Jan Priewe - Keynes

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Jan Priewe
Keynes' Botschaft an seine Enkel - Nullwachstum als öko-soziale Perspektive oder Desaster?
1. Keynes hielt inmitten der großen Depression 1930 einen Vortrag, indem er für die Zeit
in etwa 80 Jahren vorhersagte, dass die sog. „absoluten“ Bedürfnisse der meisten
Menschen in England und ähnlichen Ländern gedeckt sein würden und es mehr und
mehr zu einem Ende der auf Gewinn- und Produktionssteigerung ausgerichteten
Wachstumswirtschaft kommen wird. Die großen wirtschaftlichen Fragen der Menschen seien dann gelöst, es ginge danach um kulturelle und freizeitbezogene höherwertige Ziele. Hier entwickelte Keynes auf wenigen Seiten eine Geschichtsphilosophie, die vom Altertum zur Neuzeit bis hinein in eine Zukunftsutopie reicht. Die vorgetragene Skizze einer Gesellschaftsutopie läuft auf eine reiche Freizeitgesellschaft
bei versiegendem Wirtschaftswachstum hinaus. Keynes betreibt in diesem Aufsatz, bis
auf wenige Hinweise, keine ökonomische Analyse. Verteilungsfragen werden nicht
angesprochen, makroökonomische Stabilitätsfragen ebensowenig, schon gar nicht
Umweltfragen, auch Systemfragen sind ausgeklammert. Man hat den Eindruck, Keynes wischt in einem Handstreich alle Probleme, zu denen er jahrzehntelang gearbeitet
hat, mit einem Handstreich weg. Eine Märchenstunde für die Enkel? War der Wunsch
der (Groß)Vater der Gedanken?
2. Keynes’ Zeitspanne von 80 Jahren ist vorbei, die Produktion ist weit stärker in den reichen Ländern gewachsen als er annahm, und doch sind die ökonomischen Probleme so
drückend, national und international, dass von einem Ende der Wirtschaftsgesellschaft überhaupt nicht die Rede sein kann. Die Verteilungsfragen sind drängender
denn je, Armut ist in den reichen Ländern im Zuge von Arbeitslosigkeit und Umverteilung in großem Stil zurückgekehrt, Wachstum war nicht mit Wohlstandsmehrung
gleichzusetzen, die ökonomischen Probleme der Ökologiefrage sind immens. Allerdings ist das Wachstum in Deutschland seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs systematisch gesunken, allerdings nicht die Wachstumsraten im langfristigen historischen
Vergleich über zwei Jahrhunderte. Das schwache Wachstum der letzten Jahrzehnte hat
seine Ursachen weniger in Konsumsättigung als in jenen Gründen, die Keynes selbst
in dem Vortrag als für Krisenzeiten typisch anführt. Keynes’ Langfristprognose lag offenbar daneben. Dies hat m.E. mit der angesprochenen mangelnden ökonomischen
Analyse zu tun.
3. Eine monetäre Ökonomie ist auf Kapitalakkumulation und Wachstum ausgerichtet.
Gesamtwirtschaftliches Wachstum der Gewinne und deren Reinvestition erfordern
eine wachsende Wirtschaft. In einer stationären (geschlossenen) Ökonomie sind die
Nettoinvestitionen Null, Gewinne werden vollständig konsumiert, ebenso die Löhne.
Da die Konsumquote der Unternehmer als vergleichsweise klein gilt, wird, wenn reinvestierte Gewinne wegfallen, auch die durchschnittliche Profitrate sehr gering sein.
Vielleicht wird sie auch auf Null oder gen Null sinken, wenn der monetäre Zins auf
Null sänke, wenn man den Zins als zentrale Determinante der Gewinnrate ansieht.
Neue Ersparnisse gibt es nicht mehr, nur noch die Bestände alter Sparanlagen. Die
Nachfrage nach Kredit wird gen Null sinken. Es spricht zumindest einiges dafür, dass
bei Nullwachstum auch der Zins gen Null sinkt und damit die Grenzleistungsfähigkeit
des Kapitals ebenfalls auf Null abfällt. Wird es dann noch Gewinnanreize für kapitalistische Produktion geben? Oder implodiert dann die stationäre Wirtschaft und muss
entweder durch keynesianische Makropolitik wieder stabilisiert werden – oder das
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System muss in eine Art Gemeinwirtschaft überführt werden. Aber wie könnte die
aussehen? Eine nachhaltig stationäre (geschlossene) kapitalistische Marktwirtschaft ist
offenbar ein Widerspruch in sich.
4. Unterstellen wir nun eine offene Volkswirtschaft, die den Unternehmen gestattet, weiterhin Kapital zu akkumulieren, indem die wachstumschaffende Kapitalbildung in ärmeren Ländern stattfindet, die noch nicht ihren absoluten Konsum gesättigt haben.
Das sieht dann in einem Zweiländermodell wie folgt aus. Das Inland hat positive Nettoexporte und einen im Verhältnis zum BIP konstanten Leistungsbilanzüberschuss; es
wird nicht alles Einkommen konsumiert, sondern ein konstanter Teil gespart, der im
Ausland via Kapitalexport investiert wird. Daraus resultierende Gewinne werden erneut im Ausland angelegt, also nicht repatriiert. Das Inland baut also eine Nettoschuldnerposition auf und erhöht diese immer weiter, das Ausland gerät immer tiefer
in eine Nettoschuldnerposition, muss jedoch die Schulden nicht zurückzahlen. Es
bleibt dann die Frage, warum das Inland beständig im Ausland investiert, daraus aber
für sich - also für das Inland oder einzelne Gruppen desselben – keine Vorteile daraus
zieht. Das Inland lebt konstant unter seinen Verhältnissen, das Ausland konstant darüber. Das Ausland scheint auf den ersten Blick Grund zu haben, glücklich über den
hohen Fluss von Auslandsinvestitionen zu sein, die ja tendenziell das Wachstum steigern. Aber das Ausland als ständigem Defizitland mit unendlicher steigender Nettoschuldnerposition gerät immer mehr in eine ökonomische Abhängigkeit vom reichen
Land. Nullwachstum bliebe also in kapitalistischer Form erhalten, aber in einer quasineokolonialen Form.
5. Nun wäre es denkbar, dass die ärmeren Länder ihre Schulden an die Gläubiger zurückzahlen bzw. ein Gewinntransfer an sie stattfindet. Die Schuldnerländer würden nun zu
Überschussländern, das reiche stationäre Inland zu einem Defizitland. Der Gewinntransfer würde für Nettoimporte verwendet. Bei konstantem Konsum könnte die inländische Produktion auf ein niedrigeres Niveau abgesenkt werden. Die stationäre Ökonomie würde zu einer Rentierökonomie. Dadurch sinkt die Zahl der Arbeitsplätze,
mehr Freizeit für alle wäre möglich, oder es kommt zu Arbeitslosigkeit und Armut. In
beiden Fällen, der Exportüberschussoption des reichen Inlands und im Fall der Rentiersökonomie, würde die Gewinnmaximierung ins Ausland verlagert. Die von Keynes
in seinem Vortrag gebrandmarkte Gewinnsucht der Inländer bliebe erhalten, sie ändert
sich nur geografisch.
6.
Keynes deutete in seinem Vortrag die Gefahr „technologischer Arbeitslosigkeit“ an,
wenn der technische Wandel fortschreitet, aber Nachfrage und Wachstum zurückbleiben. Es gibt keinen Grund anzunehmen, dass technischer Fortschritt in einer stationären Ökonomie einfach zum Stillstand kommt. Bei konstanter Arbeitszeit je Beschäftigten wird es zu fortschreitender Zunahme der Arbeitslosigkeit kommen. Permanent
reduzierte Arbeitszeiten könnten dies auffangen. Beschäftigungswirksame Arbeitszeitverkürzungen als Daueraufgabe sind ausgesprochen schwierig. Anstatt die verbleibende Arbeit auf alle umzuverteilen, könnte man auch Einkommen umverteilen, zugunsten derjenigen, die keine Arbeit mehr haben. Vielleicht müsste die vorhandene Arbeit
rationiert werden. Auf jeden Fall gäbe es große politisch-ökonomische Konflikte, insbesondere auch zwischen den abhängig Beschäftigten. Wir würden wieder in der Mangelwirtschaft landen, denn es mangelt an Arbeit. Die ökonomischen Probleme holen
uns ein. Die bisherige politische Ökonomie von Nullwachstum ist eher ein soziales
Desaster denn ein Segen.
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7. Keynes unterstellte, dass zunehmende Freizeit nicht mit Produktion verbunden ist,
sondern einfach Muße ist. In Wirklichkeit ist Freizeit heutzutage in großem Maße
Nachfrage nach Dienstleistungen, nach Theater, Musik, Sport usw. Freizeit führt also
zu Dienstleistungsproduktion und ist nicht einfach Aktivität jenseits der Ökonomie.
8. Mitunter wird Keynes’ Sozialutopie mit ökologischen Vorstellungen von Nullwachstum verbunden. Keynes selber hat nur Andeutungen gemacht, dass exponentielles
Wachstum zu ungeheurem Materialverbrauch führen könnte. Wenn man eine stationäre Ökonomie als ökologisch nachhaltige begreifen will, kommt es jedoch auf das
Niveau des Konsums der Gesellschaft an, nicht nur auf das Wachstum. Eine hoch entwickelte stationäre Volkswirtschaft, die absolute Konsumbedürfnisse befriedigt, kann
jedoch hochgradig umweltbelastend sein. Jahr für Jahr würde zu viel Natur verbraucht: Ohne technologische Änderungen müsste man die Ökonomie schrumpfen, bis
sie ökologisch nachhaltig ist. Das wird dann aber in Konflikt zur Konsumsättigung
stehen. Will man beides in Einklang bringen, kommt man nicht am „ökologischen
Umbau“ moderner Volkswirtschaften, indem der Verbrauch knapper erschöpflicher
Ressourcen auf Null gesenkt wird und zugleich die Ressourceneffizienz bei den anderen genutzten Ressourcen gesteigert wird. Da man die Möglichkeiten des technischen
Fortschritts bei der Ressourceneffizienz nicht vorhersagen kann, sollte man technischen Fortschritt in dieser Hinsicht nicht prinzipiell als erschöpfliche Ressource ansehen. Anders gesagt, solange ökologisch-technischer Fortschritt – verbunden mit umweltsparendem Strukturwandel – möglich ist, kann auch umweltverträgliches Wirtschaftswachstum möglich sein. Andernfalls freilich nicht – ökologische Grenzen des
Wirtschaftswachstums wären dann erreicht. Diese Wachstumsgrenzen haben mit den
von Keynes thematisierten allerdings wenig zu tun. Sie können auch längst vor Erreichen des Zustands der Konsumsättigung eintreten. Dann haben wir einen harten Zielkonflikt.
9. Meine Utopie für die angesprochenen Probleme wäre eine andere als die von Keynes.
Definieren wir in demokratischer Weise „ökologische Leitplanken“, die im nationalen
und internationalem Rahmen unbedingt beachtet werden müssen, sozusagen ordnungspolitische Spielregeln. Innerhalb dieser Leitplanken maximieren wir ökonomischen
Wohlstand, mit privaten und öffentlichen Gütern. Wachstum, Vollbeschäftigung wie
auch Freizeitsteigerung sind zulässig. Keynesianische Politik, wie wir sie aus Keynes’
anderen Schriften kennen, wird angewendet. Arbeit und Einkommen werden solidarisch umverteilt. Wieviel Wirtschaftswachstum am Ende möglich sein wird, wissen
wir nicht, und wir sollten uns dieses Wissen auch nicht anmaßen. Es wird immer ökonomische Zielkonflikte geben. Das Zeitalter des allgemeinen, paradiesischen Überflusses, indem es keine Opportunitätskosten mehr gibt, ist schon deshalb nicht in
Sicht, weil das „Kapital“ der Natur knapp ist und die Schaffung unerschöpflicher regenerativer Ressourcen nicht gerade einfach ist.
10. Das „wirtschaftliche Problem“, wie Keynes es nannte, wird uns nachhaltig erhalten
bleiben. Ich jedenfalls würde meinen Enkeln nicht erzählen, dass das wirtschaftliche
Problem nicht das beständige Problem der Menschheit ist. Ich glaube vielmehr, dass
das wirtschaftliche Problem die Menschheit begleitet, solange sie existiert. Aber das
Problem wird seine Formen verändern. Was nach unser aller Tod ist, wissen wir nicht.
Über die Ökonomie des Paradieses herrscht große Unsicherheit. We just don’t know,
wie Keynes fundamentale Unsicherheit zu charakterisieren pflegte.
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