-1- 7 PHASENGLEICHGEWICHTE UND PHASENÜBERGÄNGE 7.1 Ein-Komponenten-Systeme Verdampfen, Gefrieren, oder die Umwandlung von Graphit in Diamant sind Beispiele für Phasenübergänge einzelner Komponenten. Normalerweise werden Phasenübergänge anhand der freien Enthalpie diskutiert. Der Grund ist, dass meist Druck und Temperatur von außen vorgegeben sind. Unter diesen Randbedingungen ist das System im Gleichgewicht, wenn G möglichst klein ist, d.h. bei minimalem chemischem Potential. Achtung: Oft sind die Übergänge zwischen Phasen sehr langsam. Beispiel: C-Atome in Graphit haben ein niedrigeres chemisches Potential als C-Atome in Diamant. Im Gleichgewicht müsste Kohlenstoff also in Form von Graphit vorliegen. Diamant gibt es nur, weil der Diamant-Graphit-Übergang sehr langsam ist. Die Geschwindigkeit, mit der ein Gleichgewicht erreicht wird, ist aber ein Problem der Kinetik und nicht der Thermodynamik. 7.1.1 Phasen-Diagramme 7.1.1.1 Gefrierpunkt Kühlt man eine Flüssigkeit ab, dann verringert sich die thermische Bewegung der Moleküle. Bei einer bestimmten Temperatur ist die kinetische Energie der Moleküle so gering, dass sie sich geordnet zusammenlagern und einen Kristall bilden. Diese Temperatur nennt man Gefrierpunkt (freezing point) oder Schmelzpunkt (melting point). Der normale Gefrierpunkt einer Flüssigkeit ist der Gefrierpunkt bei Normaldruck (101,3 kPa). Während des Gefrierens bleibt die Temperatur des fest/flüssigen Systems konstant. Erst wenn alle Flüssigkeit gefroren ist, kann die Temperatur weiter sinken. Die Wärme, die einem System entzogen werden muss, um 1 mol einer Flüssigkeit zu gefrieren, nennt man molare Kristallisationsenthalpie. Betragsmässig die gleiche Wärmemenge ist notwendig, die Substanz zu schmelzen. Die Energie, die am Schmelzpunkt notwendig ist, 1 mol einer Substanz zu schmelzen, heißt molare Schmelzenthalpie (heat of fusion) ΔfusH oder Schmelzwärme. Molare Schmelz- und Verdampfungsenthalpien am Schmelz- bzw. Siedepunkt. Schmelzenthalpien sind normalerweise wesentlich kleiner als die Verdampfungsenthalpien, da die Moleküle nicht voneinander getrennt werden müssen. Eine AusPCIII-07.DOC MASKOS/BUTT 09.05.2009 -2- nahme bilden Substanzen mit stark gerichteten kovalenten Bindungen. Beispiel: Graphit. Graphit sublimiert direkt vom festen in den gasförmigen Zustand bei 4492°C mit einer Übergangsenthalpie von 117 kJ/mol. 7.1.1.2 Darstellung im Phasendiagramm Das Phasenverhalten wird oft in P-T-Diagrammen dargestellt. Für eine typische Substanz ist das Phasendiagramm in der folgenden Abbildung schematisch dargestellt. Um sich das Phasenverhalten eines Stoffs klar zu machen, ist es instruktiv, verschiedene Prozesse zu betrachten: Fall 1: Angenommen wir erhöhen bei konstantem äußeren Druck die Temperatur einer Flüssigkeit. Der Dampfdruck der Flüssigkeit steigt. Es kann aber keine Flüssigkeit verdampfen, solange der Druck, der durch den Kolben ausgeübt wird, größer ist als der Dampfdruck bei dieser Temperatur. Irgendwann ist die Temperatur so groß, dass der Dampfdruck gerade dem äußeren Druck entspricht. Dann beginnt Flüssigkeit zu verdampfen. Das geschieht am Siedpunkt. Am Siedepunkt koexistieren Flüssigkeit und Dampf. In dieser Situation führt eine zusätzliche Wärmezufuhr nicht zu einer Temperaturerhöhung, sondern nur zu einem zusätzlichen Verdampfen von Flüssigkeit, bis alles gasförmig ist. Erhöht man die Temperatur weiter, liegt im Gleichgewicht nur noch die gasförmige Phase vor. Der beschriebene Prozess entspricht einer horizontalen Linie im P-T-Diagramm. So etwas kann man in Form einer Erwärmungskurve darstellen oder messen. Eine Erwärmungskurve zeigt die Temperatur gegen die Zeit bei konstanter Erwärmung, d.h. pro Zeit wird dem System eine konstante Wärme zugeführt. Die Zeitachse entspricht also der insgesamt zugeführten Wärme. Eine typische Erwärmungskurve, ausgehend vom Festkörper ist in der Darstellung gezeigt. grenze PCIII-07.DOC MASKOS/BUTT 09.05.2009 -3- Fall 2: Anders verläuft eine Erhitzung bei festem Volumen. Bereits bei tiefen Temperaturen liegt ein Teil der Materie gasförmig vor. Im Gas herrscht der Dampfdruck, der zu dieser Temperatur gehört, d.h. man befindet sich auf dem entsprechenden Punkt auf der Dampfdruckkurve (Kleine Korrektur: Füllt man Flüssigkeit in einen Behälter und schließt den Behälter, dann befindet sich meist noch etwas Umgebungsgas im Behälter. D.h. zu Beginn ist der Druck etwas höher als der Dampfdruck und man startet etwas links von der Dampfdruckkurve). Erhöht man die Temperatur, steigt die Menge, die gasförmig vorliegt. Dabei steigt die Dichte des Dampfes, die Dichte der Flüssigkeit nimmt ab. Schließlich verschwindet die Phasengrenze, die Dichten von Flüssigkeit und Dampf sind gleich. Das geschieht bei der kritischen Temperatur TC (Dabei sei vorausgesetzt, dass das Volumen, welches die Flüssigkeit am Beginn des Prozesses einnimmt, nicht verschwindend klein gegen das Gesamtvolumen ist. Andernfalls ist schon vor dem Erreichen des kritischen Punktes die Flüssigkeit vollständig verdampft). Oberhalb der kritischen Temperatur gibt es selbst bei extrem hohen Drücken keine flüssige Phase. Der beschriebene Prozess entspricht einer Bewegung auf der Dampfdruckkurve bis zum kritischen Punkt und danach auf einer Diagonalen nach rechts oben im P-T-Diagramm. Praktisch muss der Behälter sehr stabil sein, sonst knallt’s. Beispiel: Die kritische Temperatur von Wasser beträgt 374°C. Am kritischen Punkt herrscht ein Druck von 218 bar! Fall 3: Bei konstanter Temperatur wird der Druck auf eine Flüssigkeit verringert, indem der Kolben, der das Gefäß verschließt, herausgezogen wird. Solange der Druck größer als der Dampfdruck bei dieser Temperatur ist, liegt nur die flüssige Phase vor. Beim Erreichen des Dampfdrucks beginnt die Flüssigkeit zu sieden und zu verdampfen. Der Druck ändert sich beim weiteren Herausziehen solange nicht mehr, bis alle Flüssigkeit verdampft ist. Für Drücke unterhalb des Dampfdrucks liegt im Gleichgewicht nur noch PCIII-07.DOC MASKOS/BUTT 09.05.2009 -4- die Gasphase vor. Dieser Vorgang entspricht einer senkrechten Linie im P-TDiagramm. Im Allgemeinen gibt es einen Punkt, den Tripelpunkt, bei dem alle drei Phasen koexistieren. Für Wasser ist der Tripelpunkt bei 273,16 K und bei 6,11 mbar (=611 Pa). Für Kohlendioxid liegt der Tripelpunkt bei 216,8 K und 5,11 bar. Bei Normaldruck kann CO2 also nicht flüssig werden. Kühlt man es ab, so sublimiert es. 7.1.2 Abhängigkeit des chemischen Potentials von T und P Das chemische Potential eines reinen Stoffs hängt vom Aggregatzustand ab. Die Phase, die bei gegebenem T und P das niedrigste chemische Potential hat, ist stabil. Starten wir unsere Veranschaulichung bei kleiner Temperatur. Dort ist i.a. das chemische Potential des Festkörpers μsolid am geringsten. Mit steigender Temperatur ändern sich die chemischen Potentiale, und bei einer bestimmten Temperatur, der Schmelztemperatur, fallen μsolid und das chemische Potential der Flüssigkeit μliquid zusammen. Der Festkörper schmilzt. Steigt die Temperatur weiter, fällt das chemische Potential des Gases μvapor unter das der Flüssigkeit und die Flüssigkeit verdampft. μ Tm Tb T Zur quantitativen Beschreibung geht man von der differentiellen Änderung der freien Enthalpie bei konstanter Molzahl aus: dG = − SdT + VdP Division durch die Molzahl führt zu den molaren Größen: dGm = − S m dT + Vm dP Dies entspricht in homogenen Phasen dem chemischen Potential: dμ = − S m dT + Vm dP Die Temperaturabhängigkeit des chemischen Potentials ist durch die molare Entropie bestimmt: ∂μ ∂T = −S m P Aus dieser Gleichung folgen unmittelbar zwei wichtige Sachverhalte: • Die Entropie ist positiv, d.h. das chemische Potential nimmt mit steigender Temperatur ab. • Die molare Entropie eines Festkörpers S msolid ist relativ klein gegenüber der Entropie einer Flüssigkeit S mliquid oder der eines Dampfs S mvapor , denn die Unordnung der Moleküle nimmt zu. Der Abfall von μ mit steigendem T ist daher für Gase größer als für Flüssigkeiten und Festkörper. Deshalb verdampfen alle Stoffe bei hoher Temperatur. PCIII-07.DOC MASKOS/BUTT 09.05.2009 -5- Die Druckabhängigkeit ist durch das molare Volumen bestimmt: ∂μ = Vm ∂P T Wieder gibt es zwei wichtige Konsequenzen: • Vm ist positiv, d.h. das chemische Potential nimmt mit steigendem Druck zu. • Das molare Volumen eines Festkörpers Vmsolid ist meist kleiner als das Molvolumen der Flüssigkeit Vmliquid und beide sind wesentlich kleiner als das Molvolumen des Gases Vmvapor . D.h. für Festkörper und Flüssigkeiten ändert sich μ nur schwach mit dem Druck. Für Gase erwartet man eine starke Abhängigkeit. 7.1.3 Die Clausius-Clapeyron1-Gleichung Hat man eine Flüssigkeit in einem geschlossenen Behälter und ist nicht der gesamte Behälter gefüllt, bildet sich über der Flüssigkeit eine Dampfphase aus. Der Druck des Dampfes ändert sich mit der Temperatur: Erhöhe ich die Temperatur, verdampft mehr Flüssigkeit und der Dampfdruck steigt. Die Clausius-Clapeyron-Gleichung beschreibt die Temperaturabhängigkeit des Dampfdrucks einer Flüssigkeit. Um sie abzuleiten, betrachten wir ein geschlossenes System in dem zwei Phasen vorliegen. Das eine ist die Flüssigkeit, das andere ihr Dampf. Dampf vapor Flüssigkeit liquid Die chemischen Potentiale der beiden Phasen sind μliquid und μvapor. Die infinitesimalen Änderungen sind für die als homogen angenommenen Phasen gegeben durch: dμ liquid = − S mliquid dTliquid + Vmliquid dPliquid dμ vapor = − S mvapor dTvapor + Vmvapor dPvapor Bemerkung: Das Gesamtvolumen ist nicht notwendiger Weise fest vorgegeben, son- P flüssig fest Diese Kurve wird durch die Clausius-ClapeyronGleichung beschrieben Tripelpunkt gasförmig TC 1 T Benoit Paul Émil Clapeyron, 1799-1864, franz. Ingenieur. PCIII-07.DOC MASKOS/BUTT 09.05.2009 -6- dern kann sich ändern. Die beiden Phasen sollen sich im Gleichgewicht befinden. D.h. Tliquid = Tvapor = Tb , Pliquid = Pvapor = P . Jetzt ändern wir P und Tb in der Weise, dass zu jedem Zeitpunkt die beiden Phasen im Gleichgewicht bleiben. Es gilt also immer dμ liquid = dμ vapor Daraus folgt − S mliquid dTb + Vmliquid dP = − S mvapor dTV + Vmvapor dP (V vapor m ) ( ) − Vmliquid dP = S mvapor − S mliquid dTb dP S mvapor − S mliquid = dTb Vmvapor − Vmliquid oder einprägsamer dP Δ vap S m = dTb Δ vapVm Die Änderung des Dampfdrucks mit der Temperatur hängt also ab • vom Unterschied der molaren Entropien des Dampfes und der Flüssigkeit. Je stärker sich die molaren Entropien von Dampf und Flüssigkeit unterscheiden, desto empfindlicher ändert sich der Dampfdruck mit der Temperatur; • vom Unterschied der Molvolumina. Je mehr sich das Molvolumen beim Verdampfen vergrößert, desto weniger ändert sich der Dampfdruck mit der Temperatur. Die Gleichung kann man auch durch die Enthalpie anstatt der Entropie ausdrücken. Tb ⋅ Δ vap S m entspricht der beim Kondensieren frei werdenden Wärme. Da der Druck in Flüssigkeit und Dampf gleich sind, entspricht dies der Enthalpieänderung. Wir können also schreiben: Δ vap H m dP = dTb Tb ⋅ Δ vapVm Diese Gleichung wird Clausius-Clapeyron-Gleichung genannt. Unter zwei Annahmen kann man die Gleichung vereinfachen: • Das Molvolumen der Flüssigkeit ist oft vernachlässigbar klein gegenüber dem Molvolumen des Gases, d.h. Δ vapVm ≈ Vmvapor . • Das Gas verhalte sich wie ein ideales Gas, d.h. Vmvapor = RT P . Setzt man dies ein, dann erhält man 1 dP Δ vap H m ⋅ = P dTb RTb2 d ln P Δ vap H m = dTb RTb2 Anwendung: Abschätzung der Dampfdruckänderung bei Raumtemperatur und Normaldruck mit Hilfe der Troutonschen Regel. Die Troutonsche Regel besagt, dass für viele Substanzen Δ vap H m Tb ≈ 85 J mol ⋅ K PCIII-07.DOC MASKOS/BUTT 09.05.2009 -7- gilt. Grund: Δ vap H m Tb ist gerade die Entropieänderung beim Verdampfen. Da die Entropie der Flüssigkeit gegenüber der Entropie des Gases i.a. vernachlässigbar ist, und sich Gase oft ähnlich wie ideale Gase verhalten, haben sie auch alle ungefähr dieselbe Entropie. Einsetzen in die Clausius-Clapeyron-Gleichung ergibt 1 dP 85 JK −1 mol −1 = = 0,034 K −1 P dTb 8,31JK −1mol −1 ⋅ 298 K D.h. bei Zimmertemperatur ändert sich der Dampfdruck pro Grad Temperaturänderung um 3,4%. Die vereinfachte Clausius-Clapeyron-Gleichung kann man leicht integrieren, vorausgesetzt Δ vap H m ist konstant. Die Integration erfolgt von einem Ausgangszustand mit P0, T0, die zu irgendeinem Zustand auf der Dampfdruckkurve gehören, z.B. dem Tripelpunkt. P ∫ d ln P' = P0 Δ vap H m R Tb ⋅ 1 P ∫ Tb'2 dTb ' ⇔ ln P0 = − Δ vap H m RTb T0 ⎛ Δ vap H m Mit der Konstanten K = exp⎜⎜ ⎝ RT0 ⎛ Δ vap H m P = P0 K ⋅ exp⎜⎜ − RTb ⎝ + Δ vap H m RT0 ⎞ ⎟ erhält man ⎟ ⎠ ⎞ ⎟ ⎟ ⎠ Es besteht also ein exponentieller Zusammenhang zwischen dem Dampfdruck und dem Kehrwert der Temperatur. Für drei Flüssigkeiten ist der Dampfdruck in der Tabelle am Ende des Kapitels und in der folgendenden Abbildungen gezeigt. In der logarithmischen Darstellung wird deutlich, dass der eben abgeleitete exponentielle Zusammenhang gut befolgt wird. n-Oktan 10 Dampfdruck / bar Dampfdruck / bar 2 H2O 1,5 Ethanol 1 0,5 0 0 20 40 60 Siedetemperatur / °C 80 100 1 n-Oktan H2O Ethanol 0,1 0,01 0,001 0,002 0,002 0,003 0,003 0,003 0,003 6 8 2 4 6 1/Siedetemperatur / 1/K Die Clausius-Clapeyron-Gleichung gilt nicht nur für den Dampfdruck, d.h für den Flüssigkeit-Gas-Übergang. Bis auf die letzte Gleichung könnte man die Ableitung für alle möglichen Phasenübergänge wiederholen, z.B. für den Festkörper-Flüssigkeit-Übergang. Man erhält dann die Abhängigkeit des Schmelzdrucks von der Schmelztemperatur Tm. In dem Fall stünde nicht die Verdampfungsenthalpie in der Gleichung, sondern die molare Schmelzenthalpie Δ fus H m und die Differenz der Molvolumina von Flüssigkeit und Festkörper Δ fusVm : PCIII-07.DOC MASKOS/BUTT 09.05.2009 -8- Δ fus H m dP = dTm Tm ⋅ Δ fusVm Δ fus H m ist normalerweise positiv. Die Differenz der Molvolumina von Flüssigkeit und Festkörper Δ fusVm ist normalerweise relativ klein. Das bedeutet, dass im Phasendiagramm der Schmelzdruck extrem steil mit der Temperatur steigt - viel steiler als der Dampfdruck. 7.1.4 Klassifizierung von Phasenübergängen Für homogene Ein-Komponenten-Systeme gilt dGm = dμ = − S m dT + Vm dP Daraus folgt ∂μ = Vm ∂P T und ∂μ ∂T = −S m P Am Phasenübergang erster Ordnung ändert sich das Molvolumen. Damit ändert sich auch die Ordnung und die molare Entropie. Trage ich Vm bzw. Sm gegen T (oder P) auf, dann gibt es einen Sprung in der Funktion. Außerdem gibt es einen Knick (keinen Sprung!) in der Kurve μ gegen T (oder P). D.h. μ(T) ist eine kontinuierliche Funktion, nicht aber seine Ableitung. Grund: ∂μ PhaseB ∂T − P ∂μ PhaseA ∂T = − S mPhaseB + S mPhaseA = −Δ A→ B S m P Der Ausdruck links gibt die Änderung in der Steigung von μ gegen T an. Rechts steht die molare Enthalpieänderung beim Phasenübergang, also z.B. die Verdampfungsenthalpie. Da für die Übergangswärme (P konstant) Δ A→ B S m = Δ A→ B H m T gilt, macht auch die molare Enthalpie aufgetragen gegen die Temperatur einen Sprung bei der Übergangstemperatur. Daraus ergibt sich noch eine wichtige Konsequenz: Ändert sich Hm sprungartig, dann divergiert die Wärmekapazität cP an dem Punkt, denn an der Unstetigkeitsstelle geht cP = ∂H m ∂T P gegen unendlich. Frage: Ist diese Divergenz von cP nicht physikalisch unsinnig? Nein, ist es nicht. Beispiel: Erhöhe ich die Temperatur von Wasser bei 1 bar von 99,9°C auf 100,1°C dann muss ich eine riesige Wärme hineinstecken, nämlich die Verdampfungswärme. Selbst wenn es gelänge, den Temperaturbereich beliebig klein machen (z.B. 99,99°C auf 100,01°C), bliebe die zur Verdampfung notwendige Wärme groß. PCIII-07.DOC MASKOS/BUTT 09.05.2009 -9- Vm μ Sm T T Hm T cP T T Änderung thermodynamischer Funktionen am Phasenübergang erster Ordnung. Bei Phasenübergängen zweiter Ordnung sind sowohl μ(T) als auch ∂μ ∂T kontinuierliche Funktionen von T. Erst die zweite Ableitung ist nicht kontinuierlich und hat einen Sprung. Das impliziert, dass sich beim Phasenübergang weder das Molvolumen noch die molare Entropie und damit auch die Enthalpie sprunghaft ändern. Die Wärmekapazität weist einen Sprung, aber keine Divergenz auf. Ein Beispiel dafür ist der Übergang von der Normalleitung zur Supraleitung von Metallen. Vm μ Sm T T Hm T cP T T Änderung thermodynamischer Funktionen am Phasenübergang zweiter Ordnung. Einen Sonderfall stellen die sogenannten λ-Phasenübergänge dar. Bei ihnen steigt die Wärmekapazität typischerweise schon vor Erreichen des Phasenübergangs an. Am Phasenübergang selbst kommt es zur Divergenz. Die Kurve cP(T) sieht dadurch aus wie ein griechisches λ. Deshalb werden diese Phasenübergänge λ-Übergänge genannt. Beispiele dafür sind der Übergang zu ferromagnetischem Verhalten oder der Übergang von Helium in den superfluiden Zustand. Vm μ Sm T T Hm T cP T T Änderung thermodynamischer Funktionen bei einem λ-Phasenübergang 7.2 Mehr-Komponenten-Systeme 7.2.1 Definition von Phasen und Komponenten Eine Phase ist ein physikalisch und chemisch homogener Bereich. Speziell gibt es gasförmige, flüssige und feste Phasen. Viele Festkörper können unterschiedlich Kristallformen einnehmen, die auch nebeneinander vorliegen können. Graphit und Diamant sind beispielsweise unterschiedliche Phasen. Eine Phase muss nicht räumlich zusammenhängen. Eiswasser beispielsweise besteht aus zwei Phasen, Eis und Wasser, auch wenn das Eis in Form vieler Stücke vorliegt. Diese Zerteilung darf aber nicht bis PCIII-07.DOC MASKOS/BUTT 09.05.2009 -10- zu molekularen Dimensionen gehen. Eine Phase kann aus chemisch unterschiedlichen Teilen bestehen. Eine 0,1 mol/l wässrige NaCl Lösung ist beispielsweie eine Phase. Dispersionen oder Suspensionen erscheinen auf makroskopischer Skala homogen, nicht aber auf mikroskopischer. In Dispersionen ist eine Phase in Form kleiner (< 1μm) Teilchen oder Tröpfchen in die Matrix einer anderen Phase eingelagert. Schwieriger wird die Definition der Phase in folgenden Systemen: • Systeme, die Mizellen oder Lipid-Doppelschichten enthalten. • Festkörper aus Blockcopolymeren, die aus zwei (oder mehr) Blöcken bestehen. Die jeweiligen Blöcke lagern sich oft zusammen und bilden auf der 10 nm-Skala Phasen. Jede Phase kann aus mehreren Komponenten, d.h. chemisch unterschiedlichen Anteilen bestehen. Die Zahl der Komponenten eines Systems C ist die kleinste Zahl unabhängiger Spezies in allen Phasen, die notwendig ist, das System vollständig zu beschreiben. Sind chemische Reaktionen ausgeschlossen erhält man C durch einfaches Abzählen. Beispiele: Reines Wasser: C=1; Wasser-Ethanol-Gemisch: C=2. Können die Spezies miteinander reagieren, dann wird es schwieriger. In diesem Fall ist C gegeben durch die Anzahl beteiligter Substanzen S minus der Zahl einschränkender Bedingungen R. Beispiele: 1. Wasser im Gleichgewicht mit Wasserdampf enthält eine Komponente. Man mag einwenden, dass Wasser zum Teil dissoziiert gemäß 2 H2O → OH- + H3O+. Man hat also genau genommen S=3. Dafür gibt es aber auch zwei einschänkende Bedingungen: [OH-]=[H3O+] und das Massenwirkungsgesetz. 2. NH4Cl → NH3 + HCl. Beteiligte Substanzen sind NH4Cl, NH3 und HCl. Also S=3. Einschränkende Bedingung sind [NH4Cl]=[NH3]=[HCl], also R=2. Daher C=1. 3. Gebe ich HCl zur Gasphase dazu ist C=2, denn das zweite Gleichheitszeichen gilt nicht mehr. 4. Glukose in Wasser gelöst. Es gibt zwei Spezies, Wasser und Glukose, d.h. S=2. Zwischen ihnen besteht kein Zusammenhang (solange keine gesättigte Lösung vorliegt), d.h. R=0. Damit C=2. 5. NaCl in Wasser gelöst (keine gesättigte Lösung). Zwei mögliche Standpunkt: (1) Ich habe H2O und NaCl die unabhängig voneinander sind. Also S=2, R=0, C=2. (2) Ich habe H2O, Na+, Cl- (S=3) und eine einschränkende Regel, nämlich [Na+]=[Cl-] (R=1). Also C=2. 6. Wässrige Phosphorsäure. Phosphorsäure kann verschieden protoniert vorliegen: H3PO4 ⇔ H2PO4- + H+ ⇔ HPO42- + 2 H+ ⇔ PO43- + 3 H+ Es gibt 6 Spezies nämlich H2O, H3PO4, H2PO4-, HPO42-, PO43-, H+, d.h. S=6. Jede Reaktion gibt eine bestimmt Stöchiometrie vor. Dadurch erhält man drei einschränkende Bedingungen. Außerdem muss die Lösung elektroneutral sein, d.h. die Ladungen aller Kationen und aller Anionen müssen sich gerade kompensieren. Dadurch steigt die Zahl einschränkender Bedingungen auf R=4. Also C=2. 7.2.2 Die Gibbssche Phasenregel Bei der Gibbsschen Phasenregel geht es darum, wieviele intensive Variable nötig sind, um den Zustand eines Systems festzulegen. Sei F die Zahl intensiver Variable, die unabhängig voneinander variiert werden können, ohne die Zahl der Phasen im System zu verändern. F nennt man „Freiheit des Systems“ (engl. variance). Die Gibbssche Phasenregel lautet: PCIII-07.DOC MASKOS/BUTT 09.05.2009 -11- F =C− P+2 P ist die Zahl der Phasen ist. Die Phasenregel gilt so nur für gewöhnliche Systeme. Hängt das System von anderen intrinsischen Parametern ab, z.B. der Magnetisierung, der Lichtintensität, der elektrischen Feldstärke, dann muss für jede dieser Parameter ein Freiheitsgrad addiert werden. Die Phasenregel ist dann z.B. F = C − P + 3. Ein-Komponenten-Systeme In Ein-Komponenten-Systemen gilt F = 3− P Angenommen, das ganze System liegt in einer Phase, beispielsweise fest, flüssig oder gasförmig vor. Dann ist F=2. Druck und Temperatur können unabhängig voneinander variiert werden, ohne das es zu einem Phasenübergang kommt. Frage: Warum wähle ich ausgerechnet P und T? Weil es bei der Phasenregel um die Zahl intensiver Variable geht. Befinde ich mich im Phasendiagramm auf einer Phasengrenze, beträgt die Freiheit des Systems mit P=2 nur F=1. Es steht nur noch eine unabhängige Variable zur Verfügung. Man könnte natürlich immer noch P und T variieren. Wenn ich dabei aber nicht die Phasengrenze verlassen möchte, kann ich die beiden nicht mehr unabhängig voneinander variieren. Für die flüssig-gasförmig-Grenze gibt z.B. die Clausius-ClapeyronGleichung eine Beziehung zwischen dem Druck und der Temperatur an. Noch weniger Freiheit gibt es am Tripelpunkt. Dort koexistieren alle drei Phasen (P=3). Damit F=0. Der Tripelpunkt ist genau festgelegt. Ändere ich einen intensiven Parameter, verlasse ich den Tripelpunkt. Ableitung der Gibbsschen Phasenregel für mehrere Komponenten Angenommen wir haben P Phasen. In jeder Phase kann man bis zu C Komponenten unterscheiden. Für jede Phase brauche ich C-1 Angaben, um die Qualität der Phase zu beschreiben. Grund: Die Qualität wird nur durch die Anteile der einzelnen Komponenten beschrieben, nicht durch die Gesamtmenge; deshalb “-1“. Da wir P Phasen haben, bräuchte man P ⋅ ( C − 1) Angaben, um die Zusammensetzung zu beschreiben. Zusätzlich würden noch P und T zur vollständigen Beschreibung nötig sein, d.h. P ⋅ ( C − 1) + 2 Angaben. Man kann die Situation wie folgt skizzieren: C1 ⇔ C1 ⇔ C1 ⇔ C1 ⇔ … ⇔ C1 C2 ⇔ C2 ⇔ C2 ⇔ C2 ⇔ … ⇔ C2 C3 ⇔ C3 ⇔ C3 ⇔ C3 ⇔ … ⇔ C3 CC ⇔ CC ⇔ CC ⇔ CC ⇔ … ⇔ CC P1 P2 P3 P4 PP Die Zahl wird durch Gleichgewichtsbedingungen zwischen den einzelnen Phasen reduziert. Komponente 1 sei beispielsweise aufgeteilt zwischen Phase 1 und Phase 2. Die Aufteilung wird durch ein Gleichgewicht beschrieben (z.B. durch die Clausius-Clapeyron-Gleichung). Ist also die Konzentration in Phase 1 vorgegeben, ist auch die Konzentration in Phase 2 bestimmt. In der Skizze ist dies durch die Gleichgewichtspfeile „⇔“ angedeutet. Für jede Komponente gibt es P-1 solcher Gleichgewichtsbedingungen, insgesamt also ( P − 1) ⋅ C einschränkende Bedingungen. Es verbleiben F = P ⋅ ( C − 1) + 2 − ( P − 1) ⋅ C = PC − P + 2 − PC + C = C − P + 2 PCIII-07.DOC MASKOS/BUTT 09.05.2009 -12- Freiheitsgrade. 7.2.3 Darstellung des Phasenverhaltens von Mehr-Komponenten-Systemen Bei zwei Komponenten trägt man oft den Molenbruch oder den Gewichtsanteil einer Substanz gegen die Temperatur auf. Dabei muss der Druck oder eine andere Bedingung vorgegeben sein. Ein typisches Verhalten bei der Mischung zweier Flüssigkeiten ist in der folgenden Abbildung für ein Wasser-Isobutanol-Gemisch gezeigt. Geht man bei fester Temperatur von reinem Wasser aus und gibt etwas Isobutanol hinzu (Punkt A) dann löst sich der Alkohol und man hat eine Mischphase vorliegen. Ab einem bestimmten Anteil Isobutanol kommt es zur Phasenseparation und der Alkohol bildet eine eigene Phase über dem Wasser. Bei hohem Isobutanol-Anteil kommt es wieder zu einer Mischphase. Diesmal ist Wasser im Alkohol gelöst (Punkt B). 160 Eine Mischphase 120 T / °C A B 80 Zwei separierte Phase 40 0 20 40 60 80 100 Gewichtsprozent Isobutanol Phasendiagramm für eine Mischung aus Wasser und Isobutanol. Die Messung wurde in einem geschlossenen Behälter durchgeführt, d.h. der Druck entspricht dem Dampfdruck der Mischung. Sind drei Komponenten A, B, und C anwesend, trägt man oft zwei Anteile gegeneinander auf während Druck und Temperatur fest vorgegeben sind. Dabei gibt es ein Problem: Trage ich im üblichen rechtwinkligen Koordinatensystem zwei Molenbrüche, z.B. xA und xB gegeneinander auf, dann ist nur die linke, untere Hälfte des Diagramms physikalisch möglich. In der oberen rechten Hälfte wäre die Summe der Molenbrüche größer Eins. Außerdem ist so ein Diagramm durch die Asymmetrie gegenüber C nicht anschaulich. xA 1 xA+xB+xC>1 xA+xB+xC=1 1 xB Deshalb verwendet man oft dreieckige Phasendiagramme: PCIII-07.DOC MASKOS/BUTT 09.05.2009 -13- A 0%C 100%A 20%C 80%A 40%C 60%A 60%C 40%A 80%C C 100%C 0%B 20%A 20%B 40%B 60%B 80%B 0%A 100%B B Ein Beispiel ist eine wässrige Lösung zweier Salze: Wasser Gesättigte Lösung + Salz B Lösung Gesättigte Lösung + Salz C Gesättige Lösung +Salz B + Salz C Salz B 7.3 Salz C Fragen und Tabellen Skizzieren Sie das Phasendiagramm einer einfachen Substanz. Wie sieht der Verdampfungsprozeß bei konstantem Druck und bei konstantem Volumen aus? Was beschreibt die Clausius-Clapeyron-Gleichung? Was sind Phasen, was Komponenten? Wie lautet die Gibbsche Phasenregel und was bedeutet sie? PCIII-07.DOC MASKOS/BUTT 09.05.2009 -14- Dampfdrücke für drei Flüssigkeiten in bar. 1/Tb K-1 n-Oktan H2O Ethanol 0 0.00366 0.004 0.006 0.016 10 0.00353 0.008 0.012 0.032 20 0.00341 0.013 0.023 0.058 30 0.00330 0.024 0.042 0.104 40 0.00319 0.041 0.073 0.178 50 0.00310 0.064 0.122 0.292 60 0.00300 0.103 0.197 0.464 70 0.00292 0.155 0.308 0.713 80 0.00283 0.230 0.467 1.070 90 0.00275 0.333 0.692 1.562 100 0.00268 0.466 1.000 Tb °C PCIII-07.DOC MASKOS/BUTT 09.05.2009