Prof. Dr. Monika Schlachter SS 2007 Hinweise zur Lösung der Abschlussklausur vom 17.7.2007 Teil 1: Die Kündigungsschutzklage hat Erfolg, wenn die Kündigung unwirksam ist und dies vom Arbeitsgericht noch überprüft werden kann. I. Zugang einer schriftlichen Kündigung 1. Die Kündigung wahrt die Schriftform, §§ 623, 125 BGB. 2. U selbst hat die Kündigung nicht erklärt, sondern hat sich durch P vertreten lassen, § 164 I BGB. Der Ausspruch von Kündigungen unterfällt seiner Vertretungsmacht, vgl. § 49 I HGB. 3. Fraglich ist, ob die Kündigung nach § 174 S. 1 BGB unwirksam ist. 1 Hiernach ist ein einseitiges, von einem Bevollmächtigen vorgenommenes Rechtsgeschäft unwirksam, wenn dieser keine Vollmachtsurkunde vorlegt und der Vertragspartner deshalb das Rechtsgeschäft unverzüglich zurückweist. Unverzüglich bedeutet nach § 121 BGB „ohne schuldhaftes Zögern“. Daran fehlt es hier bereits, denn A hat bei Ausspruch der Kündigung die fehlende Vollmachtsurkunde nicht beanstandet, dies geschah erst in der fast zwei Wochen später zugestellten Klageschrift. Das ist auch wenn dem Arbeitnehmer im Einzelfall eine gewisse Überlegungsfrist einzuräumen sein mag, nicht mehr unverzüglich. Im Übrigen ist anerkannt, dass über die Fälle des § 174 S. 2 BGB hinaus eine Zurückweisung wegen fehlender Vollmachtsurkunde ausscheidet, wenn das Bestehen einer Vollmacht aus Sicht eines verständigen Empfängers nicht zweifelhaft ist. So liegt der Fall hier, da ein Prokurist nach § 49 I HGB umfassende Vertretungsmacht hat. Ist die Prokuraerteilung ordnungsgemäß ins Handelsregister eingetragen (vgl. § 53 1 Da die Voraussetzungen des § 174 S. 1 BGB nicht vorlagen, braucht hier i.E. nicht entschieden zu werden, ob ein Mangel im Nachweis der Vertretungsmacht bei Versäumnis der Klagefrist (§§ 13 I 2, 4, 7 KSchG) überhaupt noch geprüft werden kann. Die Antwort auf diese Frage ist für den richtigen Prüfungsstandort des § 174 BGB von entscheidender Bedeutung: Bejaht man auch für diese Mängel eine Präklusion nach §§ 4, 7 KSchG, wäre § 174 BGB erst nach Prüfung (und Bejahung) der Klagefrist zu erörtern; anderenfalls müsste er vor der Prüfung von §§ 4, 7 KSchG geprüft werden. Beachten Sie auch, dass kein Fall des § 180 BGB vorlag, da P als Prokurist Vertretungsmacht hat. 1 Prof. Dr. Monika Schlachter SS 2007 I HGB), kann sich der Arbeitnehmer wegen § 15 II 1 HGB nicht mehr auf § 174 S. 1 BGB berufen. 4. Die Kündigungserklärung ist deshalb ordnungsgemäß. Vielfach wurde das vorliegende Problem nicht gesehen oder falsch verankert. § 180 BGB betrifft den Fall des Nichtvorliegens von Vertretungsmacht und ist daher hier nicht einschlägig. II. Keine Präklusion nach §§ 13 I 2, 4 S. 1 , 7 KSchG Eine inhaltliche Überprüfung der Wirksamkeit der Kündigung im Übrigen kommt wegen §§ 13 I 2, 4 S. 1, 7 KSchG nur in Frage, wenn die Klagefrist von drei Wochen nach Zugang der Kündigung gewahrt wurde. Die Kündigungsfrist wurde vorliegend durch die am 5.1.2007 erhobene Klage gewahrt. Fristbeginn war nach § 187 I BGB der 25.12.2007 2 , Fristende war damit nach § 188 II Alt. 1 BGB 3 der 14.1.2008, 24.00 Uhr. Ein Fall der Präklusion liegt daher nicht vor. Vielfach wurde der richtige Standort im Prüfungsaufbau von §§ 13 I 2, 4 S. 1, 7 KSchG missachtet. Hier gibt es – außer bei der oben angesprochenen Frage im Zusammenhang mit § 174 BGB – keine anderen vertretbaren Alternativen! III. Kein Sonderkündigungsschutz nach § 91 SGB IX A ist zwar als Schwerbehinderter i.S.v. § 2 SGB IX anerkannt, so dass sowohl eine außerordentliche (§ 91 SGB IX) als auch eine ordentliche (§ 85 SGB IX) Kündigung im Grundsatz einer vorherigen (!) Zustimmung des Integrationsamtes bedürfe. Dies gilt hier aber nicht, da das Arbeitsverhältnis im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigungserklärung 4 noch keine sechs Monate bestanden hat, vgl. § 90 I Nr. 1 SGB IX. 5 2 Es schadet nicht, dass es sich dabei um einen Feiertag handelt, denn § 193 BGB gilt nur für das Fristende! Zitieren Sie bei § 188 BGB immer ganz genau! 4 Beachten Sie: Es kommt nur auf den Zeitpunkt des Zugangs der Kündigungserklärung an, nicht dagegen auf den geplanten Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Diese Unterscheidung ist v.a. bei der ordentlichen Kündigung zu beachten! 5 Ein weiteres examensrelevantes Problem stellt sich, wenn der Arbeitnehmer den Zugang der Kündigungserklärung treuwidrig bis zum Ablauf der Sechsmonatsfrist verzögert, um in den Genuß des Kündigungsschutzes nach § 1 KSchG und §§ 85, 91 SGB IX zu kommen. Vgl. Sie hierzu Fischinger/Bausch, JA 2006, 567 f. 3 2 Prof. Dr. Monika Schlachter IV. SS 2007 Vereinbarkeit der Kündigung mit § 626 BGB Bei der von P für U erklärten Kündigung handelt es sich um eine außerordentliche Kündigung, die auf den Verdacht einer unzulässigen umfangreichen privaten Internutzung beruhte. In sehr vielen Arbeiten wurde schon nicht erkannt, dass es sich um eine Verdachtskündigung handelte, obschon U ausdrücklich wegen des Verdachts kündigt. In den wenigen Arbeiten, die die Verdachtskündigung erkannt haben, erfolgte eine Prüfung der besonderen Voraussetzungen der Verdachtskündigung nur sehr oberflächlich. Da der Aufbau der Prüfung einer außerordentlichen Verdachtskündigung sehr schwierig ist und verschiedene Varianten denkbar sind, wurde an dieser Stelle so gut wie jeder Aufbau akzeptiert. 1. Grundsätzliche Zulässigkeit einer Verdachtskündigung Das BAG erkennt die grundsätzliche Möglichkeit einer Verdachtskündigung – die von einer auf bewiesene Tatsachen gestützten Kündigung zu unterscheiden ist – in ständiger Rechtsprechung an. 6 Eine Verdachtskündigung verstößt insb. nicht gegen die in Art. 6 II EMRK enthaltene Unschuldsvermutung. Denn anderenfalls wäre es für den Arbeitgeber regelmäßig unmöglich, vor einer strafrechtlichen Verurteilung den Arbeitnehmer zu kündigen, was dem Arbeitnehmer i.E. eine bezahlte Freistellung bis zum Abschluss des Strafverfahrens verschaffen würde. 7 2. Einhaltung der Kündigungserklärungsfrist des § 626 II 1 BGB 8 Die Kündigungserklärungsfrist des § 626 II 1 BGB wurde vorliegend unproblematisch gewahrt. Dabei kommt es nicht einmal darauf an, ob für den Fristbeginn bereits auf den Zeitpunkt abzustellen ist, in dem der erste Verdacht entsteht, oder ob auf den Zeitpunkt abzustellen ist, zu dem die Ermittlungen abgeschlossen wurde. Denn selbst wenn man auf den 6 Vgl. BAG NZA 1996, 81, 83. Bei erfolgter Verdachtskündigung kann der Arbeitgeber aber verpflichtet sein, den Arbeitnehmer wiedereinzustellen, wenn sich später die Unschuld des Arbeitnehmers herausstellt (vgl. Palandt/Weidenkaff, BGB, 66. Aufl., § 626, Rn. 49). 8 Prüfen Sie § 626 II BGB grds. vor § 626 I BGB – kein Praktiker (Korrektor auch im 1. Examen!) würde das Vorliegen eines Kündigungsgrundes prüfen, wenn der Arbeitgeber die Frist des § 626 II BGB versäumte. 7 3 Prof. Dr. Monika Schlachter SS 2007 14.12.2007 abstellte, wäre die Zweiwochenfrist nicht abgelaufen (Fristbeginn nach § 187 I BGB am 15.12.2007, 0.00 Uhr, Fristende nach § 187 II BGB mit Ablauf des 28.12.2007). 3. Prüfung des § 626 I BGB § 626 I BGB wird grundsätzlich – wie die verhaltensbedingte Kündigung bei § 1 I KSchG – zweistufig geprüft. Zu fragen ist zunächst, ob ein an sich zur Kündigung berechtigender Grund vorliegt. Ist dies zu bejahen, ist auf zweiter Stufe eine umfassende Interessenabwägung vorzunehmen. Bei einer Verdachtskündigung besteht aber insoweit eine Besonderheit, als hier zunächst die besonderen Voraussetzungen dieser „Kündigungsart“ zu prüfen und nur inzident die o.g. Anforderungen zu untersuchen sind. a) Anforderungen an eine Verdachtskündigung Eine Verdachtskündigung ist nur möglich, wenn - sich aus der Kündigung klar ergibt, dass der Arbeitgeber eine Verdachtskündigung aussprechen möchte, - Tatsachen vorliegen, die die weit überwiegende Wahrscheinlichkeit begründen, dass der Arbeitnehmer die ihm vorgeworfene Tat begangen hat (begründeter Verdacht), - der Arbeitgeber alle möglichen und zumutbaren Maßnahmen zur Aufklärung des Sachverhalts ergriffen hat, insb. den Arbeitnehmer vor Ausspruch der Kündigung angehört hat - und die Tat – unterstellt, der Arbeitnehmer hat sie tatsächlich begangen – einen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung i.S.v. § 626 I BGB darstellt (dazu sogleich unter b)) Im vorliegenden Falle hat P als Vertreter des U die Kündigung ausdrücklich auf den Verdacht umfangreicher und ausdrücklich untersagter privater Internetnutzung gestützt. Dieser Verdacht ist auch ausreichend begründet. Die extensive Internetnutzung geschah praktisch ausschließlich zu Zeiten, in denen A nach dem Arbeitsplan den PC nutzte. Der Verdacht stützt sich auch nicht auf einen einmaligen Vorfall, bei dem nicht auszuschließen wäre, dass ein anderer Arbeitnehmer kurzzeitigen den PC des A nutzte, sondern auf eine langandauernde Beobachtung. Laut Sachverhalt hat U schließlich alle möglichen Aufklärungsmaßnahmen unternommen und insbesondere dem A die Gelegenheit gegeben, sich zu dem Verdacht zu äußern. 4 Prof. Dr. Monika Schlachter SS 2007 Die besonderen Voraussetzungen der Verdachtskündigung liegen mithin vor. Zu prüfen bleibt, ob die Tat (extensive private Internetnutzung) – wäre sie tatsächlich bewiesen – einen Kündigungsgrund i.S.v. § 626 I BGB darstellte. b) Inzidentprüfung einer außerordentlichen Kündigung aa) Eine derartige private Internutzung müsste zunächst einen wichtigen Grund an sich darstellen. Nach der neuen Rechtsprechung des BAG kommt es insoweit nicht mehr darauf an, dass der Arbeitgeber eine private Nutzung des Internets ausdrücklich untersagt hat. Die private Nutzung des vom Arbeitgeber zur Verfügung gestellte Internetanschlusses als solche stellt bereits einen wichtigen Grund an sich dar, da dem Arbeitgeber zusätzliche Kosten entstehen, wenn der Arbeitnehmer Betriebsmittel unberechtigter Weise in Anspruch nimmt. Im übrigen wird der Arbeitgeber auch insoweit geschädigt, als er für tatsächlich nicht erbrachte Arbeitsleistungen Lohn zahlt. bb) Auf zweiter Stufe sind die Interessen von Arbeitnehmer und Arbeitgeber im Einzelfall gegeneinander abzuwägen. (1) Zu berücksichtigen ist dabei zunächst, das bei Störungen im Vertrauensbereich grundsätzlich bei steuerbaren Verhalten des Arbeitnehmers zunächst erfolglos eine Abmahnung ausgesprochen werden muss. Das Abmahnungserfordernis ist letztlich Ausfluss des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes und trägt dem Prognoseprinzip Rechnung, da eine negative Prognose in der Regel nur gestellt werden kann, wenn der Arbeitnehmer auf eine vorherige deutliche Warnung nicht reagiert hat. U hat vorliegend keine Abmahnung ausgesprochen. Daraus folgt jedoch nicht die Unwirksamkeit der Abmahnungserfordernis Kündigung, Ausnahmen denn es möglich ist sind. anerkannt, Dies ist dass von insbesondere anzunehmen, wenn es sich um eine schwere Pflichtverletzung handelt, deren Rechtswidrigkeit dem Arbeitnehmer ohne weiteres erkennbar war und bei der eine Hinnahme durch den Arbeitgeber offensichtlich ausgeschlossen ist. 9 So lag der Fall hier. U hat ausdrücklich im Arbeitsvertrag eine private Nutzung des Internets untersagt. Da er über keine „flatrate“ verfügt, entstehen ihm durch jede unberechtigte Privatnutzung Kosten. Hinzukommt, dass A das Internet in ganz erheblichem zeitlichen Umfang privat genutzt hat. Er konnte nicht darauf vertrauen, dass U dies tolerieren würde. 9 BAG NZA 1990, 433. 5 Prof. Dr. Monika Schlachter SS 2007 Sehr viele Bearbeiter nahmen vorliegend die Unwirksamkeit der Kündigung wegen des Fehlens einer Abmahnung an. Das war bei vorliegendem Sachverhalt nur schwer vertretbar. Konsequent wurden dann vielfach eine Umdeutung und eine ordentliche Kündigung geprüft, wobei hier zu viel Zeit vertan wurde, indem letztlich genau das gleiche nochmals geprüft wurde. Unbedingt zu beachten war in diesem Fall, dass das KSchG gar nicht anwendbar war! (2) Auch im übrigen ist die Kündigung unter Abwägung der widerstreitenden Interessen nicht unverhältnismäßig. Zu Gunsten des A spricht lediglich, dass er nur „unverfängliche“ Seiten aufgesucht hat. 10 Zu Lasten des A spricht dagegen, dass es sich um ein relativ kurzes Arbeitsverhältnis handelt, das gerade nicht über einen längeren Zeitraum beanstandungsfrei durchgeführt wurde. Auch war die private Internetnutzung (2-3 Stunden täglich) ganz erheblich und betrug circa 30 % der gesamten Arbeitszeit des A. U hat daher eine großen Teil des Lohnes „umsonst“ gezahlt. d) Zwischenergebnis Ein wichtiger Grund i.S.v. § 626 I BGB liegt daher vor. Die Kündigung verstößt mithin nicht gegen § 626 BGB. V. Keine Unwirksamkeit nach § 242 BGB Die Kündigung dürfte schließlich nicht nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) unwirksam sein. In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass auch eine nach allgemeinen arbeitsrechtlichen Regeln wirksame Kündigung ganz ausnahmsweise wegen Verstoßes gegen Treu und Glauben unwirksam sein kann. 11 Das kann der Fall sein, wenn die Kündigung zur Unzeit ausgesprochen wird. Das BAG ist in solchen Fällen aber zu Recht äußerst streng.12 Richtigerweise begründet trotz der damit verbundenen Belastung für den gekündigten Arbeitnehmer allein die Tatsache, dass die Kündigung an Weihnachten ausgesprochen wurde, keinen Verstoß gegen Treu und Glauben. Das muss hier umso mehr gelten, als U hier ein schützenswertes Interesse daran hatte, den A zeitnah zu kündigen. Denn anderenfalls wäre die Kündigungserklärungsfrist des § 626 II BGB verstrichen. Hinzu kommt, dass A mit Ablauf 10 Besonders streng ist das BAG bei Aufrufen und downloaden von pornographischen Seiten (vgl. BAG NZA 2006, 98, 99; NZA 2006, 977, 978; NZA 2006, 980, 983 f. 11 Vgl. Palandt/Heinrichs, BGB, 66. Aufl. 2007, § 242, Rn. 61 ff. m.w.N. 12 Das BAG sah in einem Fall einen Verstoß gegen § 242 BGB, in dem die Kündigung anlässlich der Beerdigung des Lebenspartners ausgesprochen wurde. 6 Prof. Dr. Monika Schlachter SS 2007 des 31.12.2007 in den Genuss des Sonderkündigungsschutzes nach § 91 SGB IX gekommen wäre, so dass die Kündigung zustimmungsbedürftig geworden wäre. Die Kündigung zur Unzeit wurde nur von wenigen Bearbeitern erkannt, wobei es sich hier um ein Standardproblem handelt. Viele Bearbeiter, die das Problem erkannten, haben es nicht juristisch umsetzen können, d.h. nicht erklärt, wo hier das juristische Problem (§ 242 BGB) liegt. VI. Ergebnis Die Kündigung ist wirksam. Die Klage ist demzufolge unbegründet. Teil 2 Grundfall: C hat weiterhin einen Anspruch aus § 611 BGB i.V.m. dem Arbeitsvertrag auf die übertarifliche Lohnzulage i.H.v. 450 €, wenn im Arbeitsvertrag vom 7.3.2003 eine entsprechende rechtliche Verpflichtung des U begründet wurde und der von U erklärte Widerruf unwirksam ist. 13 I. Auslegung des Arbeitsvertrages – Abgrenzung zum Freiwilligkeitsvorbehalt Fraglich ist zunächst, ob es sich bei der übertariflichen Lohnzusage um eine rein freiwillige Arbeitgeberleistung ohne Rechtspflicht oder um einen Vergütungsbestandteil handelt, zu dessen Zahlung der U rechtlich verpflichtet ist. Denn bei einer rein freiwilligen Leistung ohne Rechtspflicht könnte U die Zahlung u.U. jederzeit einstellen (Freiwilligkeitsvorbehalt). 14 Aus Sicht eines objektiven Empfängers (§§ 133, 157 BGB) kann die Vertragsabrede über die Lohnhöhe nur so verstanden werden, dass U sich rechtsverbindlich zur Zahlung auch der 450 € verpflichten wollte. Denn angesichts der eminenten Bedeutung der Lohnhöhe für den Arbeitnehmer hätte ein andersartiger Wille des U deutlich aus dem Vertragstext folgen 13 Eine einvernehmliche Änderung des Arbeitsvertrages scheidet aufgrund der fehlenden Bereitschaft des C aus. Ein derartiger Freiwilligkeitsvorbehalt wurde vor der Schuldrechtsreform angesichts der Bereichsausnahme in § 23 I AGBG (s.u.) für unproblematisch gehalten. Ob ein Freiwilligkeitsvorbehalt auch in nach dem 1.1.2002 geschlossenen Arbeitsverträgen noch möglich ist, hat das BAG – im Gegensatz zur Zulässigkeit von Widerrufsvorbehalten – noch nicht entschieden. 14 7 Prof. Dr. Monika Schlachter SS 2007 müssen. Dies ist nicht der Fall. Überdies zeigt der Widerrufsvorbehalt, dass U selbst von einer grundsätzlichen Bindung ausging. II. Unwirksamkeit des Widerrufs Der Anspruch des C könnte daher nur für die Zukunft entfallen, wenn der von U erklärte Widerruf wirksam ist. Nach dem Grundsatz „pacta sunt servanda“ ist eine einseitige Änderung des Arbeitsvertrages durch eine Partei grundsätzlich nicht möglich. Etwas anderes gilt nur, wenn im Arbeitsvertrag ein wirksamer Widerrufsvorbehalt vereinbart wurde und die Ausübung des Widerrufs im konkreten Einzelfall wirksam ist. 1. Wirksamkeit des § 6 Arbeitsvertrag § 6 Arbeitsvertrag enthält einen sog. Änderungs- oder Widerrufsvorbehalt. Er soll es dem U erlauben, jederzeit unbeschränkt diejenigen Lohnbestandteile zu widerrufen, die über den Tariflohn hinausgehen. a) Kein Verstoß gegen § 4 I, III TVG Die Regelung verstößt vorliegend nicht gegen § 4 I TVG. Zwar gilt der zwischen U und G geschlossene Tarifvertrag aufgrund der Mitgliedschaft des C in der G (§ 3 I TVG) zwingend und mit normativer Wirkung, § 4 I TVG, zwischen C und U, so dass im Arbeitsvertrag nicht zu Lasten des Arbeitnehmers vom Tarifvertrag abgewichen werden kann. Soweit übertarifliche Lohnbestandteile im Arbeitsvertrag geregelt werden, liegt aber gerade eine Abweichung zugunsten des Arbeitnehmers vor. Auch die Widerrufsmöglichkeit, die als solche für den Arbeitnehmer zweifellos nachteilig ist, stellt ihn aber nicht ungünstiger als er nach dem Tarifvertrag stünde, wenn – wie hier – der vorbehaltene Widerruf nur die übertariflichen Lohnbestandteile erfasst. Hier waren eigentlich keine Ausführungen veranlasst. Die obigen Ausführungen dienen nur der Vollständigkeit, wurden in der Klausur jedoch nicht erwartet. Keinesfalls lag hier der Schwerpunkt der Frage 2. 8 Prof. Dr. Monika Schlachter b) SS 2007 Verstoß gegen § 308 Nr. 4 BGB Der Widerrufsvorbehalt könnte aber gegen § 308 Nr. 4 BGB verstoßen. Voraussetzung ist, dass es sich um eine AGB handelt und der Anwendungsbereich der Inhaltskontrolle eröffnet ist. (1) Seit der Schuldrechtsmodernisierung unterliegen auch Arbeitsverträge der AGBKontrolle, zu beachten ist allein § 310 IV BGB. 15 Das „neue“ Recht ist auch unproblematisch anwendbar, da der Arbeitsvertrag mit C nach dem 1.1.2002 geschlossen wurde. (2) U verwendet den Arbeitsvertrag standardgemäß, vorformulierte Vertragsbedingungen i.S.v. § 305 I BGB liegen daher vor. 16 (3) Die Klauselkontrolle ist auch nicht nach § 307 III BGB ausgeschlossen, denn bei der Widerrufsregelung handelt es sich weder um eine bloße Wiederholung des Gesetzestextes noch um eine „Preisregelung“17 . (4) Ein Klauselverbot nach § 309 BGB ist nicht einschlägig. 18 (5) Nach § 308 Nr. 4 BGB ist eine formularmäßige Abrede unzulässig, die dem Verwender das Recht geben soll, die von ihm versprochene Leistung zu ändern, wenn nicht die Vereinbarung der Änderung unter Berücksichtigung der Interessen des Verwenders für den anderen Vertragsteils zumutbar ist. Bei der Klauselkontrolle nach § 308 BGB ist im konkreten Fall zweierlei zu beachten: Nach § 308 Nr. 4 BGB ist die Vereinbarung eines Widerrufsvorbehalts nicht schlechthin unwirksam, da es sich bei den in § 308 BGB normierten Klauselvorbehalten anders als bei denen des § 309 BGB um solche mit Wertungsmöglichkeit handelt. Hinzu kommt, dass bei der Klauselkontrolle von Arbeitsverträgen nach § 310 IV 2 BGB die „im Arbeitsrecht geltenden Besonderheiten“ zu berücksichtigen sind. Nach zutreffender Auffassung des BAG 19 folgt daraus, dass ein Widerrufsvorbehalt nicht stets unzulässig ist. Ein solches Widerrufsrecht sei zumutbar, wenn der Widerruf nicht grundlos erfolgen soll, sondern unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und einer gebotenen Interessenabwägung wegen der unsicheren Entwicklung der Verhältnisse als 15 Vor dem 1.1.2002 galt dagegen die Bereichsausnahme des § 23 I AGBG. Im Übrigen ist der Arbeitnehmer als solcher nach der Rechtsprechung des BAG Verbraucher i.S.v. § 13 BGB (BAG NJW 2005, 3305). Konsequenz im Hinblick auf die AGB-Kontrolle ist, dass auch dann, wenn der Arbeitgeber den konkreten Vertragstext nur einmalig verwenden will, die §§ 307 ff. BGB nach § 310 III Nr. 2 BGB anwendbar sein können. 17 Eine Kontrolle des Verhältnisses von Leistung und Gegenleistung (d.h. des vom Arbeitgeber gezahlten „Preises“ der vom Arbeitnehmer erbrachten Arbeitsleistung) nach den §§ 307 ff. BGB verbietet sich in einer marktwirtschaftlichen Wirtschaftsordnung. 18 Beachten Sie bei der Klauselkontrolle stets die korrekte Prüfungsreihenfolge: § 309 - § 308 - § 307 BGB! 19 Vgl. JA 2005, 488 ff. m. Anm. Fischinger. 16 9 Prof. Dr. Monika Schlachter SS 2007 Instrument der Anpassung notwendig sei. Der AG habe ein anerkennenswertes Interesse daran, bestimmte Leistungen flexibel auszugestalten. Andererseits gehe es aber auch nicht an, das Wirtschaftsrisiko auf den Arbeitnehmer zu verlagern. Konkret stellt das BAG deshalb materielle und formelle Anforderungen für die Wirksamkeit eines Widerrufsvorbehalts auf: - Materiell kann ein Widerrufsvorbehalt nur wirksam sein, wenn der widerrufliche Anteil am Gesamtverdienst max. 25 bis 30 % beträgt und der Tariflohn nicht unterschritten wird. - Formell muss die Klausel wegen § 307 I 2 BGB klar und verständlich sein. Erforderlich ist insbesondere, dass sich aus der Regelung selbst ergeben muss, dass der Widerruf nicht ohne Grund erfolgen darf. Voraussetzungen und Umfang der vorbehaltenen Änderungen müssen möglichst konkretisiert werden und es muss erkennbar sein, aus welchen Gründen ein Widerruf (wirtschaftliche Gründe, Leistung oder Verhalten des AN) in Betracht kommt. Soweit möglich, ist auch der Grad der Störung (zB wirtschaftliche Notlage des Unternehmens, nicht ausreichender schwerwiegende Gewinn, Rückgang Pflichtverletzung, der wirtschaftlichen unterdurchschnittliche Entwicklung, Arbeitsleistung) anzugeben. (6) Den vom BAG aufgestellten materiellen Anforderungen wird der Widerrufsvorbehalt hier letztlich gerecht. Weder wird der Tariflohn unterschritten, noch übersteigt der widerrufliche Teil mehr als 25 %. Jedoch genügt der Widerrufsvorbehalt nicht den formellen Anforderungen. Es fehlt jegliche Angabe darüber, aus welchem Grund ein Widerruf in Betracht kommen soll. Auch der Grad der Störung ist nicht angegeben. (7) Der Widerrufsvorbehalt ist daher nicht wirksam. U konnte seinen Widerruf daher nicht auf die Klausel stützen. Der erklärte Widerruf ist daher unwirksam. Auf eine Ausübungskontrolle kommt es folglich gar nicht mehr an. Derart detaillierte Kenntnisse – wie die 25%-Grenze – bei der Prüfung des § 308 Nr. 4 BGB wurden nicht erwartet. Erwartet wurde aber eine konsistente Prüfung des AGB-Rechts und ein Eingehen auf § 308 Nr. 4 BGB. 10 Prof. Dr. Monika Schlachter 2. SS 2007 Ergebnis Da der erklärte Widerruf unwirksam ist, steht C nach wie vor ein Anspruch auf die 450 € zu. 20 Teil 2 – Zusatzfrage: I. Wirksamkeit des Widerrufsvorbehalts Im Grundsatz gilt hier zunächst das zu Frage 1 Gesagte entsprechend. Insbesondere ist auch auf den Arbeitsvertrag der C seit dem 1.1.2003 das „neue“ Schuldrecht anwendbar, obwohl der Vertrag vor dem 1.1.2002 vereinbart wurde, vgl. Art 229 § 5 EGBGB. 21 Unter Zugrundelegung des oben Ausgeführten ist die Klausel deshalb unwirksam. II. Ergänzende Vertragsauslegung Problematisch ist jedoch, dass zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses am 20.6.2000 das Klauselverbot des § 308 Nr. 4 BGB (bzw. seine Vorgängernorm § 8 Nr. 3 AGBG) im Bereich des Arbeitsrechts noch gar nicht galt (§ 23 I AGBG) und folglich ein entsprechendes Verbot für den Arbeitgeber gar nicht bestand. Zu Recht hat das BAG in der zugrunde liegenden Entscheidung deshalb betont, dass für „Altverträge“ die unreflektierte Anwendung der §§ 305 ff BGB auf derartige Verträge einen Fall der echten Rückwirkung darstelle: „Eine Bindung des AG an die vereinbarte Leistung ohne Widerrufsmöglichkeit würde unverhältnismäßig in die Privatautonomie eingreifen. Mit einer solchen Rechtsfolge konnte, musste und durfte niemand rechnen. Sie würde keine angemessene, den typischen Interessen der Vertragspartner Rechnung tragende Lösung bieten“ Das BAG lässt deshalb die nach neuem Recht unwirksame Klausel nicht nicht ersatzlos gem. § 306 II BGB entfallen, sondern betont die Möglichkeit einer ergänzenden 20 Im Grundsatz zu überlegen wäre noch, ob U die gewünschte Vertragsänderung im Wege der Änderungskündigung erreichen könnte. Das dürfte nicht der Fall sein, da die Rechtsprechung sehr strenge – hier kaum gegebene – Anforderungen an die Änderungskündigung zur Lohnsenkung stellt (Nachweise). Jedenfalls schied eine wirksame Änderungskündigung hier schon angesichts der mangelnden Schriftform (§ 623 BGB) aus. 21 Mit den Übergangsvorschriften zum neuen Schuldrecht (insb. Art. 229 §§ 5, 6 EGBGB) müssen Sie sich – so Sie ein ordentliches Examen anstreben – im Rahmen Ihrer Examensvorbereitung einmal zumindest überblicksartig vertraut machen. 11 Prof. Dr. Monika Schlachter SS 2007 Vertragsauslegung. 22 Zu fragen sei, was die Parteien vereinbart hätten, wenn sie um die Unwirksamkeit der Widerrufsklausel gewusst hätten. Dabei ist davon auszugehen, dass die Parteien zumindest eine Widerrufsmöglichkeit bei (erheblichen) wirtschaftlichen Verlusten vorgesehen hätten. Diese wäre dem Arbeitnehmer unter Berücksichtigung von Treu und Glauben auch zumutbar gewesen, so dass er dieser redlicherweise nicht widersprochen hätte. Daher ist hier im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung ein Widerrufsvorbehalt für den Fall erheblicher wirtschaftlicher Verluste des Arbeitgebers anzunehmen. III. Ausübungskontrolle Die Ausübung des Widerrufsrechts muss darüber hinaus aber auch einer Inhaltskontrolle im konkreten Einzelfall standhalten. Diese richtet sich nicht nach den §§ 305 ff. BGB (es geht ja nicht um Vertragsbedingungen), sondern nach § 315 BGB. Erforderlich ist demnach zunächst, dass der im Widerrufsvorbehalt genannte Grund überhaupt vorliegt. Das war hier der Fall, da U sich in erheblichen wirtschaftlichen Schwierigkeiten befindet und sogar eine Zahlungsunfähigkeit in naher Zukunft nicht auszuschließen ist. Ein sachlicher Grund für den Widerruf liegt daher vor. Auch sonst sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass der von U erklärte Widerruf unbillig ist, insbesondere hat U den Widerruf gegenüber allen Arbeitnehmern erklärt, ein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz liegt nicht vor. Denn dass im Ergebnis den nach dem 1.1.2002 eingetretenen Arbeitnehmern der übertarifliche Lohnanspruch erhalten bleibt, die vor dem 1.1.2002 eingestellten Arbeitnehmer diesen aber verlieren, ist das konsequente Resultat der unterschiedlichen Rechtslage zum jeweiligen Einstellungstermin. IV. Ergebnis Der von U erklärte Widerruf ist wirksam, die C hat daher keinen Anspruch mehr auf die übertarifliche Lohnzulage. 22 Wichtig ist, dass dem das Verbot der geltungserhaltenden Reduktion (BGHZ 86, 284, 297; 114, 338, 342 f; Palandt-Heinrichs 66. Aufl, vor § 307, Rn 8) nicht entgegensteht. Denn Wesen der geltungserhaltenden Reduktion ist es, dass eine an sich unzulässige Regelung in AGB durch das Gericht auf das gerade noch zulässige Maß reduziert wird. Dies ist unzulässig, da ansonsten die Verwendung von gegen die §§ 307 ff BGB verstoßenden AGB für den Verwender risikolos wäre: nimmt der Vertragspartner die (unzulässigen) Bestimmungen hin, ist der Verwender im Vorteil; geht der Vertragspartner aber gegen die AGB gerichtlich vor und reduziert das Gericht sie entsprechend, hat der Verwender nichts verloren. Im vorliegenden Falle dagegen konnte der Arbeitgeber als Verwender der AGB zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses nichts von der (später) angeordneten gesetzlichen Unwirksamkeit wissen, ein entsprechender Vorwurf ist ihm deshalb nicht zu machen. 12 Prof. Dr. Monika Schlachter SS 2007 Hinweise zur Gewichtung: Teil 1 zählte ca. 65 % Teil 2 Grundfall zählte ca. 30 % Teil 2 Zusatzfrage zählte ca. 5 % Hinweise der Korrektoren: Teil 1: - Kein korrekter Prüfungsaufbau (Kündigungserklärung vor §§ 4, 7 KSchG, diese vor dem Rest). - Kein Erkennen der Probleme des § 174 BGB, § 91 SGB IX und § 242 BGB. Wurden diese Probleme erkannt, erfolgte oftmals eine viel zu ausführliche Prüfung, was zu Auslassungen später führte. - Keine saubere Herausarbeitung der Besonderheiten und Voraussetzungen der Verdachtskündigung. - Ungenaues Zitieren. - Mitunter mangelhafte Rechtschreibung und Grammatik. - Oberflächliche Prüfung der Anwendbarkeit der §§ 305 ff. BGB bzw. der Teil 2: Einbeziehungskontrolle. - Keine Prüfung von § 308 Nr. 4 BGB. 13