2013-12-20 Dossier Hebammen bajohr.txt

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DEUTSCHLANDFUNK
Redaktion Hintergrund Kultur / Hörspiel
Redaktion: Ulrike Bajohr
Dossier
Im Zweifel Kaiserschnitt?
Warum Hebammen für die natürliche Geburt plädieren
Von Agnes Steinbauer
Sprecherin Autorinnentext: Claudia Mischke
Sprecherin Overvoice Nicole Engeln
Sprecher Zitate Bernd Reheuser
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©
- unkorrigiertes Exemplar Sendung: Freitag, d. 20. Dezember 2013, 19.15 - 20.00 Uhr
(Atmo Herztöne)
0-Ton 1 /Martina Klenk, Vorsitzende Deutscher Hebammenverband
Im Grunde geht es bei der Geburtshilfe ums Zuwarten können, ums Vertrauen
haben, ums Zeitlassen…die optimale Betreuung einer Kreißenden ist die 1:1
Betreuung durch eine Hebamme…
0-Ton 2 /Dr. Katharina Lüdemann/Oberärztin der Frauenklinik St.Josef-Stift
Delmenhorst/
Eine normale Geburt zu betreuen, schafft die Hebamme gar nicht mehr, weil sie
ständig zwischen drei Kreißsälen hin und her rennen muss, damit ihr nichts
entgeht…
0-Ton 3/Dr. Johannes Steinl/Gynäkologe und Belegarzt, Krankenhaus Cham/
…einen Kaiserschnitt zu machen, ist oft leichter, als eine schwierige Geburt zu
leiten…
0-Ton 4/ Lena Terlouw/Beleghebamme Krankenhaus Cham/
Ich denke, dass eine sehr medizinisch begleitete Schwangerschaft zur Folge hat,
dass eine Frau eher verunsichert ist, und dass es die Aufgabe der Hebamme ist, das
Normale zu bewahren und zu hüten… verblenden mit
Atmo 1/Erster Schrei eines Babys/ Hebamme sagt:
Ein Junge… verblenden mit…
Ansage
„Im Zweifel Kaiserschnitt? Warum Hebammen für die natürliche Geburt
plädieren. – Ein Feature von Agnes Steinbauer
Atmo 2/Lena Autofahrt zum Dienst ins Krankenhaus/ Man hört Autostart, Lena
sagt: Ja, schauen wir mal, was uns der Tag heute bringt… verblenden mit
Sprecherin
Es ist 6.30 Uhr am Morgen. In dem kleinen ostbayerischen Ort Wilting macht
sich Lena Terlouw auf den Weg. Die junge Frau ist Hebamme und fährt zum
Dienst in die acht Kilometer entfernte Kreisstadt Cham.
Atmo 2/ Fahrgeräusche…/ Atmo 2/ Lena Autofahrt/
An so einem schönen Morgen fahre ich eigentlich ganz gerne durch die leeren
Straßen, wenn die Sonne schon scheint…das ist einer meiner Tagdienste, in Cham
im Krankenhaus, die sind immer 12 Stunden von sieben bis sieben –und es ist auch
immer so ein bisschen Vorfreude dabei – was gibt’s denn heut‘ ….
Atmo 2/ Fahrgeräusche weiter unter Text
Sprecherin
Seit 14 Jahren bringt Lena Terlouw Kinder auf die Welt – früher in Amsterdam,
jetzt in ihrer Heimatregion nahe der tschechischen Grenze. Die 36-Jährige ist
freiberufliche „Beleghebamme“ mit festem Dienstplan im Krankenhaus.
Atmo 2/ Auto/Fahrgeräusche… unter Text
Sprecherin
Der Sicherheitsgurt spannt über Lenas Bauch, denn die Hebamme wird selbst
bald wieder Mutter – zum dritten Mal.
Atmo 2/ kurz hochziehen und verblenden mit
Atmo 3/ Lena beim Aussteigen Man freut sich natürlich, wenn eine schöne Geburt
war, klar, das ist der Kick und die richtig guten Momente… verblenden mit…
Atmo 4/ Treppensteigen im Krankenhaus /Verschiedene Stimmen sagen: Guten
Morgen unter Text ziehen…
Sprecherin
Es ist kurz vor sieben, Lena Terlouw kommt an ihrem Arbeitsplatz an. Das
Chamer Krankenhaus gehört zu den kleineren Klinken der privaten Sana AG.
Betreut von vier Ärzten und zwölf Hebammen kommen hier jährlich 700 Kinder
zur Welt.
Atmo 4/ Treppensteigen hochziehen …verblenden mit
Sprecherin
Als Lena Terlouw die Tür zur Geburtsstation öffnet, dringt ein vertrautes
Geräusch an ihr Ohr.
Atmo 5/ Herztöne verblenden mit
0-Ton 5/Lena/ Es ist eigentlich oft so, dass man in den Kreißsaal reinkommt und
dann hört man schon ein Herzlein tuckern am CTG… verblenden mit
Atmo 5/ Herztöne verblenden mit
Sprecherin
Der Cardiotokograph, kurz CTG, ist ein elektronisches Gerät, das auf
Geburtsstationen häufig verwendet wird. Per Ultraschall zeichnet es die
kindlichen Herztöne im Mutterleib auf und macht sie hörbar. Über einen
Druckabnehmer am Bauch der Schwangeren schreibt es die Wehen-Frequenz
auf lange Papierstreifen…verblenden mit…
Atmo 6/ Lena im Gespräch mit Kollegin bei Schichtwechsel… unter Text
Sprecherin
Inzwischen hat Lena ihren grünen Hebammenkittel übergezogen und die
langen, dunklen Haare hochgesteckt. Die Kollegin von der Nachtschicht bringt
sie auf den neuesten Stand. Alles war ruhig – keine Notfälle, keine Geburten.
Lena macht ihre erste Runde… Verblenden mit…
Atmo 7/Lena/
Ich richte jetzt meinen Kreißsaal her, ich guck jetzt, ob alles hygienisch ist und
sauber und aufgeräumt, dann kontrollier ich die Reanimationseinheit, falls es einem
Baby nicht gut geht… das sind so Sachen, die routinemäßig jeden Tag laufen sollen
und wenn ich jetzt gerade Zeit habe, mach ich das am liebsten gleich… verblenden
mit
Atmo 8/Schritte verblenden mit 0-Ton…
Atmo 9 /Lena / Das ist ein Kreißsaal von uns, also einer unserer Geburtsräume. Wir
haben drei… hier kann man gut arbeiten, ist einfach sehr gemütlich, so ähnlich wie
zu Hause und ich lass die Wanne jetzt mal durchlaufen, das ist einfach ne
Hygienemaßnahme…verblenden
mit Atmo 9/ Wasserplätschern unter Text
Sprecherin
In dem bunt gekachelten Raum ist das Licht herunter gedimmt – keine
Neonröhren und oder kalte Stahlflächen; von steriler Krankenhausatmosphäre
ist hier nichts zu spüren.
Atmo 10/Lena
Wir haben hier in dem Raum ein großes Geburtsbett, ein Partner-Doppelbett, wo
beide drauf liegen können, mit schönen kuscheligen Kissen, daneben steht ein CTGGerät, womit man während der Geburt die Herztöne aufzeichnen kann… Dann gibt’s
hier diese Neugeborenen-Einheit, wo man das Baby untersuchen und anziehen
kann, die Waage ist natürlich da, um das Gewicht vom Baby festzulegen… dann ist
der Gebärhocker dabei, da kann man ihr auf dem Boden eine Möglichkeit richten,
auch auf Händen und Knien zu sein oder auf den Gebärstuhl zu gehen. In jedem
Kreißsaal ein Pezziball, wo man sich gut bewegen kann. …mir ist das schon ganz
wichtig, dass die Frau bei ihrer Geburt selbstbestimmt ist und in verschiedene
Positionen gehen kann. So viel wie möglich aufrecht ist, um die Schwerkraft zu
nutzen. Ich denke, dass die Geburt dann einfacher verläuft, wenn man die
Möglichkeit hat, sich frei zu bewegen … verblenden mit
Atmo 11/Telefonklingeln /Lena
Lena Terlow, Hebamme, Hallo!… Atmo unter Text…
Sprecherin
An diesem Morgen klingelt immer wieder das Telefon – Frauen, die Rat suchen.
Atmo Lena 12/Lena
Blutung so früh in der Schwangerschaft bedeutet schon oft, dass da an der
Fruchtanlage was ist, welche Woche sind Sie denn jetzt ungefähr?
Atmo 12 unter Text…
Sprecherin
Auch wenn keine Gebärende im Kreißsaal liegt, hat Lena Terlouw viel zu tun.
Heute betreut sie 22 werdende Mütter und Wöchnerinnen auf der
Entbindungsstation. Sie kontrolliert Lage und Herztöne der Babys und misst
den Blutdruck der Mütter, nimmt Urinproben, gibt Tipps bei Stillproblemen,
berät sich mit Ärzten, trägt jede Leistung in den Computer ein und untersucht
Frauen kurz vor der Geburt.
Atmo 13/ Lena/Mutter
Jetzt taste ich mal Deinen Bauch ab… das ist der erste Leopoldsche Handgriff, der
bestimmt, wie hoch dein Baby im Bauch steht…des ist so ganz typisch zwei Finger
unter dem Rippenbogen…hier oben sind die Füße vom Baby, da trampelt es und
strampelt es und tritts Dich manchmal, gell? Mutter: Ja, seit zwei Tagen…Lena: und
hier ist der Rücken auf der anderen Seite…und hier unter liegt das Köpfchen, dann
müsste man die Herztöne ganz gut hören können…laute Herztöne… Ok, prima,
kannst Du so sitzen? Atmo unter Text…
Sprecherin
Im Zimmer nebenan hat sich eine 19-Jährige werdende Mutter aufs Bett gelegt.
Sie erwartet ihr erstes Kind und fühlt sich gar nicht gut. Hier ist nicht nur
medizinische Versorgung gefragt, sondern Unterstützung und Trost:
Atmo 14/ Lena im Gespräch mit Frau/ Was hast’n selber für a Gefühl…Frau: Ich
bin ganz schlapp und irgendwie total fertig und fühl mich eher, als würde ich jetzt
krank werden, als könnte ich demnächst ein Kind auf die Welt bringen… Lena: Das
war jetzt auch aus den Laborwerten ersichtlich, dass der Entzündungswert
angestiegen ist, hat der Doktor das schon erzählt? … Was Du jetzt hast, des sind
Vorbereitungswehen, die den Muttermund weich machen…es kann schon noch eine
Weile dauern…vielleicht geb ich Dir auch einfach noch ein Zäpfchen,..das Dir
Entspannung bringt,…dass Du erst mal ausruhst und schläfst und Kraft schöpfst für
die Geburt… verblenden mit
Atmo 15/Untersuchung Katrin Liegl verblenden mit
Sprecherin
Auch Katrin Liegl ist heute gekommen. Zwei Kinder hat sie schon, das dritte
lässt sich Zeit. 0-Ton 6/Katrin Liegl/werdende Mutter
Mir warten jetzt auch schon acht Tage, die Kinder werden ungeduldig, man selber
auch, aber ich find es gehört zur Geburt dazu, dass man nicht planen kann und dass
die Kinder kommen, wenn’s soweit ist… verblenden mit
Sprecherin
Was sie sagt, spricht den Hebammen aus der Seele. Sie wünschen sich die
normale Geburt zurück – ein Luxus, den sich viele Kliniken immer seltener
leisten.
Atmo Herztöne
Atmo 17/ Klenk/ aus Ansprache
Geburt zeitlich managen zu wollen, ist vermessen… jede Frau gebiert in ihrem
Rhythmus… Den schnellen Brüter haben wir in diesem Kontext glücklicherweise
noch nicht erfunden…lachen, klatschen Atmo unter Text
Sprecherin
Beim Hebammenkongress im Mai 2013 in Nürnberg war die „natürliche Geburt“
wichtigstes Thema. Über 2000 Geburtshelferinnen und Ärzte diskutierten
Risiken und Nebenwirkungen eines Gesundheitssystems, das – auch in der
Geburtshilfe - zunehmend nach der Prämisse „Zeit ist Geld“ funktioniert.
Für Martina Klenk, Präsidentin des Deutschen Hebammenverbandes, eine
fatale Entwicklung… verblenden mit
Atmo 16 / Kongress unter 0-Ton…
0-Ton 7/ Klenk
Wir glauben immer dadurch, dass wir eingreifen, machen wir Dinge besser. Das ist
aber falsch. Gerade in einem so sensiblen physiologischen Prozess wie die Geburt,
sind die wichtigsten Kriterien eine kontinuierliche Betreuung, Störungsfreiheit, dass
die Frau ihren eigenen Rhythmus leben kann…dazu gehören auch Pausen und das
muss man auch aushalten… verblenden mit Atmo
Sprecherin
Rund 21.000 Hebammen arbeiten in Deutschland - 98 Prozent fest angestellt
oder als Beleghebammen in Krankenhäusern, weniger als zwei Prozent in der
Hausgeburtshilfe. Viele von ihnen kombinieren freiberufliche Tätigkeiten mit
Festanstellungen oder arbeiten in fest-freien Berufsmodellen. Bezahlt werden
Hebammenleistungen von den Krankenkassen. Laut Sozialgesetzbuch haben
die Gebärenden Wahlfreiheit zwischen Klinik, Geburtshaus oder Hausgeburt.
Gesetzlich festgeschrieben ist außerdem, dass bei Geburten im Krankenhaus
immer eine Hebamme dabei sein muss. Sie ist berechtigt, eine Geburt
selbstständig zu leiten, solange keine Komplikationen eintreten, die nur ein
Arzt behandeln kann.
Viele freiberufliche Hebammen verwalten ihr Einkommen in Pools. Was sie
verdienen, zahlen sie in einen gemeinsamen Etat, den sie untereinander
aufteilen.
Auch Lena Terlouw gehört zu einem Pool.
Beginn Atmo 18/
Neben ihren Diensten im Krankenhaus arbeitet sie in der Geburtsvorbereitung
und besucht junge Mütter zur Nachsorge.
Atmo 18/
man hört Lena/Baby quäken/ vierjähriges Mädchen:… Lena: Der Nabel sieht ganz
gut aus …an kleinen Springbrunnen hats jetzt gemacht/Kind wiederholt: an
Springbrunnen…Baby schreit… unter Text
Sprecherin
Lena Terlouw auf Hausbesuch bei einer jungen Frau, die eine Woche vorher ein
Mädchen geboren hat: Sie guckt sich Johannas Nabel an, wiegt die Kleine und
beruhigt die junge Mutter
Atmo 19/
Lena sagt: Daniela, sie ist schon zurück auf ihrem Geburtsgewicht, sogar ein
bisschen drüber. Sie wiegt jetzt 3200 Gramm, da musst Dir gar keine Sorgen
machen… unter Text…
Sprecherin
Die Unterstützung von Frauen – nicht nur während der Geburt, sondern auch
vorher und nachher, ist wichtig für Mutter und Kind. Die psychosoziale
Betreuung ist ein unerlässlicher Bestandteil des Hebammenberufes.
0-Ton 8/ Daniela
Mir wars wichtig, dass ich weiß, obs zunimmt, weil ich ja so früh abgestillt habe, oder
des mit dem Nießen, ob des normal is, beim Nabel wollt ma jetzt sehen, ob des in
Ordnung ist… verblenden mit
0-Ton 9/ Katrin
Des is fast wichtiger, als beim Frauenarzt. Ich bin zur Vorsorge ab der 30. Woche nur
noch zu die Hebammen rein, da fühlt man sich besser beraten, die Ärzte haben
meistens keine Zeit, a Hebamme, die selber a scho zwei Kinder kriegt hat, da kann
man als Frau auch anders fragen oder sprechen, also, ich find die Hebammen total
wichtig…
Sprecherin
Obwohl viele Frauen ähnlich denken wie Daniela und Katrin, haben die
Hebammen einen schweren Stand im deutschen Gesundheitswesen. Vor allem
zwei Probleme spitzen sich seit Jahren zu: Die schlechte Bezahlung einer
lebenswichtigen Aufgabe und hohe Kaiserschnittraten.
Herztöne
Atmo 20/ Klenk aus Ansprache
Der neueste Trend im Fach Geburtshilfe heißt Kaisergeburt, wo Muttern der
Entwicklung des Kindes aus ihrer Bauchdecke sehenden Auges beiwohnen kann
…Atmo unter Text
Sprecherin
Der Kaiserschnitt – auch „Sectio“ genannt – wurde erfunden, um Mutter und
Kind in akuten Notlagen zu retten – etwa bei Geburtsstillstand, bei drohender
Schwangerschaftsvergiftung oder Versorgungsengpässen des Kindes
während der Geburt. Laut Weltgesundheitsorganisation ist bei etwa 15 Prozent
der Geburten ein Kaiserschnitt medizinisch notwendig. In Deutschland liegt die
Sectiorate derzeit bei fast 32 Prozent. Die Bundesrepublik gehört damit zu den
Ländern mit den meisten Kaiserschnitten. Hierzulande hat sich die Anzahl der
Kaiserschnitte in den letzten zwanzig Jahren verdoppelt, weiß Petra Kolip,
Professorin für Prävention und Gesundheitsförderung an der Universität
Bielefeld. Zwar meldete das Statistische Bundesamt im Oktober leicht
rückläufige Zahlen – aber das ist für Petra Kolip kein Grund zur Entwarnung.
2012 veröffentlichte die Gesundheitsforscherin den „Kaiserschnittfaktencheck“
– die bislang größte Studie zum Thema. Aus Daten des statistischen
Bundesamtes, Klinikstatistiken, Krankenkassendaten und Befragungen von
fast 3000 bei einer großen Krankenkasse versicherten Frauen, erarbeitete sie
eine Bestandsaufnahme zum Kaiserschnitt in Deutschland, ihr Fazit:
Sprecher/Zitat:
„…Ökonomische Interessen spielen ebenso eine Rolle wie
Krankenhausroutinen…Die Zahl der Prozesse wegen nicht erfolgter
geburtsmedizinischer Interventionen ist gestiegen, die durchschnittlichen
Schadenssummen belaufen sich auf etwa 100.000 Euro pro Fall. Dies führt zu
einem defensiven Verhalten in der Geburtshilfe, das auch bei kleinsten
Anzeichen eines pathologischen Verlaufs einen Kaiserschnitt die vertretbarste
Option werden lässt…“
Sprecherin
Das deutsche Gesundheitswesen ist dafür anfällig, meint Petra Kolip.
Außerdem würden Frauen zunehmend durch vermeintliche Geburtsrisiken
verunsichert und hätten immer weniger Mut zur natürlichen Geburt:
0-Ton 10/Kolip
Was wir seit vielen, vielen Jahren sehen, ist tatsächlich eine Technisierung der
Medizin –: Sobald etwas erfunden wurde, eine Maschine oder auch ein Medikament,
wird versucht, es an den Mann oder an die Frau zu bringen, da ist die Geburtshilfe
keine Ausnahme… Ich erinnere an den Herzton-Wehenschreiber, CTG-Geräte, das
ist mal erfunden wurden für Risikoschwangere. Dann war es aber sehr lukrativ, man
hatte diese Maschine, man konnte die gut abrechnen, also gab es den Trend hin,
dass eigentlich jede Frau, die in der Klinik ihr Kind bekommt, inzwischen an ein CTGGerät angeschlossen wird und wir können uns das auch gar nicht mehr anders
vorstellen, als dass das sein muss…verblenden mit
Atmo 5/ Herztöne verblenden mit…
Sprecherin
Der Cardiotokograph ist einerseits eine segensreiche Erfindung, zur
Überwachung des Kindes im Mutterleib, andererseits – so geben Hebammen zu
bedenken – kommt es bei den häufigen Routineuntersuchungen auch zu
Fehlinterpretationen - mit weitreichenden Folgen:
0-Ton 11/Lena Terlouw
Beim CTG ist manchmal ein Problem, dass es gewisse Auffälligkeiten gibt,
Situationen drauf sichtbar sind, die man schwer deuten kann. Und wenn man sie
nicht deuten kann, dann wird da oft eingegriffen, auch wenn’s vielleicht nicht nötig
war. Man hat durch verschiedene Studien – vor allem in England schon
herausgefunden - dass eigentlich das perinatale Outcome nicht besser wird durchs
CTG, also wir kriegen keine gesünderen Kinder dadurch, sondern nur mehr
Kaiserschnitte…
Sprecherin
Wegen der strikten Dokumentationspflicht müssen Hebammen und Ärzte
werdende Mütter bei jeder Untersuchung in einer Klinik an das CTG-Gerät
anschließen. Ein weiterer Schritt auf dem Weg zum „vorauseilenden“
Kaiserschnitt kann auch die frühe Einleitung einer Geburt sein.
Eine Schwangerschaft kann bis zu 42 Wochen dauern. Nach den Richtlinien
der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe sind alle
Geburtshelfer verpflichtet, Frauen auf mögliche Risiken aufmerksam zu
machen, wenn sie den errechneten Geburtstermin sieben Tage überschritten
haben. Bald danach wird die Geburt üblicherweise mit wehenfördernden
Mitteln forciert. Doktor Katharina Lüdemann, Oberärztin einer Frauenklinik in
Delmenhorst, kritisierte diese weitverbreitete Praxis beim Nürnberger
Hebammenkongress:
Atmo 21/Hebammenkongress/Dr. Katharina Lüdemann/Oberärztin der
Frauenklinik in Delmenhorst.../
Eine Frau über den Termin wird behandelt wie eine entsicherte Granate, als ob sie
jeden Augenblick explodieren könnte… Vor 18 Jahren durfte ich noch 15 Tage über
den Termin gehen, das schafft heute kaum noch eine Schwangere. Es gibt aber auf
der anderen Seite keinerlei Evidenz, dass es was hilft, die Geburt einzuleiten…
Sprecherin
Das führe nur zu mehr Kaiserschnitten, betont auch Dagmar Spiewok. Die
Hebamme aus der niederbayerischen Stadt Regen muss es wissen. In über
dreißig Berufsjahren hat sie mehr als 3000 Kindern auf die Welt geholfen:
0-Ton 12/ Dagmar Spiewok Des weiß man halt, wenn man einleitet und der Körper
ist noch nicht so weit, dann steht eine hohe Zahl an Kaiserschnitten am Ende und
des hat man früher gemieden und jetzt wird einfach ein Kaiserschnitt gemacht – ohne
Rücksicht auf die Situation eingeleitet – nur weil man sieben Tage über dem
künstlich festgelegten Termin ist, ich finde das unverantwortlich… verblenden mit…
Atmo 22/ Krankenhaus Cham unter Text…/man hört Unterhaltung zwischen
Hebamme und Arzt
Sprecherin
An Lenas Arbeitsplatz, im Krankenhaus Cham, liegt die Sectiorate mit rund 28
Prozent unter dem Bundesdurchschnitt. Im Gegensatz zu anderen
ostbayerischen Kliniken sind die Ärzte hier eher zurückhaltend mit
Kaiserschnitten. Für den Gynäkologen Johannes Steinl, der im Chamer
Krankenhaus als Belegarzt arbeitet, ist die Operation eine „nicht mutige
Geburtshilfe“:
0-Ton 13/14 Steinl
Solange eine Geburt ein natürlicher Vorgang ist, soll sie es auch bleiben… Es war
schon immer mein persönlicher Gusto, möglichst es sich mit den Hebammen nicht zu
verscherzen, weil man von den erfahrenen Hebammen als junger Geburtshelfer sehr
viel lernen kann… verblenden mit
Warum die junge Ärztegeneration eher zum Kaiserschnitt tendiert, ist vor allem darin
begründet, dass der Kaiserschnitt die vermeintlich sicherere Entbindung ist, vor allem
bei Risikokonstellationen wie der Beckenendlage…
Sprecherin
Das Kind liegt nicht mit dem Kopf voran im Mutterleib, sondern in Steißlage.
Dadurch kann es bei der Geburt zu lebensbedrohlichen
Versorgungsengpässen, etwa zu Sauerstoffknappheit, kommen. Auch früher
war das eine Herausforderung für Geburtshelfer, endete aber nicht
notwendigerweise in einem Kaiserschnitt. Heute gibt es kaum noch „spontane
Beckenendlagen-Entbindungen“, weiß Johannes Steinl – schon gar nicht bei
älteren Gebärenden oder Mehrlingsgeburten, die heute durch künstliche
Befruchtung häufiger vorkommen. Es fehlen diejenigen, die eine solche
Entbindung meistern können: Hebammen - und Ärzte aus einer anderen
Generation:
0-Ton 15/Steinl
Die hatten die Gnade der früheren Geburt… Die Qualifikation der Geburtshelfer ist
abnehmend, weil je mehr Kaiserschnitte, desto mehr Operationen, desto weniger
normale Geburtsverläufe, desto weniger normale Geburtshelferausbildung für die
Ärzte…
Sprecherin
Der Gynäkologe Doktor Helmut Neumann, Belegarzt im Krankenhaus Cham,
hat die „Gnade der frühen Geburt“ noch erlebt. Er ist 70 Jahre alt und hat in
über 40 Dienstjahren schon viele schwierige Geburten auch ohne Kaiserschnitt
gemeistert. Neumann stellt einen deutlichen Wandel bei der Risikobereitschaft
von Ärzten fest:
O-Ton 16/Neumann
Die Mehrheit hat nicht den Mut, gegen gewisse Leitlinien vorzugehen…Bei einem
Haftungsrisiko, das deutlich höher ist als früher, haben die natürlich auch
Manschetten. Man darf z.B. nicht vergessen: Ich als Beleger, wenn ich einen Prozess
am Bein habe und ich verliere ihn, bekomme ich keine Versicherung mehr. Also, die
Geburtshilfe trägt sich nicht mehr. Jedes Haftungsrisiko, das Sie einmal voll trifft, ist
eigentlich ein Berufsverbot, Sie finden keinen Versicherer mehr...und damit sind auch
die Ärzte etwas ängstlicher geworden und machen lieber schnell a mal eine Sectio,
als weniger eine Sectio… verblenden mit…
Atmo 24/ Babygeräusche, Schreien von der Kinderstation verblenden mit…
Sprecherin
Im Zweifel für den Kaiserschnitt. – Während sich eine natürliche Geburt über
viele Stunden, manchmal sogar Tage hinziehen kann, passt der punktgenau
planbare Kaiserschnitt, der höchstens eine Stunde dauert, besser in die
schöne, neue Krankenhauswelt…Verblenden mit…
Atmo 25/Klenk aus Rede
Der Patient als Stückzahl, Entbindungen am Fließband, getaktet durch einen
digitalen workflow…die Verbetriebswirtschaftlichung des Gesundheitswesens ist
politisch gewollt, beabsichtigt und gelungen…
Sprecherin
Was Martina Klenk auf dem Hebammenkongress zuspitzt, erleben viele
Geburtshelferinnen in ihrem Berufsalltag. Nele Zupan ist seit einem Jahr
Hebamme in der niederrheinischen Stadt Moers:
0-Ton 17/ Nele
Wir sind ein Level-1- Krankenhaus, das heißt, es ist eine große Klinik mit
angeschlossener Kinderklinik und da ist eine sehr leistungsorientierte Geburtshilfe.
Wir haben an unserer Klinik leider eine sehr hohe Kaiserschnittrate, wir sind schon
über den 30 Prozent. Viele - weil die Frauen schon vom Gynäkologen gepolt zu uns
kommen und sagen: Ich möchte den Kaiserschnitt - kommen dann auch relativ spät
und dementsprechend bleibt uns fast nichts anderes, als die Terminvorgabe. Weil,
wenn eine Frau sich das schon Wochen vorher überlegt hat anstatt zu uns zu
kommen und fragt, kann man das nicht auch anders machen und wir das in Ruhe
evaluieren, dann wird es schwierig …
0-Ton 18/Katharina Lüdemann
Dazu kommt der Kostendruck. Die Fallpauschalen in den Kliniken wurden 2004
eingeführt. Seitdem sind die Kliniken gezwungen, möglichst viel Patienten
durchzuschleusen, um auf ihre Kosten zu kommen…und das macht sich in der
Geburtshilfe auch ganz deutlich bemerkbar, dass zum Beispiel die Hebammenstellen
gekürzt werden. Dass an großen Kliniken, wo täglich fünf Kinder geboren werden,
nur zwei Hebammen im Dienst sind…
Sprecherin
…beobachtet Katharina Lüdemann, die seit zwanzig Jahren als Gynäkologin
arbeitet. Die Fallpauschalenregelung verkürzt Klinikaufenthalte, um
Gesundheitskosten zu sparen. Den finanziellen Verlust versuchen die
Krankenhäuser über teure Gerätemedizin und mehr Operationen
auszugleichen. Der direkte Zusammenhang zwischen Fallpauschalenregelung
und hoher Kaiserschnittrate ist wissenschaftlich zwar noch nicht belegt, aber
naheliegend, meint Martina Klenk, die jahrelang als leitende Hebamme an einer
großen Klinik mit hoher Kaiserschnittrate arbeitete:
0-Ton 19/Klenk
Ein Kaiserschnitt bringt einem Krankenhaus ungefähr 2600 Euro ein, eine
Spontangeburt und so um die 1600…Es stehen sicher finanzielle Interessen
dahinter. Es gibt ja schon Klinikchefs die sagen: Na ja, unter einer Kaiserschnittrate
von 25 Prozent müssen wir die Abteilung schließen…
0-Ton 20/ Prof.Dr. Anton Scharl
Ob Druck auf Chefärzte ausgeübt wird oder nicht, ist schwer zu sagen. Es gibt viele
Behauptungen, es gibt viele Vorstellungen, aber es gibt gar nichts Konkretes…
Sprecherin
Professor Doktor Anton Scharl ist Chefarzt einer Frauenklinik in Amberg in der
Oberpfalz. Im städtischen Krankenhaus kommen pro Jahr 1400 Kinder zur Welt
– rund 40 Prozent per Kaiserschnitt.
0-Ton 21/Scharl
Ein richtiger „Moneymaker“ ist die Kaiserschnittentbindung nicht, da gibt es andere
Leistungen, die eine günstigere Bilanz haben zwischen Aufwand und Ertrag. Wir als
städtisches Krankenhaus sollte keine Verluste machen, wir müssen aber auch keinen
Gewinn machen. Wir müssen die Versorgung der Region sichern. Deshalb sehen wir
die wirtschaftliche Situation, den wirtschaftlichen Druck, geldverdienende Leistungen
zu bringen eigentlich bei uns nicht, ich persönlich empfinde den Druck nicht…
Sprecherin
Warum seine Klinik zu den Krankenhäusern mit der höchsten Kaiserschnittrate
in der Region gehört, erklärt Scharl so:
0-Ton 22 /Scharl
Wenn eine Frau zu mir kommt und sagt: Ich möchte den Kaiserschnitt, weise ich sie
darauf hin, welche Nachteile das hat und dass es die Möglichkeit der Spontangeburt
gibt, die günstiger als ein Kaiserschnitt ist. Wenn aber eine Frau dann sagt: Ich habe
mir das alles überlegt, aber ich möchte einen Kaiserschnitt…dann kann man
sagen…ich entscheide für Dich, dass es schlecht ist und lehne es ab, oder man sagt:
Du bist eine selbstbestimmte Frau, Du entscheidest für Dich. Wenn Du Dir das
überlegt hast und alle Vor- und Nachteile kennst und entscheidest Dich dafür, dann
helfe ich Dir dabei…
Sprecherin
Die Gesundheitswissenschaftlerin Petra Kolip überzeugen solche Argumente
nicht. Sie glaubt, dass der Trend zur Sectio allzu oft mit dem Deckmäntelchen
„Wunschkaiserschnitt“ versehen wird:
0-Ton 23/Kolip
Worüber ich mich ärgere: Diese Vermutung, die immer wieder formuliert wird: Naja,
was Viktoria Beckham will, was andere prominente Frauen wollen –
Terminabstimmungen mit dem Ehemann, man hat da gerade Urlaub, man will die
Schmerzen nicht aushalten – dass das vermutet wird als Wunschkaiserschnitt. Wir
haben versucht, uns das genauer anzugucken und kommen … auf eine Zahl von
zwei bis drei Prozent, also es gibt diese Frauen, die sagen: Ich weiß, es gibt keinen
medizinischen Grund, aber der Anteil von echten Wunschkaiserschnitten ist wirklich
sehr, sehr niedrig…
Sprecherin
Allerdings hängt die hohe Zahl von Kaiserschnitten natürlich auch mit dem
Einverständnis der Frauen zusammen - und: Mit ihrer Unkenntnis.
Gesellschaftlicher Wandel und veränderte Familienstrukturen beflügeln den
Trend. Häufig fehlen Vorbilder und Erfahrungen von weiblichen Verwandten,
die selbst Kinder geboren haben. Kim Zwickler, Anfang 20 und
Hebammenschülerin aus Stuttgart, spricht für ihre Generation:
0-Ton 24/ Kim
Ich glaube schon – das kann ich auch in meinem Freundeskreis feststellen – dass
eine sehr große Unwissenheit darüber herrscht: Was ist eine Geburt, was läuft da ab,
worauf kommt es an, aber nicht weil sie anders sind, als Frauen vor zwanzig Jahren,
sondern weil sie in so ein großes Fragezeichen hineinlaufen… verblenden mit
Atmo 16 (oder Atmo Kongress 2) /Hebammenkongress
0-Ton 25/ Constanze Koschorz/ Wir haben die zwei Folien gesehen, die
Entwicklung die Kaiserschnittrate, aber es war ganz klar: Die niedrigsten Raten sind
im Osten, ich habe förmlich den Umriss der alten DDR-Landkarte vor mir gesehen,
das liegt sicher daran, dass die Frauen noch ein anderes Gebärverständnis haben,
ich weiß es nicht, ist ja jetzt auch ne neue Generation, aber da ist ja eine Generation
vorausgegangen. Gebären war selbstverständlich im Osten. Da wurde überhaupt
nicht drüber diskutiert und Hebammen verstanden ihr Handwerk aus meiner Sicht
sehr gut…
Sprecherin
Constanze Koschorz ist Hebamme in Leipzig. In ihrer Klinik liegt die
Kaiserschnittrate unter 20 Prozent und bestätigt den KaiserschnittFaktencheck, wonach die Neuen Länder im Vergleich zum Westen eine niedrige
Sectiorate haben - am geringsten ist sie in Dresden mit 17 Prozent, am
höchsten in Landau in der Pfalz mit 51 Prozent.
Traditionell wenige Kaiserschnitte werden in Holland gemacht. Dort liegt die
Sectiorate bei 15 Prozent, weiß Franka Cadee, Hebamme und Referentin für
internationale Angelegenheiten im niederländischen Hebammenverband KNOV
0-Ton26/ (Englisch mit OV) Franka Cadee
Sowohl im Gesundheitssystem, als auch in der Bevölkerung glauben die Leute
an die normale Geburt… In Holland haben wir eine ziemlich calvinistische
Kultur – das betrifft nicht nur die Geburt, sondern die allgemeine Einstellung
zur Gesundheit. Frauen gehen nicht so schnell zum Arzt. Ein Arzt verschreibt
nicht so schnell Antibiotika. Die Leute akzeptieren die Dinge mehr so, wie sie
sind und deshalb akzeptieren Frauen auch selbstverständlicher die
Beschwerlichkeiten, die eine natürliche Geburt mit sich bringt…
Sprecherin
Um mehr über die Motivation zum Kaiserschnitt in Deutschland zu erfahren,
verschickte Petra Kolip Fragebögen an 2800 Frauen, die ihr Kind per Operation
auf die Welt gebracht hatten. Das Ergebnis dieser Befragung wurde 2006
veröffentlicht:
0-Ton 27/ Kolip
Die Hälfte der Frauen hat den Fragebogen zurückgeschickt, das ist viel. Und viele
haben noch Berichte angehängt, ihre Erlebnisse aufgeschrieben. Das hat uns sehr
berührt, dass viele sich beklagten, dass niemand fragt, wie es den frauen geht, wenn
das Baby da ist. Was die Frauen berichtet haben, dass sie sehr gut informiert waren
über den Ablauf eines Kaiserschnitts…Sie sagten, sie waren sehr schlecht informiert
über die Konsequenzen eines Kaiserschnitts: Dass sie eine Narbe haben, dass sie
das Baby vielleicht nicht versorgen können. Viele Frauen haben gesagt, es wird
einem verkauft als ein Spaziergang…
0-Ton 28/ Lena
Es tut wirklich weh…die meisten Frauen, die einen Kaiserschnitt hatten, können nicht
gerade laufen, haben Schmerzen, haben Probleme mit dem Stillen… die allermeisten
Frauen sind nicht begeistert von ihren Zustand nach dem Kaiserschnitt…
Sprecherin
…weiß Lena Terlouw aus ihrem Berufsalltag. Der vermeintlich harmlose Schnitt
kann Versagensgefühle hinterlassen, die Mutter-Kind-Beziehung stören oder –
was allerdings wissenschaftlich noch umstritten ist – das Immunsystem des
Kindes schwächen. Eine Sectio könne sich außerdem negativ auf weitere
Schwangerschaften auswirken, gibt die Frauenärztin Katharina Lüdemann zu
bedenken:
0-Ton 29/ Lüdemann
Ein Kaiserschnitt hinterlässt eine große Narbe, nicht nur am Bauch, sondern auch an
der Gebärmutter, er erhöht das Risiko deutlich, bei der nächsten Schwangerschaft
große Probleme zu haben…ich arbeite in einer Stadt mit sehr großem Migrantinnen
Anteil, Frauen, die frisch als Flüchtlinge aus Syrien kommen, die 20, 21 sind, oder
junge Roma Frauen aus Bulgarien, die sind 15, wenn sie das erste Kind bekommen,
wenn die einen Kaiserschnitt bekommen und am Ende wieder zurück müssen in ihr
Land, die tragen ein Riesenpaket mit sich herum, was das zweite, das dritte und alle
folgenden Kinder und sich selbst auch in große Gefahr bringen kann.
Sprecherin
Dabei könnten die Kassen mit der Spontangeburt sogar Geld sparen: 50
Millionen Euro pro Jahr, wenn die Kaiserschnitte bei nur 25 Prozent läge – hat
Petra Kolip hochgerechnet. Stattdessen werden Hebammenstellen gekürzt:
0-Ton 30/Kolip
Wenn man heute in Geburtskliniken geht, dann sieht man. Das Personal wird eher
runtergefahren, eine Hebamme betreut mehrere Frauen gleichzeitig und kann das
gar nicht so intensiv tun, wie das in anderen Zeiten der Fall gewesen ist und wir
wissen, wenn es in der Klinik eine eins zu eins Betreuung gibt, dann sinkt die
Wahrscheinlichkeit, dass es zu einem Kaiserschnitt kommt, weil wenn es dann so
Phasen gibt, wo Frauen etwas durchhängen, mehr Unterstützung brauchen, dann ist
jemand da, der sie in dieser Phase begleiten kann. Verblenden mit Atmo
Atmo 26/Geburt
man hört Hebamme und zwei verschiedene Arten von Schreien und Stöhnen…
Sprecherin
Im Chamer Krankenhaus gibt es diese Unterstützung noch. Die Hebamme Anja
Karl ist heute Lenas Verstärkung. Kurz vor Mitternacht kreißen zwei Frauen
gleichzeitig … verblenden mit
Atmo 27/
Frau stöhnt…
Sprecherin
In immer kürzeren Abständen kommen die Wehen. Am frühen Morgen ist es
dann soweit…
Atmo 27/erster Schrei Mario/
Hebamme sagt: eine Minute vor fünf – Ein Junge…Babyschreien.
Sprecherin
Anja hat Mario auf die Welt geholfen…
Atmo 28/ erster Schrei Jonas/ unter Text
Sprecherin
Jonas folgt kurze Zeit Später. Er hat das Licht der Welt mit Lenas Hilfe erblickt eine nicht unkomplizierte, aber doch gelungene Spontangeburt:
0-Ton 31/Lena
Das Baby kam, und es hat doch durchs Becken gepasst, obwohl es 4680 Gramm
schwer war… das ist dann doch für die Hebamme auch eine kleine Belohnung…
0-Ton 32/Anja
So eine Geburt puscht unheimlich. Man hat wieder so einen Adrenalinschub und ist
erst mal wieder voll da, egal, ob man jetzt seit zwei Stunden im Dienst ist oder seit
zwanzig. Das macht keinen Unterschied… Atmo unter Text
Sprecherin
Nach einer langen Nacht sind beide Hebammen erschöpft, aber glücklich. Um
die eins-zu-eins-Betreuung der Frauen möglich zu machen, war Anja Karl 22
Stunden im Dienst.
Atmo 29/ Demo Hebammen vor Kanzleramt in Berlin/ Proteste, tröten, lärmen,
pfeifen unter Text
Sprecherin
Im Juli 2012 demonstrierten Hebammen und ihre Unterstützerinnen vor dem
Kanzleramt in Berlin.
0-Ton 33/ Mutter bei Demo
Meine Geburt hat 36 Stunden gedauert, ich denke, wäre ich im Krankenhaus
gewesen, hätte man wahrscheinlich wehenfördernde Mittel gegeben, was dann
vielleicht letztendlich zum Kaiserschnitt geführt hätte… Es war eine wunderschöne
Geburt. Wir waren eigentlich die ganze Zeit alleine, haben irgendwann die
Hebammen dazu gerufen. Ich war in meiner Badewanne, wir hatten viele Kerzen
aufgestellt, konnten danach direkt ins Bett, man kann sich mehr auf sich selbst
verlassen wieder, ein bisschen mehr Urvertrauen entwickeln…verblenden mit
Atmo 30/ Demo
Sprechchor: Daniel sei ein Held, für Hebammen mehr Geld… Atmo unter Text
verblenden mit
Sprecherin
Beim damaligen Gesundheitsminister Daniel Bahr protestierten die Hebammen
über steigende Haftpflichtprämien und niedrige Löhne – wieder einmal:
0-Ton 34/Hebamme bei Demo
Für mich ist es nicht nur die Haftpflicht, für mich ist es vor allem der geringe
Verdienst, wenn man sich überlegt, ich bekomme als Beleghebamme 250 Euro für
eine Geburt, das kann einfach nicht sein. Wenn man sich vorstellt, welche
Verantwortung wir tragen, dass wir mitten in der Nacht aufstehen, dass wir
manchmal 24 Stunden am Stück durcharbeiten, manchmal auch länger, um bei einer
Geburt zu bleiben, eine Geburt dauert eben so lange wie sie dauert und wir bleiben
dabei, und dann mit so einem geringen Verdienst rauszugehen, das ist es mir nicht
wert… verblenden mit
Atmo 30(Ende)/ Demo verblenden mit
Atmo 31/ Hebamme auf dem Rednerpult ruft/ Früher wurden die Hebammen in
Deutschland verbrannt, heute werden sie in den Klinken verheizt… Tröten, Lärm…
Sprecherin
Zwar handelten die beiden Hebammenverbände mit dem Dachverband der
Kranken- und Pflegekassen GKV zum 1. Januar 2013 eine Gebührenerhöhung
von 12,35 Prozent für freiberufliche Hebammen aus. Bei dem geringen
Ausgangsniveau ist das aber nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Nicht viel
besser geht es den festangestellten Hebammen, wie Constanze Koschorz aus
Leipzig und Nele Zupan aus Moers beim Hebammentreffen in Nürnberg
erzählen:
0-Ton 35/ Hebamme Koschorz bei Kongress
Mit der Dreiviertelstelle geh‘ ich mit 1500 Euro nach Hause, das finde ich zu wenig.
Ich habe drei Kinder, ich hab ne Wohnung, die kostet 750 Euro im Monat warm,
wenn ich nicht nebenher als freiberufliche Hebamme arbeiten würde, würde ich sehr
alt aussehen, dabei verdiene ich „viel“, weil ich ja älter bin… verblenden mit
0-Ton 36/ Nele beim Kongress
Ich bin mit meinem Gehalt überhaupt nicht zufrieden. Das Problem ist, dass
Hebammen ihren Job so wahnsinnig gerne machen, dass sie ihn auch für so wenig
Geld machen, ich als alleinstehende Frau ohne Kinder in einer kleinen Stadt, kann
mir mit meinen 1700 Euro, die am Ende übrig bleiben, eine Wohnung leisten,
Ausgehen leisten, mit zwei Kindern kann ich das von dem Gehalt nicht mehr und da
wird es dann schwierig.
Sprecherin
Für die freiberufliche Hebamme Lena Terlouw kam noch ein anderes Problem
dazu:
0-Ton 37/Lena
Ich habe als Hebamme keinen Mutterschutz. Man ist, weil man nicht unter den
gesetzlichen Mutterschutz fällt, nicht geschützt vor Gefahrenstoffen, man muss es
eben selbst wissen, gerade als Hebamme, weiß man das natürlich sehr gut, aber es
ist natürlich so, dass einen ökonomische Belange zwingen können, trotzdem weiter
zu arbeiten…als schwangere Hebamme fühle ich mich da ganz groß benachteiligt…
Sprecherin
Fazit: Hebammen gehören zu den Leichtlohngruppen im deutschen
Gesundheitswesen. Bei den Koalitionsverhandlungen verpflichteten sich Union
und SPD zur „Sicherstellung einer flächendeckenden Versorgung mit
Geburtshilfe“. Im Jahr 2012 lag das monatliche Durchschnittseinkommen für
Festangestellte in Vollzeit unter 2000 Euro. Freiberufliche Hebammen
verdienen nach der letzten Gebührenerhöhung knapp 8.50 pro Stunde. Das
errechnete der Bundesverband freiberuflicher Hebammen Deutschlands
(BfHD). Er vertritt rund 1000 Freiberuflerinnen, während im Deutschen
Hebammenverband (DHV) - mit 18.350 Mitgliedern der größte Berufsverband sowohl festangestellte, als auch freiberufliche Hebammen organisiert sind.
DHV-Präsidentin Martina Klenk kritisiert besonders die hohen
Haftpflichtprämien von jährlich 4242 Euro, die ab Juli 2014 um noch einmal 20
Prozent auf über 5000 Euro steigen sollen. Ab 2015 befürchtet der Deutsche
Hebammenverband eine weitere Erhöhung. Beim Versicherer des Bundes freier
Hebammen müssen die Geburtshelferinnen bereits seit Juli diesen Jahres 4480
Euro bezahlen. Um das finanzielle Risiko von Geburtsschäden abzudecken,
sind alle freiberuflichen Hebammen, die Geburtshilfe leisten, verpflichtet, sich
zu versichern. Die Verbände befürchten, dass sich immer mehr Hebammen aus
ihrem eigentlichen Kerngeschäft - der Geburtshilfe - zurückziehen. Allein bei
den Mitgliedern des Deutschen Hebammenverbandes haben seit 2009 fast 24
Prozent die Geburtshilfe aufgegeben:
Atmo 30: Daniel, sei ein Held
Sprecherin
Auch eine vom Bundesgesundheitsministerium beauftragte Studie des Berliner
Instituts zur Evaluation von Entwicklungen im Gesundheitswesen –IGESbestätigte 2012, dass Hebammen durchschnittlich unter zehn Euro
Stundenlohn haben und die „Unterversorgung“ in einzelnen Regionen bereits
spürbar ist:
0-Ton 39/ Klenk
Wir sind darauf angewiesen, dass die Frauen, unsere Klientinnen, Hebammen
verlangen, denn selbst im Wochenbett – das hat die IGES-Studie gezeigt – dass es
schon weiße Flecke gibt auf der Landkarte – vor allem in grenznahen Gebieten,
Schleswig-Holstein, im Osten, in Sachsen, Brandenburg, dann auch nach Frankreich
rüber, Saarland, beziehungsweise Bawü, dass dort keine Hebammen selbst für die
Wochenbett Betreuung mehr da sind…
Beginn Atmo 32
Sprecherin
Auch Lena Terlouw lebt mit ihrer Familie in einer grenznahen Region, in der
Hebammen rar sind. Für die Geburt ihres eigenen Kindes hat sie trotzdem eine
gefunden: Verblenden mit
Atmo 32/ Dagmar Lena im Gespräch bei Voruntersuchung/ Normalerweise
müsste man eine Minute lang zählen, das klappt jetzt hier noch nicht, aber es war
jetzt schon schön zu hören. Wächst und gedeiht…Lena: Bist Du zufrieden mit dem
Wachstum.. unter Text
Sprecherin
Im Frühsommer dieses Jahres ist Lena in der 26. Woche und hat eine
Vorsorgeuntersuchung bei Dagmar Spiewok - eine der wenigen Hebammen, die
noch Hausgeburten betreuen. Mit dem hölzernen Hörrohr kontrolliert Dagmar
Spiewok die Herztöne von Lenas Kind– alles bestens. Auch die Hausgeburt
vier Monate später geht gut… Joram - Lenas und Dirkjans deutsch-
holländischer Sohn – kommt am 4.Oktober in Wilting zur Welt und ist heute
gesund und munter – obwohl er elf Tage nach dem errechneten Termin
geboren wurde…verblenden mit
Atmo 33/ Baby Joram/Lena
Sprecherin
Nach einer Babypause will Lena Terlouw weiter machen. Wie die allermeisten
Hebammen liebt sie ihren Beruf und weiß, wie wichtig das ist, was sie tut.
0-Ton 40/Lena Die Mutter-Kind-Beziehung oder Eltern-Kind-Beziehung, die wächst
ja schon in der Schwangerschaft und wird immer stärker – abhängig davon, wie die
Schwangerschaft verlaufen ist…auch wie das Wochenbett läuft, wie die
Stillbeziehung ist - das ist der Hauptarbeitsbereich einer Hebamme. Wenn eine
Hebamme da feinfühlig und qualitativ gut auf Bindung konzentriert arbeitet, dann
kann man damit die ganze Gesellschaft verändern, dann kann man starke, glückliche
Eltern-Kind-Beziehungen fördern, gesunde Kinder, die sich gut entwickeln
hervorbringen – und das ist unbezahlbar…
Absage
„Im Zweifel Kaiserschnitt? Warum Hebammen für die natürliche Geburt
plädieren. – Sie hörten ein Feature von Agnes Steinbauer
Es sprachen: Claudia Mischke, Nicole Engeln und Berd Reheuser
Ton und Technik: Gunter Rose und Jutta Stein
Regie und Redaktion: Ulrike Bajohr
Eine Produktion des Deutschlandfunks 2013
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