Sandra Iber-Gieferl Mat

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BACHELORARBEIT
Zur Erlangung des akademischen Grades eines Bachelor
in Nursing Science
Name der Autorin: Sandra Iber-Gieferl
Matrikelnummer: 9912404
TITEL: HISTORISCHE, MEDIZINSICHE UND SOZIOKULTURELLE ASPEKTE DER
VERTIKALEN GEBÄRHALTUNG – IMPLIKATIONEN FÜR DIE
PFLEGEWISSENSCHAFT
Medizinische Universität Graz
Bachelor Studium Gesundheits- und Pflegewissenschaft
(O 033 30)
Name des Begutachters: Mag. Yvonne Adam
Adresse des Begutachters: Heinrich-vonStephan-Strasse 15 B, 79100 Freiburg
Titel der Lehrveranstaltung: Einführung in den interkulturellen Dialog
Datum der Einreichung: 14. Aug. 2009
Jahr der Vorlage: 2009
EHRENWÖRTLICHE ERKLÄRUNG
Ich erkläre ehrenwörtlich, dass ich die vorliegende Bachelorarbeit selbständig und ohne fremde
Hilfe verfasst habe, andere als die angegebenen Quellen nicht verwendet habe und die den
benutzten Quellen wörtlich oder inhaltlich entnommenen Stellen als solche erkenntlich gemacht
habe. Weiters erkläre ich, dass ich diese Arbeit in gleicher oder ähnlicher Form noch keiner
anderen Prüfungsbehörde vorgelegt habe.
Feldbach, am 13. August 2009
Unterschrift
INHALTSVERZEICHNIS
Zusammenfassung
Einleitung
Seiten 1-2
Kapitel 1 – Wandel der Gebärhaltung im historischen Kontext
1.1 Von der Geburt zur Entbindung
1.2 Werdegang und Verschwinden des Gebärstuhls in Europa
1.3 Die Wiedereinführung der vertikalen Gebärhaltung
1.4 Der Gebärhocker Maia
Seiten 3-11
Kapitel 2 – Der Einfluss der Körperhaltung auf verschiedene Faktoren
des Geburtsvorganges
2.1 Allgemeine Erläuterungen zur Logik der Gebärhaltung
2.2 Der Einfluss der Körperhaltung auf den Muskeltonus,
das Becken, die Lendenwirbelsäule und den Geburtskanal
2.3 Der Einfluss der Körperhaltung auf die Sensomotorik
2.4 Der Einfluss der Körperhaltung auf die psychosomatischen
Faktoren und den Schmerz
2.5 Die Wirkung der Körperstellung auf den Blutfluss und
die Sauerstoffversorgung des Kindes
2.6 Die Wirkung der Körperstellung auf die Geburtsdauer
2.7 Vorteile der vertikalen Gebärhaltung im Überblick
Seiten 12-18
Kapitel 3 – Kulturelle Aspekte der Gebärstellung
3.1 Klassifikation und Verbreitung der Gebärstellungen
verschiedener Ethnien im Überblick
3.2 Beispiel für das Gebärverhalten einer gesamten KulturGeburt bei den Zulu
Seiten 19-24
Kapitel 4 – Erhebung mittels Fragebogen im LKH Feldbach
4.1 Vorstellung der Geburtenabteilung des LKH Feldbach
4.2 Vorbereitungen zur Erhebung mittels Fragebogen im
Kreißsaal des LKH Feldbach
4.3 Deskriptive Darstellung der Ergebnisse aus der
Erhebung mittels Fragebogen
Seiten 25-33
Kapitel 5 – Ergebnisse und Diskussion
5.1 Ergebnisse
5.2 Diskussion und Ausblick
Seiten 34-36
Literaturangaben
Anhang - Fragebogen
ZUSAMMENFASSUNG
Die vorliegende Arbeit macht sich die vertikale Gebärhaltung im historischen, medizinischen
sowie soziokulturellen Kontext zum Thema.
In den letzten Jahrzehnten ist in dem Fach der Geburtshilfe ein deutlicher Trend welcher weg
von der jahrelang praktizierten horizontalen hin zur vertikalen Gebärhaltung tendiert, zu
erkennen. Anhand vorhandener Literatur soll die historische Entwicklung der Gebärhaltung der Niedergang der vertikalen und damit der Aufstieg der horizontalen Gebärhaltung bis hin
zum erneuten Entdecken der aufrechten Gebärhaltungen beleuchtet werden, weiters werden
medizinische Fakten, welche anhand von Studien belegt wurden und den positiven Einfluss der
vertikalen Gebärhaltungen bestätigen, präsentiert. Ein Geburtsbericht aus der Ethnie der Zulu
soll einen anschaulichen Einblick in die kulturellen Unterschiede des gesamten Geburtsverlaufs
geben und gleichzeitig zu jenem Teil überleiten, welcher sich den soziokulturellen Faktoren
widmet. Anhand einer Befragung mittels Fragebogen im Kreißsaal des LKH Feldbach, welcher
sich in den letzten Jahren zur zweitgrößten Institution der Geburtshilfe in der Steiermark
entwickelt hat, sollen hinterfragt werden, ob und in welcher Weise die Inanspruchnahme von
vertikalen Gebärhaltungen von soziokulturellen Faktoren abhängig gemacht werden kann und
inwiefern die bekannte positive Wirkung der aufrechten Gebärhaltungen auf Geburten in der
täglichen Praxis implementiert und umgesetzt wird. Anhand dieser Ergebnisse wird die
folgendermaßen lautende Forschungsfrage :
Wie wird heute die Erkenntnis des positiven Verlaufs einer Geburt in aufrechter Gebärhaltung
umgesetzt? Welche Frauen äußern den Wunsch nach einer aufrechten Gebärhaltung
beziehungsweise nehmen sie von sich aus ein? Spielt das Herkunftsland eine Rolle?, in
ausführlicher Weise behandelt und beantwortet. Die erzielten Ergebnisse zeigen deutlich auf
dass das Wissen um die positive Wirkung der aufrechten Gebärhaltungen auf den
Geburtsverlauf in die tägliche Praxis einer Geburtenabteilung integriert werden, indem versucht
wird, möglichst alle Frauen ausreichend aufzuklären und dazu zu motivieren, die Wirkung der
Schwerkraft und der Bewegung zu nutzen. Zumindest an der untersuchten Institution gibt es
kein durchgehendes Konzept zur Versorgung von Frauen mit Migrationshintergrund, welche
sprachliche Kommunikationsprobleme haben. Hier wird in der Zukunft noch großer
Handlungsbedarf gesehen, was ein Aufgabenfeld für die Pflegewissenschaft darstellen könnte –
mögliche Implikationen für die Praxis werden angeführt.
EINLEITUNG
Die Geburt hatte schon immer und wird auch in Zukunft einen wichtigen Stellenwert
einnehmen, ist sie doch das natürlichste Ereignis und Beginn alles Lebens. Im Laufe der Zeit
hat sich der Schwerpunkt und die Konzentration auf die verschiedenen Aspekte der Geburt
verändert , Gebärhaltungen welche der Erdanziehungskraft dienlich waren und in natürlicher
Umgebung eingenommen wurden, wurden teils durch sterile Umgebungen sowie liegende
Positionen
hospitalisiert.
Kulturelle
Unterschiede
werden
in
den
verschiedenen
innergeburtlichen Verhaltensweisen jedoch deutlich sichtbar was mein Interesse geweckt und
weshalb ich mich dazu entschlossen habe, diese Arbeit im Rahmen des Seminars „Einführung
in den interkulturellen Dialog“ zu verfassen.
Nun, da ich selbst nur wenige Monate vor der Geburt meines ersten Kindes stehe und das
Gebären und die dazugehörigen Attribute natürlich in den Fokus meines Interesses gerückt sind,
möchte ich in meiner Arbeit die verschiedenen Gebärhaltungen erläutern und gleichzeitig auch
in einem empirischen Teil untersuchen, welche soziokulturellen Faktoren für das Einnehmen
verschiedener Gebärhaltungen – wobei hier die vertikalen Haltungen in den Mittelpunkt gerückt
werden – verantwortlich sind.
Die Erläuterung der verschiedenen Gebärhaltungen, deren Wandel im Laufe der Zeit, die
besondere Inanspruchnahme bestimmter Haltungen einiger Ethnien sowie die Anführung der
zahlreichen Hilfsmittel werde ich anhand bereits bestehender Literatur durchführen können. Die
Erkenntnis dass die Einnahme einer vertikalen Gebärhaltung einen positiven Verlauf auf die
Geburt ausüben kann, hat sich bereits durchgesetzt und wurde auch schon anhand von Studien
und zahlreicher Literatur belegt. Zusammenfassend werde ich hierzu die wichtigsten
Erkenntnisse und Fakten wiedergeben und somit den ersten Teil meiner Forschungsfrage,
welcher folgendermaßen lautet, beantworten: Wie wird heute die Erkenntnis des positiven
Verlaufs einer Geburt in aufrechter Gebärhaltung umgesetzt?
Der zweite Teil meiner Forschungsfrage lautet: Welche Frauen äußern den Wunsch nach einer
aufrechten Gebärhaltung beziehungsweise nehmen sie von sich aus ein? Spielt das
Herkunftsland eine Rolle? Bereits aus der Literatur wird ersichtlich, dass die historische
Wandlung der Gebärhaltung in den westlichen Industrieländern die, früher übliche, vertikale
Haltung während der Geburt verdrängt hat und statt dessen die horizontale Haltung zum Tragen
kommt. Bei bestimmten Ethnien hingegen ist die vertikale Haltung nie durch die horizontale
Seite 1
ersetzt worden. Auch in den westlichen Ländern hat in den letzten Jahrzehnten, bedingt durch
die wissenschaftlichen Erkenntnisse und die wieder entdeckte „Natürlichkeit der Geburt“, die
vertikale Gebärhaltung wieder an Bedeutung gewonnen.
Ich mache es mir hier zur Aufgabe anhand einer kleinen Population von Experten anhand eines
Fragebogens die Frage nach den Faktoren, welche die Einnahme von Gebärpositionen
beeinflussen, zu beantworten. Diesen Fragebogen erhält das ärztliche Personal sowie die
Hebammen des Kreissaals im LKH Feldbach, eine nähere Beschreibung der Infrastruktur wird
im Rahmen der Arbeit erfolgen. Vor allem auf Grund der Auswertung des Fragebogens soll die
Forschungsfrage beantwortet werden, weiters sollen Handlungsempfehlungen für die Praxis
ausgesprochen werden, um die transkulturelle Kompetenz im Bereich der Geburtshilfe zu
verbessern.
Seite 2
Kapitel 1
WANDEL DER GEBÄRHALTUNG IM HISTORISCHEN KONTEXT
1.1 Von der Geburt zur Entbindung
Die vertikale Gebärhaltung – in ihren vielfachen Erscheinungsformen – lässt sich bis in
prähistorische Zeiten zurückverfolgen. Die meisten Darstellungen und Aufzeichnungen lassen
darauf schließen, dass die meisten Geburten in hockender Stellung vollzogen wurden, im Laufe
der kulturellen Entwicklung wurde sie durch Geburten im Stehen, Sitzen, Knien oder Kauern
ergänzt – die aufrechte Haltung der Gebärenden geht jedoch aus allen Positionen deutlich
hervor. In den meisten Kulturen ist die vertikale Gebärhaltung nach wie vor üblich, in den
westlichen Kulturen wurde sie jedoch im Laufe des 17. und 18. Jahrhunderts durch die
horizontale Gebärhaltung verdrängt. Erst seit der Mitte des 20. Jahrhunderts wird der vertikalen
Gebärhaltung im westlichen Raum wieder Beachtung geschenkt – nicht zuletzt weil
wissenschaftliche Untersuchungen viele Vorteile der aufrechten Haltung bestätigten (vgl. nzz,
2003, S. 1).
Bei den verschiedensten Kulturvölkern – ausgehend von der prähistorischen Zeit bis hin zum
17. Jhdt. lassen sich bezüglich der Gebärhaltung Analogien erkennen – in kniender, sitzender
oder hockender Stellung wird die Geburt von der Frau durchgemacht, signifikante Unterschiede
lassen sich nur in der Form der Geburtsbegleitung zwischen den einzelnen Kulturen erkennen.
Die Gebärhaltung entwickelt sich folgendermaßen weiter – die Gebärende kann sich zwischen
den Wehen auf Ziegel hocken, später wird sie zum Sitzen aufgefordert. Im weiteren Laufe der
Entwicklung wird die Gebärende auf den Schoß einer Helferin gesetzt, hat damit eine
Rückenstütze, gleichzeitig übt die Helferin Druck auf den Uterus aus. Um die Belastungen der
Gebärenden und der Helferinnen weiter zu vermindern, wird schließlich vor mindestens 3000
Jahren der Gebärstuhl entwickelt, welcher über Jahrhunderte lang in vielen Kulturen
Anwendung findet – mit der ersten Kritik an diesem beginnt jedoch in vielen Ethnien der
Niedergang der vertikalen Gebärhaltung (vgl. Rimbach, 1971, S. 11f).
Als Grund für das vorläufige Ende der vertikalen Gebärhaltung vor einigen Jahrhunderten, lässt
sich das Entdecken der Geburtshilfe als Wissenschaft benennen. Innerhalb der verschiedenen
Kulturen ist seit jeher ein großer Unterschied in der Begleitung während der Geburt zu
Seite 3
erkennen. In vielen Völkern wurde die Gebärende alleine gelassen, nicht zuletzt deshalb weil
sie als unrein galt. Andere Kulturen wiederum zeichnen sich dadurch aus, dass die Mutter oder
Schwiegermutter die Gebärende unterstützen. In der westlichen Kultur war Geburtshilfe bis
zum 18. Jahrhundert das Metier der Hebammen – der Übergang von dieser weiblichen zur
männlichen, und damit ärztlichen, Geburtshilfe lässt sich als Grund für das Einführen der
Rückenlage bei der Geburt titulieren (vgl. Domenig, 2007, S. 443).
Durch vermehrte ärztliche Kritik an der aufrechten Haltung , welche sich auf ein erhöhtes
Risiko für Komplikationen sowie auf erschöpfende Zwangshaltungen, beispielsweise im
Gebärstuhl, stützten, wurde die Geburtshilfe nun zunehmend medikalisiert. Experten vermuten,
dass die Vehemenz, mit welcher Ärzte die horizontale Lage vertraten, besonders daher rührte,
dass durch die Rückenlage der Frau eine bessere Kontrolle der Geburt, ein erleichterter Zugang
zum Geschehen und das schnellere Einleiten von Interventionen ermöglicht wurde. Der
Gebrauch von Gebärstühlen wurde im Endeffekt mit Strafen bedacht, worauf ich jedoch im
nächsten Abschnitt noch näher eingehen werde. Gegen Mitte des 20. Jahrhunderts fand die
Medikalisierung der Geburt ihren vorläufigen Höhepunkt darin, dass alle Entbindungen im
klinischen Bereich stattfanden, die Gebärende im Kreissaal nur von Fremden umgeben war. Die
Geburt war nunmehr von der natürlichsten Sache der Welt zu einem medizinischen und
kontrollierten Prozess gemacht worden. Die Frau gebar nicht – sie wurde entbunden.
Ungefähr zur gleichen Zeit setzt jedoch ein Umdenken ein – vertikale Gebärhaltungen wurden
von Fachleuten wieder entdeckt, der Gebärstuhl wurde wieder entdeckt, der Gebärhocker sogar
neu entwickelt (vgl. nzz, 2003, S2f).
1.2 Werdegang und Verschwinden des Gebärstuhls in Europa
Aus wissenschaftlichen Aufzeichnungen darf angenommen werden, dass bereits im alten
Ägypten – um 2500 v. Chr. - die Vorläufer von Gebärstühlen verwendet wurden, welche jedoch
aus Ziegelsteinen bestanden und mit Kissen belegt wurden. Aus Geburtsdarstellungen in jener
Zeit geht deutlich hervor, dass stets in vertikaler Haltung geboren wurde , wobei angenommen
wird, dass in gebildeten Kreisen die Geburt auf dem Gebärstuhl, in einfacheren Kreisen eher die
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kniende Stellung gebräuchlich war. Auf einem Bildnis, etwa aus der Zeit 1450 v. Chr., ist ein
altägyptischer Gebärstuhl zu erkennen – Merkmale dessen waren die niedere Rückenlehne,
sowie die Möglichkeit, ihn zusammenzuklappen, um den Hebammen den Transport zu
erleichtern – Stühle dieser Art waren im Orient noch bis etwa 1920 in Gebrauch.
Hippokrates empfahl den Gebärstuhl bereits in der griechischen Antike – besonders bei
schwierigen Geburten, sowie bei erschwerter Plazentalösung sollte der Stuhl laut Hippokrates
gute Dienste leisten. Der erste Arzt, welcher eine ausführliche Beschreibung des Gebärstuhls
lieferte, war der Römer Soran – besonders große Bedeutung kam den Querhölzern, welche man
heute Griffe nennt, und der Rückenlehne zu, welch ein Zurückweichen der Hüften und des
Beckens unmöglich machte. Während einer Geburt auf dem Stuhl war es zu jenen Zeiten auch
üblich, dass hinter der Gebärenden eine Helferin stand, welche mit beiden Händen Druck auf
den Uterus der Gebärenden ausübte, während die Hebamme sich auf den Empfang des
Neugeborenen konzentrierte.
700 n. Chr. kam es zum Untergang der griechisch-römischen Geburtshilfe – diese wurde von
nun an von arabischer Seite geleitet, der Gebärstuhl wurde von den östlichen Völkern
übernommen, wurde teilweise in Schaukelstühle umgewandelt, auch bei jenen Völkern
angewandt, welche nur selten einen Stuhl zum Sitzen verwenden und in Syrien und Ägypten in
etwa auch bis zum Jahr 1920 verwendet.
Es ist leider sehr wenig darüber bekannt, in welcher Art und Weise der Gebärstuhl nach dem
Niedergang des römischen Reiches und durch das Mittelalter hindurch in Europa, Anwendung
gefunden hat. Möglich ist jedoch, dass durch Kontakte mit dem arabischen Kulturkreis eine
Wiedereinführung stattgefunden hat, jedoch wurde vor der großen Wiedereinführung um 1450
n. Chr. wieder vermehrt in hockender und kniender Stellung geboren.
Die Erfindung des Buchdrucks – um 1450 n. Chr. – führte zur großen Verbreitung und
Entwicklung des Gebärstuhls in ganz Europa, da Beschreibungen des Stuhls in sämtlichen
Schriften zur Geburtshilfe zu finden sind, und die Autoren stets die Nützlichkeit hervorhoben.
Von diesem Zeitpunkt an wurde der Gebärstuhl ständig verändert und verbessert.
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Bis zum Ende des 17 Jahrhunderts blieben besonders zwei Typen in Gebrauch – zum einen ein
vierbeiniger Stuhl, mit ovaler Sitzfläche und halbrundem Ausschnitt. Am Sitz waren zwei feste
Griffe angebracht, die Rückenlehne war leicht nach hinten geneigt und unbeweglich und wies in
etwa eine Höhe von 40cm auf. Bei dieser Konstruktion saßen die Hebamme und der
Geburtshelfer auf einem Schemel zu Füßen der Gebärenden – zwischen die gebärende und den
Geburtshelfer wurde ein Tuch gespannt, um das Schamgefühl nicht zu verletzen. Der zweite
Typ des Gebärstuhls gleicht im Aufbau dem obig beschriebenen, jedoch wurde vom Sitzbrett
bis zum Boden ein Vorhang angebracht, um die Intimsphäre zu wahren.
Im 18. Jahrhundert wurden die starren Gebärstühle durch flexiblere Modelle mit Handgriffen
und beweglicher Rückenlehne ersetzt – so war es den Frauen auch möglich, sich auszuruhen. In
dieser ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts, war es üblich, dass die Geburten zuhause stattfanden –
und es war sogar so, dass die meisten Familien einen eigenen Gebärstuhl besaßen, welcher oft
zur Mitgift der Frau gehörte. An der jeweiligen Ausstattung des Stuhls war deutlich zu
erkennen, welchen sozialen Status die Familie genoss – so reichten die verschiedenen
Ausführungen von einfachen Holzstühlen bis hin zu prunkvollen Stühlen, welche mit Malereien
verziert oder gar mit Samt bezogen waren. Für Familien, welche keinen Gebärstuhl besaßen gab
es zwei Möglichkeiten. Entweder brachte die Hebamme einen zusammenklappbaren und leicht
transportablen Stuhl aus ihrem Besitz mit, in vielen Gemeinden war es aber auch möglich einen
Stuhl zu entleihen. Ebenso war zu diesem Zeitpunkt bereits wieder eine neue Entwicklung
sichtbar – einige Gebärstühle wiesen Verlängerungen auf, die es erlaubten eine liegende
Position einzunehmen – die so genannten Vorläufer der, Anfang des 19. Jahrhunderts in
Deutschland eingeführten, Gebärstuhlbetten. Bereits zu dieser Zeit, also in der Mitte des 18.
Jahrhunderts, hatte das Gebärstuhlbett in Frankreich bereits den Gebärstuhl ersetzt, französische
Frauen gebaren zunehmend in liegender Position, worauf jedoch im nächsten Abschnitt näher
eingegangen wird. Es ist hier noch zu erwähnen, dass ab Anfang des 19. Jahrhunderts eine
stetige Weiterentwicklung der gängigen Gebärstühle und Gebärstuhlbetten erfolgte – was
jedoch schließlich zu einer „Überentwicklung“ führte. Dies äußerte sich dadurch, dass einige
Modelle komplizierten Maschinen glichen und es den Frauen beinahe unmöglich machten eine
individuelle und angenehme Haltung einzunehmen, weiteres waren die Geräte teils so sperrig
oder kompliziert, dass es den Hebammen bereits nicht mehr möglich war sie zu bedienen.
Seite 6
Zum Verschwinden des Gebärstuhls in Europa ist folgendes fest zu halten – es ist vor allem
dem Einfluss der französischen Geburtshilfe zuzuschreiben, eine tragende Rolle hierbei nahm
der Geburtshelfer Mauriceau ein, der die Geburt im Bett jener am Stuhl unter anderen auch aus
diesem Grund vorzog – es blieb dem Geburtshelfer erspart, die Frau nach der Geburt vom Stuhl
ins Bett zu transportieren. Wie bereits erwähnt, vollzog sich bereits Anfang des 18. Jahrhunderts
ein Umschwung in der französischen Geburtshilfe, welcher anfänglich nur in Frankreich,
schließlich aber in ganz Europa zum Niedergang des Gebärstuhls und somit der vertikalen
Gebärhaltung führte. Diesen Umschwung stellte der Übergang von der weiblichen zur
männlichen Geburtshilfe dar. Die Geburtshilfe hatte sich durch neu gewonnene anatomische
und physiologische Erkenntnisse, sowie das Aufkommen der Schulmedizin und klinische
Erfahrungen zu einem eigenen Spezialgebiet entwickelt. In Frankreich und Deutschland
gegründete Gebärkliniken wurden natürlich von Männern geleitet, der Zutritt zum
Medizinstudium wurde Frauen untersagt, die Ausbildung der Hebammen wurde vernachlässigt,
ihr Status dadurch, zunächst eher im städtischen Bereich, untergraben. Im ländlichen Bereich
nahmen die Hebammen nach wie vor die Hauptrolle in der Geburtshilfe ein, jedoch hatte auch
dies nach dem zweiten Weltkrieg ein Ende, die Zahl der Spitalgeburten nahm stetig zu. Es ist
anzunehmen, dass zu dieser Zeit wichtiges Hebammenwissen verloren ging, was auch zum
Untergang der vertikalen Gebärhaltung beitrug. Weiterer Faktor für den Aufstieg der
horizontalen Haltung war natürlich, dass die zunehmende Anzahl von geburtshilflichen
Eingriffen in liegender Position der Frau leichter durchzuführen war. In Frankreich wurde also
in einem speziellen Bett entbunden, in welchem der Oberkörper durch Kissen leicht erhöht
wurde, in vielen Ländern setzte sich die normale Rückenlage durch, in England wurde die
Seitenlage eingeführt, wobei der Rücken der Gebärenden dem Geburtshelfer zugewendet
wurde, um das Schamgefühl der Gebärenden nicht zu verletzen – die Seitenlage wird im Laufe
der Zeit auch in Deutschland, sterreich und der Schweiz populär, wird besonders gern bei
Erstgebärenden eingesetzt, findet bis zur heutigen Zeit Gebrauch.
Doch welche neuen Erkenntnisse der männlichen Geburtshilfe waren nun ausschlaggebend für
den Niedergang des Gebärstuhls, wie sind die Gründe für den Niedergang der vertikalen
Gebärhaltung zu benennen?
Seite 7
•
Die Frau sollte vor Angst, unnatürlichen Anstrengungen und technischen Einrichtungen
verschont werden. Das Ziehen an Handgriffen und das Abstützen der Beine wurde
beispielsweise als Anstrengung angesehen.
•
Der hölzerne Gebärstuhl war schlecht zu reinigen und somit als Infektionsgefahr
anzusehen.
•
Schlechte Wehenverarbeitung, rasche Ermüdung und somit Verzögerung der Geburten
wurden dem vorzeitigen Pressdrang in aufrechter Haltung zugeschrieben. Nicht beachtet
wurde dabei, dass schon Soran davor gewarnt hatte, die Frauen vor der vollständigen
Öffnung des Muttermunds auf den Stuhl zu setzen.
•
Ein zu schneller Durchtritt des Kopfes wurde als Risikoerhöhung für Dammrisse,
Rupturen der Nabelschnur und Abrisse der Plazenta gesehen.
•
Die Geburt im Bett war für den Geburtshelfer leichter zu kontrollieren, durch
Lagerungen der Gebärenden konnte auch die Lage des Fetus beeinflusst werden.
Es wurde angenommen, dass Körperachse und Führungslinie des Beckens während er
Austreibungsphase alleinig durch das Anziehen der Beinen Übereinstimmung zu bringen
sind.
•
Weiters wurde angenommen, dass der Schwerkraft keine fördernde Wirkung zukommt.
Nicht alle der angeführten Gründe haben sich als tragend erwiesen, einige haben sich jedoch als
wahr erwiesen. Tatsache ist jedoch, dass die horizontale Gebärhaltung über beinahe 200 Jahre
die einzig erdenkliche Lage während einer Geburt war und die vertikale Gebärhaltung erst seit
einigen Jahrzehnten eine Renaissance erlebt – doch warum war es möglich, dass die horizontale
Lage über so lange Zeit ohne Zweifel halten konnte?
•
Die geburtshilflichen Eingriffe wurden ständig erweitert und sind auf liegende
Positionen zugeschnitten.
•
Bessere Dammüberwachung.
Seite 8
•
Bessere Überwachung der Herztöne des Kindes.
•
Bei Anwendung von Analgetika und Sedativa ist es in horizontaler Lage für den
Geburtshelfer zunehmend leichter, die Gebärende zu leiten.
•
Akute Eingriffe und Operationen sind unverzüglich möglich.
•
Die geburtshilfliche Arbeit von Arzt und Hebamme ist leichter möglich.
•
Weiters wird auch behauptet, wenn jedoch auch wenig glaubhaft, dass in Rückenlage
eine verbesserte Sicherheit bezüglich Hygiene geboten ist.
(vgl. Kuntner, 1994, S. 104-128)
1.3 Die Wiedereinführung der vertikalen Gebärhaltung
Heute ist es unumstritten, dass die Einnahme einer vertikalen Haltung während der Geburt ein
aktives Verhalten der Frau unterstützt, Schmerzen vermindert und somit den Geburtsvorgang
erleichtern kann – die vertikale Haltung während einer Geburt wird als die physiologische
Gebärhaltung bezeichnet. Doch wie aus dem vorigen Unterkapitel hervorgeht, war es in Europa
über beinahe 200 Jahre alles andere als selbstverständlich, dass diese physiologische Haltung,
welche von Anbeginn der Menschheit an praktiziert wurde, während Geburten eingenommen
wurde. Stattdessen wurden die Frauen in die Rückenlage gebracht und entbanden so ihre
Kinder. Erst seit etwas mehr als 20 Jahren setzen in Europa dahingehend wieder Veränderungen
ein, da die Frage nach der optimalen Position der Frau bei der Geburt durch zahlreiche
Forschungsergebnisse und Untersuchungen eines belegt hat: der günstige Einfluss der
vertikalen Gebärhaltung auf sämtliche Geburtsparameter und den Geburtsschmerz ist
nachweislich gegeben (vgl. Domenig, 2007, Seite 443f).
Bei dem meisten Frauen besteht während der Geburt das Bedürfnis sich festzuhalten, gehalten
und gestützt zu werden, durch den vermehrten Körperkontakt in den jeweiligen Positionen wird
eine vermehrte Endorphinausschüttung gefördert – ein weiterer Vorteil, welcher durch die
Einnahme einer vertikalen Gebärhaltung entsteht. Es fand also ab dem Ende des
Seite 9
20.Jahrhunderts eine Wiederbesinnung auf die zuvor über Jahrhunderte lang praktizierte
vertikale Geburtsposition statt, es ist jedoch nach wie vor ein laufender Prozess, diese Haltung
wieder in die Gesellschaft zu integrieren, da sie in Vergessenheit geraten war und somit die
Ansichten und das Wissen über das physiologische Gebärverhalten erst wieder an die Frauen
weitergegeben werden müssen. Es muss von den Frauen erst wieder als „normal“ empfunden
werden, während der Geburt aktiv zu sein, umherzugehen und sich selbst einzubringen und
damit die Geburt für sich und das Kind leichter und sicherer zu gestalten. Ein großer Schritt in
der modernen Geburtshilfe, welche die vertikale Haltung wieder zum Leben erweckte, war die
Erfindung des Gebärhockers Maia im Jahre 1987 (vgl. Kuntner, 2002, Seite 75f).
1.4 Der Gebärhocker Maia
Die Wiedereinführung der vertikalen Gebärhaltung führte zwangsläufig auch zur Entwicklung
von modernen, verstellbaren Gebärbetten und von speziell konstruierten Gebärstühlen. Nach
jahrelanger Auseinandersetzung mit der Gebärhaltung und dem praxisnahem Umgang von
Hebammen mit den Gebärenden wurde im Jahr 1987 der Gebärhocker Maia von den Schweizer
Hebammen Daemen, Landherr und von Lieselotte Kuntner konzipiert. Er ermöglicht den
Gebärenden eine Geburt im Sitzen und zugleich eine optimale Bewegungsfreiheit, womit alle
möglichen Positionen denkbar sind. Der Hocker besteht aus Holzbeinen, einer Latexpolsterung
und echtem Leder für den Überzug, weiters wird, aus hygienischen Gründen, aber auch ein
waschbarer Überzug empfohlen. Hinter der auf dem Hocker sitzenden Gebärenden kann auf
einem normalen Stuhl der Partner oder eine Hilfsperson sitzen, um die Gebärende zu stützen,
durch das Weglassen der Rückenlehne kann so jeder beliebige Neigungswinkel eingenommen
werden, müheloses Aufstehen, umhergehen und das spontane Einnehmen anderer
Körperhaltungen wird ermöglicht. Der Hocker steht meist auf einer Matte, was der Frau
ermöglicht, auch kniende oder halb liegende Positionen einzunehmen, weiters wird die
Arbeitshaltung der Hebamme und die sichere Geburt des Kindes in eine weiche Umgebung in
die Überlegungen mit ein bezogen (vgl. Kuntner 1994, Seite 206ff).
In etlichen Studien wurden Informationen über den Gebrauch des Gebärhockers Maia
gesammelt. So wurden Vor- und Nachteile der Geburt auf dem Hocker und im Bett dargestellt
und folgende Ergebnisse erzielt: Untersucht wurden die verschiedenen Geburtsparameter, wie
Seite 10
Geburt, Haltungswahl, Dammverletzungen, Episiotomie, medikamentöse Geburtseinleitung,
Wehen- und Schmerzmittel, Plazentakomplikationen, Apgar-Score und Nabelschnur-pH (vgl.
Domenig, 2007, Seite 444). Frauen, welche eine vertikale Haltung am Hocker einnahmen,
wiesen eine hoch signifikante niedrigere Rate an Dammrissen 3. und 4. Grades auf, sowie
weiters eine hoch signifikante höhere Rate an intakten Dämmen. Es wurde ein günstiger
Einfluss auf sämtlich obig genannte Geburtsparameter ersichtlich, weiters wird auch die
Vitalität des Kindes, durch die bessere Sauerstoffversorgung während der Geburt, positiv
beeinflusst, eine individualisierte Geburtsleitung wird dadurch gefördert.
Neben all diesen physiologischen Parametern wird auch noch eine weitere Komponente berührt
– nämlich die psychosoziale Einbettung der Geburt. Denn jede Frau muss während der Geburt
frei entscheiden können, welche Stellung sie einnehmen will (vgl. Kuntner, 2002, Seite76f).
Seite 11
Kapitel 2
DER EINFLUSS DER KÖRPERHALTUNG AUF VERSCHIEDENE FAKTOREN DES
GEBURTSVORGANGES
2.1 Allgemeine Erläuterungen zur Logik der Gebärhaltungen
Unter Gebärhaltungen wird das gesamte körperliche Verhalten der Gebärenden während der
Geburt verstanden. Von vielen Frauen werden intuitiv die geburtsförderlichsten Haltungen
eingenommen, während andere Frauen den Rat und Beistand einer Hebamme benötigen, um die
ideale Position zu finden, welche sich im Lauf einer Geburt vielmals ändern kann. Kurzum
gesagt, sind Gebärhaltungen also als Möglichkeiten zu definieren, welche den physiologischen
Geburtsverlauf unterstützen und einen Geburtsverlauf, welcher droht, pathologisch zu werden,
positiv beeinflussen können.
Eine besonders wichtige Rolle spielt die Wirkung der Schwerkraft – diese wirkt nicht nur im
aufrechten Stehen, sondern in jeder erdenklichen Körperhaltung. Durch das Kennen und
Einbeziehen der physikalischen Gesetze sowie das Nützen der Schwerkraft kann dem Kind
geholfen werden, seine Lage in jeder Phase der Geburt zu optimieren (vgl. Fischer, 2007, Seiten
2-4). In den folgenden Abschnitten werden durch die Körperhaltung beeinflusste
innergeburtliche Attribute zur Sprache gebracht, welche allesamt auf wissenschaftlichen
Ergebnissen beruhen. Leider würde es den Rahmen der vorliegenden Arbeit sprengen alle
bekannten Einflüsse anzuführen, dadurch habe ich mich dazu entschieden nur jene zu
behandeln, welche der Thematik der Arbeit am zuträglichsten erscheinen.
2.2 Der Einfluss der Körperhaltung auf den Muskeltonus, das Becken, die
Lendenwirbelsäule und den Geburtskanal
Aufgrund vielseitiger Studien kann angenommen werden, dass die, im vorigen Abschnitt
erwähnte, Einnahme von geburtsförderlichen Haltungen aus verschiedenen Gründen rühren.
Aus der Analyse der Stellungen geht eindeutig hervor, dass eine Entspannung der
Oberschenkelmuskulatur, sowie des Beckenbodens erreicht werden soll, weiters soll eine gute
Zusammenarbeit der beteiligten Muskelgruppen erreicht werden. Bei einer normalen Geburt
Seite 12
kann durch die Einnahme der jeweiligen richtigen Haltung eine Entspannung der Adduktoren
und des Beckenbodens erreicht werden, weiters der muskuläre Abwehrreflex verringert werden
– dies soll dem Kind den Austritt wesentlich erleichtern. Dies wird dadurch erreicht, dass die
physiologisch richtige Beinhaltung, welche im Kauern, Sitzen oder Knien erreicht werden kann,
der Beckeneingang sowie auch der Beckenausgang erweitert werden und somit eine leichtere
Drehung des kindlichen Kopfes um die Symphyse erfolgen kann. Auch die Lendenwirbelsäule
spielt im Zusammenhang eine wichtige Rolle - bildet sie doch in Gemeinschaft mit dem
Becken einen gestreckten Geburtskanal , was bei aufrechter Haltung eine bessere Anpassung
der kindlichen Längsachse an den Geburtskanal sowie auch ein Stehenbleiben des Kopfes in der
Wehenpause bewirkt. Bezüglich des Muskeltonus scheint es hier als wichtig zu erwähnen, dass
die Wehenwirksamkeit in der Eröffnungsphase in erster Linie von der Fähigkeit der
Gebärenden zur Muskelentspannung abhängt – ein Maximum an Wehenwirksamkeit und damit
ein guter Fortschritt der Geburt kann also erreicht werden, wenn die Gebärende in die ihr
zusagende Körperstellung gebracht oder geleitet wird. So kann eine bessere Tonusregulation
der gesamten Skelettmuskulatur und damit eine gute Anpassung an den Geburtsvorgang
erleichtert werden. Nicht zuletzt ist hierzu zu erwähnen, dass durch die obig genannte
Tonusregulation auch der gesamte Atemvorgang positiv beeinflusst werden kann (vgl. Kuntner,
1994, Seite 140f).
2.3 Der Einfluss der Körperhaltung auf die Sensomotorik
Tatsache ist, dass in der Rückenlage die aktive Steuerung und Kontrolle des
Bewegungsvorgangs beeinträchtigt werden, da der Mensch in liegender Haltung den
Muskeltonus der aufrechten Haltung verliert und damit passiver und hilfloser wird. .Die
normale Bewegungskoordination benötigt also die aufrechte Körperhaltung Die aktive Haltung
ist dadurch gekennzeichnet, dass der Kopf nach oben und die Augen nach vorne gerichtet sind,
durch diese Haltung wird auch der Streckmuskeltonus verstärkt. Dies ist auch bei liegenden
Gebärenden oft zu beobachten – in der Austreibungsphase wird der Kopf angehoben und
Richtung Brust gedrückt, womit ein gewisses Maß an Aktivität erreicht wird. Dem Menschenist
es nur in aufrechter Haltung möglich, sich mit Hilfe von optischen, akustischen und taktilen
Sinneswahrnehmungen von seinem Körper aus zu orientieren – was auf die Geburt
folgendermaßen anzuwenden ist: In aufrechter Haltung ist es der Gebärenden, wie bereits
Seite 13
erwähnt, möglich, aktiver am Geburtsgeschehen teilzunehmen, sie kann ihr Kind im
Augenblick der Geburt sehen und beobachten. Der Kontakt zwischen Mutter und Kind findet
hier also intensiver und augenblicklicher statt, als wenn die Gebärende sich in Rückenlage
befunden hätte. Wenn sich das Kind in seinen ersten Lebensminuten in den Armen einer
sitzenden Mutter befindet, stellt sich das ersten Anlegen zum Stillen beinahe automatisch ein,
weiters wird angenommen, dass eine aufrechte Haltung dazu beiträgt, Komplikationen bei der
Ausstoßung der Plazenta vorzubeugen. Bei der Wahl der physiologischen Gebärhaltung spielt
die Intuition und das triebhafte Verhalten der Gebärenden eine wichtige Rolle – was sich
dadurch verbildlichen lässt, dass die Frau bei einem überraschenden Geburtseintritt instinktiv
die Hockstellung einnimmt. Tatsächlich ist aus Studien in verschiedenen Ethnien bekannt, dass
in 62 von 76 außereuropäischen Ländern bei der Geburt eine vertikale Position eingenommen
wird, wobei ein bestimmtes Muster erkennbar ist, jedoch auch zu sehen ist, dass die jeweilige
Gebärende instinktiv jene Haltung wählt, welche ihr in der jeweiligen Phase der Geburt am
angenehmsten erscheint und gleichzeitig das Kind am wenigsten belasten, sowie den
Geburtsverlauf fördern (vgl. Kuntner, 1994, Seite 145ff).
2.4 Der Einfluss der Körperhaltung auf die psychosomatischen Faktoren und den
Schmerz
Bezüglich der psychosomatischen Faktoren ist hier folgendes zu zitieren: „Die Geburtshilfe
richtet sich ursprünglich an der Geburtsmechanik aus, wurde dann mit der Ausrichtung auf die
natürliche Geburt stärker psychologisch und präventiv orientiert und betont heute Monitor und
Anästhesiologie. Das Erleben der Gebärenden ist heute davon mitgeprägt, dass sie von
derartigen vorgegebenen Bedingungen abhängig ist aber keinen Einfluss darauf nehmen kann.
Andererseits stellen die normalen psychischen Veränderungen unter der Geburt einen
weitgehend
autonomen
Prozess
dar.
Die
verstärkte
Spannung
der
letzten
Schwangerschaftswochenkulminiert mit Wehenbeginn im Einsetzen der Eröffnungsperiode. Das
Gefühl ist davon beherrscht, dass es jetzt kein Ausweichen mehr gibt. Im Vordergrund steht ein
dranghaftes Verhalten: die Tätigkeit des Gebärens fängt mit getriebener Erregung und
vermehrter Motorik an.“ (siehe Hertz und Molinski In Kuntner, 1994, Seite 147f).
Seite 14
„… Die Tätigkeit des Gebärens erfordert umgekehrt auch die Fähigkeit, den Willen des Ichs
zurückzutreten und die Autonimie des Naturvorgangs gewähren lassen zu können. Bei aller
Arbeitsstimmung muss die Gebärende gleichzeitig auch den Fortschritt der Wehen und der
Gebärphysiologie in iner mehr passiven Einstellun geschehen lassen können. Freilich ist eine
solche Hingabe in Wirklichkeit eine aktive psychische Leistung und nicht reine Passivität. Die
frau muss die psychologische Leistung vollbringen, aktive und passive Impulse gleichzeitig
gewähren zu lassen und in einem ausgewogenen Gleichgewicht halten zu können.“ (siehe Hertz
und Molinski In Kuntner, 1994, Seite 148).
Zu den psychomotorischen Faktoren ist hier auch noch zu erwähnen, dass die Störung
verschiedener motorische rAbläufe wärend der Gbeurt eine psychische Belastung darstellen und
damit zu einer Erhöhung des Geburtsschmerzes beitragen – zu soclch einer Störung wäre
beispielsweise eine eingeschränkte Bewegungsfreiheit aufgrund einer kardiotokographischen
Überwachung zu zählen. Womit wir zum Faktor Schmerz gekommen wären und bereits
schlussfolgern können, dass die Mobilität der Frau zur Schmerzerleichterung beitragen kann.
Vielzählige Autoren haben sich mit der Auswirkung der Körperstellung auf die Geburt
beschäftigt und sind zu dem Schluss gekommen, dass diese einen günstigen Einfluss auf den
Schmerz haben kann. So lässt zum Beispiel in deiner vertikalen Position der KreuzbeinRückenschmerz in der Eröffnungsperiode wesentlich nach, weiters ist wissenschaftlich
nachgewiesen worden, dass Frauen, welche vertikale Gebärpositionen einnehmen, weniger
Spasmolytika benötigen. Hierzu bleibt abschließend jedoch zu erwähnen, dass die Erhöhung
oder Verminderung des Geburtsschmerzes nebst der jeweiligen Körperhaltung auch von vielen
weiteren psychologischen, physiologischen sowie pathologischen Ursachen beeinflusst wird
(vgl. Kuntner, 1994, Seite148f).
2.5 Die Wirkung der Körperstellung auf den Blutfluss und die Sauerstoffversorgung des
Kindes
Die Vorteile der vertikalen Gebärhaltung sind von großer Wichtigkeit für Mutter und Kind,
bezogen auf den Blutfluss und den fetalen Zustand. So stellt die, über längere Zeit
eingenommene, Rückenlage für Mutter und Kind insofern ein Problem dar, dass die Vena cava
inferior durch den graviden Uterus gegen die Wirbelsäule gedrückt wird und somit kommt es
Seite 15
manchmal zu einer Verminderung des Blutdrucks, was bis hin zu einem Kreislaufkollaps führen
kann – diese Symptome werden als Vena-cava-Kompressionssyndrom bezeichnet. In der
vertikalen Haltung hingegen, verringert sich der Druck auf die Aorta und die Vena cava.
Weiters wird das mütterliche Herzminuten- und Herzschlagvolumen verbessert, was die
Uterusdurchblutung verbessert, den Druck auf die Plazenta sowie auf die venae uterine
verringert. Insgesamt wird hier also einer Unterversorgung mit Sauerstoff vorgebeugt. Weiters
wird durch die vertikale Haltung ein günstiger Einfluss auf das „Fetal Outcome“ (Zustand des
Fetus) bewirkt, welcher sich beispielsweise durch ein höheres Blutangebot für das Kind, eine
höhere o2-Sättigung des kindlichen Blutes und durch bessere 5-Minuten Apgarwerte sowie
bessere Blutgasanalysen des Kindes darstellen lässt (vgl. Kuntner, 1994, Seite149f).
2.6 Die Wirkung der Körperstellung auf die Geburtsdauer
Durch Untersuchungen wurden folgende Vorteile der aufrechten Gebärhaltung auf die
Geburtsdauer
bestätigt:
die
Wirkung
der
Schwerkraft
des
Uterusinhalts
auf
die
Muttermunderöffnung bewirkt in der Eröffnungsphase einen schnelleren und leichteren
Fortschritt und somit eine Verkürzung der Geburtsdauer. Diese „Beschleunigung“ ist dadurch
zu erklären, dass der Geburtskanal in stehender oder hockender Stellung einen fast waagrechten
Verlauf nimmt, so dass die Schwere der Frucht gleichzeitig wehenverstärkend wirkt und die
Muttermundöffnung erleichtert. Weiters wird auch die Entwicklung des Kopfes um den
Schambeinbogen und über den Damm begünstigt. Weiteres wird angenommen, es ist also noch
nicht bewiesen, dass die Schwerkraft in der Eröffnungs- und der Austreibungsphase der Kraft
einer Vakuumextraktion entspricht (vgl. Kuntner, 1994, Seite 158f).
2.7 Vorteile der vertikalen Gebärhaltung im Überblick
•
Der Geburtskanal erweitert sich.
•
Die Beweglichkeit des Beckens ist fast optimal.
Seite 16
•
Durch die Stellung des Beckens und der Lendenwirbelsäule in vertikaler Stellung ist der
Verlauf des Geburtskanals gestreckt, das Tiefertreten des kindlichen Kopfes wird
dadurch erleichtert.
•
Die Kontraktionen der Gebärmutter sind stärker, regelmäßiger und häufiger.
•
Die Wehen können durch bewegen und wechseln der Körperstellung besser verarbeitet
werden.
•
Zwischen den Wehen ist Entspannung besser möglich.
•
Schmerzempfindungen werden durch wehengerechtes und angepasstes Verhalten
gemindert.
•
Die Muttermunderöffnung wird erleichtert und gefördert.
•
Eröffnungszeit und gesamte Geburtsdauer werden verkürzt.
•
Die Bauchpresse wirkt kräftiger bei minimaler Muskelanstrengung.
•
Die Beckenbodenmuskulatur wird besser gedehnt und entspannt.
•
Das Risiko eines Dammrisses und die Notwendigkeit eines Dammschnittes werden
verringert.
•
Die Frau ist aktiv, leistungsfähig und hat eine bessere Kontrolle über ihren Körper.
•
Die mütterliche Atmung wird nachweisbar verbessert.
•
Blutdruckabfall wird verhindert.
•
Mütterliche Kreislaufstörungen treten seltener auf.
•
Die mütterliche und kindliche Kreislaufsituation wird verbessert.
•
Die Plazenta wird besser durchblutet.
Seite 17
•
Die fetale Herzfrequenz wird verbessert.
•
Eine
fetale
Mangelversorgung
in
Zusammenhang
mit
der
venösen
Rückflussbehinderung wird verhindert.
•
Die Apgar-Werte sind besser.
•
Die Hormonausschüttung wird begünstigt.
•
Der Körperkontakt mit helfenden Personen wirkt entspannend auf die Gebärende.
•
Durch Abbau von Stress, Angst und Spannung wird die Wirkung des Hormons
Oxytozin unterstützt.
•
Der Verbrauch von Medikamenten wird verringert.
•
Die emotionelle Mutter-Kind-Bindung wird durch den sofortigen visuellen Kontakt
unterstützt und gefördert.
(siehe Kuntner, 1994, Seite 238f)
Die Vorteile, welche das Einnehmen einer vertikalen Gebärhaltung mit sich bringt scheinen für
sich zu sprechen, lassen verstehen und gut heißen, dass die logischen Vorteile, welche schon
vor tausenden von Jahren selbstverständlich zum Einsatz gebracht wurden, nun wieder in die
Geburtshilfe integriert werden. Doch es gibt auch Fälle, in welchen das Einnehmen einer
vertikalen Gebärhaltung als kontraindiziert zu betrachten sind – so ist dies bei einem vorzeitigen
Blasensprung der Fall, wenn das Köpfchen des Kindes noch nicht fest im Beckeneingang steht.
In einem solchen Fall sollte sich die Frau hinlegen, um einem Nabelschnurvorfall (Nabelschnur
wird zwischen Köpfchen und Beckeneingang eingeklemmt) vorzubeugen (vgl. Fischer, 2007,
Seite 4). Weiters ist eine vertikale Haltung bei Blutungen unklarer Genese sowie bestimmten
vorgeburtlichen Komplikationen oder anatomischen Auffälligkeiten der Mutter zu vermeiden.
Seite 18
Kapitel 3
KULTURELLE ASPEKTE DER GEBÄRSTELLUNG
3.1 Klassifikation und Verbreitung der Gebärstellungen verschiedener Ethnien im
Überblick
Um den kulturellen Aspekt der Gebärhaltungen zu betonen und auch diesem Teil meiner
Forschungsfrage gerecht zu werden, möchte ich in diesem Kapitel auf die aktuell
gebräuchlichen verschiedenen Varianten des Gebärens und der Gebärhaltung im europäischen
und außereuropäischen Raum eingehen. Zum besseren Verständnis werde ich die einzelnen
Gebärstellungen klassifizieren ehe die Verbreitung der Stellungen auf die verschiedenen
Kulturen erläutert wird.
Grundsätzlich können die Gebärhaltungen in sieben Sparten unterteilt werden, welche jeweils
verschiedene Varianten bereithalten.
1. Aufrechte Stellungen: stehend, zum Teil hängend, schwebend
2. Geneigte Stellungen: aufrecht sitzend (Schneidersitz, Türkensitz), halb sitzend
3. Kauernde Stellungen
4. Kniende Stellungen: Oberkörper nach vorne oder nach hinten geneigt
5. Knieellenbogenlage: auf Boden, Matratze, Bett
6. Rückenlage: auf Bett
7. Seitenlage: auf Bett-flache Seitenlage, Seitenlage mit erhöhtem Rumpf
Zur Verbreitung der einzelnen Stellungen lässt sich grundsätzlich folgendes sagen. Die
stehenden, hängenden, schwebenden Stellungen werden zum größten Teil im afrikanischen,
europäischen und asiatischen Raum angetroffen, teilweise auch bei Stämmen in Nord- und
Südamerika. In Afrika werden zunehmend auch die sitzenden und knienden Stellungen
angewandt. Die kauernden Stellungen sind zum größten Teil bei Ethnien in Asien und Ozeanien
Seite 19
zu finden, im östlichen Kulturkreis werden die liegenden und knienden Stellungen bevorzugt.
Viele afrikanische Kulturen gebären in der Seitenlage (vgl. Kuntner, 1994, Seiten 90-100).
Es würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen, die einzelnen Stellungen auf alle Länder verteilt
zu benennen, daher werde ich im Folgenden besondere Stellungen einzelner Länder der
Kontinente Asien und Afrika aufzeigen. Die Entscheidung für diese Kontinente erfolgte aus
dem Grund, dass diese beiden Weltteile in der Anwendung der Gebärhaltungen besondere
Unterschiede zwischen den kulturellen Kreisen aufweisen und somit die Vielfalt der möglichen
Gebärhaltungen betont wird. Die jeweiligen Stellungen, welche hier den einzelnen Ländern
zugeteilt sind schließen andere Stellungen nicht aus, sondern deuten lediglich darauf hin, dass
die erwähnten Stellungen häufigen gebrauch finden.
Asien
Kambodscha: kniend
China: Stuhl, Bett
Japan: Stuhl, halb liegend, aufrecht auf dem Boden kniend
Philippinen: stehend
Sumatra: liegend
Birma: Rücken
Andamanen Insel: auf dem Schoß des Gatten
Persien: kniend, kauernd
Arabien: an ein Seil klammernd
Cypern: auf einem Sessel halb liegend
Afrika
Äthiopien: kniend, stehend
Darfur: stehend
Ostafrika: sitzend, hockend
Somalia: stehend, an einem Seil anhaltend
Seite 20
Wakamba: stehend, hinten über gebeugt
Ägypten: Stuhl
(siehe Poksiva, 2003, Seite 10f)
3.2 Beispiel für das Gebärverhalten einer gesamten Kultur – Geburt bei den Zulu
Trotz der Tatsache, dass sich diese Arbeit die vertikale Gebärstellung und somit nicht das
gesamte Gebärverhalten zum Thema hat, ist es mir ein Anliegen ein prägnantes Beispiel für
einen gesamten Geburtsverlauf einzubauen. Grund hierfür ist, dass es mir so besser möglich
erscheint, den soziokulturellen Einfluss auf das Thema Geburt im Kontext darzustellen. Ich
habe mich für die verkürzte Wiedergabe eines Geburtsberichts entschieden, welcher eine
Geburt bei den Zulu detailliert beschreibt und welcher, neben anderen Berichten von Lieselotte
Kuntner, die kulturellen Aspekte sehr anschaulich darstellt. Im Laufe des Berichts werde ich
stellenweise Querverweise auf die Unterschiede zu unserer Kultur einbauen.
Die Geburt bei den Zulus erfolgt zuhause in ihrem Kral (der eigene Lebensbereich, das
jeweilige Dorf einer Frau, in neuerer Zeit werden aber auch schon Spitäler aufgesucht, wobei
die Gebärende dann mehrere Frauen ihrer Sippe mitbringt. Von manchen Spitälern wird es
erlaubt, dass sich diese Frauen in den Außenarealen Krale errichten und so auch langen
Geburten beiwohnen und den Gebärenden ein Gefühl von Heimat vermitteln. Das Erkennen
einer Schwangerschaft erfolgt dadurch, dass die Periode ausbleibt und die ersten
Kindsbewegungen verspürt werden – im Gegensatz zu der uns gewohnten Methode also ein
recht natürlicher Vorgang, der diagnostische Verfahren weitgehend ausklammert. Der Termin
wird nach zehn Mondwechseln erwartet, während der Schwangerschaft werden stammesübliche
Rituale durchgeführt – so wird täglich eine spezielle Medizin getrunken, um dem Einfluss böser
Geister zu entgehen wird ein Zauberer in den Kral der Schwangeren geholt und einen
Abwehrzauber durchführt, die Mutter trägt während der gesamten Schwangerschaft einen
Grasring, der später dem Neugeborenen umgehängt wird – er soll Mutter und Kind vor bösen
Geistern bewahren und das Zahnen günstig beeinflussen. Im gewöhnlichen Fall findet die
Geburt in einer Hütte statt – die erste Frau entbindet in der Hütte der Schwiegermutter, schläft
die Frau in der Hütte des Mannes wird jedoch dort geboren. Falls der Mann mehrer Frauen hat,
entbinden diese jeweils in ihren eigenen Hütten. Verspürt die Schwangere die ersten Wehen
Seite 21
geht sie entweder vor der Hütte umher oder verrichtet anstrengende Arbeiten, wie zum Beispiel
Maisreiben, um den Geburtsfortschritt und die Eröffnungsphase zu fördern. Bei Zunahme der
Wehen wird die Frau gerufen, welche bei der Geburt assistieren soll – die Gebärende bittet die
um Hilfe. Professionelle Hebammen gibt es bei den Zulu nicht – meist hilft die
Schwiegermutter der Gebärenden oder eine ältere geburtserfahrene Frau, in manchen Fällen
assistiert auch eine weitere Frau aus der eigenen Familie oder der weiteren Verwandtschaft. Vor
der Geburt wird der Gebärenden ihr Kopftuch abgenommen und über den Bauch gebunden, um
bei den Austreibungswehen und auch bei der Plazentalösung nach unten massieren zu können.
Weiters reibt die Helferin den Leib der Gebärenden mit einer magischen Medizin ein, hilft
durch Kneten und vor allem durch den Druck nach unten.
Zulufrauen wurden über die Position während der Austreibungswehen befragt
- ohne
Ausnahme wurde die kniende genannt, die sitzende und liegende Position erschienen als
gänzlich unbekannt. Die Frau bleibt während des gesamten Geburtsvorgangs bis zum
Austreiben der Nachgeburt in kniender Position. Auch in den Wehenpausen bleibt die
Gebärende in Kniehaltung, beugt den Oberkörper etwas nach vorn und stützt sich mit beiden
Händen am Fußboden oder den Oberschenkeln ab und entspannt sich. Einige setzen sich aus der
knienden Position seitlich auf den Fußboden nieder, stützen sich dabei mit einer Hand ab,
manchmal wird die Frau von hinten zum Ausruhen von der Helferin gestützt.
In der Austreibungsphase wird die Gebärende von der Helferin aufgefordert kräftig zu pressen,
als Hilfestellung wird dazu an der Hüttenkuppel ein Seil aus geflochtenem Gas aufgehängt, an
welchem die Gebärende sich durch Ziehen aufrichten und so den Geburtskanal in einen fast
geraden
Verlauf
bringen
kann.
Es
gibt
während
der
Geburt
kein
Mittel
zur
Schmerzbekämpfung, Schmerzen zu äußern wird durch Schläge mit der flachen Hand auf den
Mund geahndet – die Männer im Kral dürfen nicht hören, was in der Gebärhütte vor sich geht.
Dies ist mit dem Verfahren in unserem Kulturkreis, wo durch Ausdruck des Schmerzes Kraft
gesammelt werden soll, nicht gleich zu stellen, stellt den absoluten Gegensatz dar.
Bei schwierigen Geburten werden verschiedene Maßnahmen angewandt – die Helferin führt die
Hand in die Vagina ein, erörtert so die Lage des Kindes, zu Lage Änderungen wird kräftig
geschüttelt oder auch versucht manuell zu wenden. Die operative Geburtshilfe beschränkt sich
rein auf den Dammschnitt – mit kurzen Schilf- oder Grashalmen, in manchen Fällen auch mit
einer Glasscherbe oder einem alten Messer wird der Damm eingeschnitten.
Seite 22
Nach der Geburt wird der Mund des Kindes von der Helferin mit einem Finger gereinigt,
zwischen die Beine der Mutter gelegt und dort verbleibt es bis die Plazenta ausgestoßen wurde
– in der Regel wird das Kind erst dann abgenabelt. In seltenen Fällen wir das Kind sofort
abgenabelt, trocken gewischt, mit Öl gerieben und in Tücher gewickelt und so zur Seite gelegt.
In diesen Fällen erhält das Kind sowie auch die Mutter einen Löffel der Zaubermedizin –
verweigert das Neugeborene diese Medizin wird es als verhext angesehen und kopfüber im
Rauch bestimmter brennender Kräuter geschwenkt. Das Schwenken im Rauch brennender
Kräuter wird auch durchgeführt, wenn das Kind nicht spontan schreit. Diese Vorgehensweise
scheint uns, in Zeiten wo das Bonding, das erste Festigen der Mutter-Kind-Beziehung durch
sofortigen Körperkontakt, als dermaßen wichtig betont wird als ein wenig befremdlich, doch
rührt auch diese Vorgehensweise aus einer jahrelangen Tradition.
Um das Lösen und Ausstoßen der Plazenta zu beschleunigen wird die Frau dazu aufgefordert,
wiederholt und energisch in eine Flasche zu blasen – so soll der abdominelle Druck erhöht
werden. Das Abnabeln erfolgt in der Regel nach Ausstoßen der Plazenta, hierbei wird Maß
genommen, indem die Nabelschnur über das Knie des Neugeborenen gestreckt wird, über und
unter dem Knie abgebunden wird und dann mit einem scharfen Grashalm über der Mitte der
Patella durchtrennt wird. Die Plazenta, welche im Allgemeinen nicht kontrolliert wird, wird zur
Seite gelegt und drei Tage lang in der Hütte verborgen gehalten. Am Abend des dritten Tages
wird sie von der Schwiegermutter verborgen und in Dunkelheit, an einer geheimen Stelle der
Hütte vergraben. Dieser Vorgang erfolgt so geheimnisvoll, um den Einfluss der bösen Geister
abwehren zu können.
Nach der Geburt geht die Frau mit ihrem Kind einige Tage in die Hütte der Schwiegermutter
oder die des Mannes (diese Zeit verbringt der Mann für gewöhnlich in der Hütte seines Vaters),
je nachdem wo geboren wurde, in dieser Zeit, nach Beerdigung der Plazenta, wird auch die
Hütte gereinigt. Das Wochenbett als solches ist bei den Zulu nicht bekannt, durch die Tatsache,
dass die Frau bis zum Abfallen der Nabelschnur im Verborgenen bleiben muss, wird ihre
Tätigkeit jedoch rein auf Arbeiten in der Hütte eingeschränkt, es wird ihr dennoch ein bequemes
Lager zum Ausruhen bereitet. Fällt die restliche Nabelschnur des Kindes ab, wird sie von der
Schwiegermutter entweder dort wo die Plazenta vergrabe ist deponiert oder verbrannt. Hier
wird die Wöchnerin also im Verborgenen gehalten, das Kind nicht gezeigt, in unserer Kultur
hingegen ist es üblich, dass das Kind bereits nach wenigen Lebensstunden allen Verwandten
Seite 23
und Freunden vorgestellt wird, was jedoch auch oft für Mutter und Kind anstrengend erscheint
und das zur Ruhe kommen und aneinander gewöhnen teils sogar ein wenig unterbindet.
Der Vater des Kindes sieht dieses zum ersten Mal nach dem Abfallen der Nabelschnurreste und
nach vollständiger Reinigung der Geburtshütte. Das Neugeborene, vollständig in Decken
gewickelt, wird ihm hierzu von seiner Frau auf die Türschwelle gelegt, aus der Hütte ruft die
Mutter des Mannes ob es sich um einen Junge oder ein Mädchen handelt und benennt es bei
seinem Namen. Der Vater betrachtet das Kind, bedankt sich bei dessen Mutter dafür, dass sie
ihm dieses Kind geschenkt hat. Während dieser Zeremonie bleibt die Mutter des Kindes in der
Hütte, vor den Blicken des Vaters verborgen (siehe, Kuntner, 1994, Seiten 60-64).
Hier endet der Geburtsbericht über die Geburt im Knien bei den Zulu. Kulturelle Unterschiede
könnten nicht besser veranschaulicht werden als durch ein solches Beispiel. Geht man auf die
Gebärhaltung ein, so zeigt uns dieser Bericht ganz deutlich, dass bei den Zulus jene Position
eingenommen wird, welche am natürlichsten und wirksamsten erscheint, unabhängig von
jeglichen medizinischen und klinischen Einflüssen und dass sich dieses Verhalten auch über
Jahrzehnte hinweg bewährt hat.
Seite 24
Kapitel 4
ERHEBUNG MITTELS FRAGEBOGEN IM LKH FELDBACH
4.1 Vorstellung der Geburtenabteilung des LKH Feldbach
An der Abteilung für Geburtenhilfe im LKH Feldbach, ein öffentliches Krankenhaus des
Landes Steiermark, werden pro Jahr im Durchschnitt 1400 Kinder zur Welt gebracht. Durch
den guten Ruf der Abteilung hat sich diese ein großes Einzugsgebiet geschaffen, welches
zumindest die Bezirke Feldbach und Fürstenfeld umfasst, zum Teil auch den südwestlichen Teil
des Burgenlands und den Grenzbereich Sloweniens mit einschließt.
In der gesamten Steiermark gibt es insgesamt 10 geburtshilfliche Standorte, das LKH Feldbach
weist im Vergleich eine hohe Frequenz auf, hat sich nach dem LKH Graz, mit dem größten
Einzugsgebiet, auf die zweite Stelle heben können. Die Sectio-Rate liegt in der Steiermark bei
30%, im LKH Feldbach pendelt sich diese bei 14-17% ein, was im nationalen Vergleich im
unteren Bereich einzustufen ist (vgl. www.kages.at).
Hierzu möchte ich anmerken, dass die hohe Kaiserschnittrate als durchaus bedenklich
einzustufen ist, wenn man beachtet, dass bei operativen Entbindungen die mütterliche
Sterblichkeitsrate nach wie vor achtfach höher ist, als bei vaginalen Entbindungen.
Der Kreißsaal des LKH Feldbach weist eine sehr gute Personalbesetzung auf, was auf die hohe
Frequentierung zurückzuführen ist. Das Kreißsaalteam besteht aus 15 Hebammen und 20
Ärzten, es ist eine 24 Stunden Besetzung von 2 Hebammen und 3 Ärzten vor Ort. Neben
Geburtsvorbereitungskursen werden auch geburtsvorbereitende Anwendungen, wie zum
Beispiel Akupunktur, angeboten. Da ich, wie bereits erwähnt, in wenigen Monaten mein erstes
Kind zur Welt bringen werde und geplant habe, dies im LKH Feldbach zu tun, habe ich mich
im Rahmen dieser Arbeit dazu entschlossen einen Fragebogen zur vertikalen Gebärhaltung zu
erstellen und diesen im Kreißsaal des LKH Feldbach aufzulegen.
Davon erhoffe ich mir, die Forschungsfragen nicht nur anhand vorhandener Literatur, sondern
auch anhand von praxisnahen Ansichten und Erfahrungen beantworten zu können.
Seite 25
Die Vorgehensweise sowie die erzielten Resultate und Erkenntnisse werden im folgenden
Abschnitt vorgestellt.
4.2 Vorbereitungen zur Erhebung mittels Fragebogen im Kreißsaal des LKH Feldbach
An erste Stelle trat das Erstellen eines Fragebogens (siehe Anhang), welchen ich an die
Forschungsfragen anlehnte und aufgrund bereits gesammelter Informationen aus meinem
vorangehenden Literaturstudium zur Thematik erstellen konnte. Der Fragebogen besteht aus 14
Fragen, wobei die ersten beiden Fragen soziodemographischer Herkunft sind und sich auf die
befragte Person beziehen. Die 12 weiteren Fragen beziehen sich auf die Inanspruchnahme von
vertikalen Gebärhaltungen, deren erkennbare Auswirkungen sowie auf Faktoren, welche die
Inanspruchnahme beeinflussen. Die durchwegs geschlossenen Fragestellungen sollten durch
einfaches Ankreuzen und durch Angabe von Prozentzahlen beantwortet werden. Der
Fragebogen war an die Hebammen und das ärztliche Personal des Kreißsaal gerichtet, dies war
an den Kuverts sowie am beiliegenden Begleitschreiben, welches meinen Namen, die
Beweggründe sowie den Titel meiner Arbeit enthielt, zu erkennen. Bei der Oberhebamme und
beim ärztlichen Leiter der Abteilung fragte ich an, ob es mir erlaubt sei 35 Fragebögen
auszulegen – die Zustimmung erfolgte nach wenigen Tagen. Die Fragebögen wurden im
Personalraum des Kreißsaals ausgelegt, eine Kiste zum Einwurf der ausgefüllten Fragebögen
wurde nebenan gestellt und als solche erkenntlich gemacht. Mein Ziel war es, eine
Rücklaufquote von 15 Fragebögen zu erreichen – nach ungefähr 10 Tagen war aber leider erst
ein Fragebogen in die Kiste eingeworfen worden, weshalb ich die anberaumte Zeit um eine
Woche verlängerte. Nachdem die Oberhebamme ihre Kollegen motivierte, wurden schließlich
insgesamt doch 10 Fragebögen ausgefüllt. Beim Abholen der ausgefüllten Bögen konnte ich
dann noch ein sehr informatives Gespräch mit der Oberhebamme führen, weshalb ich auch den
Inhalt dieses Gesprächs in den weiteren Verlauf dieser Arbeit mit einfließen lassen möchte,
indem ich ergänzend zu den Ergebnissen der Fragebögen die Anmerkungen und Kommentare
der Hebamme nennen werde.
Seite 26
4.3 Deskriptive Darstellung der Ergebnisse aus der Erhebung mittels Fragebogen
Der vorliegende Fragebogen wurde insgesamt von 10 Personen ausgefüllt – 3 von diesen sind
dem ärztlichen Personal zuzurechnen, 7 sind Hebammen. Im Durchschnitt sind die Befragten 9
Jahre in der jeweiligen Funktion tätig – diese Information geht aus den ersten beiden Fragen
hervor.
Aus der dritten Frage geht hervor, dass im Kreißsaal des LKH Feldbach folgende
Möglichkeiten zur Einnahme von Gebärhaltungen geboten werden:
•
Bett
•
Matte
•
Ball
•
Sprossenwand
•
Romarad
•
Hocker
•
Wanne
•
Tuch
Diese Möglichkeiten waren zum Ankreuzen vorgegeben und wurden von allen Befragten
angekreuzt – bei der Spalte für Ergänzungen wurde von keiner befragten Person etwas
hinzugefügt, jedoch klärte mich die Oberhebamme in unserem Gespräch darüber auf, dass eine
sehr beliebte und am Fragebogen nicht angegebene Position, welche von Frauen während der
Geburt bevorzugt eingenommen wird der 4-Füßler-Stand ist – dieser kann im Bett sowie auf der
Matte eingenommen werden. Die angegebene Möglichkeit des Tuches wird meist mit dem Ball
kombiniert, in seltenen Fällen wird das Tuch (in den letzten Minuten der Austreibungsphase)
als Unterstützung bei stehenden Geburten (vor allem bei Steißlagen des Kindes) genutzt.
In den Fragen 4-6 wurden die Befragten gebeten, den angebotenen Möglichkeiten mittels
ungefährer Prozentangabe die Frequenz der Nutzung zuzuteilen und dies jeweils für die frühe
und späte Eröffnungsphase sowie für die Austreibungsphase. Die Ergebnisse für die frühe
Eröffnungsphase gestalten sich folgendermaßen:
Seite 27
Bett: 1%
Matte (meist in Seitenlage): 44%
Ball (oft in Kombination mit dem Tuch): 25%
Sprossenwand: 5%
Romarad: 10%
Hocker: 0%
Wanne: 15%
Tuch: 0%, nur in Kombination mit dem Ball
Die Oberhebamme teilte mir bereits bei dieser Frage mit, dass die Matte das absolute Mittel der
Wahl darstellt, da auf dieser viele verschiedene Positionen – von liegend bis stehendeingenommen werden können und auch ein stetiger und schneller Positionswechsel ohne große
Umstände jederzeit möglich ist. Generell werden die Frauen in der frühen Eröffnungsphase von
den Hebammen dazu motiviert vermehrt umherzugehen, sich auf den Ball zu setzen oder in die
Wanne zu steigen um dann immer wieder kurze Ruhepausen (diese meist in Seitenlage) auf der
Matte einzulegen. Der Gebärhocker wurde von allen Befragten mit 0% betitelt – was laut der
Erklärung meiner Gesprächspartnerin daher rührt, dass der Hocker erst im letzten Abschnitt der
Austreibungsphase (laut ihrer Einschätzung sollte es sich hierbei um maximal 20 Minuten
handeln) als Hilfsmittel in Frage kommt, da ein vorheriges Sitzen auf dem Hocker aufgrund der
fehlenden Kompression auf die Vulva ohne Umschweife zu einem Vulva-Ödem führen würde.
Diese Information überraschte mich sehr, da dies aus der Literatur nicht in derart eindeutiger
Form hervorgeht.
Die fünfte Frage geht auf die späte Eröffnungsphase ein – die Ergebnisse:
Bett: 5%
Matte: 45% (15% Vierfüßlerstand, 30% liegend – meist seitlich)
Ball: 20% (meist in Kombination mit dem Tuch)
Sprossenwand: 10%
Romarad: 10%
Seite 28
Hocker: 0%
Wanne: 10%
Tuch: 0% (siehe Ball)
Da die meisten Frauen in dieser Phase bereits erschöpft sind, werden sie von den Hebammen
dazu motiviert zumindest kurze Zeit auf dem Ball, Romarad oder in der Wanne Platz zu
nehmen, um die Schwerkraft und das Wasser wirken zu lassen. Viele Frauen sind nicht mehr in
der körperlichen Verfassung um umherzugehen, manche von ihnen lehnen auch einen Wechsel
der Hilfsmittel jetzt bereits ab – dies gestaltet sich laut der Oberhebamme von Geburt zu Geburt
und Frau zu Frau komplett verschieden. Als besonders wichtig erachtet sie, dass grundsätzlich
Stellungswechsel durchgeführt werden, die Frauen zu motivieren jedoch in ihrer
Selbstbestimmung keinesfalls zu unterbinden. Sind die Frauen bereits sehr erschöpft so
versuchen die Hebammen, diese auf der Matte zu Stellungswechseln zu motivieren, wobei der
4-Füßlerstand sehr beliebt ist, weiters auch die liegende oder halb liegende Seitenlage. Der
Gebärhocker scheidet auch in dieser Phase noch als Alternative aus.
Die sechste Frage geht auf die Austreibungsphase ein – diese kann in der Länge zwischen
wenigen Minuten und zwei Stunden variieren.
Bett: 15%
Matte: 50% (davon 20% Vierfüßlerstand, 30% liegend oder halb liegend – seitlich oder
Rücken)
Ball: 5%
Sprossenwand: 5%
Romarad: 10%
Hocker: 0%
Wanne: 10%
Tuch: 5%
Aufgrund der Fragestellung wurde hier von der Mehrzahl der Befragten auf die gesamte
Austreibungsphase und nicht auf die letzten entscheidenden Minuten, die eigentliche Geburt,
eingegangen. Der Muttermund ist in der Austreibungsphase bereits vollständig eröffnet, es kann
Seite 29
jedoch, abhängig von vielzähligen Faktoren, noch andauern bis sich das Köpfchen des Kindes
richtig ins Becken eingestellt hat und die eigentlichen Presswehen einsetzen. Auch die
Pressphase kann laut Oberhebamme unterschiedlich lang andauern, weshalb sie es als etwas
schwierig empfand, diese Frage gerecht zu beantworten. Idealerweise hätte die Frage in die
Austreibungsphase und die eigentliche Geburtsphase unterteilt werden müssen. Die
angegebenen Prozentzahlen beziehen sich hierbei auf die gesamte Austreibungsphase und nicht
auf die Geburtsphase – denn in dieser wird nun auch der Gebärhocker eingesetzt. Laut meiner
Gesprächspartnerin nehmen meist Frauen welche bis kurz vor der Geburtsphase den Ball in
Kombination mit dem Tuch oder der Sprossenwand nutzten den Gebärhocker in Anspruch. Oft
sind es auch Gebärende, welche bis zu diesem Zeitpunkt in hängender Position am Tuch waren.
Insgesamt finden ca. 10% der eigentlichen Geburten am Gebärhocker statt. Die Geburten im
Bett finden meist in Rückenlage statt, während Geburten auf der Matte oft in hockender
Stellung oder im 4-Füßlerstand vollzogen werden. Frauen welche auf der Matte gebären
begeben sich meist von selbst in die hockende Stellung, da sie so mehr „Power“ entwickeln und
auch schon relativ früh das Köpfchen des Kindes ertasten können. Der 4-Füßlerstand wird von
vielen Frauen oft in der gesamten Austreibungs- und Geburtsphase beibehalten. Stehende
Geburten finden meist mit Hilfe des Tuches und unter Stützung des Partners statt, sind jedoch
laut der befragten Hebamme eher selten, werden meist bei Steißlage des Kindes angewandt.
Die Fragen 7-10 gaben 5 Antwortmöglichkeiten vor, welche sich in einer Spanne von ja bis
nein bewegten (siehe Fragebogen). Die Fragestellung bezog sich auf Einflüsse, welche die
Einnahme einer vertikalen Gebärhaltung auf den Geburtsverlauf sowie bestimmte Vorgänge
und Attribute einer Geburt haben kann und wurde folgendermaßen beantwortet:
Verkürzender Einfluss auf die Geburtsdauer: eher ja
Positiver Einfluss auf die Selbstbestimmung und Aktivität der Frau: vielleicht
Reduzierender Effekt auf die Gabe von Schmerzmitteln: eher ja
Reduzierender Effekt auf Saugglocken,-Zangengeburten: vielleicht
Reduzierender Effekt auf die Episiotomierate: eher ja
Positiver Effekt auf die ersten Apgar-Werte des Neugeborenen: nein
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Hierzu war es der Oberhebamme sehr wichtig, zu betonen, dass die gesamten erfragten
Faktoren unmöglich alleinig von der jeweiligen Gebärhaltung abhängig zu machen sind,
sondern vielmehr von unzähligen Umständen, wie der körperlichen Verfassung und Körperbau
der Frau, Lage und Größe des Kindes, Kindslage und weiteren Faktoren abhängig zu betrachten
sind. Eindeutig verneinen kann sie auf Grund ihrer langjährigen Erfahrung die Behauptung,
dass die Einnahme einer aufrechten Gebärhaltung einen positiven Effekt auf die ersten ApgarWerte des Neugeborenen hat.
Die elfte Frage geht schließlich auf soziokulturelle Faktoren ein – Ziel dieser Fragestellung war
es, zu erfragen ob folgende Faktoren einen positiven, negativen oder keinen Einfluss auf die
Inanspruchnahme einer aufrechten Gebärhaltung aufweisen – folgende Ergebnisse wurden
erzielt:
Alter der Gebärenden über 25 Jahre: kein Einfluss
Primipara: kein Einfluss
Multipara: kein Einfluss
Teilnahme an Geburtsvorbereitungskurs: positiver Einfluss
Fremdsprachiges Herkunftsland der Gebärenden: kein Einfluss
Fehlende bzw. geringe Kenntnisse der deutschen Sprache: kein Einfluss
Anwesenheit einer Begleitperson: kein Einfluss
Der einzige Faktor, welcher einen erkennbar positiven Einfluss auf die Einnahme einer
aufrechten Gebärhaltung hat ist also der Besuch eines Geburtsvorbereitungskurses, in welchem
auch eine Führung durch den Kreißsaal und ein Kennen lernen der verschiedenen Hilfsmittel
möglich ist. Hierzu erwähnt die Oberhebamme allerdings, dass der Kurs fast ausschließlich von
Frauen mit deutscher Muttersprache besucht wird, um hierzu weitere Informationen zu erhalten
wäre also eine intensivere Befragung notwendig. Auch wenn die übrigen erfragten Faktoren als
nicht beeinflussend eingestuft wurden, ist es der Hebamme doch ein großes Anliegen, darauf
hinzuweisen, dass im Vergleich verschiedener Kulturen große Unterschiede in der Einnahme
von Gebärhaltungen und Selbstbestimmung der Frauen während der Geburt zu bemerken sind.
So beschreibt sie vor allem Frauen aus afrikanischen Ländern als sehr kraftvoll und sich dem
Akt der Geburt komplett hingebend. Sie bezeichnet diese Frauen als sehr intuitiv und selbst
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bestimmend handelnd, weist auf eine unglaubliche „Power“ hin, welche sie während der Geburt
entwickeln und an den Tag legen – der Großteil der afrikanischen Frauen entbindet in
hockender, kniender oder stehender Haltung, ein Auffordern zum Lagewechsel oder Motivation
zur Bewegung ist laut meiner Gesprächspartnerin bei diesen Frauen in den meisten Fällen nicht
nötig, da sie dies von selbst aus machen und einfordern. Im Gegensatz dazu bezeichnet sie
Frauen mit türkischem und rumänischem Hintergrund als geradezu zurückhaltend und sehr
schwer zu motivieren. Stellungswechsel werden von diesen Frauen eher vermieden, die meisten
Geburten werden in liegender Stellung und vor allem im Bett vollzogen. Inwiefern dieses
Verhalten religiöse und kulturelle Hintergründe hat, wäre ebenfalls in einer weiteren
Untersuchung abzuklären. Grundsätzlich möchte die Hebamme aber betonen, dass es hier wie
dort Ausnahmen gibt und die zuvor genannten Beobachtungen nur Trends darstellen.
In der zwölften Frage wird darauf abgezielt, zu erfragen, ob, unabhängig vom Besuch eines
Geburtsvorbereitungskurses,
eine
grundsätzliche
Aufklärung
aller
Gebärenden
über
Alternativen zur Geburt in Rückenlage vorgenommen wird.
Dies wird von allen Befragten mit ja beantwortet. Bestehen beim Eintreffen der Frauen
sprachliche Verständigungsprobleme so werden Begleitpersonen hinzugezogen, welche der
deutschen Sprache mächtig sind, ist keine Begleitperson anwesend (ist bei türkischen Frauen
laut Oberhebamme aber meist nicht der Fall) kann eventuell auf Mitarbeiter des Krankenhauses
zurückgegriffen werden, welche der jeweiligen Sprache mächtig sind. Die Anwesenheit dieser
Mitarbeiter ist jedoch zu keinem Zeitpunkt garantiert, richtet es sich doch nach deren
jeweiligem Dienstplan. Besteht also keine Möglichkeit zur rein verbalen Verständigung wird
gestikuliert, gedeutet und gezeigt. Grundsätzlich meint die Hebamme jedoch, dass allen Frauen
– falls keine medizinischen Kontraindikationen bestehen – alle Möglichkeiten geboten werden
und offen stehen.
Die Frage 13 erfragt ein eventuelles Konzept zur Versorgung von Frauen welche sprachliche
Verständigungsprobleme haben.
Es gibt an der untersuchten Abteilung kein direktes diesbezügliches Konzept – man ist auf
Begleitpersonen oder zufällig anwesende Mitarbeiter angewiesen. Diese werden dadurch erfasst
und festgehalten, dass die gesamten Mitarbeiter nach Sprachkompetenzen befragt und diese auf
einer Liste festgehalten werden. Laut meiner Gesprächspartnerin wäre es jedoch dringend
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notwendig ein umfassendes und jederzeit einsetzbares Konzept zu entwickeln, da aufgrund der
zunehmenden Multikulturellen Gesellschaft die Zukunft in dieser Hinsicht eine große
Herausforderung darstellen wird. Hier würde ich einen Ansatz für die Pflegewissenschaft sehen
– es würde eine gesamte Berufsgruppe fordern ein umfassendes multikulturelles Konzept für
die Geburtshilfe zu erstellen.
In der 14. und letzten Frage wäre ein vorhandenes Konzept genauer hinterfragt worden.
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Kapitel 5
ERGEBNISSE UND DISKUSSION
5.1 Ergebnisse
Aus der zugrunde liegenden Literatur sowie Auswertung des Fragebogens und des Gesprächs
mit der Oberhebamme des LKH Feldbach geht eindeutig hervor, dass die Einnahme von
vertikalen Gebärhaltungen einen positiven Einfluss auf den gesamten Verlauf einer Geburt
haben können und dass dieser Einfluss gegenwärtig durchaus bewusst ist und auch an
Bedeutung noch weiter zunehmen wird. Die Kenntnis des positiven Effekts von vertikalen
Gebärhaltungen wird in der Art und Weise ausreichend umgesetzt, dass Frauen nach allen
Möglichkeiten dazu motiviert werden aufrechte Haltungen einzunehmen und in Bewegung zu
bleiben – sei es durch Aufklärungen im rahmen von Geburtsvorbereitungskurse oder aber auch
durch Motivation und Aufforderungen während der Geburt. Dies geht aus der durchgeführten
Befragung eindeutig hervor und beantwortet somit den ersten Teil der Forschungsfrage.
Der zweite Teil der Forschungsfrage, welcher darauf eingeht, welche Frauen den Wunsch nach
aufrechten Gebärhaltungen äußern und diese auch von sich aus einnehmen, lässt sich zum
größten Teil aus der Befragung und dem Gespräch mit der Oberhebamme beantworten.
Grundsätzlich ist hierzu zu erwähnen, dass jede Geburt eine äußerst individuelle Angelegenheit
ist und der jeweilige Verlauf neben der Gebärhaltung primär auch von sehr vielen anderen
Faktoren abhängig gemacht werden muss - seien dies medizinische, physiologische oder
persönliche Faktoren. Also kann auch die Einnahme einer aufrechten Gebärhaltung nicht direkt
von soziokulturellen Faktoren abhängig gemacht werden kann. Es sind jedoch gewisse Trends
zu erkennen, welche darauf hindeuten, dass vor allem Frauen aus afrikanischen Ländern
aufrechte Gebärhaltungen einnehmen – auch ohne Aufforderung und Motivation der
Hebammen. Gebärende aus der Türkei und Rumänien hingegen lehnen die Einnahme von
vertikalen Gebärhaltungen eher ab und bleiben während des Geburtsverlaufs eher passiv.
Österreichische Frauen tendieren zunehmend mehr dazu verschiedene Stellungen einzunehmen
und sich aktiv an der Geburt zu beteiligen – dies kann darauf zurückgeführt werden, dass sehr
viele deutschsprachige Frauen einen Geburtsvorbereitungskurs besuchen und in diesem zur
aktiven Gestaltung und zu vielen Lagewechseln aufgeklärt wird. Keinen direkten Einfluss auf
die Einnahme von vertikalen Gebärhaltungen haben hingegen das Alter der Gebärenden, ob die
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Frau bereits Kinder geboren hat, fehlende Kenntnisse der deutschen Sprache und die
Anwesenheit einer Begleitperson. Auch der Faktor des fremdsprachigen Herkunftslandes wurde
hier als nicht beeinflussend eingestuft, da, wie bereits erwähnt, aufgrund der Individualität jeder
Geburt diese Frage nicht grundsätzlich in eine positive oder negative Richtung beantwortet
werden kann – obig genannte Trends lassen jedoch grundsätzliche Tendenzen erkennen. Im
Rahmen dieser Befragung kommt nur eine kleine Anzahl von Nationalitäten zur Sprache, was
aus dem Grund erfolgt, dass an der untersuchten Institution neben österreichischen und
deutschen Frauen vor allem Frauen aus afrikanischen Ländern, der Türkei und Rumänien ihre
Kinder zur Welt bringen.
5.2 Diskussion und Ausblick
In der verwendeten Literatur wird der positive Effekt von vertikalen Gebärhaltungen bestätigt.
Anhand der durchgeführten Befragung ist es möglich, den aktuellen Stand des Wissens und der
Umsetzung der Thematik in der Praxis zu beleuchten. Auffallend an den Ergebnissen der
Befragung ist die Einigkeit welche innerhalb des Teams herrscht, da die Antworten nur in
geringem Maß voneinander abweichen. Die Einnahme von aufrechten Haltungen und das
Beibehalten von Bewegungen während der verschiedenen Geburtsphasen wird vom gesamten
Team des Kreißsaals in Feldbach, welches aus 15 Hebammen und 20 Ärzten besteht, gefördert
und in die tägliche Arbeit eingebunden, was auch schon an der Ausstattung der Geburtsräume
mit sämtlichen erdenklichen Hilfsmitteln zu erkennen ist. Die für mich überraschend hohe
Einigkeit innerhalb des Teams kann auch daher rühren, dass es sich um ein recht junges Team
handelt und die vertikale Gebärhaltung seit ungefähr 10 Jahren in der Ausbildung zur
Geburtshilfe wieder ein wichtiges Thema darstellt. Grundsätzlich ist aus der Literatur und aus
der Befragung zu erkennen, dass vertikale Gebärhaltungen gegenwärtig für ihre positiven
Auswirkungen geschätzt und auch dementsprechend genutzt werden, dass Trends im kulturellen
Bereich zu erkennen sind. Herausforderungen und Aufgaben für die Pflegewissenschaft
bestünden im Bereich der Geburtshilfe darin, umfassende Konzepte zu entwickeln, welche die
multikulturellen Herausforderungen der Gegenwart und der Zukunft in Angriff nehmen. So
sollte es grundsätzlich an jeder Geburtenabteilung ein Konzept geben, dass es Frauen, welche
sprachliche Verständigungsprobleme haben, ermöglicht, sich zu jeder Tageszeit und vor,
während und nach der Geburt mit den Hebammen und dem ärztlichen Personal zu verständigen
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und Fragen stellen zu können. Weiters sollten auch Angebote zu vorgeburtlichen
Anwendungen, wie Akupunktur, und Kursen dargeboten werden, welche kulturelle und
sprachliche Gegebenheiten berücksichtigen. Denn Tatsache ist, dass die gegenwärtigen
Angebote, zumindest am LKH Feldbach, ausschließlich von Frauen mit deutscher
Muttersprache genutzt werden. Um diese Vorhaben zu verwirklichen sollte jedoch vorerst eine
Befragung in der durchgeführten Art und Weise an einer Geburtenabteilung mit größerem
Einzugsgebiet, dies wäre in der Steiermark die Geburtenabteilung am LKH Graz, durchgeführt
werden. Hierbei könnte der Einfluss der soziokulturellen Faktoren mehrerer Nationalitäten
gegenübergestellt werden. Um ein steiermarkweit einheitliches multikulturelles Konzept für die
Geburtshilfe zu erstellen, wäre es dann schließlich doch unabdingbar an allen
Geburtenabteilung des Bundeslandes einheitliche Befragungen durchzuführen.
Persönlich konnte ich während des Erstellens dieser Arbeit viel an Informationen und
Kenntnissen sammeln, welche mich die Geburt als natürliches Ereignis und einen weiblichen
Kraftakt sehen lassen und mich so auch voller Spannung auf meine erste Geburt blicken lassen.
Das Gebiet der Geburtshilfe bedarf noch einiger Entwicklung im Bereich der transkulturellen
Kompetenz, wobei dies eindeutig ein weites Betätigungsfeld für die Gesundheits- und
Pflegewissenschaft bedeuten kann.
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LITERATURANGABEN
Rimbach, A., 1971: Die Entwicklung der Gebärhaltung unter besonderer Berücksichtigung des
Gebärstuhls. Fachbereich Klinische Medizin, Frauenklinik der Universität Tübingen.
Kuntner, L., 1994, 4. ergänzte Auflage: Die Gebärhaltung der Frau. Schwangerschaft und
Geburt aus geschichtlicher, völkerkundlicher und medizinischer Sicht. Hans Marseille Verlag,
München.
Kuntner, L., 2002: Ergänzungen zu „Aufzeichnungen über die Gebärhaltung der Frau“. In:
Curare, Ausgabe 25, Verlag für Wissenschaft und Bildung, Seite 75-77.
Domenig, D., Hrsg., 2007, 2. vollständig erweiterte und überarbeitete Auflage: Transkulturelle
Kompetenz. Lehrbuch für Pflege-, Gesundheits- und Sozialberufe. Verlag Hans Huber, Bern.
Fischer, H., 2007, 2. aktualisierte Auflage: Atlas der Gebärhaltungen. Hippokrates Verlag,
Stuttgart.
Poksiva, S., 2003: Facharbeit zum Diplom Kunst- und Kulturgeschichte. Die aufrechte Geburt
aus Geburtsmöbeln aus kunst- und kulturhistorischer Sicht.
http://www.nzz.ch/2003/10/01/ft/article94PHT.html, vom 30.04.2009.
http://www.kages.at/cms/beitrag/10016731/814000/, vom 11.08.2009.
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