Halfmann, Einführung in die Soziologie der Technik Technik-Definitionen (I) Standarddefinition der Technikphilosophie ,,So schlage ich vor, immer dann, und nur dann, von ,Technik' zu sprechen, wenn Gegenstände von Menschen künstlich gemacht und für bestimmte Zwecke verwendet werden: wenn ein Stein mit einer scharfkantigen Schneide versehen und dadurch zu einem Faustkeil gemacht wird, der als Werkzeug dient; wenn Fasern versponnen, gewebt und zu Kleidungsstücken verarbeitet werden, die von den Menschen als Witterungsschutz oder als soziales Identifikationsmerkmal genutzt werden; wenn aus verschiedenen Baumaterialien ein Kraftwerk entsteht, das den Menschen elektrische Energie für die Verwendung anderer technischer Gebilde bereit stellt. Technik umfasst a) die Menge der nutzenorientierten, künstlichen, gegenständlichen Gebilde (Artefakte oder Sachsysteme), b) die Menge menschlicher Handlungen und Einrichtungen, in denen Sachsysteme entstehen und c) die Menge menschlicher Handlungen, in denen Sachsysteme verwendet werden" (Günter Ropohl, Allgemeine Technologie. Eine Systemtheorie der Technik, München: Hanser 1999, S. 3 1). (2) Standarddefinition der Techniksoziologie ,,Unter Technik sind alle künstlich hervorgebrachten Verfahren und Gebilde zu verstehen, die in soziale Handlungszusammenhänge zur Steigerung ausgewählter Wirkungen eingebaut werden" (Werner Rammert, Techniksoziologie, in: Günter Endruweit/Gisela Trommsdorf (Hg.), Wörterbuch der Soziologie, Bd. 2, Stuttgart: Enke, S. 725) (3) Meine Technikdefinition ,,Technik ist geformte Kausalität, die auf der Erwartung fester Kopplung von bestimmten Ursachen und bestimmten Wirkungen beruht, gleichgültig in welchem Medium (physisch, psychisch, sozial) diese Kopplung vollzogen wird". Halfmann, Einführung in die Soziologie der Technik Technik und Ethik (1) Einleitung gestiegene Abhängigkeit der Gesellschaft von Technik, Furcht vor zu viel Technik, Ruf nach Ethik der ,,entfesselte Prometheus" (Jonas) Funktion von Ethik: Handlungssteuerung durch Reduktion von Alternativen (2) Ethik in Philosophie und Soziologie Philosophie Ethik als Lehre der Moral, Moral als Regeln sittlich richtigen Handelns Problem der Ethik: universelle Zustimmungsfähigkeit der Geltungsgründe für Richtigkeitskriterien von Handeln Lösungen: Tabu (Stammesgesellschaft), Normenhierarchie (Kosmologie, ständische Gesellschaft), Diskurs (?) (moderne Gesellschaft) Diskursethik (Verfahrens- oder Verantwortungsethik) Soziologie Bindewirkung von Ethik als Problem: wie wird Konsens über Verfahren oder Verantwortung hergestellt? Beschränkung von Ethik auf Personen: Organisationen durch Ethik schlecht zu binden, aber: Organisationen als Hauptträger riskanter Entscheidungen in der modernen Gesellschaft (Verantwortung vs. Verantwortlichkeit) (3) Funktion von Ethik gegenüber Technik Reduktion von Handlungsoptionen und Zuweisung von Verantwortung, z.B. zugunsten Betroffener und zuungunsten von Entscheidern (Beispiel: Embryonenforschung) Probleme der Identifizierbarkeit von Entscheidern bei komplexen Techniken Entstehen ethischer Debatten bei ,,nicht-normalisierten" Techniken, (Konkurrenz durch soziale Bewegungen) (4) Schluss Ethik kein Garant für richtiges Entscheiden, keine Risikoreduktion, sondern Druck auf Zurechnung von Verantwortung/Verantwortlichkeit Halfmann, Einführung in die Soziologie der Technik Technik und Risiko (I) Einleitung Technik als Formbildung in einem Medium Formbildung durch Verwendung und Isolierung von kausal gekoppelten Elementen Was heißt angepasste Technik? (2) Risiko Definition Risiko: Erwartung negativer Entscheidungsfolgen Technisches Risiko: Erwartung des Misslingens der Formbildung in einem Medium Differenz Risiko/Gefahr: unerwünschte Entscheidungsfolge wird auf Entscheider oder auf Umwelt als Ursprungsadresse der Entscheidung zugerechnet - (3) Sicherheit der Technik Normalerwartung an Technik: sicheres Funktionieren Entlastungsfunktionen der Technik: in zeitlicher Hinsicht - Zukunftsbindung, in sozialer Hinsicht - Kontextfreisetzung Entscheidung für Technik abhängig von Balance zwischen Sicherheits- und Unsicherheitserwartung, d.h. zwischen Zukunftsbindung und Zukunftsoffenheit und zwischen Kontextfreisetzung und Kontextkontrolle These: Steigerung der Sicherheit der Technik nur in Verbindung mit Steigerung der Unsicherheit von Technik - (4) Zwei Beispiele: Rolltreppen und Fährschiffe Rolltreppen: stationäre Technik, gute Isolierbarkeit der Kausalitäten, hohe Zukunftsbindung und Kontextfreisetzung Fährschiffe: mobile Technik, problematische Isolierbarkeit der Kausalitäten, mittlere Zukunftsbindung und geringe Kontextfreisetzung, Beispiel: Untergang der ,,Estonia" (5) Kontextkontrolle durch Organisation Kontextkontrolle : Organisationsstruktur als realisierte Bewertung des Technikrisikos Risikogehalt von Technik nach Perrow: linear/komplex, eng/lose gekoppelt (6) Schluss angepasste Technik als Balance von Sicherheits- und Unsicherheitserwartung Halfmann, Einführung in die Soziologie der Technik Technik und Alltag (1) Einleitung Herangehensweise der Systemtheorie: Technik als Thema sozialer Systeme: (Risiko der) Erwartbarkeit funktionierender kausaler Simplifikation als kommunikative Konstruktion Aber: Vollzug von Kommunikation setzt Kopplung an Bewusstsein/Körper voraus (Entwerfen, Herstellen, Bedienen, Warten von Technik) Herangehensweise der konventionellen Soziologie: Technik als versachlichter Handlungsentwurf, der Handeln strukturiert, Technik als Beschränkung und/oder Ressource des Handelns Zentralstellung des Begriffs des Alltags (2) Alltägliche und professionelle Kommunikation Def. Alltag: routinisierte Kommunikation, Ausschluss der Kontingenz aller Ereignisse Gegenbegriff: Professionalität (Orientierung am Erwartbaren unter Einschluss bestimmter Klassen kontingenter Ereignisse) (3) Alltägliche und professionelle Technik alltägliche Technik: Technik für jedermann (Beispiel: Auto) professionelle Technik: Technik für den Experten (Beispiel: Flugzeug) Technik als Generator von Vertrauen in die Erwartbarkeit von zukünftigen Ereignissen - (4) Technisierung des Alltags - Veralltäglichung der Technik Technisierung des Alltags: Alltag des Haushalts, Alltag des Arbeitsplatzes Gegenläufigkeit von Trivialisierung und Professionalisierung der Technik (Computer, Beleuchtung) (5) Verlust des Vertrauens in Technik Rückseiten der Simplifikationsleistung von Technik: Abhängigkeit der Gesellschaft von Technik, Unsicherheit der Technik (Extremfall: Katastrophengehalt von Technik) Differenz Betroffenene und Entscheider - (6) Schluss Kritik der Technik Halfmann, Einführung in die Soziologie der Technik Technik und Kausalität I Einleitung Technik als Grenze zwischen Gesellschaft und Natur (Doppelcharakter von Technik als Medium und Installation) Grenzziehung im Medium der Kausalität II Wandel des Kausalitätsbegriffs 1. Aristoteles: Bewegung als Prozess des Übergangs von der Potentialität zur Wirklichkeit; 4 Kausalitäten: Aufeinanderwirken aller in der Welt vorkommenden Phänomene; künstliches und natürliches Werden 2. Kant Deontologisierung und Entteleologisierung der Welt; Reduktion der Kausalitäten auf die Causa efficiens; Problem der Erkennbarkeit der UrsacheWirkungs-Beziehungen; Kausalität als Verstandesleistung 3. Luhmann Kausalität als Beobachtungsschema: Kausalität als Erwartung, die mit einer Medium/Form-Differenz arbeitet III Technik und Kausalität Technik als kausale Formung in einem (sachlichen) Medium, d.h. Ereartung fester Kopplung von Ursachen und Wirkungen Ubiquität und Dekontextualisierungseffekt der Technik IV Technik und Kontingenz Riskante Zukunftsbindung durch Technik Halfmann, Einführung in die Soziologie der Technik Der Technikbegriff der soziologischen Systemtheorie 1. Einleitung: Evolution von Natur- und Gesellschaftsvorstellungen: Übergang von Differenz rigide Ordnung der Gesellschaft/lockere Ordnung der Natur zu rigide Ordnung der Natur/lockere Ordnung der Gesellschaft (Gellner) Abstieg von Kosmologie/Religion vs. Aufstieg der Wissenschaft parallel: Entwicklung konstruktivistischer Realitätskonzepte in der Wissenschaft als Effekt funktionaler Differenzierung (Sinnverlust der Natur) Disziplinenentwicklung: Soziologie als Selbstbeobachtung der Gesellschaft (Differenz von sinnhaften und nicht-sinnhaften Ereignissen, Gesellschaft als Netzwerk von Kommunikationen; Natur, Technik und Bewusstsein als Umwelten der Gesellschaft 2. Der Kommunikationsbegriff der Soziologie Kommunikation als Prozessieren von Selektionen (3 Selektionen: Information, Mitteilung, Verstehen) Psychische Systeme (Personen) als Adressen der Kommunikation Vorteile und Riskanz des zeitlichen und räumlichen Auseinanderziehens der kommunikativen Selektionen (Vorteil : Steigerung der Komplexität der Gesellschaft, besondere Rolle von Technik; Nachteil: Unwahrscheinlichwerden von Anschlüssen der Kommunikation) Ermöglichung des kommunikativen Erfolgs durch Medien (Sprache, Verbreitungsmedien, generalisierte Kommunikationsmedien) 3. Der systemtheoretische Technikbegriff Selbst- und Fremdreferenz in sozialen Systemen: Technik als Medium und Installation Technik als Medium der Kommunikation: Medien als lose Elementekopplungen, denen eine Form gegeben werden kann; Technik als Vielzahl möglicher UrsacheWirkungsbeziehungen, denen durch bestimmte Kausalverknüpfungen eine Form gegeben wird Effekte: Dekontextualisierung Exkurs: Technik als Medium von Bewusstsein und Wahrnehmung Technik als Installation: Referenz auf physisches Substrat in der Umwelt der Gesellschaft, Technik als Installation bei Konstruktion und Reparatur von Technik im Vordergrund die Rolle von Bewusstsein und Wahrnehmung bei der Beobachtung von Technik als Installation 4. Schluss: Die Tücke des technischen Objekts Halfmann, Einführung in die Techniksoziologie Sozialkonstruktivistische Techniksoziologie (0) Einleitung Bindung der Gesellschaft an Technik als Ausgangspunkt technokratietheoretischer (Perfektion der Technik) oder technikdeterministischer („Selbsterzeugung" der Technik) Theorien der Technik Gegenargument: Technik bindet, aber nicht die Kommunikation (1) Sozialkonstruktivismus Antwort auf den Technikdeterminismus durch Nachweis der „Konstruiertheit" (d . h . Entscheidungsabhängigkeit) der Technik in ihrem Entstehungsprozess Techniksoziologie als Soziologie der Technikgenese 2 Beispiele: Fahrrad Elektroauto Der Akteur-Netzwerk-Ansatz: Technik als Resultat von Aktanten-Strategien (2) Kritik am Sozialkonstruktivismus Zu starke Einebnung der Differenz von Sozialem und Nicht-Sozialem Technik als Substitut für sinnhafte Sozialbeziehungen (3) Schluss Abkehr von Mensch/Artefakt-Differenz Technik als „Kontingenzbremse" (Kontroll- und Perfektionsparadox) Halfmann, Einführung in die Soziologie der Technik Politische Ökonomie und Sozialanthropolopie der Technik: Marx und Gehlen I. Marx 19. Jahrhundert: Technik nicht mehr ,,Natur"kraft des Menschen, sondern eine gesellschaftliche Leistung Marx: soziogene Technikauffassung (Schaffung der menschlichen Gattung als soziale Organisation unter Verwendung von Technik) - Naturseite der Technik (geformte Materie) und Gesellschaftsseite der Technik (sachliche Form der Arbeitsteilung) (Handmühle: Gesellschaft mit Feudalherren, Dampfmaschine: Gesellschaft mit industriellen Kapitalisten) - Technik als Substitut für lebendige Arbeit (Technik als Maschine, die lebendige Arbeit koordiniert, Kooperation über Technik) und als Produkt von geistiger Arbeit Naturwissenschaft und Technik im 19. Jahrhundert: Reflexivwerden der Technikerzeugung: Technikwissenschaften (Trennung von geistiger und körperlicher Arbeit), Abkehr der Erschließung von Technik über Natur; Technische Hochschulen Modelltechnik: Dampfmaschine (Natur als arbeitsleistende Maschine): Revolution der Transporttechnik (Eisenbahn, Schifffahrt) + Kommunikationstechnik (Telegraph) Technikdeterminismus Zusammenfassung: Marx' Reformulierung der Differenz zwischen Technik und Natur als gesellschaftsinterne Differenz (Herrschaft der toten über die lebendige Arbeit) - II. Gehlen Anthropologie: Sonderstellung des Menschen in der Evolution, Entäußerung, Umarbeiten von Natur in Kultur durch Technik (und Institutionen) Technik als Grenze zwischen innerer und äußerer Natur des Menschen Technik als Dienstbarmachung der Natur für gesellschaftliche Zwecke Technik als Organersatz, -Verstärkung, -entlastung Zusammenfassung: Schlusspunkt einer Tradition, die Technik mit materiellem Artefakt gleichsetzt Halfmann, Einführung in die Soziologie der Technik Der neuzeitliche Technikbegriff (17./18. Jahrhundert) Die mechanistische Kosmologie: Natur als Maschine - Technik als naturgemäßes Artefakt; Schöpfung der Natur als Akt Gottes (Gott als Mechaniker) am Anfang der Geschichte; natura naturata vs. natura naturans Der mechanistische Technikbegriff: Technik als Artefakt zur Nutzung der Naturproduktivität Der neuzeitliche Bewegungsbegriff (Trägheitsgesetz) Technik in der Neuzeit: wenig neue Technik, aber Fortschritte in den Grundlagen der Naturwissenschaften, relevant für Astronomie, Schifffahrt, Kriegsführung (Geschossbahnberechnung) Mikroskop (geschliffene Linsen), Dampfmaschine, mechanischer Webstuhl, Automaten (Maschinen in Menschengestalt) Natur, Technik, gesellschaftliche Ordnung: die Uhr als Symbol Halfmann, Einführung in die Soziologie der Technik Der antike Technikbegriff (teleologisch-statisch): Technik als (imperfekte) Imitation der (perfekten) Natur, als Teil der Bewegung der Natur von der Möglichkeit zur Wirklichkeit, von der Bewegung zur Ruhe Der Technikbegriff im Mittelalter und in der Renaissance (teleologisch-dynamisch): 2 Differenzen zum antiken Weltbild: a) Welt hat Anfang und Ende (Dynamik), b) Welt als Schöpfung und Mensch als Herrscher über die Natur (Folge: Technik als Schöpfung der Natur durch den Menschen) Grundlagen einer forschenden Einstellung zur Natur Idee der perfekten Technik: perpetuum mobile Technik im Mittelalter Wichtigste Erfindungen: Wasserrad, Windmühle, Kran, Kompass, astronomische Instrumente, Brille, Hochofen, Kanone, Buchdruck, Uhr