Suhrkamp Verlag Leseprobe Dudow, Slatan Kuhle Wampe oder Wem gehört die Welt? DVD mit Begleitheft, darin Kommentar und Materialien, zusammengestellt von Heinrich Geiselberger. 148 Min. DVD 5 codefree. PAL, Schwarzweiß (4:3). Mono. Deutsch © Suhrkamp Verlag filmedition suhrkamp 2 978-3-518-13502-0 Bertolt Brecht/Slatan Dudow Hanns Eisler/Ernst Ottwalt Kuhle Wampe oder Wem gehört die Welt? Kommentar und Materialien Zusammengestellt von Heinrich Geiselberger Inhalt Kommentar Vom Dreigroschenprozeß zu Kuhle Wampe. Brechts Programm für den »nichtaristotelischen« Film 6 Materialien Bertolt Brecht, Zur Tonfilmdiskussion 43 Bertolt Brecht, Tonfilm »Kuhle Wampe oder Wem gehört die Welt?« 44 Bertolt Brecht, Kleiner Beitrag zum Thema Realismus 48 Siegfried Kracauer, Kuhle Wampe verboten 51 Mitwirkende 57 Nachweise und Impressum 59 Vom Dreigroschenprozeß zu Kuhle Wampe Brechts Programm für den »nichtaristotelischen« Film Einleitung Die prominenteste Spur, die Bertolt Brecht in der Filmgeschichte hinterlassen hat, ist ein Zitat, das ein großer Regisseur einem andern in den Mund gelegt hat: 1964 läßt Jean-Luc Godard in Die Verachtung, seinem Meisterwerk über den Film als Sprache und als Geschäft, Fritz Lang sagen: »Jeden Morgen, mein Brot zu verdienen Gehe ich auf den Markt, wo Lügen gekauft werden. Hoffnungsvoll Reihe ich mich ein zwischen die Verkäufer.« In diesen Zeilen aus dem Gedicht Hollywood, in dem Brecht im Sommer 1942 seine Erfahrungen als Filmschreiber im Exil festhält, schießen Fäden zu einem Netz zusammen, das viele Aspekte seiner fast vier Jahrzehnte währenden Auseinandersetzung mit dem Medium Film verknüpft: Die Zusammenarbeit mit Lang, die Skepsis gegenüber der Filmindustrie, insbesondere derjenigen in Hollywood, und der Einfluß auf Godard und die Groupe Dziga-Vertov sind die offensichtlicheren. Zu den weniger bekannten In: Bertolt Brecht, Werke. Große kommentierte Berliner und Frankfurter Ausgabe (GBA), Band 12, S. 122 f. Nach den eher realistisch erzählenden Filmen der frühen sechziger Jahre (Außer Atem, 1960, Die Verachtung, 1964) gründete Godard zusammen mit JeanPierre Gorin die nach dem sowjetischen Regisseur Dziga Vertov benannte Gruppe, die eine Reihe politischer Essayfilme drehte, darunter Pravda. Vent D’est, Luttes en Italie (beide 1969) und Tout va bien (1972). In ihren program- gehört: Zwei ehemalige Hospitanten Langs wurden als Mitarbeiter bzw. ästhetische Erben Brechts berühmt: Slatan Dudow und Alexander Kluge. Dudow hospitierte 1925 bei den Dreharbeiten zu Metropolis in Babelsberg; der junge Alexander Kluge assistierte Lang 1959 auf Vermittlung von Theodor W. Adorno bei dem Abenteuerfilm Der Tiger von Eschnapur. Die Resignation, die aus Hollywood spricht, ist allerdings keineswegs repräsentativ für Brechts filmpraktisches und -theoretisches Werk – die Abscheu gegenüber der Filmindustrie markiert allenfalls einen Eckpunkt des Spannungsfelds Brecht und Film. Hinzuzufügen sind die Faktoren: Begeisterung für neue Technik, Spaß, die Notwendigkeit, Geld zu verdienen, Politik und ästhetische Theorie. Burkhardt Lindner hat Brechts Versuche, mit den neuen Medien, insbesondere dem Film, zu arbeiten, in vier Etappen unterteilt. In den frühen zwanziger Jahren (Brechts erste Filmkritik über Aufklärungsfilme der Nachkriegszeit erschien am 7. November 1919 im Augsburger Volkswillen) verfaßte er eine Reihe rasant-überdrehter Drehbücher, Genreparodien, von denen nur eine realisiert wurde: 1923 der gemeinsam mit Karl Valentin geschriebene und inszenierte Kurzfilm Mysterien eines Frisiersalons. Dazu kommen Das Mysterium der Jamaika-Bar, Der Brillantenfresser, Drei im Turm (alle 1921) und das Filmexposé Robinsonade auf Assuncion (1922). Dabei war Spaß »das wichtigste Anliegen« (Wolfgang Gersch) – und »Spaß macht auch die Lektüre« (Karsten Witte). Witte malte sich 1972 aus, was die Protagonisten des Neuen Deutschen Films, was Volker Schlöndorff, Edgar Reitz oder Rosa von Praunheim aus diesen Stoffen gemacht hätten. Simatischen Texten in den Cahiers du Cinema berufen sich die beiden explizit auf Brechts Theorie des epischen Theaters (N.N., S. 4 ff.). Im Mai/Juni-Heft des Jahres 1972 erschien die französische Übersetzung von Brechts »Zur Soziologie der Oper – Anmerkungen zu ›Mahagonny‹« (S. 28 ff.). Brechts frühe Drehbücher und Exposés finden sich im 19. Band der GBA. cher ist: Sie wären auch bei Gerald Thomas oder Mel Brooks gut aufgehoben gewesen. Die zweite Phase begann in den späten zwanziger Jahren und endete mit Brechts Emigration. Im Exil (dritte Phase) versuchte er, meist erfolglos, mit dem Schreiben für den Film Geld zu verdienen. In dieser Zeit entstanden unter anderem die fragmentarischen Exposés Semmelweis (1934) und The Goddess of Victory (1944). Das einzige realisierte Drehbuch dieser Phase ist das gemeinsam mit Fritz Lang verfaßte zu Hangmen Also Die, zu dem Hanns Eisler die Musik schrieb. Der Film über die Ermordung Reinhard Heydrichs kam 1943 in die Kinos, allerdings tauchte der Name Brecht im Vorspann nicht auf, da es John Wexley vor dem Schiedsgericht der Screen Writers Guild durchgesetzt hatte, als alleiniger Autor genannt zu werden. Erst als 1998 die englische Übersetzung des deutschen Originaldrehbuchs auftauchte, wurde deutlich, wie groß der Anteil Brechts an diesem Film war – heute gilt er als »authentisches Brecht-Werk« (vgl. Lyon, S. 457). Der letzte Abschnitt umfaßte schließlich die Zeit zwischen Brechts Rückkehr nach Deutschland und seinem Tod im Jahr 1956. Fast alle Pläne, die Brecht mit und gegen die DEFA konzipierte, scheiterten, zuletzt 1955 die lange geplante Verfilmung der Mutter Courage durch Wolfgang Staudte (vgl. Duchardt a). GBA 19, S. 375-377. Als Ausgangspunkt für eine Auseinandersetzung mit dem Thema Brecht und der Film sei auf Wolfgang Gerschs maßgebliche Studie Film bei Brecht (1975) und die entsprechenden Beiträge im dritten Band des von Jan Knopf herausgegebenen Brecht Handbuchs (2002) verwiesen. I. Der »Dreigroschenprozeß« und Brechts Programm für den »nichtaristotelischen Film« Die Verfilmung der Dreigroschenoper Die theoretische und praktische Auseinandersetzung mit dem Medium Film kulminiert in der zweiten Phase, genauer: in den frühen dreißiger Jahren, und sie beginnt mit einer künstlerischen und juristischen Niederlage: der Verfilmung der Dreigroschenoper. Im Frühjahr 1930, zwei Jahre nach der Uraufführung der »Bettler-Oper« am 31. August 1928, tritt die Nero-Film an Brecht und Kurt Weill heran. Am 3. August 1930 einigt man sich: Brecht soll ein überarbeitetes Exposé liefern, die Firma gesteht ihm das Recht zu, Änderungen zu verlangen, sollte der Film von dieser Grundlage abweichen. Brecht geht es nicht darum, die Oper »abzufilmen«, sondern ihren politischen Kern in die Sprache des Films zu übersetzen. Rückblickend schreibt er dazu: »Die ›Dreigroschenoper‹ konnte, unter Belassung des status quo in der Benutzung der Filmapparate, in einen Dreigro­ schenfilm verwandelt werden, wenn ihre soziale Tendenz zur Grundlage der Bearbeitung gemacht wurde. Das Attentat auf die bürgerliche Ideologie mußte auch im Film veranstaltet werden können. Intrige, Milieu, Figuren waren vollkommen frei zu behandeln.« Er will das Werk »nach dem Gesichtspunkt der Beibehaltung seiner gesellschaftlichen Funktion« »zertrümmern« und schreibt zu diesem Zweck innerhalb weniger Tage das Filmexposé Die Beule. Ein Dreigroschenfilm, das er am 18. August dem Anwalt der Nero GBA 21, S. 489. Film übergibt (vgl. Krabiel, S. 123). Wenige Tage später erklärt die Firma, Brecht habe den Vertrag gebrochen, und kündigt die Zusammenarbeit auf. Kurz darauf wird G. W. (Georg Wilhelm) Pabst als Regisseur verpflichtet, im September beginnen die Dreharbeiten. Brecht und Weill klagen gegen die Verfilmung, die Firma verteidigt sich mit dem Hinweis, Brecht habe dem Text in Die Beule eine »ausgesprochene politische Tendenz gegeben« (Hecht, S. 292). Der Prozeß beginnt am 17. Oktober, am 4. November weist das Landgericht Berlin die Klage ab. Brecht und Weill legen Berufung ein. Am 15. November werden die Dreharbeiten abgeschlossen. Kurz darauf kommt es zu einem Vergleich zwischen der Nero-Film und Brecht, der seine Klage zurückzieht und eine Entschädigung von 25 000 Reichsmark erhält (vgl. Brechts kurzen Text Zur Tonfilmdiskussion, Anhang, S. 43). Der Film feiert am 19. Februar 1931 in Berlin Premiere und wird ein großer Erfolg (vgl. Krabiel, S. 123; Gersch, S. 67 ff.). »Vorschläge zur besseren Verwendung der Apparate« Ein halbes Jahr später, Brecht hält sich in Le Lavandou an der französischen Riviera auf, schreibt er über die Verfilmung und den anschließenden Prozeß den Essay Der Dreigroschenprozeß. Er bezeichnet die Ereignisse als »soziologisches Experiment«, durch das die Heuchelei der bürgerlichen Filmindustrie, der Rezensenten und der Justiz entlarvt worden sei. Während der Großteil des Aufsatzes aus dieser Abrechnung besteht, entwickelt Brecht im dritten, »Kritik der Vorstellungen« überschriebenen Abschnitt ein ästhetisches Programm für den revolutionären Film. Auffallend ist die zeitliche Nähe zu zwei weiteren »medienprogrammatischen« Schriften: den Anmerkungen zur Oper »Aufstieg und In: GBA 19, S. 307-320. 10 Fall der Stadt Mahagonny« und dem Vortrag Der Rundfunk als Kommunikationsapparat. In diesen drei Texten unterscheidet Brecht zwischen dem, was die Medien unter den Bedingungen der kapitalistischen Gesellschaftsordnung können, und dem, was sie prinzipiell könnten (vgl. Lindner, S. 18). Im Radio-Vortrag, in dem er die Forderung aufstellt, der Rundfunk müsse von einem Distributions- in einen wahrhaft demokratischen Kommunikationsapparat verwandelt werden, heißt es dazu: »Dies ist eine Neuerung, ein Vorschlag, der utopisch erscheint und den ich selber als utopisch bezeichne, wenn ich sage: der Rundfunk könnte oder das Theater könnte, ich weiß, daß die großen Institute nicht alles können, was sie könnten, auch nicht alles, was sie wollen. […] Aber es ist keineswegs unsere Aufgabe, die ideologischen Institute auf der Basis der gegebenen Gesellschaftsordnung durch Neuerungen zu erneuern, sondern durch unsere Neuerungen haben wir sie zur Aufgabe ihrer Basis zu bewegen. Also für Neuerungen, gegen Erneuerung! Durch immer fortgesetzte, nie aufhörende Vorschläge zur besseren Verwendung der Apparate im Interesse der Allgemeinheit haben wir die gesellschaftliche Basis dieser Apparate zu erschüttern, ihre Verwendung im Interesse der wenigen zu diskreditieren. Undurchführbar in dieser Gesellschaftsordnung, durchführbar In GBA 24, S. 74-86, bzw. GBA 21, S. 552-557. Eine erste Fassung des Texts Anmerkungen zur Oper »Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny«, den Brecht zusammen mit Peter Suhrkamp verfaßte, erscheint am Tag der Uraufführung (9. März 1930) unter dem Titel Zur Soziologie der Oper – Anmerkungen zu »Mahagonny« in der Zeitschrift Musik und Gesellschaft. Eine überarbeitete Version wird in Versuche, Heft 2, veröffentlicht. Den Vortrag Der Rundfunk als Kommunikationsapparat hält Brecht am 1. November 1930, also noch während des Prozesses um die Verfilmung der Dreigroschenoper. Er wird im Juli 1932 in den Blättern des Hessischen Landestheaters Darmstadt abgedruckt. 11 in einer anderen, dienen die Vorschläge, welche doch nur eine natürliche Konsequenz der technischen Entwicklung bilden, der Propagierung und Formung dieser anderen Ordnung.« Den neuen technischen Apparaten Rundfunk und Film begegnet er weder mit kulturpessimistischer Ablehnung noch mit übertriebenem Enthusiasmus, er klopft vielmehr jedes Medium auf sein spezifisches Potential hin ab. Für ihn findet mit dem Aufkommen der neuen Techniken kein historischer Prozeß statt, in dessen Rahmen die alten durch die neuen, technischen Künste verdrängt würden, sondern es entfaltet sich ein relationales System von Medien, das nun um die »Apparate« erweitert werde, was wiederum Auswirkungen auf alle übrigen Gattungen habe:10 »Die alten For­men der Übermittlung nämlich bleiben durch neu auftauchende nicht unverändert und nicht neben ihnen bestehen. Der Filmesehende liest Erzählungen anders. Aber auch der Erzählungen schreibt, ist seinerseits ein Filmesehender. Die Technifizierung der literarischen Produktion ist nicht mehr rückgängig zu machen. Die Verwendung von Instrumenten bringt auch den Romanschreiber, der sie selbst nicht verwendet, dazu, das, was die Instrumente können, ebenfalls können zu wollen, das, was sie zeigen (oder zeigen könnten), zu jener Realität zu rechnen, die seinen Stoff ausmacht, vor allem aber seiner eigenen Haltung beim Schreiben den Charakter des Instrumentebenützens zu verleihen. GBA 21, S. 557. 10 Dazu schreibt Roswitha Mueller: »[…] Brecht refused to consider film as separate from other forms of art because of its more obvious involvement with business. The interdependence of all forms of art and the interaction of culture, law, and the economy were in the forefront of Brecht’s analysis […]. As much as he stressed the power the economy has over cultural production, he never lost sight of the interventionary power of culture.« (S. 55) 12 Es ist zum Beispiel ein großer Unterschied, ob der Schrei­bende an die Dinge herangeht wie mit Instrumenten oder ob er die Dinge ›aus sich herausstellt‹. Was der Film selbst tut, das heißt, wie weit er seine Eigenart gegen die ›Kunst‹ durch­setzt, ist dabei nicht gleichgültig.«11 In dieser »Technifizierung« und im »Instrumentebenützen« liegt der wesentliche Unterschied zwischen den alten und den neuen Kommunikationsmedien, und dieser hat mit dem Zugang zu den Produktionsmitteln zu tun: Prinzipiell mag es möglich sein, in der »gegebenen Gesellschaftsordnung« gegen die Imperative des Marktes politische, formal ambitionierte Bücher und Stücke zu schreiben, da die dafür notwendigen Produktionsmittel relativ günstig zu haben sind.12 Wo es jedoch um die großtechnischen Apparate Rundfunk und Film geht, ist es aufgrund der schieren Kosten undenkbar, gegen den Markt zu arbeiten: Die »Produktionsmittel der Filmschreiber« sind schließlich »durchkapitalisiert«, die Produzierenden den Inhabern der Produktionsmittel ausgeliefert: »Dem Kopfarbeiter sagen: es stehe ihm frei, auf die neuen Arbeitsmittel zu verzichten, heißt ihm eine Freiheit außerhalb des Produktionsprozesses anweisen. So sagen die Besitzer der Produktionsmittel dem Handarbeiter, sie zwän­gen ihn ja nicht, zu dem Lohne zu arbeiten, den sie ihm zumessen, er sei ›frei‹, zu gehen. Gleichberechtigt stehen sich also die Bewaffneten und die Unbewaffneten, die Mörder und die Opfer gegenüber, beiden ist es erlaubt zu kämpfen. Die Abwanderung der Produktionsmittel vom Produzierenden bedeutet die Proletarisierung 11 GBA 21, S. 464 f. 12 Brecht gestaltete, darauf weist Wolfgang Gersch hin, in dieser Zeit seine Lehrstücke so, daß sie auch von Laiengruppen ohne teure Kostüme, Requisiten oder Kulissen inszeniert werden konnten (S. 101). 13 des Produzierenden, wie der Handarbeiter hat hier der Kopfarbeiter im Produktionspro­zeß nur mehr seine nackte Arbeitskraft einzusetzen, seine Ar­beitskraft aber, das ist er selber, er ist nichts außer dem, und genau wie beim Handarbeiter benötigt er zunehmend (da die Produktion immer ›technischer‹ wird) zur Ausnutzung sei­ner Arbeitskraft eben die Produktionsmittel: der grauenvolle circulus vitiosus der Ausbeutung hat auch hier eingesetzt!« 13 Insofern sei es »denkbar, daß die Schreibenden anderer Kategorien, also die Dramatiker oder die Romanschreiber, zunächst filmischer arbeiten können als die Filmleute«.14 Daher ist für Brecht die »Vergesell­schaftung dieser Produktionsmittel« im Bereich der technischen Künste »eine Lebensfrage«.15 Denn solange 13 GBA 21, S. 466. 14 GBA 21, S. 465; Brecht weist darauf hin, Autoren wie Stevenson und Rimbaud hätten schon früher filmisch gearbeitet, ihren Stoff visuell geordnet, vgl. Glossen zu Stevenson, GBA 21, S. 107. Im Hinblick auf das vermeintlich spezifisch filmische Mittel der Montage schreibt Mueller: »Although montage seems most suited to film, it actually was developed first as an artistic principle in other art forms. The paintings, poetry, and drama of dadaism, surrealism and Russion futurism laid the groundwork for Eisenstein’s formulations of film montage.« (S. 67) 15 Diesen Punkt hob auch Willi Münzenberg, der Reichstagsabgeordnete, der in den zwanziger Jahren für die KPD ein Medienimperium aufbaute, in seinem 1925 erschienenen Manifest Erobert den Film! hervor: »Wie die kapitalistische Presse, so wird auch der Film vom Großkapital ganz bewußt zur Werbung und Verdummung der breiten Massen benutzt. In der Bekämpfung der bürgerlichen durch ihre eigene Presse hatte es die Arbeiterklasse leichter, weil die Herstellung einer Zeitung verhältnismäßig einfacher und mit geringeren Kosten verbunden ist. Schwerer und fast unmöglich ist aber die Produktion und Herstellung von antikapitalistischen und antibürgerlichen Filmen in kapitalistischen Ländern, weil für einen guten Film, und nur solche kommen in Betracht, um wirkliche Massen­wirkungen zu erzielen, die dazu notwendigen Summen so groß sind, daß keine Arbeiterorganisation in der Lage ist, derartige Mittel aufzubringen.« 14 sich Investitionen amortisieren müssen, steht der Film in einer jeden Fortschritt hemmenden Abhängigkeit vom »Publikumsgeschmack«. Den »Geldleuten« gehe es schließlich nicht darum, »dem Publikum die letz­ten Einfälle der Technik und die schönsten Gedanken der Dichter zu vermitteln«, vielmehr machten sie ein (»schlechtgehendes«) Geschäft daraus, »immer wieder recht festgelegte, we­nig variierbare, aber in der Wirkung rasch abgenutzte Unter­haltung in ein riesiges amorphes unvorstellbares Publikum zu pumpen«.16 Dabei orientierten sie sich ausschließlich an dessen Erwartungshaltung: »Dieses verzwickte, kostspielige und einträgliche Ding Publikumsgeschmack hemmt den Fort­schritt. An der zunehmenden Einflußnahme der Käufer auf das Wie des Produkts ist nicht zu zweifeln, und sie wirkt sich reaktionär aus.« Dies werde von den bürgerlichen Rezensenten im Feuilleton scheinheilig kritisiert, gleichzeitig hielten sich die Verantwortlichen »in den hinteren Räumen ihrer Blätter auf, in den Inse­ratenabteilungen! Dort sitzen die Physiker zusammen und unterhalten sich über den Publikumsgeschmack. Sie verstehen ihn sowenig wie die Metaphysiker im Vorderzimmer, aber es ist, um ein Ding auszubeuten, nicht nötig, es zu ver­stehen«.17 In der »gegebenen Gesellschaftsordnung« habe der Film als Ware wie alle anderen Künste eine »kulinarische« Funktion,18 das Publikum erwarte, daß Filme unterhaltsam, erholsam und »drrramatisch«19 seien: »Aber hauptsäch­lich der der kapitalistischen Produktionsweise eigentümliche scharfe Gegensatz zwischen Arbeit und Erholung trennt alle geistigen Betätigungen in solche, welche der Arbeit, und solche, welche der Erholung dienen, und macht aus 16 GBA 21, S. 470. 17 GBA 21, S. 471. 18 Vgl. GBA 24, S. 76. 19 GBA 26, S. 337. 15 den letzteren ein System zur Reproduktion der Arbeitskraft. Die Erholung ist im Interesse der Produktion der Nichtproduktion gewidmet. Ein einheitlicher Lebensstil ist so natürlich nicht zu schaffen. Der Fehler liegt nicht darin, daß die Kunst so in den Kreis der Produktion gerissen wird, sondern darin, daß dies so unvoll­ständig geschieht und daß sie eine Insel der ›Nichtproduk­tion‹ schaffen soll. Wer sein Billett gekauft hat, verwandelt sich vor der Leinwand in einen Nichtstuer und Ausbeuter. Er ist, da hier Beute in ihn hineingelegt wird, sozusagen ein Opfer der Einbeutung.«20 Doch nicht nur die Finanziers und die Rezipienten, auch die eigentlichen Produzenten verfolgten keine politische Intention, sondern eine individualistische Ausdrucksästhetik, die auf die Gestaltung von Erlebnissen und Leidenschaften ziele. Davor, so Brecht, sei nicht einmal der von ihm sonst überaus geschätzte Charlie Chaplin sicher:21 »Die Größe solcher Leidenschaften, das Nichtspießige, wurde einstmals bestimmt von der Rolle, die sie in der Ge­sellschaft zu spielen hatten, und zwar ihrer revolutionieren­den Rolle. Selbst die Wirkung des ›Potemkin‹ auf diese Leute stützt sich auf die Empörung, die sie empfänden, woll­ten ihre Ehefrauen ihnen verdorbenes Fleisch vorsetzen (was zu viel ist, ist zu viel!), und Chaplin weiß genau, daß er ›menschlich‹, das heißt spießig sein muß, um auch anderes zu dürfen, und ändert zu diesem Zweck 20 GBA 21, S. 475 f. 21 Über Chaplins Kurzfilm Alkohol und Liebe schreibt Brecht schon im Oktober 1921: »[…] er ist das Erschütterndste was es gibt, es ist eine ganz reine Kunst […] von erschreckender Sachlichkeit und Trauer« (GBA 26, S. 257). Brecht und Chaplin trafen sich im Jahr 1944 in Santa Monica. Vgl. zu Brechts Begeisterung für Chaplin: Witte, S. 64 f.; zu Chaplins Status unter linken Kunstschaffenden der Weimarer Republik: Stoos, S. 503 f. 16 gelegentlich ziem­lich skrupellos seinen Stil. (Siehe die berühmte Großauf­nahme des hündischen Blicks, mit der ›City Lights‹ ab­schließen!)«22 Eine »großartig induktive Methode« Dagegen setzt Brecht seine »Vorschläge zur besseren Verwendung der Apparate im Interesse der Allgemeinheit«, er entwirft ein Programm für einen politischen »nichtaristotelischen« Film. Dieser hat die technische Besonderheit des Mediums zu berücksichtigen, seine »großartig induktive Methode« zur Abbildung der äußeren Realität: »In Wirklichkeit braucht der Film äußere Handlung und nichts introspektiv Psychologisches. Und in dieser Tendenz wirkt der Kapitalismus, indem er bestimmte Bedürfnisse im Massenmaßstab heraustreibt, organisiert und automatisiert, schlecht­hin revolutionierend. Er vernichtet weite Strecken Ideologie, wenn er, sich nur auf die ›äußere‹ Handlung konzentrie­rend, alles in Prozesse auflösend, den Helden als Medium, den Menschen als Maß aller Dinge aufgebend, die introspektive Psychologie des bürgerlichen Romans zerschlägt. Das Vonaußensehen ist dem Film gemäß und macht ihn wichtig.«23 Ein solches Programm erschöpft sich nicht im dokumentarischen oder naturalistischen Abschildern »äußerer Handlungen« (diese Beschränkung wirft Brecht anderen proletarischen Filmen der Zeit vor) und im Verzicht auf psychologische Motivierung. Vielmehr sollen dokumentarische Bilder so montiert werden, daß die 22 GBA 21, S. 477. 23 Ebd. 17 (aktiven) Rezipienten Zusammenhänge erkennen. Das kommt in der wohl berühmtesten Passage des Aufsatzes zum Ausdruck: »Die Lage wird dadurch so kompliziert, daß weniger denn je eine einfache ›Wiedergabe der Realität‹ etwas über die Realität aussagt. Eine Fotografie der Kruppwerke oder der AEG ergibt beinahe nichts über diese Institute. Die eigent­liche Realität ist in die Funktionale gerutscht. Die Verdinglichung der menschlichen Beziehungen, also etwa die Fabrik, gibt die letzteren nicht mehr heraus. Es ist also tatsächlich ›etwas aufzubauen‹, etwas ›Künstliches‹, ›Gestelltes‹. Es ist also ebenso tatsächlich Kunst nötig. Aber der alte Begriff der Kunst, vom Erlebnis her, fällt eben aus. Denn auch wer von der Realität nur das von ihr Erlebbare gibt, gibt sie selbst nicht wieder. Sie ist längst nicht mehr im Totalen erlebbar.«24 Hier berühren sich also episches Theater und »nichtaristotelischer« Film: »Für den Film sind die Sätze nichtaristotelischer Dramatik (nicht auf Einfühlung, Mimesis, beruhender Dramatik) ohne weite­res annehmbar. Nichtaristotelische Wirkungen zeigt etwa der russische Film ›Der Weg ins Leben‹ zunächst einfach dadurch,25 daß das Thematische (Erziehung Verwahrloster durch bestimm­te sozialistische Methoden) den Zuschauer dazu veranlaßt, Kausalzusammenhänge herzustellen zwischen dem Verhalten des Lehrers und dem seiner Schüler. Diese Kontrolle der Ur­sachen wird durch die entscheidenden (Erziehungs-)Szenen so zum Hauptinteresse des Zuschauers, daß er die aus der alten 24 GBA 21, S. 469. 25 Nikolai Ekks Der Weg ins Leben war 1931 einer der ersten sowjetischen Tonfilme. Im Mittelpunkt steht die Wiedereingliederung von Kindern und Jugendlichen, die durch den Bürgerkrieg zu Waisen geworden waren. 18 Einfühlungsdramatik genommene Motivierung der Verwahr­ losung (häusliches Unglück plus Seelenschmerz statt Welt­krieg oder Bürgerkrieg) ›instinktiv‹ ablehnt!«26 In einer Gesellschaft, die von den Gesetzen der kapitalistischen Produktion bestimmt wird und in der folglich der »Held als Medium« aufgegeben werden muß, bedeutet das (und dieser Punkt spielt dann in der Auseinandersetzung um das Verbot von Kuhle Wampe eine zentrale Rolle), daß es nicht darum geht, individuelle Charaktere mit individuellen Motiven auszustatten: »Für die Dramatik ist die Stellung des Films etwa zur handelnden Person interessant. Er verwendet zur Ver­lebendigung seiner Personen, die nur nach Funktionen ein­gesetzt sind, einfach bereitstehende Typen, die in bestimmte Situationen kommen und in ihnen bestimmte Haltungen einnehmen können. Jede Motivierung aus dem Charakter unterbleibt, das Innenleben der Personen gibt niemals die Hauptursache und ist selten das hauptsächliche Resultat der Handlung, die Person wird von außen gesehen. Die Literatur braucht den Film nicht nur indirekt. Sie braucht ihn auch direkt.«27 Wenn Brecht die ökonomische Unterhaltungsfunktion durch eine politisch-aufklärerische ersetzt, so hat das Folgen für seine Vorstellung des Produzenten. An die Stelle des individuellen Künstlers (bzw. »Künstlers«, wie Brecht im Hinblick auf das ästhetische Einzelgenie traditioneller Provenienz schreibt) tritt, wo es um eine klar definierte pädagogische Aufgabe geht, das Kollektiv: 26 GBA 21, S. 477 f. 27 GBA 21, S. 465. 19 »Tatsächlich sollte der Film nichts machen, was ein Kollektiv nicht machen kann. Allein diese Begrenzung wäre schon ein recht fruchtbares Gesetz, ›Kunst‹ würde dadurch schon ausscheiden. Ein Kollektiv kann, im Gegensatz zu einem einzelnen, ohne festen Rich­tungspunkt nicht arbeiten, und Abendunterhaltung ist kein solch fester Punkt. Hätte das Kollektiv etwa bestimmte lehrhafte Absichten, würde es sofort einen organischen Körper bilden. Es ist das Wesen des Kapitalismus und nichts allgemein Gültiges, daß alles ›Einmalige‹, ›Besondere‹ nur von einzel­nen hergestellt werden kann und Kollektive nur genormte Dutzendware hervorbringen. Was für ein Kollektiv haben wir heute im Film? Das Kollektiv stellt sich zusammen aus dem Finanzier, den Verkäufern (Publikumsforschern), dem Re­gisseur, den Technikern und den Schreibern. Ein Regisseur ist nötig, weil der Finanzier nichts mit der Kunst zu tun haben will, der Verkäufer, weil der Regisseur korrumpiert werden muß, der Techniker, nicht weil die Apparatur kompliziert ist (sie ist unglaublich primitiv), sondern weil der Regisseur von technischen Dingen auch nicht die primitivste Ahnung hat, der Schreiber endlich, weil das Publikum selber zu schreibfaul ist. Wer wünschte da nicht sofort, der Einzelanteil an der Produktion möchte unkenntlich sein? In keinem Mo­ment hatten während der Arbeit am Dreigroschenfilm, einschließlich der im Prozeß geleisteten, die Beteiligten die glei­che Auffassung von Stoff, Zweck des Films, Publikum, Ap­paratur usw. Tatsächlich kann ein Kollektiv nur Werke schaffen, welche aus ›Publikum‹ Kollektive bilden können.«28 28 GBA 21, S. 478 f. 20