Ungleiches verschmelzen

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PRODUKTION
Ultraschallschweißen. Mit kontrolliertem Schmelzaufbau lassen sich komplizierte
Fügeanwendungen aus teilkristallinen und amorphen Thermoplasten realisieren.
Die hohen Anforderungen an Qualität, Schnelligkeit und Wiederholgenauigkeit
werden über eine variable Programmierung der Schweißkräfte und die Kontrolle
der Fügegeschwindigkeit erfüllt.
Ungleiches verschmelzen
thalat (PET), eingespannt in einem Bügel aus Polystyrol (PS) (Bild 2).
ROBIN MOHR
it der sogenannten Kariesinfiltration gibt es neuerdings eine klinisch belegte Behandlungsmöglichkeit, die auf herkömmliches Bohren
im Zahnschmelz verzichtet und auf Karies im Anfangsstadium ausgerichtet ist.
Gemeinsam mit Wissenschaftlern der
Charité Berlin und der Universitätsklinik
Kiel wurde von der Dentalfirma DMG aus
Hamburg hierfür eine spezielle Applika-
M
Konstruktiver Idealfall
Für die Herstellung der Applikationshilfe wurde ein exaktes Fügeverfahren für
Bügel und Folie gesucht, das im Herstellungsprozess die filigrane Folie korrekt
positioniert und sie thermisch nicht angreift. Die bereits vorliegende Perforierung der Folie stellte eine zusätzliche He-
Bild 1. Der Applikator Icon dient der Behandlung früher Karies
tionshilfe namens Icon entwickelt, die im
März 2009 auf den Markt kam (Bild 1). Die
Therapie basiert auf einem speziellen
lichthärtenden Kunststoff, mit dem der
krankhafte Zahnschmelz aufgefüllt und –
durch Blaulicht aktiviert – verschlossen
wird. Aufgetragen wird der niedrigviskose Kunststoff in den Zahnzwischenräumen mithilfe einer zweilagigen, teilweise
perforierten Folie aus PolyethylenterephARTIKEL ALS PDF unter www.kunststoffe.de
Dokumenten-Nummer KU110314
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Bild 2. Aufbringen des Gels im Mundraum
rausforderung dar, da solche „Verletzungen“ den weiteren Verarbeitungsprozess
beeinflussen können. Sie bedeuten eine
Unterbrechung der Oberfläche, eine sogenannte Kerbwirkungsstelle, an der die
mechanischen Schwingungen zu Spannungsspitzen führen. Daraus resultiert
unter Umständen eine ungewollte und
nicht genau zu kontrollierende Plastifizierung des Kunststoffs.
Als die Herrmann Ultraschall GmbH
& Co KG, Karlsbad, mit dem Projekt betraut wurde, standen die endgültigen Ma-
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terialien und die Gestaltung der Schweißnähte noch nicht fest. Diese wollte der
Kunde nach den ersten Schweißtests an
Prototypen gemeinsam mit dem Systemlieferanten festlegen und erst dann das
Spritzgießwerkzeug konzipieren. Diese
Projektsituation ist der konstruktive Idealfall für das Schweißen mit Ultraschall,
da über Materialbeschaffenheit und Gestaltung der Fügegeometrie ein wesentlicher Einfluss auf das Schweißergebnis genommen werden kann. Die Bügelteile
stellten aufgrund der kleinen Abmessungen sowie der konvexen und konkaven
Formen ein schwieriges Bauteil dar.
Schon geringste Maßschwankungen der
Spritzgussteile wirken sich verhängnisvoll
aus. Dazu war beim Schweißen der Bügel
mit gleichzeitigem Klemmen der Folie die
Schweißnaht so zu gestalten, dass ohne
seitlichen Schmelzaustritt eine ausreichende Verbindung entstand (Bild 3). Nach
den ersten Labortests wurden die Bügelteile so konzipiert, dass statt der ursprünglich geplanten sechs Zentrierungs© Carl Hanser Verlag, München
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Bild 3. Bügelaufbau
Bild 4. Zentrierungsdome und Dünnwandnähte
dome, die anfangs gleichzeitig Schweißnähte waren, in der endgültigen Form vier
Zentrierungsdome und vier kleine Dünnwandnähte für ein optimales Ergebnis
sorgten (Bilder 4 und 5). Die von Herrmann
Ultraschall entwickelte Dünnwandnahtgestaltung eignet sich besonders für kleine Bauteile mit dünnen Wandstärken.
Der Energierichtungsgeber hat eine klar
definierte Auflagefläche und erleichtert
die Selbstzentrierung. Dazu kommen hohe Festigkeitswerte und eine gute Optik.
Unterschiedliches
Temperaturverhalten nutzen
Das unterschiedliche Temperaturverhalten von teilkristallinen und amorphen
Thermoplasten beeinflusst das Schweißergebnis. Thermoplaste sind aus mehr
oder weniger verzweigten und linearen
Kohlenstoffketten physikalisch miteinander verbunden. Die Bindungskräfte sind
wirksamer und die Schweißresistenz erhöht, wenn die Ketten parallel ausgerichtet (kristallin) statt verknäult (amorph)
vorliegen. Amorphe Thermoplaste besit-
!
Im Profil
Die DMG Dental-Material Gesellschaft mbH (DMG) entwickelt, produziert
und vertreibt hochwertige Dentalmaterialien. Über 300 Mitarbeiter beschäftigt das
Familienunternehmen, das 1964 von Ernst
Mühlbauer gegründet wurde und einen
deutlichen Schwerpunkt auf Forschung und
Entwicklung setzt. In über 80 Ländern vertreibt DMG heute seine Produkte. Hergestellt werden innovative Lösungen für
Zahnärzte, Labore und Patienten. DMG
deckt dabei die Produktbereiche Abformmaterial, temporäre Versorgung, permanente Versorgung, Prophylaxe, Labor, Applikationssysteme und Zubehör ab.
Bild 5. Erste Ultraschall-Labortests
zen eine hohe Härte und Steifigkeit. Ihr
Bedarf an spezifischer Wärmeenergie ist
gering, und eine kleine bis mittlere
Schweißamplitude zwischen 10 und
25 µm bei 35 kHz reicht aus. Teilkristalline Thermoplaste sind weicher, zäher sowie nachgiebiger und haben eine höhere
Temperaturbeständigkeit. Ein höherer
Bedarf an spezifischer Wärmeenergie
zum Aufbrechen der Struktur erfordert
eine höhere Schweißamplitude zwischen
25 und 35 µm (Bild 6).
Normalerweise können neben artgleichen Stoffen nur solche im gleichen
Schmelzindex miteinander verschweißt
werden (zum Beispiel: PMMA und PVC).
Im vorliegenden Fall wurde genau dieser
Faktor, dass artfremde Thermoplaste
schwerer zu verbinden sind, positiv genutzt. Während sich der amorphe Bügel
durch die mechanischen Schwingungen
gut und schnell erwärmt, reagiert die teilkristalline Folie verzögert, was sie aber
wiederum vor thermischer Schädigung
schützt. Genauer gesagt, galt es, den idea-
Umschaltung auf zweite
Schweißkraft
Die maschinentechnischen Voraussetzungen für eine solche Genauigkeit sind
präzise Bestimmung der Startposition für
den Ultraschall (Triggerpunkt), kontrollierter Schmelzaufbau sowie schnelle und
akkurate Abschaltung:
Triggerpunkt: Die Anlegebewegung
der Sonotrode wird beobachtet, und erst
nach Erreichen eines Stillstands auf der
Bauteiloberfläche wird der Ultraschall
ausgelöst. Mit der Referenzpunkt-Nullung RPN werden Maßtoleranzen des
Bauteils zuverlässig ausgeglichen.
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len Arbeitspunkt zu finden, bei dem die
amorphen Dome des Bügels erfolgreich
plastifiziert waren, während in der Folie
nur die amorphen Bestandteile ausreichend reagierten und die kristallinen Anteile nicht. Geht der Energieeintrag über
diesen Punkt hinaus, schmilzt die Folie zu
stark auf und ist zerstört (Bild 7).
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zeigt visuell einen harmonischen Fügeverlauf und ist Garant für ein reproduzierbares Ergebnis.
spezifische Wärme
amporph
teilkristallin
Schmelztemperatur
Fazit
Glasübergangstemperatur
Tg
Tm
Temperatur
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Bild 6. Temperaturverhalten von Thermoplasten
Schmelzeaufbau: Der Vario Process
der Steuerung erlaubt die Programmierung der Schweißkraft in zwei Stufen zur
Optimierung eines linearen Fügeprozesses. Das Ergebnis ist ein kontrollierter
Aufbau der Schmelze, eine Voraussetzung
dafür, dass der Arbeitspunkt präzise wiederholt werden kann.
Abschaltung: Die Arbeitsgeschwindigkeit des Generators liegt im µs-Bereich.
Dadurch wird auch bei schnellen
Schweißungen präzise abgeschaltet.
Die Fragestellung war, die Sonotrode so
schnell wie möglich – innerhalb der ersten
20 ms – auf eine hundertprozentige Leistung zu bringen. Bei Icon wird bei einem
Fügeweg von 0,22 mm kurz vor Ablauf des
Schweißwegs in den letzten 7/100 mm (ca.
20 ms) des Prozesses auf die zweite
Schweißkraft umgeschaltet. Die mit der
ersten Schweißkraft erzeugte Schmelze
wird durch die Umschaltung auf eine
höhere zweite Schweißkraft komprimiert.
Die Geschwindigkeit des Schweißvorgangs
bleibt dadurch zum Ende hin aufrecht erhalten. Somit können die Schweißzeiten
verkürzt werden. Auch die Belastung der
Folie durch die mechanischen Schwingungen reduziert sich, was ein wichtiger
Aspekt ist, um Schädigungen an der Folie
zu vermeiden. Zudem wird die erkaltende
Schmelze während der Haltezeit stärker
mit der Folie verpresst und erhöht damit
die Festigkeit der Schweißung.
Visuelle Überwachung der
Fügegeschwindigkeit
Die grafische Darstellung der Schweißleistung, Fügegeschwindigkeit und
Schweißkraft ermöglicht genaue Aussagen über die Qualität des Fügeprozesses
(Bild 8). Dadurch werden unnötige Belastungen am Schweißteil vermieden und
zusätzlich eine garantierte Wiederholbarkeit des Schweißprozesses gegeben.
Erst durch gezieltes Umschalten der
Schweißkräfte während des Verlaufs der
Schweißung wird der lineare Anstieg der
Kurve gewährleistet. Ein schneller, möglichst linearer Anstieg der Fügegeschwindigkeit (Weg-Zeit-Kurve) nach 20 ms
Bild 7. Sonotrode CAD-Achsenberechnung
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Bei einer Neuentwicklung geht es in erster Linie um das Funktionsprofil des
Bauteils, das der Kunde nach Markterfordernissen festlegt. Dazu kommt das Anforderungsprofil aus der Fertigung des
Kunden und ebenso wichtig ist das Anforderungsprofil bezüglich der eigentlichen Prozesstechnik. Hier betritt der Ultraschall-Systemlieferant die Bühne und
zwar im Idealfall bereits in der Planungsund Konzeptionsphase. Das Ziel ist, Bauteile prozessgerecht zu gestalten, aber
auch die Prozesse selbst bauteilgerecht zu
entwickeln. Nachbesserungen an Bauteilen, Werkzeugen oder Maschinen sollen
soweit wie möglich planbar oder vermeidbar werden. DER AUTOR
DIPL.-ING. (FH) ROBIN MOHR, geboren 1966, ist
seit 2003 Vertriebsingenieur bei Herrmann Ultraschall. Seit 2006 leitet er das Technologiezentrum
Nord in Walsrode;
[email protected]
SUMMARY
CONTROLLED MELT BUILD-UP
ULTRASONIC WELDING. Complicated joining applications involving semi-crystalline and amorphous thermoplastics can be achieved through controlled build-up of
melt. The demanding requirements for quality, speed
and reproducibility are satisfied through variable programming of the weld force and controlling the joining
velocity.
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Bild 8. Screenshot Fügegeschwindigkeit
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