Die Krise der Privatisierung und die Rückkehr des Öffentlichen

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Rainer Rilling [Rosa Luxemburg Stiftung]
Die Krise der Privatisierung und die Rückkehr des Öffentlichen
„Ein Privatisierungshalbjahr zum Vergessen!“. So jammerte der letzte Bericht des hier vielen
Anwesenden bekannten „Privatization Barometer“ über die Bilanz der Privatisierung in der ersten Jahreshälfte 2008. Ist etwa die Zeit der Privatisierung zu Ende? Ist aus der PRESOM-Studie
unversehens eine gründliche Grabrede geworden? Ist dies eine Wende - und wenn ja: ist sie
von Bestand? Lässt sich von einer Krise der Privatisierung sprechen – und was wären ihre Ursachen?
Die lange Dynamik der Privatisierung war ja gleichermaßen Quelle, Mittel, Triebkraft wie Resultat jener Vertiefung der Ungleichheit gewesen, die in den 70ern mit globalem Schwung einsetzte. Seit den späten 60ern war die Privatisierung öffentlichen Reichtums und globaler oder lokaler öffentlicher Güter eine wesentliche, aber nicht ausschlaggebende Quelle der Bildung des
dabei entstandenen außerordentlichen Finanzvermögens. In der Folgezeit war dann der Druck
zur Anlage und Verwertung dieses Kapitals die entscheidende Triebkraft zur geradezu schrankenlosen Privatisierung öffentlichen Reichtums und weiträumigen Inwertsetzung vormals öffentlicher Güter und Dienste der Daseinsvorsorge. Die Privatisierung des Öffentlichen ist also eine
ganz wesentliche Triebkraft bei der Herausbildung eines neoliberalen Finanzmarktkapitalismus
gewesen.
Im Jahr 2005 dann geriet diese beispiellose Ausweitung der Privatisierung öffentlichen Eigentums und der Inwertsetzung ins Stocken. Die Politik der Privatisierung geriet in die Krise. 20062008 verringerte sich ihre Bedeutung als Medium der Umverteilung von Reichtum und Macht –
zumal die klassischen Filetstücke des öffentlichen Eigentums in den nördlichen Industriestaaten
längst ihren Besitzer gewechselt hatten. Zur „Kernschmelze des Finanzsektors“ gehört, dass
aktuell das anlagesuchende Kapital gerade der auf eine marktradikale Politik eingeschworenen
Finanzinvestoren als mächtigste Triebkraft der Privatisierung dramatisch an Kraft verloren hat.
Das spektakulärste Beispiel hierzulande war der „verschobene“ Börsengang der Deutschen
Bahn AG. Weniger sichtbar, aber bedeutsamer noch die Anlagedesaster der Finanzinvestoren
in der Immobilienbranche. Das Scheitern einiger großer Privatisierungsprojekte in den Bereichen Verkehr und Wasser und dann eine Reihe von Rekommunalisierungen und Deprivatisierungen zunächst in Süd- und Mittelamerika, dann aber global von Wellington und Caracas oder
Sao Paulo bis London und Leipzig hat die Politik der Privatisierung immer stärker unter Rechtfertigungsdruck gesetzt und dazu beigetragen, dass dieses Schlüsselprojekt des Neoliberalismus immer stärker in die Defensive geraten ist.
Das bedeutet: im Bewusstsein der Menschen halten sich die Markt- und Konkurrenzimperative
nur noch mühsam und bei zunehmend eher wenigen. Die ganze Verherrlichung des neoliberalen Privatisierungsprojekts und seine Rhetorik marktradikaler Hochwertbegriffe von Effizienz,
Kostenersparnis, Flexibilität und individueller Wahlfreiheit haben sich weithin verflüchtigt.
Da geht es nicht bloß um eine Glaubwürdigkeitsklemme. Der Zauber des Neoliberalismus ist
dahin. Und so ist die überwältigende Kraft seiner Rechtfertigungen, also seine Hegemonie geschwunden.
Mit seiner Macht und seiner Dominanz ist es aber keineswegs vorbei. Entzauberung sollte nicht
mit Entmachtung verwechselt werden.
Sicherlich sind einige substantielle Geschäftsgrundlagen des Neoliberalismus schwer erschüttert oder stehen sogar vor dem Scheitern (Immobilienpolitik der Eigentumsbildung fast ohne
Eigenkapitalbeteiligung; Ausbildungskredite; also die Politik der Verschuldung; schließlich die
radikale Liberalisierung der Finanzdienstleistungen). Nicht nur, aber vor allem die Akteure dieser Geschäftsmodelle wie die Investmentbanken oder diverse Hedgefonds haben ihre Positionen im Gefüge der globalen Macht verloren. In den herrschenden Klassen geht es momentan
sehr turbulent zu.
Doch hat wirklich der der Finanzinvestor seine Position als zentrale Person oder Institution des
gegenwärtigen Kapitalismus verloren? Ist das zugrundeliegende Problem kapitalistischer Entwicklungsdynamik und –akkumulation etwa gelöst? Eine bestimmte Variante des Neoliberalismus, der radikale Marktliberalismus, ist mit der Finanzmarktkrise tief getroffen worden. Die poli-
tisch-ideologische Hegemonie und die politisch-ökonomische Dominanz dieses Typus neoliberaler Kapitalismusentwicklung sind deutlich beschädigt. Innerhalb des ja in verschiedenen Richtungen ausdifferenzierten Spektrums des Neoliberalismus ist es mit der allein führenden Rolle
dieser marktradikalen Richtung vorbei – ein Prozess übrigens, dessen Ausbildung man schon
vor der Finanzmarktkrise in verschiedenen europäischen Ländern beobachten konnte, als deutliche Konvergenzprozesse zwischen marktradikal-liberalen, korporatistischen und etatistischen
Kapitalismusvarianten zu vermerken waren, die auf eine Schwächung des marktenthusiastischen Neoliberalismus hinausliefen. Was für die Gesellschaft gilt, gilt auch für den neoliberalen
Machtblock: auch dort ist die Hegemonie dieser Richtung vorbei und ihre alleinige Dominanz
ebenso.
Das verändert das Gesamtbild. Doch die Dominanz, also Herrschaft des neoliberalen Entwicklungstypus insgesamt ist bislang noch nicht grundlegend gefährdet. Weder auf Seiten der politischen Linken noch durch konkurrierende herrschende Elitefraktionen oder Machtblöcke existieren hegemonie- und machtfähige alternative Akkumulations- oder Wirtschaftsentwicklungskonzepte. Dass die Hauptspieler der Finanzmärkte und die Geldeliten die Zentralstaaten dieses
Globus und deren Ressourcen wie jetzt in London mobilisieren müssen, ist ein Zeichen der
Schwäche. Dass sie es können, ist ein Zeichen ihrer weiterhin real existierenden Vorherrschaft.
Die jetzt bei dem G-20 – Treffen in London vermarkteten Mittel in Höhe von einer Billion staatlicher Mittel übertreffen die Privatisierungserlöse der ganzen 90er Jahre im OECD-Bereich.
Was wir daher gegenwärtig erleben, sind neue Differenzierungen und scharfe Auseinandersetzungen im neoliberalen Block um Krisenlösungsoptionen, welche die Gestalt dieses Blocks und
seine inneren Kräfteverhältnisse stark verändern werden und auch über ihn hinausgehen können. Deutliche Trends in Richtung auf einen stärkeren regulatorischen und aktivistischen Staat,
eine Ordnung die imstande ist mit den globalen Verflechtungen sehr unterschiedlicher Krisen
umzugehen und die insbesondere einen „new public deal“ mit einem „new green deal“ zu verbinden vermag und dabei das maßlose crowding out der in Wert gesetzten Natur und des Öffentlichen zurückzubauen beansprucht– diese Trends eines politisch deutlich domestizierten
Neoliberalismus sind vorhanden und damit auch verbesserte Möglichkeiten, über diesen Entwicklungstypus des gegenwärtigen Kapitalismus insgesamt hinauszukommen. Denn auch ein
solcher veränderter Typus wird weiterhin mit dem Problem der Überakkumulation zu kämpfen
haben, für das die aktuelle Krise steht.
Die gegenwärtige Politik der Krisenüberwindung durch einer neue Runde ungeheurer Mobilisierungen öffentlicher Mittel wird dazu führen, dass zugleich neuer Druck zur Privatisierung öffentlicher Sektoren und Güter entstehen wird – in der Bundesrepublik insbesondere auf der Ebene
der Länder und Kommunen, der Infrastruktur und der öffentlichen Dienste.
Die Krise bedeutet also nicht ein Ende der Politik der Privatisierung. Diese wird es erst dann
geben, wenn eine Politik des Öffentlichen hegemonial und die aktuellen Politiken der kapitalistischen Verstaatlichung überwunden werden. Doch was ist eine Politik des Öffentlichen?
Öffentliche Güter, öffentliche Daseinsvorsorge, öffentliches Eigentum, öffentliche und öffentlich
geförderte Beschäftigung, der öffentlichen Sektor oder der öffentlichen Dienst, die öffentliche
Gewalt, das öffentliche Interesse, öffentliche Räume, die öffentliche Meinung oder die Teilhabe
der Öffentlichkeit an Entscheidungen – diese ganze bunte Veranstaltung hat eine Gemeinsamkeit, nämlich das schmückende Beiwort, das epitheton ornans, das Wort „Öffentlich“. Das „Öffentliche“ und das „Private“, das war und ist eines der „großen Gegensatzpaare“ des westlichen
Denkens, wie es einer der großen italienischen Marxisten - Norbert Bobbio - schon vor Jahren
formuliert hat.
Warum werden in unserem (europäischen) Sprachgebrauch so unterschiedliche Dinge durch
das Wort „öffentlich“ verbunden? Diese große Vielfalt der Anwendungen spiegelt die Geschichte des Begriffs wider, die eine Reihe von Verschiebungen und Inhaltswandlungen durchgemacht hat, die heute noch wirksam sind.
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Es war natürlich damals, natürlich im alten Griechenland – und natürlich auch im alten
Rom – dass diese große, über Jahrtausende gehende Unterscheidung zwischen
„privat“ und „öffentlich“ entstand. Während im antiken Griechenland zwischen der
privaten Sphäre des Haushalts (Familie, Heim, häusliches Leben und die Ökonomie der
Frauen- und Sklavenarbeit) und dem öffentlichen männlichen Leben der Polis
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unterschieden wurde, war für die römische Tradition die Souveränität des imperialen
Herrschers oder die Autorität der Vertreter der Republik das „Öffentliche“ (publicus),
das dem „Haus“ als Raum des Privaten (privatus) gegenüberstand. Die Tradition,
Öffentliches und Privates einander gegenüberzustellen, kommt aus dieser Zeit.
In seiner ursprünglichen Bedeutung nun bezeichnete das ›Öffentliche‹ einen Zustand
des tatsächlichen Offenseins im Sinne der Wahrnehmbarkeit oder Zugänglichkeit. Sein
Gegensatz war das Geheime, Unzugängliche, Verborgene. Neben dem „Öffentlichen“
und „Privaten“ taucht also ein zweites Gegensatzpaar auf: die Gegenüberstellung von
„Öffentlich“ und „Geheim“. Daraus ergab sich übrigens eine weitere Bedeutung: was
öffentlich ist, ist auch wahr und damit auch gerecht: wo es nichts zu verbergen gibt,
geht es mit rechten Dingen zu. Wenn das Gerichtswesen öffentlich ist, geht es auch
gerecht zu. Oder, um ein aktuelles Beispiel zu nehmen: wenn die Bilanzen offengelegt
sind oder wenn transparent gewirtschaftet wird, also nichts zu verbergen ist, dann geht
es mit rechten Dingen zu.
Im 17. Jahrhundert kommt es zu einer zweiten Veränderung. Vom „Öffentlichen“ wird
gesprochen, wenn man den Gemeinwohlcharakter einer Sache ausdrücken möchte.
Wenn heute vom „öffentlichen Wohl“, „öffentlichen Nutzen“, der „öffentlichen Sicherheit“
oder der „öffentlichen Ordnung“ gesprochen wird, dann geht es um die
Gemeinwohlorientierung eines politischen Gemeinwesens. Das Öffentliche wird also mit
einer als positiv angesehenen Gemeinwohlorientierung verbunden (die „salus publica“ die gute Ordnung) und nimmt somit Bedeutungsgehalte des Adjektivs „gemein“ auf
(lateinisch „communis“). Vom „Öffentlichen“ zum „Kommunismus“ gibt es
begriffshistorisch offenbar einen erstaunlich kurzen Weg.
Im 18. Jahrhundert kommt es dann zu einer dritten Verschiebung: Öffentlich meint nun
im Wesentlichen „staatlich“ und an die Stelle des „Geheimen“ tritt das „Private“ als
Gegenbegriff.
Hier nun und vor allem dann im 19. Jahrhundert endlich beginnt auch eine eigene
Geschichte des Substantivs „Öffentlichkeit“: als Übersetzung des Lehnworts „Publizität“
nimmt es wieder die ursprüngliche Bedeutung von „öffentlich“ an, meint also das
„Offensein“ und die Zugänglichkeit. Entsprechend dieser klassischen Bedeutung geht
es auch um die Forderung nach Öffentlichkeit des staatlichen Lebens: Öffentlichkeit soll
Gerechtigkeit und Wahrheit bürgen. Zugleich nimmt der Begriff auch den
Bedeutungsgehalt des „Publikums“ an und hier beginnt dann die Geschichte der
„öffentlichen Meinung“ und der liberalen bürgerlichen Öffentlichkeit.
Es gibt also vier weitreichende Wortverschiebungen und die jeweiligen Wortgehalte sind bis
heute vorhanden. Noch einmal zusammengefasst: Das „Öffentliche“ meint also
1. Offenheit, also das Nicht-Geheime, Zugängliche und Transparente. Das Öffentliche
klagt weiter
2. Gemeinwohlorientierung, also die Orientierung auf das Gemeinwohl im Unterschied
zum Interesse des Einzelnen (Individuum) oder Besonderen (Gruppen) ein – es geht
also um das Allgemeininteresse, wenn in dieser Weise vom Öffentlichen gesprochen
wird
3. Staatlichkeit und
4. kommunikative Öffentlichkeit, also Publizität und medial vermittelte öffentliche Meinung.
Im alltäglichen Verständnis und Sprachgebrauch bezieht sich übrigens die Unterscheidung zwischen privat und öffentlich auf zwei Bezüge, die, da sie eng verflochten sind) häufig nicht auseinander gehalten werden. Zum einen werden Politik und Wirtschaft, Staat und Markt, öffentliche oder private Gewalt, öffentliche Hand und privates Kapital einander gegenüber gestellt. Hier
geht es um das vom Staat repräsentierte Öffentliche als Gemeinwohl im Gegensatz zum Besonderen der privaten Ökonomie und des Marktes. Zum anderen wird die Dimension des privaten Lebens (z.B. die Familie und der Haushalt) – in der die Welten der Gefühle, der Intimität,
geschützten Räume, des privaten Redens und der privaten Meinungsäußerung aber auch das
›Geheime‹ und Verborgene existieren – gegenübergestellt dem öffentlichen Leben, dem öffentlichen Raum, der öffentliche Meinung, der Publizität, den Räumen der Selbstdarstellung, Bekanntmachung und Gesellschaftlichkeit. In der ideologischen Welt des bürgerlichen Liberalismus sind das Austarieren, die Balance zwischen Privatem und Öffentlichen seit jeher Schlüsselthemen gewesen.
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Das Private schließt aus und erschwert oder verunmöglicht Zugänge, das Öffentliche ist nicht
exklusiv, ermöglicht Zugang und meint damit, dass eine Sache geteilt wird oder gemeinsam
besessen und verwaltet wird.
Konkret gefragt: Wie kann man ein alternatives Projekt des Öffentlichen erkennen? Man kann
den sozialen Charakter, die gesellschaftliche Qualität, die soziale Natur einer Sache an ihren
konkreten Wirkungen und Nutzeffekten erkennen, an dem, was herauskommt, und man muss
fragen nach der Funktion eines Projekts. Nach vier Merkmale muss man fragen. Ein neues Projekt des Öffentlichen müsste dadurch charakterisiert sein, dass es
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zur Demokratisierung beiträgt,
politische, ökonomische wie soziale Gleichheit unterstützt
die Förderung des Gemeinwohls ermöglicht und
Wege zur Entfaltung der Individualität öffnet.
Es geht also um konkrete Wirkungen und Nutzeffekte. Das ist der Maßstab. Für das „Öffentliche“ einzutreten bedeutet, Eigentums- und Sozialbeziehungen, Unternehmen, Güter, Räume
oder Maßnahmen der Daseinsvorsorge, der Kommunikation, der öffentlichen Gewalt oder politischen Entscheidungen so zu gestalten, dass sie durch ihre Ausrichtung und Orientierung auf
allgemeine Interessen (Gemeinwohlorientierung) die Ungleichheit der Verteilung von Ressourcen in der Gesellschaft vermindern und ebenso die Ungleichheit der Verteilung politischer Güter
(Teilhabe, Zugang) mindern.
Also Demokratie: Wenn eine Bank verstaatlicht wird, muss man fragen: wer hat etwas zu sagen? Sind das etwa stimmrechtslose Vertreter des Staates, die da großzügig in den Aufsichtsräten zugelassen werden? Gibt es eine qualifizierte Kontrolle unter Belegschaftsbeteiligung?
Wird das Management ausgetauscht? Werden Entscheidungen transparent und demokratisch
getroffen? 1 Kommt es zu einer neuen Geschäftspolitik? Gibt es also eine Abkehr von der hinter
der Politik der Privatisierung stehenden Logik? Geschieht eine Rückkehr von einer profitorientierten zu einer gemeinwohlorientierten Logik? Wurde und wird mit solchen Maßnahmen das in
öffentliche Hand übernommene Unternehmen womöglich aus dem Marktwettbewerb genommen? Wird die Priorität der Gewinnerzielung aufgehoben?
Also Gleichheit: Werden die Leistungen der Bank für ihrer Kunden verändert, verbilligt oder kostenfrei angeboten? Warum wird der Zinssatz für den Interbankenverkehr oder neue „frisches“
Geld der Zentralbanken auf 0-2 % gesenkt, wogegen die Dispokredite auf meinem Privatkonto
unverändert bei 18 % liegen? Etcetera.
Also Gemeinwohl: Was haben die staatlichen Rettungsschirme und Konjunkturprogramme mit
dem Gemeinwohl zu tun, wenn durch Steuerermäßigungen die Reichen saniert und die Armen
sanktioniert werden?
Die tiefe Krise der neoliberal radikalisierten Privatförmigkeit hat das Öffentliche wieder ins Spiel
gebracht. Eine Politik des Öffentlichen ist etwas anderes als Verstaatlichung. Sie muss ihre eigenen Ziel- und Effizienzkriterien in Ansatz bringen. Es geht um ein Projekt des politischen
Richtungswechsels zum und der Transformation des Öffentlichen, das einer krisenpolitischen
Mobilisierung der noch vorhandenen Ressourcen des Öffentlichen – insbesondere seiner staatlichen Ressourcen – durch die Machtakteure des neoliberalen Kapitalismus entgegenzusetzen
wäre. Es geht also um die Ausweitung der wirtschaftsstrategischen Rolle des öffentlichen Sektors, der öffentlichen Beschäftigung und der öffentlichen Investitionen, also die Entwicklung eines das humane Arbeitsvermögen bildenden und fördernden, somit sozialen Staates. Es geht
um die Entwicklung eines politischen Projekts, das normativ die Demokratisierung von Herrschaft und die Beförderung politischer, ökonomischer wie sozialer Gleichheit auszeichnet bzw.
bezweckt. Ein solches politisches Projekt des Öffentlichen würde Verhältnisse (öffentliches Eigentum, öffentliche Beschäftigung [service public], politische Teilhabe an öffentlichen Entscheidungen), ihre erbrachten Gebrauchswerte (öffentliche Güter und öffentliche Dienste), verschiedene Operationsweisen im Medium der Öffentlichkeit (in Sonderheit Kommunikation, Kooperation, Publizität) und ihre Territorien oder Orte (öffentliche Räume) miteinander verbinden und so
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Der Lenkungsausschuss des Bundestags, der über die Rettungsschirmmittel in Höhe von ein paar Hundert Millionen Euro verfügt,
besteht aus neun eingesetzten Abgeordneten. Sie können die Beschlüsse des Finanzministeriums nicht ablehnen oder ändern. Sie
dürfen weder ihren Abgeordnetenkollegen noch ihren Wählern die dort erhaltenen Informationen weitergeben bei Strafe (des Geheimnisverrats) bis zu fünf Jahren. Sie können Manager nicht vorladen und haben keine Einsicht in Bankenakten oder Verträge z. B.
über Fusionen (etwa zwischen der Commerzbank und der Dresdner Bank), die mit Rettungsmitteln finanziert werden.
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zugleich als Medium der Solidarität wirksam werden können, weil es den Weg zur Teilhabegerechtigkeit an elementaren Lebensbedingungen eröffnen könnte.
Es geht also um eine ganz andere Eigentumslandschaft und deren eigene neue Kartographie.
Einer linken transformatorischen Politik wird also das dreifache Kunststück abverlangt, „harte“
Staatlichkeit in pragmatisch-praktischer Weise zu nutzen und zugleich zu verändern, mit einem
komplexen Projekt des Öffentlichen auf die politische Erinnerungskultur einer Vielfalt alternativer Entwicklungsmomente und –trajektoren bürgerlich-kapitalistischer Gesellschaften zurückzugreifen, sie zu entwickeln und eine Politik ihres Zusammenwirkens zu erfinden – und sie wird
schließlich die visionäre Kraft der Idee der commons und des common nutzen können, um
Wege zu einer grundlegenden Veränderung des Kapitalismus aufzuzeigen.
Rainer Rilling, Prof. Dr., Soziologe Universität Marburg und wiss. Referent des Instituts für Gesellschaftsanalyse der Rosa Luxemburg Stiftung (Berlin). Letzte Publikationen: Risse im Empire,
180 S., Berlin 2008; IfG: Die Krise des Finanzmarkt-Kapitalismus – Herausforderung für die Linke, Kontrovers 01/2009 24 S. Mail: [email protected]
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