Regeneration - Balgrist Move>Med

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© SonntagsZeitung; 22.04.2012; Seite 67
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Wissen
Nach dem Lauf cool bleiben
Für die Regeneration ist Kälte besser als Wärme, sagen Sportwissenschaftler
Anke Fossgreen
«Nach meinem ersten Marathon hatte ich eine Woche lang Schmerzen in den Beinen»,
sagt Michael Wawroschek. «Ich konnte Treppen nur rückwärts runtergehen.» Damals als
Student war er am Anfang viel zu schnell unterwegs gewesen und hatte die ersten 20
Kilometer weder Flüssigkeit noch Nahrung zu sich genommen. Die Schmerzen zeigten
ihm deutlich, dass er eine Ruhezeit brauchte.
Doch wie lange sollen sich Marathonläufer nach den Strapazen erholen, und wie können
sie die Regeneration unterstützen? «Generell gilt: Je intensiver die sportliche Belastung
ist, umso mehr Regenerationszeit ist nötig», sagt Wawroschek, der inzwischen die Swiss
Olympic Medical Base an der Sport Clinic in Zürich leitet und beim heutigen Zürich
Marathon mit seinem Team die Läufer ärztlich betreut. Es sei aber stark vom
Trainingszustand der Athleten abhängig, wie schnell sie wieder auf die Beine kommen.
Während eines Marathons ist der Körper enormen Belastungen ausgesetzt: Auf der mehr
als 42 Kilometer langen Strecke müssen die Muskeln die Stösse von rund 50 000
Schritten abfangen. Während Spaziergänger ganz normal ihr Gewicht tragen, springen
Jogger mit dem dreifachen Körpergewicht pro Schritt auf ihre Füsse. Kein Wunder, dass
Muskeln, Sehnen und Gelenke leiden und der Körper Entzündungsreaktionen zeigt.
Die gut durchbluteten Muskeln erholen sich innerhalb von wenigen Tagen, wohingegen
geschädigte Sehnen oder auch die Knochen einige Monate benötigen. Die
Empfehlungen der Sportwissenschaftler, wie diese Prozesse beschleunigt werden
könnten, beruhen auf empirischen Beobachtungen oder kleineren wissenschaftlichen
Studien.
Ein Dilemma ist, dass die körperlichen Reaktionen auf die grosse Anstrengung so
vielfältig sind, dass sie eine einheitliche Massnahme ausschliessen. Beispielsweise wird
seit Jahren diskutiert, ob für die Muskeln nach getaner Arbeit Kälte oder Wärme besser
ist. «Da die Muskelfasern der Läufer Mikroverletzungen aufweisen, plädiere man für
Kälte», sagt Walter O. Frey, sportmedizinischer Leiter von Movemed an der Uniklinik
Balgrist in Zürich. Andererseits benötigen die Muskeln eine optimale Blutversorgung, um
zerstörtes Gewebe abzutransportieren und Nährstoffe für die Regeneration anzuliefern.
«Und die Durchblutung wird durch Wärme gefördert», sagt Frey.
Ein Eisbad ist gut für Muskeln und Immunsystem
Es gibt immer mehr Studien, die zeigen, dass es besser zu sein scheint, den Körper nach
der Belastung zu kühlen. Beispielsweise haben Sportwissenschaftler vom Institut
National du Sport, de lExpertise et de la Performance (Insep) in Paris kürzlich
entsprechende Ergebnisse in der Fachzeitschrift «PLOS One» veröffentlicht: Neun
Sportler hatten sich nach dem Laufen entweder in eine Kältekammer begeben, unter
wärmendes Infrarotlicht oder auf die Couch. Dabei erholten sich ihre Muskeln bei Kälte
am besten, gefolgt von der Wärmebehandlung. Das Nichtstun erwies sich als
schlechteste Massnahme.
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Jean-Paul Mvongo, Leiter des Speed-Trainings an der Sport Clinic in Zürich, ist von der
Kältebehandlung überzeugt. Er empfiehlt sogar den Marathon-Finishern ein eiskaltes
Bad: «Einfach auf dem Heimweg bei der Tankstelle einen Sack Eis besorgen und sich zu
Hause für dreimal vier bis zehn Minuten ins gekühlte Wasser legen. Das belebt und
beschleunigt die Regeneration», sagt Mvongo, der die Kältetherapie in einer grösseren
Studie untersuchen will. Bekannt sei bisher, so Mvongo, dass Kälte gut ist, um
Muskelkater vorzubeugen. Der Effekt sei bei Amateuren grösser als bei Spitzensportlern.
«Eine regelmässige Anwendung entspannt die Muskulatur, wirkt schmerzlindernd,
entzündungshemmend und stärkt das Immunsystem», sagt Mvongo. Oft merken die
Läufer erst nach der Ziellinie, dass ihre Muskeln, Gelenke oder Füsse höllisch wehtun.
Während des Wettkampfs haben die vermehrt ausgeschütteten Stresshormone die
Schmerzwahrnehmung gedämpft.
Patrick Noack vom Bundesamt für Sport in Magglingen befürwortet ebenfalls die
Kälteanwendungen. «Am ersten Tag ist ein kaltes Bad sinnvoll, um Entzündungen zu
bekämpfen, und später Wechselduschen, um die Durchblutung anzuregen», sagt der
Sportmediziner. Ein weiterer Effekt der Kälte sei die Wiederverengung der Blutgefässe.
Durch die Anstrengung werden die Blutgefässe durchlässig, Flüssigkeit dringt ins
Gewebe und lässt die Beine anschwellen. Sie fühlen sich müde und schwer an. Dagegen
helfen auch Kompressionsstrümpfe. «Langstreckenläufer sollten sie nach dem Rennen
für einige Tage tragen», rät Noack.
«Wer ins Ziel kommt, schaltet sofort um zum Geniesser»
Objektive Messungen mit wissenschaftlich abgesicherten Daten, wie stark Muskeln oder
Sehnen beansprucht oder verletzt werden und wann sie sich wieder regeneriert haben,
gebe es aber nicht, sagt Walter Kistler, Leiter der Sportmedizin am Spital Davos. Zwar
zeigt beispielsweise der Blutwert des Enzyms Creatin-Kinase (CK) Muskelverletzungen
an, wie sie nach einem Herzinfarkt oder auch nach sportlichen Belastungen auftreten.
Derartige Werte sind aber individuell sehr unterschiedlich und deshalb nicht geeignet, um
Sportlern vorherzusagen, wann ihre Muskeln wiederhergestellt sind.
Ein anderer Wert, das Muskel-Glykogen, weist darauf hin, wann die Energiespeicher
wieder aufgefüllt sind. Das geschieht normalerweise innerhalb von 24 Stunden, wenn die
Sportler nach dem Lauf entsprechend kohlenhydrat-und proteinreiche Getränke oder
Nahrung zu sich nehmen. Bei Marathonläufern dauert es aber deutlich länger.
Wichtig neben den passiven Massnahmen wie Bäder oder Ausruhen sei auch die «aktive
Regeneration», sagt Walter O. Frey. Das falle den Sportlern manchmal schwer. «Wer
nach einem Marathon ins Ziel kommt, schaltet sofort vom Masochisten um zum
Geniesser», nennt es Frey. Dabei sei es am besten, die Muskeln gleich danach leicht zu
beanspruchen (siehe Kasten).
Michael Wawroschek hatte aus den Leiden nach seinem ersten Marathon gelernt: Er
ging den zweiten langsamer und locker an – und spielte hinterher noch ein wenig Tennis.
Tipps für die Zeit nach der Ziellinie
Nach dem Marathon sollten die Läufer Proteine zu sich nehmen und sich aktiv erholen.
Ernährung: Am wichtigsten ist es, viel zu trinken – am besten Sportgetränke, die neben Kohlenhydraten auch
Proteine (oder Aminosäuren) enthalten. Die Eiweisse helfen, Muskelschäden zu beheben. Welche Mischungen
die Regeneration am besten unterstützen, ist aber noch weitgehend unbekannt.
Feste Nahrung vertragen viele Sportler nicht sofort. Während des Wettkampfs sind Magen- und Darmtrakt nur
noch zu einem Prozent durchblutet. Die Folge kann Erbrechen oder Durchfall sein.
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Muskeln: Beine nur leicht dehnen, sonst können die bereits stark beanspruchten Muskeln zusätzlich geschädigt
werden. Deshalb sind auch nur sanfte, oberflächliche Massagen empfohlen. Nach dem Ziel sofort leicht
bewegen, um die Durchblutung zu fördern: Auslaufen tun nur Profis. Gut wäre ein kurzer Spaziergang zur
Tramstation oder nach Hause zu radeln. Ein bis zwei Tage später wieder etwas Sport treiben wie Rad fahren,
Aqua-Gymnastik, schwimmen. Nach einer Woche wieder locker laufen.
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