Das Strafrechtssystem der USA - beck

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Rechtsquellen des US-amerikanischen Rechts
und Anmerkungen zur Zitierweise
Rechtsquellen des US-amerikanischen Rechts
Eingangs seien einige kurze Ausführungen zu den Rechtsquellen des US-amerikanischen Rechts und hinsichtlich ihrer Verwendung in dieser Abhandlung gestattet. Denn obgleich auch das US-amerikanische Strafrecht heute im Wesentlichen
kodifiziert ist, haben Rechtsprechung und Literatur hier doch eine etwas andere
Bedeutung als in Deutschland. Zudem wird für die Nachweise der US-amerikanischen Urteile, Gesetzesbestimmungen und Literaturbeiträge in dieser Abhandlung
die in den Vereinigten Staaten gebräuchliche Zitierweise verwandt, sodass eine
kurze Erklärung für den deutschen Leser erforderlich erscheint.
1. Gesetzesbestimmungen
Das US-amerikanische Recht steht in der Tradition des britischen common law.
Dieses setzte sich – im Gegensatz etwa zum kontinentaleuropäischen Recht –
zumindest in seiner klassischen Form aus Überlieferungen, Traditionen und gewohnheitsrechtlichen Anschauungen zusammen, war weitgehend nicht kodifiziert
und beruhte wesentlich auch auf Präzedenzfällen, d. h. richterlichem Fallrecht.1
Auch im US-amerikanischen Rechtsraum wächst allerdings die Bedeutung des
kodifizierten Rechts stetig. Insbesondere auf der Ebene des Bundes sind Gesetzesbestimmungen Voraussetzung der Strafbarkeit.2 Hier ist zuvorderst die USamerikanische Verfassung (U. S. Constitution) zu nennen, welche einige für das
Strafrecht relevante Regelungen enthält, in U. S. Const. Art. III § 3 z. B. sogar eine
Definition des Hochverrats gegen die Vereinigten Staaten. Die materiellen Strafbestimmungen des Bundes finden sich im Übrigen vornehmlich im United States
Code (U. S. C.), insbesondere in dessen 18. Titel. Dieser enthält auch strafprozessuale Regelungen.
Seit Veröffentlichung des Model Penal Code, eines Musterstrafgesetzes für die
Vereinigten Staaten, entworfen und herausgegeben vom American Law Institute
im Jahr 1962,3 haben inzwischen auch die Bundesstaaten weite Teile ihres Rechts,
und damit auch des Strafrechts, in Gesetzen formuliert. Gleichwohl kommt dem
1
Siehe zum common law ausführlich Fletcher/Sheppard, S. 15 ff.
Vgl. dazu Baker, 16 Rutgers L. J. 495, 505 (1985); Dubber, Einführung, S. 13; Frase/
Weidner, 1 Encyclopedia of Crime & Justice 371, 373 (2002); ausführlich dazu unten 2. Kapitel C. I.
3
Ausführlich dazu unten 4. Kapitel B.
2
18
Rechtsquellen des US-amerikanischen Rechts
common law auf der Ebene der Bundesstaaten weiterhin ein größeres Gewicht
zu.4
Hinsichtlich der Verwendung von Gesetzesquellen in dieser Abhandlung ist zu
bemerken, dass neben dem Bundesrecht, welchem das 3. Kapitel gewidmet ist,
insbesondere im 4. Kapitel vielfach Strafbestimmungen der Bundesstaaten angeführt werden. Hierbei erfolgte die Auswahl nach verschiedenen Kriterien. Zum
einen ist es das Ziel der Ausführungen des 4. Kapitels, wesentliche Unterschiede
im Recht der Bundesstaaten aufzuzeigen, sodass Extrempositionen benannt werden. Dies können durchaus einmal auch kleinere und „weniger bedeutsame“
Rechtsordnungen sein. So wird etwa beim Schwangerschaftsabbruch oder den
Straftaten gegen Moral und Anstand die Rechtslage im von der Glaubensgemeinschaft der Mormonen besonders geprägten Bundsstaat Utah angeführt. Geht es um
die Darstellung allgemeiner Probleme, so wurde in der Regel das Recht der Bundesstaaten California, New York oder Texas gewählt, da diese einerseits zu den
großen Flächenstaaten zählen, u. a. deshalb auch einen wesentlichen Einfluss auf
das Recht der Bundesstaaten insgesamt beanspruchen können und andererseits
unterschiedliche gesellschaftliche Positionen und Strömungen repräsentieren. Zudem bildet das Recht der Bundesstaaten New York und California auch insofern
wiederum Extrempole, als der zuerst genannte Bundesstaat den Model Penal Code
nahezu vollständig, der zuletzt genannte nahezu gar nicht umgesetzt hat. Zusätzlich wurde häufig auch auf das Recht des Bundesstaates Massachusetts eingegangen, da dieser zum einen den Ort meines Forschungsstandpunktes bildete und
zum anderen als besonders liberal gilt.
Die Zitierung der Gesetzesbestimmungen orientiert sich an der US-amerikanischen Vorgehensweise. Es werden zunächst die Nummer des Bandes, sodann
der Name des Gesetzes und erst dann der konkrete Paragraph bzw. Absatz etc.
genannt. Typisches Beispiel des Zitates einer Bestimmung nach Bundesrecht
wäre:
18 U. S. C. § 32 (a) (1).
Die Bundesstaaten haben ihre Strafgesetzbücher recht unterschiedlich benannt
und auch die Schreib- und Zitierweise variiert hier teilweise deutlich. In Massachusetts sind Strafbestimmungen Teil der „General Laws“ (kurz: Gen. L.), in
New York der „New York Penal Laws“. Üblich ist es, hier zunächst den Namen
des Bundesstaates und des Gesetzes, oftmals beide in abgekürzter Form (z. B.
MA. Gen. L.), und erst danach den konkreten Abschnitt (z. B. chapter, kurz: ch.)
und Paragraphen des Statuts anzuführen. Es bestehen jedoch große Unterschiede
in der Gliederung, der Bezeichnung der Abschnitte und der Nummerierung der
Statuten. Teilweise werden Kapitel, Abschnitt und Paragraph zusammengefasst
4
Vgl. dazu Re, 15 St. Thomas L. Rev. 265, 267 ff. (2002): Die USA sind weiterhin ein common law system; ferner Weik, S. 4.
Rechtsquellen des US-amerikanischen Rechts
19
und hinter dem Paragraphenzeichen genannt (z. B. § 76-7-104). Hier einige Beispiele für die Zitierung bundesstaatlicher Gesetze:
Massachusetts: MA. Gen. L. ch. 272, § 18;
New York: N. Y. Pen. Law § 125.25 (3).
2. Gerichtsentscheidungen
Das Fallrecht (case law) ist im Recht der Vereinigten Staaten weiterhin von
großer Wichtigkeit.5 Dies ist allerdings bei näherer Betrachtung auch in Deutschland nicht anders. Die Unterschiede zwischen Staaten, welche in der Tradition
des common law stehen, und solchen, die dem kontinentaleuropäischen Rechtsraum zugehörig sind, nivellieren sich in jüngerer Zeit. Hier ist nicht der Ort zu
einer ausführlichen Untersuchung der Systemverschiedenheiten.6 Einige wenige
Besonderheiten des US-amerikanischen Rechts lassen sich aber doch anführen.
Zwar sind die Straftaten hier inzwischen auf Bundesebene und weitgehend auch
im bundesstaatlichen Bereich ebenfalls kodifiziert. Dennoch lebt das common law
aber in verschiedener Form fort.
Erstens sind die Kodifikationen der Bundesstaaten, unabhängig davon, ob sie auf
dem MPC beruhen oder nicht, weitgehend nur Festschreibungen der zuvor schon
bestehenden Ansichten des common law. Zweitens sind auf der Ebene der Bundesstaaten durchaus immer noch einzelne Bereiche des Strafrechts der Rechtsprechung überlassen. Hier existieren weiterhin einige Delikte, deren Voraussetzungen
nicht gesetzlich festgehalten sind und daher einzig dem common law entnommen
werden.7 Drittens ist die Bindungswirkung von Entscheidungen höherer Gerichte
als Präzedenzfall zu beachten.8 Viertens kommt insgesamt in den Vereinigten Staaten den Gerichten als Interpretatoren des Rechts9 im Verhältnis etwa zur Literatur
ein entscheidend größeres Gewicht zu. Letztere bildet nur eine „sekundäre Autorität“ zur Auslegung des Rechts.10
Während meiner Zeit an der Harvard Law School gewann ich den Eindruck,
dass sich dieses Verhältnis z. B. auch in der Lehre ausdrückt. Die Studierenden
lernten im Wesentlichen Fälle inklusive der Fallnamen und taten dies unter Verwendung so genannter Fallbücher (casebooks). Diese Fallbücher geben den Originaltext der jeweiligen Entscheidung ganz oder in Auszügen wieder und enthalten
5
Vgl. dazu etwa Hay, Rn. 19 ff.; Re, 15 St. Thomas L. Rev. 265, 268 (2002); Schmid,
S. 24 ff.
6
Vgl. dazu etwa Fletcher/Sheppard, S. 15 ff.; Hay, Rn. 17, und Wössner, S. 25, sprechen
von einem „gemischten System“.
7
Dubber, Einführung, S. 7 ff.; Schmid, S. 26; vgl. dazu ausführlich unten 4. Kapitel C.
8
Vgl. dazu Fletcher/Sheppard, S. 80.
9
Vgl. dazu Re, 15 St. Thomas L. Rev. 265, 267 ff. (2002).
10
Fletcher/Sheppard, S. 38.
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