13 Spezielle Überlegungen zur Verstärkung von geschädigtem Bindegewebe gemäß Integraltheorie 13.1 Operative Verstärkung von Ligamenten – 134 13.2 Reparatur von geschädigten Faszien Es gibt 2 bindegewebige Hauptstrukturen, die korrigiert werden müssen: bei einem Defekt ▬ Ligamente und ▬ Faszien. Geschädigte Ligamente lassen sich nicht durch Raffnähte korrigieren, weil geschädigtes Bindegewebe nach kurzer Zeit wieder nachgibt. Zur Wiederherstellung der Funktion müssen erschlaffte Ligamente daher durch Kunststoffbänder ersetzt werden. Eine Faszienkorrektur kann hingegen auf zweierlei Weise erfolgen: 1. durch direkte Reparatur in Form von Inzision und Raffnaht, wobei das Narbengewebe sozusagen als »Klebstoff« dient oder 2. durch Verstärkung der Faszie mit homologem oder heterologem Gewebe. Bei der Auswahl des Operationsverfahrens und des Kunststoffmaterials sollte Folgendes bedacht werden: ▬ Welche Technik auch immer angewendet wird, in jedem Fall müssen die Kollageneigenschaften und die Reaktionen des Körpers auf Goeschen.indd 133 ▬ ▬ ▬ ▬ – 139 Fremdköpermaterial berücksichtigt werden, vor allem in Regionen, in denen Organe sich gegeneinander verschieben. Die Auswahl des operativen Verfahrens muss daher jedes Mal individuell erfolgen. Kollagen, Narbengewebe eingeschlossen, ist eine lebende Struktur, die ständig abgebaut und wieder neu gebildet wird. Dadurch können Narben erweichen und nachgeben. Nichtresorbierbares Material wie z. B. Polypropylen schafft hingegen eine dauerhafte Bandoder Wandverstärkung und unterstützt dadurch lebenslang geschädigte Ligamente oder Faszien. Ein Nachteil ist, dass sich Fremdkörpermaterial nicht den altersbedingten Veränderungen des Körpers anpasst. Außerdem schrumpft Kollagen mit dem Alter, auch das in Bändern und Netzen. Daher ist es möglich, dass ein suburethrales Polypropylenband, das bei einer 30-jährigen Frau die Funktion vollständig wiederhergestellt hat, im Alter von 70 Jahren zur Einengung der Urethra führt. Banderosionen infolge von Rutschen, schlechtem Wirtsgewebe oder überschießender Nar- 09.11.2008 14:12:12 134 Kapitel 13 · Spezielle Überlegungen zur Verstärkung von geschädigtem Bindegewebe gemäß Integraltheorie benbildung können weitere unerwünschte Probleme hervorrufen. ▬ Langzeitergebnisse nach Einbringen von Netzstreifen in die Vaginalwand liegen derzeit noch nicht vor. Es ist nicht auszuschließen, dass eine mit der Zeit zunehmende Fibrose im Bereich des Netzes eine starre, unelastische Scheide zur Folge hat. ▬ Die Scheidenwände müssen aber ausreichend elastisch sein, um sich hinten frei gegeneinander verschieben zu können. Narben im rektovaginalen Zwischenraum können zu Darmproblemen, Dyspareunie oder evtl. Einwachsen des Netzes in die Darmwand führen, Narben im vorderen Bereich zur Inkontinenz, zu Urge und zu Blasenentleerungsstörungen. Daher gibt es Überlegungen, ob nicht quer zwischen dem ATFP oder den rektovaginalen Rändern ausgespannte Bänder den gleichen Effekt haben wie ein Netz. Bei diesem Vorgehen wird weniger Kunststoffmaterial als bei Netzen benötigt. Trotzdem kann die erschlaffte PCF oder RVF wie Deckenträger, die ein Dach halten, verstärkt werden. 13.1 13 Operative Verstärkung von Ligamenten Jeder quergestreifte Muskel ist über eine Sehne an einem Knochen verankert. Um optimal funktionieren zu können, benötigt der Muskel ein festes Widerlager. Wenn seine Sehne bei Zug nachgibt oder zerrissen ist, kann er seine Kraft nicht auf das Erfolgsorgan übertragen. Die Folge ist eine gestörte Funktion. Die Beckenbodenmuskulatur benutzt zur Kraftübertragung Ligamente, die 5fach schwächer sind als eine gleichdicke Sehne. Wenn diese Ligamente geschädigt sind, müssen sie repariert werden, um die Funktion der Beckenorgane zu normalisieren. Die Vergangenheit hat gezeigt, dass Raffnähte nicht ausreichen, da eine Narbe vorgeschädigtes Bindegewebe über längere Zeit nicht zusammenhalten kann. Morscher Stoff, der mit festem Garn repariert wurde, wird bei Zug erneut reißen. Gemäß der Integraltheorie musste daher eine Methode entwickelt werden, mit der sich zerstörte Goeschen.indd 134 Ligamente so verstärken lassen, dass sie möglichst lebenslang ihre ursprüngliche Funktion wieder ausüben. Dafür war es wichtig zu untersuchen, welches Kunststoffmaterial Fremdkörperreaktionen hervorruft, die zum Verstärken von Ligamenten genutzt werden können. 13.1.1 Art des Kunststoffmaterials Petros et al. haben 1990 13 Kaninchen Mersilenebänder zwischen dem M. rectus abdominis und der Urethra entlang der PUL implantiert. Beide Bandenden lagen frei im Scheidenlumen und wurden dort für 6–12 Wochen belassen. In allen 13 Fällen fand sich eine lineare Ablagerung von Kollagen um das implantierte Band (⊡ Abb. 13.1), die nach Bandentfernung in situ verblieb und wie ein künstliches Neoligament wirkte (⊡ Abb. 13.2). In den Maschen des Bandes konnten Makrophagen nachgewiesen werden. Die Tiere zeigten keine Verhaltensveränderung, kein Fieber, keine Appetitlosigkeit und keine Leukozytose. Gleiche Ergebnisse fanden sich in den nachfolgenden Studien bei Patientinnen mit Prototypen der intravaginalen Schlingen (Petros u. Ulmsten 1990c, d, f, 1993b, h). ⊡ Abb. 13.1. Gewebereaktion auf ein implantiertes Mersileneband. Probe von einem Tierexperiment, bei dem für 12 Wochen ein Band um die Urethra implantiert wurde, mit freien Bandenden in der Scheide. Das Band (T) ist umgeben von einer Granulationsgewebeschicht und einer Kollagenschicht 09.11.2008 14:12:12 135 13.1 · Operative Verstärkung von Ligamenten ⊡ Abb. 13.2. Kollagenes Neoligament 6 Wochen nach Entfernen eines Mersilenebands. Probe vom Kaninchen. Pfeile zeigen auf das kollagene Neoligament. V Vagina, B Blase. (Aus Petros 1999b) 13 ⊡ Abb. 13.3. Monofilamentband. Die monofilamentären Fasern sind 100–150 μm dick. Die Zwischenräume sind relativ groß. Die Halbmondform lässt es zu, dass das Band zu einem runden Seil zusammengezogen werden und das Gewebe durchschneiden kann Ulmsten et al. haben 1996 gezeigt, dass Polypropylenkunststoff besser vom menschlichen Gewebe vertragen wird als andere Materialien wie z. B. Mersilene, Goretex, Teflon oder PTFE. Polypropylen weist die niedrigste Erosionsrate auf und verhält sich sogar bei Infektionen inert (Iglesia et al. 1997). Diesem Material wird daher heute bei rekonstruktiver Vaginalchirurgie der Vorzug gegeben. 13.1.2 Mechanische Eigenschaften bei unterschiedlicher Bandtextur Im Rahmen der Inkontinenzchirurgie werden heute sowohl mono- als auch multifilamentäre Bänder erfolgreich eingesetzt. Ein monofilamentäres Band hat dickere Fasern (100–150 μm) als ein multifilamentäres (20–30 μm; ⊡ Abb. 13.3). Es weist relativ große, halbmondförmige Zwischenräume zwischen den Fasern auf und ist dehnbar. Es kann sich bei Zug zu einem Strang verformen. Wegen seiner Elastizität ist eine Arrosion des Nachbargewebes bei einem monofilamentären Band eher möglich als bei einem multifilamentären. Zug beim Legen des Bandes muss vermieden werden, da es den Druck (Kraft pro Fläche) auf das Nachbargewebe erheblich erhöht, wodurch wenig durchblutetes Gewebe wie z. B. die Urethra komprimiert oder sogar durchschnitten werden kann (Koelbl et al. 2001). Goeschen.indd 135 ⊡ Abb. 13.4. Multifilamentband. Das Band ist weich, nicht elastisch und nicht dehnbar und gibt weniger Kraft pro Fläche auf die Urethra. Die Fasern sind 20–30 μm dick, die Zwischenräume 55–75 μm groß und damit signifikant schmaler als die monofilamentären Ein dehnbares Monofilamentband zur Behandlung der SI muss daher immer lose unter die Urethra platziert werden. Im Gegensatz zum monofilamentären Band enthält ein Multifilamentband (⊡ Abb. 13.4) mehr und dünnere Fasern (20–30μm) sowie kleinere Faserzwischenräume. Es ist weicher und nicht dehnbar. Multifilamentbänder besitzen eine größere Oberfläche. Sie stützen die Urethra dadurch breitflächig und vermindern den Druck auf die 09.11.2008 14:12:13 136 Kapitel 13 · Spezielle Überlegungen zur Verstärkung von geschädigtem Bindegewebe gemäß Integraltheorie Harnröhre. Die Chance zur Perforation wird dadurch verringert. Multifilamentäre Bänder sind bei SI bereits wirksam, wenn sie der Urethra nur lose anliegen, ohne sie durch Zug einzukerben. In einer randomisierten klinischen Studie (n=100) mit mono- und multifilamentären Bändern konnte Rechberger et al. (2003) zeigen, dass es in der Monofilamentgruppe zu einem statistisch signifikant höherem postoperativen Harnverhalt kam. Erosionen traten in keiner der beiden Gruppen auf. Nach Rechberger et al. (2003) bestand der einzige Unterschied in beiden Gruppen darin, dass in der Monofilamentgruppe nach Legen des Bandes die Plastikhülle entfernt und die weiche Urethra durch diesen zusätzlichen Zug am Band komprimiert wurde. In einer 2005 publizierten, aus 3 Armen bestehenden randomisierten Studie (n=180) berichten Lim et al. über Erosionsraten von 13,1% und 3,3% für zwei handelsübliche monofilamentäre Bandtypen und 1,7% bei multifilamentärer Struktur. Unabhängig von der verwendeten Textur sollten Kunststoffbänder oder Netze keine spitzen Fransen aufweisen, da die Spitzen durch die Beckenogane oder die Scheidenhaut hindurchstechen und Dyspareunie oder Fisteln erzeugen können. 13.1.3 Gewebereaktionen bei unter- schiedlichem Faserdurchmesser 13 Dünne Fasern, wie sie in Multifilamentbändern (20–30 μm) verwendet werden, induzieren eine wesentlich geringere Gewebereaktion als die dickeren monofilamentären (100–150 μm). Vergleichende Untersuchungen an mono- und multifilamentären Bändern an der Ingenieurschule für Material der Universität von Westaustralien haben aber gezeigt, dass ein multifilamentäres Band eine doppelt so große Kontaktfläche besitzt wie ein monofilamentäres Band (Papadimitriou u. Petros 2005). Insgesamt kommt es dadurch zu einer stärkeren fibrotischen Reaktion als bei monofilamentären Bändern, wobei sich um das Multifilamentband ein Zylinder bildet, der das Band mit einem feinen verflochtenen Kollagennetz umgibt. Das erklärt, warum ein Monofilamentband infolge seiner dichteren Kollagenreaktion schwe- Goeschen.indd 136 rer operativ zu entfernen ist als ein Multifilamentband, das von einem Kollagenzylinder umhüllt ist. Für die Rekonstruktion von schmalen Ligamenten ist eine starke fibrotische Reaktion vorteilhaft, weil dadurch eine größere Festigkeit auf engem Raum erreicht wird. Anders verhält es sich bei einem Netz zur Korrektur einer Zysto- oder Rektozele. Der Druck, der auf eine flächenhafte Faszie einwirkt, ist erheblich geringer als der auf ein Halteligament, so dass zur Verstärkung einer Faszie eine monofilamentär induzierte Gewebereaktion ausreicht. 13.1.4 Bedeutung der Maschengröße und der interfibrillären Zwischenräume Amid hat 1997 empirisch postuliert, dass der Abstand zwischen einzelnen Fasern mindestens 10 μm betragen muss, damit Makrophagen penetrieren können. Für das Einwachsen eines fibrovaskuläres Bündels wäre ein Zwischenraum von 75 μm notwendig. Aus elektronenmikroskopischen Untersuchungen ist aber bekannt, dass Makrophagen durch interendotheliale Lücken schlüpfen können, die kleiner als 1 μm sind (⊡ Abb. 13.5; Papadimitriou u. Ashman 1989). Diese Fähigkeit erreichen sie durch Formveränderung, indem sie nur mit kleinen Ausläufern durch die Lamellen treten. ⊡ Abb. 13.5. Die elektronenmikroskopische Aufnahme zeigt, dass Makrophagen durch interendotheliale Lücken schlüpfen können (S–S1), die einen Durchmesser von weniger als 1 μm haben, durch Bildung von fußartigen Ausläufern (L). (Papadimitriou u. Ashman 1989) 09.11.2008 14:12:13 137 13.1 · Operative Verstärkung von Ligamenten 2005 konnten Papadimitriou u. Petros eindeutig zeigen, dass Multifilamentfasern 2 Wochen nach Implantation von Makrophagen (⊡ Abb. 13.6) umgeben und fibrovaskuläre Bündel in Zwischenräume <5 μm penetriert (⊡ Abb. 13.8–13.10) sind. Vereinfacht ausgedrückt ist das histologische Muster, das sich um ein Kunststoffimplantat bildet, weitestgehend unabhängig vom Kunststoffmaterial. Harrison et al. hat bereits 1956 die Fremdkörperreaktion des Gewebes auf ein Implantat folgendermaßen beschrieben: 13 Im frühen Stadium kann mikroskopisch eine akute Entzündungsreaktion erkannt werden, die durch eine Infiltration von polymorphkernigen Leukozyten und Makrophagen charakterisiert ist. Die akute Reaktion geht schrittweise in eine chronische Entzündung über, die sich durch Lymphozyten, Plasmazellen, Makrophagen und Fremdkörperriesenzellen auszeichnet. Diese Reaktion verschwindet innerhalb von 6 Monaten. Danach können nur noch vereinzelt Makrophagen und Fremkörperriesenzellen angetroffen werden. Eine Fibrose ist bereits ab dem 7. Tag zu erkennen. Nach 14 Tagen ist das Implantat komplett von einer Kapsel aus proliferativem Bindegewebe umgeben (Harrison et al. 1956, p. 156). ⊡ Abb. 13.6. Makrophagen umgeben Multifilamentfasern. Gewebeprobe von Ratten 2 Wochen nach Implantation. Die Mikrofibrillen sind umgeben von Makrophagen, Proteoglykanen und Kollagen Typ III. (Papadimitriou u. Petros 2005) Experimentelle Tierversuche mit dem TFS (⊡ Abb. 13.7, ⊡ Abb. 13.8) bestätigen die Beobachtungen von Harrison et al. (1956, 1958) Diese Arbeiten zeigen, dass ein Polypropylenanker nach 2 Wochen von einer Kapsel aus Bindegewebe umgeben ist, das auch die Mikrofasern des multifilamentären Netzgewebes infiltriert hat. Die normale, durch Kunstoffimplantate ausgelöste Fremdkörperentzündung ist physiologisch und unabhängig von dem Ausmaß der Gewebereaktion. Die Stärke der Gewebereaktion hängt vor allem von dem Volumen des Implantats ab. Weiterhin gibt es beträchtliche Unterschiede von Patient zu Patient (Petros 1999b). Ein steriler Bandabszess ist selten und Folge einer extremen ⊡ Abb. 13.7. Bindegewebe nach 2 Wochen. Die Abbildung zeigt, wie Bindegewebe den Polypropylen-TFS-Anker einkapselt. (TFS = Gewebefixierungssystem) ⊡ Abb. 13.8. Bindegewebe nach 2 Wochen. Makrophagen und fibrovaskuläres Gewebe haben die Mikrofasern des multifilamentären Netzes infiltriert Goeschen.indd 137 09.11.2008 14:12:13 138 Kapitel 13 · Spezielle Überlegungen zur Verstärkung von geschädigtem Bindegewebe gemäß Integraltheorie Fremdkörperentzündung. Er darf nicht mit einem eitrigen Abszess z. B. nach einer Verletzung mit einem Holzsplitter gleichgesetzt werden. Histologische Bilder aus Studien über monound multifilamentäre Bänder beim Menschen zeigen ⊡ Abb. 13.9–13.12 (Papadimitriou u. Petros 2005). In den Schnitten sind Kollagen Typ I und III sowie Proteoglykane angefärbt. Die Kollagenfasern Typ I sind deutlich dicker und erheblich dichter um das multifilamentäre als um das monofilamentäre Netz angeordnet. Ein Zeichen dafür, dass sich das Ausmaß der Kollagenbildung direkt propotional zur Dichte des Netzes verhält (je mehr Netz, desto mehr Kollagen). Beim monofilamentären Band ist mehr Raum für Entzündungszellen, weil die Kollagenfasern eine verminderte Größe und geringere Dichte aufweisen. Weiterhin sind Proteoglykane und sogar argyrophile Fasern (Kollagen-Typ-III-Fibrillen) zwischen den Multifilamentnetzen zu erkennen, ein Beweis dafür, dass sich Bindegewebe und Makrophagen zwischen den multifilamentären Fasern ablagern (⊡ Abb. 13.6). Es ist bekannt, dass Kollagen Typ III das Kollagen ist, das in der frühen Heilungsphase von Fibroblasten sezerniert und meistens mit zu- ⊡ Abb. 13.9. Bindegewebe in der Umgebung von einem monofilamentären Band. Erkennbar sind relativ schmale und wenig dicht angeordnete Kollagenfaserbündel (farbig), die auf dem Monofilamentnetz haftenden großen multinukleären Riesenzellen und die Entzündungszellen in dem umgebenden Bindegewebe 13 ⊡ Abb. 13.11. Proteoglykane (alcianblau) im Bindegewebe. Sie befinden sich in der Umgebung des Monofilamentbands ⊡ Abb. 13.10. Bindegewebe in der Umgebung von einem multifilamentären Band. Erkennbar sind relativ dicke und enger gepackte Kollagenfaserbündel (farbig). Kleine multinukleäre Zellen haften an den Komponenten des Multifilamentbands. Ein amorphes pinkfarbenes Koagel (Proteoglykan) befindet sich in den Zwischenräumen. Nur wenige Entzündungszellen sind in dem umgebenden Bindegewebe vorhanden Goeschen.indd 138 ⊡ Abb. 13.12. Proteoglykane (alcianblau) in den Zwischenräumen von einem Multifilamentband und in dem umgebenden Bindegewebe 09.11.2008 14:12:14 139 13.2 · Reparatur von geschädigten Faszien nehmender Dauer der Heilung von Makrophagen und Fibroblasen wieder abgebaut wird. Seine Anwesenheit in einem 2 Jahre alten Implantat spricht für eine gewisse Plastizität des Implantats. 13.2 Reparatur von geschädigten Faszien 13.2.1 Grundsätzliche Überlegungen Es gibt 2 Schadensarten in der rektovaginalen oder pubozervikalen Faszie: 1. diskrete Risse und 2. homogene Überstreckung dieser Strukturen. Diese beiden Formen können nicht immer voneinander getrennt werden. Während ein Faszienriss direkt durch Nähte repariert werden kann, gelingt das bei Überstreckung eines großen Faszienbereiches meist nicht. Voraussetzung für eine optimale Organfunktion ist, dass die Faszie der Scheidenwand gut gespannt ist. Wie bereits in Kap. 13.1 erwähnt, kann ein quergestreifter Muskel sich nur über eine 13 bestimmte, definierte Länge zusammenziehen. Eine Falte in der Scheidenwand (⊡ Abb. 13.13) bedeutet, dass der zuständige Muskel die Wand nicht vollständig strecken kann und damit seine Wirkung unzureichend ist. Symptome wie z. B. Urge, Pollakisurie, Nykturie usw. werden persistieren, wenn die Scheidenwand bei einer Operation nicht adäquat gespannt und dadurch die Dehnungsrezeptoren nicht ausreichend unterstützt werden (⊡ Abb. 13.13), auch wenn das evtl. implantierte Netz ein Prolapsrezidiv verhindern kann. Die Scheidenfaszie ist die Schicht, die den Zug der quergestreiften Muskulatur auf die Blase und das Rektum überträgt. Eine operative Korrektur, die darauf abzielt, die Organfunktion zu normalisieren, muss daher vorrangig die Originalspannung der Faszie wiederherstellen. Eine Faszie im Stadium eines Prolapses zeigt ⊡ Abb. 13.14. Es wird beispielhaft dargestellt, dass ein unter die Blasenausstülpung gelegtes Netz zwar passiv als Barriere wirkt und eine weitere Verschlechterung der Anatomie verhindert, nicht aber die Funktion normalisiert. Solange eine normale Spannung der Faszie die Dehnungsrezeptoren am Blasenboden nicht entlastet (⊡ Abb. 13.15), ⊡ Abb. 13.13. Schlaffe Scheidenwand. Diese kann durch Muskeln nicht ausreichend gespannt werden. Eine durchhängende Faszie (L) verhindert , dass die Muskelkräfte (Pfeile) die Scheidenwand vollständig strecken und die Dehnungsrezeptoren (N) unterstützen ⊡ Abb. 13.14. Netz, das zwar als Barriere dient, infolge unzureichender Spannung aber nicht den Blasenboden anhebt. ATFP Arcus tendineus fasciae pelvis Goeschen.indd 139 ⊡ Abb. 13.15. Ein physiologisch gespanntes Netz normalisiert Form und Funktion 09.11.2008 14:12:15 140 13 Kapitel 13 · Spezielle Überlegungen zur Verstärkung von geschädigtem Bindegewebe gemäß Integraltheorie werden die Beschwerden persistieren. Das bedeutet, dass eine nach lateral abgewichene Faszie erst wieder zur Mitte gezogen und der Blasenboden angehoben werden muss, bevor ein Netz eingebracht wird. Dabei ist es technisch nicht einfach, ein Netz optimal zu spannen, vor allem wenn es nur durch Nähte fixiert wird. Zudem muss bedacht werden, dass der endgültige Spannungszustand der Faszie erst in den darauffolgenden 10–15 Tagen durch die implantatinduzierte Fibrogenese erreicht wird. Um eine optimale Lage des Netzes bei der Korrektur der Scheidenvorderwand zu erreichen, mussten daher Techniken entwickelt werden, mit denen die Spannung des Netzes im Verlauf der Operation nachkorrigiert werden kann. Bei dem derzeit beliebtesten Vorgehen werden zwei oder vier seitliche Ausläufer eines Netzes durch die obere und/oder untere mediale Begrenzung der Fossa obturatoria nach außen gezogen. Mit diesen Armen kann das Netz zu jedem Zeitpunkt der Operation so gespannt werden, wie es dem Operateur angebracht erscheint. Zur Korrektur der Scheidenhinterwand wurden Netze entwickelt, die mit einem hinteren Band verbunden sind oder ebenfalls vier Arme aufweisen, die nach außen geführt werden. Die alleinige Korrektur der Scheidenhinterwand mit einem Netz erfährt dadurch eine Einschränkung: Die nach lateral abgewichene rektovaginale Faszie wird dabei nicht in ihre normale Position zurückgebracht. Ein weiterer Ansatz zur Korrektur aller Scheidenbereiche stellt das TFS dar (⊡ Abb. 11.6, ⊡ Abb. 11.7). Hierbei wird ein Band mit einem Gewebeanker fixiert und über einen speziellen Mechanismus so gespannt, wie es der Operateur für richtig hält. Welche Art der Faszienkorrektur auch immer angewendet wird, in jedem Fall ist darauf zu achten, dass die Verschiebschichten zwischen den Organen soweit wie möglich erhalten bleiben. Ein Wegschneiden von überschüssigem Gewebe (rote Kreise in ⊡ Abb. 13.16) wird die Narbenbildung verstärken und verhindern, dass die Organe sich gegeneinander verschieben können. Es ist daher besser, keine Haut wegzuschneiden, sondern überschüssiges Gewebe, z. B. in Form einer Hautbrücke, wieder zu verwenden. Chirurgen, die bei vaginalen Korrekturen den Gebrauch von Netz favorisieren, sollten sich jedes Goeschen.indd 140 ⊡ Abb. 13.16. Bedeutung der Zwischenräume zwischen den Organen. Die roten Kreise zeigen, welche Organzwischenräume durch Wegschneiden von Scheidengewebe obliteriert werden können. ATFP Arcus tendineus fasciae pelvis, IS Spina ischiadica, PAS paranaler Raum, PCF pubozervikale Faszie, PVS pubovesikaler Raum, RRS rektorektaler Raum, RVF rektovaginale Faszie, RVS rektovaginaler Raum, U Ureter, VVS vesikovaginaler Raum Mal fragen, ob die Patientin wirklich von einer Verstärkung mit Netz profitiert. Nach Erfahrungen der Autoren kann bei Korrekturen der Scheidenhinterwand in den meisten Fällen auf eine Netzeinlage verzichtet werden, denn eine Normalisierung der Anatomie gelingt auch ohne Netz bei über 90% der Fälle. 13.2.2 Verstärkung von Faszien durch homologes Gewebe Wird überschüssige Scheidenhaut weggeschnitten und die Inzisionsränder unter Zug zusammengenäht, gerät die korrigierte Scheidenwand durch den intraabdominalen Druck und die Schwerkraft frühzeitig unter Spannung. Das führt in einem hohen Prozentsatz zum Rezidiv. Überschüssiges Gewebe sollte besser dazu benutzt werden, eine doppelte Hautschicht an der weichsten Stelle, also im Zentrum einer Hernie zu bilden (⊡ Abb. 13.17a–c). Bei dem als Brückentech- 09.11.2008 14:12:17 141 13.2 · Reparatur von geschädigten Faszien 13 ⊡ Abb. 13.18. a Inzisionslinien für den »bridge-repair« – transversaler Schnitt. Die Inzisionen werden durchgeführt, um eine Brücke (B) zu bilden. b »Bridge-repair« nach Beendigung. Die Brücke (B) ist lateral an der Faszie (F) durch Nähte (S) fixiert. Beachte die Annäherung von A zu A. A gibt die Position der rektovaginalen Faszie (RVF) wieder, F nach lateral abgewichene RVF, R Rektum, RVS rektovaginaler Raum, T transvaginale Haltenähte, V Vagina. ⊡ Abb. 13.17a–c. Brückentechnik. Bildung einer a 1–2 cm breite Brücke durch Durchtrennung aller Hautschichten, b blattförmigen Ellipse im Bereich der hinteren Scheidenwand. Die lateralen Scheidenwände werden über der Brücke durch Nähte vereinigt. Die Ellipse wird seitlich mit Knopfnähten an der gesunden Faszie fixiert. c Die Brücke ist durch Verschluss der Wundränder abgedeckt nik (»bridge-repair«) bezeichneten Verfahren kann auch die nach lateral abgewichene Faszie wieder zusammengebracht werden (⊡ Abb. 13.18a, b). Um die Breite der Brücke exakt bestimmen zu können, wird zunächst die erschlaffte Schei- Goeschen.indd 141 denhaut auf beiden Seiten der Scheidenwände mit Allisklemmen gefasst und nach medial gezogen. Auf diese Weise kann leicht erkannt werden, wie viel überschüssiges Gewebe für eine Brücke vorhanden ist. Das ist ein wichtiger Schritt, weil eine zu breite Brücke ebenfalls zu vermehrter Spannung, zum Ausreißen der Nähte und zum Rezidiv führen kann. Nachdem die Länge und die Breite der blattförmigen Inzisionslinien festgelegt sind, wird die Scheidenhaut vom Rektum durch Aquadissektion getrennt und die komplette Scheidenhaut im Brückenbereich durchtrennt (⊡ Abb. 13.17a). Das Oberflächenepithel der Brücke wird elektrisch ko- 09.11.2008 14:12:17 142 Kapitel 13 · Spezielle Überlegungen zur Verstärkung von geschädigtem Bindegewebe gemäß Integraltheorie aguliert. Das obere Ende der Brücke wird unter der abpräparierten Scheidenhaut in Höhe der Sakrouterinbänder am zervikalen Ring oder an die Faszie der HE-Narbe angenäht. Distal wird die Brücke am Perinealkörper und lateral an der rektovaginalen Faszie mit resorbierbaren Einzelknopfnähten fixiert (⊡ Abb. 13.17b). Falls notwendig kann eine transvaginale Haltenaht gelegt werden, um das Gewebe während des Heilungsprozesses in Position zu halten (⊡ Abb. 13.18b). Die lateralen Scheidenwände werden über der Brücke durch Nähte vereinigt. Der »bridge-repair« ist besonders nützlich im Bereich der hinteren Scheidenwand. Er sollte aber nur durchgeführt werden, wenn genug überschüssiges Gewebe vorhanden ist, das ansonsten weggeschnitten werden müsste. Die Brückentechnik kann ebenfalls im Bereich der vorderen Scheidenwand zur Anwendung kommen. Liegt aber sowohl ein paravaginaler als auch ein zentraler Defekt vor, reicht die Brückentechnik allein nicht aus. Durch den intraabdominellen Druck kommt es in einem hohen Prozentsatz zum Rezidiv, das dann zumeist die gesamte vordere Scheidenwand betrifft. 13.2.3 Verstärkung von Faszien durch heterologes Gewebe 13 Ist eine Faszienschicht altersbedingt ausgedünnt, sollten Scheidenwände mit Netzstreifen oder Schweinekollagen verstärkt werden. Das Gleiche gilt bei Rezidiven. In diesen Fällen ist oft zu wenig muskulofasziales Gewebe vorhanden, um eine die Organe unterstützende Scheidenwand ohne Fremdmaterial aufbauen zu können. Poplypropylennetze Die Grundtechnik zur Korrektur der Scheidenvorderwand bestand darin, ein Polypropylennetz mit zwei vorderen Armen zurechtzuschneiden und hinter dem Symphysenknochen in das Spatium retzii einzubringen. Die heute am häufigsten angewendete Variation zeichnet sich dadurch aus, dass die Arme des Netzes durch die Obturatormembran gestochen und die Auflagefläche des Netzes spannungsfrei unter die Blase gelegt werden. Goeschen.indd 142 Um eine Verletzung der Blase zu vermeiden, ist eine großzügige Dissektion bis zum lateralen Sulcus empfehlenswert. Das hat den weiteren Vorteil, dass das Netz durch den Gewebedruck besser am Ort verbleibt. Damit das Netz flach ausgebreitet liegt und eine Faltenbildung vermieden wird, kann es zusätzlich vorne und seitlich am M. pubococcygeus sowie hinten am zervikalen Ring bzw. der HE-Narbe angenäht werden. In diesen Fällen muss das Netz ausreichend lang sein, um sich nach lateral zum ATFP hin ohne Spannung ausbreiten zu können. Die vordere Begrenzung des Netzes sollte unbedingt 1 cm hinter dem Blasenhals liegen, so dass es nicht den Blasenverschlussmechanismus beeinflussen kann ( Kap. 8, 10, 11; Tethered-Vagina-Syndrom). In jedem Fall ist es ratsam, die Enden des Netzes abzurunden, um Erosionen oder Organverletzungen zu vermeiden. ! Trotz der Vorteile einer Netzunterstützung sollte im Einzelfall immer überlegt werden, ob es eine Alternative zur Netzimplantation gibt, da Millani et al. (2004) in über 13% der Fälle Netzerosionen, in bis zu 63% Dyspareunien und in 20% eine Abnahme sexueller Aktivitäten nach Netzimplantation beobachtet hat. Schweinekollagen Als Alternative zum Polypropylennetz kann Schweinekollagen verwendet werden, das von der Industrie in dünnen Scheiben angeboten wird. Schweinegewebe wird nachgesagt, dass es verschiedene Komplikationen wie z. B. Erosionen, Entzündung, Dyspareunie vermeidet. Die Ergebnisse nach kurzen und mittellangen Zeiträumen sind widersprüchlich, weil die individuelle Reaktion von Menschen auf Schweinegewebe unterschiedlich ist. Tierkollagen stimmt nur zu 85% mit menschlichem überein (Peacock 1984). Daraus ergeben sich fundamentale immunologische Unterschiede, die im Voraus nicht abzuschätzen sind. 09.11.2008 14:12:19 http://www.springer.com/978-3-540-88354-8