Frankfurter Horizontale (Ohr-AugenEbene) anthropologische Bezugsebene am Schädel, definiert durch den oberen Rand des Porus acusticus externus (Porion) und den tiefsten Punkt des Augenhöhlenrands (Orbitale). CamperEbene (Nasoaurikularebene) definiert am knöchernen Schädel durch den oberen Rand des Porus acusticus externus und die Spina nasalis anterior, entsprechende Weichteilpunkte sind der Tragusmittelpunkt (Tragion) und der Subnasalpunkt (Subnasale). Da annähernd parallel zur Okklusionsebene wichtige Bezugslinie bei der Herstellung totalen Zahnersatzes. Okklusionsebene definiert durch den approximalen Kontaktpunkt der beiden unteren mittleren Schneidezähne (unterer Inzisalpunkt) und die distobukkalen Höckerspitzen der 2. UK-Molaren. Achs-OrbitalEbene definiert durch Tragusmittelpunkt und äußeren Augenwinkel (Ektokanthion). Wird verwendet zur arbiträren Scharnierachsenbestimmung. sagittale Kompensationskurve (Spee-Kurve) Verbindungslinie der Inzisalkanten der UK-FZ und den Höckerspitzen der UK-SZ in sagittaler Richtung. ene ek l-Eb a rbit s-O Ach Spee-Kurve (sagittale Kompensationskurve) Okklusionsebene transversale Verbindungslinie der Höckerspitzen Kompensader UK-SZ in transversaler Richtung. tionskurve (Wilson-Kurve) Interkondylarachse die durch den geometrischen Mittelpunkt beider Kondylen verlaufende Verbindungslinie. BonwillDreieck gleichseitiges Dreieck zwischen dem unteren Inzisalpunkt und den geometrischen Mittelpunkten beider Kondylen. Die durchschnittliche Kantenlänge wird mit etwa 10 cm angenommen. Es ist Grundlage zur Modellorientierung im Mittelwertartikulator. BalkwillWinkel Neigung des Bonwill-Dreiecks gegenüber der Kauebene, etwa 22°. Er hat Bedeutung bei der schädelbezüglichen Orientierung der Modelle in einem Artikulator. or tale r Horizon Frankfurte Camp er-Ebe ne sn Okklusi onsebe ne Interkondylar-Achse Restaurative Zahnheilkunde Wichtige Bezugsebenen und Linien am Schädel Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. 14 Bezugsebenen der Okklusion 447 Okklusion Grundbegriffe Okklusion1 jeder Kontakt zwischen den Zähnen des OK u. UK. Statische Okklusion1 Zahnkontakte ohne Bewegung des UK in Interkuspidation. Dynamische Okklusion1 Zahnkontakte, die bei Bewegung des UK (früher: Artikulation) entstehen. Habituelle Okklusion1 gewohnheitsmäßig eingenommene statische Okklusion (früher: Schlussbiss). Maximale Okklusion (Maximale Interkuspidation)1 statische Okklusion mit maximalem Vielpunktkontakt. Zentrische Kondylenposition1 (Zentrik) kranioventrale, nicht seitenverschobene Position beider Kondylen bei physiologischer Kondylus-Diskus-Relation und physiologischer Belastung der beteiligten Gewebe. Scharnierachse1 dem UK zugeordnete, ortsfeste Drehachse bei Öffnungs- und Schließbewegung des UK („hinge axis“). Zentrische Scharnierachse1 in zentrischer Kondylenposition bestimmte Scharnierachse. Geometrische Scharnierachse bei rein rotatorischen Öffnungs- und Schließbewegungen. Zentrische Okklusion1 statische Okklusion in zentrischer Kondylenposition. Interkuspidationsposition (IKP) Kondylenposition in habitueller Okklusion. Retrale Kontaktposition (RKP) 1 statische Okklusion in zentrischer Kondylenposition. nach Terminologie-Liste der DGFDT und DGZPW (2005) Schematische Darstellung Zentrik – IKP – zentrische Okklusion Zentrik Interkuspidationsposition (nach Lotzmann 1989) zentrische Okklusion Aus ihrer zentrischen Position (1) sind die Kondylen in habitueller Okklusion häufig verlagert (s. oben). Nach Gerber wird eine unphysiologische Einengung des Gelenkspaltes als Kompression (2), eine unphysiologische Erweiterung des Gelenkraumes als Distraktion (3) bezeichnet. Zudem kann eine Verlagerung des Kondylus nach ventrokaudal (4) (Anteriorverlagerung) oder dorsokaudal (5) (Posteriorverlagerung) vorliegen. 448 Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. Restaurative Zahnheilkunde 14 „Point centric“ zentrische Okklusion. „Long centric“ Gleitmöglichkeit des UK von 0,2–0,5 mm in rein sagittaler Richtung von der RKP in die IKP, ohne dass sich die Bisshöhe (vertikale Relation) ändert. „Wide centric“ Gleitmöglichkeit des UK auch in transversaler Richtung von der RKP in die IKP. „Freedom in centric“ okklusaler Bewegungsspielraum, in dem die Spitzen der tragenden Höcker, unbeeinflusst von den Höckerabhängen, Bewegungen in sagittaler und auch in transversaler Richtung zwischen der RKP und der IKP durchführen können, ohne dass die Bisshöhe sich ändert. „Slide in centric“ Abgleiten des UK von der RKP in die IKP. „Perverted centric“ Auftreten einer Veränderung der Bisshöhe bei sagittaler und/oder transversaler Gleitmöglichkeit von der RKP in die IKP. Zentrische Stopps okklusale Kontakte der OK- und UK-Zähne in maximaler Interkuspidation. Zentrischer Vorkontakt vorzeitiger Kontakt eines Zahnes oder einer Zahngruppe, die den UK aus der zentrischen Kondylenposition in eine Zwangsposition führt. Zentrischer Höcker tragender Höcker (Stampfhöcker); im OK die palatinalen Höcker, im UK die bukkalen Höcker der Seitenzähne. Nichtzentrischer Höcker nichttragender Höcker (Scherhöcker); im OK die bukkalen Höcker, im UK die lingualen Höcker. Zahn-zu-Zahn-Okklusion jeder Seitenzahn okkludiert nur mit einem Antagonisten. Im natürlichen Gebiss höchst selten (singulärer Antagonismus). Merkmal der Aufwachstechnik nach Thomas. Absolute Tripodisierung (s. unten). Zahn-zu-2-ZahnOkklusion jeder Seitenzahn okkludiert mit 2 Antagonisten. Natürliche Verzahnungsform. Zentrische Stopps (Mod. nach Ash u. Ramfjord 1982) Die Abbildung zeigt die Lage der zentrischen Stopps in einer „normalen“ Okklusion mit einer Zahn-zu-2-ZahnBeziehung (Angle Klasse I) mit Höcker-Fossa- und Höcker-Randleisten-Kontakten. Die Zahlen bezeichnen die jeweiligen korrespondierenden Kontaktbereiche (rosa). Idealisiert (Restaurationen) entstehen (rot) Dreipunktkontakte auf den konvex geformten Dreieckswülsten nahe der Fossae (Tripodisierung) und Zweipunktkontakte auf den mesialen und distalen Randleisten benachbarter Zähne (Bipodisierung; entspricht nicht exakt der Aufwachstechnik nach Payne). 12 8 10 6 5 9 13 11 9 13 12 10 1 UK 7 8 2 3 7 11 OK 4 3 5 6 4 1 2 Restaurative Zahnheilkunde Okklusionskonzepte der statischen Okklusion Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. 14 Okklusion 449 Okklusion Grundbegriffe der UK-Bewegungen in der Horizontalebene Laterotrusionsseite: Arbeitsseite; Kieferseite, auf der sich der UK von der Medianebene nach lateral bewegt. Mediotrusionsseite: Nichtarbeitsseite, Balanceseite; Kieferseite, auf der sich der UK zu der Medianebene hin bewegt. Bennett-Bewegung: seitliches Versetzen der Laterotrusionskondylen während einer Laterotrusionsbewegung des UK. Sie kann unmittelbar zu Beginn einer Lateralbewegung (immediate side shift) erfolgen oder gleichmäßig in die Lateralbewegung eingehen (progressive side shift). Bennett-Winkel: in der Horizontalebene gemessener Winkel zwischen der sagittalen Protrusionsbahn und der Meditrusionsbahn des Kondylus. Bennett-Bewegung Bennett-Winkel § B A A' Median-Ebene B' Laterotrusionsseite Mediotrusionsseite Stützstiftregistrierung – Pfeilwinkel Zur Aufzeichnung der lateralen und protrusiven Grenzbewegungen des UK in der Horizontalebene wird die sogenannte intraorale Stützstiftregistrierung eingesetzt. Dabei wird meist ein herausdrehbarer Schreibstift mit einer OKBasisplatte verbunden, dem im UK eine Schreibplatte gegenüberliegt. Durch Herausdrehen des Stiftes wird der Biss gerade so weit gesperrt, dass er auf der Schreibplatte ohne Zahnkontakte gleiten kann. Das Registrat wird wegen seiner Form als „Pfeilwinkel“ oder auch „gotischer Bogen“ (Gothic arch) bezeichnet. Die Spitze des Pfeilwinkels markiert idealerweise jene UK-Position, bei der sich die Kondylen in Zentrik befinden. Lässt man den Patienten schnell hintereinander den Mund öffnen und schließen, entsteht vor der Pfeilspitze ein Feld naheliegender Punkte, die der IKP entsprechen; wenn die IKP in sagittaler Richtung bis max. 1 mm vor der Pfeilspitze liegt, handelt es sich um eine „long centric“(1). Fällt die IKP mit der Pfeilspitze zusammen, liegt eine „point centric“ vor (2). Auch Hinweise auf Veränderungen im Kiefergelenk (3) oder Bewegungseinschränkungen (4, hier z. B. rechtes Kiefergelenk) können aus dem Registrat gewonnen werden. Eine gerundete Pfeilspitze (5) weist darauf hin, dass der Patient aus einer (habituell) vorgeschobenen Position heraus seine Bewegungen aufgezeichnet hat. Eine Verlängerung der Zeichnung über die eigentliche Pfeilspitze hinaus (6) kann als forcierte Retrusion über die Zentrallage hinaus interpretiert werden. 450 1 2 3 4 5 6 Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. Restaurative Zahnheilkunde 14 Grenzbewegungen des UK-Inzisalpunkts („Posselt-Diagramm“) A: Endpunkt der initialen Rotationsbewegung. mMö: maximale Mundöffnung. Pr: Protrusionsstellung. R: Ruhelage (unbewusste Abstandshaltung vom UK zum OK bei aufrechter Kopf- und Körperhaltung). Die Strecke IKP-RKP-A-mMÖ entspricht der Öffnungsbewegung, dabei entspricht die Bewegung RKP-A einer Rotation um die Scharnierachse, die von A-mMÖ in eine kombinierte Dreh-GleitBewegung übergeht. Die gestrichelte Linie entspricht einer normalen Schließbewegung. RKP IKP Pr R A mM Die sagittale Kondylenbahn beschreibt die Bewegung eines Kondyluspunktes in der Sagittalebene, die mittels extraoraler Registrierung aufgezeichnet werden kann. Zieht man eine Gerade durch Beginn und Ende der Bahn und bestimmt den Winkel zu einer definierten Schädelbezugsebene, erhält man den Kondylenbahnneigungswinkel (Gelenkbahnneigung; zur Camper-Ebene etwa 33°, zur Frankfurter Horizontalen etwa 40–45°). Der sog. Fischer-Winkel wird in der Sagittalebene durch die Protrusionsund Mediotrusionsbahn des Nichtarbeitskondylus gebildet. Er beträgt im Schnitt 10°. Okklusionskonzepte der dynamischen Okklusion frontzahngeschützte Okklusion Bei Protrusion und Laterotrusion kommt es nur an OK- und UK-FZ zu dynamischen Okklusionskontakten. Alle übrigen Zähne diskludieren sofort (synonym: Frontzahnführung, Front-Eckzahn-Führung). eckzahngeschützte Okklusion Bei Protrusion und Laterotrusion kommt es nur an den OK- und UK-Eckzähnen zu dynamischen Okklusionskontakten. Alle übrigen Zähne diskludieren sofort (synonym: Eckzahnführung). unilateral balancierte Okklusion Bei Laterotrusion führen alle Zähne der Arbeitsseite, während alle übrigen Zähne (Schneidezähne, Zähne der Mediotrusionsseite) diskludieren. Die an den Antagonistenpaaren der Arbeitsseite entstehenden dynamischen Okklusionskontakte werden als Gruppenkontakte bezeichnet (synonym: Gruppenführung). bilateral balancierte Okklusion Bei Laterotrusionsbewegungen treten sowohl auf der Laterotrusionsseite als auch auf der Mediotrusionsseite dynamische Okklusionskontakte auf. Dieses Okklusionskonzept wird typischerweise für Hybrid- und Totalprothesen gewählt, um eine zusätzliche Stabilisierung des Zahnersatzes bei exzentrischen Bewegungen zu erreichen. Restaurative Zahnheilkunde Grundlagen der Bewegungen des UK in der Sagittalebene Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. 14 Okklusion 451 Okklusion Determinanten der okklusalen Morphologie Determinante Eigenschaft Auswirkung Kondylenbahn je steiler desto höher und steiler die Höcker Frontzahnführung je größer der vertikale Überbiss größer der horizontale Überbiss desto höher und steiler die Höcker kürzer und flacher die Höcker Okklusionsebene je paralleler zur Kondylenbahn desto kürzer und flacher die Höcker Spee-Kurve je gekrümmter die Spee-Kurve desto kürzer und flacher die Höcker „Immediate side shift“ (ISS) je größer der ISS desto kürzer und flacher die Höcker Shift-Winkel des rotierenden Kondylus surtrusiver die Bewegungsbahn desto kürzer und flacher die Höcker je Entfernung der Kaufläche je vom rotierenden Kondylus größer die Entfernung Entfernung der Kaufläche von Mittsagittalebene je größer die Entfernung Bennett-Bewegung je stärker ausgeprägt „Immediate side shift“ (ISS) je größer der ISS Shift-Winkel des rotierenden Kondylus je retrusiver die Bewegungsbahn Interkondylarlänge je länger 9 desto > > > > > > > > > desto > > größer der Winkel > > = zwischen Medio- und > desto > > Laterotrusionsbahn im > > > okklusalen Kompass desto > > > > > desto > > ; desto kleiner der Winkel zwischen Medio- und Laterotrusionsbahn im okklusalen Kompass Aus: Kordaß B. Mastikatorische Funktion. In: Reitemeier B, Schwenzer N, Ehrenfeld M. Einführung in die Zahnmedizin. Stuttgart: Georg Thieme Verlag; 2006 Höcker-Fossa-Beziehung M Sie ist in unversehrten natürlichen Gebissen am häufigsten zu finden. L Höcker, Höckerabhänge und Randleisten dienen dem Zerkleinern der Nahrung, Fissuren bilden Abflusskanäle für den Nahrungsbrei und „Einflugschneisen“ für die tragenden Höcker der Antagonisten. Die Linien zeigen die Laterotrusions- (L), die Mediotrusions- (M) und die Protrusionswege (P) der jeweiligen antagonistischen Höcker. Die Kontaktpunkte liegen nicht auf den Höckerspitzen, sondern auf den Dreieckswülsten und den Höckerabhängen. Zum Erreichen einer axialen Zahnbelastung muss der B-Kontakt mindestens mit dem A- oder dem C-Kontakt kombiniert sein. Eine Kombination von A- und C-Kontakten führt zu extraaxialen Belastungen. P M P L A B C A C Einschleifregeln 452 lingual bukkal lingual bukkal lingual bukkal Prinzip: „adjust away from function“ Niemals beschleifen: zentrische Stopps, tragende Höckerspitzen (Erhalt der vertikalen Dimension), Randleisten unter das Niveau der Nachbarrandleiste (Vermeiden „food impaction“), Schneidekanten. BOLU-Regel: Interferenzen auf Einschleifen der Mediotrusionsseite Einschleifen der Mediotrusionsseite der Laterotrusionsseite werden am bei lingual gekippten UK-Molaren: bei bukkal gekippten UK-Molaren: bukkalen Höcker im OK und am Einschleifen am OK-Zahn. Einschleifen am UK-Zahn. lingualen Höcker im UK eliminiert. Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. Restaurative Zahnheilkunde 14 Nach der Art der Gelenksimulation lassen sich unterteilen: ► Arcon-Artikulatoren (Artikulator-Condylen-gerecht) haben ihre „Gelenkgrube“ am Artikulatoroberteil (entspricht OK), ihren „Kondylus“ am Unterteil (entspricht UK). Wegen dieser „anatomisch richtigeren“ Beziehung sind ein Arcon-Artikulator bzw. die an ihm simulierten Bewegungsabläufe besser zu begreifen, vor allem bei diagnostischem Einsatz (instrumentelle Funktionsanalyse). Bei einigen Geräten ist das Oberteil vom Unterteil abnehmbar. Beispiele: SAM, Whip-Mix 8800, Artex AL, Denar Mark II, Panadent. ► Non-Arcon-Artikulatoren haben die Gelenkgrube am Artikulatorunterteil, den „Kondylus“ am Artikulatoroberteil. Sie sind einteilig (Ober- und Unterteil fest verbunden), daher robuster und sicherer in der Handhabung. Beispiele: Atomic, Dentatus ARD, Artex N, Hanau H2PR. ► Condylatoren sind von Gerber entwickelte Artikulatoren, die in sagittaler Richtung als Non-Arcon-Artikulatoren (der Kondylarkörper stellt den Kondylus dar), in transversaler Richtung als Arcon-Artikulatoren betrachtet werden können (der Kondylarkörper stellt die Gelenkgrube dar, die Kondylarblende den Kondylus). Klinisch bedeutsamer ist die Differenzierung nach Art der Einstellmöglichkeit (Justierbarkeit): ► Nichteinstellbare Artikulatoren (Mittelwertartikulatoren) erlauben zwar Gleitbewegungen über starre, eingebaute Bahnen, die Parameter der Kiefergelenkfunktion (Gelenkbahnneigung, Bennett-Winkel) sind jedoch unveränderbar. Sie sind nach statistischen Durchschnittswerten „eingearbeitet“. Eine schädelbezügliche Modellmontage mittels Gesichtsbogen ist möglich, aber nicht zwingend. Beispiele: Antomic, Heilborn. ► Teiljustierbare Artikulatoren erlauben die individuelle Einstellung der sagittalen Gelenkbahnneigung, in der Regel des Bennett-Winkels und der Neigung des Frontzahnführungstellers. Eine schädelbezügliche Modellmontage mittels Gesichtsbogen ist Voraussetzung. Beispiele: SAM, Dentatus, Artex TS. ► Volljustierbare Artikulatoren erlauben nach vorausgegangener dreidimensionaler Aufzeichnung am Patienten (Pantografie, Axiografie, Stereografie) eine (annähernd) individuelle Wiedergabe der UK-Bewegungen. Die Registriermethoden und die Programmierung sind aufwendig, und wer einen solchen Artikulator verwendet, muss ihn auch beherrschen. Beispiele: de Pietro, Stuart, TMJ. Merke: Kein Artikulator ist in der Lage, alle UK-Bewegungen vollständig zu imitieren. Zahnarzt und Zahntechniker sollten sich für ein Artikulatorsystem entscheiden, das sie „verstehen“, beherrschen und prinzipiell für alle Indikationen einsetzen können. Für den Zahnarzt essenziell ist das Beherrschen der Gesichtsbogenübertragung, die eine schädelbezügliche Modellmontage des OK im Artikulator ermöglicht (s. u.), und die korrekte Zuordnung des UK durch ein Zentrikregistrat („zentrischer Wachsbiss“). Ein in der Praxis benutzter Artikulator sollte also mit dem verwendeten Gesichtsbogen kompatibel sein und eine einfache Modellmontage bzw. eine sichere Verschlüsselung in einem Übertragungsstand im Praxislabor ermöglichen. Restaurative Zahnheilkunde Artikulatoren sind mechanische Geräte, mit deren Hilfe anhand montierter Kiefermodelle die Lagebeziehung der Kiefer und die UK-Bewegungen imitiert werden können. 14 Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. Artikulatoren 453 Funktionsstörungen Klassifikation Es gibt eine Vielzahl von Klassifikationen mit dezidierten diagnostischen Kriterien. Die vorgestellte Einteilung ist eine Modifikation der Klassifikation der American Academy of Orofacial Pain (AAOP). Intrakapsuläre Störungen: Arthopathien ► Formabweichungen: Unregelmäßigkeiten intrakapsulärer Gelenkanteile. Diagnostische Hinweise/Kriterien: Gelenkmechanik behindert (Knacken, Überwinden eines Widerstands, Deviation), Gelenkknacken beim Öffnen und Schließen in derselben Kondylusposition. Rö.: ggf. Veränderung von Hartgewebsstrukturen. ► Diskusverlagerungen (DV): unphysiologische Lage des Diskus im Verhältnis zum Kondylus – anteriore DV in IKP mit Reposition. Diagnostische Hinweise/Kriterien: Gelenkknacken beim Öffnen und Schließen in unterschiedlicher Kondylusposition (reziprokes Knacken), v. a. Öffnungsknacken (ggf. kurzzeitige Deviation), Schmerzen sind möglich; – totale DV in IKP ohne Reposition (früher: Diskusprolaps; akut/chronisch). Diagnostische Hinweise/Kriterien: anamnestisch evtl. Gelenkgeräusche bekannt, schlagartig einsetzender Schmerz, deutlich eingeschränkte Mundöffnung, kein Knacken, bei Mundöffnung Abweichen zur betroffenen Seite; – posteriore DV bei Translation der Kondylen mit Reposition bei IKP. Diagnostische Hinweise/Kriterien: Gelenkknacken v. a. beim Schließen. Extrem selten! IKP IKP Mundffnung Mundffnung ► Kondylusluxation: Verlagerung des Kondylus über die Eminentia articularis hinaus nach anterior Diagnostische Hinweise/Kriterien: Unfähigkeit des Kieferschlusses, Schmerzen. ► Arthritiden (Entzündungen): traumatische (Gelenkerguss), infektiöse, rheumatoide (chron. Polyarthritis), metabolische (Gicht), andere (Kollagenosen, Morbus Reiter, Morbus Bechterew u. a. m.) Diagnostische Hinweise/Kriterien: Schmerzen im (sub-)akuten Zustand: in Ruhe, bei Palpation, Funktion und passiver Bewegung, Gelenkschwellung, Otalgie, Krepitation, eingeschränkte Beweglichkeit (Schmerz). ► Arthrose (Osteoarthrose, Arthropathia deformans): degenerative, nichtentzündliche Gelenkerkrankung mit progressivem Verlust von Knorpel und subchondralem Knochen Diagnostische Hinweise/Kriterien: Krepitation, eingeschränkte Beweglichkeit, beim Öffnen Abweichen zur erkrankten Seite. Rö.: verschmälerter Gelenkspalt, Schliffflächen: Abflachung der Eminentia articularis und des Kondylus, subchondrale Sklerosierung der Spongiosa, Randexostosen (Osteophyten). ► Ankylosen: Versteifung des Gelenks (fibrös oder knöchern) Diagnostische Hinweise/Kriterien: eingeschränkte Mundöffnung, bei Mundöffnung deutliche Abweichung zur betroffenen Seite. Rö.: ggf. breite Knochenbrücke zwischen Gelenkfortsatz und Schädelbasis. 454 Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. Restaurative Zahnheilkunde 14 ► myofaszialer Schmerz: empfindliche Bereiche in Muskeln oder Sehnen. Diagnostische Hinweise/Kriterien: dumpfer Schmerz im Muskel, Spannungsgefühl, lokalisierter Palpationsschmerz, aktive Mö evtl. schmerzbedingt eingeschränkt, weitere passive Öffnung möglich. ► reflektorische Muskelschienung: reflexartige Verspannung zur Vermeidung von Schmerz (Schonhaltung). Diagnostische Hinweise/Kriterien: Schmerzen bei Bewegung, kein Ruheschmerz, deutlich eingeschränkter Bewegungsumfang, bei passiver Mö Rigidität der Muskulatur. ► Myositis: Entzündung des Muskelgewebes nach Überbeanspruchung, Trauma, Infektion. Diagnostische Hinweise/Kriterien: Auftreten nach Überbeanspruchung, Verletzung, Infektion (Anamnese!), akuter Schmerz im betroffenen Muskel (bei Bewegung zunehmend), Palpationsempfindlichkeit, ggf. Schwellung. ► Myospasmus: Muskelkrampf (Trismus). Selten. ► Muskelkontraktur: Fibrosierung der Muskelfasern (posttraumatisch oder postinfektiös). Selten. Diagnostik von Funktionsstörungen Bei Hinweisen auf funktionelle Störungen sollte der orientierende Funktionsbefund (s. S. 115) ergänzt werden. Der „Klinische Funktionsstatus“ der DGZMK hat als Formblatt in der Praxis weite Verbreitung gefunden und ermöglicht eine Dokumentation der erhobenen klinischen Befunde. Die manuelle oder instrumentelle Funktionsanalyse ist eine wertvolle diagnostische Ergänzung; sie bedarf unbedingt des Grundlagenstudiums der einschlägigen Literatur. Zwei häufig erwähnte klinische Funktionstests werden im Folgenden kurz erläutert: Provokationstest (Krough-Poulsen 1980) Der Patient wird aufgefordert, die kongruenten Schliffflächen in der jeweiligen UK-Position, die während vermuteter parafunktioneller Aktivität eingenommen wird, in flächenhaften Kontakt zu bringen und 15–45 s zu belasten. Der Provokationstest ist positiv, wenn durch diese Manipulation typische Schmerzsymptome provoziert werden. Resilienztest nach Gerber (Gerber 1971) Auf der Gegenseite des zu untersuchenden Gelenks wird im Bereich der Prämolaren ein 0,3 mm dicker Zinnfolienstreifen eingelegt, auf der zu untersuchenden Seite zwischen die distalsten Molaren eine Shimstock-Folie. Kann der Patient die Shimstock-Folie zwischen den Zähnen nicht mehr festklemmen, weist das Gelenk eine zu geringe Resilienz auf: Verdacht auf Gelenkkompression. Kann der Patient hingegen bei einem auf der Gegenseite eingelegten 3 oder mehrfach übereinander gelegten (bis 1,5 mm dicken) Zinnfolienstreifen die Shimstock-Folie zwischen den Zähnen festklemmen, weist das Gelenk eine zu hohe Resilienz auf: Verdacht auf Gelenkdistraktion. Restaurative Zahnheilkunde Extrakapsuläre Störungen: Myopathien 14 Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. Funktionsstörungen 455 Funktionsstörungen Klinischer Dysfunktionsindex (Di) (nach Helkimo 1974) Um Funktionsstörungen zu objektivieren, wird in epidemiologischen, aber auch in klinischen Studien der klinische Dysfunktionsindex („Helkimo-Index“) eingesetzt. Dabei werden 5 typische Symptome funktioneller Störungen untersucht und nach jeweils 3 Kriterien in einem Punktebewertungssystem graduiert. Aus der Summe der Punktbewertungen ergeben sich 4 klinische Dysfunktionsindizes mit 6 klinischen Dysfunktionsgruppen. Zur Beurteilung des Bewegungsspielraums des UK wird zunächst der Unterkiefermobilitätsindex erhoben: Unterkiefermobilitätsindex Punkte maximale Mundöffnung ≥ 40 mm / maximale Lateralbewegung nach rechts ≥ 7 mm / maximale Lateralbewegung nach links ≥ 7 mm / maximale Vorschubbewegung ≥ 7 mm 0 maximale Mundöffnung 30–39 mm / maximale Lateralbewegung nach rechts 4–6 mm / maximale Lateralbewegung nach links 4–6 mm / maximale Vorschubbewegung 4–6 mm 1 maximale Mundöffnung < 30 mm / maximale Lateralbewegung nach rechts 0–3 mm / maximale Lateralbewegung nach links 0–3 mm / maximale Vorschubbewegung 0–3 mm 5 Symptome und Kriterien des klinischen Dysfunktionsindexes (Di) Punkte 1. Symptom: eingeschränkter Bewegungsspielraum des Unterkiefers normaler Bewegungsspielraum (Mobilitätsindex: insgesamt 0 Punkte) 0 leicht eingeschränkte Bewegungsfähigkeit (Mobilitätsindex: insgesamt 1–4 Punkte) 1 stark eingeschränkte Bewegungsfähigkeit (Mobilitätsindex: insgesamt 5–25 Punkte) 5 2. Symptom: gestörte Gelenkfunktion Bewegung ohne Gelenkgeräusche, Seitabweichung beim Öffnen oder Schließen < 2 mm 0 Gelenkgeräusche und/oder Seitabweichung beim Öffnen oder Schließen ≥ 2 mm 1 Sperre und/oder Luxation des Kiefergelenks 5 3. Symptom: Muskelschmerzen keine Druckempfindlichkeit der Kaumuskeln 0 Druckempfindlichkeit an 1–3 Stellen 1 Druckempfindlichkeit an 4 und mehr Stellen 5 4. Symptom: Kiefergelenkschmerzen keine Druckempfindlichkeit des Gelenks bei lateraler und posteriorer Palpation 0 Druckempfindlichkeit bei lateraler Palpation 1 Druckempfindlichkeit bei posteriorer Palpation 5 5. Symptom: Schmerzen bei Bewegung des Unterkiefers 456 schmerzfreie Bewegung 0 Schmerzen bei einer Bewegung 1 Schmerzen bei zwei und mehr Bewegungen 5 Di-Punkte Index Bemerkung Dysfunktionsgruppe 0 Di 0 klinisch symptomfrei 0 1–4 Di I geringe Dysfunktion 1 5–9 Di II mäßige Dysfunktion 2 10–13 15–17 20–25 Di III schwere Dysfunktion 3 4 5 Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. Restaurative Zahnheilkunde 14 (nach Helkimo 1974) Symptome und Kriterien des okklusalen Dysfunktionsindexes (Do) Punkte Anzahl der Zähne 28–32 Zähne 0 20–27 Zähne 1 < 20 Zähne 5 Anzahl der okkludierenden Zähne 24–32 okkludierende Zähne 0 16–23 okkludierende Zähne 1 2–15 okkludierende Zähne 5 okklusale Interferenzen zwischen RKP und IKP keine Interferenzen, gerade symmetrische Bewegung von der RKP in die IKP (< 2 mm) 0 geringe Interferenzen, bei einseitigem Kontakt in RKP und bei Gleiten in die IKP (< 2 mm) und/oder lateraler Abweichung des UK < 0,5 mm während des Gleitens von der RKP in die IKP 1 schwere Interferenzen, bei lateraler Abweichung des UK > 0,5 mm während des Gleitens von der RKP in die IKP und/oder Abstand von RKP und IKP > 2 mm 5 Interferenzen bei Artikulationsbewegungen keine Interferenzen bei der Artikulation 0 geringe Interferenzen bei der Artikulation bei Interferenzen auf der Laterotrusionsseite distal der Eckzähne und/oder einseitigem Kontakt bei der Protrusionsbewegung 1 schwere Interferenzen bei der Artikulation, Interferenzen auf der Mediotrusionsseite (ein- und/oder beidseitig) 5 Di-Punkte Index Bemerkung 0 Oi 0 keine Störung in Okklusion oder bei Artikulation 1–4 Oi I mäßige Störung in Okklusion oder bei Artikulation 5–9 Oi II schwere Störung in Okklusion oder bei Artikulation Therapiemöglichkeiten symptomatischer Funktionsstörungen Ziele: ► Verminderung von Schmerzen und/oder Beschwerden, ► Verringerung seelischer Belastungen oder Spannungen, ► Beseitigung von Disharmonien zwischen Kiefergelenk und Okklusion. Restaurative Zahnheilkunde Okklusaler Dysfunktionsindex (Do) Analog dem Di werden nach einem Punktebewertungssystem okklusale Störungen erfasst. Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. 14 Funktionsstörungen 457 Funktionsstörungen Aufbissbehelfe Aufbissbehelfe gibt es in großer Zahl; sie werden nach Konstruktionsmerkmalen und Wirkungsmechanismen klassifiziert. In der Praxis dienen Aufbissbehelfe zur Relaxation der Kaumuskulatur, zur Ausschaltung okklusaler Interferenzen und Findung eines neuromuskulären Gleichgewichts durch den Patienten sowie zur Stabilisierung der Okklusion in zentrischer Relation. Eine Therapie mit Aufbissbehelfen kann nur erfolgreich sein, wenn der Behandler Art und Ursache der Funktionsstörung und Art und Wirkungsweise des Aufbissbehelfs kennt. Wegen ihres breiten Indikationsbereichs soll im Folgenden die Michigan-Schiene kurz vorgestellt werden (Ash u. Ramfjord 1982). Michigan-Schiene Charakteristika ► Zentrische Schiene (zentrisches Registrat); ► plangestaltete Okklusalfläche mit nur einem Kontakt pro Zahn, im SZB nur punktförmige Kontakte der bukkalen Höckerspitzen; ► Eckzahnführung, die bei Laterotrusion und Protrusion alle anderen Zähne diskludieren lässt; ► FZB: kleines Frontplateau, von den zentrischen Kontakten der UK-FZ ausgehend etwa 1 mm nach dorsal ausgedehnt. Indikationen ► ► ► ► Schmerzhafte, verspannte Muskulatur; okklusale Parafunktionen (Bruxismus); Gelenkbeschwerden (anteriore Dv); Osteoarthrose (zur Entlastung der Gelenke). Michigan-Schiene von okklusal mit zentrischen Stopps und Eckzahnfhrung (typisches "V") Vorgehen 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. Abdrucknahme OK und UK (möglichst blasenfreier Alginatabdruck); zentrische (d. h. derzeit mögliche „Zentrik“) Wachsbissnahme; Gesichtsbogenübertragung; Festlegen der nötigen Bissöffnung: Merke: vertikale Sperrung so groß wie nötig, so gering wie möglich! Herstellung der Schiene im Labor in glasklarem Kunststoff; Einpassen: Inspektion der Innenseite (Polymerisationsfehler, Fahnen, Perlen), Überprüfung der Passgenauigkeit am Patienten (Schiene darf nicht schaukeln!). Bei „Klemmen“ der Schiene beim Einsetzen die bukkalen Umfassungen der Zähne etwas zurücknehmen; Markierung und Einschleifen von Vorkontakten in der ungeführten „Schienenzentrik“; Markierung und Einschleifen von Vorkontakten in der möglichen retralen UK-Position, unterschiedliche Positionen zwischen „aktiver“ und „passiver“ UK-Stellung sind durch flache Ebenen zu verbinden (Prinzip der „freedom in centric“), Kontrolle Eckzahnführung, Lateralbewegungen, Protrusion, Politur der Schiene; Kontrolle der Kontakte, therapeutische Instruktion des Patienten: Schiene (außer in akuten Fällen) nachts tragen für etwa 3 Wochen, erste Kontrolle nach 1 Woche (ggf. früher), Behandlungsdauer bis zur Schmerzfreiheit, bei Besserung schleichendes Absetzen. Falls keine BeschwerdePunktfrmige zentrische besserung nach 4–6 Wochen Reevaluation der Symptomatik. Bei Bruxismus Kontakte der unteren bukkalen Hckerspitzen sollte die Schiene präventiv dauerhaft nachts getragen werden. Weiterführende Literatur Ash M, Ramfjord S. An Introduction to functional occlusion. Philadelphia: Saunders; 1985 Lotzmann U. Okklusionsschienen und andere Aufbißbehelfe. 2. Aufl. München: Neuer Merkur; 1985 458 Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. Restaurative Zahnheilkunde 14 Im Folgenden werden die Verweise auf die im Notdienst relevanten Themen gegeben: ► Schmerzpatient s. S. 95 ff. ► Kind mit Zahnschmerzen s. S. 156 ► Kiefer-, Gesichtsverletzungen s. S. 352 ff. ► Nachblutung s. S. 294 ► Zahnverletzungen s. S. 352 ff. ► Milchzahntraumata s. S. 159 ► Notfallsituationen im Rahmen der KFO-Behandlung s. S. 194 In den meisten Fällen werden nach der Notfalltherapie weitere therapeutische Maßnahmen erforderlich sein. Neben der Verhaltensaufklärung des Patienten ist die Mitgabe eines kurzen Arztbriefes (Kurzbrief) an den Hauszahnarzt oder im Falle einer Überweisung an den weiteren Behandler verantwortungsbewusst und sinnvoll. Er sollte einige kurze Angaben zu Anamnese, Befund, Diagnose, den durchgeführten Maßnahmen und verordneten Medikamenten und ggf. auch einen weiteren Therapievorschlag (z. B. adhäsive Wiederbefestigung eines erhaltenen Zahnfragments bei Zahntrauma) enthalten. Die Mitgabe von Röntgenaufnahmen im Original sollte vom Patienten auf der Karteikarte mit Unterschrift bestätigt werden, besser ist die Mitgabe von Kopien, allerdings ist die Möglichkeit der Röntgenbildkopie in der Praxis eher selten gegeben. Die Bevorratung von „Doppelfilmen“, die mit einer Belichtung 2 Bilder ergeben, ist eine empfehlenswerte Maßnahme. Bei digitalen Röntgenaufnahmen sollten diese nicht als meist schlechter Papierausdruck, sondern als digitale Röntgendatei auf Diskette oder CD übermittelt werden, und zwar so, dass die Übermittlungsform für die weiterbehandelnden Ärzte verwendbar und die Bildqualität zur Diagnostik geeignet ist. Auch sollte das Röntgenbild in einem gängigen Dateiformat übermittelt werden (z. B. jpg, jpeg, tiff, png). Weiterführende Literatur Hausamen JE. Welche Maßnahmen sind im zahnärztlichen Notdienst indiziert? Stellungnahme 8/95 der DGZMK. Zahnärztl Mitt. 1995; 85: 1982 Maeglin B. Checkliste Notfallsituationen in der zahnärztlichen Praxis. Stuttgart, New York: Thieme; 1992 Restaurative Zahnheilkunde Im Rahmen seiner Tätigkeit versieht der Zahnarzt in Klinik und Praxis Notdienste. Als typisch „zahnmedizinische Notfälle“ gelten akute Schmerzen, Blutungen, pyogene Infektionen oder Traumata. Die Ausführlichkeit der Anamnese und das Ausmaß der Befunderhebung und Therapie richten sich nach dem zur Beseitigung des akuten Notfalls Erforderlichen. Die Anamnese sollte jedoch keinesfalls den Ausschluss medizinischer Risiken versäumen, der Befund sollte alle zu einer sicheren Diagnosefindung erforderlichen Untersuchungsgänge (z. B. Röntgenbilder zur periapikalen Kontrolle bei Zahnschmerzen) umfassen und die Therapie sollte im Rahmen der gegebenen Möglichkeiten kausal sein (z. B. Trepanation und Wurzelkanalaufbereitung bei apikaler Parodontitis statt Schmerztabletten und Antibiotikum). Unbekannte Patienten sollten sich bei der Aufnahme anhand ihrer Personalpapiere ausweisen. Angaben zur Dauer der bestehenden Beschwerden (z. B. „seit einer Stunde unerträgliche Schmerzen“ bei einem sicher seit Monaten zerstörten Zahn) und zu Maßnahmen von Vorbehandlern (z. B. „hat ihr Kollege ja schon eine Füllung gemacht, aber die ist eine Woche später herausgefallen“ bei einem provisorischen Verschluss) sind nicht immer mit den vorliegenden Befunden vereinbar und dann sehr vorsichtig zu werten. Nicht wenige „Notdienst-Patienten“ suchen nach einer erfolgten Notfall- oder Schmerztherapie den Zahnarzt zur definitiven Versorgung nicht mehr auf. Es ist daher ratsam, sich nicht nur aus kollegialer Rücksichtnahme gegenüber fremden Patienten im Notdienst jeglicher Kommentare über Art oder Qualität der Vorbehandlung zu enthalten und die eigenen Behandlungsmaßnahmen sorgfältig zu dokumentieren. Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. 14 Funktionsstörungen 459 460 S. 243 ff. „trockene Alveole“, Alveolitis, Dolor post extractionem Notfallmaßnahme: konfektionierter Aufbissbehelf (Aqualizer), ggf. Medikamente (Oxaceprol) Myoarthropathie Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. Spreizung, Spülen des Perikoronarraums, Streifen, bei allgemeinen Symptomen (z.B. Fieber) ggf. Antibiotika Perikoronitis des Weisheitszahns (Dentitio difficilis) Palpation der Kaumuskulatur und Kiefergelenke schmerzhaft Restaurative Zahnheilkunde 14 Zahnärztlicher Notdienst je nach Trauma immer: Rö ggf. TetanusAuffrischung ggf. Antibiotika (s. S. 520 ff.) Vitalexstirpation, Wurzelkanalaufbereitung und Wurzelfüllung (Notfallmaßnahme: Entfernung der Kronenpulpa, nach Sistieren der Blutung Kortikoidpaste und Watte, p.V. [Notfallpulpotomie]) mechanische Reinigung, chem. Plaquekontrolle mit 0,2 %iger Chlorhexidindiglukonatlösung, bei allgem. Symptomen ggf. Anibiotika (s. S. 520 ff.) Restaurative Zahnheilkunde Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. ohne Eröffnung der Pulpa Zahnfleischbluten? Schlechter Geschmack? Lockerung? Zahnärztlicher Notdienst 14 461 ISO-Nummern-System (ISO 6360) Rotierende Instrumente Das ISO-Nummern-System informiert im Sinne einer international gültigen Identifikationsnummer über den Werkstoff des Arbeitsteils (A), die Schaftart (B), die Gesamtlänge (C), die Form und Ausführung des Arbeitsteils (D) und die Größe (Durchmesser) des Arbeitsteils (E). Die ISO-Nummer dient meist gleichzeitig auch als Bestellnummer für die rotierenden Instrumente. Das Beispiel zeigt den Aufbau der ISO-Nummer: C B D A E ISO: A: Werkstoff des Arbeitsteils Diamant B und C: Schaftart und Gesamtlänge FG D: Form und Ausführung zylindrisch, Kanten gerundet, Körnung mittel E: Nenngröße (ISO 2157) größter ∅ des Arbeitsteils in 1/10 mm 806 314 157 524 014 Einige Werkstoffe des Arbeitsteils: 1.–3. Stelle der ISO-Nummer Diamant 806 Edelkorund, rosa 625 Sinterdiamant 807 Arkansas-Stein (weiß) 635 655 Stahl 310 Si-Carbid, grün Stahl, rostfrei 330 Si-Carbid, Silikonbindung (Polierer) 658 Hartmetall 500 Oxidkeramik 660 Schaftart: 4.–6. Stelle der ISO-Nummer Handstck (H) Winkelstck (W) Friction grip (FG) 44 mm ¯ 2,35 mm 22 mm ¯ 2,35 mm 19 mm ¯ 1,60 mm ISO Bezeichnung/Länge ISO Bezeichnung/Länge ISO Bezeichnung/Länge 103 H kurz 34 mm 202 W Min 16 mm 313 FG kurz 104 H 44 mm 204 W 22 mm 314 FG 19 mm 105 HL 66 mm 205 WL 26 mm 314 FG L 21 mm 206 W XL 34 mm 316 FG XL 25 mm 16 mm Größe (größter Durchmesser des Arbeitsteils): 13.–15. Stelle der ISO-Nummer (Abbildungsmaßstab 1:1) 462 005 006 007 008 009 010 011 012 013 014 015 016 018 020 021 023 025 027 029 030 031 033 035 037 040 042 045 Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. Restaurative Zahnheilkunde 14 zu berücksichtigender Parameter ► Form und Größe Präparationsform (s. unten) ► Instrumentenart zu zerspanendes Material (hartes Material: Schleifinstrumente, weiches Material: Bohr- und Fräsinstrumente) ► Ausführung (Verzahnung/Körnung) Arbeitsgang (Vorpräparation: grob, Feinfinieren: extrafein) ► Schaftart Arbeitsgang (Drehzahl), Hand- und Winkelstück Typische Instrumentenformen und ihre Einsatzbereiche Birne Kavitätenpräparation für plastische Füllungen (Amalgam) Knospe, Ei Präparation von Lingualflächen, Abschrägungen Kugel Kavitätenpräparation für adhäsive plastische Füllungen, Kariesexkavation (Rosenbohrer) Konus (Inlay) Adhäsivinlaypräparation, Gussfüllungen (Kästen) Torpedo Hohlkehlpräparation Proxoshape Entfernung approximaler Restaurationsüberschüsse Zylinder, abgerundete Kanten Stufenpräparation, Inlaypräparation, Teilkronenpräparation Cavishape Finierung von Kastenpräparationen (Slots, Adhäsivinlays) Konus, abgerundet Separieren, Tangentialpräparation Bevelshape Randabschrägungen (Kompositfüllungen, Inlays, Teilkronen), Randgestaltung bei Veneerpräparationen Finieren von Hohlkehlpräparationen Körnungsangaben in Deutschland Kennzeichnung ∅ Korngröße supergrob (schwarzer Ring) 150 μm grob (grüner Ring) 125 μm mittel (nicht gekennzeichnet) 100 μm fein (roter Ring) 30 μm extrafein (gelber Ring) 15 μm ultrafein (weißer Ring) 8 μm Restaurative Zahnheilkunde Auswahl des Instruments 14 Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. Instrumentenformen und ihre Körnungen Körnungsangaben in der Schweiz Kennzeichnung ∅ Korngröße extragrob (schwarzer Ring) (125)–150 μm grob (grüner Ring) 120–130 μm mittel (nicht gekennzeichnet) 80–100 μm normal (blauer Ring) 80 μm fein (gelber Ring) 40 μm extrafein (weißer Ring) 25 μm superfein (roter Ring) 15 μm 463 Abformung Werkstoffe und typische Anwendungsbereiche irreversibel starre Abformwerkstoffe reversibel starre Abformwerkstoffe Abdruckgips Verschlüsselung bei intraoraler Registrierung Gipsschlüssel bei Zahnaufstellungen (thermoplastische) Kompositionsmassen funktionelle Randgestaltung bei Totalprothesen (Cu-Ring-Abdrücke) ZinkoxidEugenolPasten Zweitabformung für Totalprothesen und Hybridprothesen Unterfütterungen Altered-cast-Verfahren Guttapercha Resektionsprothetik/Obturatoren (Kauabformung) Kunststoffpasten Unterfütterungen temporäre Unterfütterung Wachse direkte Inlays Bissnahmen, FGP-Technik irreversibel elastische Abformwerkstoffe Alginate reversibel elastische Abformwerkstoffe Erstabformungen, Studienmodelle, (reversible) Hydrokolloide Gegenbiss, KFO, Modellgussprothetik (Agar-Agar) Elastomere ► Polysulfide ► Silikone ► C-Silikone (Siloxane) ► A-Silikone (Polyvinylsiloxane) Inlays, Kronen-/ Brückenarbeiten, Funktionsanalytik Konsistenz („Phasen“) von Elastomeren je nach Wahl des Produkts und der Konsistenz praktisch für alle Abformungen geeignet (siehe Checkliste Abformmassen) ► leichtfließende Massen light bodied ► mittelfließende Massen regular bodied ► schwerfließende Massen heavy bodied ► Knetmassen putty ► Polyäther Prinzipielle Abformmethoden Normalabformung Abformmaterial wird mit dem Löffel in den Mund eingebracht; einzeitige und einphasige Abformung (typisch: Situationsabformung mit Alginat). Spritzabformung Abformmaterial wird mithilfe einer Applikationsspritze an bestimmte Bereiche des Abformobjekts (z. B. präparierter Zahn) appliziert, darüber wird der Abformlöffel mit Abformmaterial eingebracht; einzeitige, ein- oder zweiphasige Abformung (typisch: Stumpfabformung mit Elastomeren). Korrekturabformung hochvisköses Abformmaterial wird mit dem Löffel eingebracht, nach dem Abbinden wird im Bereich des Abformobjekts eine Platzreserve herausgeschnitten, das Abformobjekt mit leichtfließendem Korrekturmaterial beschickt und die Abformung wieder reponiert; beim Abbinden verbindet sich Korrekturmasse mit Löffelmasse; zweizeitige und zweiphasige Abformung. Zeitablauf und Zeitbegriffe bei der Abformung Weiterführende Literatur Wirz J, Jäger K, Schmidli F. Abformung in der zahnärztlichen Praxis. Stuttgart, Jena, New York: Gustav Fischer; 1993 464 Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. Restaurative Zahnheilkunde 14 Abformmaterial Produkt (Beispiele) Konsistenz, Art V-Zeit A-Zeit Modellherstellung Bemerkungen Alginat Palgaflex (Espe) normal abbindend 1 min 45 s 3 min 45 s sofort nach Abformung kaltes Wasser verwenden A-Silikon President (Coltene) Löffel: regular bodied (blau) 2 min 5 min Spritze: light bodied (grün) 2 min 6 min frühestens 3 Stunden nach Abformung dünnfließende Phase mit Vorteil aus Kartusche (President Jet) Polyäther Impregum (Espe) mittelfließend (auch Löffelmaterial für Permadyne) 3 min 6 min frühestens 3 Stunden nach Abformung schwierig anzurühren, mit Vorteil maschinell im Pentamix-Mischgerät Polyäther Permadyne (Espe) Spritze: dünnfließend (blau) 3 min 6 min Löffel: fest (orange) 3 min 6 min frühestens 3 Stunden nach Abformung dünnfließende Phase mit Vorteil aus Kartusche (Permadyne Garant) ZinkoxidEugenolPaste SS. White (Ubert) fest (reversibles) Hydrokolloid VaR Acculoid (Dentex) Spritze: Pink Catri-Loids dünnfließend Löffel: mittelfließend V-Zeit: Verarbeitungszeit, A-Zeit: Abbindezeit. 5 min unmittelbar nach Abformung möglich 1. Material für Löffel und geladene Spritze 15 min bei 99 ° C aufkochen (Bad 1), dann in Lagerbad (Bad 2) mit 65 ° C umsetzen (Verweildauer mind. 10 min) 2. Löffelmaterial 5 min vor Abdruck in Temperierbad (Bad 3) mit 45 °C legen 3. Spritze aus Bad 2 entnehmen, Stumpf umspritzen, Assistenz füllt mit Löffelmaterial den Löffel 4. Löffel einsetzen, Wasserkühlung einschalten, 5 min Verweildauer im Mund 5. Abdruck entnehmen, nach Neutralisation in K2SO4 (5 min) gleich ausgießen! Restaurative Zahnheilkunde Checkliste der in der Praxis verwendeten Abformmaterialien Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. 14 Abformung 465 Ästhetik Ästhetik ist ein heutzutage in der Zahnmedizin häufig verwendeter Begriff mit einer langen philosophischen Tradition. Ästhetik ist nicht objektivierbar, nicht messbar. Die Beurteilung der ästhetischen Wirkung einer Restauration kann für Zahnarzt und Patient sehr verschieden sein. Die ästhetische Wirkung der Zähne ist im Zusammenhang der Mundpartie und des Gesichts eingebunden. Als Prinzipien ästhetisch vorteilhafter Wirkungen gelten (dynamische) Symmetrie, d. h. das Gegenüberstehen zweier sehr ähnlicher, aber nicht völlig spiegelbildlich identischer Hälften, Harmonie der Proportionen und visuelles Gleichgewicht. Bestimmten Proportionen wird eine besondere, harmonische Wirkung zugesprochen. Die sogenannte „sectio aurea“, der „Goldene Schnitt“, der angeblich auf Pythagoras zurückgeht, ist eine in Kunst und Architektur schon lange bekannte Beziehung: Das Verhältnis eines Kleineren zu einem Größeren entspricht der Summe des Ganzen bezogen auf das Größere: K G 2 pffiffiffi = 0,618 = = G G+K 1+ 5 Die Bedeutung des „Goldenen Schnitts“ für Proportionen des Gesichts „Dentale, dentofaziale und faziale Kompositionen umfassen zahlreiche Relationen, die auf einseitige oder symmetrische Teilung im Goldenen Schnitt untersucht werden können. Die Proportionen des Gesichtes sind bei jedem Menschen anders. Proportionen sind von qualitativem Wert für das gute Aussehen.“ (Rufenacht 1990) 1 1,618 1 1 0,309 1 1,618 1 1,618 1 0,309 Abbildung: Rufenacht CR. Ästhetik in der Zahnheilkunde – Grundlagen und Realisierung. Berlin: Quintessenz Verlag GmbH; 1990. 466 Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. Restaurative Zahnheilkunde 14