M E D I Z I N AKTUELL Jakob R. Izbicki1 Stefan B. Hosch1 Dieter Kurt Hossfeld2 Klaus Pantel3 Minimale residuale Tumorerkrankung bei soliden epithelialen Tumoren Stand der Forschung und Implikationen für die Therapie ZUSAMMENFASSUNG Die Inzidenz von Lokalrezidiven nach R0-Resektion solider Tumoren hängt weitgehend von der Kunst des Chirurgen ab, während die Fernmetastasierung von der Tumorbiologie bestimmt wird. Der Nachweis einzelner disseminierter Tumorzellen im Knochenmark oder in Lymphknoten, – als Indikatororgane –, ist im Rahmen eines erweiterten Tumorstaging durch sensitive immunzyto- beziehungsweise immunhistochemische und molekulare Methoden möglich und hat sich in einer Vielzahl von Studien als klinisch relevanter und vom Tumorstadium unabhängiger Prognosefaktor erwiesen. Isolierte disseminierte Tumorzellen sind im Vergleich zu soliden Metastasen wegen ihrer Zugänglichkeit für Makromoleküle und immunkompetente Effektorzellen geeignetere Ziele für intravenös applizierte Therapeutika. Da die Mehrzahl dieser Tumorzellen nicht proliferiert (G0-Phase), erklärt dies einerseits die teilweise ausgedehnte Latenzphase („Dormancy“) bis zur Entwicklung einer Fernmetastasierung und andererseits könnte hierin eine Ursache für die beschränkte Wirkung einer adjuvanten antiproliferativen Chemotherapie liegen. Therapiestrategien, die auch gegen nicht proliferierende Tumorzellen wirksam sind, scheinen daher insbesondere im adjuvanten Ansatz vielversprechend. Schlüsselwörter: Minimale residuale Krebserkrankung, Immunzytochemie, Polymerasekettenreaktion, Knochenmark, Lymphknoten Minimal Residual Disease The incidence of local relapse after complete (R0) resection of solid tumors is largely determined by the skill of the surgeon, whereas distant disease is due to tumor biology. The presence of individual disseminated tumor cells – e. g. in bone marrow and lymph nodes as indicator organs – can be detected by sensitive immunocytochemical and molecular methods and is increasingly considered as a clinically relevant and independent prognostic indicator. Compared to solid metastases, isolated micrometastatic tumor cells are appropriate targets for intravenously applied anti-cancer therapeutics because they are easily accessible for macromolecules and immunologic effector cells. The majority of these tumor cells appear to be nonproliferating, which is consistent with the extended latency period (“dormancy”) between their primary diagnosis and the occurence of a subsequent metastatic relapse, and it may explain the failure of adjuvant chemotherapy. Adjuvant therapeutic strategies aimed at quiescent tumor cells are therefore of increasing interest. Key words: Minimal residual disease, immunocytochemistry, polymerase chain reaction, bone marrow, lymph node D ie Mehrzahl aller Krebsneuerkrankungen sowie der malignombedingten Todesfälle in den westlichen Industrieländern wird durch maligne epitheliale Tumoren verursacht. Bei zunehmenden Resektabilitätsmöglichkeiten im Laufe der letzten Jahrzehnte wird die Mortalitätsrate immer häufiger durch eine frühzeitige okkulte Tumorzelldissemination bestimmt (20, 39, 40), welche mit konventionellen histopathologischen Stagingmethoden sowie bildgebenden Stagingmodalitäten (49) nicht nachzuweisen ist. Deshalb richtet sich die Indikation zu einer systemischen adjuvanten Therapie nach vollständiger Resektion des Primärtumors und der regionalen Lymphknoten zur Prävention der Metastasierung nach statistisch gewonnenen Prognose-Indizes (wie Tumorstadium, Tumorgrading). Für eine differenzierte Indikationsstellung und ein individuelles Therapiekonzept wäre der direkte Nachweis einer minimalen residualen Tumorerkrankung von größter Bedeutung. Das Metastasierungsverhalten von soliden epithelialen Tumoren ist Thema zahlreicher molekularer Untersuchungen und hat zur Identifika1 Chirurgische Klinik und Poliklinik (Direktor Komm.: Prof. Dr. med. Jakob R. Izbicki), Universitäts-Krankenhaus Eppendorf, Hamburg 2 Medizinische Klinik und Poliklinik (Direktor: Prof. Dr. med. Dieter Kurt Hossfeld), Universitäts-Krankenhaus Eppendorf, Hamburg 3 Frauenklinik und Poliklinik (Direktor: Prof. Dr. med. Fritz Jänicke), Universitäts-Krankenhaus Eppendorf, Hamburg A-1526 Deutsches Ärzteblatt 97, Heft 22, 2. Juni 2000 SUMMARY tion einer Vielzahl von Faktoren geführt, die den Metastasierungsprozess regulieren. Es ist jedoch weiterhin unbekannt, welche „Milieubedingungen“ in mesenchymalen Organen wie dem Knochenmark oder den Lymphknoten vorliegen müssen, um ein Wachstum epithelialer Tumorzellen zu ermöglichen. Des Weiteren ist das Phänomen der so genannten „Tumor Cell Dormancy“ bisher nicht geklärt. Zwar haben Einzelzellanalysen gezeigt, dass die Mehrzahl der disseminierten Tumorzellen nicht proliferiert, jedoch bleibt unklar, welche Faktoren die zum Teil ausgeprägte Latenzzeit, die von der Tumorzellstreuung bis zur klinischen Manifestation einer Metastase vergeht (42), bestimmen. Adjuvante Therapiemodalitäten, die sich sowohl gegen ru- M E D I Z I N AKTUELL hende als auch gegen proliferierende Zellen richten, scheinen daher eine interessante Alternative beziehungsweise Ergänzung zu antiproliferativen adjuvanten Therapieoptionen zu sein. Da in letzter Zeit zunehmend immunzyto- und immunhistochemische und molekulare Analyseverfahren Eingang in die Diagnostik der minimalen Tumorzelldissemination gefun- Abbildung 1: Zytokeratin-positive Zelle im Knochenmark (APAAP-Färbung, monoklonaler Antikörper A45B/B3). den haben, soll im Folgenden ein Überblick über den derzeitigen Stand der Forschung, aber auch der sich daraus ergebenden neuen Therapieansätze, die zu einer Prävention der Metastasierung führen sollen, gegeben werden. haben sich Zytokeratine als integrale Bestandteile des Zytoskeletts epithelialer Zellen als vielversprechend erwiesen. Zytokeratine werden auch von Tumorzellen stabil exprimiert und sind mit spezifischen monoklonalen Antikörpern an einzelnen Karzinomzellen eindeutig nachweisbar. Ihre Spezifität ist im Vergleich zu so genannten tumorassoziierten Zellmembranproteinen ungleich höher (41, 49). Außerdem konnten immunhistochemische Analysen an Knochenmarkbiopsien zeigen, dass im Interstitium gelegene Zytokeratin-(CK-)positive Tumorzellen zum großen Teil außerhalb der sinusoidalen Gefäße anzutreffen sind. Folglich müssen diese Zellen die Extravasion, einen der letzten Schritte der Metastasierungskaskade, erfolgreich durchlaufen haben (48). Eine ektope Expression von Zytokeratinproteinen sowie die ektope oder illegitime mRNA-Expression von Zytokeratinen in mesenchymalen Zellen ist allerdings nicht vollständig auszuschließen (27, 56, 58), jedoch zeigen zahlreiche Studien an einer großen Anzahl von Kontrollpatienten mit benignen Erkrankungen nur eine äußerst seltene Zytokeratinex- Abbildung 2: Ber-EP4-positive Tumorzelle in histopathologisch „tumorfreiem“ Lymphknoten. pression in Knochenmarkzellen (39, 41, 49). Eine Limitation der immunzytochemischen Analysen ist die subjektive Auswertung der zytologischen Präparate. Im Rahmen eines Ringversuchs unter Leitung von Klaus Pantel wurden daher objektivierbare Kriterien für die Beurteilung immunzytochemisch gefärbter Einzelzellen erarbeitet (2). Bei circa 20 bis 30 Prozent der untersuchten Patienten mit verschiedenen Tumorentitäten im klinischen Stadium M0 (M0, kein Nachweis von Fernmetastasen) konnte mithilfe verschiedener Antikörper eine minimale Tumorzelldissemination im Knochenmark nachgewiesen werden (Abbil- Tabelle 1 Hämatogene Tumorzelldissemination Einige epitheliale Tumorentitäten metastasieren bevorzugt in das Skelett. Es bietet sich daher an, dieses leicht zugängliche Kompartiment durch Knochenmarkaspiration direkt zu explorieren, insbesondere deswegen, da im Knochenmarkraum ein intensiver Zellaustausch zwischen zirkulierendem Blut und Stroma stattfindet. Die Identifikation einzelner Tumorzellen im Knochenmark ist zytologisch sehr schwierig, während sich mikrometastatische Tumorzellaggregate mit der konventionellen zytopathologischen Methodik nachweisen lassen (5, 49). In den letzten Jahren ist der Tumorzellnachweis einzelner Zellen jedoch durch die Einführung sensitiver immunzytochemischer und molekularer Methoden möglich geworden (34, 40). Zur Identifikation einzelner Tumorzellen in zytologischen Präparaten des Knochenmarks Immunzytochemische Studien zur prognostischen Relevanz von disseminierten Tumorzellen im Knochenmark Tumorart MarkerProteine Detektionsrate (%) Prognostischer Wert EMA EMA, TAG12, CK CK TAG12 CK 89/350 (25) 38/100 (38) 18/49 (37) 315/727 (43) 199/552 (36) DFS, OS DFS*, OS* DFS* DFS*, OS DFS*, OS* Kolorektalkarzinom CK18 28/88 (32) DFS* Magenkarzinom CK18 CK18 CK18 34/97 (35) 47/78 (60) 95/180 (53) DFS DFS DFS* Ösophaguskarzinom CK 37/90 (41) DFS Bronchialkarzinom (NSCLC) CK 17/43 (40) DFS CK18 83/139 (60) DFS* Mammakarzinom * Prognostischer Wert als unabhängiger Parameter durch multivariate Analyse bestätigt. EMA = Epithel-Membrane Antigen; CK = Zytokeratin; TAG 12 = tumorassoziiertes Glykoprotein 12; DFS = Disease-Free Survival (rezidivfreie Überlebenszeit); OS = Overall Survival (Gesamtüberlebenszeit); NSCLC = Non-Small Cell Lung Cancer (nichtkleinzelliges Lungenkarzinom) Deutsches Ärzteblatt 97, Heft 22, 2. Juni 2000 A-1527 M E D I Z I N AKTUELL dung 1), die in der Regel weniger als 10 CK18+-Tumorzellen pro 8 x 105 mononukleärer Knochenmarkzellen ausmachte. Die prognostische Relevanz des Nachweises dieser disseminierten Tumorzellen im Knochenmark konnte bei verschiedenen Tumorentitäten demonstriert werden (Tabelle 1). Hinsichtlich der quantitativen Analyse solcher Befunde fanden Cote et al. (8) zwar ein erhöhtes Rezidivrisiko bei den MammakarzinomPatientinnen mit einer höheren Anzahl disseminierter Zellen, jedoch erscheint die Vergleichbarkeit des Probenvolumens problematisch. Bei Patienten mit Magenkarzinom konnten von Heiss et al. bei wiederholtem Nachweis von Tumorzellen im Knochenmark im Krankheitsverlauf ein höherer prädiktiver Wert hinsichtlich der Metastasierungsrate nachgewiesen werden als bei alleinigem Tumorzellnachweis am Tag der Operation des Primärtumors (15). allen Studien konnte eine unabhängige prognostische Bedeutung dieses immunhistochemischen Tumorzellnachweises hinsichtlich der Rezidivrate und des Gesamtüberlebens durch eine multivariate Analyse bestätigt werden. Im Gegensatz zur Analyse von Knochenmark oder Blut ist die Analyse von Lymphknotenschnitten jedoch lediglich nach der Resektion des Primärtumors möglich und somit nicht als Verlaufskontrolle von Thera- Nachweis disseminierter Tumorzellen Auch wenn derzeit die immunzyto- und histochemische Analyse zur Detektion einer minimalen Tumorzellstreuung als Standard angesehen wird, sind diese Verfahren sehr zeitaufwendig. Das aufwendige mikroskopische Screening größerer Mengen von zytologischen Präparaten könnte in Zukunft durch die au- Tabelle 2 Phänotyp Zytokeratin-positiver Zellen im Knochenmark Marker Wachstumsfaktorrezeptoren erbB2 Transferrin-Rezeptor Tumorherkunft Marker+/CK+-Zellen n Patienten Mamma Kolorektum/Magen Mamma Kolorektum 48/71 (67,6%) 14/50 (28,0%) 17/59 (28,8%) 7/41 (41,1%) Mamma Kolon/Magen 9/26 (34,6%) 37/65 (56,9%) Mamma Kolorektum Lunge (NSCLC) Lunge (NSCLC) Kolorektum/Magen 20/31 (64,5%) 4/6 (66,7%) 13/31 (41,9%) 4/12 (33,3%) 4/13 (30,8%) Mamma Kolorektum/Magen Mamma Kolorektum/Magen 1/12 ( 8,3%) 0/21 1/11 ( 9,1%) 9/32 (28,1%) MHC-Klasse-I-Antigene Lymphogene Disseminierung Da die lymphogene Disseminierung eine große prognostische Bedeutung hat, scheint die Untersuchung von Lymphknoten auf minimale Tumorzelldissemination zur Abschätzung des Krankheitsverlaufs sinnvoll. Der immunhistochemische Nachweis von einzelnen Tumorzellen in histopathologisch tumorfreien Lymphknoten mit dem antiepithelialen Antikörper Ber-EP4 konnte bei verschiedenen Tumorentitäten geführt werden (19, 20, 44) (Abbildung 2). Da dieser Antikörper mehr als 90 Prozent der untersuchten Primärtumoren homogen anfärbt, scheint er zum Nachweis einer minimalen lymphatischen Tumorzelldissemination geeignet. So konnten bei 15,2 Prozent der untersuchten Patienten mit Bronchialkarzinom, bei 43 Prozent der Patienten mit Pankreaskopfkarzinom und bei 62 Prozent der Patienten mit Ösophaguskarzinom einzelne Tumorzellen in histopathologisch unauffälligen Lymphknoten nachgewiesen werden. Dieser Nachweis korrelierte nicht mit etablierten Risikofaktoren, wie dem T-Stadium, dem N-Stadium und dem Differenzierungsgrad des Tumors. In Adhäsionsmoleküle 17-1A ICAM-1 Plakoglobin Proliferationsassoziierte Proteine Ki-67 pl20 pieansätzen geeignet. Dennoch könnten möglicherweise in Zukunft entsprechende Subkollektive von Patienten, entsprechend eines verfeinerten Staging, mit konventioneller und immunhistochemischer Beurteilung der Tumorzelldissemination für geeignete adjuvante Therapieformen selektiert werden (20). Auch die lymphatische Mikrodissemination von epithelialen Tumoren scheint wie die Knochenmarkmikroabsiedelung ein Indikator für eine systemische Dissemination zu sein, die durch aggressivere chirurgische Therapieansätze, wie zum Beispiel eine radikale systematische Lymphadenektomie, nicht beeinflusst werden kann (21). A-1528 Deutsches Ärzteblatt 97, Heft 22, 2. Juni 2000 tomatisierte Analyse der gefärbten Präparate mithilfe von Bildanalysesystemen (Scanner), welche derzeit in ersten Studien eingesetzt werden, erleichtert werden. Auch Verfahren zur Anreicherung disseminierter Tumorzellen (mit magnetischen MicroBeads) stellen eine Alternative zur Analyse großer Probenvolumina dar. Eine Bewertung solcher Verfahren steht jedoch bislang aufgrund weniger vorliegender Daten noch aus. Als weitere Alternative zur aufwendigen Immunzyto- und -histochemie wurde vor kurzem ein Enzymimmunoassay (ELISA) etabliert (17). Weiterhin kommen molekulare Nachweisverfahren vermehrt zum Einsatz. Hier M E D I Z I N AKTUELL kann die DNA disseminierter Tumorzellen mittels der Polymerasekettenreaktion (PCR) millionenfach vermehrt werden, sodass auch geringste Mengen solcher Tumorzellen für ihren Nachweis ausreichen (57). Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass die Tumorzelle spezifische Veränderungen in ihrem Genom oder ihrem mRNA-Expressionsmuster aufweist, die sie von den umgebenden hämatopoetischen Zellen unterscheidet. Die ausgeprägte genetische Heterogenität der Primärtumoren erfordert jedoch für den Nachweis tumorspezifischer genomischer Veränderungen auf Einzelzellebene einen erheblichen technischen Aufwand (14, 54). Momentan stellt die Spezifität des Tumorzellnachweises die größte Hürde dar, da hämatopoetische Zellen im PCR-Reaktionsgefäß im Überschuss vorliegen und somit selbst bei geringer mRNA-Expression der entsprechenden Marker-mRNA durch diese hämatopoetischen Zellen ein falsch positives Resultat entstehen kann (23). Eine Standardisierung dieser neuen, sehr interessanten Nachweistechniken sollte daher durch methodischen Abgleich im Ringversuch erreicht werden. Auch muss die klinische Relevanz dieser Untersuchungstechniken in Nachbeobachtungsstudien geklärt und die Bedeutung im Vergleich zur immunzyto- und -histochemischen Analyse überprüft werden. Charakterisierung Zur Klärung der biologischen Relevanz der minimalen Tumorzelldissemination wurden immunzytobeziehungsweise -histochemische Doppelfärbemethoden etabliert. So konnte der maligne Charakter CKpositiver Zellen im Knochenmark von Karzinompatienten durch den Nachweis tumorassoziierter Marker, wie der Expression von Lewis-YBlutgruppenvorläufer-Antigenen, der Überexpression des erbB2-Onkogens und der defizienten Expression von MHC-Klasse-I-Molekülen untermauert werden (35, 42, 43) (Tabelle 2). Auch auf genomischer Ebene wurde der maligne Charakter dieser Zellen mithilfe molekularzyto- genetischer Techniken bestätigt (10, 25, 33). Darüber hinaus konnte in Zellkulturexperimenten ein zeitlich limitiertes proliferatives Potenzial dieser ins Knochenmark disseminierten Tumorzellen gezeigt werden (36). Dieser Latenzzustand, auch „Dormancy“ genannt, der durch eine niedrige Frequenz von Tumorzellen, welche Proliferationsmarker (Ki-67, p120) exprimieren (38, 42), angezeigt wird, könnte eine Erklärung für die relative Resistenz disseminierter Tumorzellen gegenüber antiproliferativen Chemotherapeutika sein. Eine Elimination disseminierter Tumorzellen durch immunkompetente T-Lymphozyten wird häufig durch eine defiziente Expression von körper Ber-EP4 Tumorzellen nachgewiesen wurden, eine permanente Tumorzelllinie etabliert werden. Diese Zelllinie führte nach subkutaner Injektion in immundefizienten SCIDMäusen sowohl zu einer lokalen Tumorbildung (Abbildung 3) als auch zu einer Fernmetastasierung in Sekundärorgane. Therapie Da eine alleinige Resektion des Primärtumors und des regionären Lymphabflussgebietes oftmals nicht zu einem dauerhaften Therapieerfolg führt, gewinnt die adjuvante, systemische Therapie zunehmend an Bedeutung. Ziel zukünftiger Therapiestrategien muss es sein, für spezifische Subkollektive von Patienten eine optimale adjuvante Therapieform zu definieren (12). Der Grenzbereich der Wirksamkeit bisheriger adjuvanter Chemotherapieprotokolle liegt nur bei etwa 30 Prozent relativer Reduktion Abbildung 3: Lokale Tumorformation nach subkutaner Injektion ei- der Mortalität (32), sodass ner Tumorzelllinie, welche aus einem histopathologisch „tumorfrei- verschiedene Ursachen für en“, immunhistochemisch positiven Lymphknoten bei Ösophagus- eine primäre Resistenz diskarzinom generiert wurde, in einer immundefizienten SCID-Maus. kutiert werden. Neuere Entwicklungen versuchen Antigen-präsentierenden MHC-Klas- über die selektive Sensibilisierung se-I-Molekülen auf diesen Zellen be- von Tumorzellen gegenüber Chemohindert (Tabelle 2) (18). So lässt sich therapeutika eine bessere Wirksamerklären, dass eine minimale Tumor- keit zu erreichen. Erste Studien zeizelldissemination über viele Jahre gen, dass durch systemische Infektihinweg nicht vom Immunsystem er- on von Tumorzellen mit apathogekannt wird. Die defiziente MHC-Ex- nen adenoassoziierten Viren (AAVpression könnte auch die Effizienz 2) eine erhöhte therapeutische Wirkimmun- und gentherapeutischer An- samkeit erzielt werden könnte (24). sätze mit Tumorzellvakzinen beein- Eine grundsätzliche Limitierung der trächtigen. Antikörper mit MHC-un- Effektivität einer antiproliferativen abhängigen immunologischen Wirk- Chemotherapie bei „Minimal Resimechanismen sollten in diesem Zu- dual Disease“ nach R0-Resektion sammenhang eine bessere Wirkung könnte jedoch darin liegen, dass sich die Mehrzahl dieser disseminierten erwarten lassen. Das tumorigene und metastati- Tumorzellen in einer Ruhepause sche Potenzial von immunhistoche- (Dormant State) befindet (42), somisch detektierbaren Tumorzellen in dass neue oder ergänzende Therahistopathologisch negativen Lymph- pieverfahren bei diesen Patienten knoten konnte erstmals beim Öso- sinnvoll erscheinen. Hierbei sind insphaguskarzinom nachgewiesen wer- besondere adjuvante Therapieansätden (47). So konnte aus einem histo- ze mit Antikörpern, vom theoretipathologisch tumorfreien Lymph- schen Ansatz her und aufgrund erknoten, in welchem immunhistoche- ster Pilotstudien, vielversprechend (3, misch mit dem monoklonalen Anti- 11, 51). A-1530 Deutsches Ärzteblatt 97, Heft 22, 2. Juni 2000 M E D I Z I N AKTUELL Abgesehen von den positiven Ergebnissen bei der Behandlung fortgeschrittener maligner Lymphome mit einem anti-CD20-Antikörper sind die klinischen Erfahrungen zum Einsatz einer Antikörpertherapie bei fortgeschrittener Tumorerkrankung bislang unbefriedigend (52). Hingegen scheint diese Therapiestrategie für die minimale residuale Tumorerkrankung erfolgversprechender zu sein, nicht zuletzt deshalb, weil eine isolierte Tumorzelldissemination aufgrund der geringeren Tumorzellmasse ein günstigeres therapeutisches Ziel darstellt als eine klinisch apparente Metastasierung (31). Die einzige bislang publizierte, prospektive randomisierte Studie zum Einsatz eines monoklonalen Antikörpers (MAK 17-1A, edrecolomAb) im adjuvanten Therapieansatz konnte bei Patienten mit kolorektalem Karzinom im Stadium UICC III nach R0-Resektion eine signifikante Verbesserung des Gesamtüberlebens für behandelte Patienten nach einem Sieben-JahresVerlauf darstellen (Grafik) (46). Hierbei ist insbesondere interessant, dass es zu einer signifikanten Reduktion von Fernmetastasen kam, wohingegen kein Einfluss auf Lokalrezidive nachzuweisen war. Dies weist gerade beim kolorektalen Karzinom auf die Bedeutung der chirurgischen lokalen Sanierung im Hinblick auf die Lokalrezidiventwicklung hin (6, 26, 29). Das Ziel der Zytostatikatherapie sind proliferierende Tumorzellen, während Antikörper auch gegen solche Tumorzellen gerichtet sind, welche sich in einer mitotisch inaktiven Phase des Zellzyklus befinden. Deshalb scheint ein adjuvanter Therapieansatz des Antikörpers 17-1A (edrecolomAb) bei Patienten mit Kolonkarzinom zukünftig in Kombination mit Chemotherapie oder als Sequenzbehandlung nach erfolgter Chemotherapie sinnvoll (53). Erste Pilotstudien bei vorbehandelten Patienten mit Kolon- oder Mammakarzinomen belegen, dass chemotherapieresistente, disseminierte Tumorzellen durch intravenöse Gabe des 17-1A-Antikörpers eliminiert werden können (11). Darüber hinaus weisen die Er- fahrungen mit einem humanisierten Antikörper gegen das erbB2-Onkogen (Herceptin) bei Patientinnen mit metastasiertem Mammakarzinom auf den möglichen Erfolg einer solchen immunochemotherapeutischen Kombinationsbehandlung bei den Patientinnen hin (1, 45). Angesichs der Heterogenität residualer Karzinomzellen sowie deren Primärtumoren ist die vollständige Elimination aller residualen Tumorzellen durch den Einsatz eines Wertung und Ausblick Trotz Verbesserungen der chirurgischen Operationstechniken sowie der Anwendung multimodaler Therapiekonzepte ist die Prognose von Patienten mit malignen epithelialen Tumoren weiterhin unbefriedigend. Hierfür verantwortlich ist eine frühzeitige, prä- und perioperative Dissemination von Tumorzellen, die durch immunzyto- und histologische oder molekularbiologische Ver- Grafik Überlebende Patienten (in Prozent) 100 80 mAk 17-1A (Edrecolomab) 60 40 Kontrolle Log-rank p = 0,01 Wilcoxon p = 0,02 Cox p = 0,01 20 *n = 166 0 0 1 2 3 4 5 Jahre 6 7 8 9 10 Kaplan-Maier-Kurven für rezidivfreies Überleben bei R0-resezierten Kolonkarzinompatienten im Stadium UICC III mit beziehungsweise ohne adjuvante edrecolomAb-Therapie (46). einzelnen Antikörpers eher unwahrscheinlich. Die Expression des 171A-Antigens, als Voraussetzung für eine Wirksamkeit der Antikörpertherapie, ist auf Kolonkarzinomzellen zwar relativ homogen; sie zeigt jedoch auf disseminierten Tumorzellen anderer solider Tumoren eine beachtliche Heterogenität. Durch Doppelfärbungsanalysen (17-1A/CK) ließe sich bezüglich der entsprechenden Expression von Antigenen für den einzelnen Patienten ein individuelles Antigenprofil hinsichtlich eines Antikörpereinsatzes erstellen. Daran anschließend wären Antikörpercocktails gegen verschiedene Membranproteine der Tumorzellen denkbar, um einen besseren Therapieeffekt zu erzielen. fahren als so genannte minimale residuale Krebserkrankung nachweisbar geworden ist und die eine genauere Risikoabschätzung hinsichtlich eines erhöhten Metastasierungsrisikos ermöglichen könnten. Aufgrund von Studien zur prognostischen Bedeutung disseminierter Tumorzellen im Knochenmark sind im Sinne eines erweiterten Tumorstaging die Bezeichnungen „mi“ (für Mikrometastasen) und „i“ (für isolierte Tumorzellen) optional in die Staging-Nomenklatur der UICC aufgenommen worden (16). Derzeit werden jedoch aus diesen Befunden noch keine obligaten Indikationsstellungen für adjuvante oder neoadjuvante Therapieansätze abgeleitet. Prospektive Studien zur Beurteilung Deutsches Ärzteblatt 97, Heft 22, 2. Juni 2000 A-1531 M E D I Z I N AKTUELL/FÜR SIE REFERIERT einer Wirksamkeit von adjuvanten Therapieschemata bei minimaler residualer Tumorerkrankung sind erforderlich. Hierzu ist die Erarbeitung von standardisierten Protokollen für den Tumorzellnachweis dringend notwendig. Der Erfolg einer adjuvanten Therapie lässt sich in der Regel erst nach einer mehrjährigen Beobachtungszeit abschätzen. Daher wäre ein Surrogat-Marker zum Monitoring eines Therapieerfolgs auch im Hinblick auf die Entwicklung neuer Therapieansätze wünschenswert. Diesbezüglich könnten Kontrolluntersuchungen des Knochenmarks und des peripheren Blutes während einer Therapie Hinweise auf die Wirksamkeit des jeweiligen therapeutischen Ansatzes geben. Diese beiden Kompartimente bieten sich wegen ihrer leichten Zugänglichkeit für derartige Verlaufskontrollen an. Die bisherigen Erfahrungen deuten darauf hin, dass mithilfe von Anreicherungsverfahren ein immunzytochemisches oder molekulares Monitoring der disseminierten Tumorzellen prinzipiell möglich ist (3, 4, 37, 51). Langzeitbeobachtungen bezüglich der Korrelation einer therapieassoziierten Reduktion von disseminierten Tumorzellen mit der individuellen Prognose der Patienten stehen jedoch noch aus. Erste ermutigende Ergebnisse hinsichtlich der prognostischen Relevanz von chemotherapieresistenten Tumorzellen im Knochenmark konnten vor kurzem beim Mammakarzinom erzielt werden (4). Zitierweise dieses Beitrags: Dt Ärztebl 2000; 97: A-1526–1532 [Heft 22] Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf das Literaturverzeichnis, das über den Sonderdruck beim Verfasser und über das Internet (www.aerzteblatt.de) erhältlich ist. Anschrift für die Verfasser Prof. Dr. med. Jakob R. Izbicki Chirurgische Klinik und Poliklinik Universitäts-Krankenhaus Eppendorf Abteilung für Allgemeinchirurgie Martinistraße 52 20246 Hamburg E-Mail: [email protected] Konservative Behandlung eingewachsener Zehennägel mit Nagel-Korrekturspangen Eingewachsene Zehennägel sind eine häufige und für die betroffenen Patienten sehr beeinträchtigende Störung. Ein großer Teil der Patienten wird operativ behandelt, in der Dermatologie heute bevorzugt nach der von Haneke beschriebenen Methode, der isolierten lateralen Matrixentfernung durch Resektion oder Phenolverödung. Bei den meisten Patienten mit Unguis incarnatus und Paronychie wäre die Behandlung mit Nagelkorrekturspangen eine brauchbare Alternative zur Operation. Technik und Erfolgsaussichten der Anwendung von Nagelkorrekturspangen bei eingewachsenen Nägeln – derzeit eine Domäne professionell arbeitender Fußpflegerinnen und Fußpfleger – sind den wenigsten Ärzten bekannt. Dabei ist die Spangentechnik in ihren Ergebnissen der Operation durchaus vergleichbar. Sie hat zudem den Vorteil, dass der Patient nach Anlegen einer geeigneten Spange infolge Druckentlastung sofort Schmerzlinderung spürt, meist normale Schuhe tragen kann und, wenn er berufstätig ist, ohne Unterbrechung arbeitsfähig bleibt. Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang auf die Resultate einer vergleichenden prospektiven Studie aus der Chirurgischen Universitätsklinik Erlangen. Dabei wurden bei 20 mit einer Emmert-Plastik operierten Patienten und 21 mit der Spange behandelten Patienten Verlauf und Rezidivraten, Schmerzempfinden, Behinderung und Therapiedauer verglichen. Rezidive wurden hier bei drei operierten und vier Spangenpatienten beobachtet. Im Patientenstamm des Autors liegt die Rezidivquote bei etwa 1 500 behandelten Fällen unter einem Prozent. Die Angaben über die Schmerzintensität, beurteilt anhand einer linearen analogen Schmerzskala, zeigte in der Gruppe der Spangenpatienten (Schmerzen beim Setzen der Spange und danach), deutlich geringere Werte als in der OP-Gruppe (postoperative Schmerzen). Gebrauch von Schmerzmitteln wurde von sieben operierten Patienten angegeben. Die Spangenpatienten benötigten ausnahmslos keine Schmerzmittel. Zu the- A-1532 Deutsches Ärzteblatt 97, Heft 22, 2. Juni 2000 rapiebedingter Arbeitsunfähigkeit mit einer durchschnittlichen Dauer von 14,2 Tagen kam es in der OP-Gruppe bei 10 von 12 in einem Arbeitsverhältnis stehenden Patienten. Von den 8 arbeitenden Spangenpatienten hatte keiner einen Arbeitsausfall. Die Therapiedauer war in der mit Spangen behandelten Gruppe mit durchschnittlich 77,3 Tagen um etwa das Dreifache länger als bei den operierten Patienten. Trotzdem liegen unter Berücksichtigung der postoperativen Arbeitsausfälle die geschätzten volkswirtschaftlichen Gesamtkosten bei den Spangenpatienten um etwa 75 Prozent niedriger als in der OP-Gruppe. Die Anzahl der Konsultationen war trotz der längeren Behandlungsdauer der Spangenpatienten nicht höher als in der OP-Gruppe. Sco Scholz N, Harrer J, Schneider I: Die konservative Behandlung eingewachsener Zehennägel mit Nagel-Korrekturspangen. Erfahrungen in einer ärztlichen Praxis. In: Akt Dermatologie 1999; 25: 340–345. Dr. med. Norbert Scholz, Neusser Straße 28, 47798 Krefeld. Diskussionsbeiträge Zuschriften zu Beiträgen im medizinisch-wissenschaftlichen Teil – ausgenommen Editorials, Kongressberichte und Zeitschriftenreferate – können grundsätzlich in der Rubrik „Diskussion“ zusammen mit einem dem Autor zustehenden Schlusswort veröffentlicht werden, wenn sie innerhalb vier Wochen nach Erscheinen der betreffenden Publikation bei der Medizinisch-Wissenschaftlichen Redaktion eingehen und bei einem Umfang von höchstens einer Schreibmaschinenseite (30 Zeilen mit je 60 Anschlägen, Literaturverzeichnis mit bis zu vier Zitaten) wissenschaftlich begründete Ergänzungen oder Entgegnungen enthalten. Für Leserbriefe anderer Ressorts gelten keine besonderen Regelungen (siehe regelmäßige Hinweise). DÄ/MWR