Schulfernsehen Schulfernsehen Bauer, Ketzer, Kirchenmann Die Reformen des Martin Luther Ein Film von Franz Deubzer Beitrag: Simon Demmelhuber, Volker Eklkofer & Katrin Tjaden Inhalt Luthers Ablassagitation Luthers Veröffentlichung seiner 95 Thesen gegen den Ablasshandel am 31. Oktober 1517 gilt als Beginn der Reformation. Ob der Mönch, der seit 1513 Bibelexegese an der Universität Wittenberg lehrte, seine Thesen tatsächlich an der Wittenberger Schlosskirche anschlug, ist umstritten und vielleicht auf eine missverstandene Überlieferung zurückzuführen. In jedem Fall versandte er seine Kritik am Sündenfreikauf an Erzbischof Albrecht II. von Mainz. Dieser hatte dank üppiger Finanzhilfen des Bankhauses Fugger zahlreiche kirchliche Ämter angehäuft. Die Rückzahlung des Kredites ermöglichte ihm der Papst höchstpersönlich, indem er den Verkauf von Ablässen auf mehrere Jahre hin gestattete. Gegen diesen Missstand wandte sich Luther und erwartete eigentlich eine akademische Disputation. Doch es kam anders. Luther unter Anklage Der Dominikanerorden in Rom erhob Anklage gegen Luther. Auf dem Reichstag von Augsburg © Bayerischer Rundfunk lehnte Luther 1518 einen Widerruf ab. Dass die Zeit reif für Erneuerungen war zeigt die Tatsache, dass kurz nach Luther auch in der Schweiz die Reformation begann. Das Zeitklima des Humanismus, die Erschütterung des tradierten Weltbildes durch die Erkenntnisse des Kopernikus und die Entdeckung Amerikas bereiteten den Boden für solche Entwicklungen. Hinzu kam die Erfindung des Buchdrucks durch Johannes Gutenberg, die erst die Vervielfältigung und weite Verbreitung von Schriftgut möglich machte. Luther geht in die Offensive 1520 veröffentlichte Luther drei reformatorische Programmschriften: • "An den christlichen Adel deutscher Nation" • "Von der babylonischen Gefangenschaft der Kirche" • "Von der Freiheit eines Christenmenschen" Darin äußerte er die Forderung nach der wahren Kirche als Gemeinschaft der Gleichgestellten und Freien, nicht als der Gefangenen in einem perfekten Herrschaftssystem, in dem die kirchliche Hierarchie alle Wahrheit und alles Heil vermittelt. Rom reagierte streng: Als der Augustinermönch sich nicht von seinen als ketzerisch eingestuften Sätzen distanzierte, wurde er exkommuniziert. Luther verbrannte die päpstliche Bulle, die ihm den Bann androhte. 1 Schulfernsehen Schulfernsehen Der Reichstag zu Worms Fakten 1521 wurde Luther wurde unter dem Versprechen eines freien Geleits zum Reichstag nach Worms zitiert, wo er am 18. April seinen großen Auftritt hatte und den Widerruf seiner Lehre erneut verweigerte. Die Krise im Spätmittelalter "Die Reformation", schreibt der Historiker Richard van Dülmen im Standardwerk Reformation als Revolution (dtv 1977), "ist ein Produkt der allgemeinen Krise des Feudalismus und Antwort auf den tief greifenden Strukturwandel der spätmittelalterlichen Gesellschaft, der bereits zu Ende des 14. Jahrhunderts einsetzte und im 16. Jahrhundert zu einer neuen gesellschaftlichen Formation führte". Das Aufkommen der Geld-Ware-Beziehung hatte die spätmittelalterliche Sozialordnung geradezu zersetzt. Je stärker sich der Welthandel entwickelte (zunächst in Unteritalien durch den überseeischen Verkehr mit dem Orient, mit Konstantinopel und Ägypten, von hier aus nach Norden sich ausdehnend) desto mehr Kapital kam in Umlauf. Schon wenige Tage später verließ Luther Worms wieder, da das sichere Geleit nur noch drei Wochen gelten sollte. Während in Worms die Ächtung Luthers, die auch die Verbrennung seiner Schriften beinhaltete, vorbereitet wurde, griff der Landesherr des Reformators in das Geschehen ein. Kurfürst Friedrich III. der Weise von Sachsen ließ Luther auf dem Heimweg ohne Vorwarnung kidnappen und versteckte ihn unter dem Namen "Junker Jörg" auf der Wartburg bei Eisenach. Das Wormser Edikt vom 8. Mai 1521 gegen Luther und seine Schriften blieb ohne Wirkung. Die lutherische Lehre breitet sich aus Auf der Wartburg begann Luther die Bibel ins Deutsche zu übersetzen, 1534 waren die Arbeiten abgeschlossen. 1522 kehrte er nach Wittenberg zurück. Im Bauernkrieg 1524/25 stand er auf Seiten des Adels. 1525 heiratete er die ehemalige Nonne Katharina von Bora. Luthers Lehre breitete sich rasant aus, schon deshalb, weil sich einflussreiche Fürsten dazu bekannten. Die Anhänger der Reformation nannte man Protestanten. Ein blutiger konfessioneller Konflikt begann. © Bayerischer Rundfunk Motor des Frühkapitalismus war nicht mehr der handwerksmäßige Zunftmeister, der bei der beschränkten Zahl seiner Gesellen nur zu bescheidenem Wohlstand gelangen konnte, sondern der Kaufmann. So verwundert es nicht, dass es allmählich zu einer stärkeren sozialen Differenzierung kam. Neben immer reicher werdenden Bürgern begannen sich die unteren, am Rande des Existenzminimums lebenden Schichten zu vergrößern. Mit dem Frühkapitalismus erstarkte auch der Nationalismus: Je mächtiger des Gemeinwesen, dem man angehörte, umso größer war die Aussicht auf Gewinn. Die Territorialfürsten, vor allem diejenigen, in deren Herrschaftsbereich wirtschaftliche Knotenpunkte lagen, förderten das aufkommende Machtdenken nach Kräften und versuchten, aus ihren zufällig ererbten oder eroberten Gebieten einen einheitlichen Staat zu formen. 2 Schulfernsehen Schulfernsehen In der Landwirtschaft war die spätmittelalterliche Agrarkrise, die von der verheerenden Pest des 14. Jahrhunderts ausgelöst worden war, noch längst nicht überwunden. Dennoch verstärkte sich im Zuge der Nationalisierung der Druck der Landesherren auf die Bauern. Die aufkommende Nationalität traf die auf Universalität ausgerichtete mittelalterliche Kirche mit voller Wucht. Nicht nur Kaiser, Reich, auch die Kirche begann ihre integrative Funktion einzubüßen. Die mittelalterliche Ordnung und die alte Einheit von Gesellschaft, Herrschaft und Religion waren in Frage gestellt! Als Reflex auf diese Entwicklungen begann sich in der Bevölkerung ein besonderes Krisenbewusstsein auszuprägen, das mit einer intensiven Heilserwartung einherging. Das Bedürfnis nach Gnade, Rechtfertigung und Erlösung wuchs. Formen extremer Frömmigkeit bestimmten das tägliche Leben. Wallfahrt und Ablass dokumentierten dies. Ablass Unter bestimmten Voraussetzungen konnten die Gläubigen zu dieser Zeit die Vergebung begangener Sünden erlangen. Dabei mussten Bußwerke geleistet werden, die nach der hochmittelalterlichen Kanonistik auch durch Geld oder Almosen abgelöst werden konnten. Daneben gab es seit dem 11. Jahrhundert die Möglichkeit, durch gemeinnützige Werke (z. B. Teilnahme an einem Kreuzzug, Beitrag zum Bau einer Kirche) einen Nachlass (Ablass) zeitlicher Sündenstrafen zu erlangen. Die Scholastik (besonders Thomas von Aquin; † 1274), hatte die Lehre entwickelt, dass die Kirche aus dem Wirken Christi und der Heiligen einen unausschöpflichen Schatz von Verdiensten (thesaurus ecclesiae) besitze, aus dem sie Gläubige eine Gegenleistung für erbrachte Werke zur Verfügung stellen könne. Die Verteilung der Gnadenmittel nahmen die Päpste in Anspruch, v.a. die Gewährung vollkommener Ablässe. Ablasserwerb war hauptsächlich in dazu privilegierten Kirchen möglich, die ihrerseits zur Erlangung solcher päpstlicher Privilegien erhebliche Mittel aufwandten. Seit dem von Papst Bonifaz VIII. 1300 erstmals abgehaltenem Jubeljahr (Heiliges Jahr) in Rom bot der Besuch römischer Kirchen an den päpstlich angeordneten Jubeljahrs-Terminen besondere Möglichkeiten zur Gewinnung von Ablässen. Es konnte dabei nicht ausbleiben, dass die finanzielle Seite der Ablassgewährung und des Ablasserwerbs immer mehr in den Vordergrund trat und dass sich dabei im Bewusstsein der einfachen © Bayerischer Rundfunk Gläubigen die sachlichen und die kausalen Zusammenhänge verschoben. So war unter dem Volk des Spätmittelalters die Meinung verbreitet, dass auch der außerhalb der Bußsakramente erworbene Nachlass von zeitlichen Sündenstrafen die Möglichkeit für die Gewinnung der Absolution eröffnen könne. Es traten auch Prediger auf, die in übertriebener Weise den Ablasserwerb propagierten, um die kirchlichen Einnahmen zu erhöhen. Zwar galt die alte Ordnung nicht nur auf Erden, sondern auch im Himmel weiter, aber die feudale Kirche verlor als Orientierungshilfe an Kraft. Ausbeuterische Finanzpraktiken unterstrichen diesen Eindruck. Am Ende stand die Reformation. Sie war mit der Emanzipation des Bürgertums, dem Territorialstaat und der allgegenwärtigen Heilserwartung eng verknüpft. Die Sehnsucht nach dem Heil wurde mit einer Rechtfertigung im Glauben befriedigt und die alte Herrschaftskirche zerstört. Bald schon erkannten die Territorialfürsten die Reformation als Mittel zur Machterweiterung und zur Disziplinierung der Bevölkerung ihres Herrschaftsbereichs. Martin Luther: Vom Gang ins Kloster zur Ablassagitation Martin Luther wurde am 10. November 1483 als zweites Kind der Eheleute Hans und Margarethe Luther in Eisleben in Thüringen geboren. Sein Vater war zunächst, wie auch der Großvater und Urgroßvater, Bauer, wurde dann aber mit 23 Jahren Bergmann. 1484 zog die Familie in das nahe Mansfeld um, wo es der Vater zu bescheidenem Wohlstand brachte. Luther wuchs mit zahlreichen Geschwistern auf. Er besuchte zunächst die Schule in Mansfeld, ging dann für ein Jahr nach Magdeburg und beschloss seine Schulzeit auf der Pfarrschule St. Georg in Eisenach, wo er bei einer Familie Cotta untergebracht war. Da Luther ein sehr guter Schüler war, ermöglichte ihm der Vater das Studium. 1501 immatrikulierte sich Luther an der Universität in Erfurt, die zu jener Zeit im Reich einen hervorragenden Ruf hatte. 1505 erhielt er mit ausgezeichnetem 3 Schulfernsehen Ergebnis den Magister. Die Eltern waren glücklich und setzten große Hoffnungen in ihren Sohn, den sie sich als berühmten Rechtsgelehrten wünschten. An dieser Stelle setzt der Film ein. Während eines Gewitters gelobte Luther in Todesangst auf dem Weg von Mansfeld nach Erfurt, Mönch zu werden. Luther trat in den Bettelorden der Augustiner (Kloster Erfurt) ein und erhielt 1507 seine Priesterweihe. Mit 25 Jahren hielt er seine erste Vorlesung als Professor der Theologie an der neu gegründeten Universität in Wittenberg. Schulfernsehen che, die Größe und Macht des Papstes demonstrieren sollte. Der Ablasshandel wurde gut durchorganisiert, es gab sogar einen Ablasskommissar. Auf dem Wege nach Rom floss jedoch ein Teil der eingenommenen Gelder auch in andere Kanäle. In Deutschland zog der Dominikanermönch Johann Tetzel als Ablassprediger durch das Land. In seiner 27. These spottet Luther: "Sobald das Geld im Kasten klingt, die Seele aus dem Feuer springt." Luther litt unter großen Glaubensqualen . "Wie finde ich sündiger Mensch einen gnädigen Gott?" Er kam zu der Auffassung, dass Gott jedem einzelnen Menschen die Gnade des Glaubens vermittle. Die Gerechtigkeit Gottes ist nicht als Verdienst des Glaubenden zu erwerben, sondern ist die Barmherzigkeit Gottes. Um das Jahr 1500 wurden die Menschen durch Kriege, Seuchen, Pest und Hunger ständig mit dem Tod konfrontiert. Sie hatten Angst vor Gottes Gericht, dem "Leben nach dem Tod" und erhofften Antwort und Hilfe von der Kirche. Durch den Kauf von Reliquien, durch Wallfahrten, durch "gute Taten" suchten sie ihr Heil zu finden. Zu dieser Zeit war die Kirche verweltlicht. Die Päpste, die Kirchenvertreter, lebten schon lange nicht mehr nach dem Vorbild ihres Religionsgründers Jesus Christus. Ihre Hofhaltung, ihr luxuriöser Lebensstil verschlang große Summen an Geldern. Als besonders ergiebige Einnahmequelle erwies sich der Handel mit Ablässen. Mit Ablass war der Nachlass einer Sündenstrafe gemeint, vorausgesetzt, der Sünder beichtete, tat Buße und spendete zusätzlich Geld für einen guten Zweck. Seinen Höhepunkt erreichte dieser Ablasshandel, als der Papst den Bau des Petersdomes in Angriff nahm, den Bau einer Kir© Bayerischer Rundfunk Luther empfand den Ablasshandel als großen Skandal. Voller Zorn verfasste er seine 95 Thesen, in denen er die Kirche scharf kritisierte. Am 31. Oktober 1517 legte er die Thesen der Öffentlichkeit vor. Das war das Signal für die Veränderung des christlichen Europas. Von der ersten Wittenberger Ausgabe der Thesen ist heute kein Original mehr vorhanden. Auszug aus den 95 Thesen These 1 Da unser Herr und Meister Jesus Christus spricht: Tut Buße, wollte er, dass das ganze Leben der Gläubigen Buße sein soll. These 27 Eine falsche Lehre predigen die, welche sagen, dass sobald der Groschen im Kasten klingt, die Seele aus dem Fegefeuer auffahre. These 32 Wer durch Ablassbriefe meint, seiner Seligkeit gewiss zu sein, der wird ewiglich verdammt sein samt seinen Lehrmeistern. These 86 Warum erbaut der Papst, dessen Vermögen heute fürstlicher ist als das der reichsten Geldfürsten, nicht lieber von seinen eigenen Geldern, wenigstens diese eine St.-Peterskirche? 4 Schulfernsehen Schulfernsehen Ob Luther, wie im Film, die Thesen wirklich an das Hauptportal der Schlosskirche zu Wittenberg geheftet hat, ist heute umstritten. Doch nicht nur Martin Luther protestierte gegen den Ablasshandel, zur gleichen Zeit gab es zahlreiche Spottbilder und Flugblätter, die das Thema behandelten. Luther hatte in Deutschland manche Gleichgesinnten, doch war er der Mann, der am heftigsten für seine Anschauung kämpfte. Die Legende vom Thesenanschlag Zwar muss Geschichte in der Schule zuweilen in bildhafter Vereinfachung geschildert werden, aber es erscheint dennoch sinnvoll, die Schüler mit der Legende vom Thesenanschlag vertraut zu machen. In unzähligen Publikationen liest man, wie der Mönch Luther, mittags kurz vor zwölf Uhr, zur Schlosskirche ging und dort an den Nordeingang das Plakat mit den 95 Thesen anschlug. Die Hammerschläge des rebellischen Mönchs hätten gleichsam bis nach Rom gedröhnt. Das Bild hatte sich fest eingeprägt, keiner kam mehr auf den Gedanken, das Ereignis zu hinterfragen. Die allgemein bekannte Überlieferung stützte sich auf einen Augenzeugenbericht, einen handgeschriebenen Text, der vermutlich von Luthers Famulus Johannes Schneider aus Eisleben, Agricola genannt, verfasst wurde. In dieser lateinischen Aufzeichnung hieß es bei der Beschreibung der Ereignisse des 31. Oktober 1517: "... wie ich bezeugen kann" - lateinisch "me teste" . Daraus schlossen die Historiker, dass Agricola persönlich anwesend war. Erst 1961 stellte der Lutherforscher Hans Volz fest, dass "me teste" gar nicht im Text steht, sondern "modeste", also "in bescheidener Weise". Folglich heißt die Stelle in der Handschrift richtig: "Im Jahre 1517 legte Luther in Wittenberg an der Elbe nach altem Universitätsbrauch gewisse Sätze zur Disputation vor, jedoch in bescheidener Weise und ohne damit jemanden beschimpft oder beleidigt haben zu wollen." Hinzu kommt, dass der Doktor der Theologie Luther die Thesen wohl kaum selbst angeschlagen hätte, sondern der Pedell, und zwar nicht nur bei einer, sondern bei allen Kirchen der Stadt. So verlangte es der Brauch, wenn einer der Gelehrten die Kollegen zur Disputation einlud. Sicher ist nur, dass Luther an diesem Tag seine Schrift an den für den Ablasshandel verantwortlichen Kurfürsten von Mainz, Erzbischof Albrecht, abschickte Luther jedenfalls hat an keiner Stelle seines Werkes, in keinem seiner Briefe, nirgendwo in seinen autobiographischen Notizen behauptet, die Thesen selbst angeschlagen zu haben. Mehr dazu bei G. Prause. Niemand hat Kolumbus ausgelacht. Fälschungen und Legenden der Geschichte richtig gestellt. München, 1988, S. 79-91. © Bayerischer Rundfunk Der Konflikt mit dem Papst Durch die Erfindung des Buchdrucks durch Johannes Gutenberg (um 1397-1486) war die Voraussetzung für die schnelle Verbreitung und Veröffentlichung von Luthers Schriften gegeben. Heute könnte man sagen, dass damit das Zeitalter der Massenmedien begonnen hat. Neben den 95 Thesen verfasste Luther zahlreiche weitere Schriften in deutscher Sprache, die sich mit Kirche und Papst auseinandersetzten und öffentlich diskutiert wurden: • "Von den guten Werken" • "An den christlichen Adel deutscher Nation, von des christlichen Standes Besserung" • "Von der babylonischen Gefangenschaft der Kirche" • "Von der Freiheit eines Christenmenschen" Luther zweifelte die Autorität des Papstes an und vertrat die Ansicht, dass auch Konzile irren könnten. Er lehnte die Gemeinschaft der Heiligen ab und brach mit der Marienverehrung. Nicht die Aussagen der Kirchenväter sollten für den Menschen verbindlich sein, sondern "allein die Heilige Schrift". Luther verbreitete seine Meinung in seinen Vorlesungen an der Universität, in seinen Predigten und in öffentlich veranstalteten Streitgesprächen mit seinen Gegnern, z.B. mit Johannes Eck, Stadtpfarrer und Professor in Ingolstadt. Einer seiner engsten Freunde wurde Philipp Melanchthon aus Tübingen. Aus dem unbekannten Mönch war inzwischen ein in Europa bekannter Prediger und Gelehrter geworden, den der Papst nicht übergehen konnte. Luther rechnete schon damit, als Ketzer ver5 Schulfernsehen bannt zu werden. Auf Anweisung des Papstes Leo X. wurde Luther am 12. Oktober 1518 erstmals in Augsburg von Kardinal Cajetan verhört. In vier Verhören widerrief Luther nicht einen seiner Sätze. Im Juni 1520 schließlich erließ der Papst eine Bulle, die die Thesen als ketzerisch verurteilte und den Bann androhte, sollte Luther nicht innerhalb einer Frist von 60 Tagen seine Lehre widerrufen. Darüber hinaus ließ man seine Schriften verbrennen. Als Gegenschlag verbrannte Luther seinerseits mit Freunden am 10. Dezember 1520 in Wittenberg päpstliche Gesetzestexte wie auch die Bannandrohungsbulle. Die Antwort des Papstes darauf war der Kirchenbann, d. h. Luther wurde aus der Kirche ausgeschlossen. Schulfernsehen empfangen. Darunter waren Ulrich von Hutten, Franz von Sickingen und Georg von Frundsberg. Dieser war der Führer der kaiserlichen Landsknechte und soll den Ausspruch getan haben: "Mönchlein, Mönchlein, du tust einen schlimmen Gang, dergleichen ich in mancher Schlacht nicht getan." Vor dem Kaiser und dem Reichstag wurde Luther aufgefordert, sich von seinen Schriften loszusagen. Luther erbat sich Bedenkzeit. Am 18. April 1521 verteidigte er ausführlich seine Lehre und weigerte sich, auch nur ein Wort zu widerrufen. "Wenn ich nicht überwunden werde durch die Zeugnisse der Schrift und durch zwingende Beweise (denn ich glaube weder dem Papst noch den Konzilien allein, weil feststeht, dass sie sich oft geirrt und sich selbst widersprochen haben), kann und will ich nicht widerrufen. Denn gegen das Gewissen zu handeln, ist weder sicher noch heilsam. Gott helfe mir. Amen." (Schwandner, Erlebnis Geschichte 7, Oldenbourg Verlag 1986) Der Kaiser verhängte über Martin Luther die Reichsacht, da er sich gegen die tausendjährige christliche Überlieferung stelle. Luther war vogelfrei. Auf der Rückreise von Worms nach Wittenberg wurde Luther von Soldaten seines Landesherrn Friedrich der Weise zum Schein überfallen und auf die Wartburg verschleppt. Der sächsische Kurfürst unterstützte ihn und versteckte ihn zunächst als "Junker Jörg". Reichtags zu Worms, Luther auf der Wartburg Mit Hilfe der Gelder des Bankhauses Fugger in Augsburg war am 28. Mai 1519 Karl V. zum römischen Kaiser gewählt worden. Nach mittelalterlichem Recht war der Kaiser verpflichtet, über den vom Papst gebannten Ketzer Luther die Reichsacht zu verhängen, ihn für vogelfrei zu erklären. Jedermann konnte ihn straffrei verfolgen, sogar töten. Der junge Kaiser berief im Jahr 1521 einen Reichstag nach Worms. Ihm war daran gelegen, die durch Luther gefährdete Einheit des Reiches und des Glaubens zu erhalten. Unter Vorsitz des Kaisers sollte die Versammlung der geistlichen und weltlichen Herrscher Martin Luther richten. Daneben sollte Luther nochmals die Möglichkeit gegeben werden, seine Sache selbst zu vertreten. Bei seinem Eintreffen in Worms wurde er mit großem Jubel von der Bevölkerung, seinen Freunden, von Fürsten, Rittern und Bischöfen © Bayerischer Rundfunk Luther mangelte es an nichts in seinem Versteck, aber er litt unter der Abgeschiedenheit und stürzte sich in seine Arbeit. Ein reger Briefwechsel verband ihn mit seinen Freunden und Anhängern. Dann begann er mit der erstmaligen Übersetzung des Neuen Testamentes vom griechischen Urtext in die deutsche Sprache. Luther benötigte für diese Mammutleistung knapp drei Monate. Durch die Möglichkeit des Buchdrucks wurden Luthers Predigten und Schriften, wie auch seine Bibelübersetzung rasch im Reich bekannt. 6 Schulfernsehen 1522 begann Luther mit der Übersetzung des Alten Testamentes. Noch hatte es keine einheitliche deutsche Sprache gegeben, sondern nur vielerlei Mundarten. Luther hatte dem Volk "aufs Maul geschaut" und seine Texte in einer klaren, allgemein verständlichen, kraftvollen Sprache geschrieben. Seine Bibel wurde für Jahrhunderte das Lesebuch des deutschen Volkes und wurde die Grundlage für eine gemeinsame deutsche Sprache. Bauernkrieg, Kirchenspaltung und letzte Jahre Luthers Luther und seine Anhänger begannen nach und nach, dem evangelischen Glauben auch äußerlich Gestalt zu geben. Zunächst wurde eingeführt, die Predigt in deutscher Sprache in den Mittelpunkt des Gottesdienstes zu stellen. Der Zölibat wurde abgeschafft, Kirchen geräumt, Mönche und Nonnen verließen ihre Klöster. Luther selbst heiratete mit 42 Jahren die ehemalige Nonne Katharina von Bora, die zur Zeit der Eheschließung 26 Jahre alt war. Das Abendmahl konnte nach Wahl in der alten oder neuen Form genommen werden. Der Gemeindegesang im Gottesdienst wurde eingeführt. Luther dichtete zahlreiche Kirchenlieder, die auch heute noch zu den beliebtesten gehören. Nach dem Auftreten Luthers in Worms spaltete sich die christliche Kirche. Anhänger und Gegner Luthers standen sich gegenüber, aus religiöser Überzeugung, aber auch aus rein politischem Machtstreben. Hinzu kamen interkonfessionelle Gegner, Schwarmgeister, religiöse Eiferer. Einer von ihnen war Thomas Müntzer, ein Priester aus Stolberg, der sich an die Spitze der revoltierenden sächsisch-thüringischen Bauern stellte. Im Laufe des Mittelalters hatten die Bauern viele ihrer Rechte an die weltlichen und geistlichen © Bayerischer Rundfunk Schulfernsehen Grundherren abgeben müssen. Sie wehrten sich gegen der Druck der Obrigkeit und fühlten sich gerade durch Luthers Schrift "Von der Freiheit eines Christenmenschen" in ihren Forderungen bestätigt, von Abgaben und Diensten befreit zu werden. Ihre Forderungen fassten sie in 12 Artikeln zusammen. Doch ließen weder geistliche noch weltliche Herren mit sich verhandeln. Also rotteten sie sich zusammen und griffen Schlösser, Burgen und Klöster an. Von seinen Gegnern wurde Luther vorgeworfen, er sei verantwortlich für die Bauernunruhen, er zerstöre Gottes christliche Ordnung. Er versuchte, beide Seiten zum Einlenken zu bringen, vergeblich. Zornig, verzweifelt, enttäuscht schrieb er "Wider die Mordischen und Reubischen Rotten der Bawren". Er sah seine Lehre missverstanden. Die Landsknechtsheere der Fürsten waren den Bauern an Waffen und Kampfkraft weit überlegen. In mehreren blutigen Schlachten wurden die Bauernhaufen vernichtet. Die Reformation Martin Luthers hatte weite Teile des deutschen Reichsgebietes erfasst. Immer wieder kam es zu politischen und religiösen Unruhen zwischen katholischen und protestantischen Fürsten und Reichsstädten. Doch Luthers Hauptthemen waren bis zu seinem Tod weniger die politischen Gegensätze, bedingt durch religiöse Streitereien, als die wissenschaftliche Arbeit und die Verkündigung seiner Lehre in seinen Predigten. Mit Freunden und Fachkollegen überarbeitete er die gesamte Bibelübersetzung, die 1534, mit wunderschönen Holzschnitten ergänzt, erschien. Aber auch dieser Text wurde wieder und wieder überarbeitet und erschien 1546 in dritter Fassung. Luther hielt bis zu drei Predigten pro Woche und lehrte auch weiterhin an der Universität in Wittenberg. Luther starb am 18. Februar 1546 auf einer Reise nach Eisleben an Erschöpfung und Schwäche. Tausende von Zuhörern nahmen an der Trauerfeier in der Schlosskirche in Wittenberg teil. Dicht neben der Kanzel wurde Luther beerdigt. Erst im Augsburger Religionsfrieden 1555 wurden beide christlichen Religionen einander gleichgestellt, der religiöse Besitzstand wurde geregelt. Die Bestimmungen erlaubten den protestantischen Fürsten, in ihren Ländern die Reformation nach ihrem Ermessen durchzusetzen die Untertanen müssen sich dieser Entscheidung beugen (cuius regio, eius religio). 7 Schulfernsehen Grundzüge des Antisemitismus im Abendland und in Deutschland zur Reformationszeit Im 2. Jh. n. Chr. wächst die Zahl antijüdischer Schriften (Adversos-Judeos-Literatur), die den Versuch einer Bekehrung der Juden durch Kontaktverbote ersetzen. 315 untersagt Konstantin der Große den Übertritt zum Judentum bei Androhung der Todesstrafe. Im Folgenden erneuern zahlreiche Konzilsbeschlüsse das Verbot des Kontakts zwischen Christen und Juden. Der religiös motivierte christliche Antisemitismus wird zum universalen und dauerhaften Bestandteil des christlichen Lehrgebäudes. Anlass ist die Weigerung der Juden, in Christus den erwarteten Messias zu erkennen und einzugestehen, daß die katholische Kirche als auserwähltes wahres Volk Israel die Juden heilsgeschichtlich abgelöst hat. Schulfernsehen Im 14. Jh. wird das Judenregal zur Geldquelle der Landesherren und Städte. Juden müssen eine empfindliche Kopfsteuer an den Kaiser entrichten. Als 1348/1349 die Pest wütet, werden die Juden beschuldigt, Brunnen vergiftet zu haben. Eine ungeheure, blutige Judenverfolgung bricht aus, der alleine in Straßburg 2000 und in Mainz 6000 Juden durch Verbrennen, Aufhängen, Rädern zum Opfer fallen. Ihr Besitz wird geplündert, Schuldbriefe werden für ungültig erklärt. König Karl VI. deckt den Völkermord an den Juden wider besseres Wissen und in der Hoffnung auf reiche Beute. Die Juden werden als Christusmörder und durch die Propheten verfluchte Glaubensleugner gebrandmarkt. Kirchenvater Gregor von Nyssa (ca. 330-395) geißelt sie als "Prophetentöter, Streiter wider Gott, Gotthasser, Gesetzesübertreter, Feinde der Gnade, dem Glauben ihrer Väter entfremdet, Advokaten des Teufels". Die religiöse Ausgrenzung setzt sich im Alltag fort. Dabei wechseln Phasen relativer Toleranz und Koexistenz mit Phasen blutiger Repression und Austreibung ab. Seit 614 dürfen ungetaufte Juden im Frankenreich keine öffentlichen Ämter bekleiden. Ab 629 werden Verfolgungen, gewaltsame Austreibungen und Zwangstaufen berichtet. Um 800 gewähren die Karolinger den Juden königlichen Schutz (Judenregal). Trotz eingeschränkter Rechte dürfen sie Handel treiben, Grund- und Hausbesitz erwerben. Die relative Sicherheit ist durch Abgaben und Schutzgelder teuer erkauft. Das Judenregal wird zu einer wichtigen Einnahme zuerst des Königs und später der Territorialfürsten und Stadthoheiten. Im 11. Jh. leben Christen und Juden weitgehend harmonisch zusammen in den Städten. Juden erhalten das Bürgerrecht auf Zeit und werden zur Stadtverteidigung und zur Erhaltung der Befestigungen verpflichtet. Anitjüdischer Fanatismus breitet sich mit dem ersten Kreuzzug (1096) aus. Die Lage verschlimmert sich bis zum zweiten Kreuzzug (1146). Der Abt und Kreuzzugsprediger Bernhard von Clairveaux (ca. 1090-1153) versucht zumindest, christliche Ausschreitungen einzudämmen. © Bayerischer Rundfunk Aus der Luft gegriffene Gräuelgeschichten von angeblichen Ritualmorden (der "hl. Simon von Trient") nehmen überhand. Im 14. und 15. Jh. werden Juden als Urheber von Epidemien, als Brunnenvergifter, Hostienschänder und Ritualmörder gebrandmarkt, gehetzt und getötet. Vielerorts entlädt sich dieser Judenhass in Verbrennungen und Ermordungen. Mit dem Ende der Pest fördern Städte, Fürsten und der Kaiser die Rückkehr der Juden, eine Zeit erbarmungsloser Auspressung folgt. Juden dürfen keinen Grundbesitz erwerben und Häuser nur noch pachten. Der Kaiser befreit die christlichen Schuldner von ihrer Rückzahlungspflicht und lässt sich diese Dienste reichlich entlohnen. Austreibungen und Rückholungen wechseln sich ab, Zwangstaufen werden erpresst, wobei die Täuflinge ihren gesamten "sündig erworbenen" Besitz abgeben müssen. Zunächst zum Schutz der Juden gegen christliche Übergriffe bilden sich im ausgehenden Mittelalter in den Städten eigene, durch Pforten abgeschlossene Ghettos aus. Den Judengemeinden stand der Judenmeister (zumeist der Rabbi- 8 Schulfernsehen ner) vor. In der Gemeinde waren alle Handwerke vertreten. Das 4. Laterankonzil von 1215 hatte den Juden die Ausübung christlicher Berufe verboten, Zünfte und Gilden blieben ihnen verschlossen; außerhalb der Judengemeinde durften sie kein Handwerk betreiben oder Kaufmann werden. Daher blieb ihnen neben dem Trödelhandel nur der Geldwechsel und Pfand- bzw. Geldverleih. Hinzu kam, dass die Kirche ein strenges kanonisches Zinsverbot erlassen hatte. Der Übergang zur Geldwirtschaft bedingte jedoch einen steigenden Kapitalbedarf, den nur jüdische Bankiers decken konnten. Da drohende Austreibungen, Judensteuern oder Schuldentilgungsedikte ein immenses Finanzrisiko darstellten, nahmen jüdische Geldverleiher teils enorme Zinsen. Dieser Wuchervorwurf schuf böses Blut. Viele Juden waren in Geldgeschäften äußerst versiert und stiegen zu Finanziers und Finanzberatern der Höfe auf. Der schnell wachsende Reichtum vieler jüdischer Geldverleiher schürte Neid und Habgier und trug viel zum Antisemitismus des Spätmittelalters bei. Unangefochten konnten die Juden den Beruf des Arztes ausüben. Viele der berühmten und gefragten Ärzte waren Juden. Kaiser, Könige und Fürsten vertrauten diesen Gelehrten durch die Jahrhunderte ihre Gesundheit an. Schon auf dem 4. Laterankonzil hatte Papst Innozenz III. für die Juden eine eigene Kleidung verlangt, die sie von den Christen unterscheiden sollte. Das Konzil von 1267 machte für Deutschland den Judenhut, eine gelbe helmartige Kopfbedeckung mit langem Helmknopf verbindlich. 1451 zwingt Kardinal von Cues (14011464) den Juden einen am Gewand aufgenähten gelben Ring als diskriminierende Kennzeichnung auf. Wegen des unsicheren Lebens, dauernder Pogromgefahr und der sozialen und kulturellen Ächtung wanderte seit dem 15. Jh. ein Großteil der Juden nach Osteuropa aus, wo sich im Jiddischen wesentliche Elemente spätmittelalterlicher deutscher Dialekte bewahrten. © Bayerischer Rundfunk Schulfernsehen Luther und die Juden Luthers zwiespältiges Verhältnis zu den Juden kippt im Laufe seines Lebens von anfangs versöhnlicher Bekehrungshoffnung in einen zuletzt unnachsichtigen, gewaltbereiten Vernichtungswillen. Im Unvermögen des Reformators, die Juden als eigenständig unantastbare kulturelle und religiöse Gruppe in Deutschland zu akzeptieren, in den radikalen verbalen Anwürfen, in der Forderung nach einer Lösung der Judenfrage sind die Grundzüge dessen angelegt, was 400 Jahre später in die Katastrophe des Holocaust münden wird. Luthers Epoche ist judenfeindlich. Antisemitische Vorurteile, Judenhass und antijüdische Ausschreitungen haben in Deutschland und im Christentum eine lange Tradition. Die Juden werden geächtet, verspottet, sozial und beruflich ausgegrenzt. Sie leben im Getto, erdulden diskriminierende Kennzeichnungen wie Judenhut und Judenfleck. Vertreibungen und Sonderbesteuerungen sind an der Tagesordnung. In den 20er Jahren des 16. Jhs. setzt Luther auf die Bekehrung der Juden zum christlichen Glauben. Versöhnliche Züge überwiegen. Luthers Schriften zeigen ein für die Zeit überaus einfühlsames und erstaunlich scharfes Verständnis jener gesellschaftlichen Missstände, die zur Ausgrenzung der Juden führen: Juden sind die allerelendsten Leute auf Erden, werden schier an allen Enden vertrieben und werden doch nicht frömmer, bleiben für und für wie sie sind. An wenig Orten und Städten leidet man sie, sie müssen ineinander stecken. Ich wolt ihr fünfzig in diese Stuben nehmen, dass sie sich drinnen behülfen. Zu Frankfurt am Main sind ihr sehr viel, haben eine Gassen inne, da stecken alle Häuser voll. Müssen gelbe Ringlin an Mänteln und Kleidern vorne tragen, dabei man sie kennet. Haben weder Häuser noch Äcker, die ihr eigen sind, allein bewegliche oder fahrende Güter. Keiner darf auf Häuser oder Äcker leihen, allein auf Fahrnis. In seiner Schrift "Dass Jesus Christus ein geborener Jude sei" vom Februar 1523 entwirft Luther Elemente einer Theologie, die Juden zum Glauben an Christus bewegen soll. Er wendet sich in Deutlichkeit gegen Zwangstaufen und die antijüdische Gräuelpropaganda von angeblichen Ritualmorden (Lügenzeitungen). Gewalt gegen Juden lehnt Luther ab, da sie nicht nur mit dem christlichen Glauben, sondern auch mit dem angestrebten Ziel der Bekehrung unvereinbar ist: 9 Schulfernsehen Aber nu wir sie nur mit Gewalt treiben und gehen mit Lügenzeitungen um, geben ihnen Schuld, sie müssen Christen Blut haben, dass sie nicht stinken, und weiß nicht, was des Narrenwerk mehr ist, dass man sie gleich für Hunde hält. Was sollten wir Gutes an ihnen schaffen? Item dass man ihnen verbietet, unter uns zu arbeiten, hantieren und andere menschliche Gemeinschaft zu haben, da mit man sie zu wuchern treibt, wie solt sie das bessern? Wil man ihnen helfen, so muss man.... christlicher Liebe Gesetz an ihnen üben und sie freundlich annehmen, mit lassen werben und arbeiten, damit sie Ursach und Raum gewinnen, bei und umb uns zu sein, unser christlich Lehre und Leben zu hören und zu sehen. In den 30er und 40er Jahren wird der Ton schärfer, die Haltung aggressiver. Alle Hoffnung auf die Bekehrung der Juden hat sich zerschlagen. Luther muss diese Tatsache als persönliche Schmach und Kränkung empfunden haben. Anders lässt sich die hoch emotionalisierte Brutalität seiner Äußerungen schwer erklären. Entlarvend auch, wie der Reformator seine eigene Abwendung und Verurteilung als göttliches Verdikt maskiert. In der jüdischen Diaspora will er den historischen und heilsgeschichtlichen Beweis dafür erkennen, dass Gott selbst das "Volk der Christusmörder und Glaubensleugner" in alle Ewigkeit verdammt habe: Die armen, blinden, verstockten Jüden rühmen die Gerechtigkeit des Gesetzes, welchs sie doch nicht halten können. Ja, sie lästern Gott mit solchem Eifer überm Gesetz, welches sie außer dem gelobten Land nicht halten sollen. Summa, dies Argument können die Juden nicht solvieren, müssens wohl ungebissen lassen, denn es schlägt sie zu Boden wie der Donner, nämlich: Sie sollen Ursach zeigen, warum sie nu über fünfzehenhundert Jahr verlassen, ein Volk ohn Regiment, ohn Gesetz, ohn Propheten, ohn Tempel. Da können sie kein ander Ursach anzeigen denn ihre Sünde. Schließlich schließt Luther die Juden aus der Heilsordnung Gottes aus. Als Zauberer, Unbekehrbare, Gotteslästerer und Schädlinge sinnen sie auf Mord und haben ihr Bleiberecht in der christlichen Gemeinschaft verloren. Die wahre Kirche von ihner sündigen Gegenwart zu reinigen, heißt Gottes Werk verrichten: Als man einmal von den Juden sprach, sagte er: Die Juden haben ihr Zauberei gleich sowohl als andere Zäuberer. Sie denken: Gerät es uns, so © Bayerischer Rundfunk Schulfernsehen stehts wohl mit uns; wenn nicht, so ist es um ein Christen getan! Denn sie achten eines Christen wie eines Hundes. (...) Wie es also unmuglich ist, daß die Elster ihr Hüpfen lässt, die Schlang ihr Stechen etc. als wenig lassen die Juden ihr Lauern, Christen den Tod zu bringen. Dennoch sitzen sie bei uns in großen Ehren. Wenn ich wär anstatt der Herren zu Frankfurt, wollt ich alle Juden zusammenfordern und sie fragen, warum sie Christum ein Hurenkind heißen, sein Mutter ein Hure. Kunnten sie das probieren [= beweisen, plausibel machen], so wollte ich ihn tausend Gulden schenken. Könnden sie aber nicht, wollte ich ihnen die Zung zum Nacken herausreißen. In summa: Man soll die Juden nicht bei uns leiden, man soll weder essen noch trinken mit ihnen. 1543 kulminieren Luthers antijüdische Affekte in den Schriften "Von den Juden und ihren Lügen" und "Vom Schem Hamphoras und vom Geschlecht Christi". Am 4. Januar erscheint die erste Schmähschrift "Von den Juden und ihren Lügen". Darin behauptet Luther, die "Juden würden nicht nur die Sprüche der Schrift verdrehen und lästern, sondern auch Christus als Zauberer und seine Mutter als Hure verleumden und allen Christen fluchen, dass Gott sie totschlagen. Sie hielten die Christen gefangen , "lassen uns arbeiten im Nasenschweiß ... sitzen sie dieweil hinter dem Ofen, faulenzen, pompen und braten Birn ... haben uns und unser Güter gefangen durch ihren verfluchten Wucher, spotten dazu und speien uns an." Schließlich gibt Luther konkrete Vorschläge, was man "mit diesem verworfen, verdammten Volk der Jüden" tun solle. Ihre Synagogen solle man niederbrennen, "und solchs soll man tun, unserm Hern und der Christenheit zu Ehren", da sie darin "Christum und uns belügen, lästeren, fluchen, anspeien und schänden". Aus dem gleichen Grund solle man ihre Häuser zerstören, ihre Bücher und die Bibel konfiszieren, den Rabbinern das Lehren verbieten. Auch das "Geleit und die Straße" soll man ihnen versagen, "denn sie haben nichts auf dem Lande zu schaffen", den Wucher verbieten und zu diesem Zweck alle ihre Barschaft und Wertsachen in Verwahrung nehmen. Die Jugendlichen müsse man zu ehrlicher Arbeit zwingen oder noch besser gleich des Landes verweisen, da zu befürchten sei, dass die der Arbeit Ungewohnten den Christen schaden würden. "Drum immer weg mit ihnen." Es sei ein großes Unrecht der Fürsten, wenn sie den Juden gegen Geld ihren Schutz liehen, und sie müssten alles daran setzen, dass "wir alle der unleidli- 10 Schulfernsehen Schulfernsehen chen, teuflischen Laste der Jüden entladen werden." Jeder einzelne Christ solle sich vor Augen halten, dass jeder Jude Jesus verfluche und seinen eigenen Tod wünsche, um seinen Besitz zu erlangen: "Und ich sollte mit solch einem verteufelten Maul essen, trinken oder reden, so möchte ich aus der Schüssel oder Kannen mich voller Teufel fressen und saufen". Wer den Juden dulde, dulde seine Gotteslästerung und mache sich mitschuldig. Die politische Zersplitterung Deutschlands im Spätmittelalter spiegelte sich in einer bunten Vielzahl regionaler Schriftdialekte, Kanzlei-, Geschäfts-, Urkunden- und Zunftidiome; eine über den Sondersprachen und Dialekten angesiedelte einheitliche Literatursprache fehlte. Am 28. März erscheint, als Ergänzung des antisemitischen Pamphlets vom 4. Januar, die Schrift "Vom Schem Hamphoras und vom Geschlecht Christi". Im ersten Teil geht es um die Widerlegung der jüdischen Behauptung, Jesus habe seine Wunder mit der magischen Formel "Schem Hamphoras" vollbracht und sei deshalb als Betrüger zu Recht gehängt worden. Der zweite Teil ist der Diskrepanz zwischen den beiden Stammbäumen Jesu in den Evangelien gewidmet. Es gebe sie nicht wirklich, sie werde nur von den verblendeten Juden falsch verstanden. Es "ist aber von Gott selbs verdammt all ihr Verstand, Glosse und Auslegung in der Schrift, als eitel Wahnsinn, Blindheit, Raserei". Vornehmste Aufgabe der christlichen Hebraisten müsse es also sein, die Schrift von der "jüdischen Judaspisse" zu reinigen. Da im Zentrum der neuen religiösen Anschauungen Luthers die Gewissheit stand, dass der Glaube einzig aus der biblischen Offenbarungsquelle schöpfen kann, musste die Heilige Schrift jedem Christen zugänglich sein: Das Wort Gottes sollte zu allen, nicht nur zu den Gelehrten unmittelbar sprechen. Luthers Schrift findet allgemein wenig Zustimmung, sie wird "als schweinisch und kotig" verurteilt. Dennoch erfolgen in Kursachsen und Hessen neue judenfeindliche Verordnungen. Luthers Bibelübersetzung Dieser Umstand setzte der Buchkultur enge Grenzen und beschränkte allgemein die Wirksamkeit schriftlicher und insbesondere literarischer Entwicklungen. Große Teile der Bevölkerung waren von einer aktiven Teilnahme am schriftgebundenen kulturellen Leben weitgehend ausgeschlossen. Zwar lagen bereits im Spätmittelalter 14 hochdeutsche und 4 niederdeutsche Bibelübertragungen vor, die jedoch nur für gelehrte, am hypotaktisch verschachtelten lateinischen Satzbau und theologischer Begrifflichkeit geschulte Leser tauglich waren. Das "evangelische" Postulat der Allgemeinverständlichkeit erfüllte keine der Übertragungen. Beide Schriften nach: Luther-Chronik. Daten zu Leben und Werk zusammengestellt von Andrea van Dülmen. München 1983 (dtv 3253), S.281ff. Am erbärmlichsten Kapitel deutscher Geschichte, am Holocaust, haben über die Jahrhunderte viele Anstifter und Brandleger mitgeschrieben. Zu den geistigen Wegbereitern der millionenfachen Verbrechen am jüdischen Volk zählt auch Martin Luther. Wer immer nach ihm die Juden als Volksschädlinge verleumdete und ihre gewaltsame Austreibung, die Verbrennung ihrer Synagogen, die Reinigung des Glaubens und der Rasse forderte, er konnte sich auf den Reformator berufen. Luther als Übersetzer, Lyriker, Musiker Die deutsche Kultur- und Sprachgeschichte hat durch Luthers Bibelübersetzung und die Schaffung des evangelischen Kirchenliedes entscheidende, bis auf den heutigen Tag nachwirkende Impulse erfahren. © Bayerischer Rundfunk Fußend auf einer breit verständlichen Verkehrssprache, die sich während des ausgehenden 15. Jhs. im Siedlungsgebiet östlich der Saale aus süddeutschen, ostfränkischen, mitteldeutsch-thüringischen und niederdeutschen Mundarten herausgeformt hatte, machte sich Luther in den Jahren von 1522 bis 1534 daran, eine Eindeutschung der Heiligen Schrift zu schaffen, die dem Volk die eigenständige, durch keine vermit11 Schulfernsehen telnden Instanzen verzerrte Bibellektüre ermöglichen sollte. Einen neuen, eigenen Weg wählend, ließ er die lateinische Vulgata hinter sich und übertrug den Text aus den griechischen und hebräischen Quellen in eine Sprache, die allen Volksschichten ungeachtet ihrer Vorbildung geläufig war. Sein kraftvolles, fließendes Bibeldeutsch, das sich oftmals weit von der wörtlichen Vorlage entfernte, war die Sprache der Handwerker, Bauern, Marktweiber, war anschaulich, konkret, voller Sprichwörter und plastischer, oft drastischer Sprachbilder: "Man muss die Mutter im Haus, die Kinder auf den Gassen, den gemeinen Mann auf dem Markt drum fragen, und denselbigen auf das Maul sehen, wie sie reden und darnach dolmetschen; da verstehen sie es denn und merken, dass man deutsch mit ihnen redet". Die erste Auflage des Neuen Testaments, das Luther in nur elf Wochen übersetzt hatte, erschien im September 1522. Die vermutlich 3.000 bis 5.000 Exemplare waren ein überwältigender Erfolg und so rasch ausverkauft, dass der Verleger bereits im Dezember nachdrucken musste. Was die eigentliche Qualität der Bibelübertragung Luthers ausmacht, verdeutlicht der Vergleich einer hochdeutschen Übersetzung des 23. Psalms von 1518 mit der Lutherbibel von 1545. "Der herr regieret mich und mir geprist nichts, und an der stat der waide, da satzt er mich. Er hat mich gefüret auf dem wasser der widerpringung, er bekertet mein sel. Er fürt mich auss auf die steig der gerechtigkait, umb seinen namen. Wann ob ich gen in der mitte des schatten des todes, ich fürcht nit die üblen ding, wann du bist bei mir. Dein ruot und dein stab, die selben haben mich getröstet." Bei Luther lautet diese Stelle: "Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln. Er weidet mich auf einer grünen Auen und führet mich zum frischen Wasser. Er erquicket meine Seele, er führet mich auf rechter Straße, umb seines Namens willen. Und ob ich schon wandert im finstern Tal, fürchte ich kein Unglück, denn du bist bei mir, dein Stecken und dein Stab trösten mich." Schulfernsehen ten, hielt Luther entgegen: "Wer nicht singen und sagen will, das ist ein Zeichen, dass er nicht gläubet." Die Liebe des Reformators zur Musik verdeutlichen zahlreiche Passagen aus den Tischgesprächen: Die beste Erquickung für einen betrüben Menschen ist die Musik, selbst wenn sie nur auf irgendeine Weise ertönt. (…) Wer die Musicam verachtet, sprach D.M.L., wie denn alle Schwärmer tun, mit denen bin ich nicht zufrieden. Denn die Musica ist ein Gabe und Geschenke Gottes, nicht ein Menschengeschenk. So vertreibt sie auch den Teufel und machet die Leut fröhlich. Man vergisset dabei alles Zorns, Unkeuschheit, Hoffart und anderer Laster. Ich gebe nach der Theologie der Musica den nähesten Platz und höchste Ehre. Und man siehet, wie David und alle Heiligen ihre gottseeligen Gedanken in Vers, Reim und Gesänge gebracht haben, wie es denn heißt: Wenn Friede ist, regiert die Musik. Luther ruft 1523 nicht nur dazu auf "fromme geistliche Gesänge zu schaffen"; als sachverständiger Musiker, Sänger und Lautenspieler schafft er im evangelischen Kirchenlied einen neuen, prägenden Typus religiöser, zugleich pastoraler und propagandistischer Lyrik. Bislang konnte Luther als Verfasser von 31 Choraltexten und Komponist von 17 Melodien sicher nachgewiesen werden. Er deutschte lateinische Vorlagen ein, formte sie nach seinen Bedürfnissen um und schrieb neue Strophen. Dadurch konnte das Kirchenlied im reformierten Gottesdienst zunehmend Gewicht als Ausdruck der Gemeinschaft und Träger der neuen Lehre gewinnen. Ein Grundgedanke war auch hier, dem "gemeinen Mann" den Inhalt der Psalmen und des Schriftwortes näherzubringen und im Sinne des allgemeinen Priestertums durch den Gesang aktiv in die Messfeier einzubinden. Viele dieser Luther-Lieder werden - nahezu unverändert - bis heute im Gottesdienst gesungen: Ein feste Burg ist unser Gott , Aus tiefster Not schrei ich zu dir , Vom Himmel hoch da komm ich her (ungesichert). Luther als Musiker Während Reformatoren wie Calvin, Zwingli oder Karlstadt jede Art von Musik in der Kirche ablehnten und zur Zerstörung der Orgeln aufforder- © Bayerischer Rundfunk Bedeutsam für die Entwicklung der Kirchenmusik wurden die Luther-Schriften "Von Ordnung Gottesdienst in der Gemeinde" (1524) und "Die Deutsche Messe" (1526). 12 Schulfernsehen Schulfernsehen Luther als Fabeldichter Mit dem Streben nach religiöser Erneuerung geht im Denken Luthers das Bemühen um praktische Lebensklugheit einher. In der Fabel findet er ein Medium, das diesen Zweck ebenso unterhaltsam wie belehrend erfüllt. So geht Luther daran, die Fabeln Äsops für Kinder und einfache Menschen verständlich und nutzbringend aufbereiten. Erzählung und Lehre sind deutlich getrennt, wobei die Tierbeispiele zum Instrument ethisch-moralischer Erziehung werden. Unter dem Titel "Etliche Fabeln aus Esopo / von D.M.L. verdeutscht / sampt einer schönen Vorrede / von rechtem Nutz und Brauch desselben Buchs / jederman wes Standes er auch ist / lustig und dienlich zu lesen. Anno M.D.XXX" erscheinen die Fabeln erstmals 1557 im fünften Band der Jenaer Lutherausgabe. Als Vorlage dient das deutsche Fabelbuch des Humanisten Heinrich Steinhöwel, dem er 13 Motive entnimmt und in knappe, gedrängte Prosa bringt. Aesop Heinrich Steinhöwel Als Vater der abendländischen Fabel gilt Aesop (griech. Aisopos). Fabelhaft ist auch die Gestalt des Dichters: angeblich lebte er um die Mitte des 6. Jhs. v. Christus in Thrakien. Auf der Insel Samos fristete er zunächst das Leben eines Sklaven, wurde dann aber freigelassen, kam zu großem Ansehen und avancierte schließlich zum Gesandten des Königs Kroisos. In dessen Dienst wurde er getötet. Eigene Bücher hinterließ Aesop nicht. Im dritten Jh. v. Chr. sammelte Demetrios von Phaleron Fabeln, die unter dem Namen Aesops kursierten. Überliefert ist eine griechische Versbearbeitung äsopischer Tierfabeln des Babrios aus dem zweiten nachchristlichen Jahrhundert. Im Mittelalter sind die Tierfabeln des "Meister Esopus" allen Klosterschülern in der lateinischen Fassung des Fabeldichters Phäedrus (1. Jh. n. Chr.) vertraut. Der Arzt und Humanist Heinrich Steinhöwel (1412 - 1478) übersetzte mehr als 140 Fabelmotive aus der lateinischen Fabelsammlung Corpus fabularum aesopicarum ins Deutsche . 1480 erscheint seine gedruckte und mit mehr als 100 Holzschnitten versehene Sammlung bei Johann Zeidler in Ulm, wird in viele Sprachen übersetzt und immer wieder neu aufgelegt. Luther prangert die Derbheit der Fabeln Steinhöwels an. Voller Zoten und Unzüchtigkeiten sei dieser "deutsche schändliche Esopus", von Säuen geschrieben und für das Wirtshaus und Frauenhaus geeignet. Der Reformator setzt sich zum Ziel, die Fabeln Steinhöwels zu "läutern" und zu "fegen", um "feine, reine und nützliche Fabeln" vorzulegen, die man "ohne Sünde lachend annehmen kann". Vom Kranich und Wolffe Sie sollen "zur Warheit betrügen" und dabei alle Stände gleichermaßen ansprechen: Nicht allein aber die Kinder / sondern auch die grossen Fuersten und Herrn / kan man nicht bas (= besser) betriegen / zur Warheit / und zu irem nutz / denn das man inen (= die Fürsten) die Narren die Warheit sagen / dieselbigen koennen sie leiden und hoerren / sonst woellen oder koennen sie / von keinem Weisen die Warheit leiden. (...) Und das ich ein Exempel gebe der Fabeln wol zu gebrauchen / wenn ein Hausvater uber Tisch wil Kurtzweil haben / die nuetzlich ist / kan er seib Weib / Kind / Gesind / fragen / Was bedeutet diese Fabel? Da der Wolff eins mals ein Schaf geiziglich (= gierig) fras / bleib im ein bein im halse uber zwerch (= quer) stecken / davon er grosse Not und Angst hatte / Und erbot sich gros Lohn und Geschenck zu geben / wer im hülffe. Da kam der Kranich / und sties seinen langen Kragen dem Wolff in den Rachen / und zoch das Bein eraus. Da er aber das verheissen Lohn foddert (= fordert) / sprach der Wolff / Wiltu noch Lohn haben / Dancke du Gott / das ich dir den Hals nicht abgebissen habe / du soltest mir schencken (= ein Geschenk dafür machen) /das du lebendig aus meinem Rachen komen bist. Um sein Ziel - Erziehung zu Kunst und Lebensweisheit - zu erreichen, formuliert er die Lehren seiner Fabeln sehr konkret und anschaulich, wobei er sich oft sprichwörtlicher Wendungen bedient. Nutzwert, Verständnis und Klarheit haben oberste Priorität. Diese Fabel zeigt: Wer den Leuten in der Welt wil wol thun / der mus sich erwegen (= darauf gefasst machen) Undanck zu verdienen / Die Welt lohnet nicht anders / denn mit Undanck / wie man spricht. Wer einen vom Galgen erlöset / Dem hilft derselbige gern dran. © Bayerischer Rundfunk 13 Schulfernsehen Vom Hunde im Wasser Es lieff ein Hund durch ein Wasserstrom / und hatte ein stück Fleisch im Maule / Als er aber den schemen (= das Spiegelbild) vom Fleisch im Wasser sieht / wehnet (= glaubt, meint) er / es were auch Fleisch / und schnappet girig darnach. Da er aber das Maul auffthet (= öffnete) / empfiel (= entfiel) im das stück Fleisch / und das Wasser fürets weg. Also verlor er beide / das Fleisch und schemen. Lehre: Man sol sich benügen (= genügen) lassen an dem / das Gott gibt. Wem das wenige verschmahet (Wer ... gering achtet, verschmäht) / dem wird das Grösser nicht / Wer zu viel haben wil / der behelt zu letzt nichts / Mancher verleuret /= verliert) das gewisse / uber dem ungewissen. Zitiert nach: Adalbert Elschenbroich (Hg.) Die deutsche und lateinische Fabel in der Frühen Neuzeit. Bd. 1. Ausgewählte Texte. Tübingen 1990, S. 71-88. Zeittafel 1483 10. November, Luther zu Eisleben geboren 1497-1501 Luther in Eisenach 1501 Studium an der Universität Erfurt 1505 Luther erhält den Magister, Eintritt in Augustinerkloster zu Erfurt 1508 Luther kommt an die Universität Wittenberg 1510/1511 Romreise Luthers 1512 Luther wird Doktor der Theologie 1517 Tetzels Ablasshandel - Luther schlägt am 31.10. die 95 Thesen an 1518 Reichstag zu Augsburg, Luther vor Cajetan © Bayerischer Rundfunk Schulfernsehen 1519 Luthers zweite Verantwortung vor Miltitz, Karl V. wird Deutscher Kaiser, Disputation Luthers zu Leipzig mit Dr. Eck, Melanchton tritt an Luthers Stelle 1520 Schriften Luthers: • "An den christlichen Adel deutscher Nation, von den christlichen Standes Besserung” • "Von der babylonischen Gefangenschaft der Kirche” • "Von der Freiheit eines Christenmenschen” Verbrennung der Bannbulle (10.12.) 1521 Luther auf dem Reichstag zu Worms (17./18.4.), Wormser Edikt, Luther auf der Wartburg, Reichsacht über Luther, Übersetzung des Neuen Testaments auf der Wartburg 1522 Erste gedruckte Ausgabe von Luthers Übersetzung des NT, Luther verlässt die Wartburg und eilt nach Wittenberg (Bilderstürmer), Abschaffung der Messe und Gottesdienst in deutscher Sprache. Austeilung des Abendmahls unter beiderlei Geschlecht 1523 Abermalige, vergebliche Bannbulle gegen Luther 1524 Luther entsagt dem Mönchsstand, erstes evangelisches Gesangbuch mit 18 Luther-Liedern, Schreiben Luthers an die Bürgermeister und Ratsherren, Philipp der Großmütige erklärt sich für die Reformation, Bauernkrieg 1525 Schlacht bei Frankenhausen, Ende des Bauernkrieges, Tod Friedrichs des Weisen, Einführung der Reformation in Preußen, Luthers Heirat mit Katharina v. Bora, Luthers Schrift "Wider die räuberischen und mörderischen Bauern”, Luther gegen Erasmus: "Vom unfreien Willen”. 1526 Einführung der Reformation in Hessen, Schutzund Trutzbündnis zu Torgau 1529 Reichstag zu Speyer, Aufkommen des Namens "Protestanten”, Erneuerung des Wormser Edikts, Ausarbeitung von 17 Glaubensartikeln durch Luther und andere zu Schwabach, Religionsgespräch zu Magdeburg 14 Schulfernsehen Schulfernsehen 1530 Reichstag zu Augsburg, Luther übergibt die Schwabacher Artikel zu Torgau, Luther auf Coburg, Übergabe des evanglischen Glaubensbekenntnisses (25. Juni), Augsburgische Konfession, Apologie der Evangelischen 1534-36 Münstersche Unruhen, Münster erobert, Ende des Reichs der Wiedertäufer (Johann von Leyden, Knipperdolling) 1532 Reichstag zu Nürnberg, erster Religionsfriede 1536/37 Erneuerung des Schmalkaldischen Bundes und Abfassung der Hauptartikel (Schmalkalische Artikel) der christlichen Religion durch Luther. 1534 Luthers vollständige Bibelübersetzung erscheint 18.2.1546 Tod Luthers zu Eisleben (10.12.) Didaktische Hinweise Die Sendung ist für den Einsatz im Religionsunterricht wie auch im Geschichtsunterricht ab der 7. Klasse der Hauptschule und der entsprechenden Jahrgangsstufe der Realschule und des Gymnasiums bestimmt. Anregungen und Arbeitsaufträge Die Klasse fertigt eine Zeitleiste an, in die die wichtigsten Ereignisse der Lutherzeit eingetragen werden. Besuch einer katholischen und einer evangelischen Kirche und Vergleich der Ausgestaltung beider Räume. Betrachten und Deuten alter Illustrationen (Holzschnitte, Gemälde) • zu mittelalterlichen Höllenbildern, zum Tod, zu Gott und dem Weltgericht (Welche Vorstellungen hatten die Menschen von Gott? Welches Bild mache ich mir von Gott?) • zum Bauernaufstand (Wie werden die Bauern dargestellt?) Deuten eines Kirchenliedes aus Wittenberg (1534). Wie wird im Liedtext Luthers Leben sichtbar? Kirchenlied aus Wittenberg Aus tiefer Not schrei ich zu dir, Herr Gott erhör mein Rufen. Dein gnädig Ohren kehr zu mir und meiner Bitt sie öffne, denn so du willst das sehen an, was Sünd und Unrecht ist getan, wer kann, Herr, von dir bleiben? Bei dir gilt nichts denn Gnad und Gunst, die Sünde zu vergeben, es ist doch unser Tun umsonst auch in dem besten Leben. Vor dir niemand sich rühmen kann, des muss dich fürchten jedermann und deiner Gnade leben. Darum auf Gott will hoffen ich, auf mein Verdienst nicht bauen; auf ihn mein Herz soll lassen sich und seiner Güte trauen, die mir zusagt sein wertes Wort; das ist mein Trost und treuer Hort, des will ich allzeit harren. Psalm 130, Martin Luther, Wittenberg 1534. © Bayerischer Rundfunk 15 Schulfernsehen Schulfernsehen Interpretation von Luther-Liedern im Kirchengesangbuch. Ist ihre Aussage auch heute noch für mich gültig? Aus Luthers Liedtexten einzelne Strophen auswählen, die als Eingangswort zur Religionsstunde vorgetragen werden können. Collagen anfertigen zu einem • Fürbittengebet, • zu den 10 Geboten, • zum Glaubensbekenntnis. Betrachten einer Textseite mit Illustrationen der Lutherbibel. Gestalten einer alten Handschrift mit einem Bibeltext oder einem Liedvers. Zeichnen des Anfangsbuchstabens einer Textzeile. Tabelle erstellen: Was heißt katholisch - was heißt evangelisch? Zeichnen einer Europakarte mit den Grenzen des Reiches der Habsburger. Zeichnen einer mittelalterlichen Konfessionskarte Mitteleuropas. Wie erklären sich in Deutschland auch heute noch evangelische bzw. katholische Gebiete? Wie änderte sich Deutschland nach der Wende 1989/90? Spurensuche: Warum bin ich evangelisch bzw. katholisch? Was unterscheidet heute Katholiken und Protestanten? (Gelebte Religion in der Familie, in der Schule, bei Festen) Wie können wir in der Schule einen ökumenischen Gottesdienst gestalten? Links http://www.ekd.de/ Evangelische Kirche in Deutschland http://www.ekd.de/themen/luther2017.html Luther 2017 http://www.ekd.de/medien/film/martinluther/index.html Luther-Informationen der Evangelischen Kirche in Deutschland http://www.wittenberg.de/ Lutherstadt Wittenberg © Bayerischer Rundfunk 16