Spezielle neurochirurgische Maßnahmen 364 28 Navigation und intraoperative Magnet­resonanztomografie innerhalb des Arbeitsraumes in x-, y- und z-Koordinaten beschrieben werden kann, hergestellt. Die Referenzklemme wird fest mit dem Patienten bzw. mit der relevanten Körperregion verbunden. Das Instrument kann ein einfacher Zeiger sein, aber es kann auch ein beliebiges anderes chirurgisches Instrument oder aber auch der Fokus des Operationsmikroskops sein. Das Mikroskop muss dafür den Fokusabstand an die Navigation übertragen können. Damit wird das Operationsfeld einschließlich des zur Operation gelagerten Patienten digitalisiert. Die Bilder des Patienten liegen im Operationssaal in Form eines dreidimensionalen Datensatzes vor, in dem jeder Bildpunkt ebenfalls in x-, y- und z-Koordinaten beschrieben werden kann. Systemkomponenten In der Neurochirurgie haben sich die optischen Systeme weitgehend als Standard der Navigationssysteme etabliert. Zur Ortung der Referenzklemme und des Instruments wird eine stereoskopische Kamera eingesetzt. Die Instru­ mente verfügen dabei über passive, Licht reflektierende oder aktive, Licht emittierende Marker, welche die Kamera im Raum orten kann. Der Navigationscomputer muss die Beziehung zwischen den Markern und der Spitze des Instruments kennen und berechnet daraus in Echtzeit die Position des Instruments in Relation zum Patienten und kann dessen Position im dreidimensionalen Navigations- Abb. 28-1 Komponenten eines integrierten neurochirurgischen ­ P-Saals mit intraoperativer Magnet­resonanztomografie. Durch die O Systemintegration ist sowohl das Navigationssystem als auch das Mikroskop an deckenmontierten Stativen befestigt und die Arbeitsstation des Navigationssystems in einen Nebenraum ausgelagert: Der Touchscreen-Monitor (1) dient als Anzeige und Bedienfeld der Navigation. Im Hintergrund ist die stereoskopische Kamera (2), welche die reflektierenden Marker der unterschiedlichen Instrumente im Raum ortet, zu erkennen. Im Bild finden sich die Referenzklemme (3), die mit der Kopfhalterung fest verbunden ist und die mit MRT- und Naviga­tions­markern ausgestattete Kopfspule (4), datensatz darstellen (Abb. 28-1). Voraussetzung ist die vorherige Registrierung oder Korrelation der realen Koordinatensysteme mit dem Koordinatensystem des Bilddatensatzes. Ein Monitor dient der lokalisationsbezogenen intraoperativen Darstellung der prä- oder intraoperativ gewonnen Bilddaten und Informationen. Darüber hinaus ermöglichen die meisten Systeme eine Informationseinblendung in das Head-up-Display des Mikroskops. Der Funktionsumfang und die Möglichkeiten der Bilddarstellung hängen von der jeweiligen Programmierung ab und können zwischen einzelnen Systemen erheblich variieren. Klinische Anwendung und Indikationen Die klinische Anwendung teilt sich auf in die Vorbereitung außerhalb des Operationssaales (Bilddatenakquisition, -übertragung, Vorbereitung und Planung) und im OP (Installation des Systems, Registrierung) sowie die eigentliche intraoperative Anwendung (Übertragung der Zugangsplanung, intraoperative Orientierung). Bilddatenakquisition, Vorbereitung und Planung Abhängig vom Hersteller und der verwendeten Software kann sich die Reihenfolge der einzelnen Schritte unterscheiden. Als Grundlage für die Navigation dient ein Volumendatensatz, der eine Registrierung der Bilddaten mit der Patientenanatomie ermöglicht. Darüber hinaus die eine automatische Registrierung des Patienten ermöglicht. Im roten Kreis auf dem Boden, welcher den 5-Gauss-Bereich markiert, steht der MR-­Tomograf (5). Innerhalb des roten Bereichs ist nur die Verwendung von speziell abgeschirmten Geräten und nichtmagnetischen Instrumenten erlaubt. In das Operationsmikroskop (6) können Informationen aus der Navigation, z. B. Tumorkonturen, eingeblendet werden. Der OP-Tisch befindet sich in der OP-Position (links). Zur Durchführung einer intraoperativen Magnetresonanztomografie wird er um 90° gedreht und an die Tischaufnahme des MR-Tomografen angeschlossen. Die Tischplatte mit der Kopfhalterung und dem Patienten wird dann in die Gantry des Tomografen geschoben (rechts). Moskopp, Wassmann: Neurochirurgie. ISBN: 978-3-7945-2442-6. © Schattauer GmbH sollte ein Datensatz vorhanden sein, welcher die optimale Darstellung der pathologischen Prozesse oder wichtiger anatomischer Strukturen sowie Risikostrukturen ermöglicht. Außerdem ist die Integration funktioneller und metabolischer Bilddaten, welche dann zur Planung und Durchführung der Operation herangezogen werden können, möglich. Als Datenquelle kommen alle dreidimensionalen Untersuchungsverfahren, deren Daten in digitaler Form vorliegen, in Betracht. Für die kranielle Navigation bei Gehirntumoren wird in der Regel die MRT aufgrund der guten Darstellung der intrakraniellen Pathologien eingesetzt. Eine CT kann ebenfalls auch als alleiniger Datensatz Verwendung finden. Weitere Untersuchungsverfahren wie Positronenemissionstomografie (PET) oder PET-CT sowie funktionelle MRT, 3-D-Rotationsangiografie, Sonografie oder die transkranielle Magnetstimulation werden in der Regel in Kombination mit MRT oder CT eingesetzt, um spezielle Informationen zu ergänzen. Die einzelnen Datensätze werden in ein einheitliches Koordinatensystem transferiert (fusioniert). In diesem können der Tumor sowie andere wichtige Strukturen segmentiert (eingezeichnet) werden, um dann gezielt angezeigt zu werden. Zusätzlich zu den bildgebenden diagnostischen Verfahren können auch dreidimensional zugeordnete funktionelle Daten, z. B. aus der navigierten transkraniellen Stimulation, in die intraoperative Navigation integriert werden. Der so vorbereitete Navigationsplan muss dann an den Navigationscomputer übertragen werden. Installation und Registrierung des Systems Ist der Patient für die Operation gelagert, erfolgt die ­Installation einer Referenzklemme am Operationsfeld, also in der Regel an der Kopfklemme. Dabei wird auf eine feste Fixierung geachtet, damit sich die räumliche Beziehung der Referenzklemme zum Patienten nicht mehr verschiebt. Bei der spinalen Navigation wird aufgrund der fehlenden festen Verbindung von Zielorgan (Wirbelsäule) und Operationstisch die Referenzklemme in der Regel an einem Dornfortsatz befestigt, damit eine feste räumliche Beziehung zwischen der Referenzklemme und dem OP-Situs hergestellt ist. Danach werden Datensatz und Patient registriert. Dem Navigationsrechner wird mitgeteilt, wo sich das reale Koordinatensystem des Patienten in Bezug auf das virtuelle Koordinatensystem der Bilddaten befindet, indem beide zur Deckung gebracht werden. Durch diesen zentralen Schritt wird die intraoperative Navigation erst ermöglicht. Die unterschiedlichen Methoden beruhen letztlich alle auf einer Korrelation identischer Punkte in beiden Koor- 365 dinatensystemen. Dies ist erreicht, sobald mindestens drei Punkte, die nicht auf einer Geraden liegen, miteinander korreliert worden sind (Abb. 28-2). Zur Registrierung können unterschiedliche Verfahren angewandt werden (Raabe et al. 2002). Zu den häufigsten gehören folgende: Bei der Oberflächenregistrierung wird mit dem Zeiger die Hautoberfläche abgetastet; aus der Abtastung berechnet der Navigationscomputer ein virtuelles Kopfmodell und gleicht dieses mit der Oberfläche des Navigationsdatensatzes ab. Spezielle, am Patienten angebrachte Marker (Fiducials) oder auch anatomische Landmarken, die sowohl im Bilddatensatz als auch am Patienten sichtbar sind, können mit einem Zeiger angesteuert werden. Bei der intraoperativen Bildgebung kann der intraoperativ gewonnene Datensatz auch automatisch registriert werden, indem Marker in den Aufnahmen in einer festen Relation zu Markern, welche für die stereoskopische Kamera sichtbar sind, stehen und so die Korrelation der Koordinatensysteme hergestellt wird. Analog gibt es auch für die spinale Navigation alle drei Verfahren, wobei hier mit Knochenoberfläche oder am Knochen fixierten Markern registriert wird. Analog zu der automatischen Registrierung am Kopf kann auch ein intraoperativ gewonnener Volumendatensatz eines Wirbelsäulenabschnittes automatisch registriert werden. Von der Genauigkeit dieses Arbeitsschrittes hängt ganz entscheidend die Abweichung ab, mit der eine intraoperative Lokalisation möglich ist. Daher sollte diesem Arbeitsschritt besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden. Intraoperative Anwendung Sobald die Registrierung mit ausreichender Genauigkeit durchgeführt ist, kann die Navigation intraoperativ zur besseren Orientierung verwendet werden, um z. B. den Zugang oder die Lage und Größe der Kraniotomie festzulegen. Im weiteren Verlauf kann die Darstellung der aktuellen Position eines navigierten Instruments (z. B. des Mikroskop-Fokuspunktes) auf den Bilddaten jederzeit zur Orientierung genutzt werden (Abb. 28-3). So können normale oder pathologische Strukturen lokalisiert und der Fortschritt der Operation wie das Erreichen der bildgebenden Signale der Tumorränder verfolgt werden. Indikationen Die Indikationen zur Navigation haben sich in den letzten Jahren in dem Umfang erweitert, in dem die Navigation in die operative Routine der Neurochirurgie eingebunden wurde und der notwendige Zeitaufwand sich verringerte. Moskopp, Wassmann: Neurochirurgie. ISBN: 978-3-7945-2442-6. © Schattauer GmbH Spezielle neurochirurgische Maßnahmen 28.1 Neuronavigation 28 Navigation und intraoperative Magnet­resonanztomografie Spezielle neurochirurgische Maßnahmen 366 a c b d Abb. 28-2 Einsatz der Neuronavigation am Beispiel eines Teratoms im III. Ventrikel bei einem 5 Jahre alten Jungen. Mit dem Pointer werden anatomische Strukturen auf den OP-Situs übertragen (a). Schwarz dargestellt sind der Sinus sagittalis superior und die einmündenden Brückenvenen, grün der Gyrus precentralis. Der Pointer zeigt auf den Handknopf. Die Position des Pointers wird auf dem Bildschirm der Navigation (b) in unterschiedlichen Ebenen, Dennoch gehören zu den Hauptindikationen der Neuronavigation Operationen an der Schädelbasis, von kleinen, tief gelegenen Läsionen (z. B. Kavernomen), in der Nähe eloquenter Areale und bei intraaxialen Tumoren. ­Hilfreich kann die Methode aber bei allen Operationen sein, bei d ­ enen eine intraoperative Orientierung anhand der üblichen Bilder schwierig ist. Auch in der spinalen Neurochirurgie wird die Neuronavigation zunehmend eingesetzt, hier vor allem bei spinalen Instrumentierungen, um die Insertion von Schrauben (z. B. Pedikelschrauben) zu führen. hier mit einer virtuellen Verlängerung der Spitze dargestellt. Der Handknopf ist auf den T2-gewichteten Sequenzen gut zu erkennen. Beim Blick durch das Operationsmikroskop (c) sieht man durch den gespaltenen Balken auf den Tumor, dessen Konturen lila eingeblendet werden (d). Die Position des Fokuspunktes wird auf dem Navigationsbildschirm (d) mit der blauen Spitze dargestellt. Das Sichtfeld wird mit dem Kreis angezeigt. Fehlerquellen und Limitationen Keine Neuronavigation kann die Kenntnis der Neuroanatomie ersetzen. Die Verantwortung für den Eingriff liegt allein beim Operateur. Er vergewissert sich, dass die Angaben des Navigationssystems korrekt sind und kennt Limitationen sowie Fehler der Methode. Die Beachtung folgender Punkte trägt zur Optimierung der Genauigkeit bei (Spetzger et al. 2002): Kleben der Fiducial-Marker: möglichst weit über die Operationsregion verteilt mit der Läsion im Zentrum, intraoperative Zugänglichkeit der Marker berücksichti- Moskopp, Wassmann: Neurochirurgie. ISBN: 978-3-7945-2442-6. © Schattauer GmbH 28.1 Neuronavigation 367 Oberflächenpunkten möglichst weit verteilt akquirieren, Genauigkeit an anatomischen Landmarken prüfen; intraoperativ: Plausibilität der Navigation immer wieder prüfen, gegebenenfalls Landmarken im sterilen Feld zur Nachreferenzierung definieren (cave: stellt besten­ falls die initiale Genauigkeit wieder her!). CAVE Die wichtigste Fehlerquelle der Neuronavigation und gleichzeitig auch die grundsätzliche Limitation der Methode bestehen in der Veränderung der anatomischen Verhältnisse durch die Operation selbst, die sich auf den zur Navigation verwendeten Bildern naturgemäß nicht widerspiegelt. Dieser Fehler wird allgemein mit dem Begriff »Brainshift« bezeichnet und kann ein erhebliches Ausmaß annehmen. Eine Korrektur ist letztlich nur durch Methoden der intraoperativen Bildgebung möglich. Abb. 28-3 Intraoperative Navigation mit dem Mikroskop (Bild- schirm des VectorVision® -Navigationssystems, Brainlab): Auf dem Bildschirm des Navigationsrechners ist der Blick durch das Okular des Operationsmikroskops auf das Operationsfeld mit eingeblendeter Kontur des Tumors und der Pyramidenbahn sichtbar (Fenster links oben). Die Kontur wird dem Operationssitus überlagert und der am Mikroskop eingestellten Vergrößerung in der Größe angepasst. Voraussetzung ist hierbei die präoperative Planung mit Segmentierung der anatomischen oder funktionellen Strukturen in der Planungssoftware. Die gestrichelten Linien zeigen die maximale Ausdehnung der Struktur auf einer parallel zur Fokusebene verlaufenden Fläche. Der Fokuspunkt des Mikroskops ist auf der Kortexoberfläche. Diese wölbt sich nach der Duraeröffnung vor, wodurch schon zu Begin der Resektion ein Brainshift entsteht. Gut zu erkennen ist dies auf den senkrecht zur Fokusebene, durch den Fokuspunkt verlaufenden Rekonstruktionsebenen des MRT-Volumendatensatzes mit blau segmentiertem Tumor und grün segmentierter Pyramidenbahn. Der Fokuspunkt des Mikroskops wird durch die blaue Spitze angezeigt. Der Kreis zeigt das Gesichtsfeld des Operateurs (entspricht nicht dem Bildausschnitt). In den Rekonstruktionen ist der Fokus über 1 cm vom Kortex entfernt. Dieser Brainshift kommt durch die mechanische Entlastung im Bereich der Raumforderung zustande. gen (Lagerung), ausreichende Anzahl, Farbmarkierung zum Erkennen von Verschiebungen; Import der Bilddaten: Patientenidentität und Seitenkonvention überprüfen; Datenvorbereitung: sorgfältige Definition der Marker(-Mitte) und gegebenenfalls Tumorkonturen im Datensatz, genaue Rekonstruktion der Hautoberfläche; Systemaufbau: Referenzrahmen/Gelenkarm (Nullpunkt) unverschieblich an der Kopfhalterung bzw. am Operationsfeld fixieren, Kameraposition bei optischen Systemen optimieren; Alternative Verfahren Als Alternativen zur Neuronavigation stehen die verschiedenen Verfahren zur intraoperativen Bildgebung und vor allem die klassische Stereotaxie zur Verfügung. Bei der Stereotaxie ist die kontinuierliche intraoperative Anwendung zur interaktiven Orientierung mit einem größeren Aufwand verbunden, wegen der dabei notwendigen Einstellung des Zielbügelsystems. Daher bestehen für beide Methoden eher getrennte Indikationsbereiche, und die klassische rahmengebundene Stereotaxie wird auf längere Sicht wohl auf spezialisierte Indikationen, wie funktionelle Eingriffe, beschränkt werden (s. Kap. 26). Einordnung der Methode und praktische Überlegungen Einordnung Obwohl sich die Methode der Neuronavigation zunehmend in der klinischen Routine durchsetzt, ist die Datenlage so, dass die Anwendung nicht zum Standard für bestimmte Operationen erklärt werden kann. So haben eigene Daten in einer vergleichenden Untersuchung zum Outcome von Glioblastomoperationen ohne und mit Anwendung der Neuronavigation (Wirtz et al. 2000a) eine Steigerung der Resektionsradikalität bei den navigierten Operationen ergeben, allerdings ohne ein signifikant besseres Outcome. Darüber hinaus werden in der Literatur die Vorteile der Neuronavigation bei unterschiedlichen Indikationen dargestellt, ohne dass »harte« Daten dafür vorgelegt würden. Lediglich bei der Operation von kleinen, tief liegenden Läsionen (insbesondere Kavernomen) Moskopp, Wassmann: Neurochirurgie. ISBN: 978-3-7945-2442-6. © Schattauer GmbH Spezielle neurochirurgische Maßnahmen Referenzierung: auf Markerverschiebungen achten, bei