1 ALEXANDER KAISER Berufungscoaching und E-Coaching Wissensmanagements 1 im Blickwinkel des Einführung und Problemstellung Berufungscoaching ist eine Coachingform, die sich speziell an Menschen wendet, die vor einer (beruflichen) Neuorientierung stehen. Im vorliegenden Beitrag wird der Frage nachgegangen, in welchen Phasen des Berufungscoachings sinnvoll und nutzenbringend Aspekte des E-Coachings bzw. des E-Learnings eingesetzt werden können. Der Fokus dieser Fragestellung liegt auf der individuellen Ebene, also auf der Coachingbegleitung von EinzelkundInnen1. Zur Beantwortung dieser Frage stützen wir uns einerseits auf die umfangreichen Praxiserfahrungen mit dem Prozessmodell des Berufungscoachings und werden andererseits Kriterien aus dem Bereich der aktuellen Forschung des Wissensmanagements heranziehen. Am Rande des Beitrags wird die Anwendungsmöglichkeit des Berufungscoachings für die Begleitung von Visionsprozessen und die Leitbildentwicklung von Systemen (Unternehmen, Organisationen) skizziert. Es ergibt sich folgender Aufbau des Beitrags: Vorerst wird das Prozessmodell des Berufungscoachings kurz vorgestellt. Zweiter Schwerpunkt ist eine geraffte Darstellung der für den Aspekt des Coachings relevanten Gesichtspunkte des Wissensmanagements. Im daran anschließenden Teil wird versucht, die Forschungsfrage dieses Beitrags schrittweise zu beantworten. 2 Das Prozessmodell des Berufungscoachings Für die Arbeit mit dem Modell des Berufungscoachings greifen wir auf eine alte Definition von Berufung von Aristoteles zurück und erweitern diese, um Berufung zu definieren als: „Wo sich deine Talente, deine Sehnsüchte und Träume mit den Bedürfnissen der Welt kreuzen, dort liegt deine Berufung." Auf dieser Berufungsdefinition bauen die folgenden Überlegungen auf. Das Berufungscoaching wurde als durchgängiges Prozessmodell 2003 entwickelt und 2004 vorgestellt (Kaiser 2003; Kaiser 2005a) und seitdem basierend auf den Erfahrungen aus mehr als 400 Coachingsitzungen sowie den aktuellen theoretischen und praktischen Entwicklungen im Bereich der systemischen 1 Wir sprechen im Coachingprozess nicht von KlientInnen oder Coachees sondern von KundInnen. Sprache schafft Wirklichkeit – im Begriff KundIn ist kundig enthalten. Damit wird der ExpertInnenrolle der CoachingkundInnen eine angemessene Bedeutung gegeben. Coaching ist nämlich m.E. keine „Art Verbindung von Unternehmensberatung und Psychotherapie“ (vgl. dazu Reimann in diesem Band), sondern weder Unternehmensberatung noch Psychotherapie. Dies gilt m. E. für das systemische Coaching im Allgemeinen, ganz besonders aber für das Berufungscoaching. 2 Beratung konsequent weiterentwickelt. Methodisch baut das Berufungscoaching auf dem systemisch-konstruktivistischen Coachingansatz auf und ergänzt ihn um Aspekte aus den Bereichen Spiritualität, Ganzheitlichkeit sowie Ziel- und Zeitmanagement. Im Unterschied etwa zum „beruflichen Orientierungscoaching“ oder gar zur Berufsberatung, fokussiert das Berufungscoaching tatsächlich auf die persönliche Berufung der KundInnen. Der Beruf ist – man ist versucht zu sagen Gott sei Dank – lediglich ein Teilaspekt der Berufung. Insoferne sind Themen wie der Sinnbezug der KundIn und damit Spiritualität und Ganzheitlichkeit integrale Bestandteile der Begleitung2. Das Berufungscoaching kann in drei Phasen unterteilt werden, nämlich: Ent-decken – Stärken – Umsetzen Im Rahmen dieser drei Phasen werden nochmals drei Schritte unterschieden: Berufung – Vision(en) – Ziele Ent-decken In der ersten Phase des Berufungscoachings steht das Ent-decken der eigenen Berufung im Zentrum. Der Coach unterstützt in dieser Phase die Kommunikation des Unbewussten des Kunden mit dem Bewussten des Kunden. Die wesentliche Aufgabe des Coachs in der 1. Phase des Berufungscoachings ist es, den Kunden zu helfen, verstärkt auf Intuition, Gefühle und Körperwahrnehmung zu vertrauen und den Kopf und das rationale Nachdenken und Analysieren vorerst „möglichst abzuschalten“. Neben klassischen Coachingwerkzeugen wird in dieser Phase etwa u.a. auch mit einem erweiterten Ansatz der Methode der sinnstiftenden Hintergrundbilder nach Bernd Schmid (Schmid 2004) und dem Mission-Statement-Ansatz (Jones 1998) gearbeitet. Ergebnis dieser Phase ist es, die Sehnsüchte und Träume, das, wo man spürt, dass es anziehend ist, dass es eine Faszination ausübt, benennen und kommunizieren zu können. Dem Ruf, der integraler Bestandteil der Berufung ist, wurde Aufmerksamkeit geschenkt, der Kommunikation zwischen dem Bewussten und dem Unbewussten ein breiter Raum geöffnet. Stärken In der 2. Phase des Berufungscoachings steht das Stärken im Mittelpunkt. Der Schwerpunkt der Begleitungsarbeit liegt darin, dass der Kunde bereits vorhandene Ressourcen und Fähigkeiten erkennt, konkret benennen kann und im Bezug auf die gefundenen Sehnsüchte und Träume betrachtet. Im Kontext zur Definition von Berufung fokussieren wir hier auf den Bereich der „Talente“. 2 Ausführlichere Beschreibungen, Gedanken und Angebote finden sich unter www.berufungscoaching.at bzw. unter www.wave.co.at sowie in den Arbeiten (Kaiser 2004), Kaiser 2005a), (Kaiser 2007). 3 Ein wesentlicher Aspekt in dieser Phase des Berufungscoachings ist das Explizitmachen von implizit vorhandenem Wissen, Fähigkeiten und Begabungen. Aus dem Wissensmanagement wissen wir, dass ein wichtiger Faktor einer funktionierenden Weitergabe von Wissen in Systemen die Umwandlung von implizitem Wissen in explizites Wissen ist (Nonaka et al. 1997). Wir nutzen diese Erkenntnisse aus dem systemischen Wissensmanagement und übertragen sie im Berufungscoaching auf individueller Ebene auf die einzelnen Kunden. Explizit gemachtes bereits vorhandenes implizites Wissen kann dann in vielen Fällen auch in anderen bzw. neuen (beruflichen) Kontexten sinnvoll eingesetzt werden. Vielen Kunden wird im Rahmen dieser Phase des Berufungscoachings nach langer Zeit wieder einmal so richtig bewusst, wie viel an Ressourcen und Fähigkeiten ja bereits vorhanden sind und gleichsam nur zielgerichtet aktiviert werden müssen. Dieser Aspekt steigert im Allgemeinen das Selbstwertgefühl der KundInnen, was gerade in Phasen der Neuorientierung äußerst hilfreich ist. Ergebnis dieser Phase sind die explizit beschreibbaren Träume und Sehnsüchte bzw. die Berufung aus Phase 1 ergänzt um eine (große) Menge von explizit gemachten Ressourcen, die helfen, diese Berufung zur Entfaltung zu bringen. Umsetzen In der 3. Phase des Berufungscoachings geht es um die konkrete Umsetzung der Berufung im Leben des Kunden. Welche Möglichkeiten der Realisierung gibt es? Wie realistisch sind die einzelnen Varianten? Was sind konkrete erste Schritte auf diesem Weg? Das sind einige der wesentlichen Fragen, die im Rahmen der letzten Phase bearbeitet werden. In dieser Phase des Berufungscoachings werden – in Anlehnung an die Definition von Berufung – die „Bedürfnisse der Welt“ in den Blick genommen. Dabei ist es wesentlich, dass basierend auf den erkannten Sehnsüchten, Träumen mehrere – teilweise auch unterschiedliche – Umsetzungsmöglichkeiten in der Realität erarbeitet werden. Wir machen hier im Coaching also gleichsam einen weiten Raum auf, um aus einer Vielzahl von guten Möglichkeiten dann eine auszuwählen und in einzelne Schritte und Ziele zerlegen zu können. Wesentlich dabei ist die Begleitung des Kunden bei der Formulierung einer eigenen Vision. Von der konkreten Vision ausgehend können dann mehrere Teilziele formuliert werden. Als äußerst nützlich – vor allem wegen ihres ganzheitlichen Ansatzes – haben sich hierbei u.a. Methoden des Ziel- und Zeitmanagements der 4. Generation (Covey 2005), die Backcasting-Methode, Ansätze aus dem Bereich des inneren Teams (Schulz von Thun 2004), sowie Aspekte der systemischen Strukturaufstellung (Sparrer 2006) erwiesen. Allgemeine, gewonnene Praxiserfahrungen des Berufungscoachings sind ausführlich in (Kaiser 2007) beschrieben. Abb. 1.: Prozessmodell Berufungscoaching (verkleinert einfügen) 4 3 Wissensmanagement Im Folgenden werden nun kurz einige wesentliche Aspekte der Forschung zum Thema Wissensmanagement dargestellt, um sie dann in weiterer Folge mit dem Coachingprozess verbinden zu können. 3.1 Verschiedene Wissensarten Generell kann man zwischen zwei Arten von Wissen differenzieren, zwischen implizitem und explizitem Wissen. Implizites Wissen ist persönlich, kontextspezifisch und daher nur schwer kommunizierbar. Explizites Wissen lässt sich im Unterschied zu implizitem Wissen in formaler Sprache weitergeben. Es ist auch ohne das unmittelbare Vorhandensein eines Kontextes verständlich In der neueren Literatur rund um das Gebiet des Wissensmanagements wird darüber hinaus eine weitere Wissensform unterschieden, das self-transcending knowledge. Scharmer beschreibt es als „Self-transcending knowledge – the ability to sense and presence the emerging opportunities, to see the coming-intobeing of the new …” (Scharmer 2001, S. 137). Nonaka/Toyama verwenden eine andere Bezeichnung, knüpfen an das Konzept der Phronesis von Aristoteles an und definieren: „Phronesis is a concept that synthesizes „knowing why“ as in scientific theory, with „knowing how“ as in practical skill, and „knowing what“ as a goal to be realized.“ (Nonaka/Toyama 2007, S. 378) und weiter “phronesis is the ability to synthesize a general, universal knowledge with the particular knowledge of a concrete situation.” (Nonaka/Toyama 2007, S. 379). Selftranscending knowledge ist damit Wissen, das gleichsam durch das “Lernen aus der Zukunft” entsteht. Insoferne ist es gerade für den zukunft- und lösungsorientierten Aspekt des Coachings höchst bedeutsam. 3.2 Wissensumwandlung Entscheidend sind die Übergänge zwischen den einzelnen Wissensarten. Bei der Umwandlung von einer Wissensart in eine andere wird de facto Wissen generiert, sowohl auf der individuellen Ebene als auch auf der Ebene von Systemen. Systemisches Coaching im Allgemeinen und Berufungscoaching im Besonderen ist hervorragend geeignet, Menschen und Systeme in diesen Übergangspunkten von einer Wissensart in eine andere zu unterstützen. Mehr noch kann man sagen, dass im Beratungssystem neues Wissen entsteht und generiert wird. In der Literatur sind – vor allem aus der „japanischen Schule“ kommend – zwei Modelle im Kontext der Wissensumwandlung bedeutsam: das SECI-Modell und das Ba-Modell. Beide Modelle fokussieren auf die Wissensumwandlung in Systemen. Im Einzelcoaching haben wir zwar vordergründig „nur“ mit Individuen zu tun, da diese einzelnen Kunden in sich wiederum sehr komplexe Systeme darstellen, können die Erkenntnisse aus den beiden Modellen aber gut 5 auf der individuellen Begleitungsebenen angewendet werden. Im vorliegenden Beitrag konzentrieren wir uns auf das Ba-Modell. Für eine Beschreibung des SECI-Modells sei etwa auf (Nonaka/Takeuchi 1997) verwiesen. 3.3 Das Ba-Modell – Ba als Basis des Wissens Ba bildet den benötigten Kontext und das benötigte Umfeld für Wissensbildung. Ba, das grob aus dem Japanischen übersetzt „Ort“ bedeutet, ist ein Konzept, das in seinem Ursprung auf den japanischen Philosophen Kitaro Nishida zurückzuführen ist. Ba wird hier als gemeinsamer Kontext definiert, in dem Wissen mit anderen geteilt, erzeugt und verwendet werden kann. Bei der Kreation, Schaffung und Erneuerung von Wissen ist Ba der Schlüssel zum Erfolg, da Ba die Energie, Qualität und den Ort zur Entfaltung des Wissens sicherstellt (Nonaka et al. 2000, S. 14). Auf die Einzelperson bezogen, wird Wissen nie ohne einen gewissen Zusammenhang erzeugt. Jedes Individuum ist im Voraus geprägt, jeder Mensch ist auf seine Weise beeinflussbar. Soziale, kulturelle und historische Inhalte beeinflussen jedes Individuum. Ba ist der „Ort“, wo alle Informationen gebündelt und interpretiert werden und zu Wissen werden können (Nonaka et al. 2000, S. 14). Dieser „Ort“ muss aber nicht zwingend ein physischer sein. Ba bezeichnet eher einen spezifischen Ort und eine spezifische Zeit. Neben dem physischen Ort kann Ba auch in anderen Ausprägungen in Erscheinung treten: virtuell, mental und kombinatorisch (Nonaka/Konno 1998, S. 40). Wenn Nonaka und Konno sagen „Ba ist the world where the individual realizes himself as part of the environment on which his life depends“ (Nonaka/Konno 1998, S.41) bzw. „In short, self-transcendence is fundamental to sharing individual tacit knowledge“ (Nonaka/Konno 1998, S.42) wird der Bezug zum oben beschriebenen self-transcending knoweldge deutlich. Die Ausprägungen des Ba Physisch: Ba kann als physischer Ort bestehen. Büros oder Arbeitsräume können den Ort für einen gemeinsamen Kontext bilden. Virtuell: Ein virtueller Ba ergibt sich durch eine entsprechende – virtuelle – Infrastruktur, die die Schaffung von Wissen unterstützt. Beispiele dafür sind etwa E-Mails, Telefonkonferenzen, Foren, Wikis, etc. Mental: Dimensionen des menschlichen Geistes können ebenfalls als Basis für die Bildung von neuem Wissen dienen. Mentale Ebenen als Ba sind vor allem gemeinsame Erlebnisse, geteilte oder gemeinsame Ideale. Kombination von mehreren Ba-Ausprägungen: Ba kann als Kombination mehrerer oben genannter Charakteristika auftreten. Ein gutes Beispiel wäre die Zusammenlegung der mentalen und der virtuellen Ebene in einer OnlineGemeinschaft für Gleichgesinnte oder Personen mit ähnlichen Erfahrungen. 6 Es existieren vier verschiedene Ba-Typen, die mit den vier Phasen des SECIModells3 korrelieren. Jeder dieser Ba-Typen ist die entsprechend ideale Grundlage für die vier Abschnitte der Wissensumwandlung (Nonaka/Konno 1998, S. 45f.). Die vier verschiedenen Typen des Ba sind: originating ba, interacting ba, cyber ba und exercising ba. Originating Ba ist die „Welt“, in der Individuen ihre Gefühle, Emotionen, Erfahrungen und mentalen Modelle austauschen. Persönliche Barrieren fallen in dieser Gruppe, dies macht gemeinsames Denken möglich. Originating Ba ist der Ba, mit dem der Wissensgenerierungsprozess beginnt. Individuelle Konversationen (Face-to-Face experiences) sind der Schlüssel, um die Weitergabe von implizitem Wissen möglich zu machen (Nonaka/Konno 1998, S. 46). Interacting Ba: Hier ist die Interaktion nicht auf den persönlichen Kontakt, sondern auch auf den kollektiven Dialog konzentriert. Durch den gemeinsamen Dialog werden die individuellen mentalen Modelle und Fähigkeiten in ein gemeinsames Gut umgewandelt. Es wird also implizites Wissen zu explizitem gemacht. Konversation und die Verwendung von Metaphern sind hierbei unabdingbar (Nonaka et al. 2000, S. 17). In diesem Ba finden zwei Prozesse statt: mentale Modelle anderer werden überdacht und die eigenen werden aufgerollt und reflektiert (Nonaka/Konno 1998, S. 47). Cyber Ba ist ein virtueller Ort, der anstelle eines realen Ortes zur Interaktion genutzt wird. Hier findet das Kombinieren von vorhandenem expliziten mit neuem expliziten Wissen statt. Das Cyber Ba entsteht durch eine informationstechnische Unterstützung. IT-Instrumente wie Online-Netzwerke, Groupware-Systeme oder Datenbanken optimieren die Kombination am effizientesten (Nonaka/Konno 1998, S. 47). Exercising Ba unterstützt die Internalisierung und ist von individuellen und virtuellen Interaktionen charakterisiert. Ziel ist es, die besten Voraussetzungen für die Umwandlung von explizitem zu implizitem Wissen zu schaffen. Eine Möglichkeit dafür ist das Training mit erfahrenen Mentoren und Kollegen. 4 Zwischenfazit Versuchen wir nun die bisherigen Ausführungen über das Prozessmodell Berufungscoaching und die relevanten Aspekte des Wissensmanagements miteinander zu verbinden, können folgende Aussagen getroffen werden, die – neben der Theorie – auch durch die Rückmeldungen zahlreicher KundInnen des Berufungscoachings untermauert werden. • 3 Self-transcending knowledge wird in der Phase Ent-decken des Berufungscoachings generiert. Immer dann, wenn es im Coaching gelingt, die KundIn „gleichsam zum Fliegen zu bringen“, oder den „Zielhimmel zu öffnen“, kommt sie mit ihren eigenen Sehnsüchten und existentiellen – weil Diese 4 Phasen sind Sozialisation – Externalisierung – Kombination – Internalisierung. Vgl. dazu (Nonaka/Takeuchi 1997). 7 sinnstiftenden – Bedürfnissen in Kontakt. Genau an diesen Punkten ist das self-transcending knowledge „präsent“. Ein wesentlicher Aspekt ist in dieser Phase des Coachings die Kommunikation des „ICH“ mit dem „SELBST“ bzw. der inneren Stimme der KundIn (vgl. dazu Kaiser 2007). Selftranscending knowledge wird freilich auch in der Phase Umsetzen generiert. Dort ist ein wesentlicher Aspekt die Formulierung und Ausgestaltung einer erfüllenden und trotzdem realisierbaren Zukunftsvision. • Die Umwandlung von implizitem in explizites Wissen spielt in der Phase Stärken eine entscheidende Rolle. Die Fokussierung auf die eigenen Ressourcen aus vier verschiedenen Sichten hat sich dabei als hilfreich erwiesen. Insb. das Herausarbeiten der erforderlichen Stärken anhand konkreter Erfolgserlebnisse der KundIn mit dem Werkzeug „Erfolgsbilanz“ trägt der Wissensumwandlung von implizit zu explizit Rechnung. • Die Umwandlung von explizitem in neues explizites Wissen ist in der Phase Umsetzen bedeutsam. Das passiert vor allem bei der Erarbeitung der Umsetzung der erstellten Vision und der Definition von einzelnen Schritten. • Ebenfalls in der Phase Umsetzen kommt aber auch der Aspekt der Umwandlung von explizitem in implizites Wissen zum Tragen, wenn mit Werkzeugen der systemischen Strukturaufstellung gearbeitet wird. 5 Einsatz von E-Coaching und E-Learning im Berufungscoaching Beim Berufungscoaching haben die Artikulation der emotionalen Ebene und der Intuition („innere Stimme“) der KundIn und darüber hinaus das Einbeziehen des Körperwissens eine wichtige Bedeutung. Um dies zu bewerkstelligen, haben sich hypnosystemische Werkzeuge (Schmidt 2005), Werkzeuge aus dem Bereich der systemischen Strukturaufstellung (Sparrer 2006), und imaginative Techniken im Coaching (vgl. dazu etwa auch Larro-Jacob 2007) sehr bewährt. Gerade bei diesen Techniken und Werkzeugen ist die unmittelbare Interaktion KundIn – Coach äußerst wichtig, ein Einsatz von E-Coaching bzw. E-Learning erscheint hier nicht möglich. Demzufolge kann vorab festgehalten werden, dass es nicht möglich ist, den gesamten Prozess des Berufungscoachings in eine virtuelle Infrastruktur einzubetten bzw. zu integrieren. Geißler zeigt jedoch in seiner Definition und in der Grundlegung von E-Coaching und der Darstellung der verschiedenen Spielarten von E-Coaching (vgl. dazu Beitrag von Geißler „ECoaching – eine konzeptionelle Grundlegung“ in diesem Band), dass ein kompletter und ausschließlicher Einsatz von IT-Unterstützung gar nicht erforderlich ist. Im Folgenden wird zur Beantwortung der Forschungsfrage dieses Beitrags das oben beschriebene Ba-Modell aus dem Wissensmanagement herangezogen. Ein Ba steht im Kontext des Wissensmanagements für die Infrastruktur, die die Wissenserzeugung bzw. die Wissensweitergabe unterstützt bzw. erst ermöglicht. Ein Virtueller Ba und ein Cyber Ba tun das mit IT-Unterstützung. Wie kann nun solch eine Infrastruktur im Coaching und insbesondere im Rahmen des Berufungscoachings aussehen? 8 E-Mail-Unterstützung Die „niederschwelligste“ Form von E-Coaching findet durch eine Kommunikation zwischen Coach und Kunden mit E-Mail statt. Diese Form wird im Berufungscoaching bereits auf mehreren Ebenen eingesetzt: Beispiel 1: Im Sinn von „E-Learning“ werden der KundIn Materialien zur Verfügung gestellt, die anhand von Beispielen, etc. Unterstützung bei der Erstellung einer schriftlichen Visionsgeschichte in der Phase „Umsetzen“ geben. Beispiel 2: Manche KundInnen machen davon Gebrauch, Vorabversionen der Visionsgeschichte dem Coach per E-Mail zuzusenden. Durch die Rückmeldungen des Coachs und ggf. damit verbundenen Coachingfragen wird hier eine Grundidee des E-Coachings verwirklicht. Beispiel 3: Im Sinn von E-Coaching besteht zwischen den einzelnen Sitzungen des Berufungscoachings die Möglichkeit, sich per E-Mail an den Coach zu wenden. Dies wird insbesondere dann in Anspruch genommen, wenn „Hausübungen“ für die Zeit zwischen zwei Coachingsitzungen vereinbart wurden und es diesbezüglich Fragen gibt, oder die KundIn es als nützlich erachtet, Ergebnisse der Hausübung vorab dem Coach zukommen zu lassen. Beispiel 4: Eine weitere Anwendungsmöglichkeit ergibt sich in der Phase Stärken. Die Erarbeitung der eigenen „Kern-Stärken“ (die sowohl Kompetenzen, Fähigkeiten und Wissen beinhalten) ergibt sich durch die Anwendung von 4 verschiedenen Sichten. Diese Sichten (Eigensicht, Fremdsicht, externe Sicht, Erfolgsbilanz) werden durch immer wiederkehrende Coachingfragen (z. B. zirkuläre Fragen) ermöglicht. Öfters ist es der Fall, dass den KundInnen diese Fragen in der Coachingsitzung einige Male gestellt werden, dass sie die Weiterführung dann aber als Hausübung alleine machen können. Die Unterstützung bei diesen Hausübungen einerseits und die Übermittlung der erstellten Ergebnisse andererseits können problemlos über E-Mail erfolgen. Etwa 30% der KundInnen des Berufungscoachings machen von dieser Möglichkeit Gebrauch. In den Beispielen 1-4 wird jeweils der Cyber Ba mithilfe eines virtuellen und/oder physischen Ba realisiert. Dadurch findet großteils Kombination von explizitem mit neuem expliziten Wissen statt und es entsteht so neues Wissen. Im Beispiel 4 wird darüber hinaus teilweise auch der Exercising Ba realisiert, wenn die Internalisierung von explizit gemachtem Wissen über die eigenen Ressourcen zu implizitem Wissen vorbereitet wird. Alleine durch eine sinnvolle und gezielte E-Mail-Unterstützung im Rahmen des Berufungscoachings können somit bereits wichtige Teile des Ba-Modells konkret umgesetzt bzw. unterstützt werden. Die Charakteristika des virtuellen Ba stimmen mit den wesentlichen Merkmalen von E–Learning-Umgebungen und der Infrastruktur für E-Coaching ziemlich überein. 9 Weiterführende Unterstützung im Sinne von E-Coaching Neben dem Cyber Ba ist m.E. der Interacting Ba – also die Infrastruktur, um die Umwandlung von implizitem Wissen in explizites Wissen zu unterstützen – ein wesentlicher Aspekt eines gelungenen Coachingprozesses. Die Arbeit mit Metaphern, die bei der Beschreibung des Interacting Ba von den Autoren explizit angeführt wird, spielt ja im Coaching ebenfalls eine wichtige Rolle. Welche Möglichkeiten gibt es nun, auch andere Ba-Formen zu realisieren? Beispiel 5: Berufungscoaching in der Gruppe Es ist möglich, das Prozessmodell des Berufungscoachings auch mit einer Gruppe von Menschen einzusetzen. Dabei handelt es sich um eine Gruppe, in der jede einzelne TeilnehmerIn für sich alleine arbeitet4. Methodisch werden einige Elemente des Berufungscoachings im Rahmen der Gruppe eingesetzt und darüber hinaus in zeitlich komprimierter Form (3 Tage) je TeilnehmerIn mehrere Einzelcoachings angeboten. Diese Form hat verschiedene Vorteile, aber auch Nachteile. Die Praxiserfahrung zeigt, dass der Mehrwert dieser Form der Begleitung darin liegt, dass die TeilnehmerInnen der Gruppe in einer ähnlichen Situation sind und so voneinander durch Austausch sehr profitieren und in gewissem Sinne auch lernen können. Diesen Aspekt des Austauschs könnte man nun im Rahmen einer virtuellen Infrastruktur auch dann realisieren, wenn die TeilnehmerInnen physisch nicht gemeinsam an einem Ort arbeiten. Dazu bieten sich elektronische Foren oder Diskussionslisten an oder auch eine entsprechende Internetapplikation. Weiterhin könnten diejenigen Elemente des Berufungscoachings, die in der oben skizzierten Variante in der Gruppe eingesetzt werden, in Form von E-Learning ebenfalls über Internet angeboten und so mehreren KundInnen zur Verfügung gestellt werden. In den Einzelcoachings würde der Coach dann auf die Erfahrungen der KundIn mit den „E-Learning-Elementen“ Bezug nehmen. Genau dasselbe passiert ja – ohne virtuelle Unterstützung – schon bisher in der beschriebenen Gruppenform. Beispiel 5 zeigt daher die Realisierung eines Interacting Ba entweder in der Form eines virtuellen Ba oder eines physischen Ba. Dabei wird der kollektive Dialog sowie die Umwandlung von impliziten in explizites Wissen unterstützt. Beispiel 6: Berufungscoaching in der Leitbildentwicklung von Organisationen Das Prozessmodell des Berufungscoachings kann auch im Rahmen der Visionsund Leitbildentwicklung von Systemen (Unternehmen, Organisationen, Gemeinschaften, etc.) sinnvoll eingesetzt werden. In einem durchgeführten Projekt mit einem Mittelbetrieb mit 15 MitarbeiterInnen konnten dazu wertvolle Praxiserfahrungen gewonnen werden. Im Rahmen einer Masterthesis wurde das Projekt evaluiert (Fordinal 2007). Zusammengefasst geht es bei diesem Ansatz darum, basierend auf der persönlichen Vision der einzelnen MitarbeiterInnen und der sich daraus ergebenden persönlichen Unternehmensvision eine 4 Im Gegensatz zu einem Team ist, bei dem die Mitglieder eine gemeinsame Aufgabe zu erfüllen haben. 10 gemeinsame Unternehmensvision zu erstellen. Aus Platzgründen kann das komplette Design dieses Ansatzes hier bei weitem nicht beschrieben werden, so dass wir uns auf zwei Aspekte beschränken. Stärken: Wie im Berufungscoaching auf der individuellen Ebene gibt es auch hier die Phase „Stärken“. Dabei wird versucht, das im System vorhandene implizite Wissen explizit zu machen. Dadurch wird es verfügbar und kann so ggf. für Änderungen in der Unternehmensausrichtung herangezogen werden. Der Ansatz sieht unter anderem ein Sammeln und Aggregieren der Ergebnisse der Stärken-Phase aus den individuellen Berufungscoachingsprozessen vor. Dieses Zusammenführen wurde im durchgeführten Projekt mittels E-Mail durchgeführt. Dabei hat sich gezeigt, dass hier durch eine bessere ITUnterstützung noch bessere Ergebnisse zu erzielen wären. Diese Ergebnisse könnten dann in den laufenden Begleitungsprozess wieder einfließen, so dass die virtuelle Ebene einen zweifachen Nutzen bringt. Vorbereitende Schritte zur Visionserstellung: Um die eigene persönliche Vision und darauf aufbauend die persönliche Unternehmensvision nutzenbringend erstellen zu können, haben sich im Rahmen des Berufungscoachings mehrere vorbereitende Schritte und damit verbunden unterstützende Werkzeuge sehr bewährt (vgl. dazu Abschnitt 2.1 dieser Arbeit bzw. Kaiser 2005a). Einige dieser Schritte wurden im oben skizzierten Projekt in Workshops durchgeführt, an denen alle MitarbeiterInnen gemeinsam teilnahmen und einige Schritte im Rahmen von Einzelcoachings. Es ist vorstellbar, von den Inhalten der Workshops und/oder von den Inhalten der Einzelcoachings einige Aspekte in eine virtuelle Umgebung auszulagern und so die Idee des E-Coachings auch in dieses Design einfließen zu lassen. Konkret wird dem systemischen Gedanken im Berufungscoaching durch zwei Schwerpunkte Rechnung getragen, nämlich dem Aspekt „Ich in den Systemen“ und dem Aspekt „Die Systeme in mir“. Bei der Arbeit am Thema „Ich in den Systemen“ geht es um das Sammeln und Bewerten der gegenwärtigen Rollen und Lebensbereiche der KundIn sowie um die gewünschten Entwicklungsmöglichkeiten bzw. Zukunftswünsche innerhalb der einzelnen Rollen und Lebensbereiche. Die Begleitung des Coachs in diesem Bereich erfolgt – freilich in Anpassung an die Individualität des Kunden – häufig mit sehr ähnlichen Fragen und Impulsen. Es erscheint möglich und sinnvoll, diesen Ablauf zu modellieren und in einer Internetapplikation zu implementieren. Damit wäre es für den Kunden möglich, zeitlich selbstständig diesen Schritt zu bearbeiten bzw. vorzubereiten. Dieser Ansatz ist auch in den Einzelcoachings außerhalb eines Visionsentwicklungsprozesses sinnvoll. Über die hier angeführten Beispiele hinaus kann es gerade im Bereich der Visions- und Leitbildentwicklung sinnvoll sein, den gesamten Prozess mit einem elektronischen Forum, Diskussionsgruppen, etc. zu unterstützen und so den Austausch während des Prozesses zu erleichtern. Beispiel 6 zeigt somit die Realisierung eines Originating Ba (gemeinsames Denken in einem Team) und des Interacting Ba in der Mischform eines virtuellen und physischen Ba. Daneben werden auch der Cyber Ba und der Exercising Ba unterstützt. 11 6 Zusammenfassung und Ausblick Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die derzeit verfügbaren Werkzeuge und Technologien des E-Coachings für die Erzeugung von selftranscending knowledge wenig hilfreich erscheinen. Die Generierung der anderen Wissensarten (implizites Wissen bzw. explizites Wissen) sowie die Unterstützung der Übergänge zwischen diesen Wissensarten erlauben eine Reihe von Anwendungsmöglichkeiten des E-Coachings und des E-Learnings. Insbesondere mit der Anwendung von E-Mail-Unterstützung im Berufungscoachingprozess konnte bereits eine Vielzahl von positiven praktischen Erfahrungen gewonnen werden. Für die zukünftige Forschung im Bereich der Schnittstelle zwischen Berufungscoaching und E-Coaching ergeben sich mindestens zwei Arbeitsfelder: • Entwicklung von für das Berufungscoaching geeigneten Internetapplikationen bzw. Versuch der Anwendung von existierenden Internetapplikationen wie etwa dem virtuellen Selbstcoaching-Tool. • Überlegungen, welche Anforderungen E-Coaching-Tools erfüllen müssen, um ggf. auch für den Bereich des – gerade im Berufungscoaching wichtigen – self-transcending-knowledge eingesetzt werden zu können. Darüber hinaus gehen aktuelle Arbeiten bei WaVe – Zentrum für Wachstum und Veränderung5 in die Richtung der Entwicklung von internetgestützten Fragebögen. Die Auswertung des Fragebogens soll es einem Kunden erlauben, einschätzen zu können, wie gut der derzeitige Lebensentwurf und die derzeitige Tätigkeit der eigenen persönlichen Berufung gerecht werden. Darauf aufbauend sollen der Bedarf eines Berufungscoaching-Prozesses und die konkreten Schwerpunkte innerhalb dieses Prozesses besser beurteilt werden können. Literatur Covey, R. (2005): Der Weg zum Wesentlichen. Frankfurt/Main Fordinal, B. (2007) Berufungscoaching im Visionsentwicklungsprozess. Master Thesis an der DU-Krems Jones, L. (1998): Mission Statement – Vom Lebenstraum zum Traumleben. Wien. Kaiser, A. (2004): Berufungscoaching als Methode einer zeitgemäßen Berufungspastoral: theologische, spirituelle und psychologische Grundlagen. http://www.wave.co.at/berufungspastoral.pdf. Kaiser, A. (2005a): Berufungscoaching: Systemisches Coaching in Phasen der (beruflichen) Neuorientierung. In OSC – Organisationsberatung-Supervision-Coaching Heft 4/2005. Kaiser, A. (2005b): Unternehmensmission und Unternehmensvision im Kontext von Wissensmanagement und Spiritualität - ein disziplinenübergreifender Ansatz. In: Tomaschek, M. (Hrsg.): Management und Spiritualität – Sinn und Werte in der globalen Wirtschaft. Heidelberg, S. 164-180. Kaiser, A. (2007): Berufung, Kommunikation und Coaching. In: LO – Lernende Organisation. Zeitschrift für systemisches Management und Organisation. Nr. 38, S. 40-47. 5 Siehe dazu www.wave.co.at oder www.berufungscoaching.at 12 Larro-Jacob, A. (2007): Imaginative Techniken im Coaching. In: OSC, 1/2007, S. 62-71 Nonaka, I., Konno, N. (1998): The Concept of “Ba”: Building a Foundation for Knowledge Creation. In: California Management Review 40 (1998) 3, S. 40-54. Nonaka, I., Toyama, R., Konno, N. (2000): SECI, Ba and Leadership: a Unified Model of Dynamic Knowledge Creation. In: Long Range Planning 33, S. 5-34. Nonaka, I./Toyama, R. (2007): Strategic management as distributed practical wisdom (phronesis). In: Industrial and Corporate Change, S.371-295 Nonaka, I./Takeuchi, H. (1997): Die Organisation des Wissens. Frankfurt/Main. Scharmer, C.O. (2001): Self-transcending knowledge: sensing and organizing around ererging opprtunities. In Journal of Knowledge Management, 2001, S.137-150 Schmid, B. (2004): Sinnstiftende Hintergrundbilder professioneller Szenen. In Rauen, C. (Hrsg.): CoachingTools. Bonn. Schmidt, G. (2005): Einführung in die hypnosystemische Theorie und Beratung. Heidelberg. Schulz von Thun, F. et al. (2004): Das Innere Team in Aktion. Hamburg. Sparrer, I. (2006): Systemische Strukturaufstellungen. Theorie und Praxis. Heidelberg.