DEUTSCHLANDFUNK Redaktion Hintergrund Kultur / Hörspiel Redaktion: Ulrike Bajohr Dossier Im Zweifel Kaiserschnitt? Warum Hebammen für die natürliche Geburt plädieren Von Agnes Steinbauer Sprecherin Autorinnentext: Claudia Mischke Sprecherin Overvoice Nicole Engeln Sprecher Zitate Bernd Reheuser Urheberrechtlicher Hinweis Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschütztund darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Die Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 44a bis 63a Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. © - unkorrigiertes Exemplar Sendung: Freitag, d. 20. Dezember 2013, 19.15 - 20.00 Uhr (Atmo Herztöne) 0-Ton 1 /Martina Klenk, Vorsitzende Deutscher Hebammenverband Im Grunde geht es bei der Geburtshilfe ums Zuwarten können, ums Vertrauen haben, ums Zeitlassen…die optimale Betreuung einer Kreißenden ist die 1:1 Betreuung durch eine Hebamme… 0-Ton 2 /Dr. Katharina Lüdemann/Oberärztin der Frauenklinik St.Josef-Stift Delmenhorst/ Eine normale Geburt zu betreuen, schafft die Hebamme gar nicht mehr, weil sie ständig zwischen drei Kreißsälen hin und her rennen muss, damit ihr nichts entgeht… 0-Ton 3/Dr. Johannes Steinl/Gynäkologe und Belegarzt, Krankenhaus Cham/ …einen Kaiserschnitt zu machen, ist oft leichter, als eine schwierige Geburt zu leiten… 0-Ton 4/ Lena Terlouw/Beleghebamme Krankenhaus Cham/ Ich denke, dass eine sehr medizinisch begleitete Schwangerschaft zur Folge hat, dass eine Frau eher verunsichert ist, und dass es die Aufgabe der Hebamme ist, das Normale zu bewahren und zu hüten… verblenden mit Atmo 1/Erster Schrei eines Babys/ Hebamme sagt: Ein Junge… verblenden mit… Ansage „Im Zweifel Kaiserschnitt? Warum Hebammen für die natürliche Geburt plädieren. – Ein Feature von Agnes Steinbauer Atmo 2/Lena Autofahrt zum Dienst ins Krankenhaus/ Man hört Autostart, Lena sagt: Ja, schauen wir mal, was uns der Tag heute bringt… verblenden mit Sprecherin Es ist 6.30 Uhr am Morgen. In dem kleinen ostbayerischen Ort Wilting macht sich Lena Terlouw auf den Weg. Die junge Frau ist Hebamme und fährt zum Dienst in die acht Kilometer entfernte Kreisstadt Cham. Atmo 2/ Fahrgeräusche…/ Atmo 2/ Lena Autofahrt/ An so einem schönen Morgen fahre ich eigentlich ganz gerne durch die leeren Straßen, wenn die Sonne schon scheint…das ist einer meiner Tagdienste, in Cham im Krankenhaus, die sind immer 12 Stunden von sieben bis sieben –und es ist auch immer so ein bisschen Vorfreude dabei – was gibt’s denn heut‘ …. Atmo 2/ Fahrgeräusche weiter unter Text Sprecherin Seit 14 Jahren bringt Lena Terlouw Kinder auf die Welt – früher in Amsterdam, jetzt in ihrer Heimatregion nahe der tschechischen Grenze. Die 36-Jährige ist freiberufliche „Beleghebamme“ mit festem Dienstplan im Krankenhaus. Atmo 2/ Auto/Fahrgeräusche… unter Text Sprecherin Der Sicherheitsgurt spannt über Lenas Bauch, denn die Hebamme wird selbst bald wieder Mutter – zum dritten Mal. Atmo 2/ kurz hochziehen und verblenden mit Atmo 3/ Lena beim Aussteigen Man freut sich natürlich, wenn eine schöne Geburt war, klar, das ist der Kick und die richtig guten Momente… verblenden mit… Atmo 4/ Treppensteigen im Krankenhaus /Verschiedene Stimmen sagen: Guten Morgen unter Text ziehen… Sprecherin Es ist kurz vor sieben, Lena Terlouw kommt an ihrem Arbeitsplatz an. Das Chamer Krankenhaus gehört zu den kleineren Klinken der privaten Sana AG. Betreut von vier Ärzten und zwölf Hebammen kommen hier jährlich 700 Kinder zur Welt. Atmo 4/ Treppensteigen hochziehen …verblenden mit Sprecherin Als Lena Terlouw die Tür zur Geburtsstation öffnet, dringt ein vertrautes Geräusch an ihr Ohr. Atmo 5/ Herztöne verblenden mit 0-Ton 5/Lena/ Es ist eigentlich oft so, dass man in den Kreißsaal reinkommt und dann hört man schon ein Herzlein tuckern am CTG… verblenden mit Atmo 5/ Herztöne verblenden mit Sprecherin Der Cardiotokograph, kurz CTG, ist ein elektronisches Gerät, das auf Geburtsstationen häufig verwendet wird. Per Ultraschall zeichnet es die kindlichen Herztöne im Mutterleib auf und macht sie hörbar. Über einen Druckabnehmer am Bauch der Schwangeren schreibt es die Wehen-Frequenz auf lange Papierstreifen…verblenden mit… Atmo 6/ Lena im Gespräch mit Kollegin bei Schichtwechsel… unter Text Sprecherin Inzwischen hat Lena ihren grünen Hebammenkittel übergezogen und die langen, dunklen Haare hochgesteckt. Die Kollegin von der Nachtschicht bringt sie auf den neuesten Stand. Alles war ruhig – keine Notfälle, keine Geburten. Lena macht ihre erste Runde… Verblenden mit… Atmo 7/Lena/ Ich richte jetzt meinen Kreißsaal her, ich guck jetzt, ob alles hygienisch ist und sauber und aufgeräumt, dann kontrollier ich die Reanimationseinheit, falls es einem Baby nicht gut geht… das sind so Sachen, die routinemäßig jeden Tag laufen sollen und wenn ich jetzt gerade Zeit habe, mach ich das am liebsten gleich… verblenden mit Atmo 8/Schritte verblenden mit 0-Ton… Atmo 9 /Lena / Das ist ein Kreißsaal von uns, also einer unserer Geburtsräume. Wir haben drei… hier kann man gut arbeiten, ist einfach sehr gemütlich, so ähnlich wie zu Hause und ich lass die Wanne jetzt mal durchlaufen, das ist einfach ne Hygienemaßnahme…verblenden mit Atmo 9/ Wasserplätschern unter Text Sprecherin In dem bunt gekachelten Raum ist das Licht herunter gedimmt – keine Neonröhren und oder kalte Stahlflächen; von steriler Krankenhausatmosphäre ist hier nichts zu spüren. Atmo 10/Lena Wir haben hier in dem Raum ein großes Geburtsbett, ein Partner-Doppelbett, wo beide drauf liegen können, mit schönen kuscheligen Kissen, daneben steht ein CTGGerät, womit man während der Geburt die Herztöne aufzeichnen kann… Dann gibt’s hier diese Neugeborenen-Einheit, wo man das Baby untersuchen und anziehen kann, die Waage ist natürlich da, um das Gewicht vom Baby festzulegen… dann ist der Gebärhocker dabei, da kann man ihr auf dem Boden eine Möglichkeit richten, auch auf Händen und Knien zu sein oder auf den Gebärstuhl zu gehen. In jedem Kreißsaal ein Pezziball, wo man sich gut bewegen kann. …mir ist das schon ganz wichtig, dass die Frau bei ihrer Geburt selbstbestimmt ist und in verschiedene Positionen gehen kann. So viel wie möglich aufrecht ist, um die Schwerkraft zu nutzen. Ich denke, dass die Geburt dann einfacher verläuft, wenn man die Möglichkeit hat, sich frei zu bewegen … verblenden mit Atmo 11/Telefonklingeln /Lena Lena Terlow, Hebamme, Hallo!… Atmo unter Text… Sprecherin An diesem Morgen klingelt immer wieder das Telefon – Frauen, die Rat suchen. Atmo Lena 12/Lena Blutung so früh in der Schwangerschaft bedeutet schon oft, dass da an der Fruchtanlage was ist, welche Woche sind Sie denn jetzt ungefähr? Atmo 12 unter Text… Sprecherin Auch wenn keine Gebärende im Kreißsaal liegt, hat Lena Terlouw viel zu tun. Heute betreut sie 22 werdende Mütter und Wöchnerinnen auf der Entbindungsstation. Sie kontrolliert Lage und Herztöne der Babys und misst den Blutdruck der Mütter, nimmt Urinproben, gibt Tipps bei Stillproblemen, berät sich mit Ärzten, trägt jede Leistung in den Computer ein und untersucht Frauen kurz vor der Geburt. Atmo 13/ Lena/Mutter Jetzt taste ich mal Deinen Bauch ab… das ist der erste Leopoldsche Handgriff, der bestimmt, wie hoch dein Baby im Bauch steht…des ist so ganz typisch zwei Finger unter dem Rippenbogen…hier oben sind die Füße vom Baby, da trampelt es und strampelt es und tritts Dich manchmal, gell? Mutter: Ja, seit zwei Tagen…Lena: und hier ist der Rücken auf der anderen Seite…und hier unter liegt das Köpfchen, dann müsste man die Herztöne ganz gut hören können…laute Herztöne… Ok, prima, kannst Du so sitzen? Atmo unter Text… Sprecherin Im Zimmer nebenan hat sich eine 19-Jährige werdende Mutter aufs Bett gelegt. Sie erwartet ihr erstes Kind und fühlt sich gar nicht gut. Hier ist nicht nur medizinische Versorgung gefragt, sondern Unterstützung und Trost: Atmo 14/ Lena im Gespräch mit Frau/ Was hast’n selber für a Gefühl…Frau: Ich bin ganz schlapp und irgendwie total fertig und fühl mich eher, als würde ich jetzt krank werden, als könnte ich demnächst ein Kind auf die Welt bringen… Lena: Das war jetzt auch aus den Laborwerten ersichtlich, dass der Entzündungswert angestiegen ist, hat der Doktor das schon erzählt? … Was Du jetzt hast, des sind Vorbereitungswehen, die den Muttermund weich machen…es kann schon noch eine Weile dauern…vielleicht geb ich Dir auch einfach noch ein Zäpfchen,..das Dir Entspannung bringt,…dass Du erst mal ausruhst und schläfst und Kraft schöpfst für die Geburt… verblenden mit Atmo 15/Untersuchung Katrin Liegl verblenden mit Sprecherin Auch Katrin Liegl ist heute gekommen. Zwei Kinder hat sie schon, das dritte lässt sich Zeit. 0-Ton 6/Katrin Liegl/werdende Mutter Mir warten jetzt auch schon acht Tage, die Kinder werden ungeduldig, man selber auch, aber ich find es gehört zur Geburt dazu, dass man nicht planen kann und dass die Kinder kommen, wenn’s soweit ist… verblenden mit Sprecherin Was sie sagt, spricht den Hebammen aus der Seele. Sie wünschen sich die normale Geburt zurück – ein Luxus, den sich viele Kliniken immer seltener leisten. Atmo Herztöne Atmo 17/ Klenk/ aus Ansprache Geburt zeitlich managen zu wollen, ist vermessen… jede Frau gebiert in ihrem Rhythmus… Den schnellen Brüter haben wir in diesem Kontext glücklicherweise noch nicht erfunden…lachen, klatschen Atmo unter Text Sprecherin Beim Hebammenkongress im Mai 2013 in Nürnberg war die „natürliche Geburt“ wichtigstes Thema. Über 2000 Geburtshelferinnen und Ärzte diskutierten Risiken und Nebenwirkungen eines Gesundheitssystems, das – auch in der Geburtshilfe - zunehmend nach der Prämisse „Zeit ist Geld“ funktioniert. Für Martina Klenk, Präsidentin des Deutschen Hebammenverbandes, eine fatale Entwicklung… verblenden mit Atmo 16 / Kongress unter 0-Ton… 0-Ton 7/ Klenk Wir glauben immer dadurch, dass wir eingreifen, machen wir Dinge besser. Das ist aber falsch. Gerade in einem so sensiblen physiologischen Prozess wie die Geburt, sind die wichtigsten Kriterien eine kontinuierliche Betreuung, Störungsfreiheit, dass die Frau ihren eigenen Rhythmus leben kann…dazu gehören auch Pausen und das muss man auch aushalten… verblenden mit Atmo Sprecherin Rund 21.000 Hebammen arbeiten in Deutschland - 98 Prozent fest angestellt oder als Beleghebammen in Krankenhäusern, weniger als zwei Prozent in der Hausgeburtshilfe. Viele von ihnen kombinieren freiberufliche Tätigkeiten mit Festanstellungen oder arbeiten in fest-freien Berufsmodellen. Bezahlt werden Hebammenleistungen von den Krankenkassen. Laut Sozialgesetzbuch haben die Gebärenden Wahlfreiheit zwischen Klinik, Geburtshaus oder Hausgeburt. Gesetzlich festgeschrieben ist außerdem, dass bei Geburten im Krankenhaus immer eine Hebamme dabei sein muss. Sie ist berechtigt, eine Geburt selbstständig zu leiten, solange keine Komplikationen eintreten, die nur ein Arzt behandeln kann. Viele freiberufliche Hebammen verwalten ihr Einkommen in Pools. Was sie verdienen, zahlen sie in einen gemeinsamen Etat, den sie untereinander aufteilen. Auch Lena Terlouw gehört zu einem Pool. Beginn Atmo 18/ Neben ihren Diensten im Krankenhaus arbeitet sie in der Geburtsvorbereitung und besucht junge Mütter zur Nachsorge. Atmo 18/ man hört Lena/Baby quäken/ vierjähriges Mädchen:… Lena: Der Nabel sieht ganz gut aus …an kleinen Springbrunnen hats jetzt gemacht/Kind wiederholt: an Springbrunnen…Baby schreit… unter Text Sprecherin Lena Terlouw auf Hausbesuch bei einer jungen Frau, die eine Woche vorher ein Mädchen geboren hat: Sie guckt sich Johannas Nabel an, wiegt die Kleine und beruhigt die junge Mutter Atmo 19/ Lena sagt: Daniela, sie ist schon zurück auf ihrem Geburtsgewicht, sogar ein bisschen drüber. Sie wiegt jetzt 3200 Gramm, da musst Dir gar keine Sorgen machen… unter Text… Sprecherin Die Unterstützung von Frauen – nicht nur während der Geburt, sondern auch vorher und nachher, ist wichtig für Mutter und Kind. Die psychosoziale Betreuung ist ein unerlässlicher Bestandteil des Hebammenberufes. 0-Ton 8/ Daniela Mir wars wichtig, dass ich weiß, obs zunimmt, weil ich ja so früh abgestillt habe, oder des mit dem Nießen, ob des normal is, beim Nabel wollt ma jetzt sehen, ob des in Ordnung ist… verblenden mit 0-Ton 9/ Katrin Des is fast wichtiger, als beim Frauenarzt. Ich bin zur Vorsorge ab der 30. Woche nur noch zu die Hebammen rein, da fühlt man sich besser beraten, die Ärzte haben meistens keine Zeit, a Hebamme, die selber a scho zwei Kinder kriegt hat, da kann man als Frau auch anders fragen oder sprechen, also, ich find die Hebammen total wichtig… Sprecherin Obwohl viele Frauen ähnlich denken wie Daniela und Katrin, haben die Hebammen einen schweren Stand im deutschen Gesundheitswesen. Vor allem zwei Probleme spitzen sich seit Jahren zu: Die schlechte Bezahlung einer lebenswichtigen Aufgabe und hohe Kaiserschnittraten. Herztöne Atmo 20/ Klenk aus Ansprache Der neueste Trend im Fach Geburtshilfe heißt Kaisergeburt, wo Muttern der Entwicklung des Kindes aus ihrer Bauchdecke sehenden Auges beiwohnen kann …Atmo unter Text Sprecherin Der Kaiserschnitt – auch „Sectio“ genannt – wurde erfunden, um Mutter und Kind in akuten Notlagen zu retten – etwa bei Geburtsstillstand, bei drohender Schwangerschaftsvergiftung oder Versorgungsengpässen des Kindes während der Geburt. Laut Weltgesundheitsorganisation ist bei etwa 15 Prozent der Geburten ein Kaiserschnitt medizinisch notwendig. In Deutschland liegt die Sectiorate derzeit bei fast 32 Prozent. Die Bundesrepublik gehört damit zu den Ländern mit den meisten Kaiserschnitten. Hierzulande hat sich die Anzahl der Kaiserschnitte in den letzten zwanzig Jahren verdoppelt, weiß Petra Kolip, Professorin für Prävention und Gesundheitsförderung an der Universität Bielefeld. Zwar meldete das Statistische Bundesamt im Oktober leicht rückläufige Zahlen – aber das ist für Petra Kolip kein Grund zur Entwarnung. 2012 veröffentlichte die Gesundheitsforscherin den „Kaiserschnittfaktencheck“ – die bislang größte Studie zum Thema. Aus Daten des statistischen Bundesamtes, Klinikstatistiken, Krankenkassendaten und Befragungen von fast 3000 bei einer großen Krankenkasse versicherten Frauen, erarbeitete sie eine Bestandsaufnahme zum Kaiserschnitt in Deutschland, ihr Fazit: Sprecher/Zitat: „…Ökonomische Interessen spielen ebenso eine Rolle wie Krankenhausroutinen…Die Zahl der Prozesse wegen nicht erfolgter geburtsmedizinischer Interventionen ist gestiegen, die durchschnittlichen Schadenssummen belaufen sich auf etwa 100.000 Euro pro Fall. Dies führt zu einem defensiven Verhalten in der Geburtshilfe, das auch bei kleinsten Anzeichen eines pathologischen Verlaufs einen Kaiserschnitt die vertretbarste Option werden lässt…“ Sprecherin Das deutsche Gesundheitswesen ist dafür anfällig, meint Petra Kolip. Außerdem würden Frauen zunehmend durch vermeintliche Geburtsrisiken verunsichert und hätten immer weniger Mut zur natürlichen Geburt: 0-Ton 10/Kolip Was wir seit vielen, vielen Jahren sehen, ist tatsächlich eine Technisierung der Medizin –: Sobald etwas erfunden wurde, eine Maschine oder auch ein Medikament, wird versucht, es an den Mann oder an die Frau zu bringen, da ist die Geburtshilfe keine Ausnahme… Ich erinnere an den Herzton-Wehenschreiber, CTG-Geräte, das ist mal erfunden wurden für Risikoschwangere. Dann war es aber sehr lukrativ, man hatte diese Maschine, man konnte die gut abrechnen, also gab es den Trend hin, dass eigentlich jede Frau, die in der Klinik ihr Kind bekommt, inzwischen an ein CTGGerät angeschlossen wird und wir können uns das auch gar nicht mehr anders vorstellen, als dass das sein muss…verblenden mit Atmo 5/ Herztöne verblenden mit… Sprecherin Der Cardiotokograph ist einerseits eine segensreiche Erfindung, zur Überwachung des Kindes im Mutterleib, andererseits – so geben Hebammen zu bedenken – kommt es bei den häufigen Routineuntersuchungen auch zu Fehlinterpretationen - mit weitreichenden Folgen: 0-Ton 11/Lena Terlouw Beim CTG ist manchmal ein Problem, dass es gewisse Auffälligkeiten gibt, Situationen drauf sichtbar sind, die man schwer deuten kann. Und wenn man sie nicht deuten kann, dann wird da oft eingegriffen, auch wenn’s vielleicht nicht nötig war. Man hat durch verschiedene Studien – vor allem in England schon herausgefunden - dass eigentlich das perinatale Outcome nicht besser wird durchs CTG, also wir kriegen keine gesünderen Kinder dadurch, sondern nur mehr Kaiserschnitte… Sprecherin Wegen der strikten Dokumentationspflicht müssen Hebammen und Ärzte werdende Mütter bei jeder Untersuchung in einer Klinik an das CTG-Gerät anschließen. Ein weiterer Schritt auf dem Weg zum „vorauseilenden“ Kaiserschnitt kann auch die frühe Einleitung einer Geburt sein. Eine Schwangerschaft kann bis zu 42 Wochen dauern. Nach den Richtlinien der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe sind alle Geburtshelfer verpflichtet, Frauen auf mögliche Risiken aufmerksam zu machen, wenn sie den errechneten Geburtstermin sieben Tage überschritten haben. Bald danach wird die Geburt üblicherweise mit wehenfördernden Mitteln forciert. Doktor Katharina Lüdemann, Oberärztin einer Frauenklinik in Delmenhorst, kritisierte diese weitverbreitete Praxis beim Nürnberger Hebammenkongress: Atmo 21/Hebammenkongress/Dr. Katharina Lüdemann/Oberärztin der Frauenklinik in Delmenhorst.../ Eine Frau über den Termin wird behandelt wie eine entsicherte Granate, als ob sie jeden Augenblick explodieren könnte… Vor 18 Jahren durfte ich noch 15 Tage über den Termin gehen, das schafft heute kaum noch eine Schwangere. Es gibt aber auf der anderen Seite keinerlei Evidenz, dass es was hilft, die Geburt einzuleiten… Sprecherin Das führe nur zu mehr Kaiserschnitten, betont auch Dagmar Spiewok. Die Hebamme aus der niederbayerischen Stadt Regen muss es wissen. In über dreißig Berufsjahren hat sie mehr als 3000 Kindern auf die Welt geholfen: 0-Ton 12/ Dagmar Spiewok Des weiß man halt, wenn man einleitet und der Körper ist noch nicht so weit, dann steht eine hohe Zahl an Kaiserschnitten am Ende und des hat man früher gemieden und jetzt wird einfach ein Kaiserschnitt gemacht – ohne Rücksicht auf die Situation eingeleitet – nur weil man sieben Tage über dem künstlich festgelegten Termin ist, ich finde das unverantwortlich… verblenden mit… Atmo 22/ Krankenhaus Cham unter Text…/man hört Unterhaltung zwischen Hebamme und Arzt Sprecherin An Lenas Arbeitsplatz, im Krankenhaus Cham, liegt die Sectiorate mit rund 28 Prozent unter dem Bundesdurchschnitt. Im Gegensatz zu anderen ostbayerischen Kliniken sind die Ärzte hier eher zurückhaltend mit Kaiserschnitten. Für den Gynäkologen Johannes Steinl, der im Chamer Krankenhaus als Belegarzt arbeitet, ist die Operation eine „nicht mutige Geburtshilfe“: 0-Ton 13/14 Steinl Solange eine Geburt ein natürlicher Vorgang ist, soll sie es auch bleiben… Es war schon immer mein persönlicher Gusto, möglichst es sich mit den Hebammen nicht zu verscherzen, weil man von den erfahrenen Hebammen als junger Geburtshelfer sehr viel lernen kann… verblenden mit Warum die junge Ärztegeneration eher zum Kaiserschnitt tendiert, ist vor allem darin begründet, dass der Kaiserschnitt die vermeintlich sicherere Entbindung ist, vor allem bei Risikokonstellationen wie der Beckenendlage… Sprecherin Das Kind liegt nicht mit dem Kopf voran im Mutterleib, sondern in Steißlage. Dadurch kann es bei der Geburt zu lebensbedrohlichen Versorgungsengpässen, etwa zu Sauerstoffknappheit, kommen. Auch früher war das eine Herausforderung für Geburtshelfer, endete aber nicht notwendigerweise in einem Kaiserschnitt. Heute gibt es kaum noch „spontane Beckenendlagen-Entbindungen“, weiß Johannes Steinl – schon gar nicht bei älteren Gebärenden oder Mehrlingsgeburten, die heute durch künstliche Befruchtung häufiger vorkommen. Es fehlen diejenigen, die eine solche Entbindung meistern können: Hebammen - und Ärzte aus einer anderen Generation: 0-Ton 15/Steinl Die hatten die Gnade der früheren Geburt… Die Qualifikation der Geburtshelfer ist abnehmend, weil je mehr Kaiserschnitte, desto mehr Operationen, desto weniger normale Geburtsverläufe, desto weniger normale Geburtshelferausbildung für die Ärzte… Sprecherin Der Gynäkologe Doktor Helmut Neumann, Belegarzt im Krankenhaus Cham, hat die „Gnade der frühen Geburt“ noch erlebt. Er ist 70 Jahre alt und hat in über 40 Dienstjahren schon viele schwierige Geburten auch ohne Kaiserschnitt gemeistert. Neumann stellt einen deutlichen Wandel bei der Risikobereitschaft von Ärzten fest: O-Ton 16/Neumann Die Mehrheit hat nicht den Mut, gegen gewisse Leitlinien vorzugehen…Bei einem Haftungsrisiko, das deutlich höher ist als früher, haben die natürlich auch Manschetten. Man darf z.B. nicht vergessen: Ich als Beleger, wenn ich einen Prozess am Bein habe und ich verliere ihn, bekomme ich keine Versicherung mehr. Also, die Geburtshilfe trägt sich nicht mehr. Jedes Haftungsrisiko, das Sie einmal voll trifft, ist eigentlich ein Berufsverbot, Sie finden keinen Versicherer mehr...und damit sind auch die Ärzte etwas ängstlicher geworden und machen lieber schnell a mal eine Sectio, als weniger eine Sectio… verblenden mit… Atmo 24/ Babygeräusche, Schreien von der Kinderstation verblenden mit… Sprecherin Im Zweifel für den Kaiserschnitt. – Während sich eine natürliche Geburt über viele Stunden, manchmal sogar Tage hinziehen kann, passt der punktgenau planbare Kaiserschnitt, der höchstens eine Stunde dauert, besser in die schöne, neue Krankenhauswelt…Verblenden mit… Atmo 25/Klenk aus Rede Der Patient als Stückzahl, Entbindungen am Fließband, getaktet durch einen digitalen workflow…die Verbetriebswirtschaftlichung des Gesundheitswesens ist politisch gewollt, beabsichtigt und gelungen… Sprecherin Was Martina Klenk auf dem Hebammenkongress zuspitzt, erleben viele Geburtshelferinnen in ihrem Berufsalltag. Nele Zupan ist seit einem Jahr Hebamme in der niederrheinischen Stadt Moers: 0-Ton 17/ Nele Wir sind ein Level-1- Krankenhaus, das heißt, es ist eine große Klinik mit angeschlossener Kinderklinik und da ist eine sehr leistungsorientierte Geburtshilfe. Wir haben an unserer Klinik leider eine sehr hohe Kaiserschnittrate, wir sind schon über den 30 Prozent. Viele - weil die Frauen schon vom Gynäkologen gepolt zu uns kommen und sagen: Ich möchte den Kaiserschnitt - kommen dann auch relativ spät und dementsprechend bleibt uns fast nichts anderes, als die Terminvorgabe. Weil, wenn eine Frau sich das schon Wochen vorher überlegt hat anstatt zu uns zu kommen und fragt, kann man das nicht auch anders machen und wir das in Ruhe evaluieren, dann wird es schwierig … 0-Ton 18/Katharina Lüdemann Dazu kommt der Kostendruck. Die Fallpauschalen in den Kliniken wurden 2004 eingeführt. Seitdem sind die Kliniken gezwungen, möglichst viel Patienten durchzuschleusen, um auf ihre Kosten zu kommen…und das macht sich in der Geburtshilfe auch ganz deutlich bemerkbar, dass zum Beispiel die Hebammenstellen gekürzt werden. Dass an großen Kliniken, wo täglich fünf Kinder geboren werden, nur zwei Hebammen im Dienst sind… Sprecherin …beobachtet Katharina Lüdemann, die seit zwanzig Jahren als Gynäkologin arbeitet. Die Fallpauschalenregelung verkürzt Klinikaufenthalte, um Gesundheitskosten zu sparen. Den finanziellen Verlust versuchen die Krankenhäuser über teure Gerätemedizin und mehr Operationen auszugleichen. Der direkte Zusammenhang zwischen Fallpauschalenregelung und hoher Kaiserschnittrate ist wissenschaftlich zwar noch nicht belegt, aber naheliegend, meint Martina Klenk, die jahrelang als leitende Hebamme an einer großen Klinik mit hoher Kaiserschnittrate arbeitete: 0-Ton 19/Klenk Ein Kaiserschnitt bringt einem Krankenhaus ungefähr 2600 Euro ein, eine Spontangeburt und so um die 1600…Es stehen sicher finanzielle Interessen dahinter. Es gibt ja schon Klinikchefs die sagen: Na ja, unter einer Kaiserschnittrate von 25 Prozent müssen wir die Abteilung schließen… 0-Ton 20/ Prof.Dr. Anton Scharl Ob Druck auf Chefärzte ausgeübt wird oder nicht, ist schwer zu sagen. Es gibt viele Behauptungen, es gibt viele Vorstellungen, aber es gibt gar nichts Konkretes… Sprecherin Professor Doktor Anton Scharl ist Chefarzt einer Frauenklinik in Amberg in der Oberpfalz. Im städtischen Krankenhaus kommen pro Jahr 1400 Kinder zur Welt – rund 40 Prozent per Kaiserschnitt. 0-Ton 21/Scharl Ein richtiger „Moneymaker“ ist die Kaiserschnittentbindung nicht, da gibt es andere Leistungen, die eine günstigere Bilanz haben zwischen Aufwand und Ertrag. Wir als städtisches Krankenhaus sollte keine Verluste machen, wir müssen aber auch keinen Gewinn machen. Wir müssen die Versorgung der Region sichern. Deshalb sehen wir die wirtschaftliche Situation, den wirtschaftlichen Druck, geldverdienende Leistungen zu bringen eigentlich bei uns nicht, ich persönlich empfinde den Druck nicht… Sprecherin Warum seine Klinik zu den Krankenhäusern mit der höchsten Kaiserschnittrate in der Region gehört, erklärt Scharl so: 0-Ton 22 /Scharl Wenn eine Frau zu mir kommt und sagt: Ich möchte den Kaiserschnitt, weise ich sie darauf hin, welche Nachteile das hat und dass es die Möglichkeit der Spontangeburt gibt, die günstiger als ein Kaiserschnitt ist. Wenn aber eine Frau dann sagt: Ich habe mir das alles überlegt, aber ich möchte einen Kaiserschnitt…dann kann man sagen…ich entscheide für Dich, dass es schlecht ist und lehne es ab, oder man sagt: Du bist eine selbstbestimmte Frau, Du entscheidest für Dich. Wenn Du Dir das überlegt hast und alle Vor- und Nachteile kennst und entscheidest Dich dafür, dann helfe ich Dir dabei… Sprecherin Die Gesundheitswissenschaftlerin Petra Kolip überzeugen solche Argumente nicht. Sie glaubt, dass der Trend zur Sectio allzu oft mit dem Deckmäntelchen „Wunschkaiserschnitt“ versehen wird: 0-Ton 23/Kolip Worüber ich mich ärgere: Diese Vermutung, die immer wieder formuliert wird: Naja, was Viktoria Beckham will, was andere prominente Frauen wollen – Terminabstimmungen mit dem Ehemann, man hat da gerade Urlaub, man will die Schmerzen nicht aushalten – dass das vermutet wird als Wunschkaiserschnitt. Wir haben versucht, uns das genauer anzugucken und kommen … auf eine Zahl von zwei bis drei Prozent, also es gibt diese Frauen, die sagen: Ich weiß, es gibt keinen medizinischen Grund, aber der Anteil von echten Wunschkaiserschnitten ist wirklich sehr, sehr niedrig… Sprecherin Allerdings hängt die hohe Zahl von Kaiserschnitten natürlich auch mit dem Einverständnis der Frauen zusammen - und: Mit ihrer Unkenntnis. Gesellschaftlicher Wandel und veränderte Familienstrukturen beflügeln den Trend. Häufig fehlen Vorbilder und Erfahrungen von weiblichen Verwandten, die selbst Kinder geboren haben. Kim Zwickler, Anfang 20 und Hebammenschülerin aus Stuttgart, spricht für ihre Generation: 0-Ton 24/ Kim Ich glaube schon – das kann ich auch in meinem Freundeskreis feststellen – dass eine sehr große Unwissenheit darüber herrscht: Was ist eine Geburt, was läuft da ab, worauf kommt es an, aber nicht weil sie anders sind, als Frauen vor zwanzig Jahren, sondern weil sie in so ein großes Fragezeichen hineinlaufen… verblenden mit Atmo 16 (oder Atmo Kongress 2) /Hebammenkongress 0-Ton 25/ Constanze Koschorz/ Wir haben die zwei Folien gesehen, die Entwicklung die Kaiserschnittrate, aber es war ganz klar: Die niedrigsten Raten sind im Osten, ich habe förmlich den Umriss der alten DDR-Landkarte vor mir gesehen, das liegt sicher daran, dass die Frauen noch ein anderes Gebärverständnis haben, ich weiß es nicht, ist ja jetzt auch ne neue Generation, aber da ist ja eine Generation vorausgegangen. Gebären war selbstverständlich im Osten. Da wurde überhaupt nicht drüber diskutiert und Hebammen verstanden ihr Handwerk aus meiner Sicht sehr gut… Sprecherin Constanze Koschorz ist Hebamme in Leipzig. In ihrer Klinik liegt die Kaiserschnittrate unter 20 Prozent und bestätigt den KaiserschnittFaktencheck, wonach die Neuen Länder im Vergleich zum Westen eine niedrige Sectiorate haben - am geringsten ist sie in Dresden mit 17 Prozent, am höchsten in Landau in der Pfalz mit 51 Prozent. Traditionell wenige Kaiserschnitte werden in Holland gemacht. Dort liegt die Sectiorate bei 15 Prozent, weiß Franka Cadee, Hebamme und Referentin für internationale Angelegenheiten im niederländischen Hebammenverband KNOV 0-Ton26/ (Englisch mit OV) Franka Cadee Sowohl im Gesundheitssystem, als auch in der Bevölkerung glauben die Leute an die normale Geburt… In Holland haben wir eine ziemlich calvinistische Kultur – das betrifft nicht nur die Geburt, sondern die allgemeine Einstellung zur Gesundheit. Frauen gehen nicht so schnell zum Arzt. Ein Arzt verschreibt nicht so schnell Antibiotika. Die Leute akzeptieren die Dinge mehr so, wie sie sind und deshalb akzeptieren Frauen auch selbstverständlicher die Beschwerlichkeiten, die eine natürliche Geburt mit sich bringt… Sprecherin Um mehr über die Motivation zum Kaiserschnitt in Deutschland zu erfahren, verschickte Petra Kolip Fragebögen an 2800 Frauen, die ihr Kind per Operation auf die Welt gebracht hatten. Das Ergebnis dieser Befragung wurde 2006 veröffentlicht: 0-Ton 27/ Kolip Die Hälfte der Frauen hat den Fragebogen zurückgeschickt, das ist viel. Und viele haben noch Berichte angehängt, ihre Erlebnisse aufgeschrieben. Das hat uns sehr berührt, dass viele sich beklagten, dass niemand fragt, wie es den frauen geht, wenn das Baby da ist. Was die Frauen berichtet haben, dass sie sehr gut informiert waren über den Ablauf eines Kaiserschnitts…Sie sagten, sie waren sehr schlecht informiert über die Konsequenzen eines Kaiserschnitts: Dass sie eine Narbe haben, dass sie das Baby vielleicht nicht versorgen können. Viele Frauen haben gesagt, es wird einem verkauft als ein Spaziergang… 0-Ton 28/ Lena Es tut wirklich weh…die meisten Frauen, die einen Kaiserschnitt hatten, können nicht gerade laufen, haben Schmerzen, haben Probleme mit dem Stillen… die allermeisten Frauen sind nicht begeistert von ihren Zustand nach dem Kaiserschnitt… Sprecherin …weiß Lena Terlouw aus ihrem Berufsalltag. Der vermeintlich harmlose Schnitt kann Versagensgefühle hinterlassen, die Mutter-Kind-Beziehung stören oder – was allerdings wissenschaftlich noch umstritten ist – das Immunsystem des Kindes schwächen. Eine Sectio könne sich außerdem negativ auf weitere Schwangerschaften auswirken, gibt die Frauenärztin Katharina Lüdemann zu bedenken: 0-Ton 29/ Lüdemann Ein Kaiserschnitt hinterlässt eine große Narbe, nicht nur am Bauch, sondern auch an der Gebärmutter, er erhöht das Risiko deutlich, bei der nächsten Schwangerschaft große Probleme zu haben…ich arbeite in einer Stadt mit sehr großem Migrantinnen Anteil, Frauen, die frisch als Flüchtlinge aus Syrien kommen, die 20, 21 sind, oder junge Roma Frauen aus Bulgarien, die sind 15, wenn sie das erste Kind bekommen, wenn die einen Kaiserschnitt bekommen und am Ende wieder zurück müssen in ihr Land, die tragen ein Riesenpaket mit sich herum, was das zweite, das dritte und alle folgenden Kinder und sich selbst auch in große Gefahr bringen kann. Sprecherin Dabei könnten die Kassen mit der Spontangeburt sogar Geld sparen: 50 Millionen Euro pro Jahr, wenn die Kaiserschnitte bei nur 25 Prozent läge – hat Petra Kolip hochgerechnet. Stattdessen werden Hebammenstellen gekürzt: 0-Ton 30/Kolip Wenn man heute in Geburtskliniken geht, dann sieht man. Das Personal wird eher runtergefahren, eine Hebamme betreut mehrere Frauen gleichzeitig und kann das gar nicht so intensiv tun, wie das in anderen Zeiten der Fall gewesen ist und wir wissen, wenn es in der Klinik eine eins zu eins Betreuung gibt, dann sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass es zu einem Kaiserschnitt kommt, weil wenn es dann so Phasen gibt, wo Frauen etwas durchhängen, mehr Unterstützung brauchen, dann ist jemand da, der sie in dieser Phase begleiten kann. Verblenden mit Atmo Atmo 26/Geburt man hört Hebamme und zwei verschiedene Arten von Schreien und Stöhnen… Sprecherin Im Chamer Krankenhaus gibt es diese Unterstützung noch. Die Hebamme Anja Karl ist heute Lenas Verstärkung. Kurz vor Mitternacht kreißen zwei Frauen gleichzeitig … verblenden mit Atmo 27/ Frau stöhnt… Sprecherin In immer kürzeren Abständen kommen die Wehen. Am frühen Morgen ist es dann soweit… Atmo 27/erster Schrei Mario/ Hebamme sagt: eine Minute vor fünf – Ein Junge…Babyschreien. Sprecherin Anja hat Mario auf die Welt geholfen… Atmo 28/ erster Schrei Jonas/ unter Text Sprecherin Jonas folgt kurze Zeit Später. Er hat das Licht der Welt mit Lenas Hilfe erblickt eine nicht unkomplizierte, aber doch gelungene Spontangeburt: 0-Ton 31/Lena Das Baby kam, und es hat doch durchs Becken gepasst, obwohl es 4680 Gramm schwer war… das ist dann doch für die Hebamme auch eine kleine Belohnung… 0-Ton 32/Anja So eine Geburt puscht unheimlich. Man hat wieder so einen Adrenalinschub und ist erst mal wieder voll da, egal, ob man jetzt seit zwei Stunden im Dienst ist oder seit zwanzig. Das macht keinen Unterschied… Atmo unter Text Sprecherin Nach einer langen Nacht sind beide Hebammen erschöpft, aber glücklich. Um die eins-zu-eins-Betreuung der Frauen möglich zu machen, war Anja Karl 22 Stunden im Dienst. Atmo 29/ Demo Hebammen vor Kanzleramt in Berlin/ Proteste, tröten, lärmen, pfeifen unter Text Sprecherin Im Juli 2012 demonstrierten Hebammen und ihre Unterstützerinnen vor dem Kanzleramt in Berlin. 0-Ton 33/ Mutter bei Demo Meine Geburt hat 36 Stunden gedauert, ich denke, wäre ich im Krankenhaus gewesen, hätte man wahrscheinlich wehenfördernde Mittel gegeben, was dann vielleicht letztendlich zum Kaiserschnitt geführt hätte… Es war eine wunderschöne Geburt. Wir waren eigentlich die ganze Zeit alleine, haben irgendwann die Hebammen dazu gerufen. Ich war in meiner Badewanne, wir hatten viele Kerzen aufgestellt, konnten danach direkt ins Bett, man kann sich mehr auf sich selbst verlassen wieder, ein bisschen mehr Urvertrauen entwickeln…verblenden mit Atmo 30/ Demo Sprechchor: Daniel sei ein Held, für Hebammen mehr Geld… Atmo unter Text verblenden mit Sprecherin Beim damaligen Gesundheitsminister Daniel Bahr protestierten die Hebammen über steigende Haftpflichtprämien und niedrige Löhne – wieder einmal: 0-Ton 34/Hebamme bei Demo Für mich ist es nicht nur die Haftpflicht, für mich ist es vor allem der geringe Verdienst, wenn man sich überlegt, ich bekomme als Beleghebamme 250 Euro für eine Geburt, das kann einfach nicht sein. Wenn man sich vorstellt, welche Verantwortung wir tragen, dass wir mitten in der Nacht aufstehen, dass wir manchmal 24 Stunden am Stück durcharbeiten, manchmal auch länger, um bei einer Geburt zu bleiben, eine Geburt dauert eben so lange wie sie dauert und wir bleiben dabei, und dann mit so einem geringen Verdienst rauszugehen, das ist es mir nicht wert… verblenden mit Atmo 30(Ende)/ Demo verblenden mit Atmo 31/ Hebamme auf dem Rednerpult ruft/ Früher wurden die Hebammen in Deutschland verbrannt, heute werden sie in den Klinken verheizt… Tröten, Lärm… Sprecherin Zwar handelten die beiden Hebammenverbände mit dem Dachverband der Kranken- und Pflegekassen GKV zum 1. Januar 2013 eine Gebührenerhöhung von 12,35 Prozent für freiberufliche Hebammen aus. Bei dem geringen Ausgangsniveau ist das aber nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Nicht viel besser geht es den festangestellten Hebammen, wie Constanze Koschorz aus Leipzig und Nele Zupan aus Moers beim Hebammentreffen in Nürnberg erzählen: 0-Ton 35/ Hebamme Koschorz bei Kongress Mit der Dreiviertelstelle geh‘ ich mit 1500 Euro nach Hause, das finde ich zu wenig. Ich habe drei Kinder, ich hab ne Wohnung, die kostet 750 Euro im Monat warm, wenn ich nicht nebenher als freiberufliche Hebamme arbeiten würde, würde ich sehr alt aussehen, dabei verdiene ich „viel“, weil ich ja älter bin… verblenden mit 0-Ton 36/ Nele beim Kongress Ich bin mit meinem Gehalt überhaupt nicht zufrieden. Das Problem ist, dass Hebammen ihren Job so wahnsinnig gerne machen, dass sie ihn auch für so wenig Geld machen, ich als alleinstehende Frau ohne Kinder in einer kleinen Stadt, kann mir mit meinen 1700 Euro, die am Ende übrig bleiben, eine Wohnung leisten, Ausgehen leisten, mit zwei Kindern kann ich das von dem Gehalt nicht mehr und da wird es dann schwierig. Sprecherin Für die freiberufliche Hebamme Lena Terlouw kam noch ein anderes Problem dazu: 0-Ton 37/Lena Ich habe als Hebamme keinen Mutterschutz. Man ist, weil man nicht unter den gesetzlichen Mutterschutz fällt, nicht geschützt vor Gefahrenstoffen, man muss es eben selbst wissen, gerade als Hebamme, weiß man das natürlich sehr gut, aber es ist natürlich so, dass einen ökonomische Belange zwingen können, trotzdem weiter zu arbeiten…als schwangere Hebamme fühle ich mich da ganz groß benachteiligt… Sprecherin Fazit: Hebammen gehören zu den Leichtlohngruppen im deutschen Gesundheitswesen. Bei den Koalitionsverhandlungen verpflichteten sich Union und SPD zur „Sicherstellung einer flächendeckenden Versorgung mit Geburtshilfe“. Im Jahr 2012 lag das monatliche Durchschnittseinkommen für Festangestellte in Vollzeit unter 2000 Euro. Freiberufliche Hebammen verdienen nach der letzten Gebührenerhöhung knapp 8.50 pro Stunde. Das errechnete der Bundesverband freiberuflicher Hebammen Deutschlands (BfHD). Er vertritt rund 1000 Freiberuflerinnen, während im Deutschen Hebammenverband (DHV) - mit 18.350 Mitgliedern der größte Berufsverband sowohl festangestellte, als auch freiberufliche Hebammen organisiert sind. DHV-Präsidentin Martina Klenk kritisiert besonders die hohen Haftpflichtprämien von jährlich 4242 Euro, die ab Juli 2014 um noch einmal 20 Prozent auf über 5000 Euro steigen sollen. Ab 2015 befürchtet der Deutsche Hebammenverband eine weitere Erhöhung. Beim Versicherer des Bundes freier Hebammen müssen die Geburtshelferinnen bereits seit Juli diesen Jahres 4480 Euro bezahlen. Um das finanzielle Risiko von Geburtsschäden abzudecken, sind alle freiberuflichen Hebammen, die Geburtshilfe leisten, verpflichtet, sich zu versichern. Die Verbände befürchten, dass sich immer mehr Hebammen aus ihrem eigentlichen Kerngeschäft - der Geburtshilfe - zurückziehen. Allein bei den Mitgliedern des Deutschen Hebammenverbandes haben seit 2009 fast 24 Prozent die Geburtshilfe aufgegeben: Atmo 30: Daniel, sei ein Held Sprecherin Auch eine vom Bundesgesundheitsministerium beauftragte Studie des Berliner Instituts zur Evaluation von Entwicklungen im Gesundheitswesen –IGESbestätigte 2012, dass Hebammen durchschnittlich unter zehn Euro Stundenlohn haben und die „Unterversorgung“ in einzelnen Regionen bereits spürbar ist: 0-Ton 39/ Klenk Wir sind darauf angewiesen, dass die Frauen, unsere Klientinnen, Hebammen verlangen, denn selbst im Wochenbett – das hat die IGES-Studie gezeigt – dass es schon weiße Flecke gibt auf der Landkarte – vor allem in grenznahen Gebieten, Schleswig-Holstein, im Osten, in Sachsen, Brandenburg, dann auch nach Frankreich rüber, Saarland, beziehungsweise Bawü, dass dort keine Hebammen selbst für die Wochenbett Betreuung mehr da sind… Beginn Atmo 32 Sprecherin Auch Lena Terlouw lebt mit ihrer Familie in einer grenznahen Region, in der Hebammen rar sind. Für die Geburt ihres eigenen Kindes hat sie trotzdem eine gefunden: Verblenden mit Atmo 32/ Dagmar Lena im Gespräch bei Voruntersuchung/ Normalerweise müsste man eine Minute lang zählen, das klappt jetzt hier noch nicht, aber es war jetzt schon schön zu hören. Wächst und gedeiht…Lena: Bist Du zufrieden mit dem Wachstum.. unter Text Sprecherin Im Frühsommer dieses Jahres ist Lena in der 26. Woche und hat eine Vorsorgeuntersuchung bei Dagmar Spiewok - eine der wenigen Hebammen, die noch Hausgeburten betreuen. Mit dem hölzernen Hörrohr kontrolliert Dagmar Spiewok die Herztöne von Lenas Kind– alles bestens. Auch die Hausgeburt vier Monate später geht gut… Joram - Lenas und Dirkjans deutsch- holländischer Sohn – kommt am 4.Oktober in Wilting zur Welt und ist heute gesund und munter – obwohl er elf Tage nach dem errechneten Termin geboren wurde…verblenden mit Atmo 33/ Baby Joram/Lena Sprecherin Nach einer Babypause will Lena Terlouw weiter machen. Wie die allermeisten Hebammen liebt sie ihren Beruf und weiß, wie wichtig das ist, was sie tut. 0-Ton 40/Lena Die Mutter-Kind-Beziehung oder Eltern-Kind-Beziehung, die wächst ja schon in der Schwangerschaft und wird immer stärker – abhängig davon, wie die Schwangerschaft verlaufen ist…auch wie das Wochenbett läuft, wie die Stillbeziehung ist - das ist der Hauptarbeitsbereich einer Hebamme. Wenn eine Hebamme da feinfühlig und qualitativ gut auf Bindung konzentriert arbeitet, dann kann man damit die ganze Gesellschaft verändern, dann kann man starke, glückliche Eltern-Kind-Beziehungen fördern, gesunde Kinder, die sich gut entwickeln hervorbringen – und das ist unbezahlbar… Absage „Im Zweifel Kaiserschnitt? Warum Hebammen für die natürliche Geburt plädieren. – Sie hörten ein Feature von Agnes Steinbauer Es sprachen: Claudia Mischke, Nicole Engeln und Berd Reheuser Ton und Technik: Gunter Rose und Jutta Stein Regie und Redaktion: Ulrike Bajohr Eine Produktion des Deutschlandfunks 2013