Determinanten der Einstellung von Eltern zum

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© F. Enke Verlag Stuttgart
Zeitschrift Für Soziologie, Jg. 4, Heft 2, April 1975, S. 165—182
D e te rm in an ten d er E instellung von E lte rn zum selbständigen V erhalten d er K inder
Wolfgang W. Weiß
Didaktisches Zentrum, Hochschulversuch der Region Freiburg
Determinants of parents9attitudes towards independent behavior of children
A b stract: Education towards independence is considered as an important aspect of political socialization. Presuppos­
ing an interrelationship between the „attitudes o f parents towards independent behavior o f children“ (= „AIB“)
and the actual independent behavior o f children, the following questions were asked in an empirical research paper:
Is it meaningful to distinguish between »inner independence4 (to be able to assert oneself and to decide freely for
oneself) and »outer independence4 (to be able to rely upon oneself)? What are the respective attitudes influenced by?
In a sample (n=764) o f 382 mothers and fathers o f firstgraders among whom members o f lower class as well as
members o f rural and big-city environments were underrepresented, the AIB and their determinants were explored
by means o f a questionnaire, especially designed for this purpose.
The distinction between »inner and outer independence4 proved to be meaningful: Certain groups which did not
differ in their AIB when observed in an undifferentiated manner showed highly significant differences when ob­
served in a differentiated manner. Furthermore the age o f a child seemed to play a part for the AIB since it be­
comes relevant for certain situations where independence is demanded. Thus mothers proved significantly more
positive in their AIB than fathers, when the situation, where independence was demanded revolved around the
»inner independence4 o f a child under thirteen years o f age. On the other hand, when »outer independence4 was de­
manded or the child was older than thirteen, fathers proved more positive in their AIB.
Obviously society has an immense influence on the AIB. The higher the social class the more positive the AIB and
the more frequently „independence44 is chosen by the members o f this group as the most important educational
goal. Members o f the middle class and lower classes differed significantly in their AIB. - A comparison between
results o f former research papers showed that the AIB is also definitely dependent upon the „historical background44.
About 15 years ago the AIB were significantly more negative than in 1973.
Inhalt: Als wichtiger Aspekt der politischen Sozialisation wird die Selbständigkeitserziehung gesehen. Ausgehend
von einem engen Zusammenhang zwischen „Einstellungen der Eltern zum selbständigen Verhalten der Kinder“
(= „EsV“) und tatsächlichem selbständigen Verhalten der Kinder wurde in einer empirischen Untersuchung folgen­
den Fragen nachgegangen: Wieweit erweist sich eine Unterscheidung zwischen »innerer Selbständigkeit4 (im Sinne
emanzipatorischer „Selbstbehauptung“ und „Entscheidungsfreiheit“) und »äußerer Selbständigkeit4 (im Sinn von
„Auf-sich-selbst-gestellt-sein“) als sinnvoll? Wodurch werden die entsprechenden Einstellungen beeinflußt?
In einer Stichprobe (n=764) von je 382 Vätern und Müttern von Schulanfängern, in der die Unterschicht sowie
Großstadt- und Landbevölkerung unterrepräsentiert sind, wurden die EsV und ihre Determinanten mittels eines
hierfür speziell konstruierten Fragebogens untersucht.
Die Unterscheidung zwischen »innerer und äußerer Selbständigkeit4 erwies sich als sinnvoll; denn für bestimmte Pro­
bandengruppen (Geschlecht), die sich bei undifferenzierter Betrachtung in ihren EsV nicht unterschieden, zeigten
sich bei entsprechend differenzierter Betrachtung hochsignifikante Unterschiede. Außerdem scheint das Alter, in
dem eine bestimmte Selbständigkeitssituation für das Kind relevant wird, für die EsV eine Rolle zu spielen. So hat­
ten Mütter signifikant positivere EsV als ihre Männer, wenn sich die Selbständigkeitssituation auf die „innere Selb­
ständigkeit“ eines Kindes unter 13 Jahren bezog. Anderenfalls („äußere Selbständigkeit“ oder über 13 Jahre) wur­
den für die Väter positivere EsV gemessen. - Die Gesellschaft ist offenbar von erheblichem Einfluß auf die EsV:
Je höher die Schicht, um so positiver die EsV und um so mehr Probanden wählen „Selbständigkeit“ als wichtigstes
Erziehungsziel; Mittelschicht und Unterschicht unterscheiden sich signifikant in ihren EsV. - Ein Vergleich mit Er­
gebnissen früherer Untersuchungen zeigt, daß die EsV auch entscheidend vom „historischen Hintergrund“ abhängt:
Vor ca. 15 Jahren waren die EsV signifikant negativer als 1973.
1.
Problem
Als HEINZ HECKHAUSEN und LILLY KEMMLER
(1957) ihre empirische Untersuchung zu „Entste­
hungsbedingungen kindlicher Selbständigkeit“
durchfiihrten, geschah dies vor allem unter schul­
psychologischem Blickwinkel: der Akzent lag bei
der seelisch-sozialen Schulreife im Kontext der
Leistungsmotivation.
Wenn dieses Thema nun ca. 15 Jahre später wie­
der aufgegriffen wird, so muß die Fragestellung
inzwischen anders akzentuiert sein, nicht nur,
weil die Bedeutung der „Selbständigkeit“ als „Vor­
läufermotiv der Leistungsmotivation“ (HECKHAU­
SEN) inzwischen zugunsten weiterer Variablen
(z.B. „Erziehungsklima“ und Leistungsorientiertheit der Eltern; vgl. KEIL und KEIL-SPECHT 1970:
241f.; ROSEN und D’ANDRADE 1973: 119f.)
nicht mehr so stark betont wird, sondern weil
man mit „Selbständigkeit“ eine Fähigkeit um­
Unauthenticated
schreibt, die, vor allem
in jüngster Zeit, in unseDownload Date | 8/21/17 11:00 PM
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Zeitschrift für Soziologie, Jg. 4, Heft 2, April 1975, S. 1 6 5 -1 8 2
rer Gesellschaft sehr weithin als erstrebenswert
bezeichnet wird. Denn sobald von „Verwirkli­
chung von Demokratie“ — wohl die allgemeinste
Formulierung einer allgemein anerkannten Ziel­
orientierung unserer Gesellschaft — die Rede ist,
wird von den verschiedensten Seiten der „mündi­
ge Bürger“ , die „emanzipierte Persönlichkeit“ , die
befähigt ist zu „Selbstbestimmung“, „Ich-Kompetenz“, „Selbstentfaltung“ u.ä., als (Erziehungs-)
Ideal hingestellt.
deren Interessen sogar ggf. entgegengesetzt läuft
(z.B. Kinder entscheiden selbst, welche Kleider
sie anziehen).
All diesen Begriffen, deren Vielfalt u.a. durch
ihren schnellen Verschleiß wegen ihres hohen Ab­
straktionsgrades und der Gefahr der „Leerformel­
haftigkeit“ erklärt werden kann, ist der Aspekt
der „Selbständigkeit“ eigen. So gesehen stellt die
Selbständigkeitserziehung auch einen Bereich der
(latenten) politischen Erziehung dar1. Zu einem
Ausschnitt dieses Themenbereichs soll mit der
vorliegenden Untersuchung ein empirischer Bei­
trag geleistet werden.
Bei der kindzentrierten Selbständigkeit“ werden
in Anlehnung an WINTERBOTTOM von HECKHAU­
SEN und KEMMLER folgende Akzente gesetzt
(1959: 613, 607-609):
Selbständigkeit in ihrer allgemeinsten Form soll
definiert werden als die ,Fähigkeit, Welt ohne
Hilfe anderer zu bewältigen*2. Die Unterschei­
dung von „erwachsenen- und kindzentrierter
Selbständigkeit“ hat sich vor allem in Untersu­
chungen zur Leistungsmotivation als geeignet
und sehr wichtig erwiesen (WINTERBOTTOM,
1953; HECKHAUSEN und KEMMLER 1959, 1961;
KEIL und KEIL-SPECHT 1970).
Unter „erwachsenenzentrierter Selbständigkeit“
wird jener Aspekt dieser Fähigkeit von Kindern
verstanden, die vorwiegend den Erwachsenen
(Eltern) zugute kommt (z.B. sich ohne Hüfe anund ausziehen zu können), da die Eltern von
dem Hilfeanspruch ihrer Kinder entlastet werden.
Die „kindzentrierte Selbständigkeit“ betrifft hin­
gegen jenen Aspekt, der die Interessen der Kin­
der, nicht aber die der Erwachsenen berührt oder
1 Geht man von der These aus, daß frühkindliche So­
zialisationsprägungen so tiefgehend sind, daß die im
Kindesalter entwickelte Grundpersönlichkeit („Ba­
sic Personality“, KARDINER,in: CLAESSENS 1967:
105ff.) später nur mehr modifiziert, aber nicht mehr
grundlegend verändert werden kann, so würde durch
die Selbständigkeitserziehung maßgeblich die »Politi­
cal Basic Personality* geprägt.
2
Begriff „Welt“ in Anlehnung an ROBINSONS „Aus­
stattung zum Verhalten in der Welt“ (1967: 13);
„ohne Hilfe anderer“ soll selbstverständlich nicht den
Menschen als isoliertes, nicht-soziales Wesen bestimmen.
Die „erwachsenenzentrierte Selbständigkeit“
spielt unter der erkenntnisleitenden Fragestel­
lung eine vergleichsweise geringe Rolle, vor allem,
da solch „selbständiges“ Verhalten der Kinder
sich immer innerhalb des normativen Rahmens
der Erwachsenen abspielen muß.
1. Auf-sich-selbst-gestellt-sein (z.B. Fähigkeit, al­
leine mit der Eisenbahn zu fahren und dabei
selbständig umzusteigen)
2. Entscheidungsfreiheit (z.B. darüber, wie das
Kind seine Freizeit gestaltet)
3. Selbstbehauptung (z.B. Fähigkeit, sein Recht
gegenüber dem Lehrer selbst zu vertreten)
In Anlehnung an diese Differenzierung wird in­
nerhalb des vorliegenden theoretischen Rahmens
die ,äußere Selbständigkeit* der ,inneren Selbstän­
digkeit* gegenübergestellt.
Die ,äußere Selbständigkeit‘ betrifft das „Aufsich-selbst-gestellt-sein“ des Kindes als seine
M öglichkeit\ Welt ohne HÜfe anderer zu bewäl­
tigen.
Die ,innere Selbständigkeit* betrifft „Entscheidungs­
freiheit“ und „Selbstbehauptung“ als ,Interesse,
Welt ohne Hilfe anderer zu bewältigen* bzw. ,Mut,
Welt auch gegen den Widerstand anderer zu bewäl­
tigen*.
Die empirische Untersuchung ging im wesentlichen
zwei Fragestellungen nach:
1. Wieweit erweist sich diese Differenzierung als
sinnvoll?
2. Wodurch werden ,äußere und innere Selbstän­
digkeit* beeinflußt?
Unauthenticated
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W. Weiß: Determinanten der Einstellung von Eltern zum selbständigen Verhalten der Kinder
2.
167
Hypothesenableitung
werden »äußere und innere Selbständigkeit4 beein­
flußt? “) wurde dadurch versucht, daß die wich­
Im Vorgriff auf den Abschnitt „Methoden“ muß tigsten Variablen, von denen nach theoretischen
für die Formulierung der Hypothesen gesagt wer­ Überlegungen und bisherigen empirisch gewonne­
den, daß diese Fragen überprüft wurden anhand
nen Ergebnissen Einfluß auf die EsV zu erwarten
der Einstellung von Eltern zum selbständigen
ist, zu den EsV in Beziehung gesetzt wurden mit­
Verhalten der Kinder“ (künftig abgekürzt: „EsV“), tels der später näher zu beschreibenden Methoden.
die als sehr wichtige Determinante tatsächlichen
Im einzelnen wurden folgende Variablen heraus­
selbständigen Verhaltens der Kinder angesehen
gestellt: historischer Hintergrund („Zeitgeist“).
werden kann (CAESAR 1972: 51; WEISS 1973:
Wohngebiet, Gesellschaftsschicht; Autoritätsstruk­
tur, äußerer Zusammenhalt, Integrationsgrad und
63f.).
Größe der Familie; Geschlecht, Alter der Eltern,
Alter des ältesten Kindes ( = Erziehungserfahrung);
2.1 Kriterienvariable
Schulbildung, Berufstätigkeit der Frau, Konfes­
sionszugehörigkeit.
Es ist denkbar, daß bestimmte Probanden der
»inneren Selbständigkeit4 von Kindern negativ ge­ Ausführlicher soll hier der Zusammenhang von
genüberstehen, weil das Zugeständnis von „Ent­
EsV mit historischem Hintergrund, Gesellschafts­
scheidungsfreiheit“ und „Selbstbehauptung“ (z.B. schicht und Geschlecht besprochen werden.
Wahl der Freunde, Mitbestimmung des Urlaubs­
ortes, Kritik an Eltern) u.U. einen Wegfall von
Privüegien bedeuten kann3; der »äußeren Selbstän­ 2.2.1 Historischer Hintergrund und EsV
digkeit4 hingegen stehen sie indifferent oder gar
positiv gegenüber, weü hier ihre Interessen nicht E. LUPRI wies in interkulturellen Untersuchungen
berührt werden.
einen engen Zusammenhang zwischen dem Indu­
strialisierungsgrad einer Gesellschaft und den Ten­
denzen zur Anerkennung des Patriarchats in der
Andere Probanden haben möglicherweise dage­
Familie nach. Die ökonomischen gesellschaftlichen
gen aus Überzeugung eine sehr positive Einstel­
Verhältnisse bestimmen also offenbar erheblich
lung zu „Entscheidungsfreiheit“ und „Selbstbe­
die Beziehung der Famüienmitglieder untereinan­
hauptung“ , sind aber ängstlich besorgt um ihr
Kind, neigen evtl, auch zu overprotection, und
der. So konnten u.a. (vgl. z.B. U. BRONFENBRENsind deshalb kaum bereit, das Risiko einzugehen, NER 1965; F. HECKMANN 1968) G. BAUMERT
das stets mit dem „Auf-sich-selbst-gestellt-sein“
(1965) und G. WURZBACHER (1969) in Familien­
untersuchungen in der BRD eine zunehmende Ei­
verbunden ist (z.B. alleine mit der Eisenbahn
genständigkeit der Kinder zuungunsten patriarcha­
fahren, mit Gleichaltrigen auf mehrtägige Fahrt
lischer Tendenzen feststellen. Entsprechend wan­
gehen, in möbliertem Zimmer in fremder Stadt
delten sich die dominierenden Erziehungsleitbil­
wohnen).
der:
Als Hypothese I wurde deshalb formuliert:
Der Prozentsatz jener, die „Gehorsam und Unter­
ordnung“ als wichtigstes Erziehungsziel wählten,
Die Ausprägungen von Einstellungen eines Pro­
banden zu »innerer4 und »äußerer Selbständigkeit4 sank seit 1951 bis 1965 von 25% auf 19%, wäh­
von Kindern können in gegensätzlichen Richtun­ rend er im gleichen Zeitraum bei „Selbständig­
keit und freier Wille“ von 28% auf 31% anstieg
gen (positiv-negativ) liegen.
(NEIDHARDT 1970: 59).
Diese Nachweise eines langsam aber stetig stei­
genden Zugeständnisses der Eltern an die Selbstän­
Eine Antwort auf die 2. Fragestellung („wodurch digkeit der Kinder legen es nahe, Hypothese II
folgendermaßen zu formulieren:
2.2
3
Prädiktorvariablen
Als Privilegienverzicht kann auch gesehen werden, die
Kinder frei entscheiden zu lassen, und sie damit nicht
nach dem eigenen Ideal auszurichten, wie es bisher
das Gewohnheitsrecht der Eltern war.
Vergleichbare empirische Untersuchungen der
EsV unterscheidenUnauthenticated
sich signifikant in ihren ErDownload Date | 8/21/17 11:00 PM
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gebnissen, wenn sie ca. 15 Jahre auseinander
liegen, wobei jene jüngeren Datums positivere
EsV mißt.
2.2.2
Gesellschaftsschich t und Es V
Geht man davon aus, daß Einstellungen ganz ent­
scheidend von der Umwelt geprägt werden (OER­
TER 1971: 265ff.), so kann man annehmen, daß
auch Erziehungseinstellungen mit der Gesellschafts­
schicht variieren. Denn die schichtspezifisch unter­
schiedlichen Verhaltensweisen und -möglichkeiten am Arbeitsplatz (die vor allem durch differie­
rende Verhaltensautonomie und Transparenz der
Arbeitsgänge gekennzeichnet sind) dürften auch
in der Famüie fortwirken.
2.2.3
Geschlecht und E sV
Geht man von der unterschiedlichen Sozialisations­
situation der Geschlechter aus, die durch unter­
schiedlich erlebte frühkindliche Sexualität („Ödi­
pus- versus Elektrasituation“) und in der industria­
lisierten Gesellschaft durch die mangelnde Sozia­
lisationsleistung des Vaters bedingt ist, so läßt sich
fragen, wieweit diese geschlechtsspezifisch unter­
schiedliche Ausgangsposition auch differierende
Auswirkungen auf die EsV von Vater und Mutter
hat.
Nach Untersuchungen mit R. BASTINES F-D-E
(„Fragebogen zur direktiven Einstellung“, 1971)
sind „direktive Emsteilungen . . . in ihrer Aus­
prägung geschlechtsabhängig: Männer geben allge­
mein direktivere Einstellungen als Frauen an“
(BASTINE 1971: 6). Bei der von ADORNO und
Mitarbeitern (1973) entwickelten A-Skala hinge­
Dieser Zusammenhang, vor allem von Einstellun­
gen4, die nach KATES/DIAB, jedenfalls bei Frauen,
gen zu Erziehungsfragen und Gesellschaftsschicht, in einem hochsignifikanten Zusammenhang mit ei­
wurde schon sehr häufig untersucht und nachge­
ner dominierenden-possessiven Einstellung gegen­
wiesen. So schriebt MELVIN L. KOHN als Schluß­
über Kindern zusammenhängt (1955: 134), scheint
folgerung einer seiner Untersuchungen: „parents4 der Einfluß des Geschlechts eine geringe Rolle zu
values are related to their social position, particu­ spielen (FREYHOLD 1971: 225). Insgesamt gibt
larly their class position“ (1958: 439).
es offenbar wenige empirische Untersuchungen
zum Problem der Geschlechtsabhängigkeit der
Unter dem Blickwinkel der Selbständigkeit konnte EsV, da hierüber vorwiegend nur Mütter befragt
in den letzten 2 0 Jahren aufgezeigt werden, daß
wurden; aber es gibt viele theoretische Spekulatio­
die unteren Schichten eher restriktiver, also selb­
nen und Überlegungen.
ständigkeitshemmend erziehen und eine entspre­
chende negative EsV haben, während die mittleren Als Grundgedanke kann dabei herausgestellt wer­
und oberen Schichten selbständiges Verhalten zu
den, daß in unserer Gesellschaft, im Sinne stren­
fördern versuchen (DANZIGER, ERICSON, MACCOBY ger Arbeitsteüung, grob gesehen die Frau für Haus­
und GIBBS, BAUMERT, HECKHAUSEN und KEMMhalt und Kinder als zuständig erklärt wird, der
LER, Vgl. CAESAR 1 9 7 2 : 4 5 ; WATERS und CRAN­
Mann für Beruf und Politik. Diese unterschiedli­
DALL, vgl. EWERT 1 9 7 2 : 6 5 ).
chen Umweltbereiche der Geschlechter prägen mög­
licherweise auch die EsV geschlechtsspezifisch. So
ist zu überlegen, daß es Zeit und Geduld erfordert,
Umfragen in der BRD „ergaben immer wieder,
auf Emanzipationswünsche der Kinder einzuge­
daß Arbeitereltern etwas häufiger als Angestellte,
hen5, und daß die Frau wegen des vorherrschen­
Beamte, Selbständige und freiberuflich Tätige es
den Rollenverständnisses erheblich mehr Zeit und
für richtig halten, ihren Kindern Gehorsam und
Unterordnung oder Ordnungsliebe und Fleiß anzu­ „Nerven“ für die Kinder aufbringen kann als ihr
Mann, der stark von seinem Beruf in Anspruch
erziehen“ (NEIDHARDT 1967: 1.3), und daß sie
genommen ist.
vergleichsweise wenig Wert auf „Selbständigkeit
und freien Willen“ bei ihren Kindern legen.
4
Mit der faschistische Tendenzen gemessen werden.
5
Auseinandersetzungsgruppen, Erklärungen, Rechtfer­
tigungen (z.B. wenn das Kind den Urlaubsort mitbe­
stimmen oder die Eltern kritisieren will) erfordern
wesentlich mehr Zeit und „Nerven“ als einfach nur
Unauthenticated
„nein“ zu sagen.
Als Hypothese III wurde deshalb formuliert:
In den oberen Gesellschaftsschichten herrschen
signifikant positivere EsV vor als in unteren
Gesellschaftsschichten.
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W. Weiß: Determinanten der Einstellung von Eltern zum selbständigen Verhalten der Kinder
169
Es wäre daher zu erwarten, daß Mütter positivere
EsV bezüglich »innerer Selbständigkeit* haben als
Väter. Bei ,äußerer Selbständigkeit* hingegen ist
zu vermuten, daß Väter positivere Einstellungen
haben; denn diese dürften auf Grund ihrer außen­
orientierten „öffentlichen“ Lebenssituation, auf
Grund vorherrschender „Männlichkeitsideale“ und
entsprechender Bewährungsproben („hinaus ins
feindliche Leben“), risikobereiter und nicht so
ängstlich wie ihre Frauen sein.
b) Zur differenzierteren Messung der EsV wurden
15 modifizierte8 Fragen von HECKHAUSEN und
KEMMLER (1959: 607-609) verwendet9, wobei
nach Ergebnissen von M. WINTERBOTTOM davon
ausgegangen wurde, daß die EsV um so positiver sei,
je geringere Altersangaben gemacht werden10 (je 5
Fragen betreffen die HECKHAUSEN/KEMMLERschen
Akzentuierungen der Selbständigkeit: Auf-sichselbst-gestellt-sein (a); Entscheidungsfreiheit (e);
Selbstbehauptung (s):
Hypothese IV mußte also zwischen »innerer und
äußerer Selbständigkeit* differenzieren, nämlich:
Bitte antworten Sie auf folgende Fragen mit einer Alters­
angabe. Es gibt dabei keine „richtigen“ oder „falschen“
Antworten, sondern es kommt nur auf IHRE Meinung
an, nämlich wann Sie einem normalen Kind bzw. Jugend­
lichen ein bestimmtes Verhalten erlauben (bzw. Zutrauen).
Bitte entscheiden Sie sich dabei Für ein bestimmtes Le­
bensjahr:
Mütter haben signifikant negativere EsV bezüg­
lich »äußerer Selbständigkeit* als Väter und sig­
nifikant positivere EsV bezüglich »innerer Selb­
ständigkeit*.
3.
Methoden
3.1
Erhebung
Die Erhebung wurde auf Elternversammlungen
von nach Quoten der Bevölkerungsdichte ausge­
suchten ersten Grundschulklassen durchgefiihrt,
wo die Anwesenden den Fragebogen (der nach­
folgend auszugsweise wiedergegeben wird) ausfüllten6. 764 Probanden (je 382 Mütter bzw. Väter)
kamen in die Auswertung.
3.2
Erhebungsinstrument
(s) 2) Von welchem Alter ab würden Sie einen Jungen
nach seiner Meinung fragen bei Entscheidungen,
die ihn selbst betreffen? . . .
(kleinere Entscheidungen, z.B., was er gerne essen
oder anziehen möchte)
x = 7,12; s = 3,12
(e) 3) Von welchem Alter ab darf Ihrer Meinung nach
ein Jugendlicher ab und zu abends ausgehen und
selbst bestimmen, zu welcher Zeit er wieder­
kommt? . . .
x = 16,15; s = 1,70
(e) 4) Von welchem Alter ab sollte ein Mädchen frei
über sein Taschengeld verfügen dürfen, ohne über
seine Ausgaben Rechenschaft geben zu müs­
sen? . . .
(von sich aus entscheiden, wofür es sein Geld aus­
(NEID­
gibt)
x = 11,77; s - 3,85
a) In Anlehnung an die Emnidbefragungen
1970: 58) wurde folgendermaßen nach
dem dominierenden Erziehungsleitbild gefragt:
HARDT
(a) 1) Von welchem Alter ab sollte ein Kind in der Lage
sein, allein mit der Eisenbahn zu fahren und dabei
selbständig umzusteigen? . . .
(unbekannte Strecke; etwa 100 km; einmal umstei­
gen; bei Tag)
x = 11,12; s = 1,98
(e) 5)
„Auf welche Eigenschaft sollte die Erziehung der Kinder
vor allem hinzielen“?
.............. Gehorsam
............... Ordnungsliebe und Fleiß
.............. Selbständigkeit und freier Wille
6
7
( 4,5%)7
(23,0%)
(58,0%)
Sofern nur ein Elternteil anwesend war, nahm die­
ser einen entspr. Fragebogen für seinen Ehepartner
zum Ausfällen mit nach Hause, eindringlich darauf
hingewiesen, daß dieser dabei nicht beeinflußt wer­
den dürfe.
In Klammern die Prozentsätze, bezogen auf die 764
Probanden, die sich für die jeweüige Alternative ent­
schieden.
Von welchem Alter ab sollte ein Junge fähig sein,
sich passende Freunde selbst auszusuchen? . . .
(nicht nur gelegentliche Spielkameraden, sondern
richtige Freunde)
x = 10,29; s = 3,37
(e) 6) Von welchem Alter ab finden Sie es in Ordnung,
daß ein Mädchen im Normalfall selbst entschei­
det, was es anzieht? . . .
8
Modifiziert im Sinne von Präzisierung und Aktuali­
sierung.
9
Die in ihren Untersuchungen 1957 und 1960 zur
Anwendung kamen.
10 Einschränkend hierzu vgl. HECKHAUSENS (1972:
143f.) Ausführungen zu den japanischen Ergebnis­
sen von HYASHI undUnauthenticated
YAMACHI.
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170
Zeitschrift für Soziologie, Jg. 4, Heft 2, April 1975, S. 1 6 5 -1 8 2
(nicht was gekauft, sondern, was angezogen wird;
auch unter Berücksichtigung des Wetters selbst ent­
scheidet)
x = 10,27; s = 3,07
....
....
Abitur ohne Hochschulstudium (7%)
Hochschule/Universität mit Abschluß (6%)
2) Bitte ordnen Sie Ihren Beruf in eine der folgenden
Gruppen ein!
. . . . Arbeiter und ausführende Angestellte (15%)
(z.B.: Bauarbeiter, Verkaufsfahrer, Boten, Pfle­
ger, Amtsschreiber, Pförtner)
. . . . Facharbeiter, qualifizierte Angestellte, einfache
Beamte (40%)
(z.B.: Techn. und kaufmänn. Angestellte, Köche,
Oberkellner, ambulante Händler, Betriebswart,
8) Von welchem Alter ab würden Sie einem Kind
Vor- und Facharbeiter, Berufssoldaten bis einschl.
bzw. Jugendlichen gestatten, das Erziehungsver­
Feldwebel, Gemüsehändler, Angestellte und Be­
halten seiner Eltern zu kritisieren? . . .
amte bis einschl. Sekretär)
(sachliche Kritik; wenn Sie gar keine Kritik er­
. . . . leitende Angestellte, mittlere Beamte, mittlere
lauben, schreiben Sie: „nie“)
Selbständige (36%)
x = 13,38; s = 5,16
(z.B.: Gastwirte, Kleinbauern unter 25 ha,
Förster, Filialleiter, Chemiker, selbständige
9) Von welchem Alter ab sollte ein Kind selbst ent­
Handwerksmeister, Werkführer, Inspektoren
scheiden, zu welcher Zeit es zu Hause seine Schul­
(Verw.), Lehrer, Leutnante und Hauptleute
arbeiten macht? . . .
x = 10,34; s = 3,03
bei der Bundeswehr, Redakteure, Journalisten)
. . . . höhere Beamte, führende Selbständige (9%)
10) Von welchem Alter ab sollte ein Junge über Ver­
(Diplom-Landwirt. Großbauern über 25 ha,
hütungsmittel beim Geschlechtsverkehr genau Be­
Großkaufleute, Fabrikanten, Diplom-Ingenieu­
scheid wissen? . . .
x = 14,47; s = 1,89
re, Professoren, techn. Direktoren, Stabsoffi­
ziere, Bankprokuristen)
11) Angenommen, ein Mädchen würde in der Schule
vom Lehrer ungerecht behandelt. Wie alt müßte
es sein, um sein Recht selbständig gegenüber dem 3) Bitte ordnen Sie das Nettoeinkommen des Hauptver­
dieners der Familie in eine der folgenden Gehaltsgrup­
Lehrer zu vertreten? . . . x = 11,59; s = 2,91
pen ein!
____ bis zu 9 9 9 ,- DM (5%)
12) Von welchem Alter ab finden Sie es in Ordnung,
. . . . zwischen 1 0 0 0 .- DM und 1 6 0 0 .- DM (55%)
daß ein Junge sich einer Jugendgruppe der Pfad­
____ mehr als 1 6 0 0 .- DM (39%)
finder anschließt? . . .
x = 10,58; s = 2,46
(a) 7) Ab wann sollte ein Jugendlicher alt genug sein,
um in einer fremden Stadt allein in einem möblier­
ten Zimmer zu wohnen, wenn es für sein berufli­
ches und schulisches Fortkommen günstig ist? . . .
(private Unterkunft ohne Familienanschluß; 50
km entfernt)
x = 17,17; s = 1,47
(s)
(e)
(a)
(s)
(a)
(s) 13) Von welchem Alter ab würden Sie es zulassen,
daß ein Jugendlicher sich aktiv politisch betä­
tigt? . . .
(Besuch politischer Versammlungen; Zugehörig­
keit zur Jugendorganisation einer Partei)
x = 16,59; s = 2,19
(s) 14)Wie alt mindestens sollte ein Kind bzw. Jugend­
licher sein, dem man gestattet, den Ferienort für
einen gemeinsamen Urlaub mitzubestimmen? . . .
x = 12,11; s = 3,14
(a) 15) Von welchem Alter ab sollte ein Junge in der
Lage sein, allein mit Gleichaltrigen auf mehrtägi­
ge Fahrt zu gehen? . . .
(ohne älteren Führer bzw. Aufsicht; z.B. mehrtä­
gige Radtour; Zelt)
x = 14,58; s = 2,04
c) Zur Bestimmung der Schicht wurden die 3
wichtigsten Indizes (BOLTE 1967: 252 u. 295)
„B eruf4 (in der Erfragung an G. PETR AT, 1964,
eng angelehnt), „Einkommen“ und „Schulab­
schluß“ benutzt und folgendermaßen erfragt:
1) Welchen Schulabschluß haben Sie1111?
. . . . Volksschule (61%)12
. . . . Mittlere Reife, Fachschulreife (27%)
3.3
Auswertung
a) Die Häufigkeit, mit der bestimmte Probanden­
gruppen die Antwortalternative „Selbständigkeit
und freier Wille“ bzw. „Gehorsam“ wählten, brach­
te Ergebnisse zu deren positiver und negativer
EsV-Tendenz. Mit dem Chi-Quadrat-Test wurde
geprüft, ob signifikante Unterschiede vorliegen.
b) - Zur differenzierteren Betrachtung der EsVStruktur bestimmter Probandengruppen wurden
Altersangaben herangezogen, die je nach Frage zwi­
schen „Auf-sich-selbst-gestellt-sein“ (,äußere Selb­
ständigkeitund „Entscheidungsfreiheit/Selbstbehauptung“ (,innere Selbständigkeit4) unterschieden.
Mit dem t-Test für 2 unabhängige Stichproben
11 Bei weiblichen Probanden wurde auch nach dem
Schulabschluß des Mannes gefragt, der zur Bildung
des Schichtindex herangezogen wurde.
12 In Klammern die Prozentsätze, bezogen auf die 764
Probanden, die sich für die jeweilige Alternative ent­
Unauthenticated
schieden.
Download Date | 8/21/17 11:00 PM
W. Weiß: Determinanten der Einstellung von Eltern zum selbständigen Verhalten der Kinder
171
wurde bei jeder Frage entschieden, ob signifikan­
te Unterschiede vorliegen.
keit“ wird 1973 von erheblich mehr Probanden
als Erziehungsziel genannt (Zuwachsrate gegen­
über 1965: 87%). Diese beachtliche Zunahme
— Mit dem F-Test (nach R.A. FISHER) wurde auf könnte evtl, damit erklärt werden, daß in der 73er
Homogenität/Heterogenität der Varianzen geprüft
Untersuchung die oberen Schichten überrepräsen­
und man konnte in dieser Weise Homo-/Heteroge- tiert sind. Dem widerspricht jedoch, daß die An­
nitätsunterschiede in den EsV bestimmter Proban­ gaben auch dann noch höher liegen, wenn sie aus­
dengruppen auf Signifikanz überprüfen.
schließlich mit jenen Angaben verglichen werden,
die Mittelschicht- und Oberschichtangehörige
- Zur Betrachtung der Homo-/Heterogenität der
1964 gemacht haben - Beamte: 38%; Selbstän­
EsV im Ehepartnersubsystem wurden entsprechen­ dige, Freiberufliche: 35%; Mittelschulabsolventen:
de Kennwerte dadurch gewonnen, daß die Alters­ 44%; Abiturabsolventen: 54% (NEIDHARDT 1967:
angaben des Mannes von denjenigen der Frau zur
27) — obwohl in der 73er Stichprobe über 60%
gleichen Frage abgezogen wurden. Je höher die­
Volksschulabsolventen aufgenommen sind.
ser Differenzwert ausfällt, um so heterogener sind
die Eheleute in ihren EsV.
Tabelle 1
Vergleich der Prozentsätze, mit denen zu
c) Die Schicht wurde durch Punktwerte festgelegt,
die entsprechend der Antwortalternativen verteilt
wurden, und zwar wurde die erste Alternative mit
1 Punkt, die zweite mit 2 Punkten usw. belegt.
Die Schichtindizes schwankten daher zwischen 3
und 11 Punkten, wobei die Schichten folgender­
maßen bestimmt wurden: Unterschicht 3—4 Punk­
te; Mittelschicht 5—9 Punkte (untere Mittelschicht
5 -6 , mittlere Mittelschicht 7, obere Mittelschicht
8 -9 ); Oberschicht 10-11 Punkte.
4.
Ergebnisse
Die unteren Einkommens- und Berufsgruppen
sowie Großstadt- und Landbevölkerung1314sind in
der Stichprobe unterrepräsentiert. —Die EsV-Skala, die aus den 15 Items besteht, die nach Altersan­
gaben fragen, erwies sich als sehr homogen1? - Die
4 aufgestellten Hypothesen konnten angenommen
werden.
4.1
EsV und „historischer Hintergrund“
In Tabelle 1 werden die Prozentsätze der Angaben
zum Erziehungsziel mit denen vorangegangener
Jahre aus Emnid-Untersuchungen (NEIDHARDT
1970: 59) verglichen. Es zeigt sich: „Selbständig­
13 Großstadt: 20%, Mittelstadt: 25%, Kleinstadt: 47%,
Landgemeinde: 8%.
14 Denn bei allen 15 Items unterschieden sich die Mit­
telwerte der Extremgruppen (je 25% der Probanden
mit positivster bzw. negativster EsV) in der erwarteten
Richtung auf dem 0,1 ^N iveau.
verschiedenen historischen Zeitpunkten bestimmte Er­
ziehungsziele gewählt wurden
1951
1957
1965
19733
1 =
2 =
3 =
Selb.1
Geh.2
28
32
31
58
25
25
19
4,5
„Selbständigkeit und freier Wille“
„Gehorsam“
eigene, hier zugrunde liegende Untersuchung
Diese Tendenz positiver werdender EsV bestätigt
sich beim Mittelwertvergleich jener Altersangaben,
wie sie 1957 bzw. 1960 in den Untersuchungen
von HECKHAUSEN und KEMMLER gemacht wur­
den, mit denen von 1973. Zwar wurden nicht al­
le Items wörtlich übernommen, sondern wurden
z.T. aktualisiert und - wegen der differierenden
Erhebungstechnik (Interview — Fragebogen) präzisiert15, doch, wenn nur die Altersangaben
von am Elternabend anwesenden Müttern heran­
gezogen werden, sind die Untersuchungsergebnis­
se miteinander vergleichbar (WEISS, 1973: 235f.),
zumal die Stichprobenquoten bezüglich Bevölke­
rungsdichte gleich sind.
Wie Tabelle 2 zeigt, unterscheiden sich die Mit­
telwerte der 14 Altersangaben bei 10 Fragen auf
dem 0,1%-Niveau (bei einseitiger Hypothesen Prü­
fung) in der erwarteten Richtung. Daß 3 Fragen
keine signifikanten oder (in einem Fall) gegen­
läufigen Unterschiede erbringen, läßt sich z.T. da­
durch erklären, daß diese Fragen weder wörtlich
15 Nur 14 der 15 Items konnten deshalb miteinander
verglichen werden. Unauthenticated
Download Date | 8/21/17 11:00 PM
Zeitschrift für Soziologie, Jg. 4, Heft 2, April 1975, S. 165—182
172
Tabelle 2
Lebensaltermittelwerte, von denen ab Mütter Kindern selbständiges Verhalten zugestehen bzw.
trauen im Vergleich der Untersuchungen von 1957/60 mit 1973
1957 : n = 110; 1960 : n = 180; 1973 : n = 301 (2 8 7 -3 0 1 )1
Lebensaltermittel­
werte
1957/60 1973
1
2
3
4
5
6
7
8
9
11
12
13
14
15
1
2
3
Eisenbahn
(Frage 1)
möbliertes Zimmer
(Frage 7)
Verhütungsmittel
(Frage 10)
Pfadfinder
(Frage 12)
mehrtägige Fahrt
(Frage 15)
Entscheidung selbst
(Frage 2)
Eltern kritisieren
(Frage 8)
sein Recht behaupten
(Frage 11)
politische Betätigung
(Frage 13)
abends ausgehen
(Frage 3)
Taschengeld
(Frage 4)
passende Freunde
(Frage 5)
anziehen
(Frage 6)
Schularbeiten
(Frage 9)
t-Wert
Signifik.niveau2
Zu­
Vergleich­
barkeit der
der Frage3
12,0
11,18
3,76
0,1
f
18,4
17,35
4,86
0,1
w
15,0
14,74
1,20
n.s.
R
12,0
10,74
5,38
0,1
ä
14,4
14,65
1,03
n.s.
w
9,8
6,93
8,40
0,1
f
17,5
13,55
9,12
0,1
ä
9,3
11,32
7,51
(0,1)
ä
19,75
16,91
15,92
0,1
w
20,0
16,15
18,80
0,1
f
14,8
11,54
8,61
0,1
w
11,6
10,35
3,23
0,1
f
10,9
9,78
3,26
0,1
f
10,4
9,77
1,91
5,0
R
die Zahl in der Klammer drückt die Schwankung aus, die durch unterschiedliche Nichtbeantwortung einzelner
Items zustande kommt
eingeklammerte Werte liegen entgegen der erwarteten Richtung
w = wörtlich; f = fast wörtlich; ä = ähnlich; R = Frage geht in die gleiche Richtung
noch fast wörtlich übernommen wurden bzw.
weil bei Frage 5 (mehrtägige Fahrt) als moderie­
render Einfluß die zunehmende Gefährlichkeit
im Straßenverkehr auftritt.
Fragen hingegen, deren Altersangabenmittelwerte
über 13 Jahre liegen, unterscheiden sich in 5 von
6 Fällen signifikant in ihren Varianzen. Dabei sind
mit einer Ausnahme die Varianzen aus früheren
Untersuchungen die größeren.
Die Ergebnisse sprechen deshalb sehr deutlich für
eine Annahme von Hypothese II, womit belegt
Wenn die Varianzen als Index der EsV-Homogewerden soll, daß die EsV in den letzten 15 Jah­
nität der Probanden aus den beiden Stichproben
ren zunehmend positiver und die Kindzentrierung
und das 13. Lebensjahr als Beginn des Jugendal­
ausgeprägter wurde.
ters gesehen werden, so bietet sich folgende In­
Interessant sind auch die Ergebnisse aus dem Va­ terpretation an:
rianzvergleich der Altersangaben. Wie aus Tabelle 3
hervorgeht, unterscheiden sich Fragen, deren Al­ Früher, d.h. vor ca. 15 Jahren, dachte man weni­
tersangabenmittelwerte unter 13 Jahre liegen, in ger als heute über Erziehungsfragen nach. Man
richtete die Kinder normalerweise an überkom­
ihren Varianzen in 7 von 8 Fällen nicht signifi­
menen Erziehungsvorstellungen aus, die kaum
kant und im 8. Fall (Frage: Taschengeld) wird
hinterfragt wurden und im wesentlichen durch
der kritische F-Wert für 1% Irrtumswahrschein­
Unauthenticated
Anpassung an die Leitbilder
der Erwachsenen gelichkeit (1,47) nur um 0,01 überschritten.
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W. Weiß: Determinanten der Einstellung von Eltern zum selbständigen Verhalten der Kinder
173
Tabelle 3
Homogenität bzw. Heterogenität der Varianzen der Lebensaltermittelwerte aus den Untersuchungen
1957/60 und 1973 im Vergleich der Fragen, die Kinder unter bzw. über 13 Jahre betreffen (x ermittelt an der Ge­
samtstichprobe, n = 764)
Fragen, deren Altersangabemittelwert unter 13 Jahren
liegt
Varianzen von
A-Müttern
B-Müttern
1973
1957/60
F-Wert
Homogenität
der Varianzen1
1
4
6
8
12
13
14
15
3,6
7,3
8,4
7,3
10,2
11,6
10,9
7,8
3,6
5,4
9,7
8,2
15,1
12,2
9,0
9,0
1,08
1,35
1,15
1,23
1,48
1,05
1,21
1,15
homogen
homogen
homogen
homogen
heterogen
homogen
homogen
homogen
4,4
6,3
5,8
16,0
4,6
5,8
2,0
3,5
4,4
(25,5)
2,9
2,9
2,20
1,80
1,31
1,78
1,59
2,0
heterogen
heterogen
homogen
heterogen
heterogen
heterogen
Eisenbahn
Pfadfinder
Entscheidung selbst
sein Recht behaupten
Taschengeld
passende Freunde
anziehen
Schularbeiten
Fragen, deren Altersangeben­
mittelwert über 13 Jahren
liegt
2
3
5
7
9
11
möbliertes Zimmer
Verhütungsmittel
mehrtägige Fahrt
Eltern kritisieren
politische Betätigung
abends ausgehen
1 bei einer Irrtumswahrscheinlichkeit von 1%
prägt waren. Solange die Kinder noch klein wa­
ren, gab es dabei keine großen Probleme, kamen
sie aber ins Jugendalter und stellten nun massiv
ihre Emanzipationsansprüche, so waren die nun
plötzlich auftretenden Konflikte unausweichlich.
Eine stark voneinander abweichende Reaktion
der Eltern in diesem Konflikt16 würde die ausge­
prägtere EsV-Heterogenität bei Fragen, die das
Alter des Jugendlichen betreffen, erklären. Heut­
zutage wird viel intensiver über Erziehungsfragen
diskutiert und nachgedacht. Solche „ad-hoc-EsV“ ,
wie sie oben beschrieben sind, die sich erst im
Konfliktfall ausbilden, werden zusehends seltener.
Eine zentrale Rolle spielen dabei die Massenmeiien, von denen Denkanstöße17 und vor allem
vereinheitlichende (also auch die Heterogenität
der EsV verringernde) pädagogische Handreichun­
gen18 gegeben werden.
16 Vom sturen Beharren auf überkommenen, selbständig­
keitshemmenden Leitbildern bis zu deren kritischem
Hinterfragen und Revidieren.
17 Vgl. z.B. antiautoritäre Erziehung.
18 Vgl. die fast einheitlich leistungsbezogene Erziehung
im Vorschulalter, bei der eine positive Bewertung der
kindlichen Selbständigkeit eben schon deswegen un­
abdingbar war.
Wenn diese Interpretation, deren Kerngedanke
das zunehmend reflektierte Erziehungsverhältnis
ist, akzeptiert werden soll, so muß allerdings noch
die Tatsache erklärt werden, warum bei einer so
wichtigen Frage wie der „Elternkritik“ die EsV
der A-Mütter signifikant heterogener ist als die
der B-Mütter.
„Elternkritik“ ist quasi der neuralgische Punkt
der Selbständigkeitserziehung, an dem sich ent­
scheidet, ob man sich von traditionellen Autori­
tätsansprüchen trennen kann. In dieser Frage ha­
ben sich die Einstellungen der Eltern am stärk­
sten gewandelt (höchster Differenzwert der Mittel­
wertunterschiede von 17,5 auf 13,55), wie sich
auch am Vergleich der Prozentsätze jener Proban­
den zeigt, die in keinem Fall Kritik ihrer Kinder
an sich zulassen würden19:
1960 waren es 24%
1973 waren es nur noch 6,6%.
Es ist deshalb möglich, daß es 1960 für die Mehr­
zahl der Eltern kaum eine Frage war, daß Kritik
der Kinder an ihren Eltern gar nicht oder erst sehr
spät erlaubt werden sollte. Ein Jahrzehnt später
19 Statt einer Altersangabe auf diese Frage mit „nie“
Unauthenticated
geantwortet.
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Zeitschrift für Soziologie, Jg. 4, Heft 2, April 1975, S. 1 6 5 -1 8 2
174
Tabelle 4
Prozentsätze, mit denen in verschiedenen
Schichten bestimmte Erziehungsziele gewählt wurden
Schicht
n
Selb.
Geh.
Ord.1
Summe
US
uMS
mMS
oMS
OS
106
352
124
134
48
43
52
65
69
83
10
4
4
2
2
30
27
20
12
10
83
83
89
83
95
1
=
„Ordnungsliebe und Fleiß“
bewirkt das zunehmend reflektierte Erziehungs­
verhältnis, daß ein großer Teil der Elternschaft
schon früher Kritik ohne Gesichtsverlust ertragen
kann, ja daß das kindliche kritische Bewußtsein
von ihnen selbst gefördert wird. Die Folge ist ein
Anwachsen der Streuungsmaße.
4.2
einseitiger Hypothesenprüfung mittels t-Test bei
9 der 15 Fragen signifikante Unterschiede gemes­
sen. Alle liegen in der erwarteten Richtung, wie
aus Tabelle 5 hervorgeht. Interessanterweise be­
treffen 4 der 6 nicht signifikant unterschiedlich
beantworteten Fragen Selbständigkeitssituationen,
die erst für den Jugendlichen relevant werden, de­
ren Gesamtmittelwert20 also über 13 liegt.
Außerdem fällt auf, daß bei Fragen, die das Aufsich-selbst-gestellt-sein des Kindes betreffen, die
Unterschiede zwischen den Schichten weniger
ausgeprägt zu sein scheinen als bei den beiden
anderen Unterdimensionen: nur 40% dieser Fra­
gen zeigen signifikante Unterschiede, und die lie­
gen auf dem 59^Niveau. [Dagegen Selbstbehaup­
tung: 60%, auf 1%-Niveau (2x) und 0,1%-Niveau
(lx ) II Entscheidungsfreiheit: 80%, auf 5%-Niveau
(2x) und 0,1%-Niveau (2x)]
E sV und Gesellschaftsschicht
Ein schichtspezifischer Vergleich der Angaben
zum Erziehungsziel ist aus Tabelle 4 zu entneh­
men, in der die entsprechenden Prozentsätze für
die Gesamtstichprobe (n=764) berechnet sind.
Diese Tendenzen können ein Hinweis sein auf die
Zweckmäßigkeit einer differenzierteren Betrach­
tung der EsV nach ,äußerer und innerer Selbstän­
digkeit4 einerseits und nach dem Alter, in dem
eine Selbständigkeitssituation relevant wird, an-
Tabelle 5
Lebensaltermittelwerte, von denen ab Probanden aus der Un­
terschicht (n = 92) bzw. Mittelschicht (n = 482) signifikant unterschiedlich
selbständiges Verhalten zugestehen bzw. Zutrauen.
Frage
1
3
6
7
10
12
13
14
15
Eisenbahn
Verhütungsmittel
Entscheidung selbst
Eltern kritisieren
Urlaub mitbestim.
Taschengeld
passende Freunde
anziehen
Schularbeiten
Lebensaltermittel­
werte
US
MS
t-Wert
11,39
14,86
8,96
16,19
13,00
13,72
11,01
11,60
11,20
1,67
2,10
5,16
2,76
2,76
4,57
1,94
4,20
2,27
11,01
14,40
6,86
13,18
12,01
11,75
10,27
10,16
10,08
Signifik.niveau
5,0
5,0
0,1
0,1
1,0
0,1
5,0
0,1
5,0
Die Tendenz ist eindeutig: Je höher die Schicht,
um so häufiger dominiert die „Selbständigkeit“
als Erziehungsziel und um so seltener „Gehor­
sam“. Der Chi-Quadrat-Test weist die Unterschie­
de zwischen den Schichten als hochsignifikant
aus (Chi2 = 37,75; df = 8, kritischer Wert für
0,1%-Niveau: 26,12).
dererseits (über oder unter 13 Jahre), wie sie
sich schon oben andeutete.
Zur Kontrolle evtl Störvariablen, also um zu
überprüfen, ob die nachgewiesenen signifikanten
Unterschiede in den EsV zwischen oberen und
unteren Gesellschaftsschichten lediglich einen20*
Beim Mittelwertvergleich der Altersangaben wur­
den zwischen Mittelschicht und Unterschicht bei
20 = Mittelwert der Altersangaben, errechnet über die
Unauthenticated
Gesamtstichprobe (n=764).
Download Date | 8/21/17 11:00 PM
W. Weiß: Determinanten der Einstellung von Eltern zum selbständigen Verhalten der Kinder
Effekt anderer Variablen darstellen, die gemeinsam
mit der Schicht variieren, wurde kontrolliert, wie­
weit sich die 5 verschiedenen Schichtgruppen
(Unterschicht, untere Mittelschicht, mittlere Mit­
telschicht, obere Mittelschicht, Oberschicht) in
der Zusammensetzung ihrer Probanden unter­
scheiden.
Nach Berechnungen mittels Chi-Quadrat-Test er­
gaben sich bezügl. Berufstätigkeit der Frau, Alter
der Eltern und Alter des ältesten Kindes keine
signifikanten Unterschiede (WEISS 1 9 7 3 : 25lf.),
wohl aber bezüglich der Anzahl der Kinder (5%Niveau). Da jedoch an anderer Stelle gezeigt wer­
den konnte, daß die Anzahl der Kinder in keinem
Zusammenhang mit den EsV steht (WEISS 1 9 7 3 :
265ff.), braucht auch diese Variable nicht als Stör­
variable betrachtet zu werden21.
175
den kann. Denn Väter machen bei allen 5 Fragen
zum „Auf-sich-selbst-gestellt-sein“ geringere Al­
tersangaben als die Mütter. Bei den Fragen zu
„Entscheidungsfreiheit44 und „Selbstbehauptung“
liegen ihre Altersangaben höher, allerdings nur,
soweit der Gesamtstichprobenmittelwert dieser
Fragen unter 13 Jahren liegt (Fragen in Doppel­
klammer). Liegt er darüber, so machen die Väter
unabhängig von den Unterdimensionen geringere
Altersangaben als die Mütter.
Diese Einschränkung der Zweckmäßigkeit, die
EsV nach ,innerer4 und ,äußerer4 Selbständigkeit
zu differenzieren, auf jene Fragen, die die Selb­
ständigkeitssituation eines Kindes (aber nicht Ju­
gendlichen) betreffen22, deutete sich schon bei
den vorher aufgeführten Ergebnissen an und wird
nun bei der geschlechtsspezifischen Analyse be­
sonders deutlich belegt.
Die aufgezeigten Zusammenhänge zwischen Schichl
Denn unter Berücksichtigung jener Einschränkung
und EsV können also als direkte Zusammenhänge
bzw. Modifizierung liegen sämtliche 15 Unter­
betrachtet werden.
schiede zwischen den Altersangaben der Geschlech­
ter in der erwarteten Richtung; 8 Fragen unter­
scheiden sich dabei signifikant.
4.3 EsV und Geschlecht
Erwartungsgemäß zeigen sich bei den Angaben
zum Erziehungsziel, da hier nicht zwischen inne­
rer und äußerer Selbständigkeit4 differenziert wird,
keine geschlechtsspezifischen Unterschiede (vgl.
Tabelle 6).
Tabelle 6
Prozentsätze, mit denen Mütter und Väter
bestimmte Erziehungsziele wählten
Ge­
schlecht
männ­
lich
weib­
lich
n
Selb.
365
59
Geh.
4
Ord.
Summe
22
85
Das gleiche Ergebnis zeigte sich bei einer reinen
MS-Stichprobe (WEISS 1973: 279).
Entsprechend fielen auch die Ergebnisse aus dem
Mittelwertvergleich der Differenzwerte aus, wie
aus Tabelle 8 hervorgeht. Zu ihrer Interpretation
sei daran erinnert, daß positive Werte bedeuten,
daß die Ehemänner durchschnittlich positivere
EsV als ihre Frauen äußern, negative Werte verwei­
sen auf das Gegenteil. Je höher der Zahlenwert
ist, um so stärker unterscheiden sich die Ehepart­
ner in ihren EsV.
Negative Werte treten nur bei Fragen zur inne­
ren Selbständigkeit4 auf, deren Gesamtstichproben­
mittelwert unter 13 Jahren liegt (künftig symboli­
siert: „E/S, - 1 3 “), d.h. bei allen diesen Fragen
Vergleicht man jedoch die Mittelwerte der Alters­ haben die Ehefrauen positivere EsV als ihre Män­
angaben von Müttern (n=382) und Vätern (n=382) ner (vgl. Spalte „gesamt“); bei den übrigen Fragen
(vgl. Tabelle 7), so zeigt sich, daß Hypothese IV
(Mittelwert über 13 Jahre oder ,äußere Selbstän­
—mit einer Einschränkung — angenommen werdigkeit4 betreffend, = „A, 13+“) äußern sich die
Männer positiver als ihre Frauen. Tendenziell zeigt
21 Außerdem erweist sich die diesbezüglich signifikant
sich dies in allen Schichten, wie aus Tabelle 9 zu
unterschiedliche Zusammensetzung als mittelschicht­
entnehmen ist.
365
59
5
23
87
spezifischer Effekt; denn beim Chi-Quadrat-Test, der
nur zwischen Unterschicht, Mittelschicht und Ober­
schicht differenziert, wird der kritische Wert für das
5%-Niveau erheblich unterschritten.
22 Deren Gesamtstichprobenmittelwert also unter 13
Jahren liegt.
Unauthenticated
Download Date | 8/21/17 11:00 PM
Tabelle 7
Lebensaltermittelwerte, von denen ab Mütter (n = 382) bzw. Väter (n = 382) der Gesamtstichprobe
Kindern selbständiges Verhalten zugestehen bzw. Zutrauen
Lebensaltermittelwerte12
Mütter
Väter
Frage1
t-Wert
Signifikanzniveau3
1)
( 2)
( 3)
4)
( 5)
a) Auf-sich-selbst-gestellt-sein
Eisenbahn
11,26
möbliertes Zimmer
17,32
Verhütungsmittel
14,76
Pfadfinder
10,72
mehrtägige Fahrt
14,65
10,97
17,02
14,18
10,44
14,51
2,00
2,86
4,14
1,55
0,94
5,0
1,0
0,1
n.s.
n.s.
6)
( 7)
8)
( 9)
10)
b) Selbstbehauptung
Entscheidung selbst
6,97
Eltern kritisieren
13,57
sein Recht behaupten
11,48
politische Betätigung
16,84
11,85
Urlaub mitbestimmen
7,26
13,20
11,70
16,34
12,37
1,26
0,98
1,00
3,12
2,25
n.s.
n.s.
n.s.
1,0
5,0
(11)
12)
13)
14)
15)
c) Entscheidungsfreiheit
abends ausgehen
16,24
Taschengeld
11,44
10,27
passende Freunde
anziehen
9,71
Schularbeiten
9,98
16,06
12,09
10,30
10,82
10,70
1,45
2,33
0,12
5,10
3,20
n.s.
1,0
n.s.
0,1
1,0
1 Doppelklammer bei Fragen, deren Gesamtstichprobenmittelwert über 13 Jahren liegt
2 geringere Lebensaltermittelwerte sind kursiv gesetzt.
3 bei einseitiger Hypothesenprüfung (differenziert nach Unterdimension und Einschränkung)
Tabelle 8
Mittelwerte der Differenzwerte pro Item in schichtspezifischer Betrachtungsweise: US (n = 83);
uMS ( = 1 1 7 ) ; mMS (n = 42); oMS (n = 49); OS (n = 20); gesamt (n = 3 65)1
Frage
gesamt2
a) Auf-sich-selbst-gestellt-sein
Eisenbahn
0,3
-0 ,1
möbliertes Zimmer
0,3
0,1
Verhütungsmittel
0,4
0,2
Pfadfinder
0,3
0,2
mehrtägige Fahrt
- 0 ,4
0,1
0,2
0,3
(0,0)
-0 ,1
0,1
( 6)
( 7)
( 8)
( 9)
(10)
b) Selbstbehauptung
Entscheidung selbst
- 0 ,3
Eltern kritisieren
0,1
sein Recht behaupten
- 0 ,7
politische Betätigung
0,3
Urlaub mitbestimmen
- 0 ,6
- 0 ,5
- 0 ,8
- 2 ,0
1,1
0,3
(0,0)
0,4
- 1 ,0
(0,0)
- 0 ,3
(11)
(12)
(13)
(14)
(15)
c) Entscheidungsfreiheit
abends ausgehen
(0,0)
Taschengeld
- 0 ,7
passende Freunde
-0 ,1
anziehen
- 1 ,2
Schularbeiten
- 0 ,9
- 0 ,4
- 0 ,2
- 1 ,1
- 0 ,6
- 1 ,0
-5 ,1
(
(
(
(
(
1)
2)
3)
4)
5)
s3
x (Absolut)4
1
2
3
4
Mittelwerte der Differenzwerte
US
uMS
mMS
oMS
- 2 ,8
0,41
0,61
0,5
0,4
- 0 ,3
0,4
(0,0)
0,9
0,1
1,0
- 0 ,7
0,3
0,2
0,1
-0 ,1
0,1
-0 ,1
- 2 ,0
1,5
1,3
0,8
r-0,1
- 1 ,2
0,5
- 1 ,5
0,6
0,1
0,2
- 0 ,2
0,3
- 0 ,7
- 1 ,0
-0 ,1
- 0 ,7
0,1
- 1 ,0
0,6
0,2
- 0 ,7
- 0 ,2
- 1 ,1
- 1 ,0
1,2
- 0 ,3
0,5
- 2 ,7
- 0 ,3
- 1 ,8
2,3
- 1 ,2
- 4 ,2
0,32
0,5
0,6
1,4
0,7
(0,0)
OS
0,42
0,76
0,97
„n“ bezieht sich auf Elternpaare; bei Stichprobe „gesamt“ wurden jene 34 Probanden ausgeschieden, deren
Ehepartner nicht abgegeben hat; bei Schichtstichproben wurden außerdem alle Ehepaare ausgeschieden, die
ungleiche Angaben zu den Schichtindizes machten
Hinweis, ob in der jeweiligen Frage Väter oder Mütter positivere EsV haben
Unauthenticated
Hinweis, ob in der jeweiligen Gruppe die EsV des Vaters oder die der Mutter positiver sind
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Hinweis auf die Ausprägung der Heterogenität der EsV der Ehepartner; je höher der Zahlenwert, um so stär­
ker unterscheiden sie sich in ihren EsV (x der absoluten Zahlenwerte)
W. Weiß: Determinanten der Einstellung von Eltern zum selbständigen Verhalten der Kinder
Tabelle 9
Schichtspezifische Summen von Mittelwer­
ten der Differenzwerte im Vergleich der Fragen, die das
Auf-sich-selbst-gestellt-sein der Kinder betreffen bzw.
deren Gesamtstichprobenmittelwert über 13 Jahren liegt
(„A, 13+“) mit jenen Fragen, die Entscheidungsfreiheit
und Selbstbehauptung betreffen und deren Wert unter
13 Jahren liegt („E/S, - 1 3 “ )
US
uMS
mMS
oMS
OS
1
n1
A, 13+
E/S, - 1 3
38
117
42
49
20
0,0
1,1
3,3
3,5
3,9
-5 ,1
- 2 ,9
- 1 ,0
- 4 ,7
-8 ,1
177
zur 2. Spalte („E/S, —13“); d.h., bei Fragen zur
Selbständigkeitserziehung, die die ,äußere Selb­
ständigkeit4 bzw. Jugendliche betreffen, äußern
die Ehemänner positivere EsV als ihre Frauen um
so ausgeprägter, je höher die Schichtzugehörig­
keit ist. Bei der anderen Art der Fragen, die also
die ,innere Selbständigkeit4 nur von Kinderen be­
treffen, geben die Ehefrauen positivere EsV als
ihre Männer an; hier hingegen sind die Unter­
schiede zwischen den Ehepartnern am stärksten
in Oberschicht und Unterschicht ausgeprägt, am
geringsten in der mittleren Mittelschicht, wie Ab­
bildung 1 verdeutlicht.
„n“ bezieht sich auf Ehepaare
Die unterschiedlichen Abstände zwischen den bei­
Interessant ist bei diesem schichtspezifischen Ver­ den Kurven kennzeichnen auch die schichtspezi­
fisch unterschiedlichen Heterogenitätswerte. Dem­
gleich, daß die Summenwerte der 1. Spalte („A,
nach wären die EsV bei den Ehepaaren der Ober13+“) kontinuierlich ansteigen im Unterschied
ABBILDUNG 1 Schichtspezifische Darstellung der Summenwerte der Differenzwerte (also des geschlechts­
spezifischen Unterschieds in den EsV) im Vergleich der Fragen zu „A,13+“ mit jenen zu „E/S,- 1 3 “
- positive Werte bedeuten: Männer haben positivere EsV als ihre Frauen
- negative Werte bedeuten: Frauen haben positivere EsV als ihre Männer
- Null werte bedeuten: Frauen und Männer unterscheiden sich nicht in ihren EsV
- je höher der Zahlenwert, um so ausgeprägter unterscheiden sich Männer und Frauen in ihren EsV
6
positiver als 9
9 positiver als 6
„A,13+“:
-
Fragen, die das „Auf-sich-selbst-gestellt-sein“ des Kindes betreffen oder deren Gesamtstichrobenmittelwert über 13 Jahren liegt.
ragen, die „Entscheidungsfreiheit“ und „Selbstbehauptung“ des Kindes betreffen und deren
Unauthenticated
Gesamtstichprobenmittelwert unter 13 Jahren liegt.
P
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Zeitschrift für Soziologie, Jg. 4, Heft 2, April 1975, S. 1 6 5 -1 8 2
178
Schicht am heterogensten, bei jenen der Mittel­
schicht am homogensten. Das ergibt sich auch aus
der Betrachtung der Mittelwerte der absoluten
Differenzwerte (je höher der Zahlenwert, um so
ausgeprägter die Heterogenität; vgl. Tabelle 8,
letzte Zeile):
US
0,61
u MS
0.32
m MS
0,42
o MS
0,76
OS
0,97
Wieweit es sich bei diesen Ergebnissen nur um
einen Erwünschtheitseffekt in dem Sinne handelt,
daß die oberen Schichten selbstsicher genug sind,
auch in einer Fragebogenaktion ihre unterschied­
lichen Einstellungen frei zu äußern, während sich
die unteren Schichten mehr am familialen Harmo­
niebild orientieren, oder um tatsächliche Hetero­
genitätswerte, die sich evtl, aus dem schichtspezi­
fisch differierenden Kommunikationsniveau erklä­
ren lassen (das, wenn es recht hoch ist, unter­
schiedliche Standpunkte zur EsV erst in ihrer Un­
terschiedlichkeit bewußt macht) konnte nicht
kontrolliert werden.
4A
Tabelle 10
Schichtspezifische Teilsummenwerte der
Mittelwerte der Differenz-Werte differenziert nach Fra­
gen zur ,äußeren4und zur ,inneren Selbständigkeit4, (po­
sitive Werte bedeuten: die Väter haben durchschnittlich
positivere EsV als die Mütter; negative Werte bedeuten
das Gegenteil)
n
l
Auf-sich- Selb.beh. Entsch.
US
uMS
mMS
oMS
OS
38
117
42
49
20
0,1
0,5
3,3
1,0
1,6
- 1 ,9
- 0 ,9
0,2
0,6
- 1 ,5
- 3 ,3
- 1 ,4
-1 ,1
- 2 ,8
- 4 ,3
gesamt
365
1,3
- 1 ,2
- 2 ,9
1
„n“ bezieht sich auf Ehepaare
Auf-sich = Auf-sich-selbst-gestellt-sein
Selb.beh. = Selbstbehauptung
Entsch. = Entscheidungsfreiheit
Entsprechend fallen die pro Unterdimension sum­
mierten Differenzwerte als Index der EsV-Homo-/
Heterogenität zwischen Ehepartnern aus:
1. Auf-sich-selbst-gestellt-sein
2. Entscheidungsfreiheit
3. Selbstbehauptung
: 1,3
: 2,9
: 2,0
Äußere und innere Selbständigkeit*
Die geschlechtsspezifische Analyse belegt, daß
Ausprägungen der EsV von Probanden je nach
Selbständigkeitssituation in gegensätzlichen Rich­
tungen liegen können. Faßt man die Differenz­
werte zu Teilsummenwerten, gemäß Hypothese I
differenziert nach Fragen zur »inneren bzw. äuße­
ren Selbständigkeit4 (vgl. Tab. 10), zusammen, so
zeigt sich dies recht deutlich in allen Schichten.
Hypothese I kann deshalb angenommen und die
Unterscheidung zwischen »innerer und äußerer
Selbständigkeit4 als sinnvoll betrachtet werden.
5.
Zusammenfassung und Weiterführung
Der historische Hintergrund („Zeitgeist44) kann
als eine der entscheidenden Determinanten der
EsV angesehen werden. Aus der Analyse des
Wandels in den EsV von Müttern bzw. Eltern in
den letzten ca. 15 Jahren zeigte sich, daß die EsV
auffallend positiver geworden sind. Außerdem
kann davon ausgegangen werden, daß das Erzie­
hungsverhältnis stärker reflektiert wird und die
Erziehungseinstellungen homogener geworden sind,
sofern sie alltägliche selbständige Verhaltenswei­
Für die wesensmäßige Unterschiedlichkeit von
sen des Kindes betreffen. Allerdings darf nicht
»äußerer und innerer Selbständigkeit4 spricht auch, übersehen werden, daß durch das zunehmend kri­
daß die EsV zur ,äußeren Selbständigkeit4 auffal­ tische Hinterfragen überkommener Erziehungsvor­
lend homogener ausfallen als die zur »inneren4. So stellungen auch neue Diskussionen entfacht wer­
den, die früher unmöglich waren, weil an gewisse
ergeben sich als Mittelwerte der Standardabwei­
tabuisierte Normen nicht gerührt wurde. In sol­
chungen der 5 Items je Aspekt (bei n=764)23:
chen Fällen (z.B. Kritik an den Eltern, politi­
1. Auf-sich-selbst-gestellt-sein
1,97
sche und antiautoritäre Erziehung) ist mit stär­
2. Entscheidungsfreiheit
: 3,00
ker heterogenen EsV zu rechnen.
3. Selbstbehauptung
: 3,30
Diese Ergebnisse bestätigen die Hinwendung un­
serer Gesellschaft zu einer zunehmenden Kindzen­
daß Kinder in näherer
23 Zunehmende Zahlenwerte bedeuten zunehmende He­ trierung und lassen hoffen,
Unauthenticated
Zukunft auch in weiteren
Kreisen der Bevölkerung
terogenität.
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W. Weiß: Determinanten der Einstellung von Eltern zum selbständigen Verhalten der Kinder
mehr als eigenständige Persönlichkeiten denn als
persönliches Eigentum betrachtet werden.
Der Nachweis, daß sich mit ansteigender Schicht
immer mehr Probanden für „Selbständigkeit und
freier Wille“ als wichtigstes Erziehungsziel ent­
scheiden und die EsV immer positiver werden,
je höher die Schicht ist, und die zum großen Teil
hochsignifikanten Unterschiede in den Altersan­
gaben lassen auch die Gesellschaftsschicht als sehr
wichtige Determinante erscheinen.
179
für Jugendliche relevant ist (dann äußern sie auch
zur »inneren Selbständigkeit* positivere EsV25*).
Diese Ergebnisse dürften durch die in unserer Ge­
sellschaft männlich-außenorientierte, „öffentliche“
Lebenssituation und noch vorherrschende „Männ­
lichkeitsideale“ erklärbar sein.
Sofern die Unterschiedlichkeit des Akzents der
EsV (»innere* versus »äußere* Selbständigkeit)
zwischen den Ehepartnern liegt, sind für die
Selbständigkeitsentwicklung ihrer Kinder nicht
unbedingt spezielle Wirkungen zu erwarten; denn
durch den engen Kontakt des Paares dürften
Was beim „historischen Hintergrund“ vernach­
sich die verschiedenen Gegenwirkungen einander
lässigt werden konnte24, zeigte sich tendenziell
bei der „Gesellschaftsschicht“ und war beim „Ge­ aufheben, und es bildet sich vermutlich ein ge­
schlecht“ nicht zu übersehen: die Notwendigkeit meinsamer Stü der »Erziehung zur Selbständig­
zwischen ,innerer und äußerer Selbständigkeit* zu keit* aus.
differenzieren:
Ganz anders bei den Schichten. Hier entwickeln
— Äußere SelbständigkeitV Das Kind soll recht
sich offenbar unterschiedliche Formen der Selb­
bald daran gewöhnt werden, auf sich selbst ge­
ständigkeitserziehung und -entwicklung der Kin­
stellt zu handeln und nicht zu lange an das Eltern­ der. JOHN und ELISABETH NEWSON weisen dar­
haus gebunden sein, es soll also rein äußerlich
auf hin, „daß Mittelstandskindern und Arbeiterkin­
möglichst früh unabhängig von den Eltern werden dern Selbständigkeit auf verschiedene Art und
und die Möglichkeit erhalten, „Welt“ ohne Hüfe Weise beigebracht wird. Unter Berücksichtigung
anderer zu bewältigen. Deshalb ist man auch be­ zahlreicher . . . Unterlagen kommt man schließ­
reit, das gewisse Risiko einzugehen, da mit je­
lich zu dem Ergebnis, daß das Arbeiterkind Selb­
dem Auf-sich-selbst-gestellt-sein der Kinder und
ständigkeit in einer Vielfalt von Situationen ler­
auch mit ihrer Entlassung aus dem familiären
nen muß, in denen eine Überwachung durch Er­
Schutz- und Schonraum verbunden ist.
wachsene auf ein Minimum beschränkt ist, und
es unter anderen Kindern für sich selbst zu sor­
- Jnnere Selbständigkeit1: Das Kind soll recht
gen hat . . . Demgegenüber wird das Mittelstands­
bald daran gewöhnt werden, sich auch innerlich
kind ermutigt, sich von seinen Eltern unabhängig
von den Eltern frei zu machen, also Interesse bzw. zu machen, indem es lernt, sich an andere Er­
auch Mut zu entwickeln, um „Welt“ zu bewältigen, wachsene um Hüfe und Unterstützung zu wen­
d.h. es soll für sich selbst Entscheidungen treffen den . . . Das Mittelstandskind wird stufenweise
und sich selbst behaupten können. Dafür ist man in einer sehr überwachten Umgebung an die Selb­
auch bereit, auf traditionelle Privüegien den Kin­ ständigkeit herangeführt“ (NEWSON 1971: 193).
Tendenziell lassen sich auch die Ergebnisse der
dern gegenüber zu verzichten.
vorliegenden Untersuchung in diese Richtung
Für eine positive Selbständigkeitsentwicklung sind schichtspezifischer Selbständigkeitserziehung und
beide Aspekte notwendig. Beide sind relativ unab­ EsV interpretieren, doch in etwas anderer Form.
hängig voneinander, was bei der geschlechtsspezi­ Denn es scheint so zu sein, daß nur geringe Un­
fischen Analyse dadurch deutlich wird, daß gegen­ terschiede in der »äußeren Selbständigkeits‘-erzieläufige Einstellungsstrukturen beobachtet wurden: hung bestehen; sehr stark ausgeprägt aber sind
Väter stehen der ,äußeren Selbständigkeit* der
sie bei der »inneren Selbständigkeits‘-erziehung:
Kinder positiver gegenüber als ihre Frauen, der
die unteren Schichten haben hier eindeutig nega­
»inneren Selbständigkeit* stehen sie negativer ge­ tivere EsV als die oberen und hemmen deshalb
genüber, sofern die Selbständigkeitssituation nicht
24 Weü die Einstellungen sowohl zur äußeren wie auch
zur inneren Selbständigkeit der Kinder positiver
wurde.
25 Es ist zu vermuten, daß die EsV diesbezüglich auch
vom Geschlecht des Kindes abhängt, was hier aber
nicht kontrolliert wurde, weshalb dieses Ergebnis nur
Unauthenticated
mit Vorbehalten angenommen
werden soll.
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180
Zeitschrift für Soziologie, Jg. 4, Heft 2, April 1975, S. 1 6 5 -1 8 2
die Selbständigkeitsentwicklung ihrer Kinder stär­ — Autoritätsstruktur in der Famüie (partnerschaft­
liche Famüie: positivere EsV als patriarchalische)
ker26.
— äußerer Famüienzusammenhalt (wenn dieser
Zusammenfassend kann gesagt werden, daß die
Zusammenhalt gering ausgeprägt: positivere EsV).
Achtung des Kindes als eigenständige Persönlich­
keit, die für sich selbst Entscheidungen trifft und Gar keinen oder kaum einen Einfluß haben offen­
sich auch gegen andere durchsetzen will, ebenso
bar:
Voraussetzung für eine positive Selbständigkeits­
entwicklung ist wie das Zugeständnis an das Kind, — Famüiengröße
Schwierigkeiten auf sich selbst gestellt zu bewäl­ — Integrationsgrad der Familie
tigen, womit immer ein gewisses Risiko verbunden — Konfession
ist. Doch muß dieses Auf-sich-selbst-gestellt-sein
— Wohngebiet.
wohl dosiert sein und darf nicht einfach (wie es
sich untere Schichten und Männer eher vorstel­
Geht man von einem recht engen Zusammenhang
len) möglichst früh geschehen, sondern entschei­ zwischen EsV der Eltern und tatsächlichem selb­
dend ist der kontinuierlich zunehmende Gewinn
ständigen Verhalten der Kinder aus, so können
der Kinder an Eigenständigkeit und Unabhängig­ die Sozialisationsmechanismen, wie sie sich in neu­
keit von den Eltern bei fortwährender Rückzugs­ erer Zeit bei jüngeren Eltern mit höherem Aus­
möglichkeit in den Schutz- und Schonraum der
bildungsniveau aus partnerschaftlichen Famüien
Famüie — ein Sozialisationsverhältnis, wie es
der oberen Schichten bei gering ausgeprägtem
meist für Mittelschicht und Oberschicht spezifisch äußerlichem Famüienzusammenhalt ergeben, als
ist.
die geeigneten angesehen werden für die Entwick­
lung einer selbständigen Persönlichkeit27.
Fragt man differenzierter nach geeigneten Sozia­
lisationsmechanismen, die das Kind als selbständi­ Gute Informiertheit über Erziehungsfragen und
ge Persönlichkeit prägen, so müssen die in dieser ein hohes Ausbüdungsniveau sind in jedem Falle
Untersuchung gefundenen Ergebnisse in ihrer Ge­ einer positiven Selbständigkeitsentwicklung för­
samtheit betrachtet werden. Danach scheinen fol­ derlich, im Gegensatz zu patriarchalischen Ten­
denzen in der Famüie, die deswegen intensiv ab­
gende Variablen die EsV entscheidend zu beein­
gebaut werden sollten, ebenso wie die strikte Ar­
flussen:
beitsteilung zwischen den Ehepartnern. Weiterhin
— historischer Hintergrund (in jüngster Zeit posi­ scheinen jene Faktoren eine negative Auswirkung
tivere EsV)
zu haben, die für eine starke Ausprägung des rein
— Schichtzugehörigkeit (in den oberen Schichten äußerlichen Familienzusammenhalts verantwort­
positivere EsV)
lich sind, also z.B. Ablehnung von Ehescheidungen,
— Schulbildung (mit höherem Ausbüdungsniveau der Wille, in jedem Fall nach außen als „harmoni­
positivere EsV)
sche Familie“ zu erscheinen, oder rein äußere Zwän­
— Alter (jüngere Eltern: positivere EsV)
ge zum Verbleib in der Familie. Scheidungserleich­
— Geschlecht (männlich: positivere Einstellung
terungen und gesicherte, ausreichende Versorgung
zur „äußeren Selbständigkeit“ ;
der Restfamüie sind daher anzustreben; Massen­
(weiblich: positivere Einstellung zur „inneren
medien sollten außerdem konfliktbereite Einstel­
Selbständigkeit“)
lungen gewinnen helfen und so das unrealistische
Harmonieideal einer Famüie ins rechte Licht
26 Doch auch diese Aussage ist nur soweit gültig, als
rücken und mehr Verständnis und Toleranz z.B.
man den mittelschicht-spezifischen Wertmaßstab
anlegt; denn es kann keine klare Aussage darüber
für Geschiedene wecken.
gemacht werden, ob die Selbständigkeitserziehung,
wie sie für die Unterschicht spezifisch ist, nicht doch
27 Ob zum Zweck einer frühen Selbständigkeitsförderung
geeignet ist, die „Welt“ ihres subkulturellen Daseins­
von Kindern die Affektivität im familiären Beziehungs­
bereichs zu bewältigen, sich im Unterschichtsmilieu
netz stark betont sein muß, kann nach den Ergebnis­
selbständig behaupten zu können. - Unter dem
sen nur tendenziell mit ja beantwortet werden; es ist
Aspekt der eingangs gestellten erkenntnisleitenden
jedenfalls gut denkbar, weil Kinder diese Selbständig­
Frage allerdings läßt sich eindeutig sagen: Erziehungs­
keitsförderung anderenfalls „möglicherweise als Zu­
formen, die lediglich darauf abzielen, sich selbständig
rückweisung, Desinteresse und Lieblosigkeit des Er­
im subkulturellen Milieu zu bewegen, sind nicht die
Unauthenticated
ziehers“ erleben (TAUSCH et al. 1970: 48).
gefragten Sozialisationsmechanismen.
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W. Weiß: Determinanten der Einstellung von Eltern zum selbständigen Verhalten der Kinder
Solche und ähnliche Maßnahmen dürften nach
den vorliegenden Ergebnissen die Selbständigkeits­
entwicklung der Kinder gewiß positiv beeinflus­
sen. Doch muß dabei gesehen werden, daß der
entscheidende Einfluß auf die EsV durch die öko­
nomischen und historischen Gesellschaftsverhält­
nisse ausgeübt wird, und daß der eigendynamische
Einfluß durch die Famüie, der also durch ihre
spezifische Struktur plausibel wird, allem Anschein
nach sehr gering ist. Denn aus den Ergebnissen
kann eine offensichtliche Determinierung der EsV
durch den historischen Hintergrund und die Ge­
sellschaftsschicht gelesen werden, nicht aber durch
die (relativ) gesellschaftsunabhängigen Struktur­
merkmale der Famüie: Geschlecht, Alter, Fami­
liengröße und Integrationsgrad28. Denn: der ge­
messene Einfluß durch das Alter stellt höchstwahr­
scheinlich lediglich einen mittelbaren Effekt des
historischen Hintergrundes dar, die Art des Ein­
flusses durch das Geschlecht wird stark von der
Schichtzugehörigkeit bestimmt, Größe und Inte­
grationsgrad der Familie üben überhaupt keinen
meßbaren Einfluß auf die EsV aus.
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Dipl. päd. WOLFGANG W. WEISS
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Unauthenticated
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