1 SS 2003 VO: Geschichte Australiens Ewald Frie 10. Sitzung, 30.6.2003 Thema: Außenpolitik im 20. Jahrhundert 1. Vor 1938: The British Dominion of Australia 1.1 Geopolitische Lage im Pazifik 1.1.1 Japan Australian Prime Minister Billy Hughes 1921 vor der Imperial Conference: “The real cause and origin of the problems in the Pacific are that there are 70 million of people in a group of Islands: they are growing rapidly and there is no room for them. They have a great fleet and a great army, and they must expand. Where are they going to? That is the question.”1 1.1.2 USA wird als wesentlich weniger gefährlich wahrgenommen als die Japaner 1.1.3 Singapur die entscheidende Verteidigungslinie für Australien, der wichtigste Stützpunkt der Royal Navy 1.1.4 Australien als militärischer Zwerg Australien besaß End der 1930er Jahre eine Navy, die nicht ausreicht, die eigene Küste zu verteidigen, eine Air Force, der ein australischer Politiker Anfang der 1930er Jahre die Effektivität von Spielzeugdrachen bescheinigt hatte, und eine Armee, die als Unterstützung für England in einem auswärtigen Krieg gedacht war, nicht aber zur Verteidigung des australischen Kontinents taugte. Australien war im Falle ernsthafter militärischer Bedrohung – etwa durch die Japaner oder Chinesen – auf Hilfe einer auswärtigen Macht angewiesen; es konnte sich selbst nicht verteidigen. 1.2 Australien und Britannien Australien unterschied sich von Südafrika und Kanada, den beiden anderen großen Dominions, darin, dass es die Bindungen zum Mutterland England stärken, nicht schwächen wollte. Die Australier sahen allerdings mit Sorge das wachsende Missverhältnis zwischen der theoretischen Weltmachtstellung des Commonwealth mit dem Zentrum London und der faktischen militärischen und wirtschaftlichen Schwäche. Diese Wahrnehmung prägte auch die australi1 Paul Twomey: Munich, in: Carl Bridge (Hg.): Munich to Vietnam. Australia’s Relations with Britain and the United States since the 1930’s, Melbourne 1991, 12-37, hier 12. 2 sche Reaktion auf Hitler und die nationalsozialistische Außenpolitik. Hitler war für Australien vor allem deswegen gefährlich, weil die britische Militärmacht nur ausreichte, um einen Krieg auf einem Schauplatz zu gewinnen. Würden die Japaner nicht in den Pazifik ausgreifen, wenn England zum Krieg gegen Deutschland gezwungen war? 1.3 Australiens Reaktion auf die nationalsozialistische Außenpolitik Generell teilte Australien daher die britische Appeasement-Politik. Diese ging von folgenden Überlegungen aus: - militärisch war Großbritannien schwach und musste daher Verhandlungen einer aggressiven Machtpolitik vorziehen, - die deutschen Forderungen zur Revision des Versailler Vertrages wurden weithin als berechtigt empfunden, - wirtschaftspolitisch galt ein Ansteigen der Rüstungsausgaben als unerwünscht, gerade vor dem Hintergrund der katastrophalen Weltwirtschaftskrise, von der sich England und Australien langsam erholten, - das Reparationssystem galt als verantwortlich für die Schwächen der internationalen Finanzmärkte. Bei genereller Unterstützung der Appeasement-Politik gab es in der australischen Außenpolitik doch drei Fraktionen: eine grundsätzlich friedensgestimmte, eine eher bedenkliche und eine dem Anti-Appeaser Churchill nahestehende, deren wichtigster Kopf Billy Hughes war. Die australische Politik sah sich 1938 vor die Wahl zwischen Pest und Cholera gestellt: eine scharfe Anti-Hitler-Politik würde England in einen europäischen Konflikt auf Leben und Tod verwickeln, und Australien mit der japanischen Bedrohung allein lassen, Appeasement würde Deutschland noch stärker machen und auf Dauer die Grundproblematik der australischen Außenpolitik nur verschlimmern. Die meisten australischen Außenpolitiker lösten diese Zwickmühle, indem sie annahmen, Hitler verfolge im Grunde die (berechtigten) Ziele der deutschen Außenpolitik der späten 1920er Jahre: Revision des Versailler Vertrages, Versuch, alle Deutschen in einem Staat zu einen (eine nationalliberal gesinnten Gemütern grundsätzlich ja sympathische Vorstellung). Aus diesem Grund wurde das Münchener Abkommen von 1938, das die Abtrennung des Sudetenlandes an Deutschland und die territoriale Integrität der „RestTschechei“ regelte, weithin als Erfolg Chamberlains begrüßt. Wichtigste Ausnahme war Hughes. Er war auch nach dem Münchener Abkommen 1938 nicht überzeugt, dass dauerhafter Frieden erreicht sei. Die dunklen Wolken hätten sich nur für einen Moment verzogen und würden gewiss wiederkehren. Und jeder, der sage, Australien dürfe sich nicht in die europäischen Angelegenheiten einmischen, müsse folgende Frage beantworten: „What are we to do 3 when the weak nations of the world are oppressed? The honourable gentleman [John Curtin, leader der Labor Opposition] says that we must close our ears to the piteous cries of the oppressed, because otherwise we may be endangered … The day may come when this small nation will cry aloud to the world for help, but what will the world say if we adopt and pursue the policy of selfish isolation outlined by the Leader of the Opposition?”2 Hughes’ Pessimismus wurde allgemein nach dem deutschen Einmarsch in die Tschechoslowakei im März 1939. Nun war klar, dass es um mehr ging als um berechtigte nationale Ziele und die Revision des für Deutschland entehrenden Versailler Vertragswerkes. Insofern sahen die weitaus meisten australischen Außenpolitiker im Sommer 1939 der Tatsache ins Auge, dass der sich zusammenbrauende Polen-Konflikt nicht nach dem Muster des Münchener Vertrages würde beigelegt werden können. Man unterstützte die britische Position, Polen zu Verhandlungen über berechtigte deutsche Forderungen zu drängen, eine deutsche Landnahme mit Militärmacht aber nicht mehr zu dulden und ihr notfalls mit Krieg entgegenzutreten. Allerdings war nach dem deutsch-russischen Vertrag vom August 1939 klar, dass England de facto den Polen nicht würde helfen können. 2. Die Erfahrung des Zweiten Weltkrieges3 2.1 Kriegsausbruch Australien war mit der britischen Kriegserklärung automatisch im Krieg. Das Land hatte das „Statute of Westminster“, das 1931 die Dominions auch in außenpolitischen Fragen für selbständig erklärt hatte, nicht akzeptiert und verstand sich weiter als integraler Bestandteil des Empire. Deshalb gab es auch in den 1930er Jahren kaum australische Botschaften. In der Regel ließen die Australier ihre außenpolitischen Interessen durch London vertreten. Völlig selbstverständlich schickte Australien Ende 1939 eine Division zur Unterstützung der Briten in den Nahen Osten und zwei Kreuzer ins Mittelmeer. Außerdem wurden australische Flieger in Kanada für den Einsatz auf dem europäischen Kriegsschauplatz geschult. Die australischen Militärunterstützungen wurden unter zwei Voraussetzungen gegeben: erstens sollten die Kräfte zurückgezogen werden, sobald Japan in den Krieg eintrat (was die Engländer für unwahrscheinlich hielten), zweitens sollten die Engländer den Stützpunkt Singapur unbedingt halten. Im Hintergrund spielte außerdem immer die Hoffnung auf die offiziell neutralen US-Amerikaner eine Rolle. Sie würden die englischen Dominions im Pazifik nicht im Stich lassen, hofften Briten und Australier gemeinsam. Es gab entsprechende Hin2 Zitiert nach Paul Twomey: Munich, in: Carl Bridge (Hg.): Munich to Vietnam. Australia’s Relations with Britain and the United States since the 1930’s, Melbourne 1991, 12-37, hier 31. 3 Vgl. Joan Beaumont (Hg.): Australia’s War, 1939-45, St Leonards 1996. 4 weise aus der Roosevelt-Administration, die aber nicht offiziell und nicht unbedingt verlässlich waren. Nach der Niederlage Frankreichs im Sommer 1940 schien die Lage für Australien katastrophal. Selbst die US-Amerikaner hielten die Invasion Britanniens durch Deutschland für eine ernsthaft zu erwägende Möglichkeit. Die Briten signalisierten Australiens, dass sie angesichts des Ausfalls der französischen Flotte im Pazifik nur erscheinen würden, wenn Australien tatsächlich auf dem eigenen Territorium angegriffen werde. In dieser Situation schlugen australische Politiker – in Panik– eine Art Pacific appeasement deal vor. Großbritannien, die USA, die Niederlande, Australien und Japan sollten einen Vertrag schließen, der Japan alle wirtschaftlichen Forderungen und Wünsche im Pazifik – inklusive Bergbaurechte in Australien – gewähre, gleichzeitig aber den territorialen Status quo garantiere. Dazu kam es nicht, weil weder die Briten noch die Amerikaner bereit waren, den Japanern so weit gehende Zugeständnisse zu machen. 2.2 Pearl Harbor Pearl Harbor ist ein amerikanischer Flottenstützpunkt an der Südküste der Hawaii-Insel Oahu, westlich von Honolulu. Am 7.12.1941 vernichtete die japanische Luftwaffe – vor der Kriegserklärung – in einem für die US-Amerikaner überraschenden Präventivschlag einen Großteil der hier versammelten amerikanischen Pazifikflotte. Ca. 3.500 amerikanische Soldaten starben. Gleichzeitig griff Japan in Manila, Hongkong und Singapur an. Die britische Flotte wurde versenkt, die amerikanische Pazifik-Luftwaffe zerstört. Für Australien war dies eine Katastrophe und ein Glück zugleich. Eine Katastrophe, weil die eigene militärische Lage immer schwieriger wurde, weil nun neben dem ohnehin überanstrengten Britannien auch noch der potentielle Beschützer USA geschwächt war, und die japanische Bedrohung des eigenen Kontinents konkrete Formen annahm. Ein Glück, weil die US-Amerikaner nun gezwungen waren, in den Krieg einzutreten, und damit die Gefahr eines auf Kosten Australiens und Neuseelands gehenden Deals zwischen den USA, Deutschland und Japan gebannt war. „I laughed when I heard of it [Pearl Harbor]“, schrieb ein australischer Diplomat, „for the whole of our diplomacy had been directed to getting the USA into the war in the Pacific, and here was Japan doing it for us.“4 Die Australier haben auch nach Pearl Harbor befürchtet, von den Amerikanern und Briten im Stich gelassen zu werden. Dahinter stand das Wissen um Beschlüsse, die Amerikaner und Briten vor dem 7.12.1941 getroffen hatten, zuerst Hitler und dann Japan zu schlagen, also im 4 Zitiert nach Carl Bridge: Poland to Pearl Habour, in: Ders. (Hg.): Munich to Vietnam. Australia’s Relations with Britain and the United States since the 1930’s, Melbourne 1991, 38-51, hier 47. 5 Atlantik offensiv und im Pazifik defensiv vorzugehen („Beat Hitler first“). Doch diese Furcht war unbegründet. Vor allem die Amerikaner wussten, dass sie Australien erstens als Rohstofflieferant brauchten und zweitens als Operationsbasis einsetzen mussten, falls die Philippinen verloren gingen. Australien war der einzige Alliierte, der am Ende des Krieges eine positive Lend-Lease-Bilanz [Abkommen, nach dem die Alliierten während der Kriegszeit Waffen in den USA auf Kredit kaufen konnten] aufwies. Außerdem kämpften australische Soldaten an verschiedenen Fronten. 10% der britischen Flugzeuge während des „Battle of Britain“ und der nachfolgenden Luftoffensive über Deutschland flogen mit australischer Besatzung. Im Nahen Osten spielten australische Bodentruppen in den ersten Kriegsjahren eine wichtige Rolle. 2.3 Australien im Pazifikkrieg Schlimmer als Pearl Harbor war für die Australier der Fall von Singapur am 15.2.1942. Die Japaner hatten vom heutigen Thailand aus die Malaya-Halbinsel angegriffen. Sie bombardierten Singapur, versenkten die britischen Kriegsschiffe Prince of Wales und Repulse, gewannen damit die Luft- und Seehoheit in der Region und avancierten mit ungeheurer Schnelligkeit. „Japan’s attack was not a complete surprise“, meint Geoffrey Blainey trocken. “Far more surprising was its success.”5 Die Bevölkerung von Singapur hatte die Bedrohung lange nicht recht ernst genommen, auf die Befestigung der Stadt und eine Besatzung von mehr als 100.000 Soldaten vertrauend. Doch den Kampf um Singapur, der am 8.2. begann, entschieden die Japaner binnen einer Woche für sich. 130.000 Soldaten gingen in Kriegsgefangenschaft, darunter 15.000 Australier. Sie verbrachten die nächsten Jahre als Sklavenarbeiter. Die Hälfte von ihnen starb. Einer der Überlebenden war Edward ‚Weary’ Dunlop, der bis 1993 hoch geachtet in Melbourne wohnte und wegen seines ebenso noblen wie mutigen Verhaltens während der Kriegsgefangenschaft als letzter australischer Held gilt6. Er blieb der einzige Held, den der desaströse Beginn des Pazifikkrieges 1941 hervorgebracht hat. „The first months of the war in south-east Asia had been like Gallipoli without the glory“, heißt es bei Blainey. “In tropical jungles, beaches and towns there was bravery but that was not enough. Whereas at Gallipoli in 1915 the Australians could finally retreat with honour and safety because their weapons were superior and their ally, Britain, held command of the sea, here the Australians were superior in almost nothing. Above all, their ally, Britain, was hopelessly over-extended and so could not contribute as much as was hoped.” 7 5 Geoffrey Blainey: A Shorter History of Australia, Milsons Point 1994, 182. Vgl. Graeme Davison: The Last Hero? History and Hero-Worship, in: Ders.: The Use and Abuse of Australian History, St Leonards 2000, 20-36. 7 Geoffrey Blainey: A Shorter History of Australia, Milsons Point 1994, 183. 6 6 Für Australien war der Fall von Singapur ein Schock. Die Insel vor der Südküste der malaiischen Halbinsel galt als der wichtigste Militärstützpunkt der Briten im Pazifik, war das Symbol für die Nähe und den Schutz des Empire. „The fall of Singapore opens the battle for Australia“8, sagte der australische Premier John Curtin am 16.2.1942. Die australischen Spitzenmilitärs diskutierten untereinander und mit der politischen Führung Geheimpläne für den Fall einer japanischen Invasion. Schlimmstenfalls sollte der größte Teil des australischen Kontinents aufgegeben werden, um eine Linie von Adelaide bis Bisbane (die „Brisbane Line“) halten zu können. Aber auch das waren noch mehr als 1.600 km Küstenlinie. Wie sollte sie verteidigt werden? Singapurs Fall erzeugte nicht nur Verteidigungsbereitschaft, sondern auch Ärger. Der schnelle Fall der Festung, erschien kaum glaubhaft. Hinter vorgehaltener Hand wurde gemutmaßt, die Briten hätten gar nicht ernsthaft gekämpft und hätten bereits entschieden, Australien im Stich zu lassen. Dagegen muss daran erinnert werden, dass die Australier selbst ihre Verteidigungsanstrengungen bis Ende der 1930er Jahre arg vernachlässigt hatten und daher anfangs außer Mut und Tatkraft wenig zur Verteidigung des pazifischen Raumes beisteuern konnten. Vier Tage nach dem Fall von Singapur wurde Darwin, die einzige größere Stadt im Northern Territory, bombardiert. Ob der völlig ungewohnten Situation brach Panik aus. Im Februar landeten Japaner auf Timor, im März erreichten sie Neuguinea. Im April wurde Sydney von See aus beschossen. Das politische Australien musste die Strategie wechseln. Offensichtlich waren die durch viele Kriegsschauplätze überstrapazierten Briten entweder nicht mehr in der Lage oder nicht mehr willens, die Schutzmacht im Pazifik zu spielen. An ihre Stelle mussten die USA treten und Australien vor der Invasion der Asiaten – die nach der australischen Geschichte der letzten einhundert Jahre nicht nur als politische und militärische, sondern auch als rassische Feinde angesehen wurden) – retten. Dementsprechend wurde der amerikanische Oberkommandierende für den Pazifik, General Arthur, begeistert empfangen, als er sein Hauptquartier in Melbourne und später in Brisbane aufschlug. Im Sommer 1942 wendete sich das Blatt im Pazifikkrieg. Australien hatte einen Anteil daran, weil es seine Truppen waren, die den Vormarsch japanischer Einheiten quer durch Neuguinea 60 km vor der Hauptstadt Port Moresby stoppten. Erstmals nach einer Serie unglaublich schneller und deutlicher Siege unterlagen die Japaner in diesem Krieg zu Lande. In der Folgezeit wurden sie in die Defensive gedrängt. Insel für Insel musste nun zurückerobert werden, eine Aufgabe, an der die australischen Truppen stark beteiligt waren. Im Sommer 1945 war 8 Zitiert nach Geoffrey Bolton: The Oxford History of Australia, Bd. 5: 1942-1988. The Middle Way, Oxford u.a. 1990, 7. 7 der Inselkrieg nicht beendet. Die Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki setzten den Schlusspunkt des Pazifikkrieges. Parallel zum Offensivkrieg seit 1942 begann die australische Außenpolitik, über eine wünschbare Nachkriegsordnung nachzudenken. Hauptschwierigkeit waren die USA. Was immer sie in Zukunft tun würden, musste Australiens Außenpolitik vor Probleme stellen. Wenn die US-Amerikaner sich – wie nach dem Ersten Weltkrieg – isolationistisch auf Amerika zurückziehen würden, bliebe Australien erneut schutzlos. Wenn sie die den Japanern abgenommenen Gebiete zu einer Art amerikanischem Pacific-Empire zusammenschließen würden, bliebe für Australien nur die Rolle eines US-amerikanischen Anhängsels. Angesichts dieser bei aller Begeisterung für die amerikanischen Retter düsteren Aussichten begannen die australischen Außenpolitiker seit 1943 wieder stärker auf die Karte des britischen Empire zu setzen. Großbritannien sollte das Empire erneuern, dabei aber Australien eine stärkere Rolle zubilligen. In Neuguinea, Timor, auf all’ den Inseln des späteren Indonesien, vielleicht sogar in Malaya sollten die Australier eine wichtige Rolle spielen. In Großbritannien sah man die Planungen Australiens, das mit Neuseeland zusammenarbeitete, mit einigem Misstrauen. Die wesentlichen Entscheidungen über die Pazifik-Nachkriegsordnung wurden am Ende des Krieges ohne Beteiligung der Australier getroffen. Ihre zukünftige Rolle in einem erneuerten Empire blieb ungeklärt. 3. Der Kalte Krieg 3.1 Situation 1945 Die weltpolitische Situation war 1945 offen. Drei Mächte waren aus dem globalen Krieg als Sieger hervorgegangen. Sie repräsentierten drei politische Systeme: die kommunistische Sowjetunion mit ihren osteuropäischen Satelliten, die kapitalistischen USA, das sozialdemokratische und wohlfahrtsstaatliche Großbritannien mit dem Commonwealth. Große Teile der Welt gehörten keiner der drei Mächte direkt an: das westliche Europa, Afrika, Teile des pazifischen Raumes. Zur Regulierung einer solchen Situation konnten die soeben aus der Taufe gehobenen Vereinten Nationen dienen. Die bipolare Weltordnung des Kalten Krieges war 1945 noch keineswegs vorgezeichnet. Sie war eine der möglichen Entwicklungspfade aus der offenen Situation des Jahres 1945 heraus, keineswegs der allein gangbare Weg. Alternativ war auch eine multipolare Welt mit dem Zentrum der Vereinten Nationen denkbar, oder auch eine von den drei Siegermächten in gesellschaftspolitischer und außenpolitischer Äquidistanz gestaltete Ordnung. Die Chancen eines sozialdemokratischen britischen Commonwealth in der Mitte zwischen Amerikanern und Sowjets wurden 1945 ernsthaft diskutiert. Sie waren 8 von vornherein gering, weil Großbritannien mit den beiden Weltmächten nicht mehr mithalten konnte. Aber das einzusehen war für die britischen und britenfreundlichen Zeitgenossen schwer. Hatte nicht Großbritannien mit dem, was vom Empire noch übrig war, 1940/41 allein gegen Hitler gestanden? Waren nicht die USA spät gekommen und die UdSSR sogar vom Feinde übergelaufen? Sollte nun Großbritannien der Verlierer im Sieg sein? Die australische Außenpolitik war von ihrer geostrategischen, ihrer historischen und ihrer politischen Situation her an einer Offenhaltung der internationalen Ordnung interessiert. Durch eine multipolare Weltordnung unter dem Schirm der Vereinten Nationen oder durch eine Dreierordnung, bei der Australien eine wichtige Rolle als britischer Wächter im Pazifik übernahm, ließen sich die australischen Vorstellungen von der eigenen Rolle in einer zukünftigen pazifischen Ordnung am besten verwirklichen. Bald aber warf der Kalte Krieg seine Schatten über die Blütenträume der unmittelbaren Nachkriegszeit. Mitte der 1950er Jahre war die Welt geteilt, und Australien hatte seinen Platz an der Seite der Vereinigten Staaten gefunden. Aber das war kein 1945 schon sichtbarer gerader Weg, sondern ein Folge verschiedener, teils sich widersprechender politischer Entwicklungen und der australischen Reaktionen auf sie. 9 3.2 Der Weg in den Kalten Krieg Den Weg in die bipolare Weltordnung des Kalten Krieges ist Australien nur widerstrebend gegangen. Als Anfang 1948 die britische Außenpolitik unter Bevin die sowjetische Bedrohung für Europa als so existenziell wahrzunehmen begann, dass nur ein Zusammengehen mit den USA – mit der Konsequenz der NATO-Gründung – die „freie Welt“ würde retten können, leisteten australische Außenpolitiker hinhaltenden Widerstand. Das Labor-Government unter Chifley argumentierte, die USA als kapitalistisches und die UdSSR als sozialistisches System seien beide nicht demokratisch. Die Spannungen zwischen beiden Mächten könnten nicht einseitig einer Macht angelastet werden. Großbritannien und das Empire dürften sich nicht auf eine Seite schlagen, sondern müssten eine Mittelposition einnehmen. Ein neuer Krieg müsse unbedingt verhindert werden. Falls er ausbreche, sei Australien nicht mehr bereit, Truppen außerhalb des eigenen pazifischen Interessensgebiets einzusetzen. Im Londoner Foreign Office herrschte mindestens Verwunderung über die Position Australiens, die von keiner der anderen Dominions geteilt wurde. Kanada hatte naturgemäß keinerlei Interesse, sich mit den Vereinigten Staaten anzulegen. Es hatte sich schon lange für einen möglichst losen Empire-Verbund eingesetzt und befürwortete einen NATO-Verbund. Südaf9 Zum Kalten Krieg vgl. immer noch Wilfried Loth: Die Teilung der Welt. Geschichte des Kalten Krieges 1941-1955, erweiterte Neuausgabe München 2000 [Erstauflage 1980]. 9 rika war stark antikommunistisch. Neuseeland sprach seine außenpolitischen Aktionen mit Australien ab, optierte aber im Streitfall in der Regel für das Mutterland. Letztlich schwenkte Australien im weiteren Verlauf des Jahres 1948 auf die Linie Großbritanniens ein, einerseits aufgrund der Ereignisse in der Tschechoslowakei, andererseits wegen der Erkenntnis, isoliert zu sein. Als Ende 1949 die Labor-Regierung in Australien endete, und der liberale Robert Gordon Menzies seine für australische Verhältnisse überlange Zeit als Premierminister antrat, war die australische Sonderrolle beendet. Dass in China die Kommunisten die Macht übernahmen, verstärkte die antikommunistische Außenpolitik noch. „The defeat of Japan, it seemed, had simply replaced one threat with another.“10 Wie in Europa die sowjetische Bedrohung an die Stelle der deutschen trat, so in Australien die chinesische an die Stelle der japanischen. 3.3 Reorganisation des Welttheaters Die Neuordnung der Welt ausgangs der 1940er und zu Beginn der 1950er Jahre nach den Regeln des Kalten Krieges bedeutete aus der Sicht des Londoner Foreign Office, die aus der Empire-Tradition resultierenden weltweiten Verpflichtungen den noch gegebenen militärischen, wirtschaftlichen, finanziellen und politischen Möglichkeiten anzupassen, ohne die gesamte Macht aus den Händen zu geben. Dieser Umstrukturierungsprozess erfolgte unter schwierigen Bedingungen, da alle Beteiligten den Umschlag des kalten in einen heißen neuen Weltkrieg jederzeit für möglich hielten und keine verteidigungsschwachen Zonen entstehen lassen wollten. Mit den USA musste verhandelt werden, wer in welcher Weltregion Macht, Verantwortung und finanzielle Lasten übernehmen sollte. Mit den verschiedenen jungen Mächten des britischen Commonwealth mussten Strategien erarbeitet werden, um Einflusschancen in den ehemals britisch dominierten Regionen zu bewahren: Nahost mit Ägypten und dem Suez-Kanal, der indische Subkontinent, Burma, Malaysia, der Südpazifik. In diesem Zusammenhang kam den Australiern aus britischer Sicht eine wichtige Rolle zu: sie sollten Ordnungsaufgaben im Südpazifik übernehmen – das wollten die Australier gern tun, stießen allerdings wegen ihrer „White Australia Policy“ auf große Skepsis bei den asiatischen Nachbarn -, und sie sollten Soldaten zur Verteidigung des Suez-Kanals stellen. Die Briten begründeten das damit, dass der Suez-Kanal für England wie Australien lebenswichtig sei. Die Australier ihrerseits waren angesichts der von ihnen so wahrgenommenen kommunistischen Bedrohung aus China und den selbständig werdenden pazifischen ‚Nationen’ immer weniger bereit, zusätzliche Aufgaben weit entfernt von der Heimat wahrzunehmen, zumal angesichts des sich entwickelnden Flugverkehrs der Suez-Kanal für sie an Bedeutung verlor. 10 Geoffrey Blainey: A Shorter History of Australia, Milsons Point 1994, 191. 10 Um den australischen Beitrag zur Verteidigung der Commonwealth-Interessen wurde anfangs der 1950er Jahre hart gestritten. In Australien wurde das nationale Interesse immer stärker, das angesichts der weltpolitischen Bedrohungslage zu einer Annäherung an die Vereinigten Staaten drängte, und die verwandtschaftlichen und Gefühlsbindungen zum Mutterland England lockerte. Symbol für diese Veränderung war der ANZUS-Vertrag. 3.4 Der ANZUS-Vertrag Der 1951 zwischen Australia, New Zealand und den USA abgeschlossene ANZUS-Vertrag bedeutete für Australien die lang ersehnte militärische Sicherung durch die Vereinigten Staaten. Die USA sicherten zu, die beiden „weißen“ Staaten im Südpazifik gegen auswärtige Aggression zu schützen. Der Vertrag war nur möglich in der besonderen Situation des Jahres 1951, als die Amerikaner australische Truppen im Korea-Krieg brauchten, die australische Unterschrift unter einen Friedensvertrag mit Japan wünschten und in den Vereinten Nationen auf die Stimme der Australier angewiesen waren. Der Vertrag wurde in Australien als ein außerordentlicher Glücksfall wahrgenommen, weil er die Amerikaner dauerhaft im Pazifik festhielt, und damit eine Art südpazifische NATO darstellte. Premier Menzies soll eine gute Flasche Cognac mit seinem Chefunterhändler Spender geöffnet haben, als er von dem Abschluss erfuhr. Erstens hatte er es nicht für möglich gehalten, dass die US-Amerikaner sich darauf einlassen würden, zweitens sah er mit dem Vertrag die äußere Sicherheit Australiens gesichert, und drittens sah er einen innenpolitischen Trumpf erster Güte in seine Hand gegeben. Er ließ beide Kammern des Parlaments auflösen und stellte sich im Wahlkampf als Garanten der nationalen Sicherheit, die Labor Party aber als schwach und außenpolitisch unfähig dar. Der ANZUS-Vertrag sicherte ihm eine komfortable Mehrheit in beiden Häusern des Parlaments. „The events of early 1951 had created so powerful a base for Menzies’s authority that he was able to retain office for the next fifteen years, his party for the next twenty-one.”11 4. Vietnam 4.1 Entstehung und Verlauf des Vietnam-Krieges Vietnam hatte schon seit Beginn des 19. Jahrhunderts unter französischem Einfluss gestanden und war 1883 französische Kolonie geworden – eine der wenigen wirklich profitablen Kolonien. Schon seit dem frühen 20. Jahrhundert war die Kolonialmacht mit ‚nationalen’ Aufstandsbewegungen konfrontiert gewesen, die sie mehrfach (1908, 1930) blutig niederschlug. Während des Zweiten Weltkrieges eroberte Japan Vietnam und setzte ein Regime unter Kai11 R. J. O’Neill: The Korean War and ANZUS, in: Carl Bridge (Hg.): Munich to Vietnam. Australia’s Relations with Britain and the United States since the 1930’s, Melbourne 1991, 99-113, hier 112. 11 ser Bao Dai ein. Nach der Kapitulation Japans rief der Führer der Kommunistischen Partei Vietnams, Ho Chi-minh, die Republik Vietnam aus. Doch dann kehrte die Kolonialmacht Frankreich zurück und drängte die Kräfte Ho Chi-minhs, die Vietminh, in den Untergrund. Die Auseinandersetzungen zwischen dem von Frankreich militärisch gestützten halbkolonialen Staat Vietnam (erneut unter Bao Dai) und den Vietminh eskalierten 1954-1956 zum offenen Krieg. Nach der Niederlage Frankreichs bei Dien Bien Phu erklärten sich die Franzosen bereit, Vietnam zu verlassen. Das Land wurde durch eine neutrale Zone um den 17. Breitengrad in zwei Hälften geteilt – im Norden ein kommunistischer Staat mit dem Präsidenten Ho Chi-minh, im Süden ein westlich orientierter Staat unter Ngo Dinh Diem. Südvietnam litt unter erheblichen inneren Problemen (ausbleibende Bodenreform, starke religiöse Spannungen zwischen Katholiken und Buddhisten, zunehmend diktatorische Regierungsweise Ngo Dinh Diems) und unter einer zunehmenden Bedrohung seitens des Vietcong, einer vom Norden entgegen der nach Dien Bien Phu getroffenen Vereinbarungen unterstützten militärischen Guerilla. Die USA nahmen den Konflikt nicht als nationalen und antikolonialen Kampf, sondern als Teil einer expansiven kommunistischen Weltstrategie wahr. Wie eine Reihe von Dominosteinen würden die Staaten Südostasiens dem Kommunismus und damit Moskau anheim fallen, wenn man es gestatte, dass sich die Kommunisten in Vietnam durchsetzten (Domino-Theorie). Deshalb unterstützten die USA das Regime Ngo Dinh Diems durch Militärberater. In den frühen 1960er Jahren wurde klar, dass die südvietnamesischen Kräfte nicht ausreichen würden, um den Vietcong zu besiegen. Zu allem Überfluss eskalierten die inneren Spannungen 1964. Ngo Dinh Diem wurde gestürzt. Nach einer Periode politischer Wirren setzte sich 1965 Nguyen Van Thieu als neuer starker Mann durch. In der Endphase Ngo Dinh Diems und in den Wirren nach seinem Sturz mussten die USAmerikaner entscheiden, ob sie Vietnam seinem Schicksal überlassen wollten (das hätte aller Voraussicht nach die völlige Niederlage des Südens und ein kommunistisches Gesamtvietnam zur Folge gehabt) oder aber sich für ein nichtkommunistisches Südvietnam engagieren wollten (das ging nur durch massive Ausweitung der Truppenpräsenz). Unter dem Einfluss der Domino-Theorie entschied sich Präsident L. B. Johnson für die zweite Variante. Aus den 685 Militärberatern der frühen Kennedy-Jahre wurden bis 1964 16.500 reguläre Soldaten. Im Dezember 1968 waren 549.000 US-amerikanische Soldaten in Vietnam. Parallel dazu eskalierte der Konflikt. Aus einem innersüdvietnamesischen Guerillakrieg wurde ein offener Krieg zwischen Nordvietnam und den USA. Nachdem die Nordvietnamesen amerikanische Zerstörer im Golf von Tonkin angegriffen hatten, begannen die Amerikaner auch nördlich des 17. Breitengrades zu bombardieren. Die Masse der von ihnen abgeworfenen Bomben übertraf 12 schließlich die, die während des weiten Weltkrieges in Deutschland eingesetzt worden waren – ohne dass es gelungen wäre, den Krieg zu gewinnen. Unter der Präsidentschaft Nixons beschlossen die USA schließlich, sich aus Vietnam zurückzuziehen. Der Krieg sollte „vietnamisiert“ werden, hieß die offizielle Sprachregelung, die die schmachvolle Niederlage kaschieren sollte. Nach dem Abzug der letzten US-Truppen brach das südvietnamesische Regime zusammen. 1976 wurden Nord- und Südvietnam zu einer Sozialistischen Republik Vietnam vereinigt. Die gesellschaftliche Umgestaltung der Folgejahre hatte eine massive Flüchtlingswelle zur Folge. 4.2 Australiens Rolle im Vietnamkrieg Australien hatte keine direkten Interessen in Vietnam. Die Entkolonialisierung des Pazifik und die Auflösung des britischen Empire brachten andere Krisenherde hervor, die dem Inselkontinent viel näher lagen. Neuguinea war so ein Fall. Sein östlicher Teil war australisches Mandatsgebiet gewesen und wurde nun als Papua Neuguinea selbständig. Der westliche Teil ging an Indonesien. Damit etablierte sich ein überwiegend muslimischer Staat vor der nordaustralischen Küste. Auch die Entwicklungen auf der malaiischen Halbinsel und in Thailand berührten Australien direkter als die Frage, wer in mehr als 3.000 km entfernten (von Darwin aus gerechnet, von den Metropolen Sydney und Melbourne aus dürften es eher 6.000 km sein) Südvietnam die Regierung stellte. Dennoch entschied Premier Menzies im Mai 1962, militärische Berater zur Unterstützung des südvietnamesischen Regimes nach Saigon zu schicken. Unter seinen Nachfolgern steigerte sich die australische Truppenpräsenz nach amerikanischem Muster (wenn auch auf viel niedrigerem Niveau). Im Oktober 1967 waren 8.000 Australier in Vietnam. Sie wurden anfangs der 1970er Jahre wieder abgezogen, eine Folge der amerikanischen Entscheidung, den Krieg zu „vietnamisieren“. Wirklichen Einfluss auf die Kriegführung haben die Australier nie gehabt. Aber ihre politische Führung war „often among the first of the United States’s allies to applaude escalation of war and the last to welcome an easing of hostilities.“ Die australischen Soldaten galten als verlässlich und als eine mit guter Moral kämpfende Truppe. Von Kriegsverbrechen der Australier in Vietnam ist nichts bekannt. Insgesamt sind in Vietnam 475 australische Soldaten getötet und 4.307 verwundet worden12. Mehrere Gründe veranlassten Menzies und seine Nachfolger, Truppen nach Vietnam zu schicken: 12 Zahlen wie das vorstehende Zitat bei Geoffrey Bolton: The Oxford History of Australia, Bd. 5: 19421988. The Middle Way, Oxford u.a. 1990, 166 u. 167. 13 - der Glaube an die Domino-Theorie, verbunden mit der australischen „Ur-Angst“, von den Asiaten – jetzt speziell den kommunistischen Chinesen und ihren Verbündeten – überrollt zu werden. Dabei spielte die traumatische Erinnerung an die japanische Bedrohung während des Zweiten Weltkriegs eine wichtige Rolle. - die Furcht, sich die Amerikaner zu entfremden, die man zur militärischen Sicherheit unbedingt zu brauchen glaubte. Immer wieder wurde der ANZUS-Vertrag als Begründung für das australische Engagement in Vietnam angeführt. - innenpolitisch der Wunsch, die von Anfang an vietnamkritische Labor-Party nach einem seit 1916 immer wieder aufgegriffenen Muster als kommunistisch, national unzuverlässig und außenpolitisch gefährlich zu brandmarken und damit die Macht zu sichern. Bis 1968 konnte man in Australien mit dem Vietnam-Krieg Wahlen gewinnen. Erst dann wendete sich die Stimmung. 4.3 Der Vietnamkrieg und die australische Innenpolitik Das politische Australien hat nie geschlossen hinter dem Vietnamkrieg gestanden. Schon die Entscheidung Menzies 1962 war von Labor scharf kritisiert worden. Dafür waren folgende Gründe verantwortlich: - geopolitisch der Hinweis darauf, dass die australischen Streitkräfte gebraucht würden, um nötigenfalls in die Dekolonialisierungskonflikte vor der eigenen Haustür einzugreifen. Der Konflikt in Vietnam schwäche die nationalen Sicherheitsinteressen. - damit verbunden war eine neue Art von australischer Selbstbeschreibung, nämlich die einer selbstbewussten Ordnungsmacht im Südpazifik aus eigenem Recht. Die Zeit der Abhängigkeit von auswärtigen Mächten (erst Großbritannien, dann USA, immer wieder wurde in diesem Zusammenhang ein Ausspruch des Premierministers Harold Holt13 abschätzig zitiert: „All the way with LBJ[ohnson]“) sollte vorbei sein. - militärpolitisch die Kritik daran, dass auch Wehrpflichtige per Losentscheid („death lottery“) nach Vietnam geschickt wurden. Das erinnerte an die seit 1916 für die australische Innenpolitik traumatische conscription-Diskussion. Einige Mitglieder der Labor-Führung der 1960er Jahre waren als junge Männer über die von Premier Billy 13 Harold Holt, langjähriger “Kronprinz” unter Menzies und australischer Premier Januar 1966 - Dezember 1967 ist in die australische Geschichte mit dem Spruch „All the way with JBJ“ eingegangen und mit seinem eigentümlichen Ende. Er verschwand. Am 17.12.1967 ging er bei Portsea (Außenseite der Port Phillips Bay, südlich von Melbourne) schwimmen und kam nicht mehr zurück. Sein Körper ist nie gefunden worden. Bodyguards hatte er nicht dabei. Zeugen für einen Badeunfall gibt es nicht. Am wahrscheinlichsten ist, dass ihn der starke Wellengang in tieferes Wasser gezogen hat, von wo aus er nicht mehr ans Ufer zurückkam. Es könnten ihn aber auch die Haie gefressen haben. Außerdem wird über Selbstmord spekuliert oder auch über den chinesischen Geheimdienst. Für beides gibt es keine Belege. Wie auch immer, Harold Holt ist wohl der einzige Premierminister der Welt, der spurlos verschwunden ist. 14 Hughes geschürten Konflikte um conscription politisiert worden und in die LaborParty eingetreten. Ein Historiker hat den 60er Jahre Labor-Chef Arthur Calwell als das „veteran warhorse of the anti-conscription movement“14 bezeichnet. Für Leute wie ihn war Menzies eine Art Widergänger. - innenpolitisch die Hoffnung darauf, mit einem Antikriegskurs Stimmen gewinnen zu können. Diese Hoffnung erwies sich als falsch, denn die Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg und die prekäre geopolitische Lage Australiens machten den bedingungslosen Pro-USA-Kurs der liberalen Regierungen sehr populär. Erst als der militärische Erfolg der USA sich nicht einstellen wollte – was sich Mitte der 1960er Jahre in Australien einfach niemand vorstellen konnte; wie sollte die Weltmacht USA, die Japan geschlagen hatte und die Atombombe besaß, von einer vietnamesischen Guerilla besiegt werden können? –, wurde die Kritik lauter. Etwas später als in den USA und Europa kam es auch in Australien zu einer Anti-Vietnamkriegs-Bewegung, die nicht nur eine politische, sondern eine gegenkulturelle Bewegung der Jugend und der Intellektuellen war. Von dieser Generationenrevolte angestoßen wurden andere Protestbewegungen bisher Unterprivilegierter: die Frauenbewegung, die Aborigines-Bewegung usw. Letztlich waren es die Wellen dieser Bewegungen, die die langjährige Herrschaft der Konservativen und Liberalen in Australien beendeten und mit Gough Whitlam – einer in manchem mit dem deutschen Hoffnungsträger Willy Brand vergleichbare Figur – 1973 wieder einen Labor-Premier an die Regierung brachten. 14 Geoffrey Bolton: The Oxford History of Australia, Bd. 5: 1942-1988. The Middle Way, Oxford u.a. 1990, 168.