035_071_BIOsp_0107.qxd 31.01.2007 11:18 Uhr Seite 37 37 Embryonale Stammzellen Selbsterneuerung und Pluripotenz in humanen embryonalen Stammzellen BORIS GREBER, MARC JUNG, JAMES ADJAYE MAX-PL ANCK-INSTITUT FÜR MOLEKUL ARE GENETIK, ABTEILUNG VERTEBRATENGENOMIK Methoden der funktionellen Genomik haben auf dem Gebiet der Stammzellforschung an humanen embryonalen Stammzellen (hES-Zellen) das Potenzial, die molekularen Mechanismen von Selbsterneuerung und Pluripotenz aufzuklären, und damit unter anderem auch zusätzliche Hinweise für die Verbesserung der hES-Zell-Kultivierung zu liefern. Positive Impulse aus solchen Untersuchungen sind weiterhin sowohl für die effizientere Produktion therapeutisch nutzbarer Zellen zu erwarten als auch für Strategien, ES-zellartige Linien durch „Reprogrammierung“ aus somatischen Geweben abzuleiten. Hintergrund ó Die erste zelluläre Differenzierung im Säugerembryo ereignet sich nach mehreren Zellteilungen der befruchteten Eizelle durch Bildung der Blastozyste, wobei sich eine äußere Hülle von trophektodermalen Epithelzellen und die so genannte Innere Zellmasse herausbilden. Die Zellen der Inneren Zellmasse sind die Vorläufer für sämtliche Gewebe des späteren Fötus und stellen die Quelle sowie das in vivo-Äquivalent embryonaler Stammzellen dar. Aus berechtigten ethischen Gründen sind menschliche Embryonen nicht oder nur sehr eingeschränkt für Forschungszwecke zugänglich. Die Verwendung von hES-Zellen[1] bietet sich jedoch als Alternative an. hES-Zellen können in vitro unbegrenzt vermehrt werden (self-renewal) und sind zudem jederzeit in der Lage, in Derivate der drei Keimblätter Entoderm, Mesoderm und Ektoderm zu differenzieren (Pluripotenz), und zwar unter Differenzierungsbedingungen in vitro als auch durch Teratombildung in vivo[1]. Neben ihrem potenziellen Nutzen für zukünftige Zellersatztherapien stellen hES-Zellen damit ein attraktives in vitro-Modell für die Erforschung der ersten menschlichen Entwicklungsschritte dar. Für beide Anliegen ist ein besseres Verständnis der molekularen Grundlagen von Selbsterneuerung und Pluripotenz erforderlich. BIOspektrum | 01.07 | 13. Jahrgang Wir untersuchen die zugrunde liegenden molekularen Mechanismen in hES-Zellen mit Methoden der funktionellen Genomik. Dazu zählen RNA-Interferenz in Verbindung mit genomweiter Transkriptionsanalyse (RNAiChip), Chromatin-Immunpräzipitation in Verbindung mit Promotor-Arrays (ChIP-Chip), sowie die Modulation relevanter Signaltransduktionswege in Verbindung mit Expressionschips. OCT4-abhängige Netzwerke in hESZellen Ein zentraler Pluripotenzregulator ist der Transkriptionsfaktor OCT4[2]. Er ist spezifisch in toti- und pluripotenten Geweben exprimiert, nämlich in der unbefruchteten Eizelle, im Präimplantationsembryo und später in pluripotenten Zellen des Prägastrulationsembryos und in primordialen Keimzellen[3, 4]. Die Inaktivierung von OCT4 in ES-Zellen induziert trophektodermale Differenzierung, also den Verlust der ES-Zellidentität. Neben OCT4 sind mindestens zwei weitere Transkriptionsfaktoren – NANOG und SOX2 – in ES-Zellen essenziell, die gemeinsam eine Reihe ES-Zell-spezifischer Gene aktivieren und differenzierungsinduzierende Gene reprimieren[5]. In einer früheren Studie haben wir die differenzielle Expression von Schlüsselgenen wie OCT4 zwischen Innerer Zellmasse und Trophektoderm im menschlichen Blastozystenstadium nachgewiesen, im Einklang mit Expressionsmustern in Stammzelllinien, die von diesen Geweben abgeleitet sind[6]. Wir können daher hES-Zellen als in vitro-Modell für Zellen der Inneren Zellmasse verwenden. ˚ Abb. 1: OCT4-Suppression in hES-Zellen[7]. A, hES-Zell-Morphologie nach Transfektion mit siRNAs gegen GFP (Negativkontrolle) und OCT4. B, Reduktion des OCT4-Pegels in siRNA-behandelten hES-Zellen (Western blot). SHP-2: Ladekontrolle. C, Immuncytochemischer Nachweis der OCT4-Reduktion in transfizierten Zellen (Rot). DAPI (Blau): Zellkerne. D, Induktion des Trophektoderm-Markers Zytokeratin 18 nach OCT4-Knock-down, Abbildung mit freundlicher Genehmigung von StemCells. 035_071_BIOsp_0107.qxd 38 31.01.2007 11:18 Uhr Seite 38 WISSENSCHAFT · S PECIA L: GE NOMANALYSE UND GE NTH E RAP IE se stimmt mit der bekannten Lage des OCTSOX-Bindungsmotivs und der vorherigen PCRAnalyse (Abb. 2B) überein. Wir wollen nun die Gesamtheit der OCT4-Zielgene erfassen, um Gemeinsamkeiten bzw. Unterschiede zwischen unterschiedlichen OCT4-positiven Zellsystemen (hES- vs. hEC-Zellen) zu bestimmen und um darüber hinaus Betrachtungen der Zielregionen in Bezug auf Konsensus- und Bindungsmotive anderer Transkriptionsfaktoren zu ermöglichen. Selbsterneuerungsfaktoren und hESZell-Kultivierung ˚ Abb. 2: Vom ChIP-Chip-Experiment zur Tilemap. A, Aufbau eines ChIP-Chip-Experiments (adaptiert von http://www-dsv.cea.fs). B, Real-Time-PCR-Validierungen von Promotorregionen der OCT4-Zielgene NANOG und SOX2. HBB-Promotor und SOX2-Exon: Negativkontrollen. C, Tilemap des proximalen NANOG-Promotors für drei biologische Replikate. Punkte repräsentieren Chip-Sonden. Unten rechts: Position des bekannten Bindungsmotivs. Durch RNAi-vermittelte OCT4-Suppression in hES-Zellen (Abb. 1A-C) und Analyse der Veränderung im Transkriptionsprofil mithilfe von cDNA-Arrays wurden OCT4-abhängige Gene identifiziert. Unter diesen befand sich eine Vielzahl positiv und direkt regulierter OCT4-Zielgene, die u. a. weitere ES-Zell-spezifische Transkriptionsfaktoren (z. B. NANOG und SOX2) umfassten. Unter den durch OCT4Suppression induzierten Genen befanden sich in Übereinstimmung mit den Erwartungen auch solche mit differenzierungsinduzierenden (z. B. BMP4) und Trophektoderm-spezifizierenden (z. B. CDX2) Funktionen. Die globale Analyse der differenziell exprimierten Gene suggerierte u. a. die Beteiligung von weiteren Transkriptionsfaktoren, metabolischen Netzwerken, Chromatin-Remodellierung sowie Veränderungen der extrazellulären Matrix (Abb. 1D)[7]. Eine weitere regulatorische Ebene stellte die differenzielle Expression von Genen verschiedener Signalkaskaden dar, was als Hinweis auf entspre- chende autokrine Aktivierungen im undifferenzierten Zustand bzw. während des Differenzierungsprozesses zu deuten ist (siehe auch weiter unten). Direkte OCT4-Zielgene Wir interessieren uns für direkte Zielgene von OCT4. Eine Möglichkeit, diese zu identifizieren, ist die so genannte ChIP-Chip-Technologie (Abb. 2A). Ein solches Experiment wurde unter Verwendung von OCT4-Antikörpern und OCT4-positiven embryonalen Karzinomzellen (hEC-Zellen) durchgeführt. Zur Qualitätskontrolle der ChIP-Proben konnte zunächst mittels quantitativer PCR eine starke Anreicherung für Promotorbereiche der bekannten Zielgene SOX2 und NANOG, die ein beschriebenes OCT-SOX-Bindungsmotiv enthalten[8], nachgewiesen werden (Abb. 2B). Die Analyse der ChIP-Chip-Daten ist gegenwärtig in Arbeit. Als Beispiel für die Identifikation einer Zielregion ist in Abbildung 2C die Anreicherung im proximalen NANOG-Promotor gezeigt. Die- Spontane hES-Zell-Differenzierung kann durch Kultivierung in konditioniertem Medium unterbunden werden. Ein populäres Protokoll schreibt dazu die Inkubation des Basalmediums auf embryonalen Fibroblasten der Maus (MEFs) vor, interessanterweise jedoch unter Zugabe von FGF2 (basic fibroblast growth factor) sowohl vor als auch nach dem Konditionierungsschritt[9]. Wir haben die molekulare Signifikanz dieser beiden FGF2-Supplementierungsschritte untersucht. Dazu wurde basales hES-Medium auf zwei unterschiedliche Weisen konditioniert – mit und ohne vorherige FGF2-Addition (Abb. 3A). Aus morphologischen und Marker-Expressionsdaten konnte gefolgert werden, dass FGF2 die Expression vorteilhafter Faktoren in MEFs stimuliert und differenzierungsinduzierende Aktivität unterbindet (Abb. 3B). Die Identifikation dieser Faktoren erfolgte microarraybasiert durch einen Vergleich von FGF2-behandelten mit unstimulierten MEFs. Interessanterweise reguliert FGF2 in hES-Zellen selbst die orthologen Gene in der gleichen Weise, die allesamt extrazelluläre Liganden des TGFβ-Signalweges sind[10]. Dieser kann vereinfacht in zwei konkurrierende Zweige unterteilt werden, deren Stimulation zur Aktivierung unterschiedlicher Transkriptionsfaktoren führt (Abb. 3C). Dieser Signalweg scheint eine entscheidende Rolle bei der Festlegung der Differenzierungsentscheidungen in ES-Zellen zu spielen. FGF2 ist als echter „Selbst“-Erneuerungsfaktor in hES-Zellen exprimiert, steht hier unter positiver Kontrolle ES-Zell-spezifischer Transkriptionsfaktoren und reguliert auf Genexpressionsebene die Aktivität des TGFβ-Signalweges (Abb. 3D). FGF2 wahrt dessen Balance durch indirekte Verstärkung der SMAD-2/3-Aktivität – über Induktion und Reprimierung von TGFβ-Liganden – und verhindert so spontane Differenzierung. ó BIOspektrum | 01.07 | 13. Jahrgang 035_071_BIOsp_0107.qxd 31.01.2007 11:18 Uhr Seite 39 39 ˚ Abb. 3: FGF2 moduliert TGFβ-Signalaktivität durch Induktion und Reprimierung von Liganden[10]. A, Schema zur Herstellung konditionierten Mediums (CM). Links: Protokoll nach [9] (F_CM_F). Rechts: FGF2-Zugabe lediglich nach Konditionierung (CM_2F). B, hES-Zell-Morphologie bei Inkubation in Basalmedium plus 2-fach FGF2 (partiell differenziert), F_CM_F (undifferenziert) und CM_2F (überwiegend differenziert). C, Vereinfachtes Schema des TGFβ-Signalweges. Links: Genexpressionsänderung von TGFβ-Liganden in hES-Zellen und MEFs nach FGF2-Stimulation. D, Zusammenhang von FGF2, TGFβ und ES-Zell-spezifischen Transkriptionsfaktoren. Pfeile bedeuten Genexpressionsänderung. Der Zusammenhang von SMAD-2/3-Aktivierung und Expression der OCT4-, NANOG- und SOX2-Gene ist bislang nur indirekt gezeigt worden. Abbildung mit freundlicher Genehmigung von StemCells. Danksagung Ich bedanke mich bei weiteren Mitarbeitern, deren Arbeit hier nicht erwähnt ist, und besonders bei Prof. Hans Lehrach für seine Unterstützung. Finanzierung durch MPG und DFG (AD-184/ 4-1). Literatur [1] Thomson, J. A., Itskovitz-Eldor, J., Shapiro, S. S., Waknitz, M. A., Swiergiel, J. J., Marshall V. S., Jones, J. M. (1998): Embryonic stem cell lines derived from human blastocysts. Science 282: 1145–1147. [2] Nichols, J., Zevnik, B., Anastassiadis, K., Niwa, H., Klewe-Nebenius, D., Chambers, I., Scholer, H., Smith, A. (1998): Formation of pluripotent stem cells in the mammalian embryo depends on the POU transcription factor Oct4. Cell 95: 379–391. [3] Adjaye, J., Bolton, V., Monk, M. (1999): Developmental expression of specific genes detected in high-quality cDNA libraries from single human preimplantation embryos. Gene 237: 373–383. [4] Goto, T., Adjaye, J., Rodeck, C. H., Monk, M. (1999): Identification of genes expressed in human primordial germ cells at the time of entry of the female germ line into meiosis. Mol. Hum. Reprod. 5: 851–860. [5] Boyer, L. A,. Lee, T. I., Cole, M. F., Johnstone, S. E., Levine, S. S., Zucker, J. P., Guenther, M. G., Kumar, R. M., Murray, H. L., Jenner, R. G., Gifford, D. K., Melton, D. A., Jaenisch, R., Young, R. A. (2005): Core transcriptional regulatory circuitry in human embryonic stem cells. Cell 122: 947–956. BIOspektrum | 01.07 | 13. Jahrgang [6] Adjaye, J., Huntriss, J., Herwig, R., BenKahla, A., Brink, T. C., Wierling, C., Hultschig, C., Groth, D., Yaspo, M. L., Picton, H. M., Gosden, R. G., Lehrach, H. (2005): Primary differentiation in the human blastocyst: comparative molecular portraits of inner cell mass and trophectoderm cells. Stem Cells 23: 1514–1525. [7] Babaie, Y., Herwig, R., Greber, B., Brink, T. C., Wruck, W., Groth, D., Lehrach, H., Burdon, T., Adjaye, J. (2006): Analysis of OCT4 dependent transcriptional networks regulating self renewal and pluripotency in human embryonic stem cells. Stem Cells [Epub ahead of print]. [8] Rodda, D. J., Chew, J. L., Lim, L. H., Loh, Y. H., Wang, B., Ng, H. H., Robson, P. (2005): Transcriptional regulation of nanog by OCT4 and SOX2. J. Biol. Chem. 280: 24731–24737. [9] Xu, C., Inokuma, M. S., Denham, J., Golds, K., Kundu, P., Gold, J. D., Carpenter, M. K. (2001): Feeder-free growth of undifferentiated human embryonic stem cells. Nat. Biotechnol. 19: 971–974. [10] Greber, B., Lehrach, H., Adjaye, J. (2006): FGF2 Modulates TGFβ Signaling in MEFs and Human ES cells to Support hESC Self-renewal. Stem Cells [Epub ahead of print]. Korrespondenzadresse: Dr. James Adjaye Max-Planck-Institut für Molekulare Genetik Abteilung Vertebratengenomik D-14195 Berlin Tel.: 030-8413-1203 Fax: 030-8413-1128 [email protected] www.molgen.mpg.de/~molemb AUTOR James Adjaye Jahrgang 1964. 1984–1987 BSc Biochemie, Cardiff Universität, Wales. 1987–1988 MSc, Universität Sussex, England. 1989–1992 Promotion, Kings College London. 1992–1995 Postdoc., Abt. von Prof. Klaus Weber-MPI für Biophysikalische Chemie, Göttingen. 1996–2000 Gruppenleiter, Universität College London. (2001–2003) wissenschaftliche Mitarbeiter und seit 2004 Gruppenleiter, Abt. von Prof. Hans Lehrach, MPI für Molekulare Genetik, Berlin.