Rechtsvergleichung im öffentlichen Recht (III)

Werbung
Rechtsvergleichung im öffentlichen
Recht (III)
Grundrechte in der pluralistischen Demokratie
PD. Dr. Rainer Grote
Vorlesungen vom 19. und 26. Juni und 3. Juli 2006
Rechtliche Bindungswirkung der
Grundrechte im modernen
Verfassungsstaat
Grundrechtsschutz bildet heute einen Kernbestandteil des nationalen Verfassungsrechts.
Moderne Verfassungen verfügen regelmäßig über einen geschriebenen
Grundrechtskatalog (vgl. aber die besondere Situation in Großbritannien und
Frankreich). Darüber hinaus ist die Gewährleistung der Menschen- und Bürgerrechte
heute auch Gegenstand zahlreicher menschenrechtlicher Verträge auf regionaler
(EMRK, AMRK) und universeller Ebene (UN-Pakte zum Schütz bürgerlicher und
politischer bzw. wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Rechte).
Der entscheidende Durchbruch besteht in der Anerkennung der rechtlich bindenden
Wirkung der Grundrechte für alle Staatsorgane einschließlich des parlamentarischen
Gesetzgebers. Die französische Menschenrechtserklärung von 1789 hatte in den
Menschen- und Bürgerrechten noch (universell gültige) politisch-philosophische
Leitprinzipien für die Gestaltung einer gerechten und vernünftigen Gesellschaftsordnung
und weniger rechtlich bindende Vorgaben für den nationalstaatlichen Gesetzgeber
gesehen. Auf einem ähnlichen Verständnis von der eingeschränkten rechtlichen
Geltungskraft der Grundrechte beruhte auch die in der Weimarer Republik weit
verbreitete Lehre von dem Programmsatzcharakter der verfassungsrechtlichen
Grundrechtsverbürgungen. In klarem Gegensatz dazu läßt Art. 1 Abs. 3 GG an der
uneingeschränkten rechtlichen Geltungskraft der Grundrechte keinen Zweifel.
Max Planck Institute for Comparative Public Law and International Law
Gerichtliche Durchsetzung der
Grundrechte
Mit der Anerkennung der rechtlichen Bindungswirkung der Grundrechte wird die Kontrolle und
Durchsetzung der sich aus der Verfassung für die Tätigkeit der Staatsorgane ergebenden
grundrechtlichen Bindungen zu einer wichtigen Aufgabe der Gerichte. Ebenso wie die Einsicht in die
normative Kraft der Verfassung und der Aufschwung des Grundrechtsschutzes auf der
internationalen Ebene ist die Entwicklung einer umfassenden und alle Bereiche des Alltagslebens der
Bürger umfassenden Grundrechtssprechung im wesentlichen das Ergebnis der Nachkriegszeit. Selbst
in den USA, in denen die Bindung der staatlichen Organe einschließlich des Gesetzgebers an die
verfassungsrechtlichen Grundrechtsgewährleistungen der Sache nach bereits seit Anfang des 19.
Jahrhunderts anerkannt war, hatte sich der (höchst-)gerichtliche Grundrechtsschutz bis zum Ende des
Zweiten Weltkriegs zumeist auf den Eigentumsschutz beschränkt. Erst mit der aktivistischen
Rechtsprechung des Warren Court und dem Aufkommen der Bürgerrechtsbewegung seit Mitte der
fünfziger Jahre wurden auch die anderen grundrechtlichen Gewährleistungen der US-Verfassung wie
Meinungsfreiheit und Persönlichkeitsrechte höchstrichterlich thematisiert und präzisiert.
Wegmarken in der Entwicklung des (verfassungs-) gerichtlichen Grundrechtsschutzes in Europa sind
die Lüth- und die Elfes-Entscheidung des BVerfG, die Entscheidung des französischen Conseil
constitutionnel von 1971 zur Bindungswirkung der Menschen- und Bürgerrechtserklärung von 1789,
die Stauder-Rechtsprechung des EuGH und die seit Mitte der siebziger Jahre ständig an Bedeutung
gewinnende Spruchpraxis der Straßburger Konventionsorgane.
Max Planck Institute for Comparative Public Law and International Law
Unterschiede in den institutionellen
Rahmenbedingungen des
Grundrechtsschutzes
Trotz bestimmter allgemeiner Entwicklungstendenzen hin zu einer effektiveren
Durchsetzung der Grundrechte bestehen zwischen den verschiedenen Rechtsordnungen
nach wie vor signifikante Unterschiede hinsichtlich der Ausgestaltung der gerichtlichen
Grundrechtskontrolle. Sie ergeben sich aus dem positiven Verfassungsrecht, der Aufbau
der allgemeinen Gerichtsorganisation und der unterschiedlichen politischen Kultur der
einzelnen Länder.
Mit der Anerkennung der rechtlichen Bindungswirkung der Grundrechte wird der
Grundrechtsschutz prinzipiell auch zu einer Aufgabe der allgemeinen Gerichtsbarkeit.
Dies kann Probleme insbesondere dort bereiten, wo die Gerichte stark spezialisiert sind,
über keine nennenswerte Erfahrung im Umgang mit der Entscheidung von
Grundrechtsstreitigkeiten verfügen und/oder im Hinblick auf die „politische Dimension“
der einschlägigen Fälle Zurückhaltung üben. Unabhängig von diesen sich aus dem
Aufbau der Gerichtsorganisation und einem spezifischen Gewaltenteilungsverständnis
ergebenden Hürden für die effektive Wahrnehmung der gerichtlichen Wächterrolle im
Bereich des Grundrechtsschutzes ergibt sich aber auch in Rechtsordnungen, in denen die
(Inzident-) Überprüfung staatlicher Maßnahmen am Maßstab der verfassungsrechtlichen
Grundrechte zum gesicherten Aufgabenbestand der ordentlichen bzw. Fachgerichte
gehört, die Notwendigkeit, eine gewisse Einheitlichkeit in der gerichtlichen
Grundrechtsinterpretation sicherzustellen.
Max Planck Institute for Comparative Public Law and International Law
Institutionelle Rahmenbedingungen
(2)
In den USA wird diese Rolle vom Supreme Court wahrgenommen, der sich durch die
Handhabung seines Annahmeermessens (certiorari) faktisch zum obersten „Grundrechtegericht“ entwickelt hat. In der Bundesrepublik wird eine einheitliche Interpretation
und Anwendung der Grundrechte in der gerichtlichen Praxis mit Hilfe des Instruments
der Verfassungsbeschwerde sichergestellt. Die Verfassungsbeschwerde ermöglicht es
den Bürgern, nach Erschöpfung des Rechtswegs die mangelhafte Berücksichtung der
Grundrechte durch die Fachgerichte bei der Wahrnehmung ihrer Entscheidungskompetenzen vor dem Verfassungsgericht zu rügen. In anderen Ländern ist hingegen der
Grundrechtsschutz bis heute nicht in das System des einfachgerichtlichen
Rechtsschutzes integriert. So hat in Frankreich weder der Bürger weder direkt noch
indirekt (d.h. über Vorlage durch das zuständige Gericht im Rahmen eines anhängigen
Verfahrens) die Möglichkeit, die Spruchpraxis der Fachgerichte durch den Conseil
constitutionnel auf ihre Grundrechtskonformität überprüfen zu lassen.
In einigen Ländern müssen sich die Gerichte die Aufgabe des Grundrechtsschutzes mit
politisch-administrativen Organen teilen. So spielt in den skandinavischen Ländern der
Ombusmann bei der Kontrolle der Menschen- und Bürgerrechte eine zentrale Rolle. Er
ist nicht nur zur Kontrolle und Beseitigung allgemeiner Mißstände befugt, sondern kann
auch mit Individualbeschwerden befaßt werden und verfügt dann über die Möglichkeit,
Gerichtsverfahren zur Sanktionierung konkreter Grundrechtsverletzungen durch die
Verwaltung zu initiieren.
Max Planck Institute for Comparative Public Law and International Law
Inter- und supranationaler
Grundrechtsschutz
Parallel zur Stärkung des Grundrechtsschutzes im nationalen Rahmen haben die Bestrebungen zur
Schaffung eines wirksamen internationalen Grundrechtsschutzes in der Nachkriegszeit eine neue
Qualität erreicht. Der internationale Grundrechtsschutz ist heute zweistufig aufgebaut: er existiert
sowohl auf regionaler als auch auf universeller Ebene.
Das bedeutendste regionale Menschenrechtsschutzsystem ist die EMRK. In der Konvention von
1950 und den bisher 14 Zusatzprotokollen sind zahlreiche bürgerliche, politische und justizielle
Grundrechte gewährleistet. Dem europäischen Vorbild sind die amerikanischen Staaten
(Amerikanische Memschenrechtskonvention von 1969) und die Länder Afrikas (Banjul Charta der
Menschenrechte und der Rechte der Völker von 1981) gefolgt.
Die universelle „Bill of Rights „ besteht aus der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von
1948 und den UN-Pakten über bürgerliche und politische bzw. wirtschaftliche, soziale und kulturelle
Rechte von 1966.
Im Unterschied zum Grundgesetz normieren die internationalen Menschenrechtsgewährleistungen
nicht nur bürgerliche, politische und justizielle Grundrechte, sondern auch wirtschaftliche und soziale
Rechte sowie kollektive Rechte, insbesondere das Selbstbestimmungsrecht der Völker. Sie werden
allerdings zum Teil (Europarat, UN-System) nicht zusammen mit den bürgerlichen und politischen
Recht gewährleistet, sondern sind Gegenstand eines besonderen Vertrages (Europäische Sozialcharta,
Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte). Auch dort, wo sie gemeinsam mit den
bürgerlichen und politischen Rechten normiert werden (z.B. Amerikanische Menschenrechtskonvention), sind sie jedoch regelmäßig nicht als konkrete Handlungs- bzw. Unterlassungspflichten,
sondern als bloße Zielverpflichtungen der beteiligten Staaten ausgestaltet.
Max Planck Institute for Comparative Public Law and International Law
Inter- und supranationaler
Grundrechtsschutz (2)
Die Grundrechte werden auch als sog. ungeschriebene Grundsätze des Gemeinschaftsrechts in der
Europäischen Union vom EuGH geschützt. Anders als die vorgenannten internationalen
Menschenrechtsgewährleistungen wenden sich die Grundrechte des Gemeinschaftsrechts primär an
die supranationalen Organe der Gemeinschaften; an die Organe der EU-Mitgliedstaaten nur in den
Fällen, in denen sie funktional als Gemeinschaftsorgane, d.h. beim Vollzug des Gemeinschaftsrechts
tätig werden. Die vom Europäischen Rat auf dem Gipfel in Nizza (2000) proklamierte Charta der
Grundrechte der Europäischen Union hat bislang nur politische, keine rechtliche Bindungswirkung.
Die regionalen Menschenrechtssysteme verfügen über eigene Gerichtsorgane, denen die
letztverbindliche Entscheidung über die Auslegung der vertraglich gewährleisteten
Menschenrechtsgarantien anvertraut ist. Nur unter der EMRK hat allerdings der einzelne – nach
Erschöpfung des innerstaatlichen Rechtswegs - unmittelbar Zugang zum internationalen Gericht.
Sowohl im amerikanischen wie im afrikanischen System sind dagegen nur die Vertragsstaaten bzw.
die Kommission klagebefugt.
Auf universeller Ebene bestehen dagegen bisher nur rudimentäre Durchsetzungsinstrumentarien. So
werden durch die UN-Pakte nur Berichtspflichten der Vertragstaaten zwingend vorgeschrieben.
Dagegen ist der Menschenrechtsausschuss zur Entscheidung von Staaten- und Individualbeschwerden, mit denen eine Verletzung des Paktes über bürgerliche und politische Rechte gerügt
wird, nur insoweit zuständig, als der Vertragsstaat, gegen den sich die Beschwerde richtet, seine
Zuständigkeit durch Abgabe einer entsprechenden Erklärung bzw. Abschluß eines entsprechenden
Zusatzprotokolls ausdrücklich anerkannt hat. Seine Stellungnahmen haben, anders als die
Entscheidungen des EGMR, auch keine bindende Wirkung.
Max Planck Institute for Comparative Public Law and International Law
Unterschiede in der materiellen
Grundrechtskonzeption
Unterschiede bestehen nicht nur hinsichtlich der institutionellen Rahmenbedingungen
des Grundrechtsschutzes, sondern auch im Hinblick auf das materielle
Grundrechtsverständnis. Allgemein läßt sich sagen, daß sich die Grundrechtsprechung
des BVerfG durch die Betonung der objektivrechtlichen Dimensionen der Grundrechte,
die sich aus dem Verständnis der Grundrechtsordnung als Werteordnung ergibt,
auszeichnet. Demgegenüber liegt der Schwerpunkt der Rechtsprechung etwa des US
Supreme Court auf der Abwehr grundrechtsverkürzender bzw. grundrechtsverkürzender
Maßnahmen der staatlichen Organe.
Das Verständnis der Grundrechtsordnung als Werteordnung ist seinerseits eng an den
Schutz der Menschenwürde gekoppelt, die den obersten Wert der Verfassungsordnung
bildet. Die Menschenwürde wird in zahlreichen ausländischen Verfassungsordnungen,
aber auch in der EMRK, nicht als selbständiges Schutzgut anerkannt.
Aufgrund der vergleichsweise geringen Bedeutung der objektivrechtlichen Dimension
der Grundrechte spielt der Grundrechtsschutz durch Organisation und Verfahren, der
unter dem Grundgesetz etwa im Rundfunk- und Hochschulbereich von zentraler
Bedeutung ist, nur eine untergeordnete Rolle.
Max Planck Institute for Comparative Public Law and International Law
Unterschiede in der materiellen
Grundrechtskonzeption (2)
Dagegen sind grundrechtliche Schutzpflichten in der Rechtsprechung des
EGMR dem Grundsatz nach anerkannt. In der Entscheidungspraxis des
Supreme Court spielen sie dagegen auch in der Rechtsprechung zur
weitgehenden Straffreiheit des Schwangerschaftsabbruchs keine Rolle. Gründe
hierfür sind ein individualistischeres Grundrechtsverständnis und die
unterschiedliche prozessuale Ausgangslage (Schutz des Persönlichkeitsrechts
der Schwangeren vor zu weitgehender Einschränkung durch einzelstaatliche
Gesetzgebung zur Strafbarkeit des Schwangerschaftsabbruchs).
Das BVerfG löst den Konflikt zwischen verschiedenen Grundrechten nicht im
Sinne einer abstrakten oder konkreten Vorrangordnung, sondern durch
verhältnismäßige Zuordnung („praktische Konkordanz“) der verfassungsrechtlich geschützten Rechtsgüter. Der US Supreme Court tendiert dagegen zu
stärkerer Differenzierung und Abstufung des Grundrechtsschutzes nach der
Bedeutung der fraglichen Betätigung für die persönliche Entfaltung des
Grundrechtsträgers und die Bewahrung einer freiheitlichen Ordnung im
ganzen auf der einen und nach der Stärke des staatlichen Regelungsinteresses
auf der anderen Seite.
Max Planck Institute for Comparative Public Law and International Law
Beispiel Meinungsfreiheit
Der US Supreme Court billigt der Meinungsfreiheit aufgrund ihrer
Bedeutung für die freie öffentliche Diskussion in der Demokratie einen
hohen Stellenwert zu. Staatliche Eingriffe müssen daher zwingenden
Regelungsinteressen dienen und dürfen nicht zu weit gefaßt
(„overbroad“) sein. Der Schutz der Meinungsfreiheit setzt sich auch
gegenüber dem Persönlichkeitsrecht der durch den fraglichen Beitrag
angegriffenen oder kritisierten Person durch, soweit es sich um eine
Person des öffentlichen Interesses handelt, wobei dieser Begriff sehr
weit ausgelegt wird. Die straf- bzw. zivilrechtliche Sanktionierung
eines Beitrags zur öffentlichen Meinungsbildung ist danach nur in den
Extremfällen verfassungsrechtlich zulässig, in denen vorsätzlich oder
grob fahrlässig eine falsche Tatsachenbehauptung aufgestellt worden
ist.
Max Planck Institute for Comparative Public Law and International Law
Meinungsfreiheit (2)
Das BVerfG hebt ebenfalls die überragende
Bedeutung der Meinungsfreiheit für die freie
geistige Auseinandersetzung hervor.
Dies bedeutet allerdings nicht, daß der freien
Meinungsäußerung generell der Vorrang vor dem
Schutz des Persönlichkeitsrechts der angegriffenen
oder kritisierten Personen zukommt. Vielmehr
müssen Meinungsfreiheit und Persönlichkeitsrecht
nach den Grundsätzen der praktischen
Konkordanz miteinander zum Ausgleich gebracht
werden.
Max Planck Institute for Comparative Public Law and International Law
Meinungsfreiheit (3)
Wie US-Supreme Court und BVerfG betont der EGMR die zentrale
Bedeutung der Meinungsfreiheit für die demokratische Gesellschaft.
An die Erforderlichkeit von staatlichen Eingriffen in
Meinungsäußerungen, die zum demokratischen
Meinungsbildungsprozeß beitragen, sind daher strenge Maßstäbe
anzulegen. Dies gilt besonders für die Kritik an Regierung und
politischer Klasse. Der EGMR differenziert allerdings stärker als
Supreme Court und BVerfG nach der jeweiligen soziale Rolle des
durch eine Äußerung oder Veröffentlichung Betroffenen. Bezieht sie
sich auf sein Privatleben und steht mit seiner öffentlichen Funktion in
keinem sachlichen Zusammenhang, dann gibt der EGMR dem Schutz
der Privatsphäre prinzipiell Vorrang vor der Meinungsfreiheit
(Caroline).
Max Planck Institute for Comparative Public Law and International Law
Beispiel Religionsfreiheit
Obwohl die US-Verfassung nicht nur die Freiheit des Glaubens,
sondern auch die Freiheit der Religionsausübung schützt, billigt der
Supreme Court dem staatlichen Gesetzgeber einen relativ weiten
Spielraum bei der Einschränkung religiös motivierter
Verhaltensweisen durch Gesetz zu, sofern die entsprechenden
Einschränkungen allgemeinen Charakter haben, also nicht nach
Glaubenszugehörigkeit differenzieren.
Die religiöse Motivation der verbotenen Handlung vermag daher eine
Ausnahme von dem gesetzlichen Verbot nicht zu rechtfertigen,
solange es sich um ein allgemeines, d.h. ohne Rücksicht auf bestimmte
religiöse Überzeugungen und Praktiken der Normadressaten erlassenes
Verbot handelt (Peyote-Fall).
Max Planck Institute for Comparative Public Law and International Law
Religionsfreiheit (2)
Das BVerfG legt dagegen seiner Rechtsprechung ein extensives
Verständnis der Religionsfreiheit zugrunde. Religionsfreiheit schützt
danach nicht nur die Glaubensüberzeugung als solche sowie die
traditionelle Manifestation dieser Überzeugung durch bestimmte
kultische und rituelle Verhaltensweisen, sondern darüber hinaus die
Freiheit des einzelnen, sein gesamtes Verhalten an den Lehren seines
Glaubens auszurichten.
Eingriffe in diesen weit verstandenen Schutzbereich sind
verfassungsrechtlich nicht bereits dann zulässig, wenn sie nicht
zwischen verschiedenen Glaubensüberzeugungen diskriminieren,
sondern nur dann, wenn sie dem Schutz eines anderen
Verfassungsrechtsgutes dienen und verhältnismäßig sind. So kann
etwa die schematische Anwendung einer allgemeinen strafbewehrten
Norm unverhältnismäßig sein, wenn sie die religiöse Motivation des
sanktionierten Verhaltens nicht oder nicht ausreichend in Rechnung
stellt (Gesundbeter, Schächtverbot).
Max Planck Institute for Comparative Public Law and International Law
Herunterladen