Nr. 3 Juli 2004 Fazit Proseminar Essays Krieg und Frieden im asiatisch-pazifischen Raum Martin Wagener (Hrsg.) Universität Trier Lehrstuhl für Internationale Beziehungen und Außenpolitik Proseminar WS 2003/2004 Einführung in die Internationalen Beziehungen/Außenpolitik. Krieg und Frieden im asiatisch-pazifischen Raum Redaktionsteam Bettina Becker, Andreas Berding, Martin Greif, Christine Käthler Martin Wagener, M.A., ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Internationale Beziehungen und Außenpolitik der Universität Trier. Universität Trier Fachbereich III - Politikwissenschaft Universitätsring 15 54286 Trier Tel.: + 49 (0) 651 / 201 - 2110 Fax: + 49 (0) 651 / 201 - 3821 e-mail: [email protected] Internetseite: http://www.martin-wagener.org 2 Inhalt Vorwort Martin Wagener 6 Opiumkrieg (1840 – 1842) Die Bedrohung Chinas durch Opium Christine Käthler 7 Britische Opium-Politik Tim Kubach 10 Krieg China – Japan (1894 – 1895) Kampf um Korea Thomas Klein 13 Das Versagen des chinesischen Kaisers Martina Randel 16 Krieg USA – Spanien (1898) Die amerikanische Expansionsstrategie Markus Hesedenz 19 Krieg Rußland - Japan (1904 - 1905) Japanische Motive für den Angriff auf Port Arthur Bettina Becker 22 3 Pazifikkrieg (1937 – 1945) Die Sozialisierung Japans im Vorfeld des Krieges gegen China Daniel Ames 25 Die Wende der chinesischen Japanpolitik Stefanie Rampe 28 Japans Angriff auf Pearl Harbor Marco Hahn 31 Amerikas Abkehr vom Isolationismus Dirk Mludek 34 Kriege Indien – Pakistan (1965, 1971) Pakistans Weg in den zweiten Kaschmir-Krieg Eveline Kiefer 37 Der dritte indisch-pakistanische Krieg Stephanie Lang 40 Korea-Krieg (1950 – 1953) Präventivschlag gegen Südkorea? Martin Greif 43 Ursachen der Intervention Chinas Jenni Werner 46 Krieg Frankreich – Vietnam (1946 – 1954) Für ein freies Vietnam Benedikt Schulte 49 4 Krieg China – Indien (1962) Konflikt um die Grenze Nina Wiesel 52 Indiens Weg in den Krieg Andreas Berding 55 Krieg USA – Vietnam (1965 – 1973) „US-Imperialisten, verschwindet aus Südvietnam!“ Florian Dröscher 58 Warum die USA Nordvietnam angriffen Lars Potyka 61 Krieg China – Vietnam (1979) Der chinesische „Straffeldzug“ Stefan Schwarz 64 Das „unerziehbare“ Vietnam Yves Hackenspiel 67 Literatur zum Proseminar 70 5 Vorwort Martin Wagener Mit den vorliegenden Essays zum Thema „Krieg und Frieden im asiatischpazifischen Raum“ erscheint Fazit Proseminar nunmehr in seiner dritten Ausgabe. Auch dieses Mal soll der Versuch unternommen werden, zwei Unterrichtsentwicklungen entgegenzusteuern. Zum einen ist festzustellen, daß sich die meisten Studenten mit zunehmender zeitlicher Distanz zum Seminar an immer weniger Details erinnern können. Oftmals erscheint nur noch nebulös, worüber einst hitzig diskutiert worden ist. Zum anderen bleibt die Kenntnisnahme dessen, was während des Unterrichts erarbeitet worden ist, auf den Teilnehmerkreis beschränkt. Studenten, die inhaltlich ähnlich aufgebaute Proseminare besuchen, können somit nicht vergleichen, wie und worüber anderenorts gearbeitet worden ist und welche Ergebnisse dabei erzielt worden sind. Zentrale Unterrichtsresultate sollen daher mit Fazit Proseminar einem breiteren Publikum zugänglich gemacht werden. Das Niveau der Essays bewegt sich auf dem eines arbeitsintensiven Proseminars, dessen Teilnehmer sich in der Regel erstmalig mit den Kriegen des asiatischpazifischen Raums beschäftigt haben. Die Seminarleitung hat inhaltlich und strukturierend dort eingegriffen, wo es unbedingt notwendig war und dem Lernfortschritt diente. Ansonsten übte sie sich in Zurückhaltung, um den Proseminarcharakter nicht zu verwässern. Mein besonderer Dank gilt den Seminarteilnehmern, die ebenso pünktlich wie zuverlässig ihre Beiträge abgegeben haben, sowie insbesondere dem Redaktionsteam um Bettina Becker, Andreas Berding, Martin Greif und Christine Käthler, die diesen Prozeß hartnäckig begleitet haben. Fazit Proseminar wird weiterhin in unregelmäßigen Abständen erscheinen und die Arbeitsergebnisse der Proseminare von Martin Wagener zusammenfassen. Nähere Informationen sind unter der Internetseite http://www.martin-wagener.org einsehbar. Der Herausgeber ist für Anregungen und Kritik jeder Art dankbar. 6 Die Bedrohung Chinas durch Opium Christine Käthler Die Chinesen ließen sich 1840 auf einen Krieg mit den militärisch überlegenen Briten ein. Die Frage ist, was sie dazu veranlaßte, ihre Truppen gegen die Briten kämpfen zu lassen. In diesem Zusammenhang interessiert besonders, welche Theorie der internationalen Beziehungen den Krieg am besten erklärt. Vorgeschichte, Verlauf und Ergebnisse des Krieges aus chinesischer Sicht Schon im Jahre 1729 erging das erste Verbot des damaligen Kaisers von China, aus dem hervorgeht, daß der Vertrieb von Opium mit einer Gefängnisstrafe geahndet würde. Allerdings findet man in den Jahrzehnten darauf bis etwa in die 30er Jahre des 19. Jahrhunderts kaum Hinweise auf eine konsequente Implementierung dieser Verordnung des Kaisers. Es sind nur wenige Fälle bekannt, in denen ein Opiumhändler tatsächlich eine Gefängnisstrafe verbüßen mußte. Außerdem galt: je größer der Fisch, der geschnappt wurde, desto nachlässiger die Dokumentation der Ermittlungen. Dieser Sachverhalt läßt darauf schließen, daß die chinesischen Behörden ein vehementes Interesse am Opiumhandel hatten. Sie verdienten durch Bestechungsgelder und die sogenannten „gui-“ Gebühren („Gefälligkeitszahlung“ an die Beamten) am Opiumhandel mit den Briten. 1729/30 kam es zum Handelsboykott seitens der Briten. Den Briten mißfiel, daß sie im Falle eines Bankrotts eines Hong-Unternehmens (Kaufmannsgilde, die auf Befehl des Kaisers das Monopol auf den Handel mit den Briten innehatte) Zahlungen an die Chinesen zu leisten hatten. Zur Abwehr dieses Boykotts machten die Chinesen einige Zugeständnisse an die Briten. Unter anderem verringerten sie die „gui-“ und Dolmetschergebühren. 1833 ernannte der Premierminister Großbritanniens drei Superintendanten, die zuständig für den Handel in China sein sollten. Der Chef-Superintendant Lord Napier hatte die Aufgabe, in China eine permanente Jurisdiktion zu errichten, ein Novum, denn bis dahin hatte es nur auf Macao und saisonal in Kanton britische Jurisdiktion gegeben. Neben dem eigenmächtigen Aufbau der Gerichtsbarkeit kam es in diesen Jahren auch zu einer massiven Verschlechterung der chinesischen Außenhandelsbilanz. Meist wurden das Opium und andere Waren mit Silber bezahlt, so daß es zu einem starken Silberabfluß ins Ausland kam. 1839 reagierte Kaiser Dao Guang darauf mit einem totalen Verbot der Opiumeinfuhr und sandte den Generalgouverneur Lin Zexu als kaiserlichen Kommissar nach Kanton. Dieser sollte die Ausliefe7 rung des dort gelagerten Opiums fordern. Großbritannien weigerte sich, woraufhin die Chinesen britische Niederlassungen in Kanton blockierten. Die Briten lieferten 20.000 Kisten des geforderten Opiums an Lin ab, der sie umgehend vernichten ließ. Lin Zexu versuchte anschließend auf dem diplomatischen Wege mit der britischen Königin zu einer Einigung zu kommen. Dieser Versuch schlug fehl. Am 20. Februar 1840 schickte der britische Außenminister Lord Palmerston einen Brief an die chinesische Regierung, in dem er Vergeltungsmaßnahmen für das vernichtete Opium ankündigte. Kurz darauf griff die Fernostflotte Großbritanniens China an. Zweieinhalb Jahre dauerte der militärische Konflikt zwischen Großbritannien und China, bis es am 29. August 1842 zur Unterzeichnung des „Friedens von Nanjing“ kam. In dem Friedensvertrag wurde Hongkong Großbritannien zugesprochen, China verpflichtete sich zur Öffnung von fünf Häfen für den internationalen Handel und zur Zahlung einer Kriegsentschädigung an Großbritannien von sechs Millionen US-Dollar. Ein Zusatzabkommen zwischen Großbritannien und China vom 8. Oktober 1843 besagte, daß China nur noch Zölle von maximal fünf Prozent auf chinesische Importe erheben dürfte. Außerdem mußte es sich für christliche Missionen öffnen und Großbritannien konsularische Rechte gewähren. Das Abkommen enthielt überdies eine Meistbegünstigungsklausel, die den Grundstein für die in den darauffolgenden Jahren mit den USA und Frankreich abgeschlossenen Abkommen legte. Theoretische Erklärung der Kriegsursachen Die neorealistische Theorie der internationalen Beziehungen nach Kenneth N. Waltz besagt, daß das primäre Interesse eines Staates seiner Sicherheit und seinem Überleben gilt. Dieses Ziel wird jedem Staat zugeschrieben. Das Kriterium zur Unterscheidung von Staaten sind nicht ihre Funktionen, sondern ihre capabilities. Darunter fallen Aspekte wie die Geographie, Demographie, Größe des Verteidigungshaushaltes, das Bruttoinlandsprodukt und der Human Development Index. Mit diesen und anderen Kriterien wird die Wertigkeit eines Staates bestimmt. Staaten sind also gleichartig, aber nicht gleichwertig. Chinas Überleben und Sicherheit, und damit sein Status im anarchischen internationalen System, waren vor allem in zwei Bereichen bedroht: Volkswirtschaft und Bevölkerung. Unter volkswirtschaftlichen Gesichtspunkten fiel besonders der Abfluß von Silber ins Ausland ins Gewicht. Die Summe des ins Ausland fließenden Silbers kann nicht genau beziffert werden, man geht in den 1830er Jahren von etwa 20 bis 30 Millionen Unzen jährlich aus. Es bleibt hier festzuhalten, daß aus dem Handel eine defizitäre Außenhandelsbilanz auf Seiten Chinas folgte. Die Folgen des Handels hatten jedoch nicht nur Auswirkungen auf die Wirtschaft, sondern auch auf die Gesundheit des Volkes und die Effizienz des Militärs. Laut vorsichtigen Schätzungen waren etwa ein Prozent der chinesischen Bevölkerung von den Symptomen der Sucht, Abmagerung, Kräfteverfall, Gang- und 8 Sprachstörungen betroffen, andere Schätzungen gehen von drei bis fünf Prozent aus. Der Konsum von Opium verbreitete sich besonders unter den Soldaten sehr stark, so daß sich auch Chinas militärische Stärke verringerte. China sah also essentielle Bestandteile seines Staatsgefüges, vor allem Wirtschaft, Bevölkerung und Militär, in Gefahr und seine Sicherheit als nicht mehr gewährleistet. Deshalb entschied sich der Kaiser für den Griff zur Waffe. Aus dieser aus den Augen der Chinesen gesehenen Gefahr leitet sich der primäre Grund für den Opiumkrieg ab. Sie wurden von Großbritannien bewußt durch deren illegalen Import von Opium geschwächt, welches Großbritannien als Tauschwert für Tee und Seide diente. Man muß den Chinesen unterstellen, daß sie durch die reibungslose Verteilung des Opiums innerhalb ihres eigenen Landes, an der die Briten nicht beteiligt waren, zu dieser Schwächung selbst beigetragen haben. Dies trifft allerdings nur für Teile der Bevölkerung zu, insbesondere für die korrupten Staats- und Zollbeamten. Der Verteilung im Land ging jedoch der erwähnte illegale Import und ein militärischer Angriff Großbritanniens voraus, so daß China praktisch nur die Alternative Gegenwehr blieb. Es konnte eine Schwächung seiner capabilities nicht zulassen und mußte seine Stellung im internationalen System sichern. Somit trägt der Waltzsche Neorealismus am besten zur Klärung der entscheidenden Kriegsgründe Chinas bei nach dem Motto: Hilf dir selbst sonst hilft dir keiner. 9 Britische Opium-Politik Tim Kubach In diesem Essay soll der Opiumkrieg aus britischer Perspektive untersucht werden. Im Kernpunkt der Analyse wird unter Berücksichtigung der Theorie des Kommerziellen Liberalismus der Frage nachgegangen, durch welche Gründe Großbritannien sich gezwungen sah, gegen China militärisch zu intervenieren Vorgeschichte, Verlauf und Ergebnisse des Krieges aus britischer Sicht Grundstein der Entwicklung ist das Jahr 1729. Bereits hier erläßt die chinesische Regierung ein Verbot auf die Einfuhr sowie auf den Handel mit Opium. Der Opiumhandel wird jedoch aufgrund seines profitreichen Ertrages weiterhin illegal mit Unterstützung korrupter chinesischer Beamter fortgeführt. Im Jahr 1797 wird die East India Company Monopolist für Erzeugung und Handel mit Opium. Eine Kiste Opium aus Indien, dortiger Wert 237 Rupien, erzielte in China mittlerweile einen Verkaufspreis von 2428 Rupien. Durch die Aufhebung der Produktionsbeschränkung für die Opiumerzeugung im Jahre 1821 und den Wegfall des Handelsmonopols der East India Company im Jahre 1833 erfuhr der Opiumhandel eine weitere Intensivierung. Nun war es nämlich allen am Chinahandel interessierten britischen Firmen möglich, sich an diesem zu beteiligen. Durch die rapide Zunahme der sogenannten Private Agency Houses stieg die Anzahl der aus Indien exportierten Opiumkisten bis zum Ende der 1830er Jahre auf circa 40.000 Kisten an, mit einem geschätzten Wert von 25 Millionen US-Dollar. Während dieser Zeit jedoch begannen zunehmend Komplikationen den Opiumhandel zu stören. Zurückzuführen waren diese Störfälle auf einen neuen Erlaß der chinesischen Regierung, die ein totales Einfuhrverbot auf Opium verhängte. Zwecks Durchsetzung des Erlasses wurde der chinesische Generalgouverneur Lin nach Kanton gesandt, um den Handel mit dem aus britischer Sicht profitablen Opium zu unterbinden. Hieraus folgten vor allem Blockaden gegenüber englischen Niederlassungen, um deren Opiumhandel weitestgehend einzuschränken. Im März des Jahres 1839 überschlugen sich dann die Ereignisse. Der von der britischen Krone abgesandte Handelskommissar Charles Elliot wurde zunehmend von Seiten der chinesischen Regierung unter Druck gesetzt, illegal eingeführte Opiumkisten zu überstellen. In dieser Situation beschloß der britische Handelskommissar, die fraglichen 20.000 Kisten Opium an die chinesische Regierung auszuliefern, welche Generalgouverneur Lin umgehend vernichten ließ. 10 Durch die zunehmend prekäre Lage im südchinesischen Kanton, aber auch als Zeichen des Protests, sah sich eine Vielzahl von britischen Handelsleuten gezwungen, nach Macao überzuschiffen. Beijing sprach daraufhin für sie ein umfassendes Verbot der Wiederkehr nach Kanton aus und drohte mit der Todesstrafe für die weitere Einfuhr beziehungsweise den Handel mit Opium. In England selbst forderten daraufhin einflußreiche Handelskreise energische Maßnahmen der britischen Regierung gegen China. In seiner damaligen Funktion als britischer Außenminister richtete Lord Palmerston am 20. Februar 1840 ein Schreiben an die chinesische Regierung, in dem er militärische Vergeltungsmaßnahmen ankündigte und von einer diplomatischen Korrespondenz absehen würde, da dies angesichts der Mentalität der chinesischen Regierung ohnedies zu keinem Ergebnis führen würde. Im Juni des Jahres 1840 startete Großbritannien die Kampfhandlungen gegen China. Mit Hilfe technisch überlegener Schiffsartillerie konnten die britischen Streitkräfte von Positionen außerhalb des zu geringen Schußbereiches der chinesischen Geschütze die gegnerischen Stellungen zerschlagen und strategisch wichtige Positionen einnehmen. Der militärischen Überlegenheit der Briten konnte China nur kurzzeitig entgegenwirken, so daß der erste Opiumkrieg am 29. August 1842 mit dem Vertrag von Nanjing endete. Die Kernpunkte beinhalteten die Öffnung von fünf chinesischen Häfen, unter anderem Kanton und Shanghai, sowie eine Entschädigung für das vernichtete Opium in Höhe von sechs Millionen US-Dollar und der Abtritt der Insel Hongkong an England. Theoretische Erklärung der Kriegsursachen Der Kommerzielle Liberalismus stellt gesellschaftliche Präferenzbildungsprozesse in den Fokus der Analyse. Dieser Vorgang erklärt das Verhalten von Staaten, indem die Anreize des Marktes betrachtet werden, dem sich innenpolitische und transnationale ökonomische Akteure wie Firmen und Unternehmen ausgesetzt sehen. Nachfolgend werden somit die britischen Interessen im Chinahandel dargestellt sowie die Akteure, die dadurch profitierten. Zu Beginn des Chinahandels lag das britische Hauptinteresse im Handel mit Tee, denn die aus dem Teehandel resultierenden Profite finanzierten zu einem großen Teil die militärischen Eroberungen der East India Company. Doch auch der Schatzkanzler in London war am Teehandel interessiert, schließlich deckten die Teezölle bis zu ein Zehntel seines Budgets. Zu Beginn wurde der Teeimport mit Silber finanziert, doch mit zunehmender Kapazität des Teehandels stiegen die Kosten auf britischer Seite; hinzu kam, daß Silber als klassisches Zahlungsmittel gegen Ende des 18. Jahrhunderts an Bedeutung verloren hatte. Man mußte somit auf britischer Seite ein neues profitables Tauschgut finden. Die indische Rohbaumwolle konnte jedoch nur vorübergehend diese Lücke schließen und verlor, nachdem der Markt für Rohbaumwolle 1819 zusammengebrochen war, an Bedeutung. 11 Zur selben Zeit hatte sich durch die East India Company, der Monopolist für Opium, jedoch nicht für Rohbaumwolle war, der Handel mit dem Opiat aus Bengalen und der Region um Bombay etabliert. Das Opium wurde somit einerseits zur Existenzbedingung des Teehandels, denn Tee erfreute sich damals einer großen Beliebtheit als „Society Getränk“ und erzielte dadurch einen immensen Absatz in Großbritannien, andererseits trug es zur Finanzierung der britischen Kolonialherrschaft in Indien bei. Es existierte also eine indirekte Präferenzbildung von politischen und ökonomischen Akteuren, den Opiumhandel auszubauen, um weiterhin die große Nachfrage nach chinesischem Tee zu decken. Durch den Wegfall der Monopolstellung der East India Company im Jahre 1830 wurde der Opiumhandel noch attraktiver. In Erwartung von steigenden Gewinnen etablierten sich immer mehr Private Agency Houses, die im Chinahandel frei expandieren konnten. Folglich erfuhr der profitträchtige Export nach China mit indischem Opium eine Kapazität, welche ohne weiteres den Teeimport nach Großbritannien finanzierte. Das Opium wurde somit zur Speerspitze eines aggressiven Freihandels und sollte Wegbereiter weiterer Exporte und industrieller Fertigwaren von britischen Kaufleuten für den florierenden chinesischen Absatzmarkt sein. Es zeichnete sich im Kontext der Historie eine Entwicklung ab, in der erfolgreiche ökonomische Akteure des Opiumhandels, wie die privaten Kaufleute aber auch die China Association of London sowie die Handelskammern von London und Manchester, ein immer größer werdendes Mitspracherecht auf sich vereinigten. Diese ökonomischen Gruppen besaßen somit großen Einfluß auf die innerstaatliche Präferenzbildung, welche die Außenpolitik Englands widerspiegelte. Hieraus läßt sich auch die Kriegsursache ableiten. Durch die wachsenden Gewinne im Opiumhandel waren die ökonomischen Akteure auf Seiten der Briten immer mehr daran interessiert, den Chinahandel komplett zu öffnen und drängten auf klare und stabile Wirtschaftsbeziehungen. Jedoch zwangen aus dem Opiumhandel entstandene wirtschaftliche Nachteile China zu einer protektionistischen Wirtschaftspolitik. Daraus läßt sich schließen, daß die Ereignisse im März 1839 ein willkommener Anlaß waren, Chinas Blockadehaltung zu zerschlagen. Die ökonomischen Akteure nutzten ihr Gewicht bei der innerstaatlichen Präferenzbildung und drängten die britische Regierung zur militärischen Intervention gegen China. 12 Kampf um Korea Thomas Klein Ziel dieses Aufsatzes soll es sein, die Gründe herauszuarbeiten, die für Japan ausschlaggebend waren, 1894 den Krieg gegen China zu beginnen. Zur Erklärung soll hierbei die neorealistische Theorie nach Kenneth N. Waltz herangezogen werden. Vorgeschichte, Verlauf und Ergebnisse des Krieges aus japanischer Sicht Japan befand sich ab der Mitte des 19. Jahrhunderts in einer ähnlichen Situation wie sein Kontrahent China. Die Jahrhunderte lange Isolation war gewaltsam von den westlichen Staaten aufgebrochen worden, die den Japanern aufgrund der militärtechnischen Fortschrittlichkeit überlegen waren. Japan wurden nach der Öffnung durch den amerikanischen Flottenkommandeur Perry 1854 ungleiche Verträge aufgezwungen. Diese sicherten den Amerikanern und Europäern freien Zugang zum japanischen Markt und Exterritorialität zu und bedeuteten eine Einschränkung der japanischen Souveränität. Im Gegensatz zu China schaffte es Japan aber recht schnell, den Rückstand durch eine radikale Umwälzung der sozialen und politischen Gefüge aufzuholen. Nach europäischem und amerikanischem Vorbild wurden in einer gewaltigen nationalen Kraftanstrengung innerhalb weniger Jahrzehnte sowohl die politische, wirtschaftliche und militärische Organisation als auch Schul- und Bildungswesen in wesentlichen Punkten modernisiert. So kann bei dem Japan der 1890er Jahre durchaus von einem nach westlichen Vorstellungen modernen Staat gesprochen werden. Der Konflikt Japans mit China entstand nun durch den japanischen Versuch, in Korea politischen und wirtschaftlichen Einfluß auszuüben. Ebenso wie China und Japan hatte sich Korea von der Außenwelt isoliert und wurde nun gewaltsam von der japanischen Marine geöffnet. 1876 wurde Korea der ungleiche Vertrag von Kanghwa aufgezwungen, der die Wahrung der japanischen Interessen in Korea befestigen sollte. Korea war von China über Jahrhunderte hinweg als Vasallenstaat angesehen worden, und jeder Versuch einer dritten Macht, die koreanische Halbinsel zu dominieren, mußte zu einem Konflikt mit China führen. In Korea führte der Aufstand der konservativen antiwestlichen Tonghak–Bewegung zu einer Krise, die die koreanische Führung dazu bewog, den alten Verbündeten China um Hilfe zu bitten. Daraufhin entsandten sowohl China als auch Japan Truppen zur Niederschlagung des Aufstandes. Es kam zu einem Gegensatz zwischen der chinesischen 13 und der japanischen Regierung, weil letztere eine zwangsweise Modernisierung Koreas durchführen wollte, was China ablehnte. Daraufhin setzten die Japaner einen neuen koreanischen Regenten ein und veranlaßten diesen, China den Krieg zu erklären und Japan um Hilfe zu bitten. Infolgedessen erklärte Japan am 1. August 1894 China den Krieg. Im Verlauf des Krieges wurde die große strategische und organisatorische Überlegenheit der japanischen Armee deutlich. Nach einer Reihe von verheerenden Niederlagen mußte China diese im Vertrag von Shimonoseki anerkennen. Dieser Friedensvertrag sah die Abtretung von chinesischen Inseln (zum Beispiel Formosa) sowie eine Kriegsentschädigung und den Abschluß von Handelsverträgen mit Japan vor. Wichtigster Punkt war aber die Anerkennung der Souveränität Koreas, was de facto nichts weiter bedeutete als die Vorherrschaft Japans über Korea. Theoretische Erklärung der Kriegsursachen Hier soll nun zur Untersuchung des Konfliktes die neorealistische Theorie nach Kenneth N. Waltz herangezogen werden. Ziel eines jeden Staates ist es nach Waltz, sein eigenes Überleben zu sichern. Dieses versucht er zu erreichen, indem er danach strebt, seine materiellen Machtmittel (capabilities) zu vergrößern. Als Gefährdung des Bestandes eines Staates wird das Fehlen einer übergeordneten Regelungsinstanz im internationalen System und die daraus resultierende Anarchie in der Staatenwelt gesehen. Konkret mußte sich Japan in diesem Fall durch die Expansion der europäischen Staaten auf dem asiatischen Kontinent gefährdet sehen. Um dieser Gefährdung entgegenzuwirken, war es für Japan daher unerläßlich, die eigene Position zu stärken und sich aus der kolonialen Umklammerung der westlichen Staaten zu befreien, die mit dem Aufzwingen der ungleichen Verträge bereits begonnen hatte. Besonders bedrohlich mußte für Japan hierbei die Ausweitung der russischen capabilities in Ostasien wirken. Nach der Fertigstellung der Transsibirischen Eisenbahn, deren Bau 1891 begonnen worden war, würde es Rußland erstmals möglich sein, große Truppenverbände innerhalb kürzester Zeit auf Schlagdistanz zu japanischem Territorium zu bringen. Der Aufbau des Flottenhafens in Wladiwostok stellte ebenfalls eine Erhöhung der capabilities dar, die den Japanern gefährlich werden konnte, da er direkt am japanischen Meer gelegen war. Hinzu kam die augenfällige Schwäche Koreas. Man mußte befürchten, daß es mittelfristig von Rußland dominiert werden könnte. Da den Russen in Korea zum einen dauerhaft eisfreie Häfen zur Verfügung gestanden hätten und es von der koreanischen Küste zum anderen nur noch wenige Kilometer bis zur japanischen Hauptinsel gewesen wären, mußte aus japanischer Sicht unbedingt verhindert werden, daß Korea unter russische Kontrolle gerät. Bestes Mittel, das zu erreichen, war, den eigenen Einfluß in Korea zu vergrößern. Da dies nur durch die Überwindung des chinesischen Widerstandes zu schaffen war, nahm man einen Konflikt mit dem Reich der Mitte in Kauf. Der Krieg wurde also aus japanischer Sicht nicht in erster Linie geführt, um China zu 14 besiegen, sondern um die eigene strategische Position in Bezug auf eine Aggression des Westens zu verbessern. Aus der neorealistischen Sicht macht der Versuch Japans, Korea zu kontrollieren, nicht nur als Besetzung einer militärstrategischen Position Sinn, sondern auch als Sicherung überlebensnotwendiger Ressourcen. Wichtig für die Modernisierung der japanischen Wirtschaft war der Aufbau einer Schwerindustrie und die Erhöhung des Exports. Hier war die Insellage Japans hinderlich, da sie die Verfügbarkeit von Ressourcen verteuerte. Als Beispiel ist Gold zu nennen, das für den Export benötigt wurde, da alle relevanten Währungen dieser Zeit den Goldstandard hatten. Hier war Japan von Korea abhängig, da zwischen 1868 und 1893 68 Prozent der japanischen Goldimporte aus Korea stammten. Eine ähnliche Abhängigkeit gab es seit der Mißernte von 1889 von koreanischem Reis. Es war also auch im Hinblick auf die wirtschaftlichen capabilities enorm wichtig zu verhindern, daß eine dritte Macht Kontrolle über Korea ausüben konnte. Als weiteres Motiv kann das Streben nach der Gewinnung eines Verbündeten gesehen werden. Auch Großbritannien sah in der Erweiterung der russischen capabilities eine Gefährdung der eigenen Machtposition in Ostasien. Es suchte also einen regionalen Verbündeten, um den russischen Einfluß zurückzudrängen. Zunächst wurde China favorisiert, da es als die stärkste Macht in dieser Weltgegend angesehen wurde. Für Japan war der Sieg über China also eine gute Gelegenheit, seine eigene Fortschrittlichkeit zu beweisen und sich dadurch als Bündnispartner attraktiv zu machen. Zusammenfassend kann also gesagt werden, daß nicht China im Mittelpunkt der japanischen Aggression stand, sondern daß es lediglich das Hindernis war, das es zu beseitigen galt, um die eigene Position zu stärken. Ziel war es in erster Linie, die eigenen capabilities durch einen erfolgreichen Krieg zu erhöhen, um der Bedrohung durch die Expansion der westlichen Staaten, vor allem Rußlands, entgegenzuwirken. 15 Das Versagen des chinesischen Kaisers Martina Randel Im folgenden Text wird der chinesisch-japanische Krieg aus der Sicht des chinesischen Kaisers Zai-tian, oder auch kurz Jingdi, betrachtet. Dabei soll herausgestellt werden, daß die Niederlage der Chinesen in erster Linie auf die Politik des Kaisers als uneingeschränkte Herrscherfigur zurückzuführen ist. Vorgeschichte, Verlauf und Ergebnisse des Krieges aus chinesischer Sicht Die Vorgeschichte des chinesisch-japanischen Krieges ist geprägt von dem Streit um alte Tradition und moderne westliche Einflüsse. Da Japan ein westlich orientiertes Land war, der chinesische Kaiser aber mit seiner Politik immer noch dem Konfuzianismus anhaftete und westlichen Einflüssen abwehrend gegenüberstand, kam es schon Jahre vor Ausbruch des Krieges zu einem sich steigernden Konflikt. Als „Herrscher über alles unter dem Himmel“ existierte für den chinesischen Kaiser keine Gleichheit der Nationen. China begriff sich auch als „Reich der Mitte“ oder „Zentrum der Welt“. Danach ausgerichtet gestaltete der chinesische Kaiser seine Politik. Dies bedeutete, daß es sein erklärtes Ziel war, seinen Machtbereich auszuweiten und aufkommende Reformen in anderen Ländern mit allen Mitteln zu unterbinden. Nachdem allerdings Unruhen im eigenen Land ausbrachen, entschloß er sich, parallel zum Konfuzianismus einige westliche Einflüsse zuzulassen. Da diese Reformen sich aber nicht mit der alten Tradition vereinbaren ließen, kam es zum Eklat. Der Konflikt mit Japan steigerte sich und endete in einem ernsthaften Streit um die Insel Korea. Kaiser Jingdi weigerte sich vehement, die Oberhoheit über Korea abzugeben. Mit allen Mitteln sollte ein Einzug Japans in Korea und somit eine Verwestlichung der Insel verhindert werden. Der Streit eskalierte am 1. August 1894 schließlich in einer beidseitigen Kriegserklärung. Mehrere grundlegende Fehlannahmen des chinesischen Kaisers führten dazu, daß eine Niederlage Chinas schon früh absehbar war. So nahm der Kaiser Jingdi Japan als Kriegsgegner nicht ernst und glaubte nicht an einen Sieg Japans. Fälschlicherweise war sich der Kaiser seines Machtverlustes nicht bewußt. So verzichtete er auf die Entsendung von Truppen und die Erstellung einer Kriegsstrategie. Für Japan war es daher ein Leichtes, erste Teilerfolge gegen China zu erringen. Eine erste ernsthafte Niederlage erfuhr China mit dem Verlust der Stadt Seoul am 23. Juni 1894. Die äußerst schlecht organisierte chinesische Armee war kaum noch für den Krieg zu motivieren. Erschwerend kam hinzu, daß die einzelnen Oberbe16 fehlshaber der Provinzen ihre Truppen unter eigener Herrschaft führten und sie sich somit den Befehlen des chinesischen Kaisers widersetzen konnten. Diese Situation trat ein, und so kam es zu zahlreichen Rückschlägen Chinas. Die japanische Armee errang mehrere strategisch wichtige Erfolge. Die chinesische Armee verblieb nach wie vor unmotiviert in einer lethargischen Kriegshaltung. Selbst die weitaus stärkere Marine der Chinesen wagte keine Offensive gegen die Japaner. Somit sank die Glaubwürdigkeit der Armee und seiner Befehlshaber im Hintergrund immer mehr. Selbst die spät erstellte Taktik, wichtige Häfen wie zum Beispiel Port Arthur zu sichern und den Japanern den Zugang zu Peking zu versperren, schien zu mißlingen. Das Ziel, zunächst Zeit zu gewinnen, scheiterte kläglich. Am 11. Februar 1895 wurden die Chinesen beinahe vernichtend geschlagen. Somit war ein Mißerfolg Chinas unausweichlich. Schon am 12. Februar 1895 kapitulierten erste chinesische Truppen, und es kam am 23. März 1895 zur Waffenruhe. Die Bezwingung Chinas durch Japan war somit besiegelt. Da Kaiser Jingdi schon im Vorfeld versäumte, der ernsten Lage seines Landes Beachtung zu schenken, war ein Fehlverhalten seinerseits schnell erkennbar. Die Niederlage im chinesisch-japanischen Krieg liegt daher in seiner Verantwortung. Dies hatte zur Folge, daß er erheblich an Glaubwürdigkeit, Autorität und Macht in der Welt einzubüßen hatte. Dieser Rückschlag zwang ihn, seine Selbstüberschätzung zu erfassen. Theoretische Erklärung der Kriegsursachen Nach Betrachtung des chinesisch-japanischen Krieges von 1894 bis 1895 liegt nun eine Analyse nach dem first image und dem Realismus nach Hans J. Morgenthau nahe. Somit soll der Fokus auf Kaiser Zai-tian als zentraler Akteur beibehalten werden. Erste unterstützende Anhaltspunkte finden sich bereits im Vorfeld des Krieges und in den Grundvorstellungen des chinesischen Kaisers. Wie bereits erwähnt, begreift er sich als „Herrscher über alles unter dem Himmel“, was ihn zum absoluten Herrscher macht. Diese Gedanken finden sich ebenfalls bei den Realisten Hans J. Morgenthau und Bradley A. Thayer wieder. Nach deren Auffassungen besitzt der Mensch den Drang, andere zu dominieren. Dieses Verhalten ist nach der Evolutionstheorie den Menschen angeboren und folglich auch im Verhalten des chinesischen Kaisers nachzuweisen. Oberstes Ziel des Kaisers Zai-tian war es, seinen Machteinfluß auf Korea zu festigen und diesen sogar auf andere Länder auszubauen. Geprägt war sein Verhalten dabei von „Egoismus“ und „Herrschaftsdrang“. Diese beiden Eigenschaften sind abermals in der Natur des Menschen verankert. Ein weiteres unentwegtes Ziel des Kaisers, die alte traditionelle Politik fortzuführen und zu festigen, sind Grundprinzipien des Realismus nach Reinhold Niebuhr. Dieser spricht von narcissistic selflove, die beim Menschen zu finden sei. Geprägt von all diesen Eigenschaften verlor der chinesische Kaiser die Wirklichkeit völlig aus den Augen. 17 Sein Realitätsverlust führte im Krieg gegen Japan zu den bedeutenden misperceptions. Diese bezeichnen eine von Akteuren fälschlicherweise konstruierte oder wahrgenommene Realität. Denn wie bereits erwähnt, wog sich der chinesische Kaiser immer noch in der falschen Annahme, die Japaner seien als Kriegsgegner nicht ernst zu nehmen; und dies selbst noch während japanischer Aufmärsche und nach den ersten Siegen der gegnerischen Armee. Fatalerweise proklamierte Kaiser Zai-tian, der Krieg gegen Japan stelle keine Bedrohung dar, weil man unbesiegbar sei. Der „falsche Optimismus“ war es also, der den chinesischen Kaiser in der Sicherheit ließ, die Japaner seien als Kriegsgegner nicht ernst zu nehmen. Seine Vormachtstellung sah er als unantastbar an. 18 Die amerikanische Expansionsstrategie Markus Hesedenz Der folgende Beitrag soll das Zustandekommen des Krieges zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika und Spanien 1898 aus amerikanischer Sicht analysieren. Er beginnt mit einem kurzen Abriß über den Verlauf und die Entstehung des Krieges. Das primäre Forschungsinteresse gilt jedoch der Frage, ob sich das Eingreifen der USA mit der Theorie des kommerziellen Liberalismus erklären läßt. Vorgeschichte, Verlauf und Ergebnisse des Krieges aus amerikanischer Sicht Grundlage des Konfliktes waren Unruhen auf Kuba, welche aus dem 1878 geendeten kubanisch-spanischen Krieg resultierten, nachdem die Spanier Kuba Reformen zugesichert hatten, diese jedoch nicht durchführten. Durch diese Unruhen fürchteten amerikanische Investoren um ihre Anlagen auf Kuba und wandten sich an den Präsidenten William McKinley. Dieser beauftragte William R. Hay, seinen Staatssekretär, mit dem amerikanischen Botschafter in Spanien, Stewart Woodford, Kontakt aufzunehmen. Hay tat dies in drei Briefen an Woodford. Am 15. Februar 1898 sank im Hafen von Havanna das amerikanische Kriegsschiff Maine, was Hay in seinem ersten Brief auch erwähnte und deshalb von Spanien Reparationszahlungen verlangte, da er dem Trugschluß erlag, die Havarie des Schiffes wäre auf Sabotage zurückzuführen, was sich jedoch 1969 durch eine Untersuchung widerlegen ließ. Die weiteren Briefe forderten die spanische Regierung auf, den Frieden auf Kuba wiederherzustellen, da sich die USA ansonsten gezwungen sähen, in diesen Konflikt einzuschreiten. Des weiteren forderte die US-Regierung, daß Spanien Kuba die völlige Unabhängigkeit zusichern sollte, was für Spanien, das diese Insel für Jahrhunderte in seinem Besitz hatte, natürlich inakzeptabel war. Als am 27. März die Forderungen der USA von Spanien nicht erfüllt wurden, bat der amerikanische Präsident den Kongreß um die Erlaubnis zur Anwendung von Waffengewalt. Nachdem der amerikanische Kongreß am 20. April die Unabhängigkeit Kubas deklariert und den Spaniern ein dreitägiges Ultimatum zum Rückzug gestellt hatte, erklärte er am 25. April den Spaniern den Krieg. In diesem Krieg standen sich zwei ungleiche Gegner gegenüber: Die USA mit ihrer modernen Militärmaschinerie als aufstrebende Nation und Spanien als alternde Kolonialmacht mit veraltetem militärischen Gerät So wurde bereits am 1. Mai die spanische Pazifikflotte versenkt, und amerikanische Truppen nahmen am 1. Juli die Hauptstadt Kubas, Santiago de Cuba, ein. Am 3. Juli schlug ein letzter Versuch seitens der Spanier, die Hauptstadt zurückzu19 erobern, fehl. Am 18. Juli 1898 bat die spanische Regierung schließlich um eine Beilegung des Konflikts. Die beiden Kriegsparteien einigten sich in einem am 10. Dezember in Paris unterzeichneten Friedensvertrag darauf, daß Spanien seine langjährige Kolonie Kuba und das ebenfalls von den USA besetzte Puerto Rico in die Unabhängigkeit entlassen und die Insel Guam an die USA abtreten mußte. Des weiteren wurden die Philippinen für 20 Millionen US-Dollar an Amerika verkauft. Theoretische Erklärung der Kriegsursachen In diesem Teil soll nun versucht werden, eine theoretische Erklärung des Krieges zu geben, indem der kommerzielle Liberalismus auf das Verhalten der USA gegenüber Spanien angewendet wird. Aufgrund der erst kurz vorher beendeten Rezession suchten und brauchten die Amerikaner neue ausländische Märkte, wobei sie sich auf den pazifischen Raum konzentrierten, ihr Augenmerk jedoch speziell auf China richteten. Um diese „Expansion“ nach Westen erfolgreich umsetzen zu können, wollten die Amerikaner sozusagen Checkpoints auf ihrem Weg nach Asien errichten, was ihnen, wie zu sehen mit Guam, Puerto Rico, Hawaii und den Philippinen, auch gelungen ist. Kuba spielte jedoch eine wichtigere Rolle, da es nah an der amerikanischen Ostküste, dem Hauptindustriezentrum der USA, liegt und so ein Tor zum Handel mit Asien bildete. Das heißt, daß Kuba den ersten Seeposten auf dem Weg zum Panamakanal bildet und so eine wichtige Rolle in der Expansionsstrategie der Vereinigten Staaten spielte. Dies kann man mit der Seestrategie von Alfred Thayer Mahan in Verbindung bringen, welche besagt, daß, um erfolgreich Seehandel betreiben zu können, insulare Stützpunkte auf der Handelsroute von großer Bedeutung sind. Um nun die klare Verbindung zum kommerziellen Liberalismus herauszustellen, sollen drei der von Andrew Moravcsik erwähnten Merkmale dieser Theorie herausgegriffen und durch Beispiele diesen Krieg betreffend verdeutlicht werden. Der kommerzielle Liberalismus erklärt das Verhalten von Staaten, indem die Anreize des Marktes betrachtet werden, denen sich die Akteure sowohl innenpolitisch als auch transnational ausgesetzt sehen. So läßt sich hier die Verknüpfung der Theorie mit der Realität herstellen, da die USA den Krieg begannen, weil sie sich großen wirtschaftlichen Anreizen aus Asien, speziell China ausgesetzt sahen. Die USA rechneten sich also aus, daß die Kosten für den Bau des Panama-Kanals, den Krieg mit Spanien, die Annektierung Hawaiis, den Kauf der Philippinen und die Besetzung von Puerto Rico sowie von Guam gerechtfertigt waren, um die Handelsrouten nach Asien zu sichern. Das letzte Argument, das erwähnt werden soll, ist ein Punkt, der nicht nur den kommerziellen Liberalismus, sondern den Liberalismus generell auszeichnet: Die Präferenzbildungsprozesse innerhalb einer Gesellschaft und deren Einfluß auf die Entscheidungen der Regierenden. Moravcsik geht davon aus, daß außenpolitisches 20 Handeln eines Staates eine Reaktion auf die Verfolgung materieller und ideeller Interessen von Individuen und gesellschaftlichen Gruppen ist. So ließ sich der amerikanische Präsident William McKinley in seinen Entscheidungen, wie schon erwähnt, von den Befürchtungen und Klagen der amerikanischen Wirtschaft leiten. Des weiteren beeinflußten ihn „Hurrapatrioten“, wie zum Beispiel der spätere Präsident Theodor Roosevelt oder Henry Cabot Lodge, ein Senatsmitglied und enger Freund von Roosevelt, welche eine Vergrößerung der Rolle Amerikas in der internationalen Politik sowie eine Erweiterung des amerikanischen Staatsgebietes durch Expansion nach Westen forderten. Nach diesen Argumenten läßt sich sagen, daß sich der kommerzielle Liberalismus hier als sehr passende Theorie erweist, da er die Entscheidung der amerikanischen Regierung, gegen Spanien in den Krieg zu treten, meiner Meinung nach ausreichend erklärt. 21 Japanische Motive für den Angriff auf Port Arthur Bettina Becker Der vorliegende Beitrag fokussiert den Krieg zwischen Rußland und Japan aus japanischer Sicht. Zur Erklärung der vorrangig interessierenden Kriegsursachen wird die theoretische Perspektive des Neorealismus zu Hilfe gezogen. Erkenntnisleitendes Interesse ist die Frage nach den Gründen Japans, 1904 den Krieg gegen Rußland zu eröffnen. Vorgeschichte, Verlauf und Ergebnisse des Krieges aus japanischer Sicht Während alle Großmächte, die im Verlauf des Boxeraufstandes 1900 Streitkräfte nach China entsandt hatten, Anfang 1901 begannen diese wieder zurückzuziehen, beließ Rußland seine Truppen in den besetzten Teilen der Mandschurei. Als Reaktion auf das russische Verhalten und als Ausdruck des Widerstandes erfolgte 1902 zwischen Großbritannien und Japan ein Bündnis, das darauf abzielte, die Unabhängigkeit des Kaiserreiches China und Koreas aufrechtzuerhalten sowie jeweils die britischen bzw. japanischen Interessen in China und die japanischen Sonderinteressen in Korea zu verteidigen. Zwar wirkte der russische Außenminister Graf Lambsdorff als Kompensation auf das britisch-japanische Bündnis auf eine Erneuerung der kontinentalen Mächtekombination von 1895 zwischen Rußland, Frankreich und Deutschland, aber weder Deutschland noch Frankreich waren dazu bereit. Auf der Sonderkonferenz der japanischen Regierung am 23. Juni 1903 wurde beschlossen, daß Japan Versuche in die Wege leiten wird, um einen Ausgleich zwischen den unterschiedlichen Interessen Rußlands und Japans im Fernen Osten auf diplomatischem Weg zu finden. Von August 1903 bis Februar 1904 fand ein reger Notenaustausch zwischen Rußland und Japan statt. Einigkeit bestand in dem Punkt, daß Rußland ein prädominanter Einfluß in der Mandschurei eingeräumt werden solle und Japan ein entsprechender Einfluß in Korea. Aber beide Parteien forderten in ihrem Einflußgebiet für sich selbst jeweils eine fast uneingeschränkte De-facto-Hegemonie, zugleich aber von der anderen Seite bestimmte Einschränkungen in ihrer Interessensphäre. Konkret bedeutete dies, daß Rußland die Unabhängigkeit und territoriale Integrität von Korea forderte, ohne die Garantie für China (speziell die Mandschurei) zu geben, während Japan auf die vielseitigen und exklusiven japanischen Investitionsrechte in Korea bestand, ohne auf bestehende Rechte in der Mandschurei zu verzichten. Ein ganz wesentlicher 22 Streitpunkt lag in der russischen Forderung, daß Japan keinen Teil des koreanischen Gebietes, insbesondere nicht die Küste an der Straße von Korea, welche für Rußland die maritime Verbindung zwischen Port Arthur und Wladiwostok darstellte, zu strategischen Zwecken benützen solle. In diesen Punkten war keine friedliche Einigung möglich, und so stellte die japanische Regierung am 4. Februar 1904 die diplomatischen Verhandlungen ein: Am 6. Februar 1904 brachen japanische Seestreitkräfte in Richtung südliche Mandschurei und Korea auf, und in der Nacht vom 6. zum 7. Februar 1904 eröffneten japanische Seestreitkräfte ohne vorherige Kriegserklärung auf die russische Festung und Flotte in Port Arthur das Feuer. Die Kriegserklärung folgte am 10. Februar 1904 nach. Die japanischen Streitkräfte waren den russischen deutlich überlegen: Nachdem am 1. Januar 1905 Port Arthur kapitulierte und im Februar 1905 das russische Landheer in der Mandschurei eine katastrophale Niederlage erlitt, war die letzte Hoffnung Rußlands die europäische Ostseeflotte, die in wochenlanger Seefahrt, teilweise durch den Suezkanal aber auch um Afrika herum, in den Osten entsandt worden war. Aber auch diese Flotte wurde in der Seeschlacht von Tsushima von der japanischen Marine vernichtend geschlagen. Am 5. September 1905 wurde der russisch-japanische Friedensvertrag unterzeichnet, der u.a. folgende Punkte enthielt: Rußland erkannte das prädominierende Interesse Japans in Korea an; beide Staaten zogen ihre Streitkräfte aus der Mandschurei zurück; Rußland gab das Pachtgebiet auf der Liaotung-Halbinsel (insbesondere die beiden Häfen Port Arthur und Dairen) an Japan ab; die südmandschurische Eisenbahnlinie zwischen Changchun und Port Arthur wurde auf Japan übertragen; die Insel Sachalin wurde entlang des 50. Breitengrades geteilt, aber weder Rußland noch Japan sollten dort militärische Befestigungsanlagen errichten. Theoretische Erklärung der Kriegsursachen Aus der theoretischen Perspektive des Neorealismus ist die Hauptursache für den russisch-japanischen Krieg die immense Bedrohung der japanischen Sicherheit durch die Expansionstendenzen Rußlands. Sowohl durch die Besetzung der Mandschurei mit russischen Truppen als auch durch die russischen Interessen an Nordkorea, die nach der Pachtung von Port Arthur und Umgebung 1903 evident wurden, sowie durch den schnellen Ausbau der Hafenstadt Wladiwostok und den imperialistischen Vorwärtsdrang Rußlands zum Pazifik sahen die Japaner die Sicherheit des eigenen Landes existentiell bedroht. Es bestand die Gefahr, daß Rußland seine Expansionstendenzen weiter in Richtung Japan ausweiten würde. Als weitere Ursache ist zu sehen, daß Japan selbst zur Stabilisierung und Mehrung der capabilities Interessen an den beiden Gebieten – Mandschurei und Korea – hatte. Bereits im Vertrag von Shimonoseki (1895) hatte Japan seine Interessen diesbezüglich deutlich werden lassen: Es forderte als Reparation von China neben der vollständigen Unabhängigkeit Koreas den Südteil der strategisch hochbedeut23 samen Liaotung-Halbinsel am südlichen Ende der Mandschurei mit den Häfen Port Arthur und Dairen. Diese letzte Forderung blieb Japan nur durch das Einwirken westlicher Großmächte verwehrt, und der Friedensvertrag wurde in einer gemäßigteren Fassung unterzeichnet. Um nun die bereits bekundeten Interessen an diesen Gebieten weiter verfolgen und durchsetzen zu können, war das Eindämmen des russischen Vormarschs von großer Bedeutung. Interessant ist ebenfalls die Frage, warum Japan den Krieg zu eben diesem Zeitpunkt begonnen und nicht weiter auf eine friedliche Lösung gewartet hat. Dahingehend ist zu konstatieren, daß die Zeit für Rußland und gegen Japan arbeitete. Die endgültige Fertigstellung der Transsibirischen Eisenbahn war in Kürze zu erwarten. Eine fertige Eisenbahnlinie hätte für Rußland im Falle eines Krieges einen immensen strategischen Vorteil bedeutet (Rußland hätte Truppen und Nachschub bedeutend schneller und besser transportieren können), so daß der Angriff der Japaner auf Rußland zu diesem Zeitpunkt verhinderte, daß Rußland in eben diese deutlich bessere Ausgangsposition kommen konnte. Da der Neorealismus als Kriegsursache u.a. von einer anarchischen Staatenwelt ausgeht, ist für diesen Fall noch das Zutreffen dieser Annahme zu klären. Zunächst ist zu Fragen, ob es Regelungs- bzw. Vermittlungsanstrengungen von anderen Staaten gab und warum diese gegebenenfalls nicht fruchteten. Hierzu sind sowohl die britischen als auch die französischen Vermittlungsbemühungen im vorliegenden Streitfall zu nennen. Der britische Außenminister Lansdowne führte 1903 konsequent Gespräche mit dem russischen Botschafter Benckendorff, und auf französischer Seite fand ab Oktober ein reger Austausch zwischen den beiden Außenministern Delcassé und Graf Lambsdorff statt. Aber diese Vermittlungsversuche blieben ohne Erfolg: weder konnte Rußland dazu bewogen werden, annehmbare Zugeständnisse an Japan zu machen, noch konnte Japan zu weiterem Warten überredet werden. Die Gründe für das Scheitern der Einflußnahme sind vor allem darin zu sehen, daß sowohl Großbritannien als auch Frankreich ihre capabilities bedroht sahen, würden sie stärkeren Druck auf die Konfliktparteien ausüben, denn die oberste Priorität lag für Frankreich und für Großbritannien darin, im Falle eines Krieges in jenen nicht involviert zu werden, um die eigenen Interessen zu schützen. Anzumerken ist zu diesem Punkt, daß es Großbritannien prinzipiell sicherlich nicht ungelegen war, daß sich sowohl Japan als auch Rußland mit der Mandschurei und Nordkorea beschäftigten, so daß beide Länder nicht mit primären britischen Interessen in Konflikt geraten konnten. Abschließend ist zu konstatieren, daß mit der Wahl einer theoretischen Perspektive immer bestimmte Dinge aus dem Blickfeld ausgeschlossen werden. Aber die herausgearbeiteten Kriegsursachen aus neorealistischer Sicht sind aufgrund ihrer Deutlichkeit evident und untermauern damit die Wahl des theoretischen Blickwinkels. 24 Die Sozialisierung Japans im Vorfeld des Krieges gegen China Daniel Ames Wie konnte das rückständige Japan innerhalb von weniger als hundert Jahren eine Großmachtstellung im asiatisch-pazifischen Raum erreichen, um eigene Expansionsbestrebungen durchzuführen, mit dem Ziel, den westlichen Einfluß in Asien und vor allem im krisengeschwächten China, dem einst übermächtigen Nachbarn, zurückzudrängen? Vorgeschichte, Verlauf und Ergebnisse des Krieges aus japanischer Sicht Um die Ursachen des zweiten chinesisch-japanischen Krieges zu erklären, ist die Darstellung der umwälzenden Entwicklung Japans, die zum Übergang vom 19. ins 20. Jahrhundert stattfanden, von Nöten. Ausgangspunkt bildet die Öffnung des Landes für den westlichen Handelsverkehr. Die Landung amerikanischer Flottenverbände 1854 vor der japanischen Küste nötigte dem Inselvolk die Öffnung des Landes für den amerikanischen und später auch den internationalen Handel ab. Der technologische und militärische Vorsprung des Westens verbreitete Sorgen und Angst über den Fortbestand Japans als eigenständigen Staat. Zur Stärkung der eigenen Position wurden weitreichende Reformen im Zuge der sogenannten Meiji-Restauration (benannt nach dem 1868 eingesetzten Kaiser) durchgeführt. Diese Periode stand unter dem Zeichen der Verwestlichung Japans, was für die spätere Entwicklung vor dem Ausbruch des Krieges mit China eine bedeutende Rolle spielte. Zunächst wurden Anstrengungen unternommen, das westliche Modell der Diplomatie zu adaptieren, um so die von den Vereinigten Staaten erzwungenen Bestimmungen der „Ungleichen Verträge“ zu annullieren. Der Staatsaufbau wurde verändert und u.a. am preußischen Modell angelehnt. Diese und weitere Maßnahmen, die vor allem der Stärkung der Wirtschaft und des Militärs dienten, wurden durchgeführt, um nicht in ein Abhängigkeitsverhältnis zum Westen zu geraten, wie es China, dem „Reich der Mitte“ und ehemaligen Machtzentrum Ostasiens, widerfuhr. Diese Entwicklungsschritte hatten allerdings auch innenpolitische Konsequenzen. So sorgte eine Landreform und die Unterstützung von Großunternehmen (zaibatsu) für die Verarmung großer Teile der Landbevölkerung, die bis in die 30er Jahre des 20. Jahrhunderts noch ca. die Hälfte der Gesamtbevölkerung ausmachte. Ein weiterer Unruheherd war unter der ehemals bedeutsamen und ehrenhaften Kaste der Samurai zu verorten, die unter der Abschaffung des Feudalsystems zu lei25 den hatte und durch das japanische Militär zum Zweck verdeckter Operationen mißbraucht wurde. Neue soziale Strömungen standen zu Beginn des 20. Jahrhunderts an: als Gegenreaktion zur Tendenz der Verwestlichung entstand eine breite Variation nationalistischer Bewegungen, die unter der Bezeichnung „Ultranationalismus“ zusammengefaßt sind. Die wichtigsten Bewegungen nannten sich Panasianismus und Nipponismus, die eine Rückkehr zur traditionellen japanischen Kultur wie dem Konfuzianismus, der während der Meiji-Periode, die 1912 endete, an Bedeutung einbüßte. In den 20er Jahren kam zudem eine sozialistische Arbeiterbewegung auf, im Hintergrund des wirtschaftlichen Abschwungs nach dem Ersten Weltkrieg, an dessen Ende sich Japan schließlich außenpolitisch als Großmacht profilieren konnte. Den Bewegungen gleich war ein starker nationalistischer Einschlag, der unter anderem in der Hervorhebung des japanischen Kaisers, dem Tenno, aber auch der Betonung des einzigartigen Wesens der japanischen Kultur (kokutai) und deren Überlegenheit seinen Nachbarn gegenüber, deutlich wurde. Die Radikalisierung der Bevölkerung konnte schließlich von der politischen Führung, die unter starkem Einfluß des Militärs stand, dahingehend instrumentalisiert werden, daß der Fokus von den innenpolitischen Problemen auf die Nachbarn gelenkt wurde. Der Haß und die Ablehnung gegenüber dem Westen, der in den Augen vieler Japaner eine Bedrohung der eigenen staatlichen Souveränität darstellte, wurde genutzt, um einen erneuten Konflikt mit China austragen zu können. China selbst war sowohl durch den kolonialen Einfluß von Europa und Amerika als auch die Stellung der Japaner auf dem Kontinent in der chinesischen Mandschurei keine eigenständige Macht mehr. Auslöser des Krieges waren schließlich Schußgefechte, die am 7. Juli 1937 in Peking an der Marco-Polo Brücke fielen und schließlich zum Ausgangspunkt des Pazifikkrieges wurden. Theoretische Erklärung der Kriegsursachen Zur Erklärung der Kriegsursachen wird in diesem Text die Theorie des Konstruktivismus verwendet. Dieser besagt unter anderem, daß die Wahrnehmung der Realität (Perzeption) diese formt. In welcher Rolle sah sich Japan zur Zeit des Ausbruchs des Pazifikkrieges? Zunächst konnten sich die Japaner auf ihre erfolgreiche Entwicklung hin zu einer Großmacht berufen und damit ihr Selbstbewußtsein stärken. Ihnen war es im Gegensatz zu China gelungen, ihre Selbstständigkeit zu bewahren. So war Japan stets ein „Herausforderer“ des Westens in Hinblick auf den Fortbestand des Staates und der eigenen Machstellung. Die Versuche der Machterweiterung waren auch von zahlreichen Erfolgen gekrönt. Nach Kriegen gegen China (1894/95) und Rußland (1904/05) sowie im Zuge des Ersten Weltkrieges konnte das japanische Territorium erweitert werden. Ein nächster Schritt hin zur Erlangung einer autarken 26 Stellung war es nun, weitere Gebiete zu erobern, die Ressourcen für den rohstoffarmen Inselstaat boten. Um dies der Bevölkerung Japans zu vermitteln, aber auch, um Sympathien für die japanischen Ziele bei seinen Nachbarn zu erzeugen, wurde 1937 vom amtierenden Ministerpräsident Konoe der Plan zur Errichtung einer „Neuen Ordnung“ im asiatisch-pazifischen Raum verkündet. Zusammengefaßt sah diese Ordnung die Ablösung des westlichen Kolonialismus vor, an dessen Stelle eine japanische Hegemonie treten sollte. Für eine Sogwirkung in den umliegenden westlichen Kolonien reichte dies allerdings nicht aus. Zu offensichtlich war der Hintergrund der wirtschaftlichen Ausbeutung zu Gunsten des japanischen Militärs, das in seinen Feldzügen oftmals mit erbitterter Brutalität vorging. Dieses Verhalten läßt Schlüsse ziehen, in wie weit ein radikaler Sozialisierungsprozeß in der japanischen Bevölkerung, in der das Vorhaben der „Neuen Ordnung“ auf große Zustimmung traf, vonstatten ging: so hielt das nipponistische Gedankengut Einzug in das japanische Schulsystem während der 30er Jahre. Das Verhalten des Westens trug sein Übriges zur Radikalisierung bei. Die Abhängigkeit von amerikanischen Importen und Versuche der Beschränkung der japanischen Rüstung, zum Beispiel im Rahmen von Flottenabkommen, schürten die Ressentiments in erheblichem Maße. Das Schicksal Chinas wurde den Japanern zum Mahnmal, das es unter allen Umständen zu verhindern galt. Einen Ausweg aus dieser Lage sah man in einer erneuten Expansion in den südlichen sowie den östlichen Teil des asiatisch-pazifischen Raumes. Widerstand von Seiten der Bevölkerung war nicht zu erwarten. Diese zeichnete sich durch ihre große Opferbereitschaft aus, die sich in der ausdauernden Haltung bis zum Kriegsende verdeutlichte. Dieser Umstand kann als weiterer Beleg für die Bedeutung von Sozialisationsprozessen im Hinblick auf die Klärung der Kriegsursachen gedeutet werden. Für die Untersuchung der Kriegsursachen wurde die Theorie des Konstruktivismus gewählt, da sie eine breitere Analyseebene bietet als der Neorealismus nach Waltz. Das bedeutet nicht, daß die Erklärungsfunktion des neorealistischen Ordnungsprinzips der internationalen Anarchie oder der Erlangung von capabilities negiert wird; der Versuch zur Entwicklung Japans in Richtung einer Autarkie ist deutlich erkennbar. Die Ursache des Krieges zwischen Japan und China 1937 liegt jedoch vielmehr in der vorangegangen Sozialisation durch die Bedrohungen, die Japan von Außen entgegentraten. Diese konnte wiederum durch die japanische Führung, die unter dem klaren Einfluß des Militärs stand, kanalisiert werden. Als Metapher des kaum zu umgehenden Konflikts steht der japanische Kaiser, auf den sich vor allem das Militär stets berufen konnte, aufgrund seiner schwachen und abhängigen politischen Stellung. So trug auch diese bedeutsame Integrationsfigur zur Entstehung des Pazifikkrieges bei. 27 Die Wende der chinesischen Japanpolitik Stefanie Rampe Bis zum Kriegsausbruch 1937 hatte die chinesische Regierung immer eine friedliche Lösung der Konflikte mit Japan gesucht. Nach dem Zusammenstoß ihrer Streitkräfte mit den japanischen Truppen an der Marco-Polo-Brücke am 7. Juli 1937 entschied sie sich für eine gewaltsame Konfliktlösung. Welche Bedingungen bewirkten diese Wende in der chinesischen Japanpolitik? Vorgeschichte, Verlauf und Ergebnisse des Krieges aus chinesischer Sicht Nach dem Sturz der chinesischen Monarchie bildeten sich in der 1912 gegründeten Republik China zwei große Parteien heraus. Die Kuomintang (KMT), die spätere Regierungspartei der Nationalisten, und die Kommunistische Partei Chinas (KPCh) stellten bis ins Jahr 1927 eine gemeinsame Regierung. Mit Gründung der neuen Republik war China jedoch nicht geeint, da die Kriegsherren der einzelnen Provinzen sich nicht unter die Führung der Zentralregierung stellen wollten und die Vorherrschaft in den einzelnen Provinzen behielten. 1924 veröffentlichte Sun Yat-sen seine „Drei Grundsätze vom Volk“, welche erstens das Streben nach nationaler Einheit und Unabhängigkeit beinhalteten, zweitens eine Volksherrschaft in Form der Einparteienherrschaft forderten, und drittens sollte der Lebensunterhalt des Volkes vor dem Profit stehen. Diese Grundlehre wurde von allen Parteien Chinas verinnerlicht und lag auch während des kommenden Bürgerkriegs ihrer Politik zugrunde. Nachdem sich Chiang Kai-shek 1927 an die Spitze der KMT putschte, brach er mit den Kommunisten, und die KMT stellte alleine die Regierung. Diese Zentralregierung versuchte in den kommenden Jahren, die Macht über die KPCh und die regionalen Militärmachthaber zu erlangen und so China zu einen. Folge dieses Kampfes war der legendäre „Lange Marsch“ der Kommunisten, von Oktober 1934 bis Oktober 1935. Sie marschierten 12.500 km von Kiangsi nach Shensi und konnten so trotz enormer Verluste ihr Überleben sichern. Während der Jahre des Bürgerkriegs 1927 bis 1937 wuchsen die Spannungen im chinesisch-japanischen Verhältnis. Ausschlaggebend für eine wachsende antijapanische Stimmung innerhalb der chinesischen Bevölkerung war der Kampf um die Provinz Mandschurei. China verlor sie 1931 an die Japaner. Diese gründeten dort den Satellitenstaat Mandschuko, dessen völkerrechtliche Anerkennung in weiteren Konflikten mit China eine besondere Rolle spielte. 28 In den folgenden Jahren erkannten die Japaner Chinas Wunsch nach nationaler Unabhängigkeit und Status eines gleichberechtigten Partners nicht an, sondern führten eine aggressive Expansionspolitik. Ihrer Chinapolitik lagen drei Grundprinzipien zugrunde. Erstens die Beseitigung antijapanischer Bewegungen in China und Verzicht auf die Zusammenarbeit mit den USA und europäischen Staaten, zweitens die völkerrechtliche Anerkennung Mandschukos und drittens der gemeinsame Kampf Chinas und Japans gegen die Kommunisten. Diese wurden China in Form von zunehmenden Forderungen zur Beendigung gewaltsamer Zwischenfälle entgegengebracht. Während die KMT durch ständige Zugeständnisse eine friedliche Japanpolitik praktizierte und die Unterdrückung der KPCh in den Vordergrund stellte, propagierte die KPCh eine Einheitsfront gegen die japanische Regierung und die KMT. Als Folge der zunehmenden aggressiven Chinapolitik Japans wuchs in der Bevölkerung der Wille zum Widerstand, und immer mehr Gruppen schlossen sich den Kommunisten an. So wurde Chiang Kai-shek im Dezember 1936 in der Provinz Sian von dem General Cahang Hsüeh-liang entführt und nur unter der Bedingung, in Zukunft eine gemeinsame Einheitsfront gegen Japan zu führen und den Bürgerkrieg einzustellen, freigelassen. Nach diesem Zwischenfall näherten sich die KMT und KPCh an, und ein fortschreitender Einigungsprozeß Chinas setzte ein. Am 7. Juli 1937 stießen chinesische und japanische Truppen an der Marco- Polo-Brücke südlich von Peking zusammen. Zunächst wurde dieser Zusammenstoß als ein weiterer Zwischenfall gewertet. Am 27. Juli setzten die Japaner Chiang Kaishek ein 24-Stunden-Ultimatum. Dieser entschied sich jedoch gegen friedliche Verhandlungen und für den äußersten Widerstand. Mit dem japanischen Angriff am 28. Juli 1937 begann der chinesisch-japanische Krieg. Theoretische Erklärung der Kriegsursachen Der ideelle Liberalismus nach Andrew Moravcsik analysiert auf der Ebene des second image. Handelnde Akteure sind Individuen und Gruppen. Ihrem Verhalten liegen materielle und ideelle Interessen zugrunde. Im Sinne des Menschenbilds eines homo oeconomicus handeln sie als rationale Eigennutzmaximierer. Der Staat ist die repräsentative Institution, deren Verhalten durch capture and recapture der gesellschaftlichen Gruppen bestimmt wird. Der ideelle Liberalismus nimmt an, daß staatliche Präferenzen durch soziale Identitäten und Werte bestimmt werden. Diese sind öffentliche Güter wie territoriale Grenzen, legitime politische Institutionen und sozioökonomische Wohlfahrtsgewinne. Die Außenpolitik eines Staates ist der Ausdruck der Präferenzen der gesellschaftlichen Akteure, die sich im Interessenwettbewerb durchsetzen konnten. Im internationalen System können Staaten miteinander kooperieren, solange ihre staatlichen Präferenzen miteinander kompatibel sind. Wenn sie jedoch divergieren, entstehen internationale Spannungen und Konflikte. 29 In China sind die handelnden Akteure die zwei großen Parteien KMT und KPCh, die Studenten und die warlords, z.B. der General Chang Hsüeh-liang. Das Handeln und somit auch die Präferenzen aller Gruppen in der chinesischen Gesellschaft basierten auf der Grundlehre Sun Yat-sens. Die Nationalisten wollten die Einigung Chinas unter ihrer Einparteienherrschaft erlangen. So galt ihr vorrangiges Interesse der Unterdrückung der Kommunisten und warlords. In einem Krieg gegen Japan würden sie ihre Überlegenheit verlieren. Ebenso sahen sie in einem Kampf als geteiltes China keine Erfolgschancen. Die KPC dagegen erkannte die Überlegenheit der KMT und die Schwächung der eigenen Partei nach dem „Langen Marsch“. Sie konnte nur überleben, wenn China einen Krieg gegen Japan führt. Daher galt ihr Interesse einer Einheitsfront gegen Japan und die KMT. Vor dem Zwischenfall in Sian 1936 konnten sich die Nationalisten im Interessenwettbewerb durchsetzen. Daraus resultierte ein kooperierendes außenpolitisches Verhalten gegenüber Japan. Doch mit dem zunehmenden aggressiven Expansionsstreben Japans wuchs die antijapanische Stimmung in China. Die Kommunisten verstärkten ihren Druck auf die Regierung. Unterstützt wurde der Druck von den Studenten. Die Demonstration von 7.000 Studenten im Dezember 1935 verfolgte das Ziel, den Bürgerkrieg im Land zu beenden und statt dessen gemeinsam gegen Japan zu kämpfen. Dieser Demonstration folgten weitere Kundgebungen und die Gründungen von weiteren antijapanischen Gruppen, wie der Nationalen Rettungsgemeinschaft bestehend aus vielen prominenten Persönlichkeiten. Auch regionale Provinzmachthaber schlossen sich den Forderungen der Kommunisten an. In den Jahren 1935/36 divergierten die Wertvorstellungen der chinesischen Bevölkerung immer mehr mit den Präferenzen der regierenden Nationalisten. Nach dem Sian-Zwischenfall war ein verändertes Verhalten der Regierung erkennbar. Die Nationalisten erkannten, daß sie ihren Einfluß in der Gesellschaft langsam verloren, wollten aber weiterhin regierende Partei bleiben. Rational und ihren eigenen Nutzen bedenkend, reagierten sie im Sinne des homo oeconomicus, indem sie sich dem Druck der Individuen und Gruppen beugten und die Unterdrückung der Kommunisten zugunsten des Widerstands gegen Japan zurückstellten. Nur so konnten sie zu diesem Zeitpunkt die Einheit Chinas erreichen und ihre eigene Stellung festigen. Die veränderten Präferenzen der chinesischen Regierung divergierten mit den staatlichen Präferenzen Japans. Folglich nahmen die Spannungen und Konflikte zwischen den Staaten mit dem Jahr 1937 zu. In Anbetracht der innerstaatlichen Gesellschaftsordnung und den vorherrschenden Interessen lehnte die Regierung unter Chiang Kai-shek die Forderungen Japans ab, nachdem ihre Truppen an der Marco-Polo-Brücke 1937 zusammengestoßen waren, und entschied sich somit für die gewaltsame Konfliktlösung, um die nationale Einheit und Unabhängigkeit zu wahren. 30 Japans Angriff auf Pearl Harbor Marco Hahn Warum griff Japan am 7. Dezember 1941 die amerikanische Pazifikflotte in Pearl Harbor an? Welche systemischen Einflüsse oder Konstellationen könnten für den bewußten Entschluß zum Krieg mit den USA und deren Verbündeten ausschlaggebend gewesen sein? Diese Fragen sollen im folgenden Essay mit Hilfe eines historischen Überblicks erläutert werden. Vorgeschichte, Verlauf und Ergebnisse des Krieges aus japanischer Sicht Während der Tokugawa-Ära (1603-1868) befand sich Japan 250 Jahre lang in einer selbst gewählten Isolation von seinen Nachbarn. Im Zeitalter des Kolonialismus wurde Japan dann „mit gezogenem Colt“ in das internationale politische System gezwungen. Der amerikanischen Flotte unter Commodore Perry gelang 1854 die Landesöffnung unter Androhung von Gewalt. Dies hatte u.a. die aus japanischer Sicht erniedrigenden „Ungleichen Verträge” zur Folge. In dieser Periode waren die europäischen Großmächte auf dem Höhepunkt ihrer kolonialen Bestrebungen. England dehnte seinen Einflußbereich auf den indischen Subkontinent (1877 wird Königin Viktoria Kaiserin von ganz Indien) und bis nach Südostasien (1819 wird Singapur Teil des Empire; 1852 erfolgt die Annexion Unter-Burmas) aus. Frankreich (ab 1862 in Französisch-Indochina) und die Niederlande (ab 1824 in Niederländisch-Indien) schufen ebenfalls größere Kolonialreiche in Südostasien. In Japan kam es durch den Schock der plötzlichen Landesöffnung zu umfassenden Reformen in der beginnenden Meiji-Ära. Ab 1868 wurde die Effizienz der Verwaltung optimiert, Schul- und Universitätswesen modernisiert, die Industrialisierung eingeleitet und der Aufbau zeitgemäßer Streitkräfte in Angriff genommen. Als Vorbild dienten dabei die westlichen Großmächte. Die außenpolitische Strategie der Isolation wurde nach dem Schock der Landesöffnung von einer Strategie abgelöst, die sich ebenfalls am Vorbild der westlichen Großmächte orientierte. Wie die Einflußnahme fremder Mächte in China und die „Ungleichen Verträge“ in Japan selbst zeigten, waren die kolonialistischen Strategien der Großmächte besser geeignet, das eigene Überleben zu gewährleisten. Der Wandel hin zu einer offensiveren Grundhaltung zeigte sich in mehreren kriegerisch ausgetragenen Konflikten um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert. Im Jahre 1895 sicherte sich Japan durch den Sieg im sino-japanischen Krieg die Vorherrschaft über Korea. Letzteres war ein traditioneller Tributstaat Chinas und fungierte als Brücke (sowohl in kultureller als auch in militärisch-strategischer 31 Hinsicht) zwischen dem japanischen Archipel und dem asiatischen Festland. 1905 mußte auch Rußland nach einer Niederlage im Krieg mit Japan seine Ansprüche im Fernen Osten zurückstecken. Während des Ersten Weltkriegs war Japan mit Großbritannien verbündet und somit am Ende auf der Siegerseite. 1920 trat es dem Völkerbund bei. Damit war Japan in relativ kurzer Zeit vom potentiellen Spielball der Kolonialisten in den Kreis der Großmächte aufgestiegen. Anfang der 1930er Jahre setzte Japan seine Aggression gegen China fort und begab sich damit auf den Pfad des Konflikts mit den USA, Großbritannien und den Niederlanden. Nach der Installation eines japanischen Marionettenregimes in der Mandschurei kam es zu einem ersten Embargo der USA (Kriegswaffenembargo). 1937 kam es zu einem Krieg zwischen Japan und dem sich im Bürgerkrieg befindenden China. Außerdem besetzte Japan weite Teile Französisch-Indochinas. Die durch den Krieg in Europa veränderten Umstände schienen Tokio in die Hände zu spielen, so daß die Besetzung Indochinas mit Zustimmung der Vichy-Regierung erfolgen konnte. Die USA jedoch verhängten als Reaktion darauf ein Totalembargo gegen Japan, dem sich kurze Zeit später auch Großbritannien und die Niederlande anschlossen. Das Embargo der USA traf Japan vor allem wegen dessen Abhängigkeit von amerikanischen Ölexporten ausgesprochen hart. Japan war zu diesem Zeitpunkt durch den Dreimächtepakt mit Deutschland und Italien verbündet. Gegen eine Aggression des Sowjetreiches hatte man sich durch einen Neutralitätspakt mit Stalin einigermaßen abgesichert. Somit entschied sich Tokio nach den gescheiterten Verhandlungen mit den USA (diese forderten, Japan solle sich aus China und Indochina zurückziehen) über die Beilegung des Konflikts für einen Vorstoß auf den insularen Teil Südostasien, um sich die dortigen Ölvorkommen (Niederländisch-Indien) zu sichern, und damit die strategische Verletzbarkeit in der Ölfrage zu reduzieren oder gar ganz zu beseitigen. Daß dies Krieg mit den USA bedeuten würde, war Japan bewußt. Am 7. Dezember 1941 griff Japan Pearl Harbor an, stieß zunächst erfolgreich nach Südostasien vor und eroberte in der Folge weite Teile der südpazifischen Inselwelt. Mit der Schlacht um Midway trat die Wende ein. Amerika näherte sich mit Hilfe des „Inselspringens“ immer weiter dem japanischen Mutterland. Letztlich wurde der Krieg kurz nach den Abwürfen zweier Atombomben auf Japan und der folgenden Kapitulation im Jahre 1945 beendet. Theoretische Erklärung der Kriegsursachen Um sich der theoretischen Kriegsursachenforschung zu nähern, wird im folgenden der neorealistische Ansatz nach Kenneth N. Waltz herangezogen, der von nachstehenden Grundannahmen ausgeht: Das Ordnungsprinzip innerhalb der Staatenwelt ist anarchisch. Daraus folgt, daß alle Staaten funktional gleichartige Gebilde sind. Es gibt keine funktionale Ausdifferenzierung zwischen ihnen. Solange funktionale Gleichartigkeit und vor allem Anarchie konstant sind, unterscheidet sich die Stel32 lung der Staaten im internationalen System durch die relative Verteilung von capabilities (militärisch-ökonomische Machtpotentiale). Aufgrund des anarchischen Charakters ist das internationale System ein Selbsthilfesystem. Jeder Staat muß aus eigener Kraft seine Sicherheit gewährleisten. Kriege entstehen in diesem Denkschema, weil systemische Impulse (Fehlen einer übergeordneten Regelungsinstanz) den Akteur entscheidend beeinflussen. Im Gegensatz zu subsystemischen Ansätzen spielt dabei die innere Verfaßtheit der Staaten keine Rolle. Die unabhängige Variable findet sich also auf der systemischen Ebene. Im konkreten Fall sah sich Japan 1941 vor eine existentielle Wahl gestellt. Entweder es würde entsprechend den Forderungen der Amerikaner aus der HullNote den Status quo ante 1931 in Ostasien wiederherstellen oder ein Ende des Embargos von Seiten der USA wäre nicht absehbar gewesen. Dies war vor allem wegen der japanischen Ölabhängigkeit ein großes Problem. Sich allerdings zu einem Rückzug aus dem Großteil der eigenen Einflußsphäre auf dem asiatischen Festland drängen zu lassen, war für Japan undenkbar. Dies hätte die Sicherheitsinteressen Nippons empfindlich verletzt. Ohne Festlandpräsenz war es einfach viel zu abhängig und verwundbar. Folgende weitere Handlungsoptionen wären denkbar gewesen: Japan hätte im Status quo von 1941 verharren und die Handlungen der Amerikaner abwarten können. Dies hätte jedoch auf Dauer den eigenen Handlungsspielraum eingeengt, da ebenso wie bei der Option Eintritt in den Krieg mit der Sowjetunion auf Seiten Deutschlands der Ölmangel ein Operieren der Streitkräfte auf Dauer erschwert hätte. Somit war die letztlich ausgeübte Option die aus neorealistischer Sicht für Japan konsequenteste: Vorstoß auf die Ölquellen in Niederländisch-Indien. Die dortigen Ölvorkommen waren bereits erschlossen und hätten den gesamten Bedarf Japans gedeckt. Bei effizienter Förderung und Transportlogistik wäre Japan in die Lage versetzt worden, einen langen Krieg im Pazifik zu führen. Die europäischen Mächte waren zu dieser Zeit auf Europa fokussiert, was die Verteidigung der asiatischen Kolonien erschwerte. Somit bot sich für Japan eine Gelegenheit, die wahrscheinlich so nie wieder kommen würde. Der Angriff auf Pearl Harbor verfolgte das Ziel, die Flanke des Vorstoßes nach Süden zu schützen. Außerdem konnte man auf diesem Wege die USA von ihrer Kolonie auf den Philippinen abschneiden. Japan stand 1941 vor der Wahl sich dem Willen der USA zu beugen und damit die Existenz Japans in fremde Hände zu legen, oder aber die günstige geopolitische Konstellation zu nutzen, um die eigene Großmachtstellung zu sichern. Das Risiko eines Krieges mit den USA war vor diesem Hintergrund tragbar. 33 Amerikas Abkehr vom Isolationismus Dirk Mludek Bei der Klärung, welche Ursachen zum Eintritt der USA in den Pazifikkrieg führten, muß grundsätzlich zwischen äußeren und inneren Faktoren unterschieden werden. Der japanische Angriff auf Pearl Harbor muß im Zusammenhang mit den in den USA ablaufenden innergesellschaftlichen und innenpolitischen Prozessen gesehen werden, die auch den amerikanischen Kriegsbeitritt erklären. Vorgeschichte, Verlauf und Ergebnisse des Krieges aus amerikanischer Sicht Mit dem Abwurf von zwei Atombomben über Hiroshima und Nagasaki und der darauf folgenden Kapitulation Japans endete der Pazifikkrieg offiziell am 2. September 1945. Diesem Ereignis vorausgegangen war ein Krieg, dessen Schauplätze sich sowohl im asiatisch-pazifischen Raum als auch in Europa befanden. Obwohl die USA sich nach dem japanischen Überraschungsangriff auf Pearl Harbor ab dem 7. Dezember 1941 mit Japan im Krieg befanden, verlagerten sie ihr Hauptaugenmerk nach der Kriegserklärung Deutschlands zuerst auf Europa. Im Pazifikkrieg beließen es die USA zunächst bei ihren Bestrebungen, die japanischen Expansionsbemühungen zum Erliegen zu bringen. Durch die Seeschlacht im Korallenmeer im Mai 1942 gelang es den USA, die japanische Ausdehnung nach Süden zu stoppen. Der Krieg wendete sich in der Seeschlacht um Midway vom 3. - 6. Juni 1942 zu Gunsten der Amerikaner. Durch die Niederlage der japanischen Marine, die in der Schlacht um Midway vier Flugzeugträger verlor, mußte Japan die Invasion der Inseln aufgeben. Dies war der Wendepunkt des Pazifikkrieges. Die Absicht der Japaner, die USA gleich zu Beginn des Krieges vernichtend zu schlagen, war nicht aufgegangen. Die USA konnten den Krieg dagegen nun hinhaltend führen. Der Zeitgewinn erlaubte es ihnen, ihre Vorteile durch größere Produktionskapazitäten und zahlenmäßige Überlegenheit auszuspielen. Es folgte die erste Niederlage des japanischen Heeres auf Neuguinea zwischen Juli 1942 und Januar 1943. Am 7. August 1942 startete die erste amerikanische Großoffensive. Als Folge mußten die japanischen Streitkräfte Guadacanal räumen. Bis ins Jahr 1944 eroberten die USA die Inseln Tarawa, Markin und Saipan. Zwischen dem 20. Oktober und dem 31. Dezember 1944 wurde die japanische Marine bei der Seeschlacht von Leyte vernichtend geschlagen. Gleichzeitig eroberten die USA die Philippinen. Der amerikanische Vormarsch konnte von den Japanern nicht aufgehalten werden. Ab Februar 1945 wurden die ersten Gefechte auf japanischem Staatsgebiet ausgetragen, wobei es amerikanischen Truppen gelang, die Insel Iwo Jima und Okinawa zu 34 erobern. Mit dem Abwurf der beiden Atombomben am 6. und 8. August 1945 brachen die USA endgültig den japanischen Widerstand und entschieden einen Krieg für sich, um dessen Beteiligung es in den USA im Vorfeld große Diskussionen gegeben hatte. In der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen wurde in den USA auf gesellschaftlicher und politischer Ebene über das außenpolitische Verhalten gegenüber kriegführenden Staaten und bei Konfliktsituationen zunächst zurückhaltend diskutiert. Geprägt von den Erfahrungen aus dem Ersten Weltkrieg und unter dem Einfluß der Weltwirtschaftskrise hatten sich die USA für eine strikte Neutralität entschieden. Unterstrichen wurden die vorherrschende pazifistische Grundhaltung und das Streben nach Isolation bei internationalen Konflikten durch die zwischen 1935 und 1941 verabschiedeten Neutralitätsgesetze. Eine Beteiligung der USA an einem Krieg sollte dadurch ausgeschlossen werden. Unter dem Einfluß dieser Rückbesinnung auf die traditionelle außenpolitische Strategie der Nichteinmischung setzten die USA den Expansionsbestrebungen Japans anfänglich keinerlei Interventionspolitik entgegen. Erst ein schrittweiser Abbau dieser isolationistischen Außenpolitik führte zu interventionistischen Maßnahmen der USA gegenüber Japan. Die Embargopolitik und das Einfrieren der japanischen Guthaben in den USA führten beide Staaten in eine Situation, in der sich nicht mehr die Frage stellte, ob es zu einer Eskalation kommen würde, sondern nur noch wann und wo dieser Konflikt ausgetragen werden sollte. Mit dem japanischen Angriff auf die amerikanische Pazifikflotte auf Pearl Harbor wurde der Eintritt der USA in den Pazifikkrieg besiegelt. Theoretische Erklärung der Kriegsursachen Aus liberalistischer Perspektive läßt sich der Eintritt der USA in den Pazifikkrieg durch die Bestätigung einer ihrer Grundannahmen erklären. Danach vollzieht sich der Wandel einer außenpolitischen Strategie, wenn sich „domestic politics“, d.h. Entscheidungsträger, politische Ideen und/oder innergesellschaftliche Entscheidungsprozeße, verändern. Vor dem Krieg im Pazifik war die amerikanische Außenpolitik maßgeblich vom Isolationismus geprägt. Die USA versuchten, sich durch eine strikte Neutralität aus den sich abzeichnenden Konflikten in Asien und Europa herauszuhalten. Japans Außenpolitik ließ sich jedoch nicht mit den Präferenzen internationalistisch orientierter Amerikaner vereinbaren. Diese Präferenzen wurden durch kommerzielle und ideelle Einflüsse bestimmt. Die Internationalisten befürchteten durch den Wegfall der Märkte in Asien und Europa starke wirtschaftliche Einbußen und forderten daher einen offenen, ungeteilten Weltmarkt. Zudem bestimmte ihre ideelle Grundhaltung das nationale Interesse. Dazu gehörte das Recht der Völker auf freie Selbstbestimmung und die Pflicht der Staaten, sich unter das Völkerrecht zu stellen. Beides sahen die Internationalisten durch Japan mit dem Ausrufen einer „Neu35 en Ordnung“ im asiatisch-pazifischen Raum übergangen und damit als illegitim und nicht akzeptabel an. Mit der Einflußnahme auf die Präferenzbildungsprozesse der gesellschaftlichen Akteure und durch das Einbringen von Worst-CaseSzenarien, beispielsweise nach einer Niederlage Großbritanniens in Europa könnte auch ein Angriff der Achsenmächte auf die USA erfolgen, versuchten die Internationalisten, die Mehrheit der amerikanischen Bevölkerung und die in ihrer isolationistischen Haltung verharrenden politischen Gegenspieler auf ihre Seite zu bringen. Anhand von Gallup-Umfragen, die vor und während der einsetzenden Kriege in Asien und Europa erhoben wurden, lassen sich Veränderungen des Präferenzbildungsprozesses belegen. Sie zeigen auf, daß die Gesellschaft ihre isolationistische Grundhaltung aufzugeben begann und sich statt dessen eine Kriegsmentalität entwickelte. Ein weiteres Indiz für den Wandel der außenpolitischen Strategie gegenüber Japan und den übrigen Achsenmächten zeigt sich in den Präferenzbildungsprozessen der Entscheidungsträger der amerikanischen Politik. Waren den Internationalisten um die Regierung Roosevelts zu Beginn des Zweiten Weltkrieges für eine Kriegsbeteiligung durch Neutralitätsgesetze noch die Hände gebunden, so gelang es ihnen, der isolationistischen Mehrheit sukzessive Stimmen abzuringen und einen breiteren außenpolitischen Handlungsspielraum zu gewinnen. Auch wenn sich für die Internationalisten zu diesem Zeitpunkt nicht mehr die Frage stellte, ob die USA dem Krieg in Asien beitreten, sondern wo und wann dies geschehen sollte, war die innergesellschaftliche Präferenzbildung, die isolationistische Haltung Amerikas aufzugeben, noch immer im Wandel begriffen und noch keinesfalls abgeschlossen. Der japanische Angriff auf Pearl Harbor wirkte sich nachhaltig auf die Präferenzbildung aus, weil er den Prozeß derart beschleunigte, daß die öffentliche Grundhaltung in den USA sich quasi über Nacht aus dem Isolationismus herauslöste. Aus der Sicht des Liberalismus war der Angriff auf Pearl Habor zwar nicht die entscheidende Kriegsursache, er wirkte aber als Katalysator im innergesellschaftlichen Präferenzbildungsprozeß, der dann den Eintritt der USA in den Pazifikkrieg ermöglichte. Es kann davon ausgegangen werden, daß ein Eintritt der USA in den Krieg im Pazifik auf längere Sicht als wahrscheinlich galt, unabhängig von einem japanischen Erstschlag. Die innergesellschaftliche Präferenzbildung zeigte eindeutige Merkmale, sich von der bis dahin traditionell isolationistischen Außenpolitik abzukehren. 36 Pakistans Weg in den zweiten Kaschmir-Krieg Eveline Kiefer Das Forschungsinteresse der Untersuchung des zweiten Krieges Indiens gegen Pakistan konzentriert sich darauf, ob die Ursachen des Krieges aus der Sicht Pakistans zufriedenstellend mit der Theorie des Institutionalismus erklärt werden können, d.h. inwieweit fehlende Interdependenzen zwischen Staaten und das Versagen internationaler Organisationen den Krieg verursacht haben könnten. Die Analyse erfolgt auf der systemischen Ebene, dem third image nach Kenneth Neal Waltz. Vorgeschichte, Verlauf und Ergebnisse des Krieges aus indischer Sicht Der erste indisch-pakistanische Krieg (1947 - 1949) wird mit einem Waffenstillstand unter der Aufsicht der Vereinten Nationen beendet. Pakistan und Indien einigen sich auf eine Zweiteilung des Gebietes Jammu und Kaschmir. Islamabad kontrolliert ein Drittel dieses Gebietes. 1949 bietet Indien Pakistan einen „no war“Pakt an, aber Pakistan reagiert nicht darauf. Der pakistanische Premier Liaquat Ali Khan wendet sich den USA zu. Der erste Staatsbesuch des pakistanischen Premiers in den USA 1950 fördert die bilaterale Interdependenz der beiden Staaten. Dies hat jedoch nach der Logik des Kalten Krieges zur Folge, daß sich das Verhältnis Pakistans zur Sowjetunion verschlechtert, und Moskau sich darauf Indien zuwendet. Ab dem Jahre 1954 beginnt Pakistan, die Beziehungen zu den USA und weiteren Verbündeten zu institutionalisieren: Mit den USA wird der Bagdad Pakt über materielle und technische Unterstützung sowie gegenseitige Verteidigung geschlossen. Die Türkei ist jetzt ebenfalls in einen Vertrag über militärische Kooperation eingebunden. Pakistan tritt der Southeast Asian Treaty Organisation (SEATO) bei. Ende der 50er Jahren gipfeln die instabilen innenpolitischen Verhältnisse Pakistans in einer Militärdiktatur. Außenpolitisch verfestigt sich die militärische Partnerschaft mit der Volksrepublik China im Jahre 1962 als Gegenbündnis zur indisch-sowjetischen Partnerschaft. Ein Grenzabkommen über strategische und wirtschaftliche Kooperation wird unterzeichnet. Am 5. August 1965 greifen pakistanische Mujahids (muslimische Guerilleros) Indien an, worauf indische Truppen am 16. August 1965 in den pakistanischen Teil Kaschmirs einziehen. Sowohl die USA als auch die Türkei unterstützen den Angriff von Pakistan nicht und stellen Militär- und Wirtschaftshilfen ein. Während die Volksrepublik China androht, auf Pakistans Seite in den Krieg einzutreten, versuchen sowohl die UNO als auch die UdSSR zu vermitteln. Nach schweren Panzerschlachten einigt man sich auf einen Waffenstillstand. 37 Am 10. Januar 1966 wird auf der Konferenz von Taschkent der status quo ante bellum festgelegt – obwohl Indien nach Kriegsverlauf 700 Quadratmeilen und Pakistan 300 Quadratmeilen annektieren konnte. In diesem Krieg starben mehr als 20.000 Menschen. Theoretische Erklärung der Kriegsursachen Aus der Perspektive des Institutionalismus entstehen Kriege, wenn die Staatenwelt nicht durch Institutionen vernetzt ist. Die Staaten haben keine übergeordnete Instanz, können aber durch Interdependenzen untereinander ein friedliches Gleichgewicht erlangen. Nach Keohane/Nye beeinflussen sowohl Interdependenzen als auch Institutionen die Außenpolitik eines Staates. Unter dem Begriff „Institution“ verstehen Keohane/Nye ein Set an Regeln, das Verhalten beschreibt, Aktivität fordert und Erwartungen formt. Akteure sind im Institutionalismus also Staaten oder Institutionen auf systemischer Ebene, deren Ziel es ist, ihren Nutzen in den unterschiedlichen Politikfeldern zu maximieren. Die Staaten sollen „complex interdependence“ anstreben. Darunter verstehen Keohane/Nye eine hohe Interaktionsdichte (zwischenstaatlich aber auch transnational), keine Hierarchie in politischen Fragen und keine Anwendung von Gewalt. Wenn die Staaten allerdings nicht institutionell vernetzt sind, kommt es zu Konflikten und Kriegen. Somit wird hier analysiert, inwieweit fehlende interdependente Strukturen Pakistans für den Krieg zwischen Indien und Pakistan von 1965 verantwortlich sind. Zur Analyse internationaler Interdependenzen sei es sinnvoll „asymmetrical interdependencies as source of power among actors“ zu reflektieren, d.h. es sind sowohl zwischenstaatliche als auch transnationale Beziehungen zu untersuchen. Der indische Ministerpräsident Nehru will sich 1964 Pakistan institutionell nähern, um die zwischenstaatlichen Beziehungen auszubauen, und plant eine indopakistanische Konföderation. Pakistan sieht eine Gefahr für „Azad Kaschmir“ („befreites Kaschmir“), reagiert wütend und lehnt ab. Folglich bestehen kaum Interdependenzen – außer in den transnationalen Organisationen. Die USA und Großbritannien unterstützen Islamabad militärisch und wirtschaftlich. Allerdings unterstützen beide Staaten ebenso Indien, um die Ausbreitung des Kommunismus einzudämmen. Indien wurde bereits 1962 von der kommunistischen Volksrepublik China angegriffen und ist wegen seiner Größe und Lage wichtig für die westlichen Mächte als Mauer zum Kommunismus. Daher kann sich Pakistan nicht auf die Rückendeckung von Washington und London verlassen. Als Pakistan am 5. August 1965 Indien angegriffen hat, lehnen sowohl die USA als auch Großbritannien den Angriff ab und stellen Militär- und Wirtschaftshilfen ein. Mit der Türkei hat Pakistan einen Vertrag zur militärischen Kooperation. Aber Ankara kooperiert nicht mit Islamabad im zweiten Kaschmir-Krieg, sondern verurteilt ihn ebenfalls. Auch hier existieren keine starken Interdependenzen. An die Volksrepublik China tritt Pakistan 1963 einen Teil des Gebietes von Jammu und 38 Kaschmir ab. Beide sind institutionell verbunden. Und so wird Pakistan von der Volksrepublik China, wenn auch nur durch die Drohung in den Krieg auf Pakistans Seite einzutreten, unterstützt – mit dem Ziel, daß Indien keine weitere Kriegsfront im Osten eröffnen sollte. Festzuhalten bleibt, daß Pakistan nicht stark durch Institutionen vernetzt ist und die UN als übergeordnete Regelungsinstanz scheitert. Es herrscht Anarchie. Ob dieser Aspekt „nur“ Umstand oder Hauptursache ist, läßt sich nicht endgültig bestimmen. Allerdings darf die Bedeutung von Interdependenzen und Institutionen nicht unterschätzt werden: „What we argue is that institutions make a significant difference in conjunction with power realities.“ 39 Der dritte indisch-pakistanische Krieg Stephanie Lang Indien greift im Jahre 1971 militärisch in die innerstaatliche Auseinandersetzung zwischen West- und Ost-Pakistan ein und unterstützt die Separationsbewegung Ost-Bengalens. Im Mittelpunkt steht die Frage, aus welchen Gründen sich dieser innerstaatliche Konflikt zu einem zwischenstaatlichen Krieg ausweitet; es soll analysiert werden, welche Gründe auf indischer Seite ein militärisches Handeln hervorrufen. Vorgeschichte, Verlauf und Ergebnisse des Krieges aus indischer Sicht Seit der Errichtung des pakistanischen Staates 1947, der sich durch zwei geographisch voneinander getrennte Gebiete auszeichnet, existiert eine Spannung zwischen der West- und Ost-Provinz. Ost-Bengalen, mit dem größeren Bevölkerungsanteil, fühlt sich ausgebeutet, da ihm weder ein angemessener Anteil an den politischen Entscheidungen zuteil wird – die gesamtpakistanische Politik wird vom westpakistanischen Willen dominiert -, noch erhält es eine ausreichende finanzielle Unterstützung zum Aufbau der 1947 zerstörten Wirtschaft. Zu Zeiten des Kaschmir-Konflikts 1965 stationiert Pakistan Truppen an dessen westlicher Grenze. Da Ost-Pakistan folglich ungeschützt bleibt gegen einen möglichen indischen Angriff, formiert sich eine ostpakistanische Separationsbewegung. Als bei den einzigen nationalen Wahlen im Dezember 1970 die Awami-Liga, eine die Autonomiebestrebung unterstützende Partei in Ost-Pakistan, die Mehrheit in der Nationalversammlung erlangt, wird die Kluft zwischen den beiden Landesteilen endgültig deutlich. Nach einem erneuten Aufstand im Frühjahr des folgenden Jahres wird Sheikh Mujib, der Anführer jener Bewegung, inhaftiert, diverse Intellektuelle festgenommen und 12 Prozent der ostpakistanischen Bevölkerung getötet oder vertrieben; letztere finden Zuflucht im benachbarten Indien. Die Awami-Liga, die in Indien eine Exilregierung gründet, wendet sich an Delhi, um Unterstützung für ihre Interessen zu erlangen. Als sich die Flüchtlingsströme mehren, bittet Indien die internationale Öffentlichkeit, eine politische Lösung des Problems herbeizuführen. Im Oktober 1971 werden indische Truppen an der ostpakistanischen Grenze stationiert. Parallel findet eine weitere Bemühung von Seiten Indiens statt, eine diplomatische Lösung zu finden. So fordert Premierministerin Indira Gandhi die pakistanische Regierung auf, Sheikh Mujib frei zu lassen und die bewaffneten Streitkräfte aus Ost-Pakistan abzuziehen. 40 Dennoch geht am 3. Dezember 1971 der Konflikt in einen offenen Krieg über. Innerhalb dieser vierzehntägigen militärischen Auseinandersetzung wird die pakistanische Luftwaffe zerstört, und alle wichtigen ostpakistanischen Städte werden durch indische Streitkräfte besetzt. Drei Tage später erkennt Indien Ost-Pakistan als unabhängigen Staat Bangladesch an. Am 16. Dezember kommt es zur Kapitulation der pakistanischen Truppen in Ost-Pakistan und einen Tag später auch zur Feuereinstellung in West-Pakistan. Indien begründet dieses Einschreiten damit, daß Pakistan den Erstschlag verübt hätte, zweitens, daß die erhebliche Dimension der Flüchtlinge – es wird von bis zu zehn Millionen gesprochen – eine Art Invasion darstellt und drittens, daß Indien nicht tatenlos zusehen kann, wenn der überwiegende Wille der Bevölkerung im Nachbarland mißachtet wird. Die indische Seite wird vehement durch die Sowjetunion unterstützt, wohingegen die Volksrepublik China und die USA die gegenteilige Position ergreifen. Theoretische Erklärung der Kriegsursachen Im neorealistischen Sinne bedingt die structure des internationalen Systems die politischen Prozesse zwischen den units. Da sich keine übergreifende Autorität herausbilden konnte, streben die Staaten in dieser anarchischen Konstellation konstant nach Sicherheit und Überleben. Zwar wird die UNO mit dem Hintergrund gegründet, eine Institution zu etablieren, die sich als friedenssichernde Instanz versteht; dennoch gelingt es jener im Hinblick auf den vorliegenden Krieg nicht, die kriegerische Auseinandersetzung zu stoppen. Diverse Resolutionen scheitern im Sicherheitsrat am Veto der Sowjetunion, welche die indische Seite zu verteidigen weiß und deren Ambitionen zu wenig berücksichtigt sieht. Letztlich wird das Verfahren auf die Vollversammlung ausgeweitet, da der Sicherheitsrat nicht zu einem einheitlichen Beschluß gelangt. Folglich scheint die UNO nicht befähigt, in einen Konflikt friedenssichernd einzugreifen, auch stellen jene Resolutionen keine Richtlinien dar. Erst nach der schon erfolgten Feuereinstellung wird der jüngsten und minimierten Resolution Folge geleistet. Da in einer Anarchie konstant ein Sicherheitsdilemma vorliegt, streben die units primär nach Überleben, und es kommt zu Macht- und Gegenmachtbildungen. Im Falle des dritten indisch-pakistanischen Krieges ermöglicht der Kriegseintritt Indien vornehmlich, seine Vormachtstellung in Südasien zu sichern. Indem das pakistanische Gebiet geschmälert würde, sähe sich Indien einer geringeren Gefahr gegenüber. Der anhaltende Hindu-Moslem-Konflikt könnte dann zugunsten Indiens besänftigt werden; der Feind wäre auf ein im Westen gelegenes Gebiet zurückgedrängt. Durch die Konstituierung eines unabhängigen Bangladesch hätte Indien einen verläßlichen Partner an seiner Seite, da die Eigenständigkeit zum Großteil der indischen Militärbeteiligung zu verdanken wäre. Eine weitere Gefahrenzone im Osten Indiens wäre gebannt, und es könnte weiterhin auf wirtschaftliche Kontakte zwischen beiden Staaten gesetzt werden. Auch könnte das neue Bangladesch als 41 Pufferzone zwischen Indien und dem feindlichen China angesehen werden. Letztlich wäre zumindest diese Grenzstreitigkeit beigelegt. Der Gegner China könnte also weiter in den Norden gedrängt werden, da es schon 1964 die Provinz Aksai Chin im westlichen Himalaya annektiert hatte. Der Kriegseintritt brächte auch eine Stärkung der überlebenssichernden capabilities mir sich. Im Falle einer Staatsgründung Bangladeschs könnten die sich in Indien aufhaltenden Flüchtlinge in ihre Heimat zurückgeführt werden. Die entstandene finanzielle und wirtschaftliche Schwächung Indiens bezüglich der Versorgung und Unterbringung hätte hiermit ein Ende gefunden. Des weiteren verspricht sich Indien, die von West-Pakistan unterbundenen wirtschaftlichen Beziehungen mit Ost-Pakistan wieder auffrischen zu können. Da die Ost-Provinz der indischen Bevölkerung als Ernährungsbasis und als Rohstofflieferant dient, wäre ein Erstarken dieser capabilities abzusehen. Reis, Fische und Jute werden überwiegend aus dem östlichen Nachbargebiet bezogen. Durch die Teilung des Gebietes Bengalen kam es zu wirtschaftlichen Nachteilen, die den ganzen Bereich betreffen. West-Pakistan jedoch ziel darauf ab, Ost-Bengalen für eigene ökonomische Zwecke zu nutzen. Besonders die Anarchie und das Fehlen einer übergeordneten Regelungsinstanz führt im waltzschen Sinne zu einem Kriegsausbruch. In einer anarchischen Welt sind die einzelnen units einerseits auf die überlebenssichernden capabilities angewiesen, ebenso sind sie aber gezwungen, sich im herrschenden Selbsthilfesystem zu profilieren. So schreitet Indien in den Krieg, da keine autorisierte Macht dies verhindert. Auch wittert es die Chance, die eigene Machtposition dadurch zu sichern oder gar zu verbessern. 42 Präventivschlag gegen Südkorea? Martin Greif Die Ursachenforschung des Krieges zwischen Nord- und Südkorea stellt die Grundlage dieser Untersuchung dar. Aus welchen Beweggründen sah sich Nordkorea gezwungen bzw. in der Lage, seinen südlichen Nachbarn zu überfallen? Dieser Fragestellung soll mit Hilfe der Theorie des Neorealismus nachgegangen werden, um die relevanten Konfliktursachen auf der Staatenebene herauszustellen. Vorgeschichte, Verlauf und Ergebnisse des Krieges aus nordkoreanischer Sicht Mögliche Grundlagen des späteren Konflikts auf der koreanischen Halbinsel werden, wenn auch unbewußt, bereits im Februar des Jahres 1945 gelegt. Auf der Konferenz von Jalta wird beschlossen, daß die Sowjetunion unter Stalin nun auch Japan den Krieg erklären wird, um damit die USA im asiatisch-pazifischen Raum zu unterstützen. Als daraufhin im August die Japaner kapitulieren, steht die Teilung Koreas bereits fest. Erst unmittelbar nach Abwurf der zweiten Atombombe 1945 auf Nagasaki wurde den US-amerikanischen Strategen klar, daß keinerlei Planung für ein Nachkriegs-Korea besteht. So wurden zwei Offiziere beauftragt, schnellstmöglich der Sowjetunion einen konsensfähigen Vorschlag zu unterbreiten, wie mit der Halbinsel weiter verfahren werden sollte. Der akzeptierte Plan sah vor, daß sich sämtliche japanische Truppen, welche sich zum Zeitpunkt der Kapitulation nördlich des 38. Breitengrades innerhalb koreanischen Staatsgebietes befänden, den sowjetischen Streitkräften zu ergeben hätten. Analog dazu sollten japanische Truppen südlich dieser Linie gegenüber den US-Amerikanern kapitulieren. So entstanden bereits im September des Jahres 1945 zwei unterschiedlich besetzte Gebiete auf der Halbinsel Korea. Ergebnislose Verhandlungen der Sowjetunion mit den USA über eine Zentralregierung in Korea veranlaßten Washington zu dem Vorschlag, die politische Verantwortung sowohl Nord- als auch Südkoreas an die Vereinten Nationen (VN) abzugeben. Dieser Vorschlag wurde von der Sowjetunion allerdings als nicht akzeptabel zurückgewiesen. Die daraufhin von den VN entsandte UN Temporary Commission on Korea (UNTCOK) beschränkte sich also auf die Vorbereitungen für freie Wahlen in Südkorea. Dort wurde im August des Jahres 1948 Syngman Rhee zum Präsidenten gewählt; zuvor war im Mai die Republik Südkorea ausgerufen worden. Im September 1948 wurde im sowjetisch besetzten Teil Koreas der ehemalige Partisanenkämpfer und Stalin-Getreue Kim-Il-Sung zum Premier ernannt und zeit43 gleich die Demokratische Volksrepublik Korea ausgerufen. Unmittelbar nach diesen Ereignissen beschloß die Sowjetunion, sämtliche Besatzungstruppen aus Nordkorea abzuziehen, jedoch nicht ohne den nordkoreanischen Truppen Panzer, Fahrzeuge und anderes schweres Material zu überlassen. Die Aufforderung an die USA, sich ebenfalls zurückzuziehen, folgte kurz darauf. Pläne für einen Rückzug waren in den USA schon eine zeitlang im Gespräch, und im Februar 1949 wurden diese gegen den Willen Syngman Rhees durchgesetzt. Dieser war der Meinung, die USA sollten noch einige Monate im Lande bleiben, da die südkoreanische Armee noch nicht stark genug sei, um das Land zu verteidigen. Im Gegensatz dazu sprach man in den USA bezüglich der südkoreanischen Armee häufig von einer der besten und stärksten in Ostasien. Auch aufgrund dieser Meinung begann der Rückzug US-amerikanischer Truppen, der im Juni 1949 vollendet wurde. Der Januar des Jahres 1950 begann mit einer folgenschweren Aussage des amerikanischen Außenministers Dean Acheson. In einer Rede vor dem National Press Club teilte er mit, daß Südkorea nicht im militärischen Schutzbereich der USA im Pazifik läge. Die Konsequenzen dieser Aussage traten am 25. Juni 1950 zutage, als ca. 100.000 nordkoreanische Soldaten mit 150 sowjetischen Panzern den 38. Breitengrad überschritten und, begünstigt durch extrem wenig Widerstand und Chaos unter den südkoreanischen Truppen, innerhalb von vier Tagen die Hauptstadt Seoul erreichten. Eine Woche nach Kriegsausbruch war die südkoreanische Armee von ca. 98.000 Mann auf weniger als 44.000 dezimiert worden. Theoretische Erklärung der Kriegsursachen Der Neorealismus stützt sich auf einige Grundannahmen, die, übertragen auf den Koreakrieg, kurz dargestellt werden. Relevante units, also funktional homogene Staaten, sind Nordkorea, Südkorea, die Sowjetunion sowie die USA. Zu einem erweiterten Kreis zählen auch Japan, wo die USA ca. 50.000 Soldaten stationiert hatten, und China als direkter Nachbar Nordkoreas. Für die Untersuchung der Kriegsursachen aus neorealistischer Perspektive spielt aber zumindest China keine relevante Rolle, da es bei Ausbruch des Krieges nicht aktiv involviert war und erst wesentlich später in die Kampfhandlungen eingriff. Alle Staaten befinden sich in einem anarchischen Staatensystem und können lediglich durch Selbsthilfe versuchen, ihre Sicherheit bzw. ihr Überleben zu gewährleisten. Die VN traten zu Beginn dieses Konflikt ohne tragende Rolle auf, da sie sich nach abgehaltenen Wahlen aus Südkorea zurückgezogen und keinen Versuch unternommen hatten, den Konflikt zu verhindern. In dieser von Anarchie geprägten Staatenwelt kann also von einem Sicherheitsdilemma ausgegangen werden, dem sich alle units unterworfen sahen. In diesem Zustand hängt das Überleben der units davon ab, in welcher Anzahl und Art sie über Möglichkeiten verfügen, ihre Funktion zu erfüllen, d.h. welcher Anzahl und Art ihre capabilities sind und wie diese eingesetzt werden. Als capabilities können im Koreakrieg vor allem Truppen(-stärke), aber auch Ressourcen und territoriale Faktoren angeführt werden. Ein 44 Machtgleichgewicht als Vorraussetzung für Frieden existierte nur in dem Zeitraum, da die Amerikaner die maximale Anzahl ihrer Truppen in Südkorea stationiert hielten. Kurz darauf kehrten ca. 40.000 Nordkoreaner heim, die in China Mao Zedong unterstützten und die in allen damaligen Analysen der USA über die Truppenstärke Nordkoreas vernachlässigt wurden. Es kann also davon ausgegangen werden, daß Südkorea, vor allem was die militärischen capabilities betrifft, seinem nördlichen Nachbarn unterlegen war. Die Teilung Koreas brachte auch eine Teilung in einen industrialisierten Norden und einen agrarorientierten Süden mit sich. Keiner der beiden neuen Staaten konnte ohne die Ressourcen des jeweils anderen lange Zeit überleben, denn Südkorea war auf die Schwerindustrie des Nordens und Nordkorea auf die Lebensmittel des Südens angewiesen. Für Südkorea war die Lage nicht annähernd so dramatisch wie für Nordkorea, da die USA den Süden mitversorgten. Nordkorea hingegen war vollkommen auf sich allein gestellt, und so bestand die einzige Möglichkeit, das Überleben des eigenes Volkes zu sichern und damit die Sicherheit des Staates zu erhalten nur darin, schnellstmöglich eine Wiedervereinigung mit dem südlichen Teil Koreas anzustreben bzw. diesen zu annektieren, um Zugang zu dessen Ressourcen zu erhalten. Eine erfolgversprechende Möglichkeit bestand in einer Invasion Südkoreas, welche durch die extrem schwache Verteidigung des Landes begünstigst wurde. Ebenso waren der Rückzug der USA und die (indirekte) militärische Unterstützung der Sowjetunion für Nordkorea ausschlaggebende Faktoren. Das Ziel bestand also darin, Südkorea mit einer schnellen Invasion einzunehmen. Mit der gleichen Aktion wollte man aber auch einen potentiellen Aggressor, welcher in der Zukunft, unterstützt durch die USA, zu einer Gefahr für Nordkorea und die Sowjetunion werden könnte, beseitigen. Somit kann von einem Präventivkrieg Nordkoreas gegen Südkorea gesprochen werden. Aus den vorliegenden Begründungen kann also unter Zuhilfenahme des Neorealismus der Schluß gezogen werden, daß Nordkorea die Invasion in Südkorea primär aus Gründen des Selbstschutzes bzw. der Überlebenssicherung durchführte. Inwieweit diese Gründe objektiv tatsächlich vorlagen, vermag der Neorealismus zwar nicht zu klären, dennoch bleibt er für diesen Fall die klassische Erklärungsmethode, da es sich um einen „idealtypischen“ Krieg zwischen zwei souveränen Staaten in einer anarchisch geprägten Umwelt handelte, deren Ziele Ressourcen, Überleben und Sicherheit darstellten. 45 Ursachen der Intervention Chinas Jenni Werner Warum tritt China im Oktober 1950 in den Korea-Krieg ein? Die Beantwortung dieser Frage folgt einem aktuellen Diskurs in der Theorie der Internationalen Beziehungen, der fragt, inwieweit Außenpolitik durch ideelle Faktoren beeinflußt ist. Anhand Chinas Kriegseintritt wird aufgezeigt, daß Konfliktverhalten und die soziale Konstruktion vom Feind eng miteinander verknüpft sind. Vorgeschichte, Verlauf und Ergebnisse des Krieges aus chinesischer Sicht Im Juni 1950 begann der Korea-Krieg als nationaler militärischer Konflikt zwischen der Demokratischen Volksrepublik Korea (Nordkorea) und der Republik Korea (Südkorea). Er weitete sich rasch zu einem Stellvertreterkrieg zwischen Ost und West aus. Beteiligt waren Nordkorea und China auf der einen Seite und Südkorea sowie die Vereinten Nationen (VN) unter der militärischen Führung der Vereinigten Staaten von Amerika (USA) auf der anderen Seite. Der Konflikt hat seinen Ursprung in der Teilung Koreas in zwei Besatzungszonen entlang des 38. Breitengrades. Nachdem die Japaner, die Korea bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs besetzt hielten, kapituliert hatten, wurde die Bevormundung Koreas durch eine alliierte Treuhandschaftsregierung beschlossen. Im September 1945 wurden der Süden des Landes von amerikanischen und der Norden von sowjetischen Truppen besetzt. Da amerikanisch-sowjetische Verhandlungen über eine gesamtkoreanische Regierung scheiterten, kam es 1948 zur endgültigen Spaltung Koreas in das pro-westliche Südkorea mit Präsident Syngman Rhee und in Nordkorea mit Präsident Kim Il Sung an der Spitze der Koreanischen Arbeiterpartei. 1948/49 zogen die Besatzungsmächte aus Korea ab. Zurück blieben zwei Staaten, die sich ideologisch antithetisch gegenüberstanden und die jeder für sich die Alleinherrschaft über Gesamtkorea beanspruchten. Etwa zeitgleich mit dem Abzug der Besatzungstruppen aus Korea endete in China der Bürgerkrieg zwischen Nationalisten und Kommunisten. Die USA hatten in den Krieg nicht eingegriffen und nahmen damit den Sieg der Kommunisten unter Mao Zedong in Kauf. Diese Tatsache sowie Teilerfolge der Kommunisten in Südkorea (mit einer wachsenden Opposition gegen Syngman Rhee) führten schließlich zur Ermutigung Kim Il Sungs, einen Krieg gegen Südkorea zu starten, um die zwei koreanischen Staaten unter kommunistischer Herrschaft wieder zu vereinigen. Der zuvor mit Jossif Stalin und Mao abgestimmte Krieg brach am 25. Juni 1950 aus, als nordkoreanische Truppen ohne offizielle Kriegserklärung über die Demarkationslinie am 38. Breitengrad marschierten. Entgegen Kim Il Sungs 46 Annahme reagierten die USA und die VN sofort. Am 27. Juni 1950 beschloß der Sicherheitsrat (bei Boykott der Sowjetunion), Südkorea unter der Führung Amerikas militärisch zu unterstützen. Die nordkoreanische Armee eroberte infolge der Überraschung Südkoreas anfangs große Teile des Landes, inklusive Seoul. Erst am 15. September 1950 gelang den VN-Truppen ein Gegenangriff, der zur Befreiung der südkoreanischen Hauptstadt führte. In einem Kraftakt konnte die nordkoreanische Armee schließlich hinter den 38. Breitengrad zurückgeschlagen werden. Südkorea, das sich mit der Wiederherstellung des Status quo nicht zufrieden geben wollte, drängte weiter nach Norden, und auch amerikanische Truppen überschritten am 9. Oktober die Grenze nach Nordkorea mit dem Ziel, die Vereinigung Koreas unter der Obhut der VN herbeizuführen. Die Volksrepublik (VR) China hatte bis dahin in zahlreichen Stellungnahmen Besorgnis über die Entwicklungen in Korea sowie Warnungen geäußert, daß sie in den Krieg einschreiten werde, wenn amerikanische Truppen die Demarkationslinie nach Norden passieren sollten. Die Warnungen wurden jedoch von amerikanischer Seite nicht ernst genug genommen. Als der Feldzug gegen Nordkorea am 25. Oktober mit der völligen Vereinnahmung des Landes bis zur nordkoreanischchinesischen Grenze fast gewonnen schien, kam es zur Intervention Chinas. Nach mehreren wechselseitigen Offensiven stabilisierte sich im Frühjahr 1951 die Front um den 38. Breitengrad, der im Waffenstillstand von Panmunjom (27. Juli 1953) als Teilungslinie bestätigt wurde und bis heute die völkerrechtliche Basis des Status quo im geteilten Korea bildet. Die VR China hatte im Korea-Krieg demonstriert, daß in Asien von nun an mit ihr zu rechnen war. Theoretische Erklärung der Kriegsursachen Bei der Hinterfragung von Kriegsursachen ist relevant, welche außenpolitische Denkweise ein handelnder Akteur hat und wie sie sich auf seine Entscheidung für oder gegen Krieg auswirkt. Im vorliegenden Fall lautet die Frage, wie das chinesische Weltbild zur Zeit des Korea-Krieges beschaffen war und welche Auswirkung diese ideelle Grundlage auf die Entscheidung Chinas gehabt haben kann, in den Korea-Krieg zu intervenieren. Der Standpunkt, daß die internationalen Beziehungen neben materiellen Strukturen auch durch elementare Annahmen über diese geprägt sind, ist eine sozial-konstruktivistische Sichtweise. Konstruktivisten argumentieren alternativ zum utilitaristisch-positivistischen Modell des rationalen homo oeconomicus mit einem sozialen Akteur, der Entscheidungen norm- und regelgeleitet vor dem Hintergrund subjektiver Faktoren trifft. Warum China im Oktober 1950 in den Korea-Krieg eingriff, kann im Prinzip einfach beantwortet werden: weil die amerikanischen Truppen trotz chinesischer Warnung den 38. Breitengrad überschritten. Dies ist der Anlaß der chinesischen Intervention, aber nicht die eigentliche Ursache. Interessant für die Ursachenforschung ist vielmehr die Frage, weshalb der Vormarsch der USA nach Nordkorea 47 als existentielle Bedrohung angesehen wurde und wie diese Einschätzung zustande kam. Hier greifen die spezifischen ideellen Rahmenbedingungen chinesischer Außenpolitik. Dazu zählen Geschichte, Kultur und Identität Chinas - der soziale Kontext, der zu Chinas Ideen von der Welt führt. Konkrete ideelle Faktoren, die die Wahrnehmung und Beurteilung amerikanischen Vordringens beeinflußt haben können, waren 1950: Erstens Chinas althergebrachtes Selbstbild als „Zentrum der Welt“, das großen Einfluß auf die Grenzstaaten ausübte (Tributsystem). So wurde auch Korea traditionell als „Pufferzone“ zur Abschirmung gegen die „Barbaren“ betrachtet. Seine friedliche Entwicklung und insbesondere Identifikation mit China sollte das überlegene Reich der Mitte vor Grenzkonflikten bewahren. Diese Einflußsphäre sah China nun schwinden. Zweitens war der krasse ideologische Gegensatz zwischen China und den USA bzw. die Sicht auf Nordkorea als „roten Bruderstaat“ entscheidend. China witterte in dem Vordringen der Amerikaner nach Nordkorea die Absicht, einen partiellen Sieg über den Kommunismus zu erlangen und wollte daher eine bewaffnete Wiedervereinigung Koreas unter der Obhut der VN verhindern. Und drittens waren die Erfahrungen Chinas mit dem Kolonialismus, dem gerade erst beendeten Bürgerkrieg zwischen Kommunisten und pro-westlichen Nationalisten und die anhaltende Unterstützung Nationalchinas (Taiwan) durch die USA ein Grund dafür, daß sich China durch den „westlichen Imperialismus“ bedroht fühlte. De facto verfolgten die VN mit dem Vordringen nach Nordkorea das Ziel einer Wiedervereinigung Koreas. An mehreren Äußerungen der chinesischen Regierung vor der Intervention wird jedoch deutlich, daß das Vordringen der US-Truppen nach Nordkorea als Vorspiel eines im Anschluß daran geplanten Angriffes auf China selbst gewertet wurde. Dem chinesischen Eingreifen lag also eine Fehlannahme über das amerikanische Kriegsziel zugrunde, die durch die drei Ausprägungen außenpolitischer Denkweise beeinflußt wurde. Diese Fehlperzeption stellt die ursprüngliche Ursache für Chinas Intervention dar. Zusammenfassend kann gesagt werden, daß die Gründe für Chinas Intervention aus konstruktivistischer Sicht nicht allein in der Bedrohung Chinas durch die ökonomische und wirtschaftliche Macht der VN (im Neorealismus capabilities), sondern auch in den ideellen Kräften zu suchen sind, deren Einfluß China unterlag. Capabilities bekommen nur innerhalb eines sozialen Kontextes Sinn, in dem sie interpretiert werden. Die soziale Konstruktion einer Bedrohung ist von der Wahrnehmung der materiellen Faktoren abhängig. Diese führt schließlich zur Unterscheidung zwischen Freund und Feind. Die USA wurden aufgrund einer Sinnkonstruktion zum Feind erklärt, so daß sich China für den Krieg entschied. 48 Für ein freies Vietnam Benedikt Schulte Wie kam es dazu, daß das vietnamesische Volk 1946 einen Krieg gegen die technisch weitaus überlegenen Franzosen begann? Wenn man sich diese Frage stellt wird klar, daß es einen Präferenzbildungsprozeß in der Bevölkerung gegeben haben muß, der das gesamte Volk im Krieg gegen die französischen Besatzer vereint hat. Ziel dieser Arbeit ist, diesen Präferenzbildungsprozeß zu beschreiben und zu analysieren. Vorgeschichte, Verlauf und Ergebnisse des Krieges aus vietnamesischer Sicht Entscheidend für die Bildung einer vietnamesischen Befreiungsbewegung ist die Durchdringung des Landes mit westlichen Werten. Die vietnamesische Elite besuchte französische oder französisch-vietnamesische Schulen und setzte sich intensiv mit den großen europäischen Denkern auseinander. Hinzu kam, daß etwa 100.000 Vietnamesen während des Ersten Weltkriegs in Europa als Arbeitskräfte eingesetzt wurden. Als diese zurückkehrten, brachten sie neue Ideen mit und erkannten die Diskrepanz zwischen den französischen Werten wie Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit und dem Verhalten der Franzosen als Kolonialmacht. Ab den 1920er Jahren hatten sich die Vietnamesen weitgehend von ihren traditionellen Werten gelöst. Reaktionäre Widerstandsgruppen, welche die Wiedereinsetzung des Kaisers zum Ziel hatten, verloren an Bedeutung. Gegen Ende dieses Jahrzehnts entstanden die beiden, für die weitere Entwicklung wichtigsten Widerstandsgruppen. 1927 wurde die Vietnamesisch-Nationalistische Partei (VNQDD) gegründet. Diese Partei orientierte sich am Vorbild der chinesischen Kuomintang und wurde dementsprechend auch aus China unterstützt. Die Unterstützung bestand hauptsächlich aus der Schulung von Parteimitgliedern. Diese wurden jedoch teilweise auch in Frankreich ausgebildet. Als größter Widersacher der VNQDD wurde 1930 die Indochinese Communist Party (ICP) gegründet. Diese wurde von Ho Chi Minh in Hongkong aus drei kommunistischen Gruppen gebildet. Auch die ICP erhielt Unterstützung aus China, konnte jedoch anfangs keinen größeren Einfluß auf die breite Masse erlangen. Das änderte sich, nachdem während eines Aufstandes, der von den Franzosen blutig niedergeschlagen wurde, sowohl die ICP als auch die VNQDD weitgehend zerstört wurden. Durch ihre straffe Organisation konnte sich die ICP relativ schnell wieder erholen und dadurch ihren Einfluß vergrößern. 49 Die Chance für diese Gruppen, ihre Macht noch zu erweitern, kam nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Während des Krieges schloß die französische Kolonialregierung, die sich nicht in der Lage sah, die Kolonie effektiv verteidigen zu können, Verträge mit Japan ab, die es diesen erlaubten, eine indirekte Herrschaft auszuüben. Im März 1945 übernahmen japanische Truppen dann auch direkt die Macht, indem sie die Franzosen entwaffneten und eine „Marionetten-Regierung“ unter dem Kaiser Bao Dai aufstellten. Diese Pläne wurden aber 1946 durch die August-Revolution zunichte gemacht, bei der eine Koalition aus Nationalisten und der aus der ICP hervorgegangenen Viet Minh die Macht ergriff und am 2. September 1945 die Demokratische Republik Vietnam (DRV) ausrief. Die alliierten Siegermächte hatten jedoch andere Pläne für Vietnam. Das Gebiet nördlich des 16. Breitengrades wurde unter chinesische Kontrolle gestellt, im Süden übernahmen die Briten die Kontrolle. Während sich im Norden die Vietnamesische Regierung halten und vor allem die Viet Minh ihre Macht weiter festigen konnte, übergaben die Briten die Macht im Süden Vietnams wieder an Frankreich. In einem Vertrag, den Vietnamesen und Franzosen im März 1946 abschlossen, wurde eine Kompromißlösung für ein unabhängiges Vietnam gefunden. Strittig war hier vor allem die Frage über die südliche Provinz Cochinchina. Hier sollte ein Referendum abgehalten werden, in dem sich die Bevölkerung entscheiden sollte, ob sie der DRV beitreten wollte. Dieses Referendum wurde aber im Laufe des Jahres nicht abgehalten, und auch die weiteren Verhandlungen mit Paris stellten sich als äußerst schwierig dar, so daß sich das Verhältnis zwischen Vietnamesen und Franzosen immer weiter verschlechterte. Trotz der Bemühungen Ho Chi Minhs, die Verhandlungen weiterzuführen, kam es so am 19. Dezember 1946 zum Ausbruch des Krieges. Theoretische Erklärung der Kriegsursachen Um den Kriegsausbruch zu erklären, ist es notwendig, den Präferenzbildungsbildungsprozeß in der vietnamesischen Bevölkerung zu betrachten. Dieser Prozeß soll anhand der theoretischen Grundlagen des Liberalismus nach Andrew Moravcsik analysiert werden. Der Ansatz geht davon aus, daß die Außenpolitik eines Staates durch innerstaatliche Gruppen und Individuen bestimmt wird. Obwohl man von Vietnam nicht im eigentlichen Sinne als Staat sprechen kann, da ein eigenständiger Staat Vietnam genaugenommen erst das Ziel dieses Kriegs war, ist es doch möglich, daß man den Präferenzbildungsprozeß innerhalb des vietnamesischen Volkes und der (nicht im eigentlichen Sinne als Staat anzusehenden) DRV mit dieser Theorie erklären kann. Die hier vertretene Erklärung für den Kriegsausbruch geht von der These aus, daß nur durch den enormen Machtzuwachs der Viet Minh ein Krieg möglich wurde. Dieser Machtzuwachs muß sowohl auf der politischen Ebene als auch unter dem Aspekt der Anerkennung, welche die Viet Minh innerhalb der Bevölkerung besaß, untersucht werden. Für den Ausbruch des Krieges ist des weiteren entschei50 dend, inwieweit die Positionen der Kriegsbefürworter innerhalb der Viet Minh gestärkt wurde. Zum politischen Machtzuwachs bleibt zu erwähnen, daß sich die Viet Minh schon während des Widerstandes gegen die Japaner als wichtigste Gruppe im Befreiungskampf etablierte. Dies wurde auch durch den Versuch der Chinesen, die Viet Minh in eine breiter gefaßte Gruppe aus Kommunisten und Nationalisten, die Dong Minh Hoi, einzubinden nicht verhindert. Während der August-Revolution, im Jahre 1946, konnte die Viet Minh sich als stärkste Gruppe in Regierung und Nationalversammlung etablieren und diese Machtposition, zumindest im Norden Vietnams, im Laufe der Zeit auch noch weiter ausbauen. Dies ging hauptsächlich zu Lasten der VNQDD und der Dong Minh Hoi, die nicht verhindern konnten, daß die Viet Minh die Schlüsselpositionen innerhalb der Regierung zumindest indirekt kontrollierte. Den Rückhalt in der Bevölkerung verdankte die Viet Minh zu einem entscheidenden Teil der Hungerkatastrophe, die im Winter 1944/45 den Norden Vietnams traf. Da weder die Japaner noch die Bao Dai-Regierung etwas taten, um den Hunger zu lindern, obwohl es im Süden Vietnams ausreichend Reis gab, konnte sich die Viet Minh als Freund der Bevölkerung profilieren, indem sie nach besten Kräften versuchte, die Not zu verkleinern. Nachdem die DRV ausgerufen worden war, organisierte die Viet Minh geführte Regierung Reistransporte vom Süden in den Norden und entlastete die ärmeren Bevölkerungsschichten noch weiter, indem sie die Kopfsteuer senkte. Auch durch ihr relativ moderates Programm und dessen Umsetzung sprach die Viet Minh die breite Bevölkerung an. So wurden kommunistische Inhalte in den Hintergrund gerückt und der nationale Aufstand als Hauptziel formuliert. Auch nach der Etablierung einer vietnamesischen Regierung gab es nur wenig Verstaatlichung, und das Recht auf Privateigentum wurde respektiert. Aber auch die Machtverteilung innerhalb der Viet Minh war entscheidend für den Kriegsausbruch. Durch die zähen Verhandlungen mit den Franzosen wurden die Befürworter einer gewaltsamen Lösung gestärkt. Diese Verhandlungsschwierigkeiten ergaben sich nicht nur durch Veränderungen der politischen Situation innerhalb Frankreichs, sondern auch, weil sich der Hohe Kommissar für Indochina einer Lösung, die ein unabhängiges Vietnam vorsah, relativ offen in den Weg stellte. Dadurch, daß entscheidende Fragen wie der Status von Cochinchina nicht geklärt wurden, wuchs der Unmut auf Seiten der Vietnamesen. Letztendlich begann der Krieg im Süden Vietnams, da die dortigen Akteure der Viet Minh sich nicht mit der Ungewißheit abfinden wollten, die unter Umständen auch in französischer Herrschaft hätte enden können. Aus diesem Grund ergriffen sie die Initiative und begannen den Krieg. 51 Konflikt um die Grenze Nina Wiesel Der chinesisch-indische Krieg von 1962 fand in der Welt wenig Beachtung. Grund dafür war, daß zur selben Zeit die Kuba-Krise stattfand, durch die es fast zu einem Krieg zwischen den Supermächten USA und Sowjetunion gekommen wäre. Doch der Grenzkonflikt zwischen China und Indien sollte nicht vernachlässigt werden, da es sich um die beiden bevölkerungsreichsten Staaten der Erde handelt. Und so stellt sich die Frage, wie sich der Angriff Chinas auf Indien am 20. Oktober 1962 erklären läßt. Vorgeschichte, Verlauf und Ergebnisse des Krieges aus chinesischer Sicht Nachdem China im Oktober 1950 in Tibet einmarschiert war, hatte es eine gemeinsame Grenze mit Indien. Der genaue Grenzverlauf und dessen rechtliche Grundlagen waren allerdings unklar: Indien hatte nach dem Ende der britischen Kolonialherrschaft und der Unabhängigkeit 1948 die britische Grenzziehung nach der so genannten McMahon Linie übernommen. Das hierfür entscheidende Abkommen von Simla 1914 hatte China aber nicht unterzeichnet, sondern nur Großbritannien und Tibet. Letzteres hatte aus chinesischer Sicht dazu keine Befugnis, da es als Teil Chinas angesehen wurde. 1954 kam es zwischen China und Indien zu einem Handelsabkommen, in dem unter anderem die fünf Grundsätze der friedlichen Koexistenz (Panch Sheela) beschlossen wurden. Die Grenzfrage wurde bei diesen Verhandlungen jedoch nicht berührt, was von indischer Seite als stillschweigende Akzeptanz der McMahonLinie gewertet wurde. In wiederholten Zusammenkünften zwischen dem chinesischen Ministerpräsidenten Zhou Enlai und dem indischen Ministerpräsidenten Pandit Nehru wurde die Grenzfrage zwar angesprochen, das Thema aber nicht vertieft. Diese Treffen führten zu einer Entspannung in den Grenzgebieten. Trotzdem kam es immer wieder zu Beschwerden über gegenseitige Grenzüberschreitungen. Doch 1958 wurde der Konflikt wieder verschärft, diesmal allerdings verschob sich der Schwerpunkt auf den westlichen Sektor. Der Grund für die erneuten Auseinandersetzungen war der heimliche Bau einer Autostraße zwischen den autonomen Regionen Xinjiang und Tibet durch die Chinesen. Indische Spähtrupps stellten schließlich fest, daß ein Teil der Straße auf von Indien beanspruchtem Territorium verlief. Nach darauf folgenden gegenseitigen Protestnoten kam es zu einem längeren Briefwechsel zwischen Zhou und Nehru, in dem klar wurde, daß beide Seiten eine völlig andere Auffassung von dem gegenwärtigen Stand in der Grenzfrage 52 und einer möglichen Grenzziehung hatten. Auch die Auffassungen über Vorbedingungen für Verhandlungen gingen auseinander. Nach einigem Hin und Her trafen Zhou Enlai und Pandit Nehru schließlich am 19. April 1960 in Delhi zusammen. Doch die Verhandlungen brachten keine Lösung des Konflikts, sondern nur eine Prüfung des Sachverhalts durch Beamte beider Regierungen. Währenddessen kam es zu immer mehr Grenzzwischenfällen, da beide Seiten ihre Truppen verstärkt hatten. Dies brachte, zusammen mit dem Abbruch der Arbeit der Beamten und einem Grenzabkommen zwischen China und Pakistan, den Indien wegen der ungelösten Kaschmirfrage als Affront betrachtete, die Stimmung zwischen beiden Staaten auf den Nullpunkt. Indien baute seine Befestigungsanlagen, Truppenstärke und Nachschublinien in der Grenzregion immer weiter aus, so daß im Sommer 1962 ein indischer Angriff befürchtet wurde. Wegen der Zuspitzung des Konflikts wurden erneute Verhandlungen gefordert, doch aufgrund von Uneinigkeiten über den zu verhandelnden Gegenstand und immer häufigeren Zusammenstößen der Streitkräfte, bei denen der Status quo zu Lasten Chinas verändert wurde, kam es nicht mehr dazu, und die gegenseitigen Drohungen nahmen zu. Am 20. Oktober 1962 kam es schließlich zu einer chinesischen Großoffensive, in dessen Verlauf die Volksrepublik die Grenze zu ihren Gunsten verschieben konnte. Am 24. Oktober schlug Zhou Enlai jedoch weitere Verhandlungen vor, bei denen China zu deutlichen Zugeständnissen bereit war, doch Nehru lehnte dies ab, da er mittlerweile auf den günstigeren Status quo vom 8. September 1962 bestand. Am 16. November eroberten die Chinesen noch einmal große Teile des Grenzgebiets, doch schon in der Nacht zum 21. November kündigte die chinesische Regierung einen Waffenstillstand an. Hierzu erklärte sie, ihre Truppen 20 km von der wirklichen Kontrollinie vom 7. November 1959 zurückzuziehen. Da Indien aber nicht bereit war, auf die Vorschläge einzugehen, blieb der Waffenstillstand einseitig. Trotzdem konnte der freiwillige Rückzug der Chinesen ohne Störungen durch die Inder durchgeführt werden. Theoretische Erklärung der Kriegsursachen Der Krieg läßt sich aus realistischer Sicht erklären. Nach Morgenthau sind ungleiche oder gegensätzliche Interessen der Grund für Krieg. Daher ist die Ursache für den Krieg zwischen China und Indien, daß die Interessen beider Länder in der Grenzfrage unvereinbar waren. Beide Staaten hatten ein unterschiedliches Interesse in Bezug auf die Grenzziehung. Die jeweils eigene Version hätte für diesen Staat ein größeres Territorium bedeutet, für den anderen dagegen ein kleineres. Es ging also im Grunde um Machtmaximierung. Dieser Machtzuwachs wäre einerseits durch die Beherrschung eines größeren Gebietes und der Menschen, die darin leben, erreicht worden, andererseits durch die Durchsetzung des eigenen Willens gegen den Willen des anderen Staates. Schließlich ist nach Morgenthau Macht „die 53 Herrschaft von Menschen über Menschen“. Und dies beinhaltet auch, einen anderen dazu zu bringen, etwas zu tun, was er eigentlich nicht will. Wie der Briefwechsel zwischen Zhou Enlai und Pandit Nehru zeigt, war zwar eine gewisse Kompromißbereitschaft vorhanden, doch diese ging nicht weit genug, um die gegensätzlichen Interessen zu überwinden und so ein Interessengleichgewicht herzustellen. Damit hätte eine friedliche Lösung des Konflikts gefunden werden können, doch die Bereitschaft zu verhandeln war schon im Vorfeld von indischer Seite an Bedingungen geknüpft, die China zu erfüllen nicht bereit war. So sah Zhou Enlai schließlich in dem Angriff auf Indien die einzige Chance zur Durchsetzung der chinesischen Interessen. China griff Indien am 20. Oktober 1962 auch deshalb an, weil aufgrund von Truppenbewegungen Indiens und Äußerungen Nehrus mit einem indischen Angriff gerechnet werden mußte. China wollte dem zuvorkommen, da dadurch die Möglichkeit bestand, einen Machtverlust zu erleiden. Hierfür spricht, daß Indien seine Nachschublinien verstärkt hatte: In den Jahren vor dem Krieg waren Bergstraßen gebaut worden, um den Nachschub im Grenzgebiet zu sichern, und die Truppenstärke erhöht worden. Die gegenseitigen Drohungen nahmen immer mehr zu. Am 12. Oktober, also unmittelbar vor dem Krieg, sagte Nehru, daß die indischen Truppen Anweisung hätten, „das indische Territorium … zu befreien.“ Ein Angriff durch Indien stand also kurz bevor, und die chinesische Seite schätzte die Chance, bei einem eigenen Angriff die Grenzfrage zu ihren Gunsten zu entscheiden, höher ein als bei einem indischen Angriff. Dazu kam die Anarchie in der Staatenwelt: Die UNO war während des Kalten Krieges zwischen den beiden Supermächten USA und Sowjetunion handlungsunfähig, da die beiden durch ihr Vetorecht Entscheidungen im Sicherheitsrat blokkierten, wenn diese ihre Interessen berührten. Während des Kalten Krieges war dies bei fast jedem Konflikt der Fall, da die beiden Staaten sich in einem Machtkampf um ihre Einflußgebiete befanden, die die ganze Welt betrafen. Deshalb hätten auch sie nicht als ordnende Macht fungieren können, vor allem da sie zum Zeitpunkt des chinesisch-indischen Krieges in einer besonders explosiven Phase waren, nämlich der Kuba-Krise. Somit gab es keine höhere Instanz, die in der Lage gewesen wäre, in diesem Konflikt zu vermitteln oder ihn gar zu lösen. Deshalb war China aufgrund des Fehlens einer ordnenden Macht darauf angewiesen, sich selbst zu helfen, und der einzige Lösungsweg schien der Krieg zu sein, da alle anderen Lösungsversuche bisher gescheitert waren. Zhou Enlai, der im Grunde auf eine friedliche Lösung des Konflikts baute, hatte versucht, den Ausbruch des Konflikts so lange wie möglich zu verzögern. Als rationalem Staatsmann war ihm klar, daß mit Indien nicht unbedingt eine friedliche Lösung zu erreichen war, und so gab er Nehru gegenüber erst dann zu, daß er die Grenzfrage nicht als geklärt betrachtete, als Chinas Position sich gefestigt hatte. Somit hatte er bewußt auf eine Fehlperzeption Nehrus gebaut, um einen chinesischen Machtverlust zu vermeiden. 54 Indiens Weg in den Krieg Andreas Berding Der indisch-chinesische Grenzkonflikt von 1962 ist de facto bis heute nicht gelöst und stürzte die beiden bevölkerungsreichsten Staaten Asiens in einen Jahrzehnte langen anhaltenden kalten Krieg. Im folgenden soll gezeigt werden, welche Gründe aus konstruktivistischer Sicht zur Eskalation an der indisch-chinesischen Grenze geführt haben und welchen Beitrag Indien dazu geleistet hat. Vorgeschichte, Verlauf und Ergebnisse des Krieges aus indischer Sicht Streitpunkt im Konflikt zwischen Indien und China sind unterschiedliche Auffassungen über die Grenzziehung zwischen den beiden Staaten. Im Westen handelt es sich um 38.400 km2 im nördlichen Ladakh, die Indien aufgrund eines Vertrages von 1842 beansprucht, der zwischen dem Fürsten von Kaschmir, dem Dalai Lama und dem Kaiser von China geschlossen wurde. Dieser bezieht sich auf die „traditionellen Grenzen“, ohne diese jedoch genau zu definieren. An der Nordostgrenze Indiens, im Teilstaat Assam, bestehen die Inder auf 92.000 km2 aufgrund der Grenzziehung nach der so genannten McMahon Linie, die das Ergebnis der SimlaKonferenz von 1913/1914 darstellt. Dieser Vertrag wurde allerdings niemals von China ratifiziert, sondern lediglich von Tibet. So rückte das Grenzproblem auf die Tagesordnung, als China 1950 in Tibet einmarschierte. Indien protestierte zwar verhalten gegen die Annexion, erkannte die chinesischen Ansprüche letztlich aber an und verzichtete auf die von den Briten ererbten Sonderrechte in Tibet, da man in Neu Dehli nicht gewillt war, an kolonialen Praktiken festzuhalten. 1954 wurde zwischen China und Indien ein Verkehrsund Handelsabkommen geschlossen, in dessen Vorwort die fünf Grundsätze der friedlichen Koexistenz „Panch Sheela“ eingefügt wurden. In Indien herrschte daraufhin die irrtümliche Meinung vor, daß China mit diesem Vertrag gleichzeitig die McMahon Linie stillschweigend als Grenze akzeptiert habe. Auf Grundlage der fünf Prinzipien entwickelten sich die indisch-chinesischen Beziehungen Mitte der fünfziger Jahre sehr positiv, und das Grenzproblem trat zunächst in den Hintergrund. Allerdings hatten die Chinesen bereits 1956 damit begonnen, eine Straße durch das Aksai-Chin Gebiet im Norden Ladakahs und damit durch von Indien beanspruchtes Territorium zu bauen. Da die Inder die Ausübung ihrer Hoheitsrechte in diesem Gebiet stark vernachlässigten, wurden sie durch die Fertigstellung vor vollendete Tatsachen gestellt. In einem darauf folgenden Notenaustausch stellte Zhou En-Lai klar, daß die McMahon Linie niemals von China akzeptiert worden sei und somit die Straße auf chinesischem Territorium verlaufe. 55 Eine weitere Belastung für die indisch-chinesischen Beziehungen stellte der Aufstand in Tibet im Jahre 1959 dar. Die Inder zeigten durchaus Sympathien für die tibetanische Autonomiebewegung und gewährten dem Dalai Lama Exil, was bei den Chinesen auf großes Mißfallen stieß. Peking warf Indien Einmischung in innerchinesische Angelegenheiten vor. Im Gegenzug formulierte Nehru drei Prinzipien der indischen Politik gegenüber dem Norden. Darin wurde dem Sicherheitsbedürfnis Indiens sowie die Sympathie für Tibet Priorität vor der Freundschaft zur Volksrepublik China eingeräumt. In der Folgezeit lehnte Indien diverse chinesische Vorschläge, den Status quo der tatsächlich kontrollierten Gebiete einzuhalten und eine entmilitarisierte Zone zu schaffen, ab, da dies aus Sicht der Inder in der Praxis erhebliche strategische Nachteile bedeutet hätte. Zwischen 1959 und 1962 verschlechterten sich die Beziehungen rapide, und es kam immer wieder zu bewaffneten Zusammenstößen in den umstrittenen Gebieten. Verschiedene Versuche einer friedlichen Einigung scheiterten, und so brach am 20. Oktober 1962 ein offener Konflikt aus. Dabei waren die Chinesen militärisch deutlich überlegen, und die Kämpfe verliefen zunehmend zu Ungunsten Indiens. Dennoch verkündete Peking am 21. November überraschend einen einseitigen Waffenstillstand und kündigte an, sich bis zum 1. Dezember wieder bis hinter die wirkliche Kontrollinie von 1959 zurückzuziehen. Außerdem regte China erneut eine entmilitarisierte Zone an und machte ein Angebot, erneut zu verhandeln. Indien zeigte sich skeptisch und ging nicht direkt auf die chinesischen Vorschläge ein. Allerdings wurde der Abzug der Truppen nicht behindert. Da Indien auch dem Waffenstillstand nicht explizit zustimmte, besteht theoretisch bis heute nur eine einseitige Waffenruhe. Theoretische Erklärung der Kriegsursachen Nach der konstruktivistischen Außenpolitiktheorie ergibt sich die Wirklichkeit in den internationalen Beziehungen nicht in erster Linie aus materiellen Zwängen, sondern ist von den Akteuren sozial konstruiert. Sie interpretieren eine Situation dabei abhängig davon, wie sie sich selbst im internationalen System betrachten und welche Erwartungen sie gegenüber den anderen Akteuren haben. Grundlage für diese Interpretation bildet dabei auch der Sozialisationsprozeß innerhalb des Akteurs, der zu einer eigenen Identität führt, aus welcher sich konkrete außenpolitische Interessen ableiten. Zu Konflikten kommt es, wenn die Identitäten zweier Akteure entsprechend inkompatibel sind. Aus dieser Sicht waren die Standpunkte der Inder und der Chinesen im Bezug auf die Grenzziehung auf Grundlage der unterschiedlichen Sozialisation grundsätzlich unvereinbar. Die Inder hatten die Macht friedlich von Großbritannien übernommen und waren tief von der ehemaligen Kolonialmacht geprägt worden. Darum blieben sie eng mit den Briten verbunden und übernahmen deren Vorstellungen und Rechtsauffassungen in Bezug auf die Grenzen. Für die Volksrepublik allerdings konnten diese nicht akzeptabel sein. Die Chinesen, die sich immer durch ko56 loniale Bestrebungen bedroht gefühlt hatten, empfanden diese Grenzen dagegen als unfair und demütigend, da sie das Ergebnis kolonialer Aggression darstellten. Dazu kam, daß China Verträge nicht anerkannte, die von den Tibetern geschlossen worden waren, weil Peking Tibet immer als Teil Chinas angesehen hatte. Diese unterschiedliche Sozialisation wurde durch den Gegensatz der demokratische Entwicklung in Indien einerseits und die kommunistischen Prägung in China andererseits zusätzlich verschärft. In Neu Dehli war man dennoch anfangs durchaus an einer wohlwollenden Politik gegenüber China interessiert. Belege dafür waren der Verzicht auf Sonderrechte in Tibet, die Indien als Resultat kolonialen Erbes der Briten besaß, die Anerkennung der chinesischen Ansprüche auf Tibet sowie der aktive Einsatz für eine Vertretung der Volksrepublik in den Vereinten Nationen. Man glaubte aufgrund ähnlicher Probleme und einer vermeintlichen asiatischen Solidarität an gemeinsame Interessen mit China. Daher stand in der indischen Interpretation das Bild des Freundes gegenüber dem des Rivalen im Vordergrund. Vor allem aufgrund seiner weiterhin tibetfreundlichen Politik gelang es Indien jedoch nicht, das chinesische Mißtrauen abzubauen und sich vom Vorwurf einer Fortsetzung kolonialer Politik zu befreien. Die Sympathie für Tibet entsprach dem außenpolitischen Selbstverständnis Indiens, wurde von den Chinesen jedoch als antichinesisch bzw. antikommunistisch fehlinterpretiert, da in China stets die mögliche Rivalität mit dem südlichen Nachbarn im Vordergrund stand. Indien beging zudem den Fehler, basierend auf dem Bild des freundlichen Chinas, das Grenzproblem anfangs nicht ernst genug zu nehmen. Man räumte dem Versuch, allgemein gute Beziehungen zu China aufzubauen, Priorität ein und ignorierte daher die sich offensichtlich aufbauenden Spannungen. Diese Fehlwahrnehmung der indischen Seite wurde spätestens mit der Fertigstellung der Aksai Chin Straße 1958 offensichtlich, doch erst mit dem Aufstand in Tibet 1959 trat in Indien erstmals das Bild des möglichen Rivalen in den Vordergrund, was jedoch deutlich zu spät war. Man muß aber auch die aktive Rolle Indiens berücksichtigen, welche gerade zu Beginn der 60er Jahre zur Eskalation der Lage beigetragen hat. So führten die Inder im Sommer 1962 eine Reihe von Gebirgsmanövern durch, verlegten Truppen an die Grenze und bauten ihre Nachschublinien aus. Dies in Verbindung mit der unnachgiebigen und teils aggressiven Rhetorik ließ nicht wenige zu dem Schluß kommen, daß Indien selbst eine gewaltsame Änderung der bestehenden Verhältnisse anstreben könnte. Daß Indiens Politik in der Grenzfrage zwischen 1959 und 1962 durchaus aggressiv gewertet werden kann, zeigt sich sehr deutlich in der Forderung nach dem Krieg, nicht die Verhältnisse von 1959, sondern die für Indien besseren vom September 1962 wiederherzustellen. Daraus kann man schließen, daß Indien in den häufigen Grenzscharmützeln in den Vorkriegsjahren den alten Status quo häufiger mißachtet und so zur Verunsicherung Chinas beigetragen hat. 57 „US-Imperialisten, verschwindet aus Südvietnam!“ Florian Dröscher Der „Vietnam-Krieg“ zwischen den USA und Nordvietnam gehört zu den Kriegen, die in der Weltöffentlichkeit größte Beachtung fanden. Unzählige Bücher und Filme sind zu diesem Thema erschienen. Dabei wurde der Vietnamkrieg meist aus amerikanischer Sicht behandelt. Diese eher einseitige Darstellung macht es sehr interessant, auch einmal die nordvietnamesischen Motive, in den Krieg zu ziehen, zu betrachten. Vorgeschichte, Verlauf und Ergebnisse des Krieges aus vietnamesischer Sicht In Folge der Genfer Indochinakonferenz im Juli 1954, welche das Ende des Krieges mit Frankreich bedeutete, wurde Vietnam entlang des 17. Breitengrades geteilt. Im Norden festigte der kommunistische Vietminh seine Macht in der „Demokratischen Republik Vietnam“, während die „Republik Vietnam“ im Süden von dem prowestlichen Regime um Ngo Dinh Diem regiert wurde. In den folgenden zwei Jahren zog Paris sämtliche französischen Soldaten aus Vietnam ab. Zur gleichen Zeit verstärkten die USA ihr Engagement im Süden des Landes. Nachdem sie in der Schlußphase des ersten Indochinakriegs bereits den französischen Militärapparat finanzierten, wurden nun erstmals einige hundert USamerikanische Militärberater nach Saigon geschickt. Die in Genf für Juli 1956 angesetzten gesamtvietnamesischen Wahlen scheiterten am Widerstand Ngo Dinh Diems. Er begründete seine Entscheidung damit, daß in Nordvietnam keine freien Wahlen gewährleistet werden könnten. Diese Argumentation ist allerdings zweifelhaft, da die Vietminh bei einer Wahl, im Gegensatz zu dem eher chancenlosen Diem, große Erfolgsaussichten gehabt hätten. Aufgrund der Wahlabsage Südvietnams trat im Jahr 1957 der südvietnamesische Vietcong („vietnamesische Kommunisten“) zum ersten Mal in Erscheinung. Seine Mitglieder verübten Anschläge auf Einrichtungen der südvietnamesischen Regierung und des amerikanischen Militärs. Dabei wurden sie vom Norden logistisch unterstützt. Über den Ho-Tschi-Minh-Pfad, der schon im Krieg gegen Frankreich dazu genutzt wurde, um die innervietnamesische Grenze über Laos und Kambodscha zu umgehen, wurde der Vietcong nun mit Waffen und Lebensmitteln versorgt. 1960 schlossen sich in Folge des Dritten Nationalkongresses die verschiedenen Vietcong-Gruppen zur Nationalen Befreiungsfront (NLF) zusammen. Die von Nordvietnam unterstützte NLF kontrollierte nun immer mehr Bezirke im 58 Süden Vietnams. Sie wurde fast täglich von Freiwilligen verstärkt, die den Süden aus Nordvietnam infiltrierten. Es kam zu immer stärkeren Gefechten mit den südvietnamesischen Regierungstruppen mit starken Verlusten auf beiden Seiten. Zur Eskalation des Krieges trug maßgeblich der „Zwischenfall“ im Golf von Tonkin bei. Am 2. und 4. August 1964 wurden zwei amerikanische Zerstörer von nordvietnamesischen Torpedobooten angegriffen. Dieses Ereignis gab dem amerikanischen Präsidenten Lyndon B. Johnson die Möglichkeit, sich durch den Kongreß in der sogenannten „Tonkin-Resolution“ die uneingeschränkte Kriegführung gegen Nordvietnam genehmigen zu lassen. Obwohl es nie eine offizielle Kriegserklärung gab, begannen die Luftstreitkräfte der USA im Januar 1965 mit der Bombardierung Nordvietnams. Zwei Monate später wurden schließlich auch amerikanische Bodentruppen entsendet. Neben den etwa 20.000 Militärberatern, die bereits stationiert waren, landeten im März 1965 die ersten 3.500 Marines am Strand von Da Nang. Ende des Jahres waren bereits 150.000 US-Soldaten in Südvietnam stationiert. Die Truppenstärke wurde stetig erhöht und fand im Jahr 1969 mit 543.000 Soldaten ihren Höhepunkt. Am vietnamesischen Neujahrsfest im Januar 1968 starteten die NLF und Teile der nordvietnamesischen Armee eine lange geplante Großoffensive, die TetOffensive. Die USA und Südvietnam wurden anfangs förmlich überrannt, da der Angriff in den traditionellen Waffenstillstand der Tet-Feiertage fiel. Erst in den Straßen von Saigon konnten die Amerikaner den Angriff stoppen und zurückdrängen. Nordvietnam und die NLF mußten schwere Verluste hinnehmen, aber dennoch hatte die Operation zumindest politischen Erfolg. Die US-Regierung stand im eigenen Land zunehmend unter Druck, den Krieg rasch zu beenden. Ab 1969 förderte die US-Regierung eine „Vietnamisierung“ des Krieges. Der südvietnamesischen Armee wurde immer mehr militärische Verantwortung übertragen, während die USA ihre Truppenstärke allmählich verringerten. Ende Januar 1973 unterzeichneten die Kriegsparteien in Paris ein Friedensabkommen. Darin wurde der völlige Abzug amerikanischer Streitkräfte aus Vietnam beschlossen. Nordvietnam verpflichtete sich, seinen Vorstoß nach Südvietnam einzustellen. Nachdem die USA die letzten Soldaten aus Südvietnam abgezogen hatten, wurde das Abkommen jedoch gebrochen. Die nordvietnamesische Armee und der Vietcong starteten im Dezember 1974 erneut eine Großoffensive, die erst im April 1975 mit der Eroberung Saigons endete. Ohne die militärische Unterstützung der USA hatte die südvietnamesische Armee keine Chance gehabt, den Angriffen der Kommunisten standzuhalten. In diesem Krieg starben über zwei Millionen Vietnamesen und 57.685 USSoldaten. Zwölf Millionen Südvietnamesen flohen aus ihrer Heimat. 59 Theoretische Erklärung der Kriegsursachen Die vietnamesischen Kriegsgründe sollen nun aus der Perspektive des Liberalismus nach Moravcsik betrachtet werden. Von diesem Theorieansatz ausgehend ist Außenpolitik das Ergebnis von Präferenzbildungsprozessen zwischen Individuen und/oder gesellschaftlichen Gruppen innerhalb eines Staates. Diese Gruppen verfolgen ihre ideellen Interessen und möchten dies auch außerhalb des eigenen Staates tun. Entscheidend für die Ausgestaltung der Außenpolitik eines Staates ist die Konfiguration der Interessen dieser Gruppen. Oberstes Ziel nach Ende des französisch-vietnamesischen Krieges war für die nordvietnamesische Staatsführung um Ho Chi Minh eine rasche Wiedervereinigung mit dem Süden des Landes. Dieser Wille beruhte auf dem nationalen Verständnis der Vietminh, das von der Mehrheit der vietnamesischen Bevölkerung geteilt wurde. Eine oft gebrauchte Erklärung war: „Vietnam ist ein Land, und die Vietnamesen sind ein Volk“. Die Hoffnung auf eine baldige Wiedervereinigung wurde jedoch durch den Widerstand der Diem-Regierung bezüglich gesamtvietnamesischer Wahlen vernichtet. Somit war eine friedliche Wiedervereinigung mit Südvietnam in weite Ferne geraten. Eine gewaltsame Auseinandersetzung mit der südvietnamesischen Regierung und deren Verbündeten war nun die einzige Möglichkeit, die Einheit des Landes wiederherzustellen. Mit der Einmischung der USA trafen nach dem ersten Indochinakrieg wieder zwei unterschiedliche Weltanschauungen aufeinander. Der kommunistische Norden wollte die Souveränität für das gesamte Vietnam durchsetzen. In ihren Augen waren die US-amerikanischen Anstrengungen im Süden des Landes lediglich ein Versuch, nach und nach den ostasiatischen Raum zu kolonialisieren, um die angestrebte Weltherrschaft zu erlangen. Neben den Amerikanern machte der Vietminh aber noch einen Feind im eigenen Volk aus. Die Regierung um Ngo Dinh Diem und die nach dessen Ermordung 1963 eingesetzten Militärregierungen waren aus nordvietnamesischer Sicht Verräter am Vaterland. Sie ließen zu, daß unzählige Ausländer in das Land strömten und das vietnamesische Volk ausbeuten konnten. Dies wollte Nordvietnam nicht zulassen. Auch konnte man durch eine Wiedervereinigung und eine damit verbundene Ausdehnung des Kommunismus auf Südvietnam zukünftige Konflikte vermeiden. Der Liberalismus geht davon aus, daß zwischenstaatliche Inkompatibilität der im jeweiligen Staat organisierten und repräsentierten gesellschaftlichen Präferenzen zwangsläufig zu Konflikten führt. Ein kommunistisches Nordvietnam kann somit nicht in Frieden mit seinem westlich orientierten Nachbarn leben, da die Gesellschaften der jeweiligen Staaten gegensätzliche ideologische Ziele verfolgen. 60 Warum die USA Nordvietnam angriffen Lars Potyka Im Fokus des first image nach Hans J. Morgenthau wird versucht, die Ursache des Krieges USA - Vietnam zu untersuchen. Anhand der geschichtlichen Entwicklung im südostasiatischen Raum wird das Sicherheitsinteresse der USA im Kontext des Kalten Krieges herausgearbeitet. Die hieraus entstehende Politik der Machtausdehnung seitens der Vereinigten Staaten wurde entscheidend geprägt von den Präsidenten John F. Kennedy, der eine Erhöhung des Engagements in Vietnam einleitete, und dessen Nachfolger Lyndon B. Johnson, der schließlich die Entscheidung zur Kriegsteilnahme der USA fällte. Vorgeschichte, Verlauf und Ergebnisse des Krieges aus amerikanischer Sicht Nach dem Zweiten Weltkrieg hatte die politische Ordnung in Indochina für Washington kaum Priorität. So führte Frankreich 1946 – 1954 im Zuge seiner kolonialen Restaurationsbestrebungen einen von den USA gebilligten Krieg gegen Vietnam. Der US-Geheimdienst sah zudem bis 1948 keine Verbindungen Vietnams nach Moskau. Als im September 1949 China kommunistisch wurde, entstand das Interesse, dem Kommunismus keinerlei Ausdehnungsmöglichkeiten im südostasiatischen Raum zu bieten. Die Vereinigten Staaten leisteten fortan militärische Unterstützung für Französisch-Indochina und erstellten wirtschaftliche Hilfsprogramme für Laos, Kambodscha und Vietnam. 1950 brach der Krieg in Korea aus. Der freie Westen, repräsentiert durch die USA und Frankreich, kämpfte nun gemeinsam in Südostasien gegen den Kommunismus. Im Juni 1954 wurde Ngo Dinh Diem zum Ministerpräsident der südvietnamesischen Regierung ernannt. Washington unterstützte von Beginn an dessen Regierung, während die Bevölkerung eine ständig wachsende Abneigung gegen Diem entwickelte, die bis zu ihrem Höhepunkt von den USA unerkannt blieb und am 8. Mai 1963 in den Ausschreitungen der Buddhistenkrise gipfelte. Im Juli 1954 wurde das Genfer Abkommen unterzeichnet, welches den Krieg zwischen Frankreich und Vietnam beendete. Paris stellte nun sein Engagement in Vietnam ein und zog sich aus Indochina zurück. Im gleichen Atemzug begannen Untergrundkämpfe vietnamesischer Befreiungsgruppen gegen das von den USA unterstützte Diem Regime in Südvietnam. Von 1954 bis 1957 konsolidierten die Kommunisten (Vietcong) unter Ho Tschi Minh im Norden Vietnams ihre Machtbasis. Erst ab 1957 begann der Vietcong mit Maßnahmen im Kampf um die Macht in Südvietnam. Am 20. November 1960 61 formierte sich die „Nationale Befreiungsfront“, die alle Diem und USA feindlichen Kräfte in einer aktiven und organisierten Widerstandsbewegung zusammenfaßte. Im Mai 1960 erkannte die Südostasienabteilung des US-Außenministeriums, daß aufgrund des immens gestiegenen kommunistischen Einflusses im Süden die Entscheidungsphase im Kampf ums Überleben Südvietnams unmittelbar bevorstand. 1961 bis 1963 sah sich Präsident Kennedy angesichts dieser Situation gezwungen, die Unterstützung in Südvietnam beträchtlich zu steigern. Anfang der 60er Jahre erklärte Chrustschow öffentlich, daß die Sowjetunion Befreiungskämpfe von Ländern in der Dritten Welt unterstützen wolle. Kennedy leitete hier eine Unterstützung des Vietcongs durch die UdSSR ab und antwortete, daß westliche Interessen in der Dritte Welt entschlossen verteidigt würden. Die USA wollten der strategischen Gefahr begegnen, die existent wäre, wenn der Kommunismus Ressourcen und Völker Südostasiens absorbieren könne. Aufgrund der Intention, den kommunistischen Einfluß in Südostasien zu verhindern, wurde 1962/1963 unter Kennedy die „Domino-Theorie“ entwickelt, die das amerikanische Interesse in Vietnam wie folgt präzisiert: 1. Fällt Südvietnam in kommunistische Hände, folgen weitere kommunistische Expansionen in Südostasien. Des weiteren folgt eine Vertrauenskrise der freien Staaten gegenüber den Vereinigten Staaten. 2. Eine Verteidigung Südvietnams erfordert einen weiterhin gesteigerten Machtmitteleinsatz der USA, inklusive größerer Truppenverbände. 3. Politisch setzt eine Behauptung Südvietnams eine Beseitigung der zu repressiv und unpopulär gewordenen Regierung Diems voraus. Letzteres geschah im Zuge eines Militärputsches am 2. November 1963, der auf Geheiß Kennedys initiiert wurde. 1964 erkannte der neu gewählte US-Präsident Johnson die Wurzel des Problems, welche die materielle Unterstützung und politische Führung des Aufstandes in Südvietnam seitens Nordvietnams darstellte. Die von ihm bevorzugte Lösung bestand aus Flächenbombardements auf Nordvietnam. Nach den Zwischenfällen am Golf von Tonking vom 2. und 4. August 1964 wurde er durch die Tonking– Resolution vom Kongreß dazu bemächtigt, dies zu tun. Am 2. März 1965 schickte Johnson US-Bomber nach Nordvietnam. Die USA waren nun offiziell in einem Krieg, aus dem sie 1973 als Verlierer hervorgingen. Theoretische Erklärung der Kriegsursachen Die Ursachen, warum die USA in den Krieg gegen Nordvietnam eintraten, können an den Persönlichkeiten der Präsidenten Kennedy und Johnson festgemacht werden. Man fokussiert ihre Personen im first image, indem man ihre Fehlbarkeit und ihre persönlichen Entscheidungen betrachtet und in diesen dann die Ursachen des Krieges sucht. So war es alleine Johnson, der den Befehl gab, durch das Bombardement Nordvietnams aktiv am Krieg teilzunehmen. Durch das Täuschen der Öffentlichkeit und die Entmündigung des Kongresses mit Hilfe der TonkingResolution beschränkte sich der Entscheidungsprozeß über die Teilnahme am Krieg auf den US-Regierungsstab unter Johnson. Seit Februar 1964 unternahmen 62 die USA Geheimoperationen in Nordvietnam, die schließlich, unerkannt von der Öffentlichkeit, zu einer Eskalation des Konflikts führen sollten. Die Schilderungen Johnsons der Tonking Zwischenfälle sind sehr fragwürdig und stellten eine Irreführung von Volk und Kongreß dar. Die hieraus hervorgegangene Resolution verlieh Johnson die unbegrenzte Kontrolle über die US-Streitkräfte im Vietnam–Konflikt. Johnson wurde selbst eine aggressive Persönlichkeit nachgesagt. Er wollte in Vietnam keinen Rückzug antreten, da er sonst einen Gesichtsverlust seiner Person befürchtete und dann als „Feigling“ vor der Welt stehen würde. Dies führte zu einem Ausschluß einer friedlichen Lösung, da auch die Beilegung des Konflikts auf politischem Wege einen Sieg des Kommunismus für Johnson darstellte. Er verknüpfte den militärischen Sieg in Vietnam mit seiner Person. Die Bedeutung dieser anthropologischen Sichtweise bezüglich des Kriegsausbruches wird deutlich, wenn die Entscheidung Johnsons der Entscheidung Kennedys gegenübergestellt wird. Dieser entschied sich kurz vor seinem Tod für die Einstellung des US– Engagements in Vietnam und somit gegen eine Eskalation. Hier wird die Entscheidung über den Kriegsbeitritt bei Johnson lokalisiert, da dieser sich als Vizepräsident unter Kennedy in dem gleichen Entscheidungsprozeß wie dieser befand und sich für eine militärische Eskalation in Vietnam entschied. Ein weiterer anthropologischer Aspekt, der zu betrachten ist, um die Ursachen der Eskalation im Vietnamkonflikt zu lokalisieren, ist die Fehlbarkeit der Entscheidungsträger Kennedy und Johnson. In den 50er Jahren wurde bei Kennedy das Interesse an Vietnam und die Sympathie für Diem geweckt, welcher zu dieser Zeit den Kontakt zu aufstrebenden und einfußreichen Persönlichkeiten der amerikanischen Politik suchte. Bis 1963 war die US–Regierung äußerst zuversichtlich über die Situation in Vietnam. Man vertraute blind dem Regime Diems, doch dieses verschleierte die desolate Situation Südvietnams, bis es zur Buddhistenkrise kam. Kennedy ließ sich aufgrund seiner Gutgläubigkeit gegenüber Diem täuschen. Seine horrende Unterstützung in Vietnam führte ins Leere. Er beschloß den Rückzug. Hier ist aufgrund der Fehlbarkeit des Präsidenten eine erhebliche Amerikanisierung des Konflikts zu erkennen. Dahingegen führte die Fehlbarkeit Johnsons die USA zu einer aktiven Kriegsteilnahme. Er bekam einen objektiven Überblick der Situation Vietnams nach Kennedys Tod, hielt jedoch an der Domino-Theorie fest. Nach Beendigung des Krieges stellte sich heraus, daß die Theorie absolut im Gegensatz zu dem stand, was schließlich eintrat. Johnson hatte es abgelehnt, Asienexperten zu konsultieren. Verteidigungsminister McNamara erklärte, daß es keinen Krisenstab und keine Grundsatzdebatten über Alternativen und Konsequenzen gab. Johnson dürfte somit einen objektiven Meinungsbildungsprozeß seinerseits weitestgehend verhindert haben. Hätte er diesen jedoch erfahren, hätte er möglicherweise erkannt, daß ein Krieg gegen den Vietcong die Interessen der USA nicht befriedigen konnte und sich gegen ihn entschieden. 63 Der chinesische „Straffeldzug“ Stefan Schwarz Die heutigen Kräftekonstellationen und Konflikte im südostasiatischen Raum lassen sich nicht ohne Rückgriff auf den kurzen aber weitreichenden chinesischvietnamesischen Krieg von 1979 erklären. Im Folgenden soll daher aus der Perspektive des offensiven Realismus untersucht werden, welche Ursachen dem Angriff Chinas auf Vietnam zugrunde lagen. Vorgeschichte, Verlauf und Ergebnisse des Krieges aus chinesischer Sicht Chinas 27 Tage andauernder „Straffeldzug” vom 17. Februar bis zum 15. März 1979 gegen Vietnam war der Höhepunkt des chinesisch-vietnamesischen Konfliktes, der sich im Laufe der 70er Jahre immer stärker zuspitzte. War es Vietnam zwischen 1958 und 1973 noch gelungen, einen ausgewogenen Kurs zwischen Peking und Moskau zu steuern, um sich somit von beiden Seiten finanzielle und materielle Unterstützung für den Befreiungskampf zu sichern, kam es Anfang der 70er Jahre zu einer immer deutlicheren Anlehnung an die Sowjetunion. Noch während des Vietnamkrieges gegen die USA marschierten im Februar 1971 südvietnamesische Truppen in Laos ein, um nordvietnamesische Nachschubwege zu unterbrechen. Mit dem Abschluß des vietnamesisch-laotischen Freundschaftsvertrages im Juli 1977, der auch die Ausweisung chinesischer Truppen beinhaltete, galt das vietnamesische Ziel, die Annexion von Laos, als vollendet. Obwohl Peking entschieden gegen eine Wiedervereinigung Vietnams war und aus diesem Grund seine Hilfslieferungen seit 1973 stetig reduzierte, hielt Nordvietnam trotz des Pariser Waffenstillstandsabkommens vom 27. Januar 1973 an der Eroberung des Südens fest. Durch die militärische Unterstützung Moskaus konnte der Krieg fortgeführt werden und endete schließlich im April 1975 mit der Kapitulation Saigons. Die Proklamation der Sozialistischen Republik Vietnam (SRV) erfolgte im Juli 1976. Verstärkt wurden die chinesisch-vietnamesischen Auseinandersetzungen immer wieder durch territoriale Streitigkeiten. Dabei ging es nicht nur um die gemeinsame Grenzfrage, sondern auch um widersprüchliche Souveränitätsansprüche in Bezug auf die Paracel- und Spratly-Inseln im Südchinesischen Meer. So übernahmen infolge militärischer Zusammenstöße chinesische Truppen im Januar 1974 die Kontrolle auf den Paracel-Inseln. Die Vertreibung der chinesischstämmigen Hoas aus Vietnam löste eine Flüchtlingswelle aus, die sich auf den ganzen südostasiatischen Raum auswirkte. 64 Ab Mitte 1978 überschlugen sich dann die Ereignisse: Am 29. Juni 1978 wurde die SRV in den Rat für Gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) aufgenommen. Diese internationale Wirtschaftsorganisation osteuropäischer Staaten unter Führung der Sowjetunion sollte die Hilfsprojekte fortführen, die von China unfertig hinterlassen wurden. Nachdem am 3. November 1978 ein sowjetisch-vietnamesischer Vertrag über Freundschaft und Zusammenarbeit, der auch militärischen Beistand im Falle eines Angriffes auf die Signatarstaaten beinhaltete, unterzeichnet wurde, war für die chinesische Regierung das Abdriften Vietnams in Richtung Sowjetunion mehr als offensichtlich. Vietnams Expansions- und Allianzpolitik und das damit verbundene sowie für China augenscheinliche vietnamesische Streben nach regionaler Hegemonie fanden am 25. Dezember 1978 ihren Höhepunkt im Überfall auf Kambodscha. Die vietnamesische Volksarmee eroberte am 7. Januar Phnom Penh, stürzte die kambodschanische Regierung der pro-chinesischen Roten Khmer und setzte statt dessen ein pro-vietnamesisches Marionettenregime ein. Auf die vietnamesische Invasion und Okkupation in Kambodscha reagierte China am 17. Februar 1979 mit dem Einmarsch in Nordvietnam. Nachdem die chinesische Armee fünf nordvietnamesische Provinzhauptstädte erobert und erhebliche Verwüstungen angestellt hatte, zog sie sich am 15. März 1979 wieder auf eigenes Territorium zurück. Der kurze und für beide Seiten verlustreiche Krieg hatte nicht nur durch das Auslösen von Flüchtlingsströmen, sondern vielmehr durch die bis in die 90er Jahre andauernden Bemühungen um stabile Verhältnisse, weitreichende Folgen für die Kräftekonstellation im ganzen südostasiatischen Raum. Theoretische Erklärung der Kriegsursachen Der offensive Realismus geht davon aus, daß das Verhalten von Staaten in erster Linie durch strukturelle Faktoren, vorrangig Anarchie und Machtverteilung, bestimmt wird. In einer anarchischen Welt fürchten sich Großmächte voreinander, und es setzt ein Wetteifern um Macht ein. Eine Grundannahme der Theorie besagt, daß Anarchie wenig Raum für Kooperation läßt; Staaten versuchen, ihren Machtanteil auf Kosten anderer Staaten kompromißlos auszudehnen, um so ihr Überleben durch Herausbildung einer Hegemonie zu gewährleisten. Schon während des französischen Indochinakrieges und auch im darauffolgenden Krieg gegen die USA war China ein treuer Verbündeter Vietnams. Doch mit dem Abzug der Amerikaner und spätestens mit der Wiedervereinigung Vietnams trat in der Gefahrenzone vor der Schwelle des chinesischen Staatsgebietes eine neue „Quelle der Unsicherheit“ auf: das über die Kriegsjahre, wenn auch wirtschaftlich schwache, dafür aber dank sowjetischer und chinesischer Unterstützung um so stärker militärisch hochgerüstete Vietnam. Die gelungene Wiedervereinigung des Landes und die „Einverleibung“ von Laos zeigten China, daß es Vietnam gelungen war, eine militärische Vormachtstel65 lung in Südostasien aufzubauen. Mit dem vietnamesischen Streben nach ölträchtigen Inseln im Südchinesischen Meer sah sich China einer weiteren Machtverschiebung gegenüber. Die dort vorhandenen Ressourcen hätten im Interesse des wirtschaftlichen Wiederaufbaus genutzt werden können. Versuche, durch Verhandlungen Einigkeit in Bezug auf die Territorialstreitigkeiten zu erzielen, scheiterten an Chinas vollständigem Mangel an Kompromißbereitschaft. Um dem Vormachtstreben Hanois in Kambodscha entgegenzutreten, erhielt Pol Pot von Peking wirtschaftliche, technische und militärische Hilfe. China betrachtete die Roten Khmer als einzige Gruppierung, die Vietnam effektiv Widerstand leisten und ein „Schlucken“ durch Vietnam verhindern konnte. Da die Unterstützung nicht die gewünschte Eindämmung des vietnamesischen Herrschaftsbereiches mit sich brachte, sah sich China der Bedrohung ausgesetzt, vom südostasiatischen Festland abgeschnitten zu werden. Die Konturen einer feindlichen Umwelt wurden für China noch deutlicher, als sich eine immer stärker werdende wirtschaftliche und militärische Anlehnung Vietnams an die Sowjetunion abzeichnete. Die Aufnahme Vietnams in den RGW und schließlich der Abschluß des sowjetisch-vietnamesischen Freundschaftsvertrages verdeutlichten Peking, daß man nun sowohl dem regionalen Hegemon Vietnam als auch dem (befürchteten) Welthegemon UdSSR gegenüberstand. Im Falle einer Auseinandersetzung müßte damit gerechnet werden, sich an zwei Fronten - im Norden gegen die UdSSR und im Süden gegen Vietnam - zur Wehr setzen zu müssen. Aus der Perspektive Pekings versuchten Hanoi und Moskau, durch Bilden einer „anti-chinesischen Allianz“, ihren Machtbereich auszudehnen, indem sie eine gegen China gerichtete „Einkreisungspolitik“ betrieben. Sollte diese Erfolg haben, würde das nicht nur die Existenz Chinas gefährden, sondern auch eine Bedrohung für die ganze Region darstellen. Mit der Verpachtung vietnamesischer Häfen erhielt die Sowjetunion zusätzlich Zugang zum Südchinesischen Meer, was eine Bedrohung für den Seeverkehr durch die Straße von Malakka und somit für den internationalen Schiffahrtsverkehr darstellte. Abschließend läßt sich festhalten, daß der Anlaß für den chinesischvietnamesischen Krieg der Überfall Vietnams auf Kambodscha war. Die Ursachen des Krieges lagen allerdings sowohl in dem Streben Vietnams nach regionaler Hegemonie als auch in der zunehmenden sowjetischen Präsenz im südostasiatischen Raum. Dieses worst-case thinking, die Furcht vor negativen Machtverschiebungen, und die damit verbundene Gefahr für die eigene Existenz veranlaßten China, mit dem „Straffeldzug“ präventiv gegen Vietnam vorzugehen. Peking konnte zwar sein Hauptziel, den Abzug Vietnams aus Kambodscha, nicht erreichen, doch konnte es zumindest den Beweis liefern, daß es vor einem Angriff auf einen Bündnispartner der Sowjetunion nicht zurückschreckt. 66 Das „unerziehbare“ Vietnam Yves Hackenspiel Das Forschungsinteresse der vorliegenden Betrachtung des sino-vietnamesischen Krieges von 1979 liegt in der Beschreibung und Analyse der Entwicklung des zugrunde liegenden Konfliktes. Besonderes Augenmerk gilt hier den Ursachen der Entscheidungen Vietnams in diesem Konflikt, die zur Eskalation und zum Angriff Chinas auf Vietnam beitrugen. Diese Ursachen werden hierbei aus einer realistischen Perspektive betrachtet. Vorgeschichte, Verlauf und Ergebnisse des Krieges aus vietnamesischer Sicht Der Konflikt zwischen China und Vietnam begann bereits lange, bevor es zu den Grenzgefechten zwischen den Roten Khmer und vietnamesischen Truppen 1977 kam, deren Eskalation zum Angriff Chinas auf Vietnam im Februar 1979 führte. Die genaue zeitliche Verortung des Einsetzens des Konfliktes ist jedoch schwierig. In der vorliegenden Betrachtung wird ein Zeitfenster von 1973 (Enthüllung erster Anzeichen tief greifender Differenzen zwischen China und Vietnam) bis 1979 („Erziehungsfeldzug“ Chinas in Vietnam) gewählt, wobei die eigentliche Eskalation des Konfliktes zum Krieg 1977 mit den Grenzstreitigkeiten zwischen Vietnam und Kambodscha einsetzten. Die ersten Anzeichen des bestehenden, ernstzunehmenden Problems zwischen China und Vietnam waren territorialer Natur: China beanspruchte die dicht vor der Küste Vietnams liegenden Spratly- und Paracelinseln mit ihren potentiellen Ölvorkommen für sich. Damit kontrollierte China die Mehrzahl der Ölressourcen des Südchinesischen Meeres. Hierbei blieben Verhandlungen zwischen Peking und Hanoi aus. Überdies gab es Berichte über zahlreiche Zwischenfälle an der Landgrenze der beiden Staaten im Jahre 1974. Im April und Mai 1975 kam es zu einer erfolgreichen, nordvietnamesischen Offensive gegen Saigon und in der Folge zur Wiedervereinigung Vietnams. Da China im Gegensatz zur UdSSR jedoch nur wenig militärische und Wiederaufbauhilfe im Vorfeld und Verlauf der Wiedervereinigung leistete, kam der Verdacht auf, daß China ein vereintes und damit starkes Vietnam eher zu vermeiden suchte. Tatsächlich erging eine Warnung Chinas an Hanoi, die Wiedervereinigung nicht zu forcieren. Nach dem erfolgreichen Anschluß Südvietnams erging eine weitere Warnung, diesmal vor eventuellen Ambitionen in Kambodscha und Laos. 1977 begannen die Kämpfe entlang der vietnamesisch-kambodschanischen Grenze. Vermutet wird hier eine kambodschanische Abschreckungsstrategie gegen vietnamesische Annexionsbestrebungen. Diese zog jedoch einen unbeabsichtigten 67 Effekt nach sich: Vietnam führte einen Angriff gegen die Roten Khmer. China sah dieses Vorgehen als Teil eines mit der UdSSR abgesprochenen Planes zur Bildung einer „Union Indochinas“ unter der Hegemonie Vietnams und sicherte den Roten Khmer Unterstützung bis zum Sieg über Vietnam zu. Trotz der Unterstützung Chinas gewann Hanoi im Verlauf des Jahre 1978 die Oberhand in Kambodscha und eroberte im Januar 1979 trotz der Warnungen Pekings die kambodschanische Hauptstadt Phnom Penh. Dies konnte die Volksrepublik jedoch nicht tatenlos hinnehmen, ohne daß Vietnam und die UdSSR es als Zeichen der Schwäche gewertet hätten. Daher begann China am 17. Februar 1979 einen 27 Tage dauernden „Erziehungsfeldzug“ gegen Vietnam. Durch diesen Angriff konnte Vietnam jedoch nicht gezwungen werden, seine Truppen aus Kambodscha abzuziehen. Er warf jedoch die Wirtschaftsplanung Vietnams durch Zerstörung der Infrastruktur zurück und führte zu einem erhöhten Bedarf an Hilfsleitungen der UdSSR. Damit wurde die Beziehung zwischen Vietnam und der UdSSR noch weiter vertieft. China zog sich wieder aus vietnamesischem Gebiet zurück, und Verhandlungen wurden aufgenommen, die jedoch wenig fruchtbar waren: Die Grenzkämpfe wurden weitergeführt. Ein zweiter Krieg konnte aber dennoch vermieden werden, da dessen Kosten gescheut wurden. Theoretische Erklärung der Kriegsursachen Die Ursachen des Krieges sollen hier aus einer realistischen Perspektive betrachtet werden, d.h., daß das Verhalten Vietnams sich aus dem Eigeninteresse seines Weiterbestehens ergeben muß. Um ein Verhalten aufgrund von Bedrohung der Existenz des Staates zu erklären, müssen die Verwundbarkeiten dieses Staates erkannt werden. Interessant sind im vorliegenden Fall also die Lücken in der Sicherheit Vietnams. Aus der jeweiligen Bedrohung der Existenz des Staates wird sich dann sein jeweiliges Verhalten zur weiteren Gewährleistung seiner Sicherheit ergeben. Vietnams Hauptverwundbarkeit zur Zeit des Konfliktes lag in der Abhängigkeit von der Unterstützung durch die UdSSR und China: Jahre des Krieges hatten die vietnamesische Wirtschaft am Boden hinterlassen. Dieser Umstand führte dazu, daß Vietnam zu einer vorsichtigen Gratwanderung zwischen den beiden hilfeleistenden Staaten gezwungen war, bei der es Rücksicht auf die Interessen beider Seiten nehmen mußte. Nach der offiziellen Wiedervereinigung unternahm man daher den Versuch, seine Beziehungen zu den USA zu verbessern, um möglicherweise von dort Wirtschaftshilfe zu erhalten und somit größtmögliche Unabhängigkeit von beiden Staaten, sowohl von China als auch der UdSSR, zu erreichen. Dieses Vorhaben scheiterte jedoch. Unter Berücksichtung dieses Balanceakts Vietnams zwischen UdSSR und China ergibt sich durch die Beanspruchung der Paracel- und Spratlyinseln folgendes Bild: In Folge der Kontrolle Chinas über die Erdölressourcen im Südchinesischen 68 Meer und der Ölpreisexplosionen von 1973 und 1974 kam Vietnam in eine prekäre Lage und wurde weiter in eine Abhängigkeit getrieben. Bereits hier wurde ersichtlich, daß einer Konfrontation mit China in Zukunft nicht mehr aus dem Weg zu gehen war. Mit der Wiedervereinigung 1975 erfolgte eine Stärkung Vietnams, auch gegenüber seinen Nachbarstaaten. Daraus ergab sich für Vietnam die Zukunftsperspektive, größeren Einfluß in Indochina zu gewinnen, während es weiterhin in den Genuß wirtschaftlicher und politischer Unterstützung von China und der UdSSR käme (ein plötzlicher Abbruch dieser Unterstützung war unwahrscheinlich: aufgrund des eigenen Konfliktes zwischen China und der UdSSR wollte keine der beiden Seiten das Abgleiten Vietnams in das jeweils andere Lager riskieren) und somit ihre Unabhängigkeit zu fördern. Zu diesem Zeitpunkt sah Vietnam in China die größte Bedrohung für seine Unabhängigkeit: Zum einen war ein direkter Eingriff der UdSSR in die Belange Vietnams schon allein durch deren geographische Entfernung (sie grenzt an keiner Stelle an Vietnam) geringer, zum anderen ließ das Verhalten Chinas vor und nach der Wiedervereinigung folgende Schlußfolgerungen seitens Vietnams zu: China versuchte offensichtlich, die Wiedervereinigung zu verzögern, um einen wachsenden Einfluß Vietnams in Indochina zu vermeiden, unter anderem deswegen, weil China selbst ein Interesse daran hatte, sein Gewicht in Laos und Kambodscha zu stärken und Vietnams Stellung dort zu schwächen, um sich freundlich gesinnte Nachbarn zu sichern und den regionalen, sowjetischen Einfluß zu begrenzen. Außerdem war zu befürchten, daß China Mittel und Wege finden würde, um Vietnam von dem sowjetischen Lager zu entfernen und auf chinesischer Seite stärker in den chinesisch-sowjetischen Konflikt einzubinden. Dies konnte nicht im Interesse Vietnams sein. Während des Konfliktes mit Kambodscha wurde am 3. November 1978 ein Freundschafts- und Kooperationsvertrag mit einer Sicherheitsgarantie in Artikel 6, zwischen Moskau und Hanoi unterzeichnet. Dies nahm Vietnam als Ermutigung, China die Stirn zu bieten und seinen Einfluß in Indochina durch Kontrollgewinne in Kambodscha zu stärken. So nahm Vietnam unter dem Deckmantel der neugegründeten Kampuchea National United Front for National Salvation Phnom Penh ein, um in Kambodscha eine Marionettenregierung unter deren Anführer Heng Samrin zu errichten. Wie bekannt schlug der Plan fehl, und durch die Verwüstung der Infrastruktur Vietnams durch die Chinesen wurde Hanoi noch stärker an die wirtschaftliche Hilfe der UdSSR gebunden. 69 Literatur zum Proseminar TEIL 1 Einführung 1. Sitzung - Organisation des Seminars, Gegenstand der Teildisziplin Hütter, Joachim, Einführung in die internationale Politik, Berlin – Köln – Mainz – Stuttgart 1976, S. 15. Lauth, Hans-Joachim; Zimmerling, Ruth Internationale Beziehungen, in: Manfred Mols, Hans-Joachim Lauth, Christian Wagner (Hrsg.), Politikwissenschaft: Eine Einführung, Paderborn – München – Wien – Zürich 1994, S. 136 – 145. Maull, Hanns W., Geopolitik im Zeitalter der Globalisierung: Welche Zukunft hat der Nationalstaat?, in: Deutschland, Nr. 6, Dezember / Januar, 1999, S. 26 – 30. Theoretische Perspektiven 2. Sitzung - Grundlagen: Theorie - Methodik Frei, Daniel, Einführung: Wozu Theorien der internationalen Politik?, in: Daniel Frei (Hrsg.), Theorien der internationalen Beziehungen, 2. Auflage, München 1973, S. 11 – 21. Van Evera, Stephan, Guide to Methods for Students of Political Science, Ithaca – London 1997, S. 7 – 17. 3. Sitzung - Realismus / Neorealismus Morgenthau, Hans J., Macht und Frieden. Grundlagen einer Theorie der internationalen Politik, Gütersloh 1963, S. 48 – 60. Waltz, Kenneth N., Political Structures, in: Robert O. 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Meyers, Reinhard, Begriff und Probleme des Friedens, Opladen 1994, S. 24 – 27, 117 – 123. 72 Risse, Thomas, Theorien der internationalen Politik und die Praxis der Kriegsverhütung und Friedensförderung, in: Siegfried Frech, Wolfgang Hesse, Thomas Schinkel (Hrsg.), Internationale Beziehungen in der politischen Bildung, Schwalbach/Ts. 2000, S. 49 – 65. 13. Sitzung - Kooperation, Integration, Interdependenz I: EU Varwick, Johannes, Die Europäische Union – Politisches System und Außenbeziehungen, erschienen in: Manfred Knapp, Gerd Krell (Hrsg.), Einführung in die internationale Politik. Studienbuch, 4. Auflage, München – Wien 2003, Original auf den S. 201 – 249. 14. Sitzung - Kooperation, Integration, Interdependenz II: UNO Knapp, Manfred, Die Rolle der Vereinten Nationen in den internationalen Beziehungen, vorgesehen für die Publikation: Manfred Knapp, Gerd Krell (Hrsg.), Einführung in die internationale Politik. Studienbuch, 4. Auflage, München – Wien 2003. Fallstudie 15. Sitzung - Deutsche Außenpolitik Maull, Hanns W., Germany and the Use of Force: Still a ´Civilian Power´?, in: Survival, Nr. 2, Sommer 2000, S. 56 – 80. Maull, Hanns W., Internationaler Terrorismus. Die deutsche Außenpolitik auf dem Prüfstand, in: Internationale Politik, Nr. 12, Dezember 2001, S. 1 - 10. 73 TEIL 2 Krieg und Theorie Begriff des Krieges Clausewitz, Carl von, Vom Kriege, Hinterlassenes Werk, hier Erstes Buch, Erstes Kapitel: Was ist der Krieg?, Berlin 1998 (Original 1832), S. 27 – 47. Meyers, Reinhard, Krieg und Frieden, in: Wichard Woyke (Hrsg.), Handwörterbuch Internationale Politik, 6. aktualisierte Auflage, Bonn 1995, S. 238 – 254. Kriegsursachen aus zwischenstaatlicher Perspektive Betts, Richard K., Must War Find a Way? A Review Essay, in: International Security, Nr. 2, Herbst 1999, S. 166 – 198. Daase, Christopher, Krieg und politische Gewalt: Konzeptionelle Innovation und theoretischer Fortschritt, in: Gunther Hellmann, Klaus Dieter Wolf, Michael Zürn (Hrsg.), Die neuen Internationalen Beziehungen. Forschungsstand und Perspektiven in Deutschland, Baden-Baden 2003, S. 161 – 208. Garnett, John, The Causes of War and the Conditions of Peace, in: John Baylis, James Wirtz, Eliot Cohen, Colin S. Gray (eds.), Strategy in the Contemporary World. An Introduction to Strategic Studies, Oxford – New York 2002, S. 66 – 87. Jervis, Robert, Theories of War in an Era of Leading-Power Peace (Presidential Address, American Political Science Association 2001), in: American Political Science Review, Nr. 1, März 2002, S. 1 – 14. Levy, Jack S., War and Peace, in: Walter Carlsnaes, Thomas Risse, Beth A. Simmons (eds.), Handbook of International Relations, London - Thousand Oaks – Neu Delhi 2001, S. 350 – 368. Lieber, Keir A., Grasping the Technological Peace. The Offense-Defense Balance and International Security, in: International Security, Nr. 1, Sommer 2000, S. 71 – 104. Münkler, Herfried, Über den Krieg. Stationen der Kriegsgeschichte im Spiegel ihrer theoretischen Reflexion, hier Kapitel 1: Gegensätzliche Kriegsursachenanalysen, zweite Auflage, Weilerswist 2003, S. 19 – 33. Reiter, Dan; Stam III., Allan C., Democracy, War Initiation, and Victory, in: American Political Science Review, Nr. 2, Juni 1998, S. 377 – 389. Snyder, Jack, Anarchy and Culture: Insights from the Anthropology of War, in: International Organization, Nr. 1, Winter 2002, S. 7 – 45. 74 Van Evera, Stephen, Offense, Defense, and the Causes of War, in: International Security, Nr. 4, Frühjahr 1998, S. 5 – 43. Substaatliche Formen politischer Gewalt Kiras, James D., Terrorism and Irregular Warfare, in: John Baylis, James Wirtz, Eliot Cohen, Colin S. Gray (eds.), Strategy in the Contemporary World. An Introduction to Strategic Studies, Oxford – New York 2002, S. 208 – 232. Münkler, Herfried, Über den Krieg. Stationen der Kriegsgeschichte im Spiegel ihrer theoretischen Reflexion, hier Kapitel 10: Die privatisierten Kriege des 21. Jahrhunderts, zweite Auflage, Weilerswist 2003, S. 220 – 235. Krieg und Recht Otto Kimminich, Stephan Hobe, Einführung in das Völkerrecht, hier Kapitel 18: Krieg und Neutralität, humanitäres Völkerrecht, 7. völlig überarbeitete und erweiterte Auflage, Basel – Tübingen 2000, S. 439 – 477. Kriege im asiatisch-pazifischen Raum Geographie Geographisches Grundwissen, zusammengestellt von Martin Wagener, Trier 2003. Überblicksdarstellungen Bundeszentrale für politische Bildung. Schlaglichter der Weltgeschichte, Bonn 1994 (Auszüge). Kindermann, Gottfried-Karl, Der Aufstieg Ostasiens in der Weltpolitik 1840 bis 2000, Stuttgart – München 2001 (Auszüge). 18. Sitzung - Opiumkrieg (1840 – 1842) Tikhvinsky, S.L., Modern History of China, Moskau 1972 (englische Übersetzung von 1983), S. 127 – 148. 19. Sitzung - Krieg China – Japan (1894 – 1895) Lone, Stewart, Japan’s First Modern War. Army and Society in the Conflict with China, 1894 – 95, London 1992, S. 12 – 29, 178 – 187. 20. Sitzung - Krieg USA – Spanien (1898) Campbell, Charles S., The Transformation of American Foreign Relations 1865 – 1900, New York – Hagerstown - San Francisco – London 1976, S. 258 – 278. 75 21. Sitzung - Krieg Rußland – Japan (1904 – 1905) Nish, Ian, The Origns of the Russo-Japanese War, London – New York 1985, S. 222 – 258. 22. Sitzung - Pazifikkrieg (1937 – 1945) Levine, Alan J., The Pacific War. Japan versus the Allies, Westport - London 1995, S. 1 – 28. 23. Sitzung - Kriege Indien – Pakistan (1947, 1965, 1971) Cohen, Stephen Philip, India. Emerging Power, Washington D.C., S. 198 – 227. 24. Sitzung - Korea-Krieg (1950 – 1953) Stueck, William, The Korean War. An International History, Princeton 1995, S. 10 – 46. 25. Sitzung - Krieg Frankreich – Vietnam (1946 – 1954) Hammer, Ellen J., The Struggle for Indochina 1940 – 1955, Stanford 1955, S. 175 – 202. 26. Sitzung - Krieg China – Indien (1962) Nieh, Yu-Hsi, Das indisch-chinesische Grenzproblem. Neue Gesichtspunkte, Hamburg 1971, S. 23 – 51. 27. Sitzung - Krieg USA – Vietnam (1965 – 1973) Ruane, Kevin, War and revolution in Vietnam, 1930 – 1975, London - Bristol 1998, S. 71 – 88. 28. Sitzung - Krieg China – Vietnam (1979) Hood, Steven J., Dragons Entangled. Indochina and the China-Vietnam War, Armonk – London 1992, S. 31 – 57. 76