Ätiologie und Pathogenese des sogenannten

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Ippen: Atiologie und Pathogenese des sogenannten Istizin-Exanthems
Dtsch. med. Wschr., 84. Jg.
Aus der Hautklinik der Medizinischen Akademie Düsseldorf (Direktor: Prof. Dr. H. Th. Schreus)
Ätiologie und Pathogenese des sogenannten Istizin-Exanthems
Richtet man sich nach der Anzahl der bisherigen Veröffentlichungen über das ,,Istizin-Exanthem", so ist man ver-
sucht, diese Hautveränderung für eine mehr kuriose als
bedeutungsvolle Rarität zu halten:
1929 berichtete Hässier (9) offenbar als erster über schmet-
terlings- oder reithosenartig angeordnete ,, erysipelartige
Exantheme nach Istizin" bei sechs Kindern im Rahmen einer
umfangreichen Ubersicht über die Poliomyelitis-Epidemie
im Jahre 1927 in Leipzig. Es folgten einige Krankendemonstrationen als Berloque-Dermatitis (2), Ausschlag nach Istizin
(18), Istizin-Dermatitis (7) und Jstizin.-Exanthem (6). In seiner
sehr ausführlichen Arbeit über Hautreaktionen durch Phenolphthalein erwähnt Abramowitz 1953 (1) nur am Rande,
daß das Chrysazin (Istizin Wz.) ähnliche Exantheme wie das
Phenolphthalein hervorrufen könne.
1938 wurde wieder ,,eine ausgedehnte Dermatitis nach
Istizin-Phenolphthalein-Medikation" vorgestellt (19) und
1952 berichtete Windorfer (20) über 14 Fälle von scharfbegrenzten Perianalerythemen, die von Hässier (10) in der
keit hinabgelaufen sei, und die bei den älteren Mitteilungen
zur Diskussion einer Berloque-Dermatitis (2, 18) führten.
Einigen Autoren fiel die Beschränkung auf Hautbezirke auf,
die besonders innigen Kontakt mit Windeln hatten (5, 18),
so daß die Möglichkeit einer externen Noxe (3, 18) anderen
Deutungen dieser Erscheinungen (neurogene Entstehung,
[,fixes"] Arzneimittelexanthem) gegenübergestellt wird.
Diesbezügliche Versuche von Strunz, der die gleichen Erscheinungen durch Auflegen von Stuhl der Patienten, nicht
aber von Istizin, in Wasser oder Urin an anderen Hautstellen erzeugen konnte, fanden aber keine weitere Beachtung.
Durch Arbeiten auf einem scheinbar ganz anderen Gebiet
ist nun eine einfache ätiologische Erklärung für diese
Istizin-Exantheme" möglich geworden. Hierzu ist die
Wiedergabe zweier chemischer Formeln notwendig:
HO
J
OH
O
OH OH OH
II
JI
Diskussion auf Grund der gezeigten Bilder als IstizinExantheme gedeutet wurden. In seinem Schlußwort betonte
Windorfer jedoch, daß die Patienten kein Istizin bekommen
hätten. Ob die Patienten, bei denen ganz verschiedene neurologische Leiden vorlagen und die Erytheme u ganz verschiedenen Zeitpunkten auftraten, andere AnthrachinonLaxantien (z. B. Daluwal Wz.) erhalten hatten, wurde nicht
erwähnt.
Im gleichen Jahr erschien eine ausführliche Arbeit über
ein morphologisch allen vorigen Fällen entsprechendes
Phenolphthalein-Exanthem bei einem Kind, das neben
O
1 .8-Dihydroxyanthrachinon
(Chrysazin) Istizin" Bayer
1 .8-Dihydroxyanthranol
(Anthralin) Cignolin" Bayer
Die nahe chemische Verwandtschaft zwischen diesen beiden, vom therapeutischen Standpunkt so verschiedenen Ver-
bindungen ist deutlich: das Laxans Istizin" läßt sich zum
Antipsoriatikum Cignolin" reduzieren und dieses geht bei
der Oxydation wieder in jenes über. Allerdings tritt die
Oxydation des Cignolins sehr viel leichter ein als die (tech-
Agarol (Wz.) auch Istizin erhalten hatte. Schließlich ver- nisch leicht durchführbare) Reduktion des Istizins.
Im Zusammenhang mit der toxikologischen Untersuchung
öffentlichte Doepfmer 1945 (3) einen kurzen Bericht über
zwei weitere Fälle von perianalem Istizin-Erythem,
Nach der Beschreibung aller Autoren handelt es sich bei
des Cignolins (4) und des Istizins (8) wurde nun festgestellt,
daß diese Ubergänge auch im lebenden Organismus nach-
dieser Hautveränderung um ein scharfbegrenztes, düsterrotes Erythem, das ein bis zwei Tage nach Verabreichung
des Abführmittels Istizin, überwiegend bei Kindern, in der
Umgebung des Afters auftritt und nur gelegentlich eine
größere Fläche an den Oberschenkeln (7) oder sogar bis zu
weisbar sind. Angeregt durch das Auftreten perianaler
den Knien (9) einnimmt. Die Erscheinungen gehen nach weni-
gen Tagen, häufig von der Mitte zum Rande fortschreitend
(20), in eine bräunlich-livide Verfärbung [,wie mit Silbernitratlösung geätzt' (9)] über, die allmählich, in einigen
Fällenerst nach Monaten, verschwindet.
Außer einer geringen Schuppung und einer Superinfektion bei einem Fall (5) wurden keine Sekundärsymptome
beobachtet, die subjektiven Erscheinungen schienen geringfügig zu sein.Was aber in fast allen Fällen auffiel, war die
bizarre Anordnung der Erscheinungen. Manchmal hatten die
Herde Ausläufer, die aussahen, als ob eine ätzende Flüssig-
Erytheme bei Mäusen nach intraperitonealer Verabreichung
von Istizin ließ sich auch beim Menschen das Auftreten von
Cignolin im Stuhl nach oraler Istizingabe und von Istizin im
Uriri nach kutaner Cignolin-Applikation nachweisen (13, 14).
Dazu wurde der nach Gabe von I bis 2 Tabletten Istizin
erhaltene Stuhl mit Salzsäure angesäuert und erschöpfend
mit Benzol extrahiert. In dem konzentrierten Benzolextrakt
ließ sich das Cignolin neben dem Istiin nicht nur spektrophotometrisch, sondern auch durch papierchromatographische
Trennung (Papier Schleicher & Schüll 2043 b M, Lösungsmittel: 6 ccm Athylacetat, 36 ccm Tetrahydrofuran, 42 ccm
Wasser, 5 ccm gesättigte Natriumbicarbonatlösung [untere
Phase]) nachweisen. Im Urin, der nach Ansäuern ebenfalls
mit Benzol extrahiert wurde, ließ sich nach oraler Istizingabe immer nur reines Istizin nachweisen. Auch bei kutaner
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Von H. Ippen
Ritter: Intraduodenale Fermentbestimmungen in der Diagnostik der Pankreasleiden
Cignolin-Anwendung fand sich im Urin nur Istizin. Allerdings war dann die Menge sehr viel geringer.
Das bedeutet, daß das leicht oxydierbare Cignolin beim
Eindringen in den Organismus höchstwahrscheinlich bereits
in dem oxydierenden Milieu der Haut in das Istizin (und
verschiedene Nebenprodukte) übergeht, während das schwieriger reduzierbare Istizin nur im Dickdarm das für den Ubergang in das Cignolin geeignete Milieu findet (11).
Diese Befunde sind nicht nur von toxikologischer Bedeutung. In Ubereinstimmung mit anderen Autoren (z. B. 15, 17)
sehe ich vielmehr in dieser Reduktion des Istizins im Dickdarm zu dem stark schleimhautreizenden Cignolin das Wir-
kungsprinzip nicht nur des Istizins, sondern mit den entsprechenden Anthranolen auch aller anderen AnthrachinonLaxantien (Rheum, Aloe, Sennes, Frangula usw.) (12).
Eine solche Deutung des Wirkungsmechanismus der Anthrachinon-Laxantien erfährt nun nicht nur in dem gelun-
genen Cignolin-Nachweis im Stuhl, sondern auch in den
Istizin-Exanthemen" eine Stütze. Betrachtet man nämlich
die Beschreibungen der einzelnen Autoren nach Kenntnis
dieser experimentellen Ergebnisse, so erweist sich dieses
,,Exanthem' als Cignolin-Reizung, wie sie dem Dermatologen bei der Psoriasis-Behandlung mit ihrer düsteren Rötung
und deh bräunlich-lividen Nachpigmentierungen fast täglich
zu Gesicht kommt. Das ,,Istizin-Exanthem' ist also nichts
weiter als der In-vivo-Nachweis des enterai gebildeten
Cignolins mit der perianalen Haut als Indikator".
Abschließend bleibt nur noch die Frage zu klären, warum
diese Erscheinung so selten ist, wenn sie doch eine obligate,
also bei jedem Menschen erzeugbare Hautschädigung darstellt. Abgesehen von der Möglichkeit einer gelegentlichen
Mißdeutung als Intertrigo u. ä. läßt sich die relative Seltenheit des ,,Istizin-Exanthems" oder richtiger der ,,Cignolin-
Reizung nach Istizingabe" zwanglos aus dem Umstand
erklären, daß der obligate Hautschaden nur bei ausreichender Eirtwirkungdauer und -konzentration eintritt (16). Diese
wird aber beim gesunden Menschen höchstens im Säuglings-
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alter erreicht, wenn der cignolinhaltige Stuhl in den Windeln
genügend lange mit der Haut in Kontakt bleibt. ist so der
bevorzugte Befall von Säuglingen und Kleinkindern erklärt,
so lassen sich die wenigen Fälle von Istizin-Exanthem" bei
Erwachsenen ebenso zwanglos deuten, wenn man berücksichtigt, daß Windorfers und Doepfmers Patienten perianale
Sensibilitätsstörungen hatten, während es sich bei den
Bibersteinschen Fällen um Geisteskranke handelte, die sich
mit Stuhl beschmutzt hatten.
Da auch bei allen anderen Anthrachinon-Laxantien die
enterale Umwandlung in die entsprechenden - haut- und
schleimhautreizenden - Anthranole höchstwahrscheinlich
ist, im Falle der Chrysophansäure des Rhabarbers handelt
es sich um das ebenfalls als Antipsoriatikum verwendete
Chrysarobin -, dürften sich solche Hautveränderungen
kaum auf die Anwendung des Istizins beschränken. Mit der
Möglichkeit ihres Auftretens ist auch bei der Anwendung
jedes anderen Anthrachinon-Präparates und der verschiedenen Mischungen (z. B. Daluwal) zu rechnen, wenn deren
Anthrachinon-Gehalt in der gleichen Größenordnung (0,15 g)
liegt.
Schrifttum
(1) Abramowitz, E. W.: Arch. Dermatol. 31 (1935), 377. - (2)
Biberstein, H.: Zbl. Hautkrankh. 31 (1929), 555. - (3) Doepfmer,
R.: Hautarzt 5 (1954), 278. - (4) Döring-Petersen, H.: Diss., Düsseldorf 1958. - (5) Ehrengut, W.: Arch. Kinderheilk. 145 (1952), 166. (6) Eichholtz, E.: Zbl. Hautkrankh 41 (1932), 678. - (7) Galewsky:
Zbl. Hautkrankh. 38 (1931), 35. - (8) Görtz, G.: Diss., Düsseldorf.
- (9) Hässier, E.: Mschr. Kinderheilk. 42 (1929), 215. - (10)
Hässier, E.: Mschr. Kinderheilk. loo (1952), 186. - (11) Ippen, H.:
Vortr. Dtsch. Dermat. Ges. Düsseldorf 1958. - (12) Ippen, H.:
Vortr. Med. Ges. Düsseldorf 1958. - (13) Ippen, H., T. Montag:
Arzneimittelforschung 8 (1958), 778. - (14) Montag, T.: Diss., Düsseldorf 1958. - (15) Schmid, W.: Arzneimittelforsdmng 2 (1952), 6.
- (16) Schreus, H. Th.: Medizinische 1952. - (17) Schultz, O. E.:
Arzneimittelforschung 2 (1952), 49. - (18) Strunz: Zbl. Hautkrankh.
35 (1931), 606. - (19) Westphalen, H.: Zbl. Hautkrankh. 58 (1938),
324. - (20) Windorfer, A.: Mschr. Kinderheilk. loo (152), 178.
(Anschr.: Dipl.-Chem. Dr. med. H. Ippen, Hautklinik der
Medizinischen Akademie, Düsseldorf, Moorenstr. 5)
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Nr. 23, 5. Juni 1959
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