SÜDWESTRUNDFUNK SWR2 WISSEN - Manuskriptdienst „Ötzi

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SÜDWESTRUNDFUNK
SWR2 WISSEN - Manuskriptdienst
„Ötzi und die Detektive 20 Jahre Rätsel um den Gletschermann“
Autor: Michael Stang
Sprecherin: Dörte Tebben
Redaktion: Sonja Striegl
Sendung: Mittwoch, 7. September 2011, 8.30 Uhr, SWR2
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O-Ton 1 - Eduard Egarter-Vigl:
Der Tod ist durch Blutverlust eingetreten. Ursache ist die Schussverletzung und die
Verletzung der Arterie in der Achselhöhle.
O-Ton 2 - Albert Zink:
Interessant ist natürlich zu sehen, was hat er wirklich gegessen kurz vor seinem Tod?
Also, nicht nur zu verstehen, was er generell zu sich genommen hat, sondern wirklich;
was war sein letztes Mahl, bevor er dann ermordet worden ist?
O-Ton 3 - Barbara Abrate:
Ötzi kommt von, also da wurde gemischt: Ötztaler Alpen mit Yeti, weil zu der Zeit war
das mit dem Yeti ein Thema, weil der Reinhold Messner da in Tibet unterwegs war und
deswegen wurden die zwei Namen gemischt und dieser Name hat sich dann zuletzt
durchgesetzt.
Ansage:
„Ötzi und die Detektive - 20 Jahre Rätsel um den Gletschermann“. Eine Sendung
von Michael Stang.
Sprecherin:
Am 19. September 1991 entdeckten Wanderer in den Ötztaler Alpen auf 3.210 Metern
Höhe eine Leiche. Dem Schrecken, einen wohl verunglückten Bergsteiger gefunden zu
haben, folgte bald die Freude, eine wissenschaftliche Sensation entdeckt zu haben. Der
Tote erwies sich als besterhaltene Gletschermumie der Welt und als älteste: 5.300
Jahre alt. Schnell bekam sie den liebevollen Namen „Ötzi“.
Atmo: Rundgang Museum
Sprecherin:
Auch 20 Jahre nach seiner Entdeckung ist „der Mann aus dem Eis“ weltberühmt. Noch
immer lockt er 230.000 Besucher jährlich nach Bozen in Südtirol:
O-Ton 4 - Barbara Abrate:
Willkommen im Südtiroler Archäologie-Museum.
Sprecherin:
Barbara Abrate führt durch die Jubiläums-Ausstellung „Ötzi 2.0“ (Aussprache: Ötzi Zwei
Null), die nach aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen gestaltet wurde. Ihr Highlight
ist die neue Rekonstruktion von Ötzi:
O-Ton 5 - Barbara Abrate:
Und nun eben zur Neuigkeit der Ausstellung, nämlich eben das neue Gesicht vom
Ötzi…(Schritte)…ja, hier wäre er …also, die Größen sind natürlich jetzt realistisch, 1,60
Meter, ungefähr eine Konstitution von 50 Kilos…
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Sprecherin:
Dieser Mann, der die Besucher im Eingangsbereich des Museums anschaut, wirkt so als
wäre er gerade die Berge herabgestiegen. Sein von der Sonne gegerbtes, faltiges
Gesicht mit grauem Vollbart lässt ihn älter wirken als die 46 Jahre, auf die ihn die
Forscher schätzen. Doch sein Körper ist muskulös und durchtrainiert, das lange Haar
gebunden zum Zopf.
O-Ton 6 - Barbara Abrate:
Ja, es war schon ein älterer Mann, deswegen wird er natürlich hier als eben ältere
Person dargestellt, deswegen auch diese grauen Haarsträhnen …
Sprecherin:
Die Rekonstruktion des Mannes, der vor 5.300 Jahren über die italienischen Alpen zog
und von einem Pfeil getroffen bäuchlings im Eis starb, soll den Besuchern mit einem
Blick klar machen, dass Ötzi ein moderner Mensch war. Mit seiner Kleidung war er
bestens an das wechselnde Wetter angepasst: er trug einen Grasumhang und einen
Mantel aus Ziegenleder, eine Mütze aus Bärenfell und aufwändig konstruierte
Lederschuhe mit der Fellseite nach Innen. Er besaß ein Beil, dessen Klinge fast aus
reinem Kupfer war, und hatte Pfeil und Bogen bei sich. An Rücken, Armen und Beinen
war Ötzi tätowiert. Würde man die Figur in atmungsaktive Wanderhosen und
wasserabweisende Stiefel stecken, würde ihn kaum jemand als einen Vertreter der
Jungsteinzeit ausmachen - jene Zeit, in der die Menschen begonnen hatten, Felder zu
bestellen und Vieh zu züchten.
Atmo: Rundgang Museum aus
Sprecherin:
Zu den Wissenschaftlern, die sich mit der Gletschermumie beschäftigen dürfen, gehört
Museumsdirektorin Angelika Fleckinger. Sie „kennt“ Ötzi schon aus Studientagen:
O-Ton 7 - Angelika Fleckinger:
Also, damals 1991 war ich selbst noch Studentin an dem Institut, das Ötzi betreut hat.
Sprecherin:
Das war in den ersten Jahren noch im österreichischen Innsbruck. Die damalige
Archäologie-Studentin bekam schnell mit, dass es sich bei dem Fund um ein
Jahrhundertereignis handeln musste.
O-Ton 8 - Angelika Fleckinger:
Wir haben festgestellt, dass die Professoren plötzlich keine Zeit mehr für uns haben und
mit Ötzi beschäftigt sind, dass die Vorlesungen später losgehen und es war für alle
schon sehr aufregend, also sowohl für die Professoren als auch für uns Studentinnen.
Sprecherin:
Die ersten sieben Jahre nach seiner Entdeckung wurde Ötzi in Innsbruck gelagert und
untersucht. Erst 1998 mit der Überstellung nach Bozen endete ein langer juristischer
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Streit zwischen Österreich und Italien, welchem Land die Mumie nun gehörte. Exakte
Messungen ergaben, dass Ötzi entscheidende 92 Meter weit hinter der italienischen
Grenze gefunden worden war. Als Resultat musste er nach Südtirol überführt werden.
Seither wird die Mumie in einem abgedunkelten Raum im 1. Stock des Museums
ausgestellt. Durch ein kleines, acht Zentimeter dickes Sichtfenster blicken die Besucher
direkt in die Hightech-Kühlkammer auf den eingefallenen Körper. Dieser ist mit einer
zarten Eisschicht überzogen.
O-Ton 9 - Eduard Egarter-Vigl:
Was hier dem Besucher sich präsentiert, ist für viele eine Plastikpuppe. Und diese
Präsentation hier, diese glasurartige Konservierung, ist für uns eigentlich das
momentane Endergebnis einer langjährigen Entwicklung hin zur bisher optimalen
Konservierungstechnik.
Sprecherin:
Der Chefkonservator Dr. Eduard Egarter-Vigl hat hervorragende Arbeit geleistet und mit
der Konservierung Ötzis wissenschaftliches Neuland betreten. Die Mumie sollte
schließlich nicht nur für die Forschung konserviert, sondern auch einem breiten
Publikum im Museum präsentiert werden:
O-Ton 10 - Eduard Egarter-Vigl:
Es gab ja keine Erfahrungswerte, auf die man sich hätte stützen können, weil eine so
genannte Teilfeuchtmumie wie der Mann aus dem Eis gibt’s bislang nicht in der
musealen Welt.
Sprecherin:
Wie wertvoll Ötzi für das Museum und für die Wissenschaft ist, beweist der
ausgeklügelte Evakuierungsplan für den Fall eines Brandes oder eines Erdbebens. Alle
möglichen Szenarien seien von der Bozener Feuerwehr durchgespielt worden, erzählt
Angelika Fleckinger.
O-Ton 11 - Angelika Fleckinger:
Wenn das Gebäude einsturzgefährdet wäre, dann müsste die Mumie evakuiert werden
und das erfolgt über ein Fenster in der ersten Etage des Museums. Sie wird also über
eine Drehleiter hinunter gebracht, in einen Rettungswagen gepackt und in das
Krankenhaus Bozen gebracht, wo eine Reservekühlzelle also ständig mitläuft und für
einen Notfall zur Verfügung steht.
Sprecherin:
Ötzi würde im Notfall aus der Kühlzelle heraus geholt.
O-Ton 12 - Angelika Fleckinger:
Die Mumie selbst wird in sterile Tücher gepackt, ohne Eis, weil sie kann natürlich auch
über eine gewisse Zeit ohne Kühlung verbleiben ohne Schaden zu nehmen und dann
auf ein Tragegestell gelegt und auf diesem Tragegestell dann nach außen transportiert,
in Folien gewickelt, so dass sie nicht verschmutzt wird und dann auf diesem kurzen Weg
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bis ins Krankenhaus gebracht. Das Ganze müsste innerhalb von 20 Minuten
abgewickelt sein.
Sprecherin:
Die Evakuierungsfrage ist also geklärt. Andere Fragen sind noch offen wie zum Beispiel
die nach Ötzis Beruf: war er Jäger, Hirte, ein Bote oder ein Schamane? Konnte er
bereits Frischmilch vertragen oder bekam er davon Durchfall wie alle Menschen früher?
Gibt es noch lebende Organismen auf oder in der Mumie, die dort seit Lebzeiten oder
erst nach dem Tod Ötzis Körper besiedelten?
Im Lauf der vergangenen 20 Jahre haben rund 100 wissenschaftliche Teams versucht,
Ötzis Geheimnissen auf die Spur zu kommen: Botaniker, Mediziner, Archäologen,
Gletscherforscher, Geologen und Physiker aus der ganzen Welt. Für die
Untersuchungen haben sie teilweise neue Verfahren entwickelt. So analysierten
Forscher aus den USA seine Anatomie im Detail, Archäobotaniker aus Innsbruck
untersuchten seinen Darminhalt, Grazer Wissenschaftler machten alle Tätowierungen
des Mannes aus dem Eis sichtbar und australischen Kollegen gelang der Nachweis,
dass Ötzi kein Zugezogener war, sondern aus Südtirol stammte.
Auf manche Antworten werden die Forscher vielleicht weitere 20 Jahre warten müssen,
bis wieder neue Methoden bereit stehen. Da die Untersuchungen an Ötzi auch einen
Eingriff in die Mumie darstellen, werden alle Forschungsanträge sorgfältig geprüft.
O-Ton 13 - Angelika Fleckinger:
Die Anfragen (für Forschungsprojekte) werden von einem Fachbeirat auch geprüft und
begutachtet und gegebenenfalls dann auch genehmigt, wenn es sich nicht um zu
invasive Eingriffe handelt, so dass wirklich an erster Stelle die Konservierung der Mumie
steht und stehen bleiben muss.
Sprecherin:
Zum Glück der Forscher war Ötzis Erhaltungszustand bei seiner Entdeckung vor 20
Jahren sehr gut. Direkt nach seinem Tod war er in der eiskalten Umgebung rasch
ausgetrocknet. Durch den Wasserverlust reduzierte sich sein geschätztes
Lebendgewicht von rund 53 auf das heutige Gewicht von 13,7 Kilogramm. All diese
Details sind Dr. Eduard Egarter-Vigl bestens vertraut. Denn keiner kennt die Mumie
besser als der Südtiroler Gerichtsmediziner, den die Landesregierung in Bozen 1997
zum Konservator von Ötzi bestimmt hat. Egarter-Vigl sitzt außerdem im Fachbeirat, der
über die Forschungsanträge abstimmt. Zu seinem Glück gehörte auch, dass Ötzi zwar
rasch, aber nicht vollständig ausgetrocknet ist, da er während der vergangenen 5.300
Jahre fast die ganze Zeit von Schnee bedeckt war.
O-Ton 14 - Eduard Egarter-Vigl:
Der Mann ist ja über weite Strecken im Eis gelegen, wobei die Dicke des Eises über ihm
variiert hat im Laufe der Zeit. Es kann mal von einer sehr dünnen Schneeschicht bis hin
zu zehn, 15 Meter dicke Eisschicht gegangen sein.
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Sprecherin:
Der Schnee hielt sein Gewebe elastisch, die Weichteile sind gut erhalten. Auch haben
sich keine Aasfresser oder Insekten am Leichnam zu schaffen gemacht. Da Ötzi die
Jahrtausende im Eis gut überstanden hat, lag es für Egarter-Vigl auf der Hand, für ihn
ähnliche Bedingungen in einer Kühlzelle zu schaffen:
O-Ton 15 - Eduard Egarter-Vigl:
Diese filmartige Eisschicht, die über dem Körper liegt, hat einen bestimmten Grund: sie
gibt dem Körper in seiner oberflächlichen Schicht eine so genannte Feuchtigkeitsreserve
und diese Glasurschicht müssen wir ja im Grunde genommen fast alle drei Monate
erneuern, weil sie sich durch physikalische Gesetze hin verbraucht.
Sprecherin:
Das passiert in der Ersatzkühlzelle nebenan.
O-Ton 16 - Eduard Egarter-Vigl:
Wir nehmen ihn runter, wir fahren ihn raus, da ist eine Tür an der Seite. Das Ganze läuft
auf so einem Trolley mit Rädern und kommt dann in die Laborzelle; das ist dieser Raum,
wo auch die ganzen wissenschaftlichen Untersuchungen dann letztendlich durchgeführt
werden.
Sprecherin:
Und hier hat der Gerichtsmediziner auch den grausamen Tod von Ötzi rekonstruiert: Der
Jungsteinzeit-Mensch ist nicht eines natürlichen Todes gestorben oder hat einen Unfall
erlitten, sondern er wurde hinterrücks erschossen.
O-Ton 17 - Eduard Egarter-Vigl:
Das Todesszenario ist ganz klar: er wurde von einem Pfeil in den Rücken getroffen, so
weit ist das gerichtsmedizinisch bewiesen.
Sprecherin:
Egarter-Vigl und sein Team konnten nachweisen, dass der Pfeil eine Arterie
durchstoßen hatte. Dadurch blutete Ötzi schnell aus, was ebenfalls zu seiner guten
Erhaltung beitrug. Folgendes Szenario hält der Forscher mittlerweile für das
wahrscheinlichste: Ötzi muss sich sicher gefühlt haben, denn er hatte seine
Ausrüstungsgegenstände abgestellt und ganz entspannt eine gute Mahlzeit zu sich
genommen. Kurz darauf traf ihn der Pfeil. Die Pfeilspitze steckt bis heute in der Schulter
und wird dort auch bleiben. Der Pfeilschaft hingegen fehlt. Vermutlich hat der
Todesschütze ihn aus der Wunde gezogen, um als Mörder nicht identifizierbar zu sein.
Dass Ötzi etwa 20 Minuten vor seinem Tod reichlich gegessen hatte, konnten die
Bozener Forscher im November vergangenen Jahres detailliert nachweisen. Sie hatten
bei einer der größten wissenschaftlichen Untersuchungen, die je an Ötzi vorgenommen
wurde, seinen gesamten, kaum verdauten Mageninhalt entnommen - fast 250 Gramm.
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O-Ton 18 - Eduard Egarter-Vigl:
Das Volumen dieser letzten Mahlzeit ist beträchtlich. Und der frühe Verdauungszustand
lässt die Möglichkeit zu, eine verlässliche chemische Analyse durchzuführen.
Sprecherin:
Vorläufige Untersuchungsergebnisse zeigen, dass der Mageninhalt extrem fetthaltig ist:
es gibt eine Vielzahl großer Stücke, die fast aus reinem Fett bestehen.
O-Ton 19 - Eduard Egarter-Vigl:
Das kann jetzt zweierlei bedeuten. Einmal könnte das Fett tierischen Ursprungs sein, im
Sinne von fetthaltigem Fleisch. Dann müsste man aber abgehen von der Hypothese,
dass es sich um Wild handelt, weil Wild in den seltensten Fällen viel Fett enthält. Wenn,
dann müsste es Zuchtvieh sein, also Schweinefleisch oder Schaffleisch. Die andere
Möglichkeit wäre, dass es sich zwar um tierisches Fett handelt, aber Fett aus der Milch
gewonnen, also um Käse oder um Butterähnliche Substanzen. Dafür würde sprechen,
dass bestimmte Partikel keine Faserstruktur enthalten.
Sprecherin:
Möglicherweise trifft beides zu. Jedenfalls war der Speisezettel von Ötzi
abwechslungsreich. Die Wissenschaftler fanden Spuren von Steinbockfleisch und
bereits gut angedaute Reste von Hirschfleisch und Körnern. Sie erhalten so Hinweise
auf die Lebensumstände des Mannes aus dem Eis. Die Menschen aus der Kupferzeit
haben Steinbock und Hirsch gejagt, sie haben vermutlich bereits Schafe und Ziegen
domestiziert, die ihnen nicht nur Fleisch, sondern Felle, Wolle und Milch geliefert haben.
Außerdem verfügten sie über naturmedizinische Kenntnisse. Ötzi hatte Teile des
Birkenporlings bei sich. Ein Baumpilz, der antibiotisch wirkt und zum Stillen von
Blutungen benutzt werden kann.
Solche Erkenntnisse sind nur dank neuester Untersuchungsmethoden möglich, betont
Prof. Albert Zink. Er ist Leiter des „EURAC-Instituts für Mumien und den Iceman“ in
Bozen - einem weltweit einmaligen Institut, das sich nur mit der Erforschung von Ötzi
und anderen Mumien beschäftigt. Der deutsche Anthropologe, der bereits die
Verwandtschaftsverhältnisse von Tutanchamun erforscht hat, legt Wert auf seriöse
Forschungsergebnisse.
O-Ton 20 - Albert Zink:
Also, es ist immer noch so der Fall, dass die Phantasie sehr stark blüht und immer
wieder neue Theorien zutage fördert. Wir bemühen uns eben darum, möglichst viele
Fakten zu sammeln, möglichst viele wissenschaftliche Belege zu finden, wie es denn
stattgefunden haben könnte.
Sprecherin:
So war es auch bei seinem ersten Forschungsauftrag 2003. Zink sollte die Schnittwunde
an Ötzis rechter Hand untersuchen, die die Medien bereits als Beweis dafür feierten,
dass er sich mit seinem Mörder einen heroischen Todeskampf geliefert habe.
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O-Ton 21 - Albert Zink:
Und die Frage war: Ist diese Wunde sozusagen kurz vor seinem Tod zugefügt worden
oder schon einige Tage davor? Wir konnten herausfinden, dass diese Schnittwunde
schon einige Tage alt war und nicht direkt mit seinem Tod in Zusammenhang steht.
Sprecherin:
Denn Zink konnte nachweisen, dass der Heilungsprozess schon im Gang war. Damit
war die These vom heroischen Ötzi natürlich vom Tisch. Das sei eben Wissenschaft,
sagt Zink abgeklärt. Er weiß, dass es auch Fragen gibt, die er niemals wird beantworten
können. Beispielsweise wer Ötzis Mörder war oder welches Motiv ihn trieb. Denn
rätselhaft scheint, dass der Mörder beispielsweise das kostbare Kupferbeil hat liegen
lassen. Für interessanter aber als alle Morddetails hält Albert Zink sowieso andere
Fragen. Die nach der Herkunft des Gletschermannes etwa. Diesen Geheimnissen
kommen die Ötzi-Experten erst langsam auf die Spur, weil sich die Methoden der
Genetik in jüngster Zeit enorm weiterentwickelt haben.
O-Ton 22 - Albert Zink:
Wir haben zum einen eine Probe auch 2007 bereits genommen, an der wir sozusagen
die Erstuntersuchung gemacht haben und wir haben dann noch eine zweite genommen,
um das auch zu bestätigen und noch weiter zu führen und das war jetzt erst im Herbst
letzten Jahres, also 2010.
Sprecherin:
Eines der ersten Ergebnisse der genetischen Untersuchung betrifft die Augenfarbe.
Früher vermuteten die Forscher, er habe grau-blaue Augen gehabt. Jetzt ist klar: Ötzis
Augen waren braun. Die Frage nach der Herkunft ließ sich immerhin soweit klären, dass
Ötzi kein Fremder in den Alpen war, sondern aus dieser Region stammte. Er war südlich
des Fundortes aufgewachsen und dort wohl auch wohnhaft geblieben. Weitere
Antworten stehen noch aus:
O-Ton 23 - Albert Zink:
Uns geht’s vielmehr darum zu verstehen: ist die Bevölkerung, aus der der Eismann
stammt, sozusagen heute noch ansässig? Gibt’s die noch sozusagen? Vielleicht ist die
auch irgendwo hier ansässig in Südtirol? Gibt es eine Population, die vielleicht noch
näher mit ihm verwandt ist als eine andere Bevölkerungsgruppe? Dann kann man
gucken, wie sich sozusagen die Bevölkerung entwickelt hat oder es kann auch sein,
dass wirklich seine Bevölkerungsgruppe ausgestorben ist oder weggezogen ist oder
verdrängt worden ist.
Sprecherin:
Trotz intensiver Suche haben die Wissenschaftler bislang keinen lebenden Menschen
mit einem ähnlichen genetischen Profil gefunden. Dies bedeute jedoch nicht, dass Ötzi
ohne Nachkommen gestorben sei, meint Albert Zink. Man dürfe schließlich nicht
vergessen, dass es sich hier um genetische Informationen handelt, die 5.300 Jahre alt
sind. Seit dieser Zeit lebten mehr als 210 Generationen, in denen die Erbinformationen
zahlreicher Populationen Südtirols reichlich durchmischt wurden. Für viel interessanter
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hält Zink ohnehin die Frage, ob sich in Ötzis Erbgut Hinweise auf Krankheiten finden,
unter denen wir heute noch leiden.
O-Ton 24 - Albert Zink:
Also, meine große Hoffnung und das ist auch ein bisschen mein Hauptinteresse an der
ganzen Geschichte ist zu sehen, ob es in seinem Genom schon Krankheitsanlagen gibt.
Sprecherin:
Um das herauszufinden suchte Albert Zink einen Genetikexperten, der nicht nur mit
modernen Methoden arbeitet, sondern auch das Gespür und die Ausdauer für solch ein
Projekt mitbringt. Er fand den Humangenetiker Dr. Carsten Pusch von der Universität
Tübingen. Pusch erforscht seit Jahren ägyptische Mumien. Er konnte schon in einigen
Fällen nachweisen, dass die nordafrikanischen Herrscher an einer Vielzahl von
Krankheiten litten. Die Frage war nun: Litt Ötzi vielleicht auch an Krankheiten, die man
nur mithilfe der Genetik nachweisen kann? Albert Zink schickte Carsten Pusch für die
Genomanalyse eine Knochenprobe aus dem linken Beckenkamm Ötzis. Bis heute hat
der Tübinger Forscher nicht mehr vom weltberühmten Gletschermann gesehen als
diese winzige Probe:
O-Ton 25 - Carsten Pusch:
Also, sie werden lachen, ich habe Ötzi noch gar nicht gesehen. Ich habe eine Biopsie
von Ötzi gesehen, aber das war auch alles... // Diese Probe ist wirklich wahnsinnig toll.
Sprecherin:
Die Knochenprobe sollte zeigen, wie viel DNA nach den 5.000 Jahren im Eis überhaupt
noch erhalten ist. Mit der „Gesamtgenomsequenzierungsmethode“ wurde das Projekt
angegangen. Bei diesem Verfahren wird jegliches Erbgut sequenziert, das in der Probe
enthalten ist - nicht nur das menschliche.
O-Ton 26 - Carsten Pusch:
Die große Herausforderung bei der Methode liegt darin, später dann mit diesen wirklich
sehr, sehr komplizierten bioinformatischen Verfahren, mit leistungsstarken Rechnern,
raus zu sortieren: wem gehört jetzt welche DNA? Die sortieren wir quasi in so Töpfchen
und da steht dann auch ein Name drauf, wie zum Beispiel eben halt Pilze, Pflanzen,
Bakterien, menschliche DNA und so weiter.
Sprecherin:
Die DNA aus den jeweiligen Töpfchen glich Pusch anschließend mit DNA-Datenbanken
ab und routinemäßig mit dem genetischen Fingerabdruck aller Mitarbeiter, um mögliche
Verunreinigungen auszuschließen. Carsten Pusch ist mit dem Resultat sehr zufrieden.
Rund 80 Prozent von Ötzis Erbgut konnte das Tübinger Team entschlüsseln.
O-Ton 27 - Carsten Pusch:
Ötzi ist der einzige Mensch, der in der Form mit so viel Weichteilerhaltung und dem
quasi dazugehörigen Bild, das die Wissenschaftler und auch die Allgemeinbevölkerung
von ihm haben, existiert und das ist praktisch der Prototyp aus dem Neolithikum.
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Sprecherin:
Wie also der Durchschnittsbürger aus der Jungsteinzeit genetisch ausgesehen hat,
werden die Forscher in den nächsten Jahren herauszufinden versuchen. Ihr Ziel ist,
Gene und Varianten von Genen zu finden, die auf heute bekannte Krankheiten
schließen lassen. Womöglich könnten daraus Erkenntnisse abgeleitet werden, die für
die moderne Medizin interessant sind.
Carsten Pusch und Albert Zink würden auch gerne Hinweise auf Krankheiten genetisch
bestätigen, die andere wissenschaftliche Untersuchungen geliefert haben. Radiologen
beispielsweise vermuten, dass Ötzi unter Arteriosklerose gelitten hat.
O-Ton 28 - Albert Zink:
Beim Ötzi gibt’s ja auch radiologisch gesehen Hinweise darauf, dass er zumindest eine
mildere Form von Gefäßverkalkung hatte. Und da ist es natürlich interessant zu sehen:
Ist es jetzt etwas, was mit der Ernährung mehr zu tun hat oder vielleicht auch wirklich
mit den genetischen Anlagen?
Sprecherin:
Bislang gingen Forscher davon aus, dass ausschließlich ein bestimmtes Risikoverhalten
- fettreiche Ernährung, kombiniert mit einem Mangel an Bewegung - diese
„Zivilisationskrankheit“ auslöst. Carsten Pusch beschreibt den typischen Patienten so:
O-Ton 29 - Carsten Pusch:
Also sprich so ein Couchpotato, irgendwie also ein fauler Heini, der sich nicht bewegt,
der irgendwie, was weiß ich, nur das Essen in sich reinstopft und so weiter und so fort.
Sprecherin:
Hätte Ötzi tatsächlich eine Gefäßverkalkung gehabt, wäre dies bei seiner
Lebensführung höchst erstaunlich. Ursache dafür könnten jedenfalls nicht die beiden
klassischen Risikofaktoren gewesen sein. Die Wissenschaftler erwarten die Ergebnisse
der genetischen Analysen mit Spannung. Die ersten Daten zeigen bereits, dass die
Genetik tatsächlich solche Fragen beantworten kann, freut sich Albert Zink.
O-Ton 30 - Albert Zink:
Und ich denke, da kann man einen ganz wichtigen Beitrag dazu leisten, zu verstehen,
wie sich solche Krankheitsanlagen entwickelt haben über viele tausend Jahre. Wie die
sich vielleicht später in der Bevölkerung ausgebreitet haben, wie sich diese etabliert
haben und vielleicht auch so, das ist immer mein Ideal, was mir vorschwebt, dass man
mit solchen Erkenntnissen zumindest beitragen kann, um diese Krankheiten besser zu
verstehen und vielleicht auch wirklich ganz neue Ansätze zu finden, wie man solche
Krankheiten besser vermeiden kann.
Sprecherin:
Damit die verschiedenen Forscherteams weiterhin ihre Fragen an den Mann aus dem
Eis stellen können, wacht Konservator Eduard Egarter-Vigl über Ötzis Konservierung.
Dabei geht er kein Risiko ein. Alle neuen Ideen werden an einem Modellkörper getestet.
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Erste Konservierungsmethoden testeten damals noch die Innsbrucker Kollegen an
einem Spenderkörper. Dieser Tote mit dem Spitznamen „Ötzi2“ hatte zu Lebzeiten
seinen Leichnam der Wissenschaft vermacht. Die ersten Versuche waren nicht von
Erfolg gekrönt:
O-Ton 31 - Eduard Egarter-Vigl:
Ötzi2 ist bei der Gefriertrocknung in Innsbruck kaputtgegangen.
Sprecherin:
Eine zweite Körperspende musste her. Dieser neue Leichnam sollte Ötzi von seiner
Erhaltung her so nahe wie möglich kommen. Es galt, binnen kurzer Zeit eine
Trockenmumie zu schaffen.
O-Ton 32 - Eduard Egarter-Vigl:
Das Institut für Anatomie verfügt ja über einen reichen Leichenfundus für
Studienzwecke. Man hat eine Leiche genommen und hat ein Rohr gebaut und in dieses
Rohr den Körper eingebracht und dann auf einer Seite mit Ventilatoren Luft in dieses
Rohr hinein geblasen und war so imstande, in einem Zeitraum von circa drei Monaten,
die Körpermasse so herunter zu trocknen, dass im Grunde genommen ein
vergleichbarer Mumienzustand erreicht wurde wie beim Eismann.
Sprecherin:
Dieser Probebody, der den Namen „Ötzi 3“ bekommen hat, liegt nun seit wenigen
Jahren direkt hinter dem Original in der 2. Kühlzelle im Bozener Museum. Sämtliche
neuen Konservierungsschritte werden zuerst an der Versuchsmumie ausprobiert.
Derzeit überlegen Eduard Egarter-Vigl und seine Kollegen, ob die atmosphärische Luft
in der Kühlzelle über die Jahre zur Zersetzung des Gewebes führen könnte. Denn in der
Luft befinden sich theoretisch auch Bakterien, die Ötzi schaden könnten. Alle
Werkzeuge, die Waffen und auch die Kleidung der Mumie wurden anders konserviert:
sie liegen in Vitrinen mit stark stickstoffhaltiger Luft. Das sei auch eine Option für Ötzi,
sagt Egarter-Vigl:
O-Ton 33 - Eduard Egarter-Vigl:
Ötzi ist vorbereitet für eine Stickstoffanreicherung. Wir haben die ganzen Rohrsysteme
gelegt, wir haben Systeme gebaut, um den Stickstoff zu kühlen und anzufeuchten, bevor
er in die Zelle eingepumpt wird. Aber, wir haben diesen Prozess noch nicht aktiviert. Er
läuft probeweise in der Parallelzelle, wo eben dieser Ötzi3, diese Probemumie, liegt und
die Ergebnisse sind noch nicht vorhanden, die laufen, die laufen über Monate und dann
werden wir weitersehen.
Sprecherin:
Die Suche nach der optimalen Konservierung Ötzis hat für Eduard Egarter-Vigl eine
hohe Priorität.
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O-Ton 34 - Eduard Egarter-Vigl:
Der Mann überlebt uns alle - das ist sicher,… wir müssen halt für die nachfolgenden
Wissenschaftsgenerationen versuchen, diesen Körper so zu erhalten, dass
Forschungen mit den Möglichkeiten, die in der Zukunft die Naturwissenschaft schaffen
wird, er noch einigermaßen in gutem Zustand ist.
Sprecherin:
Denn das haben die vergangenen 20 Jahre eindrucksvoll bewiesen: mit dem
wissenschaftlichen Fortschritt wachsen auch die Erkenntnisse über das Leben und
Sterben des Gletschermannes. Wie Detektive werden die Forscher weiterhin versuchen,
ihm seine Geheimnisse zu entlocken.
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