-Zahlen behoben. Zahnärzte, Dentalhygienikerinnen, Prophylaxeassistentinnen sowie Konsumenten hätten eine einfache, nachvollziehbare und durch wissenschaftliche Untersuchungen gestützte Hilfe bei der Wahl der bezüglich Abrasion individuell geeigneten Zahnpaste. Wie das Executive Summary des Workshops festhält, muss man sich im Wissen um die multifaktorielle Ätiologie der Zahnhartsubstanzabrasion jedoch bewusst sein, dass das Abrasionspotenzial nicht das einige Kriterium der Zahnpastenwahl darstellt. Prof. Dr. Thomas Imfeld MBA Präventivzahnmedizin und orale Epidemiologie Zentrum für Zahnmedizin Universität Zürich · Plattenstr. 11 · 8032 Zürich · Schweiz PROPHYLAXEdialog Schwerpunktthema: RDA RDA-Werte – Konsequenzen für die tägliche Praxis? Annette Schmidt, Studienrätin, München; PD Dr. Christian R. Gernhardt, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Deutschland Betrachtet man die in der Praxis auftretenden Defekte an den Zähnen unserer Patienten, so stellt man fest, dass neben kariösen Defekten auch vermehrt sogenannte nicht-kariöse Zahnhartsubstanzdefekte vorliegen. Einige Autoren vermuten daher, dass zukünftig diese nicht-kariogenen Zahnhartsubstanzverluste – Abrasionen, Erosionen, Attritionen sowie Kombinationen aus diesen – eine ausgeprägtere Rolle spielen werden. Vor allem Mundhygiene- und Ernährungsgewohnheiten und in diesem Zuge auch die Qualität und Abrasivität von Mundhygiene-Artikeln werden neben unphysiologischen Belastungen als beteiligte Faktoren diskutiert. Zur Einschätzung der Abrasivität wird in der Regel der RDA-Wert herangezogen. Als prophylaktische Empfehlung werden daher oft Zahnpasten mit niedrigem RDA-Wert bevorzugt. Hier liegt bereits eine Problematik: „Offiziell“ gemessene RDA-Werte sind Vergleichswerte und können je nach Messmethode stark variieren. Die Patienten und das zahnmedizinische Personal sind verunsichert und sehen in Artikeln mit höherem RDA-Wert ein stark erhöhtes Risikopotenzial. Fraglich ist allerdings, ob der RDA-Wert alleine ausreicht, die Entstehung und das Vorliegen nicht-kariogener Zahnhartsubstanzdefekte zu begründen. Der vorliegende Beitrag gibt einen kurzen Überblick über diese Herausforderung im Alltag sowie die klinischen Konsequenzen. Einleitung Allgemeine und zahnmedizinische Gesundheit beeinflussen sich gegenseitig. Immer mehr Menschen setzen sich mit diesem Wissen auseinander bzw. Übertragenes und Erlerntes pauschal sowie individuell um. Dieses „neue“ Zahngesundheitsbewusstsein ist spürbar (an unseren Patienten) und messbar (an den Zähnen). Die Schweizer haben das Wort „Hygiene-Manie“ geprägt. Das gesteigerte Bewusstsein für Mundhygiene ist grundsätzlich begrüßenswert. Allerdings kann falsche und zum falschen Zeitpunkt durchgeführte Mundhygiene Schäden an den oralen Strukturen hervorrufen. Letzteres spricht den immer weiter zunehmenden Konsum von potenziell erosiven Nahrungsmitteln und Getränken wie beispielsweise Sport- und Süßgetränken, Obst, Salaten, Nahrungsergänzungsmitteln und VitaminCocktails an. Exakt diese Zielgruppe, die sich und ihrem Körper etwas Gutes tun möchte, weist oft eine exzellente Mundhygiene mit sichtbaren Schäden an Schmelz und Dentin auf (Erosionen, Abrasionen). Damit steigt das Risiko für gerade diese gesundheitsbewussten Menschen, ihre Zahnhartsubstanz unbewusst zu schädigen. Die Gründe für den Verlust sind multikausal. Viel zu banal und pauschal wäre es allerdings, die Ursachen ausschließlich im RDA-Wert von Zahnpasten bzw. Prophylaxepasten zu suchen. Mundgesundheitssituation aus zwei Blickwinkeln: Patient – Praxis Das Ziel der täglichen häuslichen Mundhygiene ist klar: glatte Zahnoberflächen, damit nichts haften bleibt, sich kein Biofilm aufbauen kann. Das Wissen auf einer oberflächlichen Ebene ist dem Laien klar: Keine Plaque bedeutet: eine verbesserte Mundgesundheit! Die Patienten lesen und informieren sich in der Presse und im Internet. Sie recherchieren und entdecken auch, dass man handelsübliche Zahnpasten und Prophlyaxepasten hinsichtlich ihres RDA-Werts klassifizieren kann. Zahnpasten gehören in Europa zur Kosmetikverordnung. Sie sind keine Arzneimittel. Nach der Kosmetikverordnung dürfen Zahnpasten bei „bestimmungsgemäßem oder vorauszusehendem Gebrauch“ keine Gesundheitsschäden verursachen. Unabhängig vom Test-Laboratorium steht der RDA-Wert allerdings bei vielen Pasten entweder nicht auf der Tube oder „verschlüsselt“ mit großer Interpretationsbreite: wenig, gering, mittel. Wo liegt der Unterschied zu gering? Sind diese Differenzierungen ausschließlich im RDA-Wert zu suchen? Wechseln wir den Blickwinkel in die Zahnarztpraxis: Hier geht es während der fundierten, individuellen Beratung einzelner Patienten darum, welche Zahnpaste (neben dem Geschmack und dem Fluoridgehalt) zu dem Patienten und seinen Mundverhältnissen passt. Abb. 1: Rezessionen (I) Beispiel 1: Patient, 35-jährig, von Anfang an kariesfrei, keine Gebrauchsspuren, gute Mundhygiene. Bei ihm ist das RDA-Thema nicht relevant. Ausnahme – er hat Fragen dazu. PROPHYLAXEdialog Ausgabe 2012 23 Schwerpunktthema: RDA Wenn es um Prophylaxepasten geht, die vor der Behandlung eingesetzt werden, um Wirkstoffe an den Zahn zu bringen, ist der RDA-Wert aus mehreren Gründen nicht überzubewerten: Wir wissen, die Plaque muss entfernt werden. Die Anwendung liegt im Sekundenbereich (6 Sekunden) und findet zwischen einmal bis viermal im Jahr maximal statt. RDA-Messungen: unterschiedliche Laboratorien – unterschiedliche Werte Abb. 2: Rezessionen (II) Beispiel 2: Patient, 35-jährig, alle Zähne bereits konservierend behandelt, Attritionen in der Front, alle 3-er mit Rezessionen, ausgewaschene Füllungen, Zähne mit Abfrakturen, Rissen und Sprüngen. Hier sind der häusliche und der professionelle Blickwinkel zu beachten. Prophylaxepasten und deren RDA-Wert stehen im Fokus, wenn es um die Prophylaxesitzung an sich geht: Die Zahnärzte und Prophylaxe-Assistentinnen verfolgen konsequent das gleiche Ziel wie der Patient: Glättung und Verkleinern der Zahnoberflächen, um die PlaqueAkkumulation zu verhindern. Professionelle Pasten, die an Zähnen und Implantaten unauspolierbare Spuren hinterlassen, lassen auch Patienten unzufrieden werden. Aufgeraute Zahnoberflächen durch Fehl- bzw. Überbehandlung, die nichts mit der Politur zu tun haben, zeigen eindeutig, dass die Belags- und Farbansammlungen beschleunigt werden. Die Abrasivität von Pasten spielt folglich eine nicht zu unterschätzende Rolle. Der RDA-Wert Der RDA-Wert bedeutet radioaktive (relative) Dentinabrasion und ist zum gebräuchlichen Maßstab für Abrasivität in der Zahnmedizin geworden. Im Vergleich zu einem Referenzwert gibt der RDA-Wert die Abrasivität einer Zahnpaste oder Prophylaxepaste auf Dentin an. Dieser Wert ist ein relativer Wert, der sich zusätzlich schwer reproduzierbar messen lässt. Schwankungen von 10 – 25 % sind, bedingt durch die unterschiedlichen Messmethoden, in der Literatur keine Seltenheit. Ein absoluter Wert wäre wünschenswert. Es gibt kein Institut, das unter den standardisierten Bedingungen sagen kann, wie viel Dentin bei Verwendung einer bestimmten Paste tatsächlich abgetragen werden kann. Des Weiteren ist heute bekannt, dass der RDA-Wert einer Paste nicht „Alleinverursacher“ von Materialreduktion ist. Eine Kombination verschiedener Faktoren – die Abrasivität der Paste, die Art der Durchführung, die Zeitdauer und nicht zuletzt die individuellen anatomischen Aspekte unserer Patienten – können die Folgen für die Zahnhartsubstanz mitbestimmen. 24 Ausgabe 2012 Die drei zitierten (hauptsächlichen) Laboratorien sind in Indiana, Missouri und Zürich zu finden. Alle arbeiten nach der ISO-Norm 11609. Jeder Anwender geht davon aus, dass seine Norm so perfekt formuliert ist, dass – egal wer die Messung durchführt – die Ergebnisse reproduzierbar sind. Weit gefehlt. Viele Schritte in diesem Messverfahren sind in der ISO-Norm nicht detailliert beschrieben (beispielsweise Art, Dauer der Bestrahlung der Dentinproben, Beschreibung der Testbürsten, Anzahl der Messungen der Strahlungsaktivität). Wie wird eine „standardisierte“ RDA-Messung durchgeführt? Mit hoher Energie werden Zahnwurzeln bestrahlt. Hierdurch entstehen aus dem Phosphat der Zahnhartsubstanz das radioaktive instabile Phosphorisotop 32P und Gammastrahlung. Danach werden die Zahnwurzeln eingebettet und mit planen Zahnbürstenborsten „gebürstet“. Dieses Bürsten läuft nach festen Vorgaben ab: standardisierte Zeit, standardisierte horizontale Bewegungen und standardisiertes Auflagegewicht. Aufschlämmungen (Slurry) der zu testenden Paste sowie ein Slurry mit einem Standardabrasiv werden gegeneinander verglichen. So gesehen sind auch die RDA-Werte, die auf den Pasten abgedruckt sind, auf den ersten Blick nicht vergleichbar und somit unterschiedlich. Keiner weiß, welches Laboratorium die Werte ermittelt hat, welche Produkt-Charge getestet wurde. Die Einordnung der RDA-Werte stellt eine weitere Herausforderung dar. Die ISO-Kommission gibt einen Grenzwert für Zahnpasten von 250 vor. Kennen Sie eine „tägliche“ Zahnpaste, die annähernd an diesen Wert reicht? Ein klares „Nein“. Schauen wir die Einteilung unter dem Höchstwert an, bleibt hier anzumerken, dass diese Einteilung eher willkürlich ist: schwach abrasiv = unter RDA 30, der mittlere Wert liegt bei RDA 120. Jedoch ist der schnelle Rückschluss falsch, RDAWerte hätten nicht ihre Berechtigung für Patienten und Praxis. Diese Fakten heißen für die Anwender, dass Pasten nicht ausschließlich nach Herstellerangaben, Geschmack und formulierten Visionen einzusetzen sind. PROPHYLAXEdialog Schwerpunktthema: RDA Schauen Sie Ihrem Patienten akribisch in den Mund. Fragen Sie erst nach seinen Putzgewohnheiten und eingesetzten Pasten, wenn Sie Schäden bzw. Verfärbungen sehen. Prophylaxepasten werden anders als Zahnpasten nach RDA-Werten in fein, mittel, grob eingeteilt. In jedem Prophylaxelehrbuch sind viele Übersichten zu finden. Sie finden allerdings kaum Informationen in einer Veröffentlichung, wie sich die Pasten in der Abrasivität verändern, wenn in der Prophylaxesitzung die groben, mittleren, feinen Pasten mit einem weichen, mittleren oder harten Gummikelch – mit oder ohne Innenlamellen – oder mit weichen, mittleren oder harten Polierbürstchen eingesetzt werden. Weitere Blickwinkel, mit welcher Umdrehung, mit welchem Druck gearbeitet wurde und ob viel oder wenig Speichel vorhanden war, werden in dieser Diskussion aus dem Fokus gelassen. RDA-Werte PLUS Co-Faktoren RDA-Werte in der Mundhygiene (häuslich wie in der Praxis) sind Orientierungswerte. Wenn das Zahnhartgewebe durch praktizierende Mundhygiene und falsche professionelle Prophylaxe reduziert wird, ist einerseits ein Blick auf die Zahnbürste, die Putztechnik und -(un)systematik, die auf die Zahnbürste ausgedrückte Kraft, die Häufigkeit, die Putzdauer und den Zeitpunkt (direkt nach einem chemischen Säureangriff bei gefühlten matten/stumpfen Zähnen) des Putzens zu werfen. Des Weiteren sind die Poliermaterialien in der Praxis auf die Zahnoberflächen und den Bearbeitungsgrad anzupassen. Die Kombination von erosiven und abrasiven Einflüssen erhöht den Hartgewebsabtrag. Lernt ein Patient pauschal: „Nach jedem Essen Zähneputzen“ (unabhängig von der vorangegangen Mahlzeit inklusive Getränken) und setzt die Mundhygiene exzessiv um, sind die Bereiche des Zahns mit dünner Schmelzschicht extrem gefährdet. Beispielsweise wissen wir heute, dass der Zahnhartsubstanzverlust bis zu 60 Mal höher ist nach einem erosiven Angriff auf die Zahnoberfläche als ohne. Neben den oben angesprochenen Co-Faktoren spielen auch die Strukturen der Oberflächen bzw. die Beschaffenheit der Hartgewebe eine immer größer werdende Rolle. Unterschiedliche Reaktionen zeigen geputzte Zahnoberflächen: Schmelz, Dentin, demineralisierter/s Schmelz oder Dentin oder kariös geschädigter/s Schmelz bzw. Dentin, raue Füllungen, scharfe Kanten. Hier ist Vorsicht bei Zahnpasten sowie Prophylaxepasten geboten, unabhängig vom jeweiligen RDA-Wert. Ein hartes Polierbürstchen beispielsweise in Kombination mit einer wenig abrasiven Paste setzt ggf. auch einen irreversiblen Schaden. Ein weiterer interessanter Blickwinkel ist, dass unverdünnte Zahncremes einen größeren Abrieb zeigten als Zahnpasten, die mit Wasser oder Speichel verdünnt sind. Übertragen wir diese Fakten auf die unterschiedlichen, auf dem Markt erhältlichen Fluoridgele, die alle ohne Putzkörper – also abrasivfrei – sind, hat es Sinn, diese nach dem Zähneputzen mit einer Zahnpaste mit Abrasivstoffen nur noch mit dem Finger aufzutragen. Damit fallen die zusätzliche Kraft und mechanische Reinigungsenergie durch ein zweites Putzen weg. Zusammenfassung Wie unterschiedlich die Hersteller mit RDA-Werten umgehen („Der RDA-Wert liegt mit 180 im oberen Bereich, die Abrasivität ist mild und effektiv, usw.“), erleben wir täglich. Der Verdacht liegt nahe, dass die Wertigkeit der RDA-Werte zu hoch bewertet wurde und wird, da zahlreiche Co-Faktoren einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf die Entstehung nicht-kariogener Zahnhartsubstanzdefekte haben. Der RDA-Wert ist ein Mosaiksteinchen von vielen anderen: Es zählt nach wie vor die individuelle Beratung und der allumfassende Blick, welche Komponenten zusätzlich beachtet werden müssen. Diese „Ganzheit“ ist durch nichts zu ersetzen. Verlassen Sie sich auf Ihre Erfahrung, Ihren geübten Blick und Ihr Vertrauensverhältnis zu Ihren Patienten. Machen Sie aus der relativen Dentinabrasivität Ihre individuelle und persönliche Wahrheit. Literatur Bose M, Ott KHR: Abrieb, Aufrauung und Glättung von Kompositen durch Prophylaxepasten in vitro. Dtsch Zahnärztl Z 51 (1996), 690– 693 Christensen RP, Bangerter VW: Determination of Rpm, Time, and Load Used in Oral Prophylaxis Polishing in vivo. J Dent Res 63 (12) (1984), 1376–1382 Imfeld T: Relative Dentinabrasion (RDA) von Zahnpasten. Prophylaxedialog (2/2007–1/2008), Seite 23/4 Joiner A, Tanner C, Doyle P, Pickles MJ: Measurement of dentifrice abrasivity on human enamel and dentine in situ (2002), Abstr. 3592, www.iadr.com König K: Verbesserte Modelle zur Einschätzung der Abrasivität von Zahnpasten. Schweiz Monatsschr Zahnmed Vol 112 (6/2002), Seite 673/4 Lussi A, Reich E: The influence of toothpastes and prohylaxis pastes on fluorescende measurements of caries detection in vitro. Eur J Oral C Sci 113 (2005), 141–144 Oralprophylaxe & Kinderzahnheilkunde, Deutscher Ärzteverlag GmbH, Heft 1/2011 Roulet J-F, Fath S, Zimmer S: Lehrbuch Prophylaxeassistentin, (3. Auflage 2006), Seite 95f Roulet J-F, Zimmer S: Prophylaxe und Präventivmedizin. Thieme Verlag (2003) Stookey GK, Schemehorn BR: A Method for Assessing the Relative Abrasion of Prophylaxis Materials. J Dent Res 58 (2) (1979), 588–592 PROPHYLAXEdialog Ausgabe 2012 25 Schwerpunktthema: RDA Annette Schmidt Studienrätin Widenmayerstr. 50 80538 München Deutschland Fon +49 89 68800122 [email protected] www.schmelz-dahin.de PD Dr. med. dent. Christian R. Gernhardt Ltd. Oberarzt, stellv. Direktor Martin-Luther-Universität HalleWittenberg · Med. Fakultät · Department für Zahn-, Mund-, Kieferheilkunde · Universitätspoliklinik für Zahnerhaltungskunde und Parodontologie Große Steinstr. 19 · 06108 Halle Deutschland Fon +49 345 557-3741 [email protected] Curriculum vitae Curriculum vitae Abgeschlossenes Studium Ökotrophologie und Germanistik für das Lehramt an Gymnasien, abgeschlossenes Referendariat, 3-jährige Unterrichtstätigkeit, abgeschlossene Lehre zur Zahnarzthelferin, Qualifikation zur Prophylaxe-Assistentin, seit 25 Jahren Teilzeit Praxistätigkeit, 19 Jahre Ausbilderin „Basiskurs Prophylaxe“ für den ZBV München Stadt und Land und Initiatorin des 1. Aufbaukurses zur Prophylaxe-Assistentin (PAss) in Deutschland, seit 22 Jahren Lehrtätigkeit für europäische Zahnärztekammern und deren Schulen (ZMP, ZMF, ZMV), seit 22 Jahren individuelle Praxistrainings und Vorträge sowie Seminare für die Industrie, Privatanbieter, seit 3 Jahren Ausbilderin zur PAss für die LZÄK Salzburg. Studium der Zahnmedizin an der Universität Ulm und der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg i.Br., Staatsexamen und zahnärztliche Approbation im Jahr 1998, von 1997–1999 wissenschaftlicher Mitarbeiter der Abteilung für Zahnärztliche Prothetik der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg (Prof. Dr. J.R. Strub), 1999–2009 Oberarzt der Universitätspoliklinik für Zahnerhaltungskunde und Parodontologie der Martin-Luther-Universität HalleWittenberg (Prof. Dr. H.-G. Schaller), 2009 Habilitation und Verleihung der Venia Legendi, seit 2009 ltd. Oberarzt und stellv. Direktor der Universitätspoliklinik für Zahnerhaltungskunde und Parodontologie an der Martin-Luther-Universität HalleWittenberg. Abrasivität von Zahnpasten und ihre klinische Bedeutung Prof. Dr. Christof Dörfer, Klinik für Zahnerhaltungskunde und Parodontologie, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Kiel, Deutschland Einleitung Zahnpasten gelten als unverzichtbarer Bestandteil der häuslichen Mundpflege. Sie wirken unterstützend bei der Zahnreinigung aufgrund des mechanischen Abriebs der Beläge, also ihrer Abrasivität. Zentrales Element von Zahnpasten sind die Abrasivstoffe, die die Reinigungswirkung der Zahnbürste unterstützen. In Verbindung mit den vermehrten häuslichen Prophylaxeanstrengungen eines zunehmenden Anteils 26 Ausgabe 2012 der Bevölkerung sind in den letzten Jahren die negativen Begleiterscheinungen abrasiver Pasten in den Blickpunkt des Interesses geraten. Nicht-kariöse Zahnhartsubstanzdefekte sind derzeit häufig Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen. Dadurch hat sich sowohl unter Anwendern als auch im professionellen Bereich die öffentliche Meinung gebildet, eine zu hohe Abrasivität von Zahnpasten sei für diese Substanzverluste zumindest partiell verantwortlich. Radioaktive (Relative) DentinAbrasion (RDA) Historisch wurde die Abrasivität von Pasten anhand der Messung der abgetragenen Masse über das Gewicht eines Probekörpers nach der Bearbeitung bestimmt. Erste Ansätze zur Abrasivitätsbestimmung waren daher gravimetrischer Natur. Als Substrat dienten verschiedene Probekörper aus Materialien, die in ihrer Härte humanem Schmelz oder Dentin ähnlich waren. Unter anderem fanden Gläser, Metalle und Kunststoffe Anwendung. Da Feuchtigkeit bei diesen Materialien nur PROPHYLAXEdialog Schwerpunktthema: RDA einen geringen Einfluss auf die Masse hat, konnte der Materialabtrag durch Wiegen vor und nach Bürsten mit einer abrasiven Paste reproduzierbar bestimmt werden. Allerdings war die Übertragbarkeit der gewonnenen Ergebnisse auf die klinische Situation gering, da die verwendeten Substrate nicht in ihrer Mikrostruktur den natürlichen Substraten Schmelz und Dentin ähnelten (1). Die Suche nach einem In-vitro-Verfahren, bei dem an natürlichen Dentin- oder Schmelzproben der Abtrag durch abrasive Pasten bestimmt werden kann, ist bis heute nicht endgültig gelöst. Derzeit beruhen Angaben über die Abrasivität in der Regel auf dem Prinzip der so genannten relativen Dentinabrasion. Diese RDA-Methode folgt dem Prinzip der radioaktiven Markierung des Dentins und der sich daraus eröffnenden Möglichkeit, die Menge der abgetragenen Substanz durch die radioaktive Strahlung des Überstands nach dem Bürsten quantitativ zu bestimmen. Die Messmethode ist sehr techniksensitiv, und ständige Qualitätskontrollen sind erforderlich, um die teilweise erheblichen Ergebnisschwankungen zu minimieren. Vergleiche der RDA-Werte zwischen verschiedenen Laboratorien sind daher nicht aussagekräftig. Klinische Bedeutung und Sicherheitsaspekte Ursprünglich zielten die Abrasivitätsmessungen verschiedender Zahnpasten im Laborversuch nicht auf Sicherheits-, sondern auf Effizienzaussagen. Vor diesem Hintergrund waren Ungenauigkeiten der Methode toleriert, da die Ergebnisse lediglich einen groben Anhalt bieten sollten. Relativ bald wurde aber der Sicherheitsaspekt in die Diskussion einbezogen und eine Obergrenze für die Abrasivität von Zahnpasten bei einem RDA-Wert von 250 gesetzt (2). Obwohl der Substanzverlust im Zahnschmelz als vernachlässigbar klein eingeschätzt wird (3), nimmt die Diskussion über das Risiko durch abrasive Zahnpasten zu. Klinische Relevanz Nicht-kariöse Zahnhartsubstanzverluste werden zunehmen und klinisch mehr und mehr an Bedeutung gewinnen. Die Rolle der Abrasivität von Zahnpasten bei diesem Prozess wird derzeit jedoch als eher untergeordnet eingestuft. Die derzeit für die Abrasivität herangezogenen RDAWerte unterliegen methodischen Problemen und einer extrem hohen Variabilität in Abhängigkeit von den durchführenden Laboratorien. Auf Basis der derzeit verfügbaren wissenschaftlichen Evidenz sind sie daher nicht geeignet, die Sicherheit von Zahnpasten und das Risiko für unerwünschte Zahnhartsubstanzverluste zu beurteilen. Sie erlauben keine Rückschlüsse auf potenzielle Risiken für zahnpastenbedingte Zahnhartsubstanzverluste in der klinischen Situation (4). PROPHYLAXEdialog (1) Hefferren JJ: Abrasivity of Dentifrices from a Laboratory (in vitro) Perspective. J Clin Dent 21 (2010), S5 – S6 (2) Hefferren JJ: Critical points in evolution of laboratory methods to measure the functionality of toothpastes. J Clin Dent 21 (2010), S6 – S7 (3) Addy M: Tooth brushing, tooth wear and dentine hypersensitivity – are they associated? Int Dent J 55 (2005), 261– 267 (4) Dörfer CE: Abrasivity of dentifrices from a clinical perspective. J Clin Dent 21 (2010), S4 – S5 REM-Aufnahme eines Putzkörpers aus: Sonderdruck „Abrasivität von Zahnpasten und ihre klinische Bedeutung“ in: Oralprophylaxe & Kinderzahnheilkunde, 33. Jahrgang, Heft 1 (2011), S. 18 – 22 GABA /Gebro-Standpunkt Die alleinige Messung des RDA-Werts von Zahnpasten ist nach dem heutigen wissenschaftlichen Stand nicht genügend, um die Sicherheit und das Risiko des Auftretens unerwünschter Nebenwirkungen von Zahnpasten auf Dentin und Zahnschmelz zu beurteilen. In Abhängigkeit von Details des verwendeten Messverfahrens resultieren, wie im vorliegenden Heft beschrieben, unterschiedliche RDA-Zahlenwerte bei gleichen Zahnpasten. Die Interpretation dieser Werte ist möglich, setzt allerdings Sachkenntnisse voraus, die der Endverbraucher nicht hat. Aus diesen Gründen kommuniziert GABA International AG seit einiger Zeit keine RDA-Werte mehr auf Zahnpasten. Alle GABA-Zahnpasten sind bezüglich ihrer Abrasivität gemäß internationalen Standards sicher für den täglichen Gebrauch. Dieser PROPHYLAXEdialog ist auch im Internet als Download verfügbar: www.gaba.at Ausgabe 2012 27 Europerio7 Europerio7 in Wien Vom 6. bis 9. Juni 2012 begrüßt Wien mit der Europerio7 das weltweit größte und bedeutendste Kongressereignis für Parodontologie. Für diesen nur alle drei Jahre stattfindenden Kongress (zuletzt 2006 in Madrid sowie 2009 in Stockholm) werden mehr als 6.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus aller Welt erwartet. Die zentrale und politisch sichere Lage in Mitteleuropa, das vielfältige Angebot an guten Hotels in jeder Qualitätsstufe sowie die gute Erreichbarkeit der Messe Wien mit öffentlichen Verkehrsmitteln machen Wien als Kongressstadt besonders interessant. Das Organisationsteam des Kongresses (Tagungsleitung: PD Dr. Gernot Wimmer, Graz; wissenschaftliche Leitung: Prof. Richard Palmer, London; Vertreterin der Österreichischen Gesellschaft für Parodontologie: Dr. Corinna Bruckmann, Wien; Schatzmeister: Prof. Jörg Meyle, Gießen) hat im Vorfeld an der Gestaltung eines alle Teilnehmer ansprechenden und attraktiven Programms gearbeitet. So wurden zum Beispiel an alle Teilnehmer der Europerio in Stockholm Fragebögen zur Bewertung des Kongresses, aber auch Fragen zu Wünschen für die nächste Europerio ausgesandt. Um vor allem auch die wachsende junge Teilnehmergemeinde anzusprechen, werden vermehrt elektronische Kommunikationswege eingesetzt. Es wird eine Facebook-Seite der Europerio geben, auf der sich alle Interessierten bereits im Vorfeld austauschen können und laufend über Neuigkeiten informiert werden. Weiterhin ist angedacht, erstmals E-Poster-Terminals einzurichten, die eine rasche Orientierung unter den erwarteten 800 bis 900 Postern ermöglichen. Auch ist geplant, die Vorträge aufzuzeichnen und im Anschluss zur Verfügung stellen. In bewährter Weise wird parallel in mehreren Sälen auf die unterschiedlichsten Facetten in Parodontologie und Implantattherapie eingegangen. Das Verhältnis parodontaler zu implantologischen Themen liegt bei 2:1 zugunsten der Parodontologie. Alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer – ob Generalisten, Spezialisten oder Dentalhygienikerinnen – werden auf sie zugeschnittene Themenkreise mit inhaltlich weit gespannter Thematik vorfinden. Die Programmschiene für Dental- und Mundhygienikerinnen widmet sich neuesten Erkenntnissen aus den verschiedensten Bereichen der täglichen Arbeit mit den Patienten. Viele bekannte, international publizierende DHs sind dazu als Vortragende und Vorsitzende eingeladen – zum Beispiel Jean Suvan (Großbritannien), Pia Andersson, Birgitta Jönsson und Kerstin Ohrn (Schweden), Monique Stokman (Niederlande); Beate Gatermann (Deutschland) und Bernita Bush (Schweiz). Von der Entstehung der Parodontitis über moderne diagnostische Maßnahmen, Risikofaktoren und Mikrobiologie reicht der Bogen bis hin zu neuesten Therapiemöglichkeiten mittels antientzündlicher oder diätetischer Ansätze und Laserbehandlung sowie Periimplantitis-Therapie. 28 Ausgabe 2012 Praktisch sofort umsetzbare Vorträge über Zahnbürsten, Zahnpasten, Mundspülungen und Dentinhypersensibilität ergänzen das reichhaltige Programm ebenso wie die Besprechung psychologischer Aspekte während der Therapie (Mundhygiene-Instruktionen, Raucherentwöhnung). Wichtig zu wissen: Sowohl das Hauptprogramm als auch die Programmschiene für DHs wird simultan auf Deutsch übersetzt. Seit dem 15. September sind die Online-Anmeldung und die Abstract-Einreichung auf www.europerio7.com möglich. Besonders die Frühbucherpreise sind mit 200 Euro für DHs sehr interessant. Auf der Website können sich Interessierte sofort einen Überblick über das Programm, den Stand der Entwicklung und aktuelle Termine verschaffen und Zusatzinformationen über die Stadt, Hotels, Wetter und Verkehr einholen. Dieser Kongress ist sicher eine einmalige Gelegenheit, neuestes, praxisrelevantes Wissen mitzunehmen, Kontakte zu knüpfen oder zu intensivieren und die Weltstadt Wien zu genießen. GABA auf der Europerio Mit zwei wissenschaftlichen Symposien wird sich die GABA an der Europerio7 beteiligen. Eines der Symposien ist als gemeinsame Veranstaltung von Colgate und GABA geplant, eines in Zusammenarbeit mit der Deutschen Gesellschaft für Parodontologie (DGP). Bei Redaktionsschluss dieser Ausgabe standen Referenten und Themen schon weitgehend fest, nicht aber die exakten Titel der Symposien und einzelnen Vorträge. Colgate-GABA-Symposium: „3 things that Dental Professionals should know about implant“ Prof. Dr. Søren Jepsen: Einführung · Prof. Dr. Mariano Sanz: What are the risk factors associated with an implant? What puts a patient at risk? · Dr. Angelo Mariotti: What Dental Professional and patient should know and what have they to do to maintain an implant · Prof. Dr. Stefan Renvert: If bad things happen, how to recognize them: Infections, Fracture etc. – what should be done? DGP-GABA-Symposium: „Supportive maintenance – The key to long-term success of periodontal and implant therapy“ Prof. Dr. Peter Eickholz: Einführung · Christoph Ramseier: „How to structure supportive periodontal therapy according to patient’s individual risk?“ · Prof. Dr. Thomas Kocher: „Longterm results of periodontal therapy with and without maintenance“ · Prof. Dr. Andrea Mombelli: „Supportive periimplant therapy“ PROPHYLAXEdialog