Erster Teil Der deutsch-französische Krieg I. Der Feldzug 1870/71 Für das damalige Europa kam der Sieg Preußens über die kaiserlichen Armeen Frankreichs überraschend.1 Die Leistung der preußischen Armee und ihr späterer Ruf waren nicht vorhersehbar gewesen, genauso wenig wie die Gründung des Deutschen Reiches. Das Bild des glänzenden Waffensieges der preußischen Armee über Frankreich trug wesentlich zur ideologischen Fundierung des neugegründeten Deutschen Reiches bei und verschaffte ihm die Aura einer ruhmreichen Kriegsgeburt – mit langfristigen Folgen für die politische Kultur des Kaiserreiches.2 Bis sich die deutsche Historiographie von der teleologischen borussischen Erzählung der Einigungskriege und der Reichsgründung befreite und einen Blick für die Ergebnisoffenheit der Ereignisse von 1870/71 gewann, bedurfte es der Distanz nahezu eines Jahrhunderts.3 Um die preußische Armee im Feldzug von 1870/71 geht es im Folgenden. Das Kapitel erzählt die Geschichte brandenburgischer Regimenter der 5. Division4, deren Kommandositz Frankfurt (Oder) war, im Krieg gegen die kaiserlichen Armeen des Second Empire (Zweiten Kaiserreichs), gegen die Volksarmeen der République und gegen die französische Nation.5 Wie sich zeigen wird, wichen die 1 Vgl. Michael HOWARD, The Franco-Prussian War. The German Invasion of France, 1870-1871, London 1961, S. 1: „For nearly eighty years the defeated nation had given the law in military matters to Europe, whereas the victor, ten years earlier, had been the least of the continent’s major military powers.“ 2 Vgl. BECKER, Bilder, S. 26 und 483-512. 3 Dazu Dennis E. SHOWALTER, The Wars of German Unification, New York 2004, bes. Einleitung und Epilog. Auch der Generalstab und sein Chef Helmuth von Moltke erhielten ihren außerordentlichen Nimbus erst durch den Sieg über Frankreich. Zum Mythos der Roonschen Heeresreform Dierk WALTER, Preußische Heeresreformen 1807-1870. Militärische Innovation und der Mythos der „Roonschen Reform“, Paderborn u.a. 2003. 4 Zur 5. Division gehörten neben dem Leibregiment und dem Grenadier-Regiment Nr. 12 die InfanterieRegimenter Nr. 48 und 52, das Dragoner-Regiment Nr. 12 und das Ulanen-Regiment Nr. 3. Die Nummerierung der preußischen Einheiten richtet sich nach der üblichen Schreibweise in damaligen Regimentsgeschichten, darum werden Korps römisch beziffert, Regimenter arabisch. 5 Zur Problematik der Bezeichnung des 1870er Krieges SHOWALTER, Wars of German Unification, S. 314 und Stéphane AUDOIN-ROUZEAU, 1870. La France dans la guerre, Paris 1989, S. 35-56. Showalter kritisiert die übliche Phaseneinteilung preußisch-französischer/deutsch-französischer Krieg, weil sie eine fragwürdige Identifikation des französischen Volkes mit seiner Regierung voraussetze. Stattdessen unterscheidet Showalter zwischen dem Krieg gegen das Empire, dem anschließenden Krieg gegen die République und einer Extradimension, die fast von Anfang an bestanden habe: dem Krieg gegen Frankreich bzw. das französische Volk. Audoin-Rouzeau dagegen übt Kritik an der Bezeichnung guerre de l’Empire, weil sie auf die „schwarze Legende“ („légende noire“) des Empire durch die republikanische Geschichtsschreibung in Frankreich zurückgeht (S. 35 f.). Außerdem sei der vermeintliche dynastische Krieg bereits Mitte Juli 1870 ein „nationaler Krieg“ (guerre de la nation) geworden (S. 56). 36 I. Der Feldzug 1870/71 Kriegserfahrungen der preußischen wie auch der französischen Offiziere, Unteroffiziere und Soldaten zum Teil erheblich vom Bild des Nationalkrieges ab, das die bürgerlich-liberale Presse in beiden Ländern zeichnete.6 Der offizielle Kriegsdiskurs suggerierte einen Nationalkrieg, faktisch wurde der Krieg aber noch ganz überwiegend nach den Regeln des gehegten Staatenkrieges geführt, in dem traditionelle Kriegsgebräuche erhebliches Gewicht besaßen. Zusätzlich wurde der Krieg durch das neu geschaffene internationale Kriegsrecht gezügelt, das in Frankreich und den verbündeten deutschen Staaten hohes Ansehen genoss.7 Die nationale Sinnstiftung des Krieges und die Nationalisierung der Gegnerschaft zwischen Preußen und Franzosen fanden vor allem in den Medien statt, während die persönlichen Beziehungen am Kriegsschauplatz anderen Gesetzen gehorchten. Dies galt besonders für den Umgang der militärischen Gegner untereinander, der viel stärker durch militärische Traditionen bestimmt war als durch nationale Feindschaft.8 Die Regimenter der 5. Division durchlebten 1870/71 drei Kriegsphasen: zuerst den vierwöchigen Feldzug gegen die kaiserlichen Konskriptionsarmeen Napoleons III., danach den mehr als zweimonatigen Belagerungsalltag von Metz und schließlich den Feldzug gegen die neu ausgehobenen Volksarmeen der République. Entsprach die erste Kriegsphase – der Krieg gegen das Second Empire – dem gehegten Staatenkrieg, so veränderte sich der Charakter des Konfliktes in der zweiten Kriegshälfte – dem Krieg gegen die République –, indem er französischerseits Züge eines nationalen Volkskrieges annahm und sich die Gegnerschaft zwischen Preußen und Franzosen verschärfte. Der Belagerungskrieg vor Metz stellte ein Übergangsstadium zwischen beiden Kriegshälften dar. Da jede Kriegsphase Offiziere und Regimenter vor neue Herausforderungen stellte, folgt die Kapitelstruktur dem Kriegsphasenschema und räumt somit der Chronologie Vorrang vor einer rein kulturgeschichtlich inspirierten thematischen Gliederung ein. Die Untersuchung konzentriert sich dabei auf drei Aspekte: die Regimentsideologien, die tradierten, militärhierarchisch gestaffelten Verhaltenskataloge der Regimenter und das Selbstver6 Zur Presse BECKER, Bilder; BUSCHMANN, Einkreisung; AUDOIN-ROUZEAU, 1870. 7 Dazu MEHRKENS, Kriegserfahrung; LANGEWIESCHE, Zum Wandel von Krieg; Dieter LANGEWIESCHE/ Nikolaus BUSCHMANN, „Dem Vertilgungskriege Grenzen setzen.“ Kriegstypen des 19. Jahrhunderts und der deutsch-französische Krieg 1870/71. Gehegter Krieg – Volks- und Nationalkrieg – Revolutionskrieg – Dschihad, in: Formen des Krieges. Von der Antike bis zur Gegenwart, hrsg. von Dietrich BEYRAU, Michael HOCHGESCHWENDER und Dieter LANGEWIESCHE, Paderborn u.a. 2007, S. 163-195. Ein gehegter Krieg lässt sich verstehen als „Kampf regulärer Truppen unter staatlicher Führung bei möglichster Schonung der Zivilbevölkerung“ (ebd., S. 166). 8 Wunderbar pointiert DANIEL/KRUMEICH, Einleitung, in: Deutschland und Frankreich im Krieg, S. 10: „Der Topos der deutsch-französischen ’Erbfeindschaft‘ sollte also […] aus der Alltags- und Erfahrungsgeschichte der deutsch-französischen Kriege gestrichen werden.“ Siehe die entsprechenden Befunde bei MEHRKENS, Kriegserfahrung, S. 11 f., 20 und 248. Vgl. aber die Studie von Michael JEISMANN, Das Vaterland der Feinde. Studien zum nationalen Feindbegriff und Selbstverständnis in Deutschland und Frankreich 1792-1918, Stuttgart 1991. Seine These lautet, dass sich in Frankreich und Deutschland die Nation vornehmlich durch Krieg und nationale Feindschaft konstituiert habe. Jeismanns These basiert auf der Auswertung der politischen Presse und orientiert sich sehr stark am deutschen Fall. Siehe als Korrektur Almut LINDNER-WIRSCHING, Französische Schriftsteller und ihre Nation im Ersten Weltkrieg, Tübingen 2004. Sie betont das Gewicht des inneren Identitätsdiskurses und stellt heraus, dass positive Kristallisationspunkte nationaler Identität mindestens ebenso wichtig waren wie negative Abgrenzungen. 1. Die Schlachten gegen die Armeen des Empire 37 ständnis und Handeln der Offiziere. Es geht darum herauszufinden, wie sich ihr Denken und Handeln im Krieg entwickelte und seinerseits die Kriegführung beeinflusste und welche kanonisierte Deutung der Kriegserfahrungen in den später verfassten Regimentsgeschichten auftauchte. Der erste Teil befasst sich mit den ersten vier Feldzugswochen und zeichnet den Weg der Frankfurter Regimenter von der Mobilmachung bis vor die Tore von Metz nach. Anhand der beiden Schlachten von Spicheren und Vionville wird herausgearbeitet, welche Bedeutung Schlachten für Regimenter und Offiziere hatten sowie umgekehrt, wie militärische Kodices etwa über Offiziersheldentum das Verhalten in der Schlacht prägten. Es folgt eine Partie über das 76e régiment d’infanterie de ligne aus Orléans, um die Erfahrungen eines französischen Linienregiments bis zur Niederlage der kaiserlichen Armeen bei Sedan zu skizzieren. Anhand der Regimentsgeschichten des 76e lässt sich zeigen, nach welcher Logik die Regimentsideologie funktionierte und wie trotz der französischen Niederlage herausgestrichen werden konnte, dass die Ehre des Regiments unbefleckt geblieben war. Der dritte Teil befasst sich mit dem Belagerungskrieg der Frankfurter Regimenter bei Metz und nimmt gelegentlich Bezug auf das belagerte 76e. Der Belagerungsalltag zehrte auf seine Weise an der Substanz der Regimenter und ihrer Offizierkorps, weil wochenlanges Ausharren im Schlamm ihrem militärischen Selbstverständnis widersprach. In den vereinzelten Überfällen durch franctireurs (Freischärler oder Freischützen) und in der Frage der Behandlung französischer Zivilisten dämmerte bereits die Problematik der folgenden Kriegsphase herauf. Sie ist Gegenstand des vierten Teils über den Feldzug gegen die Volksheere der République. In dieser Phase verschärften sich die Anzeichen einer Nationalisierung des Krieges in den Köpfen der Kriegsteilnehmer, ebenso die Anzeichen einer Radikalisierung der Kriegführung. Warum dies geschah und welche Rolle hierbei die tradierten Denk- und Verhaltenskataloge der Regimenter, insbesondere die Ehr- und Ordnungsvorstellungen der Offiziere spielten, lässt sich anhand des Winterfeldzuges an der Loire beobachten. 1. ’Ruhm und Ehre‘. Die Schlachten gegen die Armeen des Empire Schlachten bildeten einen integralen Bestandteil von Regimentsideologien. Die Ideologien der brandenburgischen Regimenter verlangten von den Regimentsangehörigen, im Dienst für König und Vaterland ihre Kampfkraft unter Beweis zu stellen und auf dem Schlachtfeld Ruhm und Ehre für die Fahnen ihres Regiments zu erwerben. In dieser Erwartung zog auch das Leibgrenadier-Regiment Nr. 8 aus Frankfurt (Oder) in den Krieg – das ältere und prestigeträchtigere der beiden Frankfurter Infanterieregimenter. Da Tradition in der Armee einen Wert an sich darstellte, galten sogenannte kleine Hausnummern, die frühe Gründungen anzeigten, als besonders erlesen. Das Leibregiment war 1808 als Infanterie-Regiment Nr. 8 gegründet worden, das Infanterie-Regiment Nr. 12 zur Zeit der Befreiungs- 38 I. Der Feldzug 1870/71 kriege 1813. Der Gründungsmythos des Leibregiments handelte von der Rettung der Armee und Preußens aus der Schmach der Niederlage von Jena und Auerstedt. Beide Regimenter waren mit der Provinz Brandenburg, dem Königreich Preußen und der Hohenzollerndynastie eng verflochten. So waren die Chefs des Leibregiments stets die preußischen Könige. Seine volle Bezeichnung lautete seit 1861 „Leib-Grenadier-Regiment König Friedrich Wilhelm III. (1. Brandenburgisches) Nr. 8“. Traditionell durfte es sich zu den preußischen Garden rechnen.9 Am 29. Juni 1871, dem Geburtstag des Prinzen Friedrich Carl Alexander von Preußen (1801-1883) und dem fünften Jahrestag der Schlacht von Gitschin, wurde dem Grenadier-Regiment Nr. 12 der Name seines langjährigen Chefs (1822-1883) verliehen.10 Aber bis dahin war es noch ein Stück des Weges. Zunächst führte er die beiden Regimenter von der Mobilmachung in Frankfurt (Oder) über den Ausmarsch und den Truppentransport gen Saarbrücken bis zu den beiden ersten Schlachteinsätzen der 5. Division bei Spicheren und Vionville. Mobilmachung und Auszug Als am 16. Juli 1870 der Mobilmachungsbefehl beim Leibregiment in Frankfurt (Oder) eintraf, entlud sich die aufgestaute Spannung der vergangenen Tage in emsigem Treiben. Die „Hetzerei“ in den Garnisonen hatte begonnen.11 Eilig wurden alle Hebel der Mobilmachungsmaschinerie in Gang gesetzt, welche die Zeitgenossen so faszinierte und den Ruf preußischer Kriegsvorbereitung mitbegründete.12 Die abkommandierten und beurlaubten Offiziere wurden zum Leibregiment zurückberufen, bereits am 18. Juli trafen Waffen und Munition, am 19. die Reit-, Zug- und Packpferde ein, am 20. formierte sich das Ersatzbataillon, am 21. wurden 9 SCHÖNING, Leib-Grenadier-Regiment im Weltkriege, S. 15. Zwar wandelte sich die Systematik der Regimentsnomenklatur im 19. Jahrhundert mehrfach. Sie beruhte aber auf bestimmten Prinzipien, wie das Beispiel des Grenadier-Regiments Prinz Carl von Preußen (2. Brandenburgisches) Nr. 12 veranschaulichen mag: Auf die Truppenbezeichnung folgte der Name des Chefs oder früheren Chefs, in Klammern dahinter die provinzielle Nummer und abschließend die Nummer in der Reihe der preußischen Regimenter. 10 Vgl. Hermann BIEDER, Bilder aus der Geschichte der Stadt Frankfurt a. Oder, Bd. 1, Frankfurt (Oder) 1899, S. 150 f. Prinz Carl von Preußen (1801-1883) war der dritte Sohn von König Friedrich Wilhelm und Königin Luise und ein jüngerer Bruder von König Wilhelm . – Die beiden anderen Infanterieregimenter der 5. Division, Nr. 48 und 52, waren 1860 im Zuge der Roonschen Heeresreform aus dem Leibregiment und dem Grenadier-Regiment 12 hervorgegangen. Nach dem Sieg über Frankreich wurden sie nach dem Kommandeur der 5. Division und dem befehlshabenden General des III. Armeekorps benannt in königlich-preußisches Infanterie-Regiment von Stülpnagel (5. Brandenburgisches) Nr. 48 und von Alvensleben (6. Brandenburgisches) Nr. 52. 11 Hugo von MÜLLER, Geschichte des Grenadier-Regiments Prinz Carl von Preußen (2. Brandenburgisches) Nr. 12, 1813-1875, Berlin 1875, S. 396. 12 Zur preußischen Mobilmachung Gustaf LEHMANN, Die Mobilmachung von 1870/71, Berlin 1905; Hermann RAHNE, Mobilmachung. Militärische Mobilmachungsplanung und -technik in Preußen und im Deutschen Reich von Mitte des 19. Jahrhunderts bis zum Zweiten Weltkrieg, Berlin 1983, S. 61ff.; Geoffrey WAWRO, The Franco-Prussian War. The German Conquest of France in 1870-1871, New York 2003, S. 79-84. 1. Die Schlachten gegen die Armeen des Empire 39 Abb. 1 Festparade bei der 60-jährigen Jubiläumsfeier von Prinz Carl von Preußen als Chef des nach ihm benannten Grenadier-Regiments Prinz Carl von Preußen (2. Brandenb.) Nr. 12 am 23./24. Mai 1882 in der neu errichteten Kaserne des Regiments. (StadtA Frankfurt (Oder), Fotoslg., Zg 715/10) die drei Bataillone auf etatmäßige Kriegsstärke gebracht (je 1.000 Mann), und am 22. Juli schließlich erstattete das Regiment dem Generalkommando die Meldung, dass es marschbereit sei.13 Stolz kommentierte der Verfasser der Geschichte des Grenadier-Regiments 12 von 1875, Hugo von Müller (1840-1911): „Noch nie war die Mobilisierung einer auf dem Friedensfuße befindlichen Armee mit solcher Präcision und Schnelligkeit ausgeführt worden.“14 Unter dem Jubel der Bewohner und den Tränen vieler Angehöriger verließen die Garnisonstruppen am 23. und 24. Juli Frankfurt (Oder).15 13 Zur Mobilmachung des Leibregiments LICHTENSTEIN, Leib-Grenadier-Regiment, S. 151 (Wilhelm Lichtenstein [1837-?] kam 1858 als Einjährig-Freiwilliger ins Leibregiment [damals 8. InfanterieRegiment] und gehörte ihm bis 1886 an); Wilhelm MATSCHOSS, Kriegs-Erlebnisse des Unteroffiziers Wilhelm Matschoss von der 10. Kompagnie Leib-Grenadier-Regiments (1. Brandenburgisches) Nr. 8 während des Feldzuges 1870/71, nach dessen eigenen Mittheilungen und Tagebuchnotizen nacherzählt von J. Wenzel, Zeyer 1898, S. 3 (im Folgenden zitiert als MATSCHOSS, Kriegs-Erlebnisse). 14 MÜLLER, Grenadier-Regiment Prinz Carl, S. 393. MÜLLER war 1858 als Leutnant direkt aus dem Kadettenkorps an das Regiment überwiesen worden und gehörte ihm bis 1874 an. Seit dem 22. August 1870 war er Hauptmann und Kompanieführer der 3. Kompanie. 15 Namentlich die Kommandos der 5. Division, der 9. und 10. Infanteriebrigade, der 5. Kavalleriebrigade, Stab, 1. und 2. Bataillon Leib-Grenadier-Regiment (1. Brandenburgisches) Nr. 8, Stab und 1. Bataillon 6. Brandenburgisches Infanterie-Regiment Nr. 52, 1. Bataillon 1. Brandenburgisches 40 I. Der Feldzug 1870/71 In der Armee begrüßten Berufssoldaten und Kriegsfreiwillige den Krieg mit der größten Begeisterung, weniger galt dies für Wehrpflichtige und noch weniger für Reservisten. Die Kriegslegitimation bestand nach Meinung des konservativen Milieus in Preußen darin, dass Frankreich die „Ehre“ des Monarchen, nach Ansicht des bürgerlichen Milieus diejenige der Nation, verletzt habe und dieser Angriff gerächt werden müsse.16 Den Glauben an einen gerechten Verteidigungskrieg bekräftigte König Wilhelm vor seiner Abreise zur Armee in der Proklamation „An mein Volk“ und erneut in seiner Mainzer Ansprache „An die Armee“, in der er an den Mythos der Befreiungskriege anknüpfte. Mit ähnlichen Reden hatten die Regiments- und Bataillonskommandeure ihre Einheiten auf den Krieg eingeschworen und gefordert, dass jeder Einzelne „König, Vaterland und Familie vor ähnlicher Schmach und Unterdrückung“ bewahren müsse und nur als Sieger wiederkehren dürfe.17 Die reibungslose Mobilmachung sowie die anschließende rasche Truppenkonzentration nahe der französischen Grenze verschafften der preußischen Armee einen wichtigen Startvorteil vor der französischen Armee, die, anstatt wie vorgesehen auf deutschem Boden eine Offensive zu führen, zunächst gegen das Chaos ihrer eigenen Mobilmachung ankämpfte.18 Damit untergrub die französische Führung ihre „Kultur der Kompetenz“ (Dennis E. Showalter), derer eine Armee ebenso bedarf wie einer guten Führung in der Schlacht, um ihre Kohäsion und Schlagkraft zu bewahren.19 In der Tat flößten das Tempo und die Plangenauigkeit der preußischen Mobilmachung und Truppenkonzentration den preußischen Soldaten großes Vertrauen in ihre Führung ein. Darüber hinaus markierten sie den Beginn einer neuen Ära der Kriegführung, in der die administrative Vorbereitung und Planung mindestens ebenso wichtig waren wie die operative Kriegführung. Die zeitgenössische Bezeichnung der Heeres-„Maschine“ brachte dies bildlich zum Ausdruck. 16 17 18 19 Landwehr-Regiment Nr. 8 sowie 2. Brandenburgisches Dragoner-Regiment Nr. 12. Die Annahme Steinbachs, eine Welle enthusiastischer Begeisterung sei über die preußischen Residenz- und Garnisonstädte geschwappt (Matthias STEINBACH, Abgrund Metz. Kriegserfahrung, Belagerungsalltag und nationale Erziehung im Schatten einer Festung 1870/71, München 2002, S. 23), müsste wohl nuanciert werden: Bei Freunden und Verwandten der Soldaten geben die hier untersuchten Quellen eher eine gedrückte Stimmung zu erkennen. Zur Stimmung in der Armee ROHKRÄMER, Militarismus, S. 88-91; Frank KÜHLICH, Die deutschen Soldaten im Krieg von 1870/71. Eine Darstellung der Situation und der Erfahrungen der deutschen Soldaten im Deutsch-Französischen Krieg, Frankfurt a.M. 1995, S. 168 f. Zitat aus GAYL, Kurze Darstellung Leib-Grenadier-Regiments, S. 37; zu den Ehrvorstellungen und Ehrverletzungen bei Kriegsausbruch Birgit ASCHMANN, Ehre – das verletzte Gefühl als Grund für den Krieg. Der Kriegsausbruch 1870, in: DIES. (Hrsg.), Gefühl und Kalkül. Der Einfluß von Emotionen auf die Politik des 19. und 20. Jahrhunderts, Stuttgart 2005, S. 151-174 sowie BECKER, Bilder, S. 492 f. Der Abschiedsgruß König Wilhelms vom 31. Juli sowie der Armee-Befehl vom 2. August 1870 sind abgedruckt in: Hans WANGEMANN, Geschichte des königlich preußischen Feld-Artillerie-Regiments General-Feldzeugmeister (2. Brandenburgisches) Nr. 18 und seiner Stammtruppenteile, im Auftrage des Regiments verfaßt von Hans Wangemann, Frankfurt (Oder) 1891, S. 158 f.; Zitat aus MÜLLER, Grenadier-Regiment Prinz Carl, S. 393 f. Zur französischen Mobilmachung siehe Omas J. ADRIANCE., The Last Gaiter Button. A Study of the Mobilization and Concentration of the French Army in the War of 1870, Westport/CT 1987. Vgl. SHOWALTER, Wars of German Unification, S. 243. 1. Die Schlachten gegen die Armeen des Empire 41 Das Zusammenspiel von Bürokratie und Technologie sollte seither die Natur des Krieges bestimmen.20 Die Frankfurter Truppen gehörten zur 5. Infanteriedivision unter Generalleutnant Ferdinand von Stülpnagel (1813-1885) und standen im Verband des III. Armeekorps, dessen Führung Generalleutnant Constantin von Alvensleben (1809-1892) anvertraut worden war, da der bisherige Korpsführer Prinz Friedrich Karl für die Dauer des mobilen Verhältnisses zum Oberbefehlshaber der Zweiten Armee ernannt worden war.21 Prinz Friedrich Karl von Preußen (1828-1885), einziger Sohn des bereits erwähnten Prinz Carl von Preußen und ein Neffe König Wilhelms, war seit 1860 Kommandeur des III. Korps gewesen. Das preußische Territorialsystem gab jedem Armeekorps eine eigene landsmannschaftliche Identität. Die Brandenburger des III. Korps rühmten sich ihrer Kampfstärke und ihres Willens, nie aufzugeben.22 Die harte Ausbildungspraxis und die Kriegserfolge von 1864 und 1866 hatten dem III. Korps den Ruf des besten Korps neben der Garde eingetragen. Durch Leistungsfähigkeit versuchte sein Kommandeur wettzumachen, was dem Korps an Garde-Glanz fehlte, und beschwor in seinem Abschiedsbefehl vom 20. Juli das elitäre Sonderbewusstsein des III. Korps.23 Das am stärksten ausgepräge Sonderbewusstsein unter den Infanterieregimentern der 5. Division pflegte das Leibregiment.24 Seine Offiziere entstammten zum größten Teil preußischen Adelsfamilien aus Ostelbien, vorneweg aus Brandenburg.25 Meistens waren schon ihre Väter Offiziere gewesen, sonst waren sie über20 Ebd., S. 248 f.; zur Technologie im Krieg DERS., Soldiers, Technology, and the Unification of Germany, Hamden/CT 1975. 21 Zum Kriegseinsatz des III. Armeekorps siehe Thilo KRIEG, Constantin von Alvensleben, General der Infanterie. Ein militärisches Lebensbild, Berlin 1903, S. 71-152. Nach dem Krieg wurde Alvensleben endgültig zum Kommandierenden General des III. Korps ernannt. Zur langjährigen Tätigkeit Friedrich Karls als Kommandeur des III. Korps siehe Prinz Friedrich Karl von Preußen. Denkwürdigkeiten aus seinem Leben, vornehmlich auf Grund des schriftlichen Nachlasses des Prinzen bearb. und hrsg. von Wolfgang FOERSTER, 2 Bde., Stuttgart/Leipzig 1910, hier Bd. 1, S. 239-273. 22 Dazu SHOWALTER, Wars of German Unification, S. 259. 23 LICHTENSTEIN, Leib-Grenadier-Regiment, S. 152. Dass Prinz Friedrich Karl kein Freund der Garde war und „seine Brandenburger“ bevorzugte, ließ er die Gardisten im Feldzug spüren, siehe Richard Graf von PFEIL, Vor vierzig Jahren. Persönliche Erlebnisse aus großer Zeit, Schweidnitz 1910, S. 25 f.; siehe bereits für 1866 BA-MA Freiburg N 513/9 Nachlass Hermann von Eichhorn, Briefe an seine Frau, Bf. vom 5.7.1866, Bl. 3: „Der Prinz schwenkt zu uns ein, nimmt die Mütze ab und sagt zu uns, der Garde, die er nicht gut leiden kann: ’Wärt Ihr nicht gekommen, so hätten wir heute keinen Sieg.‘“ – Die Konkurrenzen innerhalb der preußischen Armee bieten viel Potential für künftige kulturgeschichtliche Studien. 24 Seine Reputation reichte zur Zufriedenheit von Unteroffizier Matschoss sogar bis nach Saarbrücken: „Unser Regiment stand anscheinend auch hier in bestem Rufe, denn ich hörte zu verschiedenen Malen den Ausruf: ’Ach das Leibregiment, das wird seine Sache schon machen.‘“ MATSCHOSS, Kriegs-Erlebnisse, S. 4. 25 Die folgenden Ergebnisse verdanke ich der aufwendigen statistischen Auswertung der gedruckten Stammlisten der Regimenter durch Ole Wiechmann, Marburg. Zugrunde gelegt wurden die Stichjahre 1875, 1890 und 1905 (Leib-Grenadierregiment Nr. 8) bzw. 1900 (Grenadier-Regiment und Dragoner-Regiment Nr. 12). Siehe Klemens KROLL, Offizier-Stammliste des Leib-Grenadier-Regiments König Friedrich Wilhelm III. (1. Brandenburgisches) Nr. 8. Von der Errichtung des Regiments am 20. August 1808 bis zum 1. Juni 1899, Berlin 1899; ROOS, Paul von, Erster Nachtrag der Stammliste des Leib-Grenadier-Regiments König Friedrich Wilhelm III. (1. Brandenburgisches) Nr. 8 vom 1. Juni 1808 bis einschließlich 27. Januar 1908, Berlin 1908; Ulrich von REDEN, Stammliste des Grenadier-Regiments PrinzCarl von Preußen (2. Brandenburgisches) Nr. 12. Von der Er- 42 I. Der Feldzug 1870/71 wiegend Gutsbesitzer, Land- oder Regierungsräte. Wie sehr die Offiziere aus dem Leibregiment auf Standesmäßigkeit bedacht waren, zeigten sie auch in der Wahl ihrer Gattinnen, die zu einem Gutteil adelig waren. Die elitäre Abschließungstendenz des Korps setzte sich bis zum Weltkrieg fort, indem kaum ein bürgerlicher Offizier mehr aufgenommen wurde. Insofern stellte Erich Ludendorff, der seine Leutnantsjahre (1890 bis 1895) im Leibregiment zubrachte, eine Ausnahme dar. Außerdem ergänzte sich das Offizierkorps der Leibregiments zur Jahrhundertwende fast ausschließlich aus Offiziersfamilien. Sozial etwas weniger exklusiv, weil nur ein kleinerer Teil zum Adel gehörte, war das Offizierkorps des Grenadier-Regiments Nr. 12. Noch an der Wende zum 20. Jahrhundert hielten sich adelige und bürgerliche Offiziere in seinen Reihen ungefähr die Waage. Eine Offizierslaufbahn in einem der beiden Regimenter prädestinierte zu einer aussichtsreichen Militärkarriere, überwanden die aus ihnen hervorgegangenen Offiziere doch überproportional häufig die berühmt-berüchtigte „Majorsecke“, jene Karriereschwelle zwischen Hauptmann und Major, und wurden zu Stabsoffizieren (Major, Oberst, Oberstleutnant) oder gar Generälen (Generalmajor, Generalleutnant, General der Infanterie, Kavallerie oder Artillerie, Generaloberst) befördert. Am sozial exklusivsten war freilich das Offizierkorps des Dragoner-Regiments Nr. 12. Im 1870er Krieg schon fast rein adelig besetzt, hatte es bis 1900 auch den letzten bürgerlichen Offizier aus seinem erlauchten Kreis verdrängt. Den Soldaten des 1. Bataillons Leibregiment wurde die besondere Auszeichnung zuteil, auf dem Transport zur Grenze am Berliner Bahnhof von König Wilhelm, ihrem „Allerhöchsten Kriegsherrn“, persönlich begrüßt zu werden.26 Diese kurze Begegnung hatte hohen Symbolwert, stellte sie doch für die Regimentsangehörigen erneut das besondere Verhältnis ihres Regiments zum preußischen König, Obersten Kriegsherrn und Ersten Chef des Regiments unter Beweis. Für den Begriff „Oberster“ oder „Allerhöchster Kriegsherr“ gibt es bezeichnenderweise keine adäquate Übersetzung in andere Sprachen.27 Die Mystik, die in dem Begriff mitschwingt, widerlegt alle Versuche, die preußische Armee dieser Zeit allein als eine auf moderne Effizienz, professionelle Leistung und kühle ratio ausgerichtete Institution zu begreifen. Wann auch immer der König dem Leibregiment sein „Vertrauen“ aussprach, ob in Wort oder Schrift, oder ihm andere Beweise seiner „Gnade“ schenkte wie Auszeichnungen oder Ölporträts – der Regimentskommandeur antwortete im Namen des Regiments stets mit dem „Gelöbniß“, das Regiment werde sich der Gnade würdig erweisen und das Vertrauen rechtfertigen, indem es seine soldatische Pflicht leisten und den „sieggewohnten Fahnen“ „neue Lorbeeren“ hinzufügen werde.28 Das eingelöste Versprechen zog dann neue königliche Gnadenbeweise richtung der Regiments am 1. Juli 1813 bis zum 1. März 1901 zusammengestellt von von Reden, Oldenburg i.O./Leipzig 1901 (erw. u. vervollständ. bis 30. April 1913 von von WITZLEBEN, Oldenburg i.O./Leipzig 1913); Claus von HEYDEBRECK, Stammliste des Dragoner-Regiment von Arnim (2. Brandenburgisches) Nr. 12, Berlin 1903. 26 LICHTENSTEIN, Leib-Grenadier-Regiment, S. 153. 27 Hierzu Dierk WALTER, A Military Revolution? Prussian Military Reforms before the Wars of German Unification, in: Forsvarsstudier/Defence Studies 15/2 (2001), S. 3-34, hier S. 13 und Anm. 27. 28 LICHTENSTEIN, Leib-Grenadier-Regiment, S. 153. 1. Die Schlachten gegen die Armeen des Empire 43 nach sich, für die das Regiment dem König wieder Liebe, Treue und Dankbarkeit schuldete. Dieser ewige Kreislauf aus Gnaden- und Dankbarkeitsbekundungen band König und Regiment fest aneinander. Die Eisenbahnfahrt bis nach Kreuznach erlebten die Soldaten des Leibregiments als „Festzug“29, so enthusiastisch wurden sie überall begrüßt und mit Geschenken bedacht. Die Welle des Patriotismus und der euphorischen Kriegsstimmung, die sich auf die durchreisenden Einheiten ergoss, hinterließ einen unvergesslichen Eindruck auf die Soldaten und vermittelte vielen von ihnen wahrscheinlich zum ersten Mal ein Gefühl für die Existenz Deutschlands. Bei der Rheinüberquerung stimmten sie begeistert „Die Wacht am Rhein“ an. Das III. Korps stand wie das Gardekorps im Verband der Zweiten Armee, mit der auch Helmuth von Moltkes Stab und das königliche Hauptquartier reisten.30 Als der mit Abstand größten der drei deutschen Armeen war der Zweiten Armee die Aufgabe zugedacht, den Hauptschlag gegen die französische Rheinarmee zu führen. Zu dieser Entscheidungsschlacht sollte es allerdings nicht kommen: Anfang August vereitelte Karl von Steinmetz, der eigensinnige Führer der Ersten Armee, kurzerhand Moltkes operatives Konzept, indem er seine Armee unerlaubterweise vorschickte und der Zweiten Armee den Weg zum Feind versperrte.31 Anstatt einer Entscheidungsschlacht kam es in den ersten vier Feldzugswochen zu insgesamt neun großen Schlachten. Die Verlustbilanz war verheerend: über 70.000 Tote, Verwundete und Vermisste in nur vier Wochen.32 Selbst verglichen mit den Erfahrungen der Kriege des 20. Jahrhunderts waren die Konzentration der Kräfte, die Wucht ihres Zusammenpralls, die Härte des Kampfes sowie die Einsatzbereitschaft der Soldaten beider Seiten außerordentlich.33 Das Faszinosum Schlacht rührte für die Zeitgenossen (und einen breiten Strang besonders der älteren Militärhistoriographie) daher, dass sich der Krieg in der Schlacht in hochkonzentrierter, dramatischer und blutiger Weise manifestierte und 29 Ebd., S. 154. 30 Zur Zweiten Armee gehörten das Gardekorps, das III., IV. und X. Armeekorps, zu denen Anfang August noch das IX. und XII. Armeekorps hinzukamen, sowie die 5. und 6. Kavallerie-Division, insges. knapp 200.000 Mann. 31 Siehe SHOWALTER, Wars of German Unification, S. 251; FOERSTER (Hrsg.), Prinz Friedrich Karl, Bd. 2, S. 145. 32 Zu den Todesursachen siehe die Statistiken in KÜHLICH, Deutsche Soldaten, S. 398. Demnach fielen während des ganzen Krieges 43% der Soldaten im Gefecht, knapp 29% starben an Krankheiten und gut 26% erlagen ihren Wunden. Das Novum bestand in der – relativ – geringen Zahl der an Krankheiten Verstorbenen, was auf den fortschrittlichen medizinischen Dienst in den deutschen Heeren zurückzuführen ist. Das III. Korps und das I. bayerische Korps lagen in der Verluststatistik mit knapp 34% resp. 33% einsam an der Spitze, ebd., S. 397. 33 Eberhard KAULBACH, Der Feldzug 1870 bis zum Fall von Sedan. Zur deutschen Führung in heutiger Sicht, in: Wolfgang von GROOTHE/Ursula von GERSDORFF (Hrsg.), Entscheidung 1870. Der deutschfranzösische Krieg, Stuttgart 1870, S. 44-104, hier S. 44. Es standen sich schätzungsweise 350.000 bis 450.000 deutsche Soldaten und 250.000 bis 350.000 französische gegenüber. 44 I. Der Feldzug 1870/71 sich mit der Schlacht die Vorstellung einer Entscheidung verband.34 Schlachten standen (und stehen) exemplarisch für die Kriegführung einer Epoche, und die Kriegführung wiederum spiegelte die Gesellschaftsordnung der Kontrahenten wider. Gewonnene Schlachten galten als Beweis für die Überlegenheit des eigenen Heerwesens und der eigenen Gesellschaftsverfassung und waren in den nationalen Mythologien tief verankert.35 Die herausragende Rolle von Schlachten für das Selbstverständnis und die Ideologie von Regimentern lässt sich schon am Seitenproporz in den Regimentsgeschichten ablesen. Während der Friedensdienst äußerst knapp abgehandelt wird, nehmen die Schlachtenbeschreibungen Hunderte von Seiten ein. In Schlachten konnten Regimenter ihren Daseinszweck demonstrieren, die Früchte ihrer Ausbildungstätigkeit ernten und ihren Fahnen im buchstäblichen Sinne „Ruhm anheften“. Hatten Regimenter in ihrer Geschichte keine Schlachtenteilnahme zu verzeichnen wie die erst 1866 gegründeten 12. Dragoner, bereitete ihnen dies einen Minderwertigkeitskomplex gegenüber anderen Regimentern und ließ den Autor der Regimentsgeschichte, Claus von Heydebreck (1859-1935), daran zweifeln, ob die Niederschrift ihrer Geschichte überhaupt Sinn ergab.36 Die Frankfurter Regimenter der 5. Infanteriedivision waren an zwei Schlachten aktiv beteiligt: Spicheren und Vionville, am 6. und 16. August –, den am wenigsten geplanten, gewünschten und gelenkten Schlachten des gesamten Feldzuges.37 Regimentsheldentum und Schlachterfahrungen. Spicheren und Vionville/ Mars-la-Tour Die Schlacht bei Spicheren am 6. August 1870 hatte unter denkbar ungünstigen Bedingungen begonnen. Was die 14. Division fälschlicherweise für die französische Nachhut hielt, entpuppte sich als ein abwehrbereites Elitekorps, das Korps Fros34 Vgl. FÖRSTER/PÖHLMANN/WALTER, Die Schlacht in der Geschichte sowie KEEGAN, Face of Battle. Siehe auch Keegans kritische Betrachtungen zur Darstellungskonvention der Schlachtenhistoriographie, ebd., S. 36ff. und 62ff. Von dem Gedanken einer schnellen Kriegsbeendigung durch Entscheidungsschlachten war auch Moltkes geheime „Instruktion für die höheren Truppenführer“ von 1869 beherrscht. Dementsprechend sah Moltke die Hauptaufgabe der militärischen Ausbildung in der Vorbereitung zur Schlacht. Siehe Curt JANY, Geschichte der Königlich Preußischen Armee, 4 Bde., Bd. 4: Die Königlich Preußische Armee und das deutsche Reichsheer 1807-1914, Berlin 1933, S. 255-257. 35 Vgl. BECKER, Bilder, S. 30 f. 36 Siehe das Vorwort von Claus von HEYDEBRECK, Das Dragoner-Regiment von Arnim (2. Brandenburgisches) Nr. 12. Geschichte des Regiments von seiner Formation bis zum Jahre 1908, o.O. o.J. (1909). Heydebreck war 1878 als Fahnenjunker ins Regiment eingetreten, das er von 1906 bis 1908 kommandierte. Schon sein Vater, Hennig von Heydebreck (1828-1904), war Kommandeur des Regiments gewesen (1872-1881); siehe Claus Heinrich Bill HEYDEBRECK/Hans Georg von HEYDEBRECK, 750 Jahre Heydebrecks. Die Familie v. Heydebreck vom Mittelalter bis heute, 1254-2004, Limburg 2004, S. 227. 37 Siehe KAULBACH, Feldzug 1870, S. 64; Showalter, Wars of German Unification, S. 251. Zur Schlacht HOWARD, Franco-Prussian War, S. 89-99; WAWRO, Franco-Prussian War, S. 107-120; KAULBACH, Feldzug 1870, S. 62-66; außerdem Das Generalkommando des III. Armeekorps bei Spicheren und Vionville (Kriegsgeschichtliche Einzelschriften, H. 18), hrsg. vom Großen Generalstab, Abtheilung für Kriegsgeschichte, Berlin 1895.