Buchbesprechungen Dina Michels Weiße Kittel – Dunkle Geschäfte Im Kampf gegen die Gesundheitsmafia Dina Michels, die Leiterin der Abteilung zur Bekämpfung von Fehlverhalten im Gesundheitswesen bei einer der großen Ersatzkassen, der Kaufmännischen Krankenkasse Hannover (KKHAllianz), beschreibt in ihrem Buch in sehr eindringlicher Weise, wie in unserem Gesundheitssystem systematisch betrogen, korrumpiert und mit illegalen Praktiken die Versichertengemeinschaft jährlich um viele Millionen, wenn nicht Milliarden Euro geschädigt wird. Die zahlreichen Fallbeispiele lesen sich dabei so spannend wie ein Kriminalroman – allerdings entstammen sie alle der Realität. Die tägliche Ermittlungsarbeit der Autorin belegt, dass die betrügerischen Machenschaften offenbar fast überall im medizinischen Alltag vorkommen: bei niedergelassenen ÄrztInnen, Krankenhäusern, Apotheken, PhysiotherapiePraxen, anderen Heilhilfsberufen oder Sanitätshäusern. Die vorgelegten Fallbeispiele und Hochrechnungen untermauern zudem die Schätzung der Ar- Dr. med. Mabuse 182 · November /Dezember 2009 beitsgruppe Gesundheit von Transparency Deutschland, dass jährlich zwischen drei bis zehn Prozent des Gesundheitsetats, also zwischen sechs und 24 Milliarden Euro, durch Betrug und Korruption im deutschen Gesundheitswesen verlorengehen. In sechs Kapiteln über Leistungsanbieter (Apotheker auf Abwegen, Betrüger in Weiß, Therapeuten im Zwielicht, Gut geschmiert ist halb gewonnen [Gesundheitshandwerker oder Heilhilfsberufler bzw. Sanitätshäuser], Tatort Krankenhaus) und einem über die Leistungsempfänger (Patienten als Selbstbediener) werden reale Fälle aus der Ermittlungsarbeit geschildert und die Auswirkungen dieser betrügerischen Verhaltensweisen für die Versichertengemeinschaft berechnet. Bemerkenswert ist, dass allein in zwei Jahren von einer einzigen Kasse in über 1.100 Delikten ermittelt wurde, von denen ein Fünftel Ärzte und Zahnärzte betraf. Dina Michels Buch ist eine Fallsammlung von besonderem Wert: Exemplarisch werden bestimmte Betrugs- und Korruptionsmuster beleuchtet, aber auch die sie begünstigenden Besonderheiten des deutschen Gesundheitssystems. Als gelernte Juristin entlarvt die Autorin das notorische Versagen der Aufsichts- und Kontrollmechanismen einschließlich der nur unzulänglichen strafrechtlichen Verfolgung von zur Anzeige gebrachten Delikten. Sie beklagt die Halbherzigkeit der staatsanwaltlichen Ermittlungen, die oftmals zur Einstellung von Verfahren führt. Hauptursachen hierfür: mangelnde personelle Ausstattung, aber auch Kompetenzdefizite, gepaart mit einer immer noch ausgeprägten Hochachtung vor den „weißen Kitteln“. Für Dina Michels ist die Erfahrung, dass die im Gesundheitsbereich tätigen Berufsgruppen die Konsequenzen ihres betrügerischen Tuns kaum fürchten müssen, Hauptnährboden für ihre zunehmende Anfälligkeit. Gleichzeitig zeugt ihr Buch von den Möglichkeiten der Kostenträger, effiziente Gegenmaßnahmen zu entwickeln und erfolgreiche Korruptionsbekämpfung zu betreiben. Eine konsequente Nutzung der bereits vorhandenen Instrumente – wie etwa das gemeinsame Vorgehen der Stellen zur Bekämpfung von Fehlverhalten im Gesundheitswesen, die bei den Kassenärztlichen Vereinigungen und den Krankenkassen eingerichtet sind, sowie eine entsprechende personelle Ausstattung dieser Stellen – würde hierzu einen Beitrag leisten können. Im Schlusskapitel werden Patienten und Krankenkassen aufgefordert, entschiedener gegen Unregelmäßigkeiten vorzugehen und diese zur Anzeige zu bringen. Unabdingbar sind auch die Veränderung der gegenwärtigen Justizpraxis und eine konsequente Anwendung der gesetzlichen Grundlagen wie des § 299 Strafgesetzbuch (StGB) oder 57 58 Buchbesprechungen des § 263 StGB auf den Gesundheitsbereich, um die analysierten Schwachstellen wirksam zu bekämpfen. Die Krankenkassen mit ihren zunehmenden Möglichkeiten, aus den ihnen übermittelten Daten Betrugsfälle zu „fischen“, können durch bessere Zusammenarbeit untereinander und mit den Kassenärztlichen Vereinigungen nach Ansicht der Autorin viel effizienter werden. Ebenso kann die neue Gesundheitskarte zu mehr Transparenz und damit zu weniger Missbrauch führen. Das Buch ist eine hochinteressante Quelle von gut recherchierten und oftmals dramatischen Betrugs- und Missbrauchsmustern im deutschen Gesundheitswesen. Es sollte alle Angehörigen des Gesundheitsfachs, aber auch Personenkreise außerhalb des Gesundheitssystems, insbesondere jedoch Juristen, Aufsichtsbehörden und die Gesundheitspolitik interessieren. Dina Michels Motiv, dieses mutige und offene Buch zu schreiben: „Bis heute sind sich die meisten Menschen gar nicht bewusst, welch ein großes Problem Betrug und Korruption oder Vetternwirtschaft im Gesundheitswesen in Wahrheit sind. In Sizilien gingen die Behörden erst dann wirksam gegen die Mafia vor, als die Öffentlichkeit gegen Ende des letzten Jahrhunderts akzeptieren musste, dass es diese Kartelle tatsächlich gab. Vorher war ihre Existenz insbesondere von den Eliten schlichtweg verneint worden. Auch wenn im deutschen Gesundheitswesen keine sizilianischen Verhältnisse herrschen, steht eines fest: Verschweigen und Zudecken dient nur den Tätern.“, ist nichts hinzuzufügen. Dr. med. Angela Spelsberg, Ärztliche Leiterin des Tumorzentrums Aachen, Kommissarische Leiterin der AG Gesundheit und Mitglied des Vorstands Transparency International Deutschland e. V. Rowohlt Berlin Verlag, Berlin 2009, 208 Seiten, 16,90 Euro Ulrich Schwabe und Dieter Paffrath (Hrsg.) ArzneiverordnungsReport 2009 Aktuelle Daten, Kosten, Trends und Kommentare Die Arzneimittelversorgung in der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) ist so transparent wie kaum ein anderer Bereich im Gesundheitswesen. Jedes Arzneimittel hat eine eigene Klassifikation und Codierung, sogar nach Menge und Dosierung. Für jedes Mittel liegen Informationen über die Hersteller und das Einführungsdatum vor; für alle Mittel, die GKV-Versicherten verschrieben werden, kennen wir die Mengen der verordneten Tagesdosierungen und die Ausgaben. Eine Basis dafür, dass jedes Jahr der Umfang der Arzneimitteltherapie in der GKV abgebildet werden kann und dass ein Expertenteam um den Heidelberger Pharmakologen Ulrich Schwabe die verordneten Arzneimittel nach der therapeutischen Wirksamkeit und der Wirtschaftlichkeit zu bewerten vermag. So nun auch im 25. Arzneiverordnungs-Report 2009 (AVR) für das vergangene Jahr. Laut AVR beliefen sich die GKV-Ausgaben im Jahr 2008 auf 29,2 Milliarden Euro und stiegen damit um 5,3 % gegenüber dem Vorjahr. Das ist die höchste Steigerungsrate gegenüber allen anderen Leistungsbereichen (mit 52,6 Milliarden Euro, also plus 3,5 %, für die stationäre und 24,3 Milliarden Euro, also plus 5,0 %, für die ärztliche Versorgung). Dabei fallen die Zuwächse in einigen Arzneimittelgruppen besonders auf: Angiotensinhemmstoffe (zum Beispiel ACEHemmer und Sartane) mit plus 113 Millionen Euro, Antidiabetika mit plus 125, Immuntherapeutika mit plus 429 und die Tumortherapie mit plus 235 Millionen Euro. Auch die Ausgaben für Impfstoffe stiegen mit 230 Millionen Euro dramatisch an, verantwortlich dafür ist vor allem die HPV-Impfung. An ihrem Beispiel lässt sich das Problem der Preisfindung für Arzneimittel in Deutschland beschreiben: Bei uns haben pharmazeutische Hersteller noch immer das Privileg, ihre Preise selbst Dr. med. Mabuse 182 · November /Dezember 2009 Buchbesprechungen festlegen zu können. Verhandlungen über den geforderten Preis sind erst vorgesehen, wenn die seit dem 1.4.2007 im Sozialgesetzbuch V verankerte KostenNutzen-Bewertung zur Realität wird, ihre Umsetzung wird aber noch eine Zeit in Anspruch nehmen. So kommt es, dass die Grundimmunisierung mit den Gebärmutterhalskrebs-Impfstoffen Gardasil oder Cervarix in Deutschland 477 Euro kostet, während sie in den USA – mit den gleichen Impfstoffen – für 247 Euro zu haben ist. Der AVR weist mit Recht darauf hin, dass die Preisregelungen im Bereich der patentgeschützten neuen Präparate derzeit ungenügend sind. Wenn die GKV nicht auf Dauer finanziell überfordert werden soll, sind neue Konzepte unbedingt erforderlich. Die freie Preisfestlegung durch die Hersteller muss ein Ende finden. Im Rahmen der Koalitionsverhandlungen von CDU/CSU und FDP wurde dafür nun auch eine Strategie diskutiert: Es wird daran gedacht, eine so genannte konditionierte Zulassung einzuführen. Dieses Instrument soll zu Lasten der Industrie die Durchführung von Studien verlangen, die eine Preisbewertung und eine Verhandlung über den Wert neuer Arzneimittel ermöglichen. Verweigert sich ein Pharmaunternehmen der Preisverhandlung oder ist der Preis zu hoch angesetzt, wird ein Höchsterstattungsbetrag für die GKV-Versicherten festgelegt. Die Einsparvolumina sind in den vergangenen Jahren deutlich gesunken. Sie reichen daher nicht mehr aus, um die Mehrausgaben bei bestimmten Indikationsgruppen, vor allem bei den Arzneimitteln zur Behandlung von Multipler Sklerose, rheumatoider Arthritis oder Krebs, gegenzufinanzieren. Zwar werden noch immer 3,4 Milliarden Euro Einsparpotenzial errechnet, die kommen aber zum Teil eher theoretisch zustande. Realistisch sind solche Werte nicht, wird doch teilweise mit Preisen gerechnet, die im Ausland wie etwa Großbritannien gelten, aber nicht bei uns. An diesen Stellen wird der AVR merkwürdig unwissenschaftlich: Die zum Teil hohen Generikapreise kommen bei uns durch den sinnvollen, vom Preis des Arzneimittels unabhängigen Fixaufschlag von 8,10 Euro, beziehungsweise für die GKV von 5,80 Euro, in Dr. med. Mabuse 182 · November /Dezember 2009 den Apotheken zustande. Dadurch werden in der Tat etwa 20 bis 25 % der Arzneimittel, die früher besonders niedrige Preise hatten, deutlich teurer. Ein Mittel, das früher 2,50 Euro kostete, liegt nun bei rund zehn Euro. Für die GKV sind jedoch 75 bis 80 % der Mittel durch diesen Fixaufschlag im Preis deutlich günstiger geworden. Wenn also Einsparpotenziale berechnet werden, sollten diese Vorteile nicht außer Acht gelassen werden. Der AVR ist aus pharmakologischer Sicht nach wie vor ein überaus empfehlenswertes Buch, mit dem alle am Arzneimittelmarkt Interessierte aktuelle und auf breiter Evidenz beruhende Bewertungen bekommen. Im Rahmen epidemiologischer Fragestellungen ist der AVR aber nur begrenzt nützlich, weil er aufgrund seiner globalen Datendarstellung allenfalls noch regionale und arztgruppenspezifische Hinweise geben kann. Jegliche patientenbezogenen Behandlungsverläufe sind nicht darstellbar. Hierfür wären andere Datenvoraussetzungen notwendig. Auch bei arzneimittelpolitischen Bewertungen ist der AVR nicht immer eine Referenzpublikation, so sind zum Beispiel Rabattverträge sicherlich nicht grundsätzlich gut. Der Bewertung von Herbert Reichelt, dem Vorstandsvorsitzenden des AOKBundesverbandes, anlässlich der Vorstellung des AVR am 17.10.2009 würden aber wohl alle zustimmen: „Wir sagen ‚ja‘ zu gutem Geld für gute neue Arzneimittel, ‚nein‘ zu Mondpreisen.“ Jetzt brauchen wir nur noch eine wirksame Strategie, dieses Ziel kurzfristig zu erreichen. Gerd Glaeske, Arzneimittelexperte, Professor am Zentrum für Sozialpolitik (ZeS) der Universität Bremen Springer Verlag, Heidelberg 2009, 1.077 Seiten, 47,95 Euro 59 Theda Borde, Matthias David, Ingrid Papies-Winkler (Hrsg.) Lebenslage und gesundheitliche Versorgung von Menschen ohne Papiere In den letzten zehn Jahren haben das Themenfeld „Illegalität“ und speziell die Lebenslage von Menschen ohne Papiere in der wissenschaftlichen und öffentlichen Diskussion gesteigerte Aufmerksamkeit erfahren. Mit dem vorliegenden Sammelband legt der Mabuse-Verlag nun eine Publikation vor, welche sich auf einen zentralen Bereich daraus konzentriert, nämlich auf die gesundheitliche Lage und Situation von Menschen ohne gesicherten Aufenthaltsstatus. Den Ausgangspunkt dieses Herausgeberwerkes bildet eine Reihe von Vorträgen, die im Rahmen eines Migrations-Symposiums auf dem Kongress „Armut und Gesundheit 2009“ in Berlin gehalten wurden. Insgesamt werden in dem Band 14 Beiträge von VertreterInnen aus Wissenschaft und Praxis vorgestellt. Das Ziel des Buches besteht darin, „Erkenntnisse und Erfahrungen aus Theorie und Praxis zusammen zu bringen und neue Perspektiven für die insbesondere in Deutschland defizitäre Einbeziehung von ‚Menschen ohne Papiere‘ in die Gesundheitsversorgung weiter zu entwickeln.“ (S. 11) Der Zugang zum Thema und die Sortierung der Beiträge erfolgen dabei entlang von drei Schwerpunkten: Der erste Schwerpunkt bezieht sich auf die rechtlichen, sozialen und politischen Rahmenbedingungen der Gesundheitsversorgung von Menschen ohne Papiere. Den zweiten Schwerpunkt bilden Beiträge zu Erfahrungen und etablierten Lösungsansätzen aus anderen Ländern, von politischen Akteuren und Projekten. In einem dritten Schwerpunkt werden Entwicklungen aus der Praxis in Deutschland dargestellt. Insgesamt liefert der Sammelband einen umfassenden Überblick über die aktuelle gesundheitliche Situation und Versorgungslage von Menschen ohne Papiere sowie über exemplarische und zukünftige praktische Ansätze, sie zu ver- bessern. Der Schwerpunkt liegt dabei in der Darstellung der Situation in Berlin. Die Mehrzahl der Beiträge verfolgt außerdem einen eher pragmatischen und problemorientierten Zugang, wobei regelmäßig eine Anknüpfung an etablierte wissenschaftliche Studien und deren Ergebnisse vorgenommen wird. Des Weiteren wird in einzelnen Beiträgen ein expliziter Bezug zum Arbeitsfeld „Soziale Arbeit“ hergestellt und Perspektiven für Hilfemöglichkeiten sowie Anregungen für die zukünftige fachspezifische Auseinandersetzung werden eröffnet. Die internationale Perspektive bezieht sich dagegen eher auf den Bereich der politisch-normativen Grundlagenarbeit. Etwas zu kurz kommt in dem Sammelband die ethische und allgemeine theoretische Auseinandersetzung mit dem Thema. Beim Durchlesen des Bandes wirkt außerdem die teilweise auftretende inhaltliche Redundanz etwas störend: In der Mehrzahl der Artikel wird die Lebenslage thematisiert sowie nochmals die rechtliche Situation und die Hindernisse in der Arbeit mit Menschen ohne Papiere aufgegriffen. Diese Redundanz kann allerdings gleichzeitig auch als Vorteil betrachtet werden, denn dadurch erhält der Band eine eindeutige Argumentationslinie und erfährt eine inhaltliche Integration, welche bei anderen Sammelbänden oftmals verloren geht. Als allgemeines Fazit lässt sich festhalten: Ein umfangreicher Überblick zu einem wichtigen Thema und einem sicherlich spannenden Symposium, mit Ansatzpunkten für die Praxis sowie für eine vertiefte Auseinandersetzung in der Forschung. Patrick Schupp, Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Fachhochschule Ludwigshafen am Rhein Theda Borde, Matthias David, Ingrid Papies-Winkler (Hrsg.) Lebenslage und gesundheitliche Versorgung von Menschen ohne Papiere Mabuse-Verlag Mabuse-Verlag, Frankfurt am Main 2009, 248 Seiten, 26,90 Euro Dr. med. Mabuse 182 · November /Dezember 2009 Buchbesprechungen Bärbel Peschka und Katja de Bragança (Hrsg.) Das Wörterbuch OHRENKUSS 1998 – 2008 Die besten Zitate und Fotos aus 10 Jahren Ohrenkuss Der besondere Wert von Wörterbüchern ist, dass sie einen umfassenden Blick auf die Welt ermöglichen. Heute, da kaum mehr jemand – wie weiland noch die Enzyklopädisten um D’Alembert – der Auffassung ist, dass es ein alle Perspektiven und Erkenntnisquellen umfassendes Wissen gibt, gewinnt der Kontext an Bedeutung, in dem Erklärungen gegeben werden. Für das „Wörterbuch OHRENKUSS“, das selten genug auf dem Schreibtisch des Rezensenten liegt, weil es meistens irgendjemand entliehen hat, um darin zu blättern und nachzuschlagen, bedeutet das: Dieses Wörterbuch erschließt die Welt in einem ganz besonderen Zusammenhang. Die Texte von A wie Affenskelett über P wie Präimplantationsdiagnostik oder Presseausweis, S wie Schnarchen, Schnuller, Schokoladenherstellung bis Z wie Zombieball oder Zusammenspiel entstammen dem Diktat oder der Feder von AutorInnen der Zeitschrift Ohrenkuss. So unterschiedlich diese AutorIn- Dr. med. Mabuse 182 · November /Dezember 2009 nen die Welt an sich auch wahrnehmen, haben sie alle doch eine wichtige Gemeinsamkeit: Bei ihnen wurde das Down-Syndrom diagnostiziert. Dass sie sich dadurch erfreulicherweise nicht daran hindern lassen, Reisen in alle Welt, aber auch an die Stätten der deutschen Bürokratie zu unternehmen, dass sie extrem kommunikationsfreudig und wortgewandt sind, macht ihr Wörterbuch für uns LeserInnen zu einer Quelle der Inspiration. „Tango ist ein wilder Tanz, die Schritte sind nicht einfach zu kapieren“, lesen wir dort in aller Deutlichkeit, während wir über die Mongolei, in der einige Ohrenkuss-AutorInnen zu Studienzwecken mehrere Wochen verbracht haben, aus erster Hand erfahren: „In der Mongolei ist das Klima sehr rauch, die Sommer sind kurz und die Winter sind lang.“ Autoren wie Michael Koenig nehmen sich aber auch brisanter Themen an wie „Baby mit Down-Syndrom“ und schreiben nicht nur den Biopolitikern ins Stammbuch: „Ja das kann ich euch erklären, was das schöne an einem Baby mit Down-Syndrom sein kann, das schöne daran ist, das man sich noch intensiver um so ein Baby kümmern könnte. So ein Baby mit Down-Syndrom ist ein besonderes Baby.“ Illustriert ist der hervorragend ausgestattete und schön gestaltete Band mit Fotos, welche die AutorInnen zeigen, wie sie die Welt an inspirierenden Orten erkunden: in Museen, Ausstellungshal- len, Gedenkstätten, aber auch auf Reisen – und als Babys. Die Fotografien eröffnen damit einen zusätzlichen Einblick, der sich von dem, wie uns, die wir keine Behinderung haben, sonst Menschen mit Behinderungen präsentiert werden, erheblich unterscheidet. Das Ohrenkuss-Wörterbuch (ISBN 978-3-00-24933-4) erschien zum zehnjährigen Bestehen der Zeitschrift Ohrenkuss und ist in drei verschiedenen Cover-Varianten bei der Ohrenkuss-Redaktion, Tel. 0228-386 23 54 oder info@ ohrenkuss.de, erhältlich. Weitere Informationen gibt es unter: www.ohrenkuss.de Oliver Tolmein, Rechtsanwalt in Hamburg Eigenverlag, Ohrenkuss Redaktion, Bonn 2008, 300 Seiten, 29,50 Euro plus Porto und Verpackung (für Ohrenkuss-Abonnenten 24,90 Euro) 61 62 Buchbesprechungen Marianne Rabe Ethik in der Pflegeausbildung Beiträge zur Theorie und Didaktik Marianne Rabes Dissertation schließt eine Lücke in der aktuellen pflegeethischen Debatte. Während mittlerweile eine ganze Reihe von Einführungen und problembezogenen Arbeiten erschienen ist, fehlte ein Werk, das auf die Vermittlung ethischer Kompetenzen in der Ausbildung zielt. Hier setzt das Buch von Marianne Rabe einen Standard, der für lange Zeit Bestand haben wird. Das Buch gliedert sich in sechs größere Abschnitte. Im ersten skizziert die Autorin die Entwicklung in der Pflegeausbildung, um dann in zwei Grundlagenkapiteln den aktuellen Pflegeethikdiskurs in Deutschland und die Entwicklungen in der Pflegedidaktik aufzuarbeiten. Dies mündet in den Entwurf eines Konzepts für den Ethikunterricht in der Ausbildung, für das eine umfassende Unterrichtseinheit zum Thema „Pflege, Ethik und Anthropologie“ entworfen wird. Abschließend werden institutionelle und organisatorische Voraussetzungen für die ethische Reflexion in der Praxis des Gesundheitswesens thematisiert. Das Buch zeichnet sich insgesamt durch eine profunde Kenntnis der jeweils aktuellen fachlichen Debatten aus. Gleichzeitig gelingt es der Verfasserin, die Zusammenhänge allgemein verständlich zu präsentieren. Das zweite Kapitel bietet einen hervorragenden systematischen Überblick über die gegenwärtige Diskussion und entwirft einen eigenen pflegeethischen Ansatz, der phänomenologisch-anthropologisch orientiert ist. Dabei verbindet Marianne Rabe die anthropologischen Dimensionen der Leiblichkeit und der Widerfahrnis mit Personalität und Autonomie. Die jeweiligen Dimensionen werden dabei nicht unkritisch zusammengemengt, sondern bedingen und begrenzen sich wechselseitig, was sich zum Beispiel am wohltuend depotenzierten Autonomiebegriff zeigt. Den Übergang zur Praxis thematisiert schließlich ein Reflexionsmodell, das sich von einseitig an Machbarkeit orien- tierten Entscheidungsfindungsschemata deutlich abhebt. Auch das Grundlagenkapitel über Didaktik kann als eigenständige Zusammenfassung der aktuellen pflegedidaktischen Diskussion gelesen werden. Hier setzt die Verfasserin an der bildungsorientierten Didaktik des Erziehungswissenschaftlers Wolfgang Klafki an und zieht von da aus Verbindungen zu handlungsund kompetenzorientierten Ansätzen. An dieser Stelle hätte sie sich allerdings durchaus kritischer mit dem nicht unproblematischen Kompetenzbegriff auseinandersetzen können. Das Konzept für den Ethikunterricht im vierten Kapitel schließt an das Konzept der Wissenschaftlerinnen Ute Oelke und Marion Menke an und bezieht sich inhaltlich auf das im zweiten Kapitel entworfene Verständnis von Pflegeethik. Dieses zielt auf die Einübung der ethischen Reflexion in der Praxis und entwickelt Ethik als anthropologische Reflexion der Moral, die ihre Dringlichkeit besonders in den Grenzsituationen des menschlichen Lebens erfährt. Wie das konkret aussehen kann, wird dann in dem Unterrichtsentwurf präsentiert. Insgesamt legt Marianne Rabe ein äußerst lesenswertes Buch vor, das nicht nur PflegelehrerInnen interessieren sollte. Zudem ist es ein eindrucksvolles Plädoyer dafür, dass Pflegende die inhaltliche Ausprägung und die pädagogische Vermittlung der Pflegeethik in eigene Hände nehmen. Hans-Ulrich Dallmann, Professor an der Evangelischen Fachhochschule Ludwigshafen, Fachbereich Pflege Hans Huber Verlag, Bern 2009, 336 Seiten, 39,95 Euro Dr. med. Mabuse 182 · November /Dezember 2009