Fachinformation - Labor Dr. Gärtner

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Labor Dr. Gärtner
Weingarten
Fachinformation
Gemeinschaftspraxis
Dr. med. W. Gärtner, Dr. med. D. Müller
Dr. med. U. Weber*, Dr. med. Dipl.-Bioch. K.-U. Upowsky
Fachärzte für Laboratoriumsmedizin
*Fachärztin für Kinderheilkunde, Allergologie
Dr. med. G. Funke
Facharzt für Mikrobiologie und Infektionsepidemiologie
Spezialist für labormedizinische Analytik FAMH
Parodontitis - ein Risikofaktor für Atherosklerose?
Die Pathogenese der Atherosklerose
Die Atherosklerose wird heute als eine chronische, sich
über viele Jahre erstreckende Entzündung der betroffenen
Gefäße angesehen, bei deren Entstehung die Zellen der
Gefäße selbst (Endothelzellen, glatte Muskelzellen) eine
aktive Rolle spielen. Entzündliche Prozesse sind in jeder
Phase der Atherosklerose beteiligt, von der initialen
Plaquebildung über das Wachstum der Plaque bis hin zur
Plaqueruptur, die schließlich zum akuten Ereignis eines
Herzinfarkts oder Insults führt. Unterstützt wird diese
Theorie durch jüngste Erkenntnisse, wonach mäßig
erhöhte Serumkonzentrationen von Entzündungsparametern wie CRP(C-Reactive Protein), Fibrinogen,
SAA(Serum-Amyloid-A-Protein) und bestimmten proinflammatorischen Zytokinen eigenständige Risikofaktoren für
eine koronare Herzerkrankung darstellen, die unabhängig
von den klassischen Risikofaktoren wie Hypertonie,
Hypercholesterolämie, Diabetes mellitus, Hyperhomocysteinämie und Rauchen sind. Diese neuen
Risikofaktoren könnten die Lücke von den 40-50% der
kardiovaskulären Ereignisse schließen, die nicht durch
die klassischen Risikofaktoren erklärbar sind.
Am Anfang der Atherosklerose steht immer der Verlust
oder die Einschränkung wichtiger Endothelzellfunktionen, was als endotheliale Dysfunktion bezeichnet
wird. Das dysfunktionelle Endothel hat seine physiologische Fähigkeit zu Hemmung der Kontraktion glatter
Muskelzellen, der Adhäsion von Leukozyten und Monozyten sowie der Thrombozytenaggregation und
Zellproliferation verloren. Vielmehr exprimiert es spezifische Adhäsionsmoleküle und chemotaktische Substanzen, die zur Einwanderung mononukleärer Leukozyten in
die Intima führen. Selectine vermitteln dabei den Kontakt
der Endothelzellen mit den Monozyten, wodurch deren
Rollen entlang der Endotheloberfläche ermöglicht wird.
Die Monozyten werden dann durch die immunglobulinähnlichen Adhäsionsmoleküle ICAM-1(InterCellular
Adhesion Molecule-1) und VCAM-1(Vascular Cell Adhesion
Molecule-1) gestoppt und migrieren unter dem Einfluss
chemotaktischer Faktoren wie des MCP-1(Monocyte
Chemoatractant Protein-1) in den subendothelialen Raum,
wo sie zu Makrophagen werden. Diese nehmen verstärkt
oxidativ modifizierte LDL (Low Density Lipoprotein) über
die Scavenger-Rezeptoren auf und bilden die Schaumzellen, das typischen Merkmal der frühen atherosklerotischen Plaque. Dies hat zunächst keine klinischen Konsequenzen und ist voll reversibel. Erst
aufgrund der weiteren Freisetzung von Wachstumsfaktoren (PDGF(Platelet Derived Growth Factor),
EGF(Epidermal Growth Factor), IGF(Insulinlike Growth
Factor), FGF(Fibroblast Growth Factor)), deren Synthese
durch inflammatorische Zytokine wie IL-1(Interleukin-1)
stimuliert wird, kommt es zur Einwanderung und
Proliferation glatter Muskelzellen mit Bindegewebsproduktion und Bildung eines progredienten Atheroms.
Der anhaltende Entzündungsprozess wird möglicherweise
durch CRP, das zusammen mit Komplement in
atherosklerotische Plaques gefunden wurde, getriggert.
Die im Weiteren stattfindende Kalzifizierung der atherosklerotischen Plaque ist das Resultat der Synthese von
Proteinen durch die glatten Muskelzellen, die bei der
Knochenbildung und Mineralisation von Bedeutung sind
(Osteopontin). Durch die Atherombildung entsteht eine
arterielle Stenose, die jedoch über Jahre symptomlos
bleiben kann und nur selten der Grund für ein akutes
Ereignis ist. Erst durch die Ruptur der Plaque kommt es
zur Thrombenbildung und zum plötzlichen arteriellen
Verschluss mit all seinen Folgen. Letztendlich sind also
die Eigenschaften und das Verhalten der Plaque für das
Schicksal des Patienten entscheidend. Große Plaques
tendieren zu einer dicken Kapsel über der Lipidschicht,
während kleine Plaques öfter eine dünne Kapsel besitzen,
die eher zur Ruptur und Thrombose neigt. Die
Plaquestabilität hängt entscheidend vom Kollagengehalt
der fibrösen Kapsel ab, der wiederum durch das
Gleichgewicht von Biosynthese und Abbau bestimmt
wird. Die Kollagensynthese in glatten Muskelzellen wird
beispielsweise durch PDGF oder TGF-? (Transforming
Growth Factor–ß) aus Plättchen stimuliert, während
Interferon-? aus aktivierten T-Zellen die Genexpression
von Bindegewebsproteinen deutlich hemmt. Neben einer
verminderten Synthese kann auch ein vermehrter
Kollagenabbau in der fibrösen Kapsel wesentlich zur
Plaquedestabilisierung
beitragen.
Matrixabbauende
Metalloproteinasen, die im Verlauf entzündlicher
Prozesse von Makrophagen freigesetzt werden, scheinen
hierbei eine Schlüsselrolle zu spielen.
Die klassischen Risikofaktoren ordnen sich in das Entzündungskonzept der Atherosklerose insofern ein, als
dass sie selbst eine chronische Entzündung der Endothelien auslösen oder diese über Jahre aufrecht erhalten
und vorantreiben können. Darüber hinaus können aber
auch andere Prozesse das Entzündungsgeschehen
entscheidend beeinflussen, wie z.B. chronische
Infektionen. Die überzeugendsten Beweise, dass
Infektionen ursächlich für die Entstehung einer
Atherosklerose sein können, liegen bisher für Chlamydia
pneumoniae vor. Andere Erreger wie Heliobacter pylori
und Herpesviren stehen ebenfalls in Verdacht, atherogen
zu sein, was jedoch noch nicht endgültig bewiesen ist.
Zunehmend häufen sich auch Hinweise, dass chronische
Entzündungen des Zahnfleisches (Gingivitis) und vor
allem des Zahnhalteapparates (Parodontitis) maßgeblich
an der Entstehung und Progression einer Atherosklerose
beteiligt sein könnten.
1
Parodontitis und Atherosklerose
Die Parodontitis, die immerhin 15% der Erwachsenen
zwischen 21 und 50 Jahren und 35% der Erwachsenen
über 50 Jahre betrifft, ist eine chronische, entzündliche
Erkrankung, die zum fortschreitenden Verlust der Zahnhalteapparates, des Alveolarknochens und letztendlich
des Zahnes führt. Ursache der Parodontitis sind die sich
in
der
dentalen
Plaque
vermehrenden
Parodontalpathogene
wie
gramnegative
Erreger
(Porphyromonas gingivalis, Bacteroides forsythus,
Prevotella
intermedia,
Actinobacillus
actinomycetemcomitans),
grampositive
Erreger
(Streptococcus sanguis, Peptostreptococcus micros) und
Spirochäten. Die klinische Ausprägung der Erkrankung
wird
wesentlich
durch
bestimmte
genetische
Prädispositionen (Polymorphismen im IL-1-Genkomplex) und erworbenen Risikofaktoren bestimmt.
Epidemiologische Untersuchungen
Mittlerweile liegen mehrere große Studien (FallKontrollstudien,
Querschnittsstudien,
Longitutinalstudien) vor, von denen die meisten einen signifikanten
Zusammenhang zwischen chronischer Parodontitis und
koronarer Herzerkrankung gezeigt haben. Es gibt aber
auch Untersuchungen, die keinerlei statistisch gesicherte
Korrelation zwischen beiden Erkrankungen nachweisen
konnten. Obwohl in den bisher vorliegenden
prospektiven Studien ein durchschnittlicher Risikoanstieg
um 50%-150% (Minimum 20%, Maximum 600%) beim
Vorliegen einer Parodontitis gefunden wurde, konnte
noch kein überzeugender Beweis erbracht werden, dass
eine chronische Parodontitis tatsächlich einen unabhängigen Risikofaktor für kardiovaskuläre Erkrankungen
darstellt. Die Gründe für die diskrepanten Ergebnisse der
verschiedenen Studien liegen einerseits in der uneinheitlichen Diagnostik einer Parodontitis (Selbsteinschätzung
des Patienten, Dentalindex, Russell-Periodontal-Index),
wobei in keiner bisherigen Studien der Infektions- oder
Entzündungsstatus objektiv bestimmt und als Kriterium
einbezogen wurde. Andererseits wurden bei den statistischen Berechnungen andere Faktoren wie demographische und sozioökonomische Faktoren, Blutdruck,
Zigarettenrauchen, Serum-Cholesterol und Diabetes
mellitus unterschiedlich stark berücksichtigt, was bei
deren Über- bzw. Unterbewertung zu unterschiedlichen
Ergebnissen führt.
Experimentelle Untersuchungen
Auch wenn aus epidemiologischer Sicht die Kausalität
zwischen Parodontitis und Atherosklerose noch nicht
gesichert ist, lassen die Ergebnisse experimenteller in
vivo und in vitro Untersuchungen einen solchen Zusammenhang zumindest plausibel erscheinen. Parodontalkeime können sowohl direkt als auch indirekt über die
Induktion systemischer Entzündungs- und Immunreaktionen an der Pathogenese der Atherosklerose beteiligt
sein.
Über die parodontale Wundfläche können besonders nach
Mundhygienemaßnahme (Zähneputzen, Kaugummikauen) und zahnärztlichen Eingriffen (subgingivales
Scaling) orale Bakterien ins Blut gelangen und direkt mit
den Endothelzellen interagieren. In Atheromen wurden
mittels der PCR DNA von Parodontalpathogenen nachgewiesen wie P. gingivalis, B. forsythus, P. intermedia
und A. actinomycetemcomitans. P. gingivalis kann
beispielsweise Endothelzellen infizieren und sich in ihnen
vermehren wodurch eine Entzündungsreaktion und ein
Atheroskleroseprozess ausgelöst wird. Sie können aber
auch
die
Entwicklung
einer
Atherosklerose
beschleunigen, indem sie ein bereits vorgeschädigtes
Endothel (z.B durch Hyperchloesterolämie, Hypertension) infizieren. P. gingivalis induziert die Expression
von ICAM-1 und MCP-1 in Endothelzellen, was zur
Stimulierung der Anheftung und Einwanderung von
Monozyten führt und den Entzündungsprozess weiter
vorantreibt. Die Aktivierung von Endothelin durch P.
gingivalis bewirkt eine starke Vasokonstriktion und
fördert ebenfalls die Progression der Atherosklerose.
Darüber hinaus wurde gezeigt, dass P. gingivalis die
NADH-Oxidase in Endothelzellen stimuliert. Durch die
Induktion der NADH-Oxidas können LDL über vermehrt
anfallende Superoxidanionen verstärkt oxidiert werden,
was wiederum die Schaumzellbildung aus Makrophagen
stimuliert. Proatherogen wirken ebenfalls die gerinnungsfördernden Eigenschaften oraler Mikroorganismen. S.
sanguis und P. gingivalis exprimieren kollagenähnlich
PAAP(Platelet Aggregation-Associated Proteins) und können
in vitro und beim Kaninchen die Plättchen-Aktivierung
und Aggregation induzieren und zur Thrombusbildung
beitragen. Proteasen von P. gingivalis können Faktor IX
und Faktor X und somit die Blutgerinnungskaskade
aktivieren. Die Plaquestabilität kann ebenfalls durch orale
Keime beeinflusst werde, wenn sie in direkten Kontakt
mit dem Atherom kommen. P. gingivalis kann durch
eigene proteolytische Enzyme oder durch Stimulierung
der Synthese von MMP-9 in Makrophagen den Abbau
der fibrösen Kapsel forcieren, was letztendlich mit einer
Plaqueruptur endet. Überzeugende Beweise für die proatherogene Wirkung parodontaler Keime wurden jüngst in
Tiermodellen erbracht. Eine Infektion von heterozygoten
ApoE(Apolipoprotein E)-defizienten-Mäusen - ein Hypercholesterolämie-Modell - mit P. gingivalis verstärkte die
Bildung von Atheromen und deren Kalzifizierung und
beschleunigt die Atherosklerose im Vergleich zu nichtinfizierten Kontrolltieren.
Neben den direkten Effekten der Parodontalkeime
können auch die Entzündungs- und Immunprozesse, die
durch eine Parodontitis in Gang gesetzt werden ,
maßgeblich die Atherombildung fördern und somit zur
Entstehung einer koronaren Herzerkrankung beitragen.
Lipopolysaccharide (Endotoxine) der gramnegativen
Bakterien lösen eine lokale Entzündungsreaktion aus, in
deren Folge eingewanderte Makrophagen verstärkt
proinflammatorisch Zytokine wie IL-1, IL-6 und TNF-?
sezernieren. Diese wiederum stimulieren die Synthese
von Akute-Phase-Proteinen in der Leber wie CRP,
Fibrinogen und SAA. Erhöhte Serumspiegel von CRP
und Fibrinogen sind heute zweifelsfrei als eigenständige
Risikofaktoren für eine Atherosklerose akzeptiert, wobei
schon leicht erhöhte Serumkonzentrationen von CRP mit
einem erhöhten Atheroskleroserisiko assoziiert sind. In
der Tat haben mehrer Untersuchungen gezeigt, dass
Patienten mit chronischer Parodontitis signifikant erhöhte
CRPund
Fibrinogen-Serumkonzentrationen
im
Vergleich zu Kontrollpersonen ohne Anzeichen einer
Parodontitis aufweisen. Nach Behandlung der
Parodontitis (Scaling, Wurzelglättung, Flurbiprofen) war
ein Abfall der CRP-Serumkonzentration zu beobachten.
Proinflammatorische Zytokine wie TNF-? (Tumor Necrosis
Factor ? ) stimulieren ebenfalls die Triglyzeridsynthese in
der Leber und hemmen die Lipoproteinlipase, was die
Tatsache erklären könnte, dass Gesamt-Cholesterol,
LDL-Cholesterol und Triglyzeride bei Patienten mit
Parodontitis signifikant höher sind, als bei
Kontrollpersonen ohne Parodontitis. Bei Parodontitis
2
bildet sich also ein atherogenes Lipoproteinprofil aus, das
die Atheroskleroseprogression weiter fördert. Das konnte
auch in Tierversuchen gezeigt werden, bei denen eine
Infektion von Mäusen mit P. gingivalis die SerumLipidspiegel signifikant erhöhte.
Auch sekundäre Immunprozesse sind möglicherweise in
die durch orale Mikroorganismen ausgelöste Atherogenese involviert. Als Antwort auf eine Infektion mit
Parodontalpathogenen werden Antikörper gegen die
bakteriellen Hitzeschockproteine gebildet, die mit den
Hitzeschockproteinen der Gefäßendothelien kreuzreagieren und eine Endothelzellschädigung hervorrufen.
Solche autoreaktiven Antikörper werden bei ParodontitisPatienten gefunden und könnten zur Atherombildung
beitragen.
Fazit
Es mehren sich zunehmend die Hinweise, dass die
chronische Parodontitis eine bedeutende Rolle bei der
Entstehung und Progression der Atherosklerose mit ihren
fatalen Folgen wie Herzinfarkt und Schlaganfall spielen
könnte. Obwohl ein kausaler Zusammenhang zwischen
Parodontitis und Atherosklerose noch nicht endgültig
bewiesen ist, zeigen die meisten epidemiologischen
Studien einen signifikante Assoziation zwischen beiden
Erkrankungen. Auch die Ergebnisse experimenteller
Untersuchungen lassen einen solchen Zusammenhang
durchaus plausibel erscheinen. Parodontalpathogene
bewirken direkt oder indirekt über proinflammatorische
Mediatoren eine Förderung der Gerinnungsneigung, eine
vermehrte Produktion von Akute-Phase-Proteinen in der
Leber, eine Erhöhung der Lipidspiegel, eine verstärkte
LDL-Oxidation und Schaumzellbildung sowie die
Bildung autoreaktiver Antikörper gegen bestimmte
Proteine der Endothelzellen. Über diese Mechanismen
könnte eine chronische Parodontitis entzündliche
Prozesse des Gefäßendothels auslösen, aufrechterhalten
oder beschleunigen, und somit zur Entstehung und
Progression einer Atherosklerose beitragen. Die neuen
Erkenntnisse unterstützen nachhaltig die Forderung nach
einer radikalen Herdsanierung bei chronischer
Parodontitis, mit rigoroser mechanischer Entfernung des
dentogingivalen Biofilms bei gleichzeitiger, eingehender
Keimreduzierung in der Mundhöhle unter Einbeziehung
der Zungen- und Tonsillenschleimhäute.
Selbst wenn sich herausstellen sollte, dass Parodontitis
nur einen moderaten Effekt auf die Inzidenz von Herzinfarkt und Schlaganfall hat, wäre dies dennoch wegen der
große Verbreitung der Parodontitis von enormer Bedeutung. Auf jeden Fall gibt es Anlass genug, um noch
deutlicher auf die Bedeutung der Zahngesundheit für die
Gesundheit des Gesamtorganismus und insbesondere der
Herz-Kreislaufsystems hinzuweisen.
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Stand:
Februar 2003
Verfasser: Dr. med. habil. Dietmar Plonné
Labor Dr. Gärtner
88250 Weingarten
Tel.: 0751-502260
e-mail: [email protected]
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