Schnelle Reaktion auf Verbreitung gefährlicher Infektionen

Werbung
P O L I T I K
Infektionsschutzgesetz
Schnelle Reaktion auf Verbreitung
gefährlicher Infektionen
Das zum 1. Januar 2001 in Kraft tretende Gesetz weist dem Robert Koch-Institut eine zentrale Rolle bei der Erfassung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten zu. Es präzisiert
die Meldepflicht für Ärzte und schafft die Grundlage für eine verbesserte Klinikhygiene.
D
ie deutschen Gesundheitsbehörden sollen in die Lage versetzt
werden, schneller als bisher bundesweit auf das Auftreten neuer und
die Verbreitung bekannter Infektionskrankheiten zu reagieren. Das ist eines der Ziele des zum 1. Januar 2001 in
Kraft tretenden Infektionsschutzgesetzes (IfSG). Das Gesetz fasst die noch
aus den 50er- und 60er-Jahren stammenden seuchenrechtlichen Bestimmungen
sowie neuere Verordnungen zur Berichts- und Meldepflicht bei bestimmten
Krankheitsfällen zu einem einheitlichen
Komplex zusammen. Beim Gesetzgebungsverfahren gab es weitgehendes
Einvernehmen zwischen dem Bundesministerium für Gesundheit (BMG),
dem Gesetzgeber und den hinzugezogenen sachkundigen Repräsentanten
von Verbänden und Körperschaften.
Für politische Meinungsverschiedenheiten sorgte die im Gesetz vorgeschriebene namentliche Meldepflicht bei Hepatitis-C-Infizierten. Diese betrifft allerdings nur die akuten Fälle, da nur hier
Das Robert
Koch-Institut
in Berlin
wird im Infektionsschutzgesetz als epidemiologische
Leitstelle installiert.
Foto: Edgar Zippel
A 3226
mögliche Infektionsquellen noch aufgedeckt werden können, nicht die chronisch Kranken.
Das Robert Koch-Institut (RKI),
Berlin, erhält im Infektionsschutzgesetz
eine Schlüsselfunktion, indem es als infektionsepidemiologische Leitstelle installiert wird. Es soll so auch in die Lage
versetzt werden, sich an europäischen
infektionsepidemiologischen Früherkennungs- und Informationsnetzwerken zu beteiligen.
Anders als bisher ist jetzt ein einheitlicher Meldeweg vom Arzt bis ans RKI
vorgeschrieben. Die Daten über meldepflichtige Krankheiten und Verdachtsfälle müssen binnen Wochenfrist von
den lokalen Gesundheitsämtern an die
Landeszentralbehörden weitergeleitet
werden. War bisher nur die Weitergabe
statistischer Daten an das Statistische
Bundesamt geregelt, so soll das RKI
nunmehr die zum Schutz der Bevölkerung erforderliche länderübergreifende
Koordination übernehmen. Das RKI
soll die aktuellen Daten zügig auswer-
ten und die Ergebnisse allen zuständigen Stellen möglichst rasch zur Verfügung stellen.
Entscheidend für eine effektive Umsetzung der im Gesetz vorgegebenen
Ziele ist die Mitwirkung der Ärzte bei
der Meldung der Krankheiten. Die
nach dem Bundes-Seuchengesetz von
1961 bestehende Meldepflicht der Ärzte wurde nach Überzeugung des Bundesgesundheitsministeriums bei beEine detaillierte Übersicht über die Melde- und
Aufzeichnungspflicht nach dem neuen IfSG wird
Ende des Jahres im Deutschen Ärzteblatt, Heft
51–52 veröffentlicht.
Der Gesetzestext kann über die Internet-Seiten
des Deutschen Ärzteblattes (www.aerzteblatt.de)
aufgerufen werden.
stimmten Krankheitsfällen in den vergangenen Jahren nur noch unvollständig beachtet. Der Katalog der namentlich meldepflichtigen Krankheiten und
Krankheitserreger im IfSG ist gegenüber den zurzeit geltenden Vorschriften nur um zwei Krankheiten erweitert
worden. Dies betrifft die Masern, die in
das WHO-Eradikationsprogramm aufgenommen wurden; vorgesehen ist die
weltweite Eradikation bis zum Jahr
2007. Neu ist auch, dass das Labor
den Erregernachweis bei Legionellen
melden muss. Reduziert wird die Meldepflicht bei infektiöser Enteritis; sie
ist weiterhin vorgeschrieben bei Beschäftigten im Lebensmittelbereich
und bei gehäuftem Auftreten des
Krankheitsbildes. Präziser gefasst sind
die Vorschriften bei der Polio-Meldung: Künftig muss jede akute schlaffe
Lähmung der Extremitäten gemeldet
werden.
✁
Deutsches Ärzteblatt½ Jg. 97 ½ Heft 48½ 1. Dezember 2000
P O L I T I K
Gegenüber den im alten BundesSeuchengesetz nicht im Einzelnen geregelten Meldemodalitäten beschreibt
das IfSG die Meldeverpflichtungen
der Ärzte und Laboratorien präziser.
Der duale Meldeweg – bei Verdacht
oder Diagnose einer meldepflichtigen
Krankheit durch den behandelnden
Arzt, bei Erregernachweis durch das
Labor – soll das Meldeverhalten der
Ärzte positiv beeinflussen. Der behandelnde Arzt ist bei den im Gesetz genannten Krankheiten zu einer Meldung
verpflichtet – noch vor dem Befund und
der Meldung durch das Labor. Allerdings ist der Katalog der Krankheiten,
die vom Arzt zu melden sind, gegenüber
den Labormeldungen gekürzt worden.
Nach dem IfSG haben Ärzte nur noch
18 statt früher 40 meldepflichtige Diagnosen zu berücksichtigen. Durch diese
Entlastung verspricht sich der Gesetzgeber eine Verbesserung der „Meldemoral“. Bei Nichtbeachtung der Meldepflicht sind allerdings auch Bußgelder in
Höhe von bis zu 25 000 Euro vorgesehen. Führt eine unterlassene Meldung
zur Verbreitung einer Krankheit oder
eines Krankheitserregers, kann es sich
auch um eine Straftat handeln, für die
das IfSG eine Freiheitsstrafe bis zu fünf
Jahren vorsieht.
Die namentliche Meldepflicht ist auf
solche Krankheiten beschränkt, die
Maßnahmen des Gesundheitsamtes zur
Eindämmung einer akuten Weiterverbreitungsgefahr erforderlich machen.
Nosokomiale Infektionen
Eine wichtige Neuregelung durch das
Infektionsschutzgesetz betrifft die Erfassung der nosokomialen Infektionen
in Krankenhäusern und in Einrichtungen für ambulantes Operieren. Aufgrund von Hochrechnungen geht man
davon aus, dass in Deutschland jährlich
mehr als 525 000 Patienten von im
Krankenhaus erworbenen Infektionen
betroffen sind. Die Folgekosten werden
auf mehrere Milliarden DM geschätzt.
Als Grundlage für die Ursachenanalyse
und die Verbesserung der Situation hält
der Gesetzgeber die Kontrolle ausgewählter nosokomialer Infektionen für
erforderlich. Erstmals wird daher den
Krankenhäusern und Einrichtungen für
A 3228
ambulantes Operieren vorgeschrieben,
die am häufigsten auftretenden nosokomialen Infektionen aufzuzeigen und zu
erfassen. Besonderes Augenmerk soll
dabei den Krankheitserregern mit speziellen Resistenzen und Multiresistenzen gelten. Hier wird dem Robert KochInstitut die Aufgabe zugewiesen, entsprechend den jeweiligen epidemiologischen Erfordernissen die zu dokumentierenden Infektionen festzulegen. Die
aktuellen Festlegungen sind dem „Bundesgesundheitsblatt“ (Heft 11/2000;
www.rki.de/INFEKT/IFSG/IFSG.HTM)
zu entnehmen. Die infektionshygienische Überwachung von Arztpraxen und
Praxen sonstiger Heilberufe, in denen
wegen dort vorgenommener Eingriffe
einige Jahre verstreichen werden, bis
das RKI den ihm zugewiesenen Aufgaben in vollem Umfang gerecht werden
kann.
Prävention statt Zwang
Auf das neue IfSG gehen auch die
Regelungsinhalte des Gesetzes zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten
über. Hierbei setzt der Gesetzgeber auf
weniger Zwang und mehr Prävention,
da die Erfahrung in den vergangenen
Jahrzehnten gezeigt habe, dass zum
Beispiel die Pflichtuntersuchungen bei
Prostituierten eine falsche Sicherheit
vortäuschen. Der Ausbreitung sexuell
übertragbarer Krankheiten soll in Zukunft nicht
mehr auf dem Wege routinemäßiger Kontrollen,
sondern durch Beratung
und Untersuchungsangebote durch die Gesundheitsämter entgegengewirkt werden. Das hierfür bestehende Behandlungsverbot für Ärzte in
den Gesundheitsämtern
wird durch das IfSG aufgehoben.
Auch in anderen BeSie betont die Notwendigkeit, bei Infektionskrankheiten
Behandlung, Schutz und Information zu vernetzen: Bundes- reichen wird durch das
gesundheitsministerin Andrea Fischer.
Foto: Bernhard Eifrig
IfSG der Tatsache Rechnung getragen, dass einiein erhöhtes Infektionsrisiko besteht, ge bisher vorgeschriebene Kontrollundurch die Gesundheitsämter wird in Zu- tersuchungen die Erwartungen nicht erkunft bundeseinheitlich geregelt.
füllt haben. So werden in Zukunft die
Durch Sentinel-Erhebungen kann routinemäßig vorgenommenen Tuberdas RKI in Abstimmung mit den jeweils kulintests und Röntgenuntersuchungen
zuständigen Landesbehörden die Ver- bei Ersteinstellung von Lehrern und
breitung weiterer übertragbarer Er- Erziehern entfallen. An deren Stelle
krankungen ermitteln und den Bevöl- tritt eine Belehrung durch den Arbeitkerungsanteil, der gegen bestimmte Er- geber über die gesundheitlichen Anforreger nicht immun ist, bestimmen.
derungen und Mitwirkungsrechte, die
Der Schlüsselstellung des RKI bei spätestens im Abstand von zwei Jahren
der Umsetzung des IfSG entspricht die wiederholt werden muss. Aufklärung
beabsichtigte personelle Mehrausstat- statt Pflichtuntersuchung gilt auch für
tung des Instituts. Die für die Bewälti- die im Lebensmittelbereich tätigen Pergung der neuen Aufgaben benötigten sonen. Vor erstmaliger Aufnahme einer
rund 80 Planstellen können allerdings solchen Tätigkeit müssen sie den Nachnur zu einem Teil durch innerbetriebli- weis über eine gesundheitliche Belehche Umstrukturierungen besetzt wer- rung durch das Gesundheitsamt erbrinden. Im Haushalt des Bundesgesund- gen. Bei gesundheitlichen Bedenken
heitsministeriums für das nächste Jahr kann das Gesundheitsamt allerdings die
sind lediglich Mittel für 14 zusätzliche Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung
Thomas Gerst
Stellen vorgesehen, sodass wohl noch verlangen.
Deutsches Ärzteblatt½ Jg. 97 ½ Heft 48½ 1. Dezember 2000
Zugehörige Unterlagen
Herunterladen