Vorlesung zum Anatomiekurs II Herz Prof. Dr. Thomas Deller Anatomisches Institut I Universität Frankfurt 1 ÜBERSICHT (1) "Der rote Faden" 1. Der Blutkreislauf - Einführung 2. Entwicklung des Herzens und des Kreislaufs a. b. 3. Systematische Anatomie des Herzens a. b. c. 4. b. c. Erregungsbildungs- und -leitungssystem Klinik: Rhythmusstörungen Herzmechanik Klinik: Herzklappenfehler "Auch das Herz braucht Blut": Herzkranzgefäße Klinik: Herzinfarkt Perikard a. 6. von außen: Gliederung, Größe, Lage, Oberflächen von innen: Innenräume, Klappen Mikroskopische Anatomie Funktionelle Anatomie des Herzens a. 5. Herzentwicklung Fehlbildungen Anatomie Klinik: Perikarditis Herzbeuteltamponade Klinische Untersuchung des Herzens 2 BLUTKREISLAUF(1) Allgemein: Ernährung eines Organismus: Blut als universelles Transportmittel Blut befindet sich in einem Kreislauf "Blutkreislauf" Be-/Entladung des Blutes mit Stoffen/Energie im Kapillarnetz Bewegung des Blutes durch das Herz, Gefäße Herz: Pumpe des Kreislaufsystems: Gerichteter Transport: Sammelbecken für Blut: großer Muskel, Ventrikel Ventile Hohlräume, Vorhöfe Fische: Einfacher Blutkreislauf bei Fischen: Einkammeriges Herz, zwei Kapillarsysteme Säugetiere: Steigerung der Effizienz durch 2 serielle Pumpen Lungenkreislauf (kleiner Kreislauf; Niederdrucksystem) Körperkreislauf (großer Kreislauf; Hochdrucksystem) 3 BLUTKREISLAUF(2) Prinzipieller Aufbau des Kreislaufs des Menschen Verfolge das Blut von der Körperperipherie entlang seines Kreislaufs Hohlräume, Gefäße, Klappen Wichtig: 1. Definition Arterie: Definition Vene: Vom Herz weg Zum Herz hin 2. Normalerweise nur ein Kapillarsystem Ausnahmen: "Wundernetze", d.h. zwei hintereinander Pfortader Hypophyse Niere 4 HERZENTWICKLUNG (1) Wie entsteht ein solch komplexes Organ? Entwicklungsgeschichte! Entwicklungsgeschichte des Herzens führt zu: 1. Verständnis der Strukturen des Herzens 2. Verständnis der Herzfehlbildungen Pädiatrie, Innere, Gyn., Herzchirurgie, Humangenetik Relevant?: Ja! Fehlbildungen des Herzens sind häufig! Problem: Sehr komplexes Gebiet der Anatomie! Grund: 1. Allg. Entwicklungsgeschichtliche Kenntnisse nötig 2. Räumlich und zeitlich sehr (!) komplex Gleichzeitigkeit von Veränderungen Veränderungen innen und außen am Herzen 3. Sehr viele Details, Bezeichnungen Frage: Was ist wichtig? Antwort: Grundverständnis zentraler Entwicklungsschritte Unterteilung in Hauptphasen: 1. Entstehung des primitiven Kreislaufs 2. Bildung des Herzschlauchs 3. Bildung der Herzschleife 4. Bildung des vierkammerigen Herzen 5 HERZENTWICKLUNG (2) 1. Schritt: Entwicklung des primitiven Kreislaufs (3. Woche) 1. Implantation 2. Bildung der dreiblättrigen Keimscheibe: Ektoderm Mesoderm Entoderm 3. Gefäßsystem entsteht, da die Versorgung durch Diffusion zu gering Gefäßinseln außerhalb d. Embryos (Chorion, Haftstiel, Dottersack) später: Dottersack und Placentagefäße Gefäßinseln innerhalb d. Embryos (Hufeisen um die Neuralplatte) 6 HERZENTWICKLUNG (3) 2. Schritt: Entwicklung des Herzschlauchs (4. Woche): a. Faltungsprozesse: 1. Kardiogene Zone: Hufeisenförmig vor Neuralplatte Entstehung zweier Endokardschläuche 2. Zwei Faltungsprozesse: a. Kraniokaudale Krümmung b. Laterale Abfaltung Aus einer "Fläche" (Keimblatt) wird ein gebogenes "Rohr" (Embryo) Dadurch: Verlagerung des Herzens nach ventral. Intraembryonales Zölom (Höhle) umgibt Herzschlauch Entstehung der Pericardhöhle 7 HERZENTWICKLUNG (4) 2. Schritt: Entwicklung des Herzschlauchs b. Verschmelzungsprozesse: 1. Verlagerung der Herzanlage nach ventral 2. Verschmelzung der beiden Anlagen Entstehung des Herzschlauches: 1. Sinus venosus (Einflußbahn) 2. Primitiver Vorhof (Atrium primitivum) 3. Primitiver Ventrikel (Ventriculus primitivum) 4. Bulbus cordis 5. Aortenbögen (Ausflußbahn) 8 HERZENTWICKLUNG (5) 3. Schritt: Entwicklung der Herzschleife (4. Woche) Prinzipien: Folge: 1. Wachstum des Herzschlauches 2. Pericardhöhle wächst langsamer 1. Krümmungsbewegungen, eine "Schleife" bildet sich. 2. Verlagerung des venösen Pols nach dorsal und kranial Es sind vorhanden: 1. Sinus venosus 2. Atrium primitivum 3. Ventriculus primitivus 4. Bulbus cordis 5. Conus arteriosus 6. Truncus arteriosus 7. Aortenbögen (Einflußbahn) (später: Vorhöfe) (später: li Ventrikel) (später: rechter Ventrikel) (oberer Abschnitt Bulbus) (Aorta, Tr. pulmonalis) (Ausflußbahn) 9 HERZENTWICKLUNG (6) 4. Schritt: Entstehung des vierkammerigen Herzen (5.-6. Woche) Prinzipien: 1. Einbeziehung von Gefäßwänden (Vorhof) 2. Bildung von Scheidewänden: a. Bildung und Wachstum von Gewebswülsten b. Unterschiedliches Wachstum von Abschnitten Welche Wände müssen gebildet werden? 1. Vorhofscheidewand 2. Ventrikelscheidewand 3. Vorhof/Ventrikel-Unterteilung 10 HERZENTWICKLUNG (7) Vorhöfe: Beachte zwei (!) Aspekte: Wand und Scheidewand. 1. Ausbildung der Wand: Einbeziehung des Sinus venosus Links: Rückbildung der großen Venen Rest des Sinus venosus: Sinus coronarius Lungenvenen werden bis zur 1. Verzweigung aufgenommen (dadurch münden 4 Venen Rechts: Haupteinstrombahn des Körpers (Nabelvene) Einbeziehung d. Sinus venosus in die Vorhofwand Folge: Anteile aus Venenwand (glatte Oberfläche) Anteile aus Herzwand (Herzohren; Trabekel) Grenze: Crista terminalis ein!!!) 11 HERZENTWICKLUNG (8) Vorhöfe: 2. Ausbildung der Scheidewand: Mehrere "Wände" nacheinander 1. Primitiver Vorhof mit Ostium primum 2. Bildung Septum primum (Dach Vorhof bis "Ventrikelseptum") 3. Blutstrom reisst Loch: Ostium secundum 4. Septum secundum (sichelförmig, überlagert Ostium) nicht vollständig geschlossen: Foramen ovale Beachte: Septum secundum wächst von rechts! Dadurch Blutstrom aus dem rechten in den linken Vorhof über Formen ovale und Ostium secundum möglich! 12 HERZENTWICKLUNG (9) Kammern: Prinzipien: 1. Bildung des muskulären Kammerseptums 2. Verengung der Verbindung zu den Vorhöfen (Atrioventrikularkanal) alles gleichzeitig! Entstehung Kammerseptum: 1. Zunächst: Ostium interventriculare 2. Größenwachstum der Ventrikel: a. Bildung eines muskulären Septums (kaudal) b. Bildung der Bulboventrikularfalte (kranial) 3. Bildung der Endokardkissen (4 Seiten!) Beachte: Klinik: Muskulärer Anteil: Größenwachstum Membranöser Anteil: Endokardkissen Vorhofseptum (S. primum) Septum des Conus cordis Fehlbildungen im Endokardkissenbereich sehr komplex! 13 HERZENTWICKLUNG (10) Ausflußbahn: Aorta, Tr. pulmonalis 1. Blutstrom aus rechtem und linkem Ventrikel überkreuzen sich spiralig Entstehung von spiraligen Truncus- und Conuswülsten 2. Entsprechend: Spiraliges Septum im Truncus, Conus Septum aorticopulmonale beteiligt an der Bildung des Ventrikelseptums! 14 HERZENTWICKLUNG (11) Entstehung der Herzklappen: 1. AV-Klappen: Entstehung durch Umbau von Herzmuskulatur 1. Mesenchymproliferation um AV-Kanal herum 2. Unterhöhlung des Mesenchyms 3. Verbleibende Muskelstränge: Bindegewebiger Umbau Chordae tendineae 4. Klappen: von Endokard überzogenes Bindegewebe 2. Semilunarklappen: Entstehung durch aktives Wachstum 1. Höckerchen auf Truncuswülsten und in der Wand 2. Wachstum, obere Oberfläche wird ausgehölt. 15 HERZENTWICKLUNG (12) Nach Abschluß der Organentwicklung: Versorgung des Kindes über den "fetalen Kreislauf" Prinzip: Geburt: Umstellung des Kreislaufs: 1. Verschluß des Ductus arteriosus (Muskelkontraktion) 2. Dadurch: Druckerhöhung im linken Vorhof funktioneller Verschluß des Foramen ovale 3. Kontraktion der Nabelgefäße zuerst der Arterien schließlich der Vene ("Autotransfusion") Beachte: Reste des fetalen Kreislaufs finden sich am Herzen 16 HERZFEHLBILDUNGEN (1) Herzfehlbildungen Fehlbildungen insgesamt: 2-3% aller Geburten (evtl. höher) Mit am häufigsten: Fehlbildungen des Herzens: fast 1% aller Geburten Ursächlich: Chromosomale Aberrationen (u. a. Trisomie 21, Turner-Syndrom) Infektionen (Röteln) u. v. a. Operabel: 80% (möglichst im Vorschulalter) Die häufigsten: Ventrikelseptumdefekt: Fallot-Tetralogie: Ductus botalli apertus: Vorhofseptumdefekt: Aortenisthmusstenose: 25% 15% 12% 10% 10% Hier: Vorhofseptumdefekt/Ventrikelseptumdefekt 17 HERZFEHLBILDUNGEN (2) Vorhofseptumdefekt: Unterscheidung nach Lokalisation: Ostium primum Defekt (meist basaler) Ostium secundum Defekt Offenes Foramen ovale Folge (Pathophysiologie): "Links-rechts-Shunt" dadurch: Rechtsherzbelastung Klinik: Symptomfrei über lange Jahre Rechtsherzinsuffizienz erst im mittleren Erwachsenenalter ohne Therapie: Durchschnittliche Lebenserwartung: 40 Operation: z. B. mittels Patch ("Flicken") im Regelfall im Vorschulalter; normale Lebenserwartung 18 HERZFEHLBILDUNGEN (3) Ventrikelseptumdefekt: Unterscheidung nach Lokalisation Beachte: oftmals kombiniert mit anderen Fehlbildungen 25% der kleineren Defekte im muskulären Septum verschließen sich spontan innerhalb erster 3 Jahre! Folge (Pathophysiologie): "Links-rechts-Shunt" dadurch: Rechts und Linksherzbelastung Klinik: Symptomfrei (kleine Defekte) bzw. Gedeihstörungen (große Defekte), Herzinsuffizienz, ohne Therapie: Durchschnittliche Lebenserwartung: 40 Operation: z. B. mittels Patch ("Flicken") im Regelfall im Vorschulalter; normale Lebenserwartung 19 SYSTEMATISCHE ANATOMIE DES HERZENS (1) I. Allgemein: Das Herz ist ein muskulöses Hohlorgan Fakten: 300g schwer (etwas größer als die eigene Faust) 70 Schläge/min, 70 ml/Schlag Wichtig: Lage im Körper Vergleich mit einem Kegel Basis cordis Apex cordis (Li. Ventrikel) Längsachse des Herzens: um 40 Grad im Raum geneigt II. Außenansicht: Flächen: Erkennbare Furchen: Facies sternocostalis Facies diaphragmatica Facies pulmonalis Sulcus interventricularis anterior/posterior Sulcus coronarius Herzohren: Auriculae cordis Sulcus terminalis Zur Orientierung: Gefäßstämme: "Venenkreuz": Senkrecht V. cava inf./sup. Horizontal Vv. pulmonales Tr. pulmonalis links ventral von Aorta (!!!) 20 SYSTEMATISCHE ANATOMIE DES HERZENS (2) III. Innenansichten Dem Blutfluß folgend.... 1. Rechter Vorhof Sammelbecken für das venöse Blut des Körperkreislaufs (V. cavae) und der Koronarvenen (Sinus coronarius) Veneneinmündung: Klappenrudimente Valvula venae cavae inferioris Valvula sinus coronarii Vorhofwand: Im Bereich der Hohlvenen glatt Im Bereich der Herzohren muskulös "kammförmige Muskelbälkchen" (Mm. pectinati) Trennung: Crista terminalis Vorhofscheidewand: Septum interarteriale Fossa ovalis 21 SYSTEMATISCHE ANATOMIE DES HERZENS (3) 2. Rechter Ventrikel Zugang: Atrioventrikularklappe Segelklappe "Valva cuspidalis" 3 Segel, daher Tricuspidalklappe Chordae tendinae verbinden die Segel mit den Papillarmuskeln Innenraum: Trabeculae carnae (Muskelbälkchen) Papillarmuskel: M. papillaris anterior mit Trabecula septomarginalis M. papillaris posterior M. papillaris septalis Herzscheidewand: pars membranacea pars muscularis Ausströmungsgebiet: Conus arteriosus Valva trunci pulmonalis (Pulmonalklappe) Semilunarklappe ("Taschenklappen") Truncus pulmonalis Beachte: 1. Herzmuskelwand rechts relativ dünn (Niederdruckbereich) 2. Abriß des M. papillaris anterior bei Herzinfarkt möglich! 22 SYSTEMATISCHE ANATOMIE DES HERZENS (4) 3. Linker Vorhof Sammelbecken für das Blut des Pulmonalkreislaufs Veneneinmündungen (4) der Pulmonalvenen Vorhofwand: Venenwand (glattwandig) nur kleines Auricula sinistra mit Mm. pectinati 4. Linker Ventrikel Zugang: Atrioventrikularklappe Segelklappe "Valva cuspidalis" 2 Segel, daher Bicuspidalklappe (Mitralklappe) Chordae tendinae Innenraum: Trabeculae carnae (Muskelbälkchen) Papillarmuskel: M. papillaris anterior M. papillaris posterior Ausgang: Valva aortae Semilunarklappe ("Taschenklappen") Aorta, Sinus aortae (Ausbuchtung, dort Abgang Aa. coron.) 23 SYSTEMATISCHE ANATOMIE DES HERZENS (5) IV. Mikroskopischer Aufbau des Herzens Aufbau: Bindegewebiges "Herzskelett" Herzwand aus Endokard Myokard Epikard Endokard: Endothelzellen subendokardiales Bindegewebe darin: Erregungsleitungssystem Versorgung: per Diffusion direkt aus dem Blut Herzklappen: Endokard mit viel BG, keine Gefäße Myokard: Herzmuskelgewebe (DDiagnose Muskelgewebe) Quergestreifte Muskelzellen 1. verzweigt, unregelmäßig lang 2. End-zu-End-Verbindungen; dadurch "Netzwerk" Disci intercalares (Aufbau s.u.) 3. Zentraler Kern, 1-3/Zelle 4. Aufhellungen um den Kern (wenig Sarkoplasma) Beachte: Extrem gute Blutversorgung: je 1 Kapillare/Muskelzelle rechts besser als links (häufiger Infarkte) 24 SYSTEMATISCHE ANATOMIE DES HERZENS (6) Differentialdiagnose (Erinnerung): glatte Muskulatur Skelettmuskulatur Herzmuskulatur Kerne Querstreifung Form Mitte, 1 Rand, Gruppe Mitte, 1-2 nein ja ja spindelig Faser verzweigt Besonderheit Disci intercalares 25 SYSTEMATISCHE ANATOMIE DES HERZENS (7) Besonderheiten des Myokards: 1. Disci intercalares Verzahnung der Herzmuskelzellen 1. Desmosomen (Macula adherens) Zellhafte, intermediäre Filamente 2. Fasciae adherens Flächige Befestigung der Aktinfilamente Sarkomere liegen gegenüber 3. Gap junctions (Nexus) Direkte elektrische Kopplung zwischen Herzmuskelzellen Elektrisches Synzytium; bis zu 10% der Oberfläche der Disci 26 SYSTEMATISCHE ANATOMIE DES HERZENS (8) 2. Muskelzellen für die Erregungsleitung 1. Spezialisierte Herzmuskelzellen 2. Wenig Myofibrillen, viel Sarkoplasma 3. Kerne zentral 4. Glykogenreich 3. Spezialisierte endokrine Muskelzellen in den Vorhöfen: Endokrine Funktion des Herzens (Peptide): Cardionatrin (Wasser, Natrium, Niere) Cardiodilatin (Erweiterung glatter Gefäßmuskulatur) Bei Erweiterung der Vorhöfe (Volumenzufuhr) ausgeschüttet 27 SYSTEMATISCHE ANATOMIE DES HERZENS (9) Epikard: Einschichtiges Plattenepithel eines serösen Raumes: Mesothel Subepikardiales Fettgewebe, darin die Herzkranzgefäße Herzskelett und Herzmuskel: Herzmuskel: Durch Faserung: 3 Schichten identifizierbar Schraubenförmig um das Herz Herzspitze: "Vortex cordis", Fasern in die Tiefe rechts: dünner, nur 2 Schichten Herzskelett: "Ursprung" des Herzmuskels (Vorhof und Kammer) Bindegewebsplatte zwischen Vorhof und Kammer, z.T. Faserknorpel Beachte: 1. Umgibt alle Klappen, sog. "Ventilebene" 2. Trennt Vorhof von Kammer (nur ELS tritt durch) 28 FUNKTIONELLE ANATOMIE DES HERZENS (1) I. Erregungsbildungs- und -leitungssystem Anpassung der Herzleistung an die Körpertätigkeit 1. Erregungsbildungs- und leitungssystem 2. Herznerven Beachte: Leicht zu lernen, aber oftmals wird die "Anatomie" vergessen. System besteht aus: 1. Zentrum für die Erregungsbildung 2. Spezialisiertem Muskelgewebe für die Weiterleitung Aufbau: 1. Sinusknoten 2. Vorhofmyokard 3. AV-Knoten 4. His-Bündel 5. Tawara Schenkel 6. Purkinje Fasern (Nodus sinuatrialis) (Atrioventrikularknoten) (Fasciculus atrioventricularis) (Crus dextrum, Crus sinistrum) (Rr. subendocardiales) 29 FUNKTIONELLE ANATOMIE DES HERZENS (2) Klinisch wichtig: Lage der Strukturen und ihre Gefäßversorgung: 1. Sinusknoten: Lage: Gefäße: 2. AV-Knoten: Lage: Gefäße: 3. His-Bündel: Lage: Gefäße: 4. Crus dextrum: Lage: Gefäße: 5. Crus sinistrum: Lage: Gefäße: Re Vorhof, Crista terminalis, bogenförmig Winkel re Herzohr/V. cava superior Rechte Herzkranzarterie (R. nodi sinuatrialis) Re Vorhof, Einmündung Sinus coronarius Im Herzskelett (Trig. fibr. dextrum) Rechte Herzkranzarterie (R. nodi atrioventricularis) Durchtritt durch Herzskelett (Trig. fibr. dextrum) "reitet auf Ventrikelseptum" Rechte Herzkranzarterie (R. interventr. septalis) Zum septalen Papillarmuskel, dann über "Moderatorband" zum M. papillaris anterior Re u. li Herzkranzarterie Durchbohrt das Septum 2 Bündel zu den ant./post. Papillarmuskeln Re u. li Herzkranzarterie Klinik: Versorgung von Sinus, AV-Knoten und His Bündel: A. coronaria dextra Daher: Bei Durchblutungsstörungen dieser Arterie: Rhythmusstörungen! 30 FUNKTIONELLE ANATOMIE DES HERZENS (3) Überleitung von Vorhof auf Kammern: Geordneter Prozess! Beachte: Damit Herzaktion sinnvoll: Vorhof- vor Kammerkontraktion Vorhof benötigt Zeit für effektive Kontraktion! Aber: Vorhof ohne spezialisiertes Leitungssystem Wie kann dies gesteuert werden? Lösung: 1. Überleitung nur an einer Stelle Herzskelett isoliert Vorhöfe von Kammern Überleitungsstelle: AV-Knoten und His-Bündel 2. Überleitung dort verzögert: 0,1 s dadurch: Ventrikelkontraktion nach Vorhofkontr. Normaler Ablauf: Klinik: SK, Vorhofmyokard, AV-Knoten, etc. Präexzitationssyndrome (z.B. Wolff-Parkinson-White) Akzessorische Muskelverbindungen zwischen Vorhof und Kammer Dadurch: verfrühte (keine Verzögerung wie im AV-Knoten) und doppelte Erregung der Kammern Ablauf: SK, Vorhofmyokard, Kammermyokard Symptom: "Herzrasen" Therapie: Medikamentös, ggf. chirurgisch! 31 FUNKTIONELLE ANATOMIE DES HERZENS (4) Anpassung der rhythmischen Herzaktivität an die Körperaktivität: Experiment: Herz ohne Innervation: Rhythmische Aktivität Grund: Autonome Schrittmacher im Herzen: Hierarchie der Schrittmacher (Eigenfrequenz): Sinusknoten: AV-Knoten: Kammer: 70/min 50/min 20/min Steuerung der Aktivität über vegetative Nerven Anatomische Bezeichnungen komplex Merke: Sympathikus: Nn. cardiaci Postganglionär (aus symp. Halsganglien) Herzschlagbeschleunigung Parasympathikus: Rr. cardiaci Präganglionär aus N. vagus Herzschlagverlangsamung Plexus cardiacus: Gebildet von beiden Systemen Mit Gefäßen zum Myokard, ELS 32 FUNKTIONELLE ANATOMIE DES HERZENS (5) II. Mechanik der Herzaktion: Erforderlich: 1. Kontraktion und Erschlaffung der Muskulatur 2. Klappenfunktion Arbeitsmuskulatur: Rhythmik: Ablauf: 1. Kontraktion: 2. Erschlaffung: Systole Diastole Vorhöfe zuerst, dann Kammern Rechtes und Linkes Herz gleichzeitig Vorgegeben durch Erregungsleitungssystem: Kammer: Papillarmuskeln zuerst, dann v. Apex zur Basis Blutauswurf durch: 1. Kontraktion Myokard 2. Tiefertreten der Ventilebene Beachte: "Ventilebenenmechanismus" entscheidend für Verständnis Ventilebene: 1. Blutauswuf ("Druckfunktion") 2. Erweiterung der Vorhöfe ("Saugfunktion") Das Herz wirkt wie eine Saug-Druckpumpe 33 FUNKTIONELLE ANATOMIE DES HERZENS (6) Mechanik der Herzaktion: Die Herzaktion wird erst sinnvoll durch die Herzklappen: Unterschiedliche Mechanismen: Schluß der Segelklappen: Kammerdiastole: Segel flotieren frei im Blut Ende des Zustroms: liegen aneinander Kammersystole: Segel "blähen" sich Schluß der Taschenklappen: Rückstrom des ausgeworfenen Blutes Funktionieren die Klappen nicht: Einschränkung der Pumpfunktion Auskultation des Herzens: Bei jedem Herzzyklus (Systole u. Diastole) entstehen 2 Herztöne. Stethoskop ("Brustbetrachters"): Abhören (Auskultation) des Herzens Aufschluß über die mechanische Herzaktion 1. Ton: "Anspannungston des Herzens" Schwingungen des Herzmuskels bei Anspannung (zu geringerem Teil auch Schluss der Segelklappen) 2. Ton: "Klappenschlußton" Zuschlagen der Taschenklappen Jede Klappe hat eine ihr eigene maximale Abhörstelle (siehe Topographie-Vorlesung) 34 FUNKTIONELLE ANATOMIE DES HERZENS (7) Klinik: Herzklappenfehler Stenosen: Klappe öffnet nicht vollständig Folge: Herz pumpt gegen Widerstand Druckbelastung und Vergrößerung (Hypertrophie) Erschöpfung und Aufweitung (Dilatation) Herzinsuffizienz Insuffizienz: Klappe schließt nicht vollständig Folge: Blutfluss in falsche Richtung Volumenbelastung durch "Pendelblut" Hypertrophie und Dilatation Herzinsuffizienz Ursachen: Angeborene Klappenfehler Erworbene Klappenfehler: Entzündungen (z. B. rheumatisches Fieber) Herzinfarkt Häufigkeit (Erwachsene): Diagnose: Mitralklappe Aortenklappe Trikuspidalklappe Pulmonalklappe Herzgeräusche! "systolische Geräusche" "diastolische Geräusche" zwischen 1. und 2. Ton nach 2. Ton Herzultraschall und Herzkatheteruntersuchung 35 70% 25% 4% 1% FUNKTIONELLE ANATOMIE DES HERZENS (8) Klinik: Herzklappenfehler Beispiel: Mitralklappeninsuffizienz (z. B. nach rheumat. Fieber) Pathophysiologie: Systole: Rückstrom von Blut in linken Vorhof Volumenbelastung Hypertrophie/Dilatation des linken Ventrikels Rückstau in die Lunge Hypertrophie/Dilatation des rechten Ventrikels Rückstau in den Körper Symptome: Herzinsuffizienz mit Atemnot, Leistungsminderung Lungenstauung Auskultation: systolisches Geräusch maximal über Mitralklappe Diagnose: Herzultraschall (Echokardiographie) Herzkatheter 36 FUNKTIONELLE ANATOMIE DES HERZENS (9) III. Herzkranzgefäße Das Herz ist ein ständig aktiver Muskel. Dieser muss dem Bedarf entsprechend versorgt werden. Amphibien: Versorgung per Diffusion aus dem Blut Höhere Vertebraten: Versorgung über Gefäße in der Herzkranzfurche, den Herzkranzgefäßen (Vasa privata) Beachte: Klinisch von höchster Wichtigkeit (Herzinfarkt) Lerne: 1. Verlauf Hauptäste 2. Aufzweigungsmuster 3. Versorgungsgebiete rechts/links Ursprung: Oberhalb Aortenklappe A. coronaria sinistra (Valvula semilunaris sin.) A. coronaria dextra (Valvula semilunaris dex.) Wichtig, da dort Herzkatheter eingeführt werden muß! 37 FUNKTIONELLE ANATOMIE DES HERZENS (10) 1. Verlauf: A. coronaria sinistra: Zwei Hauptäste: A. coronaria dextra: Zwischen linkem Herzohr und Tr. pulmonalis R. circumflexus Im Sulcus coronarius nach dorsal R. interventricularis anterior Im Sulcus interventricularis anterior Unter rechtem Herzohr im Sinus coronarius nach dorsal, dann zum Sulcus interventr. post. R. interventricularis posterior 2. Aufzweigungen: Abgebildet ist nur ein Teil der Gefäße: 38 FUNKTIONELLE ANATOMIE DES HERZENS (11) 3. Versorgungsgebiete: Beachte: Komplex! Hauptgefäße können unterschiedlich ausgebildet sein Ausgeglichener Versorgungstyp Überweigen A. coronaria sinistra (Linkstyp) Überwiegen A. coronaria dextra (Rechtstyp) 80% 10% 10% Unterschiede besonders bei der Versorgung des Kammerseptums! Ausgeglichener Typ: A. coronaria sinistra: Linker Vorhof Linke Kammer (größerer Teil) Rechte Kammer (kleinerer Teil) Septum (2/3) A. coronaria dextra: Rechter Vorhof auch: Erregungsleitungssystem! Rechte Kammer (größerer Teil) Linke Kammer (kleinerer Teil) Septum (1/3) Rechtstyp: Linkstyp: 2/3 Septum, größerer Teil der linken Kammer Septum komplett, großer Teil der rechten Kammer 39 FUNKTIONELLE ANATOMIE DES HERZENS (12) Venöser Abfluß: (zur Vollständigkeit) Lage besonders gut an der Facies diaphragmatica erkennbar Sinus coronarius Zufluß: Lage im Sulcus coronarius Mündung in den rechten Vorhof V. cordis magna V. interventricularis posterior V. cordis parva Beachte: z. T. gehen venöse Abflüsse direkt in den rechten Vorhof 40 FUNKTIONELLE ANATOMIE DES HERZENS (13) Klinik: Koronare Herzkrankheit, Herzinfarkt Pathologie: Erkrankung der Herzkranzgefäße "Atherosklerose" Verdickung der Intima, Fetteinlagerung Verengung (KHK), evtl. akuter Verschluß (Herzinfarkt) Symptome: "Brustenge", Angina pectoris Schmerzen: zentral, Ausstrahlung linker Arm KHK: belastungsabhängig, reversibel Besserung auf Nitrate Infarkt: irreversibel, keine Besserung Infarktdiagnose: Trias: 1. Symptomatik 2. EKG 3. Herzenzyme Gefahren: 1. Herzstillstand 2. Rhythmusstörungen 3. Herzschwäche 4. Herzklappenfehler Herzstillstand: Kein Puls, weite Pupillen Präkordialer Faustschlag Herzdruckmassage "Reanimation" 41 FUNKTIONELLE ANATOMIE DES HERZENS (14) Klinik: "Bypass"-Operation Zur operativen Therapie der Koronaren Herzerkrankung (Alternative: "Ballondilatation per Herzkatheter"; PTCA) Operationsindikation: Patienten mit: 1. Verengungen des linken Hauptstamms 2. 3-Gefäßerkrankungen Verfahren: Aorto-Coronarer Venen Bypass (ACVB) Verwendung einer Vene zur Überbrückung der Enge V. saphena magna Ergebnis: 90% bleiben offen Patienten deutlich gebessert, oft beschwerdefrei Deutlich gebesserte Überlebensrate 42 PERIKARD (1) Herzbeutel Körperhöhlen: 1. Pleurahöhle 2. Bauchhöhle 3. Perikardhöhle Entstehung: Herz ist embryonal in eine "Körperhöhle" hineingewachsen: außen: Lamina parietalis innen: Lamina visceralis Umschlagstellen: Gefäßpol Aufbau: außen: dazwischen: innen: Pericardium fibrosum: derber Kollagensack Verbindung zur Umgebung, wenig dehnbar Pericardium serosum lamina parietalis Einschichtiges Plattenepithel Cavitas pericardiaca spaltförmiger Raum Pericardium serosum lamina visceralis = Epicard Eröffneter Herzbeutel: Umschlagstellen sichtbar Beachte: Sinus transversus pericardii - trennt Pole d. Herzschlauchs Sinus obliquus pericardii 43 PERIKARD (2) Klinik 1. Entzündungen des Perikards: Pericarditis Ursache: Häufig Virusinfektion Fibrinöser Erguß im Herzbeutel Symptome: Zuerst: Später: Auskultation: Systolische und diastolische Reibegeräusche Folge: Verklebungen, Verkalkungen "Panzerherz" Pericarditis sicca ("trocken") Pericarditis exsudativa (Erguß) 2. Einblutung in die Perikardhöhle: Ursache: Herzinfarkt Herzwandaneurysma Pathophysiologie: Symptome: Herzbeuteltamponade Einblutung ins Perikard Herz pumpt hinein Folge: Keine Ausdehnung mehr mögl. "Selbsttamponade" des Herzens Schnelles Kreislaufversagen Blutdruck fällt, Herzfrequenz steigt, Herz vergrößert 44 UNTERSUCHUNG DES HERZENS (1) Allgemein: "Basisprinzipien" - ein Vorgeschmack auf die Klinik! 1. Anamnese 2. Körperliche Untersuchung: Inspektion Palpation Perkussion Auskultation Untersuchung (nur das Herz, nicht der Kreislauf): 1. Inspektion: Narben? Herzspitzenstoß sichtbar? 2. Palpation: Herzspitzenstoß Anatomie: MCL, 5. ICR 3. Perkussion: Zone der "Herzdämpfung" perkutierbar 4. Auskultation: Herztöne? Herzgeräusche Beachte: Verschiedene Positionen zur Untersuchung Auskultationspunkte der Klappen Vorgebeugte Position: Taschenklappen Linksseitenlage: Mitralklappe 45 UNTERSUCHUNG DES HERZENS (2) Wo liegt das Herz? Welche anatomischen Fakten muss ich wissen? 1. Orientierung an der äußeren Körperoberfläche des Patienten 2. Röntgenuntersuchung des Herzens 3. Echokardiographie Projektionen der Organe auf die Brustwand Orientierung am knöchernen Skelett (Rippen, ICR, Wirbeln) Wichtig: 1. Projektion der Organgrenzen "Lage im Raum" "Röntgenanatomie" des Herzens 2. Herzspitze 3. Herzklappen "anatomisch" "auskultatorisch" X-Y Koordinatensystem: vertikale Hilfslinien/Rippen 46 UNTERSUCHUNG DES HERZENS (3) Projektion der Organgrenzen Lage des Herzens im Brustkorb Beachte: Projektion des Herzens auf die Brustwand - "Röntgen-Thorax" "Herzschatten" Röntgendicht ist insbesondere das eisenhaltige Blut "Herz-Gefäßschatten" Regel: Größe des Herzens sollte kleiner sein als der halbe Brustkorb Herzspitzenstoß: MCL, 5. ICR 47 UNTERSUCHUNG DES HERZENS (4) Auskultation der Herzklappen - Projektion auf die Brustwand Unterscheide: Projektion Auskultation (Fortleitung entlang der Gefäße) Häufigster Fehler: Pulmonalklappe/Aortenklappe werden vertauscht! Also: Wir brauchen eine "π mal Daumen"-Merkregel: z.B. "Abzählspruch": "Pu - Mi - Tri - A" Projektion der Klappen (Rippen): 3 4 5 4 (links!) Auskultationsorte der Klappen (ICR): 2 5 5 2 und Herzspitzenstoß (dort wo Mitralklappe auskultiert wird) Beachte: Im Kurs Thoraxschild über das Herz legen und überprüfen! Benninghoff 650 48 Abbildungs- und Buchempfehlungen zum Vorlesungsskript Anatomie II (Herz): 1. Herzentwicklung: Schiebler, Schmidt, Zilles, Anatomie; 8. Auflage, Springer Verlag S. 3, 4, 16 Schumpelick, Bleese, Mommsen, Chirurgie, Enke Verlag S. 18, 19 alle anderen: Langmann, Embryologie, Thieme 2. Mikroskopische Anatomie Knoche, Histologie, Springer S. 24, 27 Schiebler, Schmidt, Zilles, Anatomie; 8. Auflage, Springer Verlag S. 25, 26 Benninghoff, Drenckhahn, Anatomie, Band , Urban und Fischer S. 28 3. Funktionelle Anatomie Schiebler, Schmidt, Zilles, Anatomie; 8. Auflage, Springer Verlag S. 33, 38, 39, 40 Lippert, Anatomie, Urban und Fischer S. 41 Schumpelick, Bleese, Mommsen, Chirurgie, Enke Verlag S. 42 4. Untersuchung des Herzens Benninghoff, Drenckhahn, Anatomie, Band , Urban und Fischer S. 48 49