Information 20. Dezember 2013 Quality of Life in Schizophrenia (QLiS): Die erste schizophreniespezifische Lebensqualitätsskala im deutschen Sprachraum Bei der Erfassung von subjektiver Lebensqualität soll die gesamte Lebenssituation von Patienten mit ihren unterschiedlichen Aspekten berücksichtigt werden. Dabei zählt die eigene, subjektive Bewertung durch den Betroffenen selbst. Schizophrene Menschen wurden aber nie in systematischer Weise befragt, was Lebensqualität für sie bedeutet. Es war nicht bekannt, wie sich die subjektiv beurteilte Lebensqualität von schizophrenen Menschen von Gesunden oder Menschen mit anderen Erkrankungen inhaltlich unterscheidet. Entsprechend fehlte bisher auch ein störungsspezifisches Erhebungsinstrument zur Erfassung der subjektiven Lebensqualität schizophrener Menschen bezüglich ihrer eigenen spezifischen Sichtweisen, Präferenzen und Einstellungen. Trotzdem wurde und wird Lebensqualität mit diversen Instrumenten bei schizophrenen Menschen ‚gemessen‘, z.B. in klinischen Studien, zur Evaluation von therapeutischen und sozialen Maßnahmen, etc. Dabei sind gerade Menschen mit Schizophrenie zum einen durch ihre Symptome zeitweise besonderen Erlebensweisen ausgesetzt. Zum Anderen verändert sich auch das Alltags- und Familienleben durch Kliniksaufenthalte, Leben in der Gemeindepsychiatrie, andere Arbeitspätze als vor der Erkrankung bei denjenigen Betroffenen, bei denen die Erkrankung schwerer und chronischer verläuft. Bislang werden zur Erfassung ihrer Lebensqualität Verfahren eingesetzt, die entweder krankheitsübergreifend sind (WHO-QoL, SF 36, NHP…), nur die Neuroleptikatherapie betreffen (SWN) oder ursprünglich an der gesunden Normalbevölkerung oder größeren, gemischten Gruppen psychisch Kranker entwickelt wurden. Krankheitsübergreifende Skalen, die den Vergleich z.B. zwischen Depressiven, Diabetikern, chronischer Arthritis und Schizophrenie erlauben sollen, haben bei schizophrenen Menschen häufig den Nachteil eingeschränkter Interpretierbarkeit. ‚Kontraintuitive‘ Resultate sind nicht selten, wie z.B. hohe Zufriedenheiten unter sehr schlechten Lebensbedingungen. Schizophrenie weist einen chronifizierenden Verlauf sowie sehr hohe direkte und indirekte Kosten auf. Ein störungsspezifisches Lebensqualitätsinstrument mit hoher Inhaltsvalidität erschien erforderlich. Daher wurden drei Studien durchgeführt: 1. Darstellung ‚subjektiver Theorien‘ von Lebensqualität schizophren erkrankter Menschen, Entwicklung eines schizophreniespezifischen Modells von Lebensqualität. 2. Entwicklung einer Skala zur Erfassung der subjektiven Lebensqualität schizophrener Patienten. 3. Validierung dieser Skala Vitos Klinikum Kurhessen, Ärztliche Direktion, Tel. 05624-60-10211, [email protected] Information N=268 schizophren erkrankte Personen wurden anhand offener strukturierter Interviews zu ihrer Lebensqualität befragt. Sie stammten aus verschiedenen für die Evaluation relevanten psychiatrischen Bereichen (Akutstationen, Langzeitstationen, extramurale Einrichtungen) und deckten sowohl hinsichtlich soziodemographischer Variablen als auch in Bezug auf Merkmale der Erkrankung einen breiten Bereich von Menschen ab, die mit Schizophrenie leben. Die erzielten Statements wurden mittels einer qualitativen Inhaltsanalyse ausgewertet und zu einem Schizophrenie-spezifischen Lebensqualitätsmodell verdichtet. Das endgültige Modell beinhaltet positive Aspekte, aber auch subjektiv erlebte Mängel der Lebensqualität schizophrener Menschen. Beide Komponenten umfassen jeweils 16 Inhaltsbereiche, die wiederum unterschiedliche Aspekte der Lebensqualität zusammenfassen. In einer weiteren Studie an schizophren Erkrankten und gesunden Teilnehmern erwiesen sich die Vorstellungen von Lebensqualität zwischen gesunden und schizophren erkrankten Menschen in entscheidenden Aspekten unterschiedlich Zu jeder Inhaltskategorie des Modells wurde durch vier externe Experten mit entsprechender Erfahrung in der Lebenswelt schizophren Erkrankter unabhängig voneinander eine Paraphrase in Form einer Aussage zu formuliert. Aus den über 1000 Aussagen wurde für jede Kategorie diejenige Paraphrase ausgewählt, die ihren Inhalt am treffendsten repräsentierte. Redundante Aussagen wurden identifiziert und ausgeschlossen. Den verbleibenden Aussagen wurde eine Bewertungsdimension hinzugefügt. Diese Items wurden von weiteren externen Experten aus dem Bereich der empirischen Sozialforschung und der Skalenentwicklung beurteilt und ggf. durch Reformulierungen verdeutlicht. Es resultierten 130 kurze, prägnante Items die das schizophreniespezifische Modell der Lebensqualität repräsentativ wiedergeben. In einem Pretest erwies sich eine Antwortskala mit vier Stufen überlegen, mit der diese Aussagen in graduierbaren Items erfasst werden konnten. In einer Reliabilitätsstudie mit N=203 schizophrenen Patienten wurden Items mit ungenügenden statistischen Kennwerten eliminiert und faktorenanalytisch 16 gut abgrenzbare Subskalen identifiziert. Die Subskalen wiesen befriedigende bis sehr gute psychometrische Kennwerte auf. Eine Kontrolle von Antworttendenzen brachte keine signifikanten Effekte. Diese 16 Subskalen stellten damit eine erste Pilotversion dar, die 68 Items beinhaltete (Quality of Life in Schizophrenia – QliS) N=135 schizophren Erkrankte wurden anhand der 68-Item-Version sowie anderer etablierter Lebensqualitätsinventare (WHOQOL, SWN, MLDL) im Hinblick auf diskriminante und konvergente Validität untersucht. Zusätzlich erfolgte eine Überprüfung der Test-RetestReliabilität 7-10 Tage nach der Erstbefragung. Die 16 Subskalen des QLiS wiesen überwiegend gute psychometrische Werte auf (Cronbach α: 0,63-0,83; Test-RetestReliabilität: 0,7-0,87; 4 Subskalen mit Skalenfit von 100%). Die anschließende Item- und Skalenreduktion anhand psychometrischer Kriterien ergab 54 Items, die 12 Subskalen Vitos Klinikum Kurhessen, Ärztliche Direktion, Tel. 05624-60-10211, [email protected] Information zugeordnet wurden: Soziale Kontakte, Akzeptanz durch andere, Beziehung zur Familie, Bewertung der Pharmakotherapie, kognitive Leistungsfähigkeit, Bewertung der Unterkunft/Wohnung, finanzielle Situation, globale Lebenszufriedenheit, Zuversicht, Bewertung psychopathologischer Symptome, „Normale“ Lebensgestaltung, Fähigkeit zur Alltagsbewältigung. Die 12 Subskalen werden ergänzt durch den gesonderten Bereich „Arbeit“, der zwei Items umfasst. Die statistische Überprüfung der modifizierten Version erbrachte gute bis sehr gute psychometrische Kennwerte. Der Varianzanteil, den die o.g. anderen Lebensqualitäts-Inventare an den Subskalen des QLiS aufklären ergab moderate Zusammenhänge mit inhaltlich ähnlichen Bereichen, was als Beleg für die Validität des QLiS gewertet werden kann. Die fehlenden Korrelationen zu inhaltsfernen Skalen sowie fehlende Redundanz mit ähnlichen Bereichen anderer Inventare zeigen jedoch andererseits deutlich die Spezifität der von der QLiS erfassten Bereiche auf. Die QliS deckt somit Bereiche der Lebensqualität ab, die andere Skalen nicht erfassen. „Hohe“ Zufriedenheiten Schizophrener, wie sie aus vielen Studien berichtet werden, konnten in den dargestellten Studien in keinem Setting beobachtet werden. Die QLiS stellt damit einen auf breiter qualitativer und quantitativer Datenbasis konstruierten und psychometrisch sorgfältig überprüften Fragebogen dar, der die Lebensqualität schizophren erkrankter Menschen umfassend und spezifisch abzubilden vermag. Vitos Klinikum Kurhessen, Ärztliche Direktion, Tel. 05624-60-10211, [email protected]