Abschlussbericht Robert Bosch1

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KL I N I K U N D P O L I KL IN I K F Ü R
P A L L I A T IV MED I Z IN
KL I N I KD I RE KT OR I N P R O F . C . B A U SE WE I N
Robert-Bosch-Stiftung „Palliative Praxis – Projekte für alte Menschen“
Abschlussbericht des Projektes: Seamless Palliative Care für ältere Menschen
Gefördert durch die Robert-Bosch-Stiftung
Bewilligungs-Nr.: 32.5.1364.0051.0
Förderzeitraum: 01.07.2013-30.06.2015
1. Hintergrund
Der Einsatz von Medikamenten in der Palliativmedizin erfordert ein spezialisiertes pharmakologisches Wissen. Auch wenn die medikamentöse Therapie oftmals nicht im Vordergrund steht, ist sie in der Palliativversorgung – insbesondere bei älteren Menschen – fast
immer präsent und wirft damit auch immer wieder Fragen auf. Für die Beantwortung dieser Fragen bleibt entweder keine Zeit, oder die Relevanz im Gesamtkontext wird unterschätzt. Ältere Patienten stellen eine besonders vulnerable Gruppe dar, da sie aufgrund
von multiplen Komorbiditäten oft eine Vielzahl von Medikamenten zur Behandlung der
Grunderkrankungen sowie zur Symptomkontrolle erhalten. Im Gegensatz zu älteren Menschen, die eine Vielzahl von Medikamenten aufgrund verschiedener Erkrankungen erhalten, ist bei den Palliativpatienten der zeitliche Kontext noch einmal besonders hervorzuheben: von welchen Medikamenten kann der Patient mit begrenzter Lebenserwartung noch
profitieren und bei welchen Arzneimitteln überwiegen die Risiken der Therapie? Der sichere Umgang mit Medikamenten stellt alle Beteiligten jeden Tag vor neue Herausforderungen und erfordert ein spezialisiertes Wissen. Viele Praktiken basieren auf Erfahrungswissen und sind nur begrenzt in der einschlägigen Fachliteratur zu finden. Um den Patienten
durch eine Arzneimitteltherapie jedoch nicht unnötig zu gefährden, bedarf es einer sorgfältigen Abwägung verschiedener Therapieoptionen, die aufgrund unzureichender Daten oftmals sehr anspruchsvoll ist. Durch den Wechsel des Behandlungssektors, beispielsweise
bei Entlassung aus dem Krankenhaus, kann eine wohlüberlegte und geplante Therapie
jedoch leicht wieder durcheinander geraten. Der Apotheker kann sektorenübergreifend
Ansprechpartner für die an der medizinischen Versorgung beteiligten Personen sein; hierdurch soll die Versorgung und Behandlung mit Arzneimitteln „seamless“ – also nahtlos
sicher gestaltet werden.
Ausgangssituation
Die Qualität der palliativmedizinischen Versorgung älterer Patienten hängt sehr von der lokalen
Infrastruktur ab und ist im Großraum München sehr heterogen. Grundsätzlich ist das Netz an
palliativen Versorgungsstrukturen im Großraum München mit zu Projektbeginn vier SAPVTeams, fünf Palliativstationen, zwei Hospizen und zwei Hospizvereinen gut. Allerdings werden
natürlich bei weitem nicht alle Palliativpatienten von diesen Strukturen ausreichend erfasst. Zudem zeigt die persönliche Erfahrung, dass insbesondere die Kombination aus palliativmedizinischen Behandlungsstrategien und der oftmals stattfindenden Polypharmazie, also der Anwendung von 5 und mehr Medikamenten, bei mehreren Komorbiditäten die an der Versorgung Beteiligten überfordert, gleichzeitig aber sektorenübergreifende Ansprechpartner fehlen.
Um Patienten nicht zusätzlich durch den Einsatz von Medikamenten zu gefährden und das Behandlungsteam bei Entscheidungen rund um die Arzneimitteltherapie zu unterstützen, werden
Direktorin der Klinik: Prof. Dr. med. Claudia Bausewein PhD MSc
Das Klinikum der Universität München ist eine Anstalt des Öffentlichen Rechts
Vorstand: Ärztlicher Direktor: Prof. Dr. Dr. h.c. Karl-Walter Jauch (Vorsitz), Kaufmännischer Direktor: Gerd Koslowski,
Pflegedirektorin: Helle Dokken, Vertreter der Medizinischen Fakultät: Prof. Dr. med. dent. Reinhard Hickel (Dekan)
Institutionskennzeichen: 260 914 050, Umsatzsteuer-Identifikationsnummer gemäß §27a Umsatzsteuergesetz: DE813536017
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seit über 10 Jahren Patienten der Klinik und Poliklinik für Palliativmedizin am Klinikum der Universität München von Apothekern mitbetreut. Durch gemeinsame Visiten und die systematische
Überprüfung der Medikation durch Apotheker wird die Arzneimitteltherapie optimiert. Die stationär erfolgten Überlegungen sollen jedoch auch eine gewisse Nachhaltigkeit haben und nach
Entlassung Berücksichtigung finden.
Aufgrund begrenzter Ressourcen konnte vor Beginn des Projektes nur für einen Bruchteil der
Patienten ein systematisches „medikamentöses Entlassmanagement“ als Bestandteil des bestehenden Entlassmanagements erfolgen.
Projektziel
Ziel des Projektes war eine Verbesserung der Schnittstelle von stationärem und ambulantem Bereich in der medikamentösen Versorgung von Palliativpatienten (über 65 Jahre)
durch die kontinuierliche, strukturierte und sektorenübergreifende pharmazeutische Beratung und Sicherstellung der medikamentösen Arzneimitteltherapie abgestimmt auf Erkrankung(en), belastende Symptome, aber auch Fähigkeiten des Patienten bzw. der versorgenden Personen in der richtigen und sicheren Arzneimittelanwendung.
Diese pharmazeutische Betreuung wurde und wird über die Entlassung aus der Klinik hinaus im ambulanten Bereich weitergeführt. Hierdurch soll der Übergang stationär-ambulant
flüssiger werden, die Vernetzung gefördert und das palliativmedizinische Fachwissen der
beteiligten Berufsgruppen gestärkt werden, um letztendlich die Versorgung der Patienten
zu verbessern und die Arzneimitteltherapiesicherheit zu erhöhen.
Methoden
Basierend auf den Erfahrungen aus der klinischen Arbeit, einer Befragung von Apothekern und
dem fachlichem Austausch mit Apothekern aus dem stationären und dem ambulanten Bereich,
wurde ein pharmazeutischer Behandlungspfad für die stationäre sowie die poststationäre Betreuung entwickelt. Die praktische Umsetzung dieses Pfades wurde anschließend im Rahmen
einer Machbarkeitsstudie getestet. Die einzelnen Schritte des pharmazeutischen Interventionspfades wurden auditiert.
In der Klinik und Poliklinik für Palliativmedizin versorgten Patienten > 65 Jahre wurde eine
strukturierte und kontinuierliche pharmazeutische Begleitung und frühzeitige Entlassplanung durch einen Apotheker angeboten (s. Fehler! Verweisquelle konnte nicht gefunden werden.). Diese bestand aus folgenden Elementen:
1) Aufnahme: Erfassung aller Medikamente des Patienten inkl. freiverkäufliche Arzneimittel und
Nahrungsergänzungsmittel. Patientenindividuelle Prüfung dieser Medikamente auf Nebenund Wechselwirkungspotential sowie Eignung für den einzelnen Patienten.
2) Stationärer Aufenthalt: Optimierung der Arzneimitteltherapie gemeinsam Ärzten und Pflegekräften. Hierzu zählten neben der Bewertung neuer Medikamente auch die Information zu
Medikamenten, die möglicherweise abgesetzt werden können, z.B. Langzeitmedikation bei
chronischen Erkrankungen mit nur langfristigem Nutzen.
3) Entlassplanung: Kontaktaufnahme mit den weiterbehandelnden Ärzten, der vom Patienten
benannten Stammapotheke am Wohnort sowie ggf. dem Pflegedienst bzw. der (weiter)versorgenden Einrichtung des Patienten zur Sicherstellung der lückenlosen Weiterführung der Arzneimitteltherapie.
Schulung des Patienten bzw. der Angehörigen im richtigen Umgang mit den verordneten
Arzneimitteln
Bei Patienten, deren Zustimmung vorlag, wurde nach dem stationären Aufenthalt über einen
Zeitraum von 4 Wochen regelmäßig Kontakt mit den Patienten bzw. den Versorgenden gehalten, um die aktuelle Symptombelastung abzufragen und Fragen hinsichtlich der Arzneimitteltherapie zu klären. Zudem stand den behandelnden Ärzten, der Apotheke und ggf. der Betreuungs-
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einrichtung die palliativmedizinische Arzneimittelinformation der Klinik und Poliklinik für Palliativmedizin zur Verfügung.
Erfasst wurden neben demographischen Daten und der Medikation u.a. auch die pharmazeutischen Interventionen, die Symptomlast und die Häufigkeit der Kontaktaufnahme mit der Arzneimittelinformation Palliativmedizin.
Abbildung 1. Pharmazeutischer Interventionspfad
„OTC“ – Over-the-counter; Medikamente, die in der Apotheke rezeptfrei erworben werden können
„PallAZ“ – Arzneimittelinformationszentrum Palliativmedizin L23 Palliativstation
Ergebnisse
Von April 2014 bis einschließlich Dezember 2015 wurden pharmazeutisch 320 Patienten im Alter von > 65 Jahre auf der Palliativstation begleitet, wobei der pharmazeutische Interventionspfad erst nach und nach umgesetzt wurde, so dass erst ab dem 1.1.2015 alle neu aufgenommenen Patienten auch systematischen nach diesem Interventionspfad betreut werden konnten.
Stationärer Aufenthalt
Für alle Patienten wurde initial eine Prüfung der aktuellen Medikation auf Wechselwirkungen
durchgeführt und das Ergebnis dieser Überprüfung den behandelnden Ärzten kommuniziert und
in der Akte dokumentiert (s. Abbildung 2).
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Abbildung 2. Aktendokumentation Prüfung auf Wechselwirkungen
Anmerkungen zum Arzneimittelregime während des stationären Aufenthaltes wurden in Form
von pharmazeutischen Interventionen erfasst. Für o.g. Patienten konnten 610 pharmazeutische
Interventionen dokumentiert, wobei für einzelne Patienten von 0 bis hin zu 13 pharmazeutische
Interventionen dokumentiert wurden. Diese Interventionen bezogen sich auf potentielle oder
manifeste Arzneimittel-bezogene Probleme. Beispiele sind in Tabelle 1aufgeführt.
Tabelle 1. Auswahl an pharmazeutischen Interventionen
1 Patient schläft nachts schlecht und ist unruhig/verwirrt. Statt Melperon oder Benzodiazepinen zur Nacht Therapieversuch mit Melatonin
2 Patient erhält derzeit Haloperidol 3x tägl. Tagsüber ist keine Verwirrtheit vorhanden. Nächtliche Verwirrtheit fraglich auf häufigen Ortswechsel in den letzten Wochen zurückzuführen. Haloperidoldosis reduzieren, evtl. nur noch als Bedarf geben.
3 Fentanyl wurde neu verordnet: In Kombination mit Duloxetin und Venlafaxin besteht Risikoerhöhung für ein Serotoninsyndrom - ggf. Wechsel auf Hydromorphon
in Erwägung ziehen
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4 Achtung bei Melperon Einnahme: Abstand zu Kaffee, Milch und Tee 2 h! Komplexbildung und Wirkabschwächung
5 Natriumpicosulfat ist als Dauermedikation zur Prophylaxe von Opioid bedingter
Obstipation verordnet; Prüfen ob Austausch durch Macrogol möglich ist = Mittel
der 1. Wahl; Dauereinnahme von Natriumpicosulfat führt durch Kalium-Verluste zu
Darmträgheit
6 Metamizol Bedarfsmedikation; Änderung der Dosis auf 500 mg - 1 g; verordnet
sind 1 mg - gemeint sind 1 g.
7 Abstand L-Thyroxin zu Zink-Präparat mind. 2 h, ansonsten schlechte L-Thyroxin
Resorption durch Komplexbildung
8 Patient leidet unter Myoklonie; MCP als Dauermedikation als möglichen Auslöser
überprüfen (Dosisreduktion oder Wechsel auf andere Substanz)
9 Patient leidet unter Myoklonie; Überdosierung Morphin bzw. Morphinmetaboliten
möglich (hohes Alter, eingeschränkte Nierenfunktion) - Rotation auf Hydromorphon
10 Patientin hat Schluckbeschwerden, Antibiotikum kann nur unsicher geschluckt
werden
Aspirationsgefahr. Suspendieren der Tabletten möglich
11 Metoprolol und Paroxetin (starke klinisch relevante Wechselwirkung); Austausch
Paroxetin (z.B. Escitalopram
ebenfalls Interaktionspotential, aber weniger
CYP2D6 Inhibition als Paroxetin) oder Metoprolol ( Atenolol); Paroxetin hemmt
den Abbau von Metoprolol stark (AUC Erhöhung um 400-600%, Verlängerung der
HW, Erhöhung Cmax) Gefahr der Überdosierung mit Atembeschwerden und
Bronchospasmen (Patientin inhaliert Asthma Arzneimittel)
12 Patient ist immer wieder aggressiv, unklar ob durch Tumor oder Levetiracetam
Nebenwirkung; nach epileptischem Anfall im Dezember 2014 Lacosamid begonnen. Lacosamiddosis noch nicht ausgereizt (Tagesmaximaldosis 400 mg). Wenn
durch Reduktion Levetiracetam Besserung der Aggressivität, aber unzureichende
Anfallskontrolle ggf. Pregabalin eindosieren, oder anderes Antiepileptikum wie z.B.
Valproat
15 Dimenhydrinat als Bedarsfmedikation angeordnet; Therapie mit anderem Antiemetikum (MCP zeigte Wirkung); laut FI darf Dimenhydrinat auf Grund seiner anticholinergen Wirkung nicht bei Patienten mit Englwinkelglaukom (siehe Augentropfen
der Patientin) angewendet werden;
16 MCP Dosierung muss an die Nierenfunktion angepasst werden. Dosisbereich bei
dieser Patientin bereits ausgereizt.
17 Patient nimmt zuhause Tamsulosin ein; auf Station bislang nicht weiter gegeben.
Bitte überprüfen, ob weiterhin indiziert.
18 Kombination Quetiapin und Haloperidol: Additive Effekte auf QT-Zeit und antidopaminerge Wirkung. Prüfen ob Reduktion auf 1 Arzneimittel möglich
19 Levothyroxin und Simeticon (Simeticon nur bei Bedarf verordnet); keine gleichzeitige Gabe. Abstand von mind. 4 Stunden. Levothyroxin bindet im Darmlumen an
Simeticon.
21 Patient kann Pulverinhalator auf Grund zu geringer Atemzugskraft nicht verwenden. Alternativen: Verwendung von Dosieraerosol (ggf. mit Spacer) oder Inhalation über Vernebler.
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22 Ipratropiumbromid CAVE: Inhalation mit Mundstück (Maske soll vermieden werden, damit der Inhalationsnebel nicht in die Augen gerät); Nebenwirkung bei Augenkontakt: Augenschmerzen, unscharfes Sehen, gerötete Augen, unwirkliches
Farbsehen, Glaukomanfall usw.
24 Bisoprolol wird derzeit 2x täglich gegeben. Prüfen ob auf 1 x tägliche Gabe reduziert werden kann. Bisoprolol besitzt eine Wirkdauer von 24 h. Übliche Dosierung
1x täglich
26 Bei Verdacht auf verdrehten Tag-Nacht-Rhythmus bitte abends Melatonin 2 mg
ansetzen
27 Dosisanpassung Pregabalin bei Niereninsuffizienz. Einschleichend Dosierung mit
25 mg 1-0-0-1. Max. Gesamttagesdosis bei Kreatinin Clearance <30 150 mg bei
GFR <15 75 mg
Angesichts des Alters der Patienten wurde besonderes Augenmerk auf potentiell inadäquate
Medikamente für diese Patientengruppe entsprechend der Priscus-Liste gelegt (s.
www.priscus.net). Bei den 204 im Jahr 2015 behandelten Patienten, wurden insgesamt 215 mal
Arzneimittel verordnet, die auf der Priscusliste zu finden sind. Führend war hier Lorazepam mit
82 Verordnungen, gefolgt von Haloperidol (n=48) und Levomepromazin (n=23). Bei Lorazepam
wurde besonders auf die für ältere Patienten niedrigere Dosis hingewiesen, bei Haloperidol und
Levomepromazin besonderes Augenmerk darauf gelegt, dass andere Therapiealternativen entweder ausgeschöpft waren oder nicht zur Verfügung standen. Allerdings wurde trotzdem besonders über mögliche Nebenwirkungen dieser Substanzen bei älteren Patienten aufgeklärt. Für
das ebenfalls häufig (n=19) angeordnete Zopiclon bei Schlafstörungen, wurde vielfach als besser geeignete Alternative Melatonin empfohlen und auch stattdessen angesetzt.
Zu Beginn des Projektes wurden die aus den pharmazeutischen Interventionen resultierenden
Empfehlungen mittels eines speziellen Formulars in der Akte dokumentiert (s. Abbildung 3).
Durch die Einführung einer elektronischen Patientenakte während des Projektes, wurde dieses
Formular jedoch wieder abgeschafft und durch die direkte Computer-Dokumentation ersetzt.
Über 90% der Empfehlungen der Apotheker wurden von den Ärzten auch umgesetzt.
Neben der täglichen Aktendurchsicht nahm immer ein Apotheker an der täglichen Teambesprechung sowie mind. einmal wöchentlich an Visiten Teil. Bei Bedarf erfolgten zudem pharmazeutische Visiten, die von den Apothekern genutzt wurden um die bisherige Medikation vollständig zu
erfassen, mehr zu den bisherigen Einnahmemodalitäten zu erfahren, aber auch um gezielt zu
bestimmten arzneimittelbezogenen Themen zu informieren oder zur Anwendung bestimmter
Arzneimittel zu schulen.
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Abbildung 3. Formular pharmazeutische Beratung
Für Patienten, die vom palliativmedizinischen Konsilardienst mitbetreut wurden, erfolgte eine
Begutachtung und die Beurteilung der Medikation. Aufgrund stationsabhängiger infrastruktureller
Unterschiede und auch durch den Konsilardienst nur sehr begrenzte Einflußnahmemöglichkeiten auf die Versorgung während des stationären Aufenthaltes sowie auf die Entlassplanung,
wurde auf die intensivere pharmazeutische Betreuung der Konsilpatienten verzichtet.
Entlassung
Bei Entlassungen wurde in der Regel am Tag vorher mit der pharmazeutischen Entlassplanung
begonnen. Neben einem Medikationsplan erfolgte auch die Kontaktaufnahme mit den weiterbehandelnden Ärzten und der Stammapotheke des Patienten. Zudem wurden dem Patienten bzw.
den Angehörigen die Medikamente und deren richtige Einnahme noch einmal erläutert. Dieser
Medikationsplan wurde allen Beteiligten in der gleichen Ausführung ausgehändigt, um den gleichen Informationsstand zu gewährleisten. Besonders informiert wurde über Substanzen, die
außerhalb der Zulassung eingesetzt wurden, um Unsicherheiten im Medikationsprozess zu minimieren. Die kontaktierten Apotheken waren über die mündliche und schriftliche Information
überwiegend sehr dankbar. Auf ärztlicher Seite war die Kommunikation stark vom jeweiligen
Gesprächspartner abhängig, wobei die Kontaktaufnahme währen der Sprechzeiten der Arztpra-
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xen grundsätzlich eher schwierig war, die Erreichbarkeit außerhalb der Sprechzeiten sich sehr
unterschiedlich gestaltete. Auch die Bündelung der Anrufe mit der Kontaktaufnahme durch die
Ärzte der Klinik für Palliativmedizin brachte keine große Verbesserung. Die Weitergabe der fachlichen Informationen über die Sprechstundenhilfen lehnten wir grundsätzlich ab. Der Großteil der
Patienten wurde allerdings nach der Entlassung von einem SAPV-Team mitbetreut, mit dem die
Kommunikation fast immer reibungslos verlief. Da die meisten Hausärzte die Weiterversorgung
größtenteils an die SAPV-Teams übergaben, stellte die schwierige Kommunikation kein allzu
großes Hindernis dar. Einige Patienten wurden in Alten- und Pflegeheime weiterverlegt. Das
Pflegepersonal dort zeigte sich sehr aufgeschlossen und interessiert an spezifischen Informationen zur Arzneimitteltherapie. Hierzu zählten insbesondere Sicherheitsaspekte, z.B. Substanzen,
die wir aufgrund der schlechten Eignung für ältere Patienten bewusst abgesetzt hatten, oder
Arzneistoffe, die nur mit großer Vorsicht anzusetzen sind. Die Kommunikation mit den versorgenden Ärzten war hingegen sehr heterogen.
Die systematische Erstellung und Mitgabe eines Medikationsplanes (s. Abbildung 4) konnte erst
2015 vollständig umgesetzt werden. Von 204 im Jahr 2015 stationär behandelten Patienten ab
65 Jahren, verstarben 133 auf der Palliativstation. Den restlichen 71 wurden Medikationspläne
ausgehändigt.
Abbildung 4. Medikationsplan
Poststationäre Betreuung
Nach der Entlassung hatten die Weiterversorgenden die Möglichkeit, die Arzneimittelinformation
für Fragen rund um die Medikation des Patienten zu nutzen. Dieses Angebot nahmen vor allem
die Apotheken und SAPV-Teams wahr. Von niedergelassenen Ärzten kamen kaum (Rück)Fragen. Auch Patienten und Angehörige nutzten teilweise die Arzneimittelinformation für Rückfragen. Diese bezogen sich sowohl auf die aktuelle Medikation, als auch auf weitere medikamentöse Behandlungsoptionen, insbesondere alternative Therapien. Die ebenfalls an der Behandlung beteiligten Ärzte bzw. SAPV-Teams wurden über diese Informationsgespräche in
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Kenntnis gesetzt. In der Folge wurden teilweise von Seiten der Arzneimittelinformation auch
Therapieempfehlungen ausgesprochen.
Bei 20 der im Jahr 2015 behandelten Patienten ab 65 Jahren wurden bei den wöchentlichen
Anrufen auch die Symptomlast mittels der Integrated Palliative Outcome Scale (IPOS, www.pospal.org) erfasst. 12 dieser Patienten konnten entsprechend der Vorgaben der begleitenden Evaluationsstudie 4 Wochen lang nachbetreut werden, die restlichen 8 verstarben vor Ablauf der 4
Wochen.
In Abbildung 5 ist der Verlauf der Symptomlast bei den 12 Patienten während des stationären
Aufenthaltes und der vierwöchigen Nachbetreuung zu sehen. Eine hohe Punktzahl bedeutet
eine hohe Symptomlast. Aufgetragen ist der Median aller Werte zu dem benannten Zeitpunkt,
außerdem jeweils der höchste und der niedrigste Wert.
Abbildung 5. Verlauf Symptomlast
Während des stationären Aufenthaltes kam es bei fast allen Patienten zu einer deutlichen Abnahme der Symptomlast, die auch nach Entlassung nur langsam wieder zunahm.
Diskussion und Ausblick
Durch das Projekt „Seamless Palliative Care für ältere Menschen“ konnte die pharmazeutische
Betreuung geriatrischer Palliativpatienten während des stationären Aufenthaltes besser strukturiert, intensiviert und damit die Arzneimitteltherapie nachhaltig sicherer gestaltet werden. Der
bereits vorher bestehende Kontakt von Apothekern auf der Palliativstation stellte sicherlich eine
gute Grundlage dar, war aber nicht zwingend erforderlich. Über den Projektzeitraum nahm die
feste Integration der Apotheker in bestimmte Stationsprozesse zu, was als Beleg der Akzeptanz
und gleichzeitig als Hinweis auf die Arbeitsentlastung der anderen Berufsgruppen gewertet wird.
Nach der Entwicklung des Interventionspfades konnten die einzelnen Elemente nur schrittweise
umgesetzt werden. Die Gründe hierfür waren unterschiedlich. So gestaltete sich beispielsweise
die Erfassung der bisherigen Medikation schwieriger als zuvor erwartet, da vielen Patienten direkt von einer anderen Station im Haus übernommen wurden und daher oftmals unklar war, bis
wann welche Medikation überhaupt eingenommen wurde, was die verlegende Station bewusst
abgesetzt hatte und was einfach vergessen worden war. Zudem sollten die Patienten nach ihrer
Ankunft nicht mit Gesprächen überlastet werden. Die Apotheker versuchten also möglichst zeitnah nach der Aufnahme ein Gespräche mit dem Patienten und /oder den Angehörigen zu führen, ohne damit die Patienten zu sehr zu belasten oder die anderen Berufsgruppen in ihrer Routine zu behindern. In den meisten Fällen konnten jedoch gute Lösungen gefunden werden.
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Die zeitintensive Überprüfung der Medikation führte zur Entwicklung eines eigenen Systems zur
Schnellerkennung von problematischen Arzneistoffen bzw. Arzneistoffkombinationen. Beim Eintragen der Medikation eines Patienten in diese „APODAPS“-Datei (Arzneimittelbezogene Problem- und Outcome-Dokumentation durch Apotheker im palliativen Setting) werden automatisch
wichtige Faktoren für Arzneimittelinteraktionen sowie Nebenwirkungsrisiken angezeigt (s. Abbildung 6)
Abbildung 6. APODAPS-Datei
Dieses System soll in Zukunft auch anderen Teams zur Unterstützung der Arbeit zur Verfügung
gestellt werden.
Die Beratung der Ärzte auf der Palliativstation wurde dankbar entgegengenommen und insbesondere die Überprüfung des Arzneimittelregimes auf Wechselwirkungen, adäquate Dosierungen und riskante Arzneimittel als Arbeitsentlastung gesehen. Bei der Erfassung der pharmazeutischen Interventionen war eine der größten Herausforderungen, die Interventionen möglichst
vollständig zu dokumentieren. Viele Gespräche für die Medikation erfolgten außerhalb der Visite
und Fragen wurden beim zufälligen Treffen auf dem Gang gestellt.
Die Patienten nahmen die Gespräche mit den Apotheken gerne an und die meisten nannten
eine Stammapotheke an ihrem Wohnort, von der sie auch nach der Entlassung weiterhin mit
Medikamenten versorgt werden wollten.
Der identische Medikationsplan für Patienten sowie die Weiterversorgenden erleichterte die
Kommunikation poststationär erheblich, da hierdurch der Informationsstand klar war. Die Information über die Medikation inkl. Indikation sowie besondere Wünsche oder Vorstellungen des
Patienten hinsichtlich der medikamentösen Therapie wurden von den kontaktierten Apotheken in
fast allen Fällen sehr dankbar entgegen genommen und als sehr hilfreich und nützlich bewertet;
die Patienten waren auch fast immer in der Apotheke bekannt. Eine der größten Herausforderungen stellte – wie erwartet – die Kommunikation mit dem weiterbehandelnden Arzt dar, sowohl
für zuhause als auch in Pflegeeinrichtungen betreute Patienten. Das lag vor allem an der
schlechten Erreichbarkeit innerhalb der Sprechstunde und fehlenden Erreichbarkeit außerhalb
der Sprechzeiten. Teilweise wurde darum gebeten, die Medikation mit den Sprechstundenhilfen
durchzusprechen. Das ist aus unserer Sicht jedoch maximal ausreichend um auf die Dringlichkeit der Rezeptausstellungen oder die Abholung der Rezepte durch eine bestimmte Person hin-
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zuweisen. Für einen fachlichen Austausch ist die Kommunikation mit dem Arzt unabdingbar.
Durch die überwiegende Mitbetreuung durch SAPV-Teams waren diese Kommunikationsprobleme nur von begrenzter Relevanz. Da die Erreichbarkeit der Ärzte auch für die Ärzte der Palliativstation schwierig war, ist von organisatorischen Hürden und nicht von einer grundsätzlichen
Ablehnung des fachlichen Austauschs mit einem Apotheker auszugehen. Aus unserer Sicht stellen die Kommunikationsprobleme jedoch einen wichtigen Aspekt für die sektorenübergreifend
lückenlose Versorgung geriatrischer Palliativpatienten dar. Durch die geplante Einführung des
Entlassrezeptes am Ende eines stationären Aufenthaltes wird in naher Zukunft zumindest der
enge zeitliche Rahmen, der bislang für die Weiterversorgung eingehalten werden muss, etwas
weiter gesteckt.
Ein Fokus des Projektes lag auf der Kommunikation und Vernetzung mit den Versorgenden außerhalb der palliativmedizinischen Strukturen, d.h. innerhalb des Klinikums mit Ärzten und Pflegenden anderer Bereiche, außerhalb des Klinikums mit Hausärzten, Hausapotheken und
SPAV-Teams. Durch strukturierte Interventionen sollten Ärzten, Pflegekräften und Apothekern
nicht nur für die Problematik der Arzneimitteltherapie beim geriatrischen Palliativpatienten sensibilisiert, sondern auch Berufsgruppen-übergreifendes Denken und Handeln gefördert und unterstützt werden. Das Ziel war es hier, neue Kompetenzen vor Ort zu schaffen, die eine Arzneimitteltherapie im Kontext einer sehr begrenzten Lebenserwartung sicherer und effektiver gestalten
helfen. Auch wenn der bisherige Erfolg der Vernetzungsimpulse schwer zu messen ist, konnten
durch persönliche Gespräche doch einige Erfolge festgestellt werden. Diese betrafen vor allem
die Zusammenarbeit von Apotheken mit Ärzten oder SAPV-Teams. Mehrere Apotheken, die
durch die Kontaktaufnahme im Rahmen der Entlassplanung und den anschließenden Kontakt
mit einem SAPV-Team das erste Mal bewusst auf Chancen, Hürden und Herausforderungen der
Palliativversorgung aufmerksam gemacht wurden, haben Mitarbeiter für Qualifizierungskurse im
Bereich Palliativpharmazie angemeldet. Gleichzeitig konnten Erkenntnisse, die durch die intensivierte pharmazeutische Betreuung der Patienten gewonnen wurden, direkt in Fort- und Weiterbildungskurse für Ärzte-, Pflegekräfte und Apotheker miteingebracht werden. Auch die Berichte
über die engere Zusammenarbeit mit Apothekern sowohl im stationären, als auch im ambulanten Bereich wurden sehr interessiert aufgenommen.
Die das Projekt begleitende Studie läuft derzeit noch, da für die Kontrollgruppe (Versorgung ohne pharmazeutische Mitbetreuung) an einer anderen deutschen Klinik aktuell noch Patienten
rekrutiert werden.
Mittlerweile wird der Interventionspfad wie geplant bereits zu Teilen in einer weiteren Klinik angewendet. Zwei weitere Kliniken werden voraussichtlich im Laufe des Jahres 2016 folgen.
Durch die Förderung der Robert-Bosch-Stiftung war es möglich, den Nutzen von Apothekern auf
einer Palliativstation so weit zu belegen, dass derzeit eine hausinterne Weiterfinanzierung vorhanden ist. Zudem konnten Teilaspekte aus dem Projekt weiterentwickelt werden und in neue
Projekte einfließen, für die zwischenzeitlich auch Fördergelder akquiriert werden konnten.
Das Ziel unseres Projektes war und ist die Verbesserung der medikamentösen Versorgung von
geriatrischen Palliativpatienten an der intersektoralen Schnittstelle. Auch wenn das Erreichen
dieses Ziels derzeit noch nicht wissenschaftlich belegbar ist, zeigt die alltägliche Praxis, dass
dieses Ziel erreicht werden konnte. In weiteren Schritten soll nun das Angebot vor Ort, beispielsweise die dezentrale Arzneimittelinformation, aber auch die Implementierung pharmazeutischer Beratungen an anderen Standorten weiter vorangebracht werden.
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Publikationen
Im Zusammenhang mit dem geförderten Projekt wurden Teilaspekte in Form von Posterpräsentationen auf folgenden Kongressen vorgestellt:
• 10. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin, 24.27.6.2014 in Düsseldorf
• 4. Kongress für Arzneimittelinformation, 9.-10.1.2015 in Köln
• Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Klinische Pharmazie e.V., 14.-15.11.2015
in Leipzig
Zudem sind aktuell Posterabstracts für verschiedene nationale und internationale Kongresse
im Bereich Palliativmedizin sowie im Bereich Pharmazie eingereicht.
Originalarbeiten für wissenschaftliche Fachzeitschriften befinden sich derzeit in Vorbereitung.
Constanze Rémi MSc
Arzneimittelinformation Palliativmedizin
Klinik und Poliklinik für Palliativmedizin
Klinikum der Universität München
Marchioninistr. 15
81377 München
Prof. Dr. Claudia Bausewein PhD MSc
Direktorin der Klinik und Poliklinik für Palliativmedizin
Klinikum der Universität München
Marchioninistr. 15
81377 München
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