Fortbildungszeitschrift und Informationsbulletin der Schweizerischen

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Fortbildungszeitschrift und Informationsbulletin der
Schweizerischen Gesellschaft für Pädiatrie
Vol. 28 Nr. 2 IV/2017
9
14
Neonatale Erstversorgung Interdisziplinäre Empfehlungen
Prävention von Respiratory Syncytial Virus
17-40 Thema: Autismus-Spektrum-Störung
41
Belastungsuntersuchungen
mit angeborenem Herzfehler
46
Rechte der Kinder mit Migrationshintergrund
Inhaltsverzeichnis
Vol. 28 Nr. 2 2017
Editorial
Redaktion
Prof. R. Tabin, Sierre (Schriftleiter)
Prof. M. Bianchetti, Bellinzona
Dr. M. Diezi, Lausanne
Prof. T. Kühne, Basel
Dr C. Eberhardt, Genf
Dr. U. Lips, Zürich
Dr. M.-A. Panchard, Vevey
Dr. P. Scalfaro, Lausanne
Dr N. Jundt, Etagnières
Dr. R. Schlaepfer, La Chaux-de-Fonds
Prof. A. Superti-Furga, Lausanne
Dr. R. von Vigier, Biel
Redaktionsadresse
c/o Prof. R. Tabin
Av. du Général Guisan 30
Postfach 942
CH-3960 Sierre
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Paediatrica
Erscheint 5 x jährlich für die Mitglieder der SGP.
Nicht-Mitglieder können beim Sekretariat
die Paediatrica zum Preis von Fr. 120.–
jährlich abonnieren.
Auflage
1950 Ex. / ISSN 1421-2277
Bestätigt durch WEMF
Nächste Ausgabe
Redaktionsschluss: 28.7.2017
Erscheinungsdatum: Nr. 4: 15.9.2017
Titelbild
«Spielende Fabelwesen im Wald»
Acrylfarbe auf Leinwand, 60 x 80 cm
Claire Ochsner, www.claire-ochsner.ch
Für den Inhalt der Texte übernimmt die Redaktion
keine Verantwortung.
3 Die SGP bleibt auf Kurs, an Ihrer Seite
Standespolitik
4 Altersbestimmung junger Migranten - Stellungnahme der SGP
6 Die Kinder- und Jugendmedizin von morgen – ein Ausblick
B. Wildhaber, H. Beutler, U. Frey, N. Pellaud, M. Hofer
8 Echos aus dem Vorstand
N. Pellaud
Empfehlungen
9 Neonatale Erstversorgung - Interdisziplinäre Empfehlungen
SGGG, SGN, SGP, SGAR, SHV, SAOA
4 Konsensus Statement zur Prävention von Respiratory Syncytial Virus (RSV)1
Infektionen mit dem humanisierten monoklonalen Antikörper Palivizumab (Synagis®)
P. Agyeman, C. Barazzone, J. Hammer, U. Heininger, D. Nadal, J.-P. Pfammatter, K.M. Posfay-Barbe, R.E.
Pfister
Fortbildung
Thema : Autismus-Spektrum-Störung
17 Editorial: Autismus-Spektrum-Störung, ein gesundheitspolitisches Problem
N. Chabane
19 Diagnose von Autismus-Spektrum-Störungen heute: Eine umfassende Evaluation
im Interesse von Kind und Familie
S. Manificat
23 Aetiologische Faktoren und Komorbiditäten der Autismus-Spektrum-Störungen
M. Jequier Gygax, A. M. Maillard
30 Neurokognitive Besonderheiten des Autismus
E. Thommen, L. Baggioni, A. Tessari Veyre
5 Partnerschaftliches Modell bei der Begleitung eines Kindes mit einer Autismus-
3
Spektrum-Störung
N. Chabane
39 Früherkennung von Kindern mit Autismus-Spektrum-Störungen:
Erfahrungen im Tessin
G. P. Ramelli
41 Belastungsuntersuchungen bei Kindern mit angeborenem Herzfehler
S. Simmen; E. Valsangiacomo Buechel, M. Christmann
Hinweise
46 Werden die Rechte der Kinder mit Migrationshintergrund respektiert?
J. Zermatten
49 Nationale Strategie zu Impfungen – den Schutz der Bevölkerung optimieren
V. Masserey
51 Europäische Impfwoche: Die Erwachsenen impfen, um die Säuglinge zu schützen
52 Kinderschutzgruppen der KKJ der CH 11.11.2016 - Wissenschaftliche Jahrestagung
C. Stüssi, A. Müller
54 Helpline Seltene Krankheiten
S. Strebel, S. R. Karg und partnerM. R. Baumgartner
56 Schwangerschaft und Tabak: Gut zu Wissen
56 Wozu eine Charta für SGP-Mitglieder?
Rubrik «Juristische»
57 Neues Kindesunterhaltsrecht
B. Laville
58- 60 Aktuelles aus dem pädiatrischen Fachbereich
Persönlichkeiten
61 In Memoriam – Andrea Poretti
Lesebrief
62 Überlegungen eines Kinderarztes an der Wende zum Ruhestand
Y Heller
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1. Rotarix® Fachinformation, GlaxoSmithKline, www.swissmedicinfo.ch 2. EKIF, Rotavirusimpfung: Empfehlung für Säuglinge – 16.09.2016, www.bag.admin.ch/ekif, Seite 3.
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6 Wochen zur Vorbeugung einer Rotaviren-bedingten Gastroenteritis. Wirksamkeit belegt gegen Rotaviren der Typen G1P[8], G2P[4], G3P[8], G4P[8], G9P[8]. D/A: Grundimmunisierung umfasst 2 Dosen.
Intervall mindestens 4 Wochen. Erste Dosis ab dem Alter von 6 Wochen, zweite Dosis vor dem Alter von 16 (max. 24) Wochen. Nur für den oralen Gebrauch bestimmt. KI: Bekannte Überempfindlichkeit auf
eine Komponente im Impfstoff oder Zeichen einer Überempfindlichkeit nach einer vorangegangenen Anwendung von Rotarix; Invagination in der Anamnese oder für Invagination prädisponierende kongenitale Missbildung des Gastrointestinaltraktes; schwerer kombinierter Immundefekt (SCID); akute, schwerwiegende und fieberhafte Erkrankung; Diarrhö oder Erbrechen; nach vollendeter 24. Lebenswoche.
WV: UNTER KEINEN UMSTÄNDEN INJIZIEREN! Kinder mit hereditärer Fructose-Intoleranz, Glucose-Galactose-Malabsorption oder Sucrase-Isomaltase-Mangel; Kinder mit gastrointestinalen Krankheiten
oder Wachstumsstörungen; Risiko für Intussuszeption: auf die typischen Symptome einer Invagination achten; bekannte oder vermutete Immunschwäche; Exkretion des Impfvirus im Stuhl (Vorsicht bei
engem Kontakt zu immundefizienten Personen); potentielles Risiko von Apnoen bei sehr unreifen Frühgeborenen. IA: Gleichzeitige Anwendung mit folgenden monovalenten oder Kombinations-Impfstoffen
möglich: DTPw, DTPa, Hib, IPV, HBV, Pneumokokken, Meningokokken C. UW: häufig: Diarrhö, Reizbarkeit; gelegentlich: Blähungen, Bauchschmerzen, Appetitverlust; Dermatitis, Fieber; selten u.a.: Intussuszeption; sehr selten: schwerwiegende ITP. Lag.: Bei +2 °C bis +8 °C lagern. Nicht einfrieren. P: Glasspritze mit oraler Suspension ×1. AK: B. Stand der Information: November 2015. GlaxoSmithKline AG.
Ausführliche Angaben finden Sie unter www.swissmedicinfo.ch. Unerwünschte Arzneimittelwirkungen melden Sie bitte unter [email protected].
GlaxoSmithKline AG, Talstrasse 3–5, CH-3053 Münchenbuchsee, Telefon +41 (0)31 862 21 11, Telefax +41 (0)31 862 22 00, www.glaxosmithkline.ch
Editorial
Vol. 28 Nr. 2 2017
Die SGP bleibt auf Kurs, an Ihrer Seite
Nicole Pellaud, SGP-Präsidentin, Genf und Sitten
Übersetzung: Rudolf Schlaepfer, La Chaux-de-Fonds
Im Leben einer Gesellschaft gibt es mehr oder
weniger kritische Zeiten, insbesondere wenn
sich finanzielle Fragen stellen – oder aufdrängen.
Die vorgesehene Tarifrevision zwingt uns,
ernsthaft darüber nachzudenken, was wir für
die Pädiatrie wollen. Selbstverständlich eine
korrekte Anerkennung der vom Praxispädiater
geleisteten Arbeit, aber wie steht es mit den
ambulanten Sprechstunden der Spitalärzte,
ein für die Spitalfinanzen echtes Problem? Wir
brauchen diesen ambulanten Beitrag, sei es
auf Notfallstationen, als Spezialsprechstunden oder um in gewissen Regionen den Mangel an Kinderarztpraxen zu kompensieren.
Die Finanzierung ist nicht unser einziges Problem, Ausbildung und Nachwuchs, nicht nur
der Praxispädiater, sondern auch der pädiatrischen Spezialisten muss gesichert werden.
Herausforderungen für die SGP, nicht nur um
eine vielfältige und geeinte Gesellschaft zu
bleiben, welche die Interessen aller ihrer
Mitglieder vertritt, sondern auch um qualitativ
1)
hochstehende kinder- und jugendmedizinische Betreuung in allen Bereichen zu gewährleisten1) .
Neue Bedürfnisse entstehen gerade in noch
wenig entwickelten Bereichen der Kinder- und
Jugendmedizin, wie in Palliativmedizin, integrativer Pädiatrie oder im öffentlichen Gesundheitswesen, denen die Pädiatrie ihre Unterstützung bieten wird.
In allen pädiatrischen Disziplinen ist Fortschritt nur durch Forschung möglich. SwissPedNet, ein Projekt an welchem sich die SGP
beteiligt, bietet in dieser Hinsicht eine wunderbare Gelegenheit, Forschung sowohl im
Spital wie in der Praxis zu fördern, und damit
die Pädiatrie von morgen zu formen.
Erworbenes bewahren, offen für Neues sein,
zukünftige Bedürfnisse voraussehen – ein
ganzes Programm, unser Programm.
Korrespondenzadresse
[email protected]
http://www.swiss-paediatrics.org/sites/default/files/ueber_uns/pdf/ziele_der_sgp_2011_d.pdf
3
Standespolitik
Vol. 28 Nr. 2 2017
Altersbestimmung junger Migranten Stellungnahme der Schweizerischen
Gesellschaft für Pädiatrie
Mangels validierter Untersuchungsmethoden können Ärzte sich
nicht daran beteiligen
Sarah Depallensa, Fabienne Jägerb, N. Pellaudc
Die Schweizerische Gesellschaft für Pädiatrie (SGP) wünscht, die
Ärzteschaft sowie die zuständigen eidgenössischen und kantonalen
Behörden über die Problematik der Altersbestimmung bei jungen Migranten zu informieren*. Sie publiziert die Stellungnahme, welche
durch in Fragen der Gesundheit junger Migranten und Sozialpädiatrie
spezialisierten Pädiatern erarbeitet wurde.
Diese Stellungnahme wurde durch Experten der betroffenen Fachrichtungen validiert:
Entwicklungspädiatrie: Prof. Oskar Jenni, Kinderspital Zürichd
Pädiatrische Endokrinologie: Prof. Valérie Schwitzgebel, Universitätskinderklinik Genfe
Pädiatrische Radiologie: PD Dr. Georg Eich, Kantonsspital Aarauf
SGP-Referenzgrupppe Migranteng und der Vorstand der SGPg
Die Stellungnahme soll die Betreuung junger Migranten in der Schweiz fördern, welche die
Kinderrechte und die Menschenrechte ganz allgemein respektiert.
Übersetzung: Rudolf Schlaepfer, La Chaux-de-Fonds
Im Jahre 2016 empfing die Schweiz 27207
Asylbewerber, wovon 7.3% als unbegleitete
Minderjährige betrachtet wurden1).
Nebst anderen Kriterien berücksichtigt das
Asylverfahren das Alter des jungen Asylbewerbers; ab einem Alter von 18 Jahren besteht kein
Anrecht mehr auf die den Minderjährigen von
Amts wegen zuerkannte Betreuung (Wohn-/
Kinderheim mit Erziehern, Rechtsschutz durch
einen Vormund, Zugang zu einer Schule etc.).
Dieser Unterschied hat einen wesentlichen
Einfluss auf die Zukunft des Jugendlichen. Der
Zugang zu einer Ausbildung ist einer der wichtigsten Schutzfaktoren im Jugendalter. Ein
Minderjähriger, der bei seiner Ankunft in der
Schweiz als volljährig eingeschätzt wird, läuft
somit von Anfang an Gefahr ungenügender
sozialer Integration und damit einer gestörten
Entwicklung. Um das Alter junger Menschen,
die keine gültigen Ausweise haben, zu bestimmen, wenden sich die zuständigen Behörden in
der Schweiz auch an die Ärzteschaft.
Aus medizinethischer, deontologischer Sicht
darf eine Untersuchung nur durchgeführt
werden, wenn 1. eine klare medizinische Indikation besteht, welche das Ziel einer Gesundheitsverbesserung unterstützt, 2. die Einverständniserklärung der aufgeklärten Person
vorliegt und es sich 3. um eine validierte Untersuchungsmethode ohne unnötiges Schädigungspotential handelt2),3) .
Handelt es sich bei einer Untersuchung um
einen nichttherapeutischen Auftrag (z. B. von
der Asylbehörde), so sind umstrittene diagnostische Praktiken unzulässig und die betroffene Person ist klar zu informieren3) .
Wie dies jedoch mehrmals nachgewiesen und
publiziert wurde4),5) , sind die verwendeten
Methoden, handle es sich nun um das Knochenalter6),7),8),11) , körperliche Untersuchung8)
oder die Beurteilung der Zahnentwicklung9),10),12) , zu approximativ, weisen weite
Streubreiten auf und basieren auf oft nicht
adaptierten Referenzwerten, welche weder
die ethnische11),12) und sozioökonomische Vorgeschichte des Jugendlichen noch allfällige
endokrinologische Pathologien genügend be-
rücksichtigen, obwohl diese die Entwicklung
des Jugendlichen beeinflussen können8) . Zudem sind die Verfahren mit unnötigen Strahlenbelastungen verbunden.
Es gibt heutzutage keine wissenschaftliche
Methode, die erlauben würde, das Alter eines
15- bis 20-Jährigen genau zu bestimmen, und
sicher zu entscheiden, ob er voll- oder minderjährig ist. So können Befunde, wie sie für
Erwachsene typisch sind, durchaus auch bei
Minderjährigen gefunden werden, was zu einer Altersüberschätzung führen kann. Eine
umfassende Abklärung des Jugendlichen
durch Entwicklungsspezialisten bleibt sinnvoll, um dessen Entwicklungsstand und psycho-kognitiven Status zu bestimmen, und ihn,
wenn nötig, an eine sozialpädagogische Einrichtung weisen zu können, in der auf seine
besondere Verwundbarkeit eingegangen werden kann13) .
Angesichts der Tatsache, dass aktuell aus
deontologischer Sicht die Grundlagen für
besagte Altersbestimmungen nicht gegeben
sind, diese jedoch wesentliche legale und
soziale Konsequenzen für den Jugendlichen
nach sich ziehen können, empfiehlt die
Schweizerische Gesellschaft für Pädiatrie, wie
dies schon mehrere internationale pädiatrische
Gesellschaften und Akademien getan haben14),15),16) , ihren Mitgliedern und jedem anderen diesbezüglich angefragten Arzt, sich nicht
an der Altersbestimmung junger Asylbewerber
zu beteiligen. Wir empfehlen, gegenüber kantonalen Institutionen, die sich mit Migration
befassen, in diesem Sinne Stellung zu nehmen.
Referenzen
1) https://asile.ch/statistiques/suisse/.
2) Charte du pédiatre, SSP 2017.
3) FMH Standesordnung Art 6, 8, http://www.fmh.
ch/files/pdf18/Standesordnung_August_2016_D.
pdf.
4) Aynsley-Green A, Cole TJ, Crawley H, Lessof N,
Boag LR, Wallace RM. Medical, statistical, ethical
and human rights considerations in the assessment
of age in children and young people subject to immigration control. British medical bulletin. Jun
2012;102:17-42.
5) Hjern A, Brendler-Lindqvist M, Norredam M. Age
assessment of young asylum seekers. Acta paediatrica (Oslo, Norway: 1992). Jan 2012;101(1):47.5.
6) Cole TJ. The evidential value of developmental age
imaging for assessing age of majority. Annals of human biology. 2015;42(4):379-388.
7) Thodberg Hans Henrik, van Rijn Rick R, Jenni Oskar
G, Martin David. D.
Automated determination of bone age from hand
Service de pédiatrie CHUV, Lausanne und Referenzgruppe Migranten, bService de pédiatrie, Hôpital du Jura, Delémont und Referenzgruppe Migranten, cService médicale scolaire et
psychopédagogique Sion und Präsidentin SGP, dKinderspital Zürich, eHôpital des enfants HUG, Genève, fKantonsspital Aarau, gwww.swiss-paediatrics.org
*Zwecks einfacherer Lesbarkeit wurde zusätzlich auf die weibliche Form verzichtet; sie ist aber selbstverständlich jeweils mitgemeint.
a
4
Standespolitik
Vol. 28 Nr. 2 2017
X-rays at the end of puberty and its applicability
for age estimation Int J Legal Med DOI
10.1007/s00414-016-1471-8.
8) Schwitzgebel V. Georg F. L’âge osseux ne permet
pas de déterminer l’âge des jeunes requérants
d’asile, Paediatrica Vol. 27 No. 3, 29 2016.
9) Knell B. 2012. Zahnärztliche Altersdiagnostik zur
Frage nach dem 18. Altersjahr. KriminalistikSchweiz. 2/12, 122-127, 2012.
10)Reutimann, Felix. Zahnärztliche Altersdiagnostik:
Untersuchung zur radiologischen Sichtbarkeit des
Parodontalspaltes der ersten Molaren im Unterkiefer bei 14- bis 22-Jährigen. 2015, University of Zurich, Faculty of Medicine http://www.zora.uzh.
ch/123990/1/Dissertation_Reutimann_12_12_2015.pdf.
11)F K Ontell, M Ivanovic, D S Ablin and T W Barlow,
Bone age in children of diverse ethnicity, http://
w w w . a j r o n l i n e . o r g / d o i / a b s /1 0 . 2 2 1 4 /
ajr.167.6.8956565.
12)Olze A Schmeling A, Taniguchi M, Maeda H, van
Niekerk P, Wernecke KD, Geserick G, Forensic age estimation in living subjects: the ethnic factor in wisdom tooth mineralization, Int J Legal
Med. 2004 Jun;118(3):170-3. Epub 2004 Feb 6.
13)Messelken D, Crouse J. When childhood ends:
estimating the age of young people BMJ
2015;351:h6699 doi: 10.1136/bmj.h6699.
14)Royal College of Paediatrics and Child Health
(2009) Policy: College statement on the role of
paediatricians in the age assessment of unaccompanied young people seeking asylum,
http://www.rcpch.ac.uk/Policy.
15)On behalf of the Advocacy and Ethics Group of the
European Academy of Paediatrics, P. J. J. Sauer, A.
Nicholson, D. Neubauer, Age determination in asylum seekers: physicians should not be implicated.
Eur J Pediatr. Mar 2016; 175(3), 299–303 (2016).
16)International Society for Social Paediatrics Position
Statement on Migrant Child Health 2017.
Korrespondenzadresse
[email protected]
5
Standespolitik
Vol. 28 Nr. 2 2017
Die Kinder- und Jugendmedizin
von Morgen – ein Ausblick
Barbara Wildhaber1, Hélène Beutler2, Urs Frey3, Nicole Pellaud4, Michaël Hofer5
Die Gesundheit des Kindes und sein
Umfeld
Jedes Kind hat Anrecht auf das erreichbare
Höchstmass an Gesundheit sowie auf Inanspruchnahme von Einrichtungen zur Behandlung von Krankheiten und zur Wiederherstellung der Gesundheit (internationales Übereinkommen über die Rechte des Kindes, Artikel 24).
Wenn es mit einer Krankheit konfrontiert ist,
«darf das Kind Angst haben, weinen und getröstet werden. Das kranke Kind hat seinem
Zustand entsprechend Anrecht auf die bestmögliche Gesundheitsversorgung. Das Kind,
seine Eltern oder deren Vertreter, haben Anrecht auf eine korrekte und angepasste Information zur Krankheit des Kindes und den zu
verordnenden Behandlungen. Das kranke Kind,
welches über die körperlichen und psychologischen Möglichkeiten verfügt, soll weiterhin an
schulischen, spielerischen, kulturellen oder
sportlichen Aktivitäten teilnehmen, muss flexible Bindungsstrukturen zwischen Familie,
Schule und Jugendbewegungen genies­sen
können». Diese Sätze entstammen der «Charta
für Kinder im Krankenhaus» (EACH: www.
each-for-sick-children.org), einer europäischen Verbandsinitiative, welche 1988 in Leiden durch verschiedene europäische Verbände
anlässlich der ersten europäischen Konferenz
«Kind im Krankenhaus» verfasst und seither
von den meisten Einrichtungen, die Kinder
betreuen, übernommen wurde.
Integraler Bestandteil der pädiatrischen Versorgung bei allen gesundheitlichen Problemen
ist die Sorge für eine gute Entwicklung der
Kinder, gemeinsam mit allen betroffenen Partnern, Familien und Fachpersonen.
Nichtsdestotrotz sehen wir uns vor grossen
Herausforderungen, vor allem was die Forschung und deren Finanzierung, wie auch die
Gesamtbehandlung des Kindes betrifft.
Die Kinder- und Jugendmedizin im
Fokus der Forschung
Kinder und Jugendliche haben das Recht, von
den medizinischen Fortschritten, und damit
von einer qualitativ hochstehenden Kinderund Jugendmedizin zu profitieren.
In Folge der unzureichend entwickelten Forschung in der Kinder- und Jugendmedizin ist
allerdings der Zugang zu Medikamenten für
Kinder und Jugendliche viel eingeschränkter
als dies bei Erwachsenen der Fall ist.
Im Weiteren stellen sich für die Forschung in
der Pädiatrie hohe ethische und sicherheitstechnische Bedingungen. Mit der Gründung
von SwissPedNet steht den Forschern ein
professionelles Leistungsangebot zur Verfügung. Nutzung und Entwicklung dieser Plattform müssen unbedingt gefördert werden.
Die Kinder- und Jugendmedizin und
ihre Finanzierung
Die Entwicklung der letzten Jahre deutet darauf hin, dass die Finanzierung der Gesundheitsversorgung von Kindern und Jugendlichen in Zukunft nicht sichergestellt ist. Die
Vielzahl von seltenen und komplexen Krankheiten bedingen grosse Investitionen an Zeit,
Energie und Zusammenarbeit. Diesen Aspekten wird durch die Tarifsysteme (TARMED,
DRG) zu wenig Rechnung getragen; eine Reform, basierend auf einer ganzheitlichen und
detaillierten Analyse ist erforderlich.
Wir wollen weiterhin die Versorgungsqualität
sicherstellen, ungeachtet der in unseren Institutionen verbreiteten Gesetze der Wirtschaftlichkeit.
Politiker und das medizinische Fachpersonal
sehen sich vor die ethische Herausforderung
gestellt, das Gleichgewicht zwischen hochstehender Versorgungsqualität und der ausgewogener Ressourcenverteilung zu fördern und zu
wahren.
Wir müssen die pädiatrische Versorgung individuell und gemeinschaftlich gestalten, die
adaptierte Einzelbetreuung des Kindes dabei
sicherstellen, und das, indem den Standards
Rechnung getragen wird.
Diese doppelte Einschränkung ist der Kern der
Herausforderung, welcher sich die heutige
Medizin stellen muss, wie dies auch die Schweizerische Akademie der medizinischen Wissenschaften (SAMW) in den letzten Veröffentlichungen gezeigt hat (http://www.samw.ch/
de/Aktuell/News.html). Die adäquate Versorgung von Kindern und Jugendlichen steht auf
dem Spiel: Sie muss trotz ökonomischen Bedenken weiterhin sichergestellt werden.
Unumgängliche Folgerungen
Die fPmh
Wir müssen uns für eine vermehrte und zielgerichtete Analyse der Gesamtsituation der
Versorgung und Betreuung der Kinder und
Jugendlichen mit gesundheitlichen Problemen
einsetzen. Wir müssen uns dabei auf die Prophylaxe und die Früherkennung der Erkrankungen der Kinder und Jugendlichen konzentrieren, insbesondere die normale Entwicklung
unterstützen und favorisieren, und somit
chronische Krankheiten im Erwachsenenalter
zu verhindern.
2006 haben sich die schweizerischen medizinischen Fachgesellschaften für Kinder und
Jugendliche: die Schweizerische Gesellschaft
für Pädiatrie (SGP), die Schweizerische Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie
und -Psychotherapie (SGKJPP) und die
Schweizerische Gesellschaft für Kinderchirurgie (SGKC) zusammengesetzt, um die foederatio Paedo medicorum helveticorum (fPmh),
oder Ärztliche Union für Kinder und Jugendliche zu gründen. Dieser Dachverband setzt
sich für die medizinische Betreuung der pädiatrischen Bevölkerungsgruppe ein. Das
Hauptziel ist die Sicherstellung einer medizinisch angemessenen Versorgung, die auf die
Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen
zugeschnitten ist.
Die fPmh setzt sich ein für:
1.Den klinischen Fortschritt, die Nachwuchsförderung und die Forschung für eine gesamtheitliche Gesundheitsbetreuung der
Kinder und Jugendlichen, welche deren
Entwicklung und Umfeld einbezieht.
2.Eine langfristige ökonomische und soziologische Analyse der aktuellen Situation der
Kinder- und Jugendmedizin (Umfragen innerhalb der Schweizer Bevölkerung, Kartographie der Schweizer Bedürfnisse).
3.Eine Analyse der Umweltveränderungen
(psychosozial, ernährungstechnisch, physikalisch-chemisch, multikulturell) und deren
Einfluss auf die langfristige Gesundheit der
Kinder und Jugendlichen.
Schweizerische Gesellschaft für Kinderchirurgie (SGKC), Genf-Lausanne, 2Schweizerische Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie und –Psychotherapie (SGKJPP), Neuenburg
Kollegium der Chefärzte der Kinderklinken A, Basel, 4Schweizerische Gesellschaft für Pädiatrie (SGP), Genf, 5Ärztliche Union für Kinder und Jugendliche (fPmh: Foederatio Paedo
medicorum helveticorum), Lausanne-Genf
1
3
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Standespolitik
Vol. 28 Nr. 2 2017
4.Eine Analyse der Interaktion zwischen Kinder- und Erwachsenenmedizin («Transition»).
5.Die Förderung der Forschung, mit hohen
Qualitätsanforderungen auf wissenschaftlicher und ethischer Ebene (SwissPedNet:
www.swisspednet.ch).
6.Die Information der Öffentlichkeit, für den
Erhalt der notwendigen Mittel zu Gunsten
der Kinder- und Jugendmedizin, damit eine
optimale Versorgung der Kinder und Jugendlichen auch in Zukunft sichergestellt
werden kann.
Aus dieser Analyse wird eine Definition und
Ausrichtung der Kinder- und Jugendmedizin
im Hinblick auf die Sicherstellung der Versorgungsqualität auch in Zukunft abgeleitet
werden können. So wird es auch möglich sein,
eine Vision der Kinder- und Jugendmedizin zu
entwickeln.
Eines Tages werden unsere Kinder Erwachsene und Mitbürger sein: Sie werden dann die
Gesellschaftssolidarität verantworten. Die
Dauerhaftigkeit der Investitionen in die Gesundheit der Kinder und Jugendlichen liegt auf
der Hand und wird zu einer besseren Kostenkontrolle in der Medizin der Zukunft führen.
Korrespondenzadresse
[email protected]
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Standespolitik
Vol. 28 Nr. 2 2017
Echo aus dem Vorstand
Nicole Pellaud, SGP-Präsidentin
Übersetzung: Rudolf Schlaepfer, La Chaux-de-Fonds
Der Nukleus, bestehend aus C. Aebi, P. Jenny,
G.-P. Ramelli und N. Pellaud, trat am 2. März
2017 zusammen, der Vorstand am 30. März
2017.
Beschlüsse
– Annahme des internen Reglements für die
Arbeits-, Interessengruppen und Kommissionen der SGP
– Mandat an die Interessengruppe integrative
Pädiatrie
– Vereinigung in eine einzige Gruppe von Arbeitsgruppe und Zertifikationskommission
Adipositas
– Vorgehen der SGP betreffend ambulanter
Spitaltarif
– Um unserem diesbezüglichen Engagement
nachzukommen, wird eine Ausbildung
«Qualitätskonzept» für einen Kinderarzt
vorgeschlagen: Kandidaten sind gebeten,
sich beim Sekretariat zu melden
– Erneute Bemühungen, off-label-Medikamente in der Pädiatrie nicht als experimentelle Therapien einzustufen, wie in der
Stellungnahme der Kantonsapotheker zum
Ausdruck gebracht
– Annahme der Statuten von SwissPedDose,
der sich die SGP angeschlossen hat
– Gemeinsames Vorstellen von SGP, MFE,
KHM, SGAIM und KIS an verschiedenen
Veranstaltungen für Ärzte
– Finanzielle Unterstützung von jährlich CHF
20‘000 an Infovac
– Annahme der aktualisierten Statuten; von
der Generalversammlung 2017 zu bestätigen
– Annahme der Mitgliederbeiträge; von der
Jahresversammlung 2017 zu bestätigen
– Annahme der Jahresabrechnung 2016 und
des Budgets 2018; werden der Jahresversammlung 2017 unterbreitet.
Ernennungen
Immer mehr Kinderärzte werden angefragt,
sich für die SGP einzusetzen. Die Mitglieder
die auf unsere Aufrufe positiv geantwortet
haben, seien hier ganz herzlich verdankt:
– Ernährungskommission SGP: Laetitia Marie
Petit ersetzt Dominique Belli, dem hier
ebenfalls unser Dank ausgesprochen sei.
– Koordination der Weiterbildung, Schweizerisches Gesundheitsobservatorium: Christoph Aebi, Oskar Jenni, Christoph Rudin
– Koordinationsplattform der Nationalen
Strategie Antibiotikaresistenzen (StAR):
Christoph Berger
– Kommission zur Anerkennung von Intermediate Care der Schweizerischen Gesellschaft für Intensivmedizin, neue Mitglieder
an der Seite von Juan Llor: Gregor Kaczala,
Patrick Haberstich, Matteo Fontana, Julia
Natterer, Jürg Hammer
– Public Health Schweiz, Gruppe Kinder und
Jugendliche: Susanne Stronski und Fabienne Jäger
– Organisationskomitee des Internationalen
Kongresses Schmerzen im Kindesalter
2019: Camilla Ceppi, Matthias Nelle
– Comité National du Don d’Organes: Marc
Pfluger
– Integrationsdialog der Tripartiten Agglomerationskonferenz: Sabine Heiniger
– Kandidaten zur Nachfolge im SGP-Vorstand, werden der Jahresversammlung
2017 zur Wahl vorgestellt: Roger Lauener,
Traudel Sauermann, Catherine Jorgensen,
Bettina Henzi
– Ernennung von Ehrenmitgliedern der SGP
– Nominierung des Guido Fanconi Preisträgers (Preisübergabe anlässlich der Jahresversammlung 2017)
Informationen
– Die Checklists Vorbeugung werden eingetragenes Warenzeichen; auf der Webseite
verfügbar
– Trotz zahlreichen Vorstössen wird Ceftibuten nicht ersetzt
– Veröffentlichung der SGP-Stellungnahme
zur Altersbestimmung junger Migranten
– Die Zusammenarbeit mit dem BAG im Nationalen Komitee zur Ausrottung von Masern
wird fortgesetzt
8
– Forschungspreis des Kollegiums für Hausarztmedizin: Die Kinderärzte sind aufgerufen, Ihre Projekte zu unterbreiten
– Geplante Zusammenarbeit mit Pro Juventute zum Benutzen von Bildschirmen in Gegenwart von Säuglingen
Korrespondenzadresse
[email protected]
Empfehlungen
Vol. 28 Nr. 2 2017
Neonatale Erstversorgung –
interdisziplinäre Empfehlungen
Leiter der Institution schriftlich festzulegen.
Die direkt Beteiligten sind einzubeziehen und
für die Umsetzung ihres Anteils und für die
Kommunikation im eigenen Bereich zuständig.
gynécologie suisse (SGGG)
Schweizerische Gesellschaft für Neonatologie (SGN)
Schweizerische Gesellschaft für Pädiatrie (SGP)
Schweizerische Gesellschaft für Anästhesiologie und Reanimation (SGAR)
Schweizerischer Hebammenverband (SHV)
Swiss Association of Obstetric Anaesthesia (SAOA)
Mitglieder der multidisziplinären Arbeitsgruppe: Thierry Girarda, Christof Heimb,
René Hornungc, Irene Höslid, Sebastian Krayere, Marc-Alain Panchardf, Riccardo Pfisterg,
Gabriel Schärh, Sabrina Schipanii
Vorbemerkungen:
Weibliche und männliche Formen werden bewusst abwechslungsweise verwendet. Geburtshilfe soll immer als Team verstanden
werden (Hebamme und Ärztin). Die deutsche
Fassung ist die Stammversion. Übersetzung:
Dr. Catherine Chevalley, Fachärztin Anästhesiologie. Korrekturlesung: PD Dr. med. Thomas
Brack, Facharzt Allgemeine Innere Medizin,
Pneumologie und Intensivmedizin
Einleitung
Werdende Eltern setzen sich meist intensiv
mit der bevorstehenden Geburt auseinander,
sie besuchen Informationsveranstaltungen
und vergleichen verschiedene Geburtsorte
miteinander. Ihre Wünsche und Ansprüche
sind individuell unterschiedlich. Häufig erwähnt werden bei Befragungen eine kontinuierliche 1:1-Betreuung durch die Hebamme,
grösstmögliche Sicherheit für Mutter und
Kind, aber auch wenig Interventionen und der
Wunsch, die Geburt möglichst unversehrt
überstehen zu können. Ebenfalls wünschen
sich Frauen, umfassend informiert, respektiert und in Entscheidungsprozesse einbezogen zu werden.
Demographische Veränderungen (Schwangere
mit somatischen Vorerkrankungen, Schwangere nach Fertilitätsbehandlungen, Mehrlingsschwangerschaften, steigendes Alter der Mütter) haben zur Folge, dass geburtshilfliche
Abteilungen mit neuen Herausforderungen
konfrontiert werden. Eine gut abgestimmte interdisziplinäre und professionelle Zusammen-
arbeit ist Voraussetzung, um die Sicherheit der
werdenden Mütter und Neugeborenen zu gewährleisten und die Erwartungen der werdenden Eltern zu erfüllen. Schwangere mit einem
hohen Risikoprofil für Mutter u./o. Kind sollen
rechtzeitig identifiziert und in ein Zentrum für
Perinatalmedizin eingewiesen bzw. verlegt werden. Geburtshilfliche Abteilungen sind im Sinne
einer prophylaktischen Strategie gefordert,
Strukturen zu klären, Prozesse zu definieren
und klare Verantwortlichkeiten zu benennen.
Die vorliegenden Empfehlungen richten sich
an die geburtshilflichen Institutionen der
Schweiz sowie im Einzelnen an Geburtshelfer,
Hebammen, Neonatologen, Pädiater, Anästhesisten und Pflegefachpersonen. Von diesen
Empfehlungen kann bei fundierter klinischer
Begründung situativ abgewichen werden.
1. Organisation
1.1 Verantwortlichkeiten
In der Peripartalphase liegt die organisatorische Gesamtverantwortung für Mutter und
Kind bei der Leitung der geburtshilflichen
Ins­titution. Fachspezifische Strukturen und
Prozesse rund um die Geburt werden vom
Leiter der Institution an die mitbeteiligten
Berufsgruppen, insbesondere an Hebammen,
Pädiater/Neonatologen, Anästhesisten und
weitere spezialisierte Pflegende und Ärzte
delegiert. Diese arbeiten interdisziplinär und
interprofessionell zusammen und handeln in
ihrem Fachbereich eigenverantwortlich.
Die notwendigen interdisziplinären Strukturen, Prozesse und Zuständigkeiten sind vom
1.2 Betreuung von Mutter und Kind
Eine sichere Betreuung von Mutter und Kind
setzt die gleichzeitige situationsgerechte Betreuungsbereitschaft für Mutter und Kind
(oder mehrerer Kinder bei Mehrlingsschwangerschaften) voraus. Beim Neugeborenen
sprechen wir von der neonatalen Erstversorgung; dazu gehören die Überwachung und
Versorgung des sich normal adaptierenden
Neugeborenen sowie des Neugeborenen mit
Adaptationsstörungen bis zur neonatalen
Reanimation1) .
Die primäre Adaptation des Neugeborenen in
den ersten Lebensminuten birgt Risiken. So
muss für die ersten 15-30 postnatalen Minuten eine in neonataler Erstversorgung qualifizierte Fachperson (bzw. mehrere Fachpersonen bei Mehrlingsschwangerschaften)
prioritär für das Neugeborene zur Verfügung
stehen.
Als qualifizierte und speziell geschulte Fachpersonen für die neonatale Erstversorgung
sind primär Hebammen und Geburtshelfer
zuständig. In geburtshilflichen Abteilungen
ohne integrierte Neonatologie müssen neben
den situativ beigezogenen Neonatologen auch
die Pädiater und Anästhesisten in der neonatalen Erstversorgung entsprechend qualifiziert sein.
Bei präpartal bekannten neonatalen Risiken
muss die Entbindung an einer Institution
stattfinden, welche für deren Versorgung
eingerichtet ist (Tabelle 3, Kapitel 3.2) 1) .
Bei bekanntem direktem oder indirekt durch
die Geburt bedingtem Risiko des Neugeborenen muss der Neonatologe/Pädiater rechtzeitig informiert und bei Bedarf beigezogen
werden (Tabellen 4 und 5, Kapitel 3) 2) .
Bei einer operativen Entbindung kann die
Anästhesistin, die zeitgleich die Mutter im OP
betreut, nicht grundsätzlich für die neonatale
Erstversorgung und/oder Reanimation verpflichtet werden. Hingegen steht der Anästhesist bei Bedarf den Hebammen und Geburtshelfern unterstützend zur Verfügung, solange
dadurch die Versorgung der Mutter nicht beeinträchtigt wird.
Präsident SAOA, Basel, bGeneralsekretär SGAR, Bern/Chur, cPast Präsident Chefärztekonferenz gynécologie suisse, St. Gallen, dgynécologie suisse, Basel, eVorstandsmitglied SGAR,
Zürich, f Vorstandsmitglied SGP, Vevey, gSGN, Genève, hPast Präsident gynécologie suisse, Aarau, iZentralvorstandsmitglied SHV, Uster
1
Die Qualifikation in neonataler Erstversorgung und Reanimation sollen die betroffenen Berufsgruppen (Hebamnmnen, Geburtshelfer sowie Neonatologen, Pädiater und Anästhesisten) mit Besuch eines spezifischen Kurses (z. B. «start4Neo-Reanimationskurs» der Schweizerischen Gesellschaft für Neonatologie) erreichen und aufrechterhalten.
a
9
Empfehlungen
2. Rahmenbedingungen
Die beteiligten Disziplinen definieren mit
diesen Empfehlungen die Rahmenbedingungen für eine optimale Betreuung. Die Risikobeurteilung einer Geburt erfolgt sowohl fachspezifisch als auch interdisziplinär.
Die Fachgesellschaften haben in Tabellenform
die Kriterien aufgelistet, die gezielt zu prophylaktischen Massnahmen führen und durch
fein abgestimmte interdisziplinäre Zusammenarbeit das Risiko in der Geburtshilfe minimieren. Kenntnis und Befolgung der fachspezifischen Prioritäten ermöglichen
reibungslose Prozessabläufe.
3. Fachspezifische Empfehlungen
3.1 Geburtshilfe
Die Früherkennung einer potentiellen Risikogeburt ist wichtig. Dabei kann es sich um eine
Risikosituation für das Neugeborene und/
oder für die Schwangere handeln. Die Erkennung einer Risikosituation sollte Überlegungen zur Geburt und zum Geburtsort auslösen.
Der rechtzeitige Zuzug von Neonatologen,
Pädiatern, Anästhesisten und ev. anderen
Fachspezialisten anhand der fachspezifischen
Checklisten soll geplant werden. Ebenso ist
eine rechtzeitige, d. h. geordnete Verlegung
der Schwangeren mit potentiellen Risiken in
ein Zentrum1) wichtig.
Die Definition der Dringlichkeit einer Sectio
bei Termingeburten mit niedrigem Risiko und
deren Abläufe sollen institutionell schriftlich
festgelegt sowie regelmässig geübt werden.
Die Tabellen 1 und 2 zeigen Indikationen und
Anforderungen, die Abbildung 1 einen Muster­
ablauf einer Notfallsectio auf. Die darin enthaltenen Aussagen basieren auf Empfehlungen
verschiedener internationaler Fach­gesell­
schaften 2)-4) .
Vol. 28 Nr. 2 2017
3.2 Neonatologie
Die Vorgaben zur Betreuung und Erstversorgung des Neugeborenen sind in den Empfehlungen der Schweizerischen Gesellschaft für
Neonatologie unter Mitarbeit der Schweizerischen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe nachzulesen1), 6), 7) . Geregelt sind
dort auch die Indikationen für die präpartale
Verlegung der schwangeren Frau in ein Zentrum für Perinatalmedizin, welche in Tabelle 3
zusammengefasst sind.
Die perinatologischen Zentrumskliniken (Geburtenabteilungen mit angeschlossener Neonatologie) sind via «Neonet» vernetzt und
kennen die freien Intensivplätze der Schweiz6).
Sie sind gemeinsam dafür verantwortlich, die
perinatale Versorgung der Schweiz so zu organisieren und zu unterstützen, dass prä- und
postpartale Versorgung und Verlegung in die
Zentrumsklinik sichergestellt sind.
Bei mütterlichen, respektive fetalen Risiken
oder wenn eine intensivmedizinische Behandlung des Kindes wahrscheinlich erscheint, soll
frühzeitig vor der Geburt eine Beurteilung
unter Einbezug des Neonatologen/Pädiaters
erfolgen (Tabelle 4).
3.3 Anästhesiologie
1. Bei mütterlichen respektive fetalen Risiken,
welche anästhesiologische Massnahmen
erfordern oder erschweren können, soll die
Schwangere frühzeitig vor der Geburt durch
den Anästhesisten beurteilt werden (Tabelle 6).
2. Beim Eintritt zur Geburt einer Schwangeren
mit entsprechenden Risiken muss der Anästhesist zusätzlich informiert und beigezogen werden.
4. Schlussbemerkungen
Diese Empfehlungen sollen helfen, in den
geburtshilflichen Institutionen eine entsprechende Organisation sicherzustellen und Verlegungsentscheide zu treffen, wenn bei bestehendem Risiko eine adäquate Betreuung nicht
garantiert werden kann.
Die Arbeitsgruppe empfiehlt den perinatalen
Institutionen mittels interprofessioneller/interdisziplinärer Nachbesprechungen kritische
oder nicht erfolgte Verlegungsentscheide zu
analysieren, um die konstante Einhaltung der
Rahmenbedingungen zu überprüfen und Prozessabläufe zu optimieren.
Diese Empfehlungen orientieren sich an internationalen Standards und Empfehlungen. Sie
definieren die Anforderungen für eine sichere
und qualitativ hochstehende peripartale Betreuung von Mutter und Kind. Delegierte der
beteiligten Fachgesellschaften haben dieses
Dokument in 11 Sitzungen und 25 Textversionen erarbeitet. Alle Vorstände dieser Fachgesellschaften haben es genehmigt.
Ein Update des im März 2016 fertiggestellten
Dokuments ist für Januar 2019 vorgesehen.
Verantwortlich sind die involvierten Verbände
unter Leitung der gynécologie suisse.
Referenzen
1) Paediatrica 23; Nr. 1, 2012;13-23; Die Betreuung
und Reanimation des Neugeborenen.
2) Guideline Sectio Caesarea der gynécologie suisse;
Hösli I, El-Alama- Stucki S, Drack, G et al. 2015
www.sggg.ch/fachthemen/guidelines/.
3) Minimalanforderungen für die Durchführung einer
Notfallsectio - Empfehlungen der gynécologie suisse sggg; www.sggg.ch/news/detail/1/minimalanforderungen-fuer-die-durchfuehrung-einernotfallsectio/.
Grad
Begriff
Definition
Entscheid - Entbindungszeit
1
Notfall (= Blitzsectio
oder Notsectio)
Lebensbedrohlicher Notfall, für Mutter/Kind
(z. B. schwere Bradykarie, Uterusruptur)
So schnell wie möglich
2
Dringend
Maternale oder fetale Beeinträchtigung,
die nicht direkt lebensbedrohlich ist
(z. B. Geburtsstillstand mit maternaler
oder fetaler Beeinträchtigung)
Innerhalb 60 Minuten
3
Ungeplant, nicht dringlich
(Sectio «ohne Eile»)
Keine Beeinträchtigung von Mutter/Kind,
aber Sectioindikation gegeben (z. B.
Geburtsstillstand ohne maternale oder
fetale Beeinträchtigung)
Nach Absprache, bei Geburtsstillstand in der Regel innerhalb
2 Stunden
4
Geplant
Geplanter Eingriff
Spätestens am Vortag im
OP-Programm eingeplant
Tabelle 1: Vier Stufen der Dringlichkeit zur Durchführung eines Kaiserschnitts [2]
10
Empfehlungen
Vol. 28 Nr. 2 2017
4) American College of Obstetricians and Gynecologists and the Society for Maternal-Fetal Medicine
with the assistance of, Menard MK, Kilpatrick S,
Saade G, Hollier LM, Joseph GF, Jr., Barfield W,
Callaghan W, Jennings J, Conry J. Levels of maternal
care. Am J Obstet Gynecol 2015; 212:259-71.
940
5) Zimmermann et al. Handbuch Geburtshilfe 2012.
6) www.neonet.ch.
7) Swiss Society of Neonatology. Standards for Levels
of Neonatal Care in Switzerland. 5.12.2012. http://
www.neonet.ch/en/about-us/neonatology-unitsswitzerland/.
Entscheid zur
Notfallsectio
Sammelalarm
Anästhesie
Operateur
Instrumentierpflege
Hebamme
*Neonatologe/
Pädiater
Vorbereitung
zur Anästhesie
steriles
Einkleiden
Sectiosieb
Tücher zählen
Transport in
OP
ggf. Information
Kaderarzt
Umlagerung auf OP Tisch
Time out: Bestätigung der Notfallsituation, resp. Entwarnung
Anästhesie
Desinfektion
ggf. Blasenkatheter, Rasur
Abdecken
Vorbereitung Kinder-Rea
Schnitt
* In geburtshilflichen Institutionen mit angeschlossener Neonatologie wird beim Sammelalarm ein Neonatologe/Pädiater beigezogen. In Institutionen ohne Pädiatrie/Neonatologie
Abbildung 1: Musterraster für Strukturen und Abläufe bei Notfallsectio. Modifiziert nach [5].
eine in neonataler Erstversorung qualifizierte Person.
* In geburtshilflichen Institutionen mit angeschlossener Neonatologie wird beim Sammelalarm ein Neonatologe/Pädiater
Abbildung 1: Musterraster für Strukturen und Abläufe bei Notfallsectio. Modifiziert nach Zimmermann et al. Handbuch Geburtshillfen 20125)
beigezogen. In Institutionen ohne Pädiatrie/Neonatologie eine in neonataler Erstversorgung qualifizierte Person.
11
Empfehlungen
Vol. 28 Nr. 2 2017
Das Auftreten erster Anzeichen einer akuten fetalen Gefährdung bis zur fetalen Schädigung ist ein kontinuierlicher
Prozess, was die Definition eines für Mutter und Kind sicheren Zeitintervalls zwischen Alarmierung und Entbindung
verunmöglicht. Bei Schwangerschaften mit niedrigem Risikoprofil dürfen bei Auftreten einer akuten fetalen Gefährdung von der Alarmierung des Arztes für Geburtshilfe mit
Facharzttitel bis zur Entbindung des Kindes 30 Minuten
nicht überschritten werden.
Bei Risikoschwangerschaften oder Geburten mit Warnzeichen müssen substanziell kürzere Alarmierungs-Entbindungszeiten erreicht werden. Schwangerschaften mit hohem Risikoprofil dürfen nur in Kliniken mit entsprechender
personeller und infrastruktureller Ausstattung betreut
werden.
Notfallabläufe sollen in jeder Klinik definiert und regelmäs­
sig eingeübt werden.
Tabelle 2: Minimalanforderungen für die Durchführung
einer Notfallsectio gemäss Empfehlungen der gynécologie
suisse SGGG 3)
Kindliche
Faktoren
Kindliche Faktoren
Frühgeburtlichkeit < 34 Wochen und / oder geschätztes fetales Gewicht < 2000 g
Höhergradige Mehrlinge
Relevante fetale Fehlbildungen und genetische Anomalien
Fetale Thrombopenie
Fetomaternale Infektionskrankheiten (z. B. HIV, HCV, HBV, Herpes, CMV)
Mütterliche Faktoren
Schlecht eingestellter, insulinpflichtiger Diabetes
Schwere Präeklampsie/HELLP
Placenta praevia
Kariopulmonale, renale Erkrankungen etc.
Psychosoziale Umstände, die eine spezielle Planung der postnatalen Phase des
Kindes nötig machen: Suchtmittel- und Medikamentenmissbrauch, Armut, psychiatrisches Leiden und andere
Auf Wunsch der Eltern oder des Entbindungsteams
Tabelle 4: Indikationen für eine präpartale Beratung durch den Neonatologen/
Pädiater
Absolute Indikationen
- Drohende Frühgeburt vor 32 0/7 SSW
- Voraussehbare schwere Anpassungsstörungen,
die intensivmedizinische Massnahmen erfordern
- Höhergradige Mehrlinge (Drillinge und mehr)
- Pränatal diagnostizierte,
versorgungsbedürftige Fehlbildungen
Relative Indikationen
- Intrauterine Infektion
- Hämolytische Erkrankung des Feten
- Fetale Rhythmusstörungen
- Intrauterine Mangelentwicklung (fetales Gewicht < 5. Perzentile)
- Fetus mit letalen Fehlbildungen, wenn intensivmedizinische
Massnahmen nicht als sinnvoll erachtet
Chronische oder instabile Erkrankung der Mutter (Hypertonie,
Präeklampsie, HELLP-Syndrom, Diabetes mellitus, Zustand
nach Transplantation, Autoimmunopathien usw.)
Mütterlicher Suchtmittelkonsum
Mütterliche
Faktoren
Strukturelle
Faktoren
Falls keine Neonatologie-Abteilung:
< 35 0/7 SSW oder < 2000 g
Tabelle 3: Indikationen für eine präpartale Verlegung1)
Mütterliche Faktoren
Kindliche Faktoren
Präpartales Risikomanagement
(voraussehbares Risiko)
Intra- und postpartales Risikomanagement
(nicht voraussehbares Risiko)
Hohes Risiko
Mittleres Risiko
Hohes Risiko
Mittleres Risiko
Entbindung in Klinik mit hoher
Strukturqualität
(mind. Level IIAa oder höher)
Neonatologe/Pädiater wird informiert und
ist abrufbarb
Information und ggfs.
Zuziehen des Neonatologen/
Pädiaters
Ggfs. Information und
Zuziehen des Neonatologen/Pädiaters
– Frühgeburten (< 34 0/7 SSW)
– Unmittelbar versorgungsbedürftige
fetale Fehlbildungen
– Wachstumsretardierung
< 5. Perzentile
– Geschätztes Gewicht < 2000 g
– Höhergradige Mehrlinge
– Rhesus- und ThrombozytenIsoimmunisierung
– Feto-maternale Infektionserkrankungen gemäss
pädiatrischer Beurteilung
– Voraussehbare schwere Adaptationsstörungen, die intensivmedizinische Massnahmen erfordern
– Vaginale Geburt aus BEL
– Vaginale Geburt Zwillinge
– Placenta praevia Kaiserschnitt < 37 0/7
– Fetales Infektionsrisiko
(Chorioamnionitis, mütterliches Fieber)
– Fetale Nierenbeckendilatation
– Fetale Arrhythmien
– St. n. plötzlichem Kindstod
– St. n. Schulterdystokie
– Nabelschnurvorfall
– Persistierende
Adaptationsstörung
(tiefer 5‘-APGAR
< 6, pH < 7,10,
persistierendes ANS1),
Sauerstoffbedarf und/oder
Zyanose, inadäquate
Herzfrequenz, Hypo-/
Hyperthermie)
– Notfallsectio
– Vakuum/Forceps
– Oligo-/Polyhydramnion
– Drohende fetale
Asphyxie (mekoniumhaltiges Fruchtwasser,
pathologisches CTG)
– Unerwartete
Fehlbildung
– Toxikomanie
– Schlecht eingestellter insulinpflichtiger Diabetes mellitus (z. B. fetale
Makrosomie, vor 35 0/7 SSW,
zusätzliche maternale Vaskulopathie)
– Mütterliche medikamentöse Therapie mit
potentieller, die Adaptation des Kindes störender
Nebenwirkung
– auffällige Familienanamnese, die eine präund postnatale Beratung durch Neonatologen/
Pädiater notwendig macht
– Gut eingestellter insulinabhängiger Diabetes Typ 1
– Schwere Präeklampsie /
HELLP
– Schwere prä-/intrapartale
Blutung
www.neonet.ch; Standards for level of neonatal care in Switzerland 2012
Die Indikation für Information und Zuzug eines Neonatologen/Pädiaters soll vorausschauend gestellt werden und lässt sich aufgrund der obigen Liste abschätzen.
a
b
Tabelle 5: Risikoadaptierter Einsatz des Pädiaters/Neonatologen bei Geburt und Sectio caesarea
12
Empfehlungen
Vol. 28 Nr. 2 2017
Anästhesie
– Probleme bei früheren Anästhesien
– Maligne Hyperthermie
– Pseudocholinesterase-Mangel
– Poly-Allergien (Medikamente, Latex)
Mütterliche Systemerkrankungen
(mit relevanten Symptomen und Therapien)
– Pulmonale Erkrankung
– Kardiovaskuläre Erkrankung
– Gefässmissbildungen
– Gerinnungsstörung (inkl. Medikation mit niedermolekularem
Heparin)
– Neuromuskuläre Erkrankung
– Psychiatrische Erkrankung
– Ablehnung von Blutprodukten (z. B. Zeugin Jehovas)
Mütterliche Anatomie
– Pathologie der Wirbelsäule und des Beckens
– Krankheiten des Zentralnervensystems
– Kraniofaziale Abnormalität
– Adipositas Grad _>III (ab ca. BMI < 40)
Schwangerschaftsrisiken
– Plazentationsstörungen (praevia, accreta, increta, percreta)
– Fetale Fehlbildungen
– Präeklampsie
– Mehrlinge
Tabelle 6: Checkliste zur präpartalen Anästhesievorstellung
Korrespondenzadressen
Prof. Dr. med. Gabriel Schär
Chefarzt Frauenklinik
Kantonsspital 5001 Aarau
[email protected]
Tel: 062 838 50 72
Fax: 062 838 50 91
gynécologie suisse SGGG
Altenbergstrasse 29
Postfach 686
3000 Bern 8
Tel.: 031 313 88 55
Fax: 031 313 88 99
www.sggg.ch
[email protected]
Schweizerische Gesellschaft für Neonatologie
(SGN)
c/o meeting.com Sàrl
Rue des Pâquis 1
1033 Cheseaux-sur-Lausanne
Tel: 021 312 92 61
Fax: 021 312 92 63
www.neonet.ch
[email protected]
Société Suisse de Pédiatrie (SSP – SGP)
Rue de l’Hôpital 15
Case postale 1380
1701 Fribourg
Tél. 026 350 33 44
Fax 026 350 33 03
www.swiss-paediatrics.org
[email protected]
Schweizerischer Hebammenverband (SHV)
Geschäftsstelle
Rosenweg 25 C
Postfach
3000 Bern
Tel: 031 332 6340
Fax: 031 332 7619
www.hebamme.ch
[email protected]
Schweizerische Gesellschaft für Anästhesiologie und Reanimation (SGAR-SSAR)
Rappentalstrasse 83
3013 Bern
Tel: 031 332 34 33
Fax: 031 332 98 79
www.sgar-ssar.ch
[email protected]
Swiss Association of Obstetric Anaesthesia
(SAOA)
Rappentalstrasse 83
3013 Bern
Tel: 031 332 34 33
Fax: 031 332 98 79
www.sgar-ssar.ch/interessengruppen/saoa/
13
Empfehlungen
Vol. 28 Nr. 2 2017
Konsensus Statement zur Prävention von
Respiratory Syncytial Virus (RSV)-Infektionen mit dem humanisierten monoklonalen Antikörper Palivizumab (Synagis®)
Update 2016
P. Agyemana, C. Barazzoneb, J. Hammerb, U. Heiningera, D. Nadala, J.-P. Pfammatterc,
K.M. Posfay-Barbea, R.E. Pfisterd
Was ist neu?
Gegenüber den 19991) , 20022) und 200421)
formulierten Empfehlungen beinhaltet die
vorliegende Revision zusätzliche Stellungnahmen zu Säuglingen, welche im Neugeborenenscreening mit Cystischer Fibrose diagnostiziert wurden und für Säuglinge mit spinaler
Muskelatrophie.
Einleitung
Konsensusempfehlungen für die Verabreichung von Palivizumab in der Schweiz wurden
erstmals 1999 formuliert1). Eine erste Überarbeitung erfolgte im Jahr 20022). Die von Swissmedic im Jahr 2004 genehmigte Indikationserweiterung für Kinder mit hämodynamisch
signifikantem kongenitalem Herzvitium erforderte eine erneute Überarbeitung 200421) .
Entscheidungsgrundlagen lieferten damals
eine in Nordamerika und Europa durchgeführte randomisierte, placebo-kontrollierte Studie
über die Anwendung von Palivizumab bei
Kindern mit hämodynamisch signifikanten
kongenitalen Herzvitien3) sowie eine Studie
zur Inzidenz von RSV-Hospitalisationen bei
Kindern mit hämodynamisch signifikanten
kongenitalen Herzvitien in der Schweiz4) .
Seit dem letzten Konsensusstatement im Jahr
2004 sind einige klinische Studien zu RSV und
zur Anwendung von Palivizumab erschienen.
Nach sorgfältiger Durchsicht dieser Arbeiten
sehen wir keine Notwendigkeit für eine relevante Adaptation unseres bisherigen Konsensus. Hingegen wollen wir auf die 2014 von der
American Academy of Pediatrics aktualisierten Richtlinien für Palivizumab-Prophylaxe bei
Säuglingen und Kleinkindern mit erhöhtem
Risiko für Hospitalisation bei RSV-Infektion
hinweisen22) . In diesen revidierten Richtlinien
wird auf vier für die Schweiz relevante Patientengruppen Bezug genommen: Kinder mit
anatomischen Lungenfehlbildungen oder neu-
romuskulären Erkrankungen, Kinder mit Immundefekt, Kinder mit Down-Syndrom und
Kinder mit Cystischer Fibrose. Zu keiner dieser Patientengruppen gibt es populationsbasierte Daten zum Risiko einer Hospitalisation
wegen RSV-Infektion und auch keine Daten
zur prophylaktischen Wirksamkeit von Palivizumab.
Eine Konsensuskonferenz in Italien zog die
gleichen Schlussfolgerungen23) .
RSV-Infektion und Palivizumab
Die RSV-Bronchiolitis ist die häufigste untere
Atemwegsinfektion des Säuglings und führt
bei 1–2% der jährlichen Geburtskohorte zur
Hospitalisation infolge respiratorischer Insuffizienz und/oder ungenügender Flüssigkeitsaufnahme. Etablierte Risikofaktoren für eine
RSV-bedingte Hospitalisation sind junges
chronologisches Alter, Frühgeburtlichkeit,
bronchopulmonale Dysplasie (BPD) und kongenitale Herzvitien. RSV verursacht jährliche
Winterepidemien. In der Schweiz alternieren
früh beginnende, hoch frequente Epidemien
und spät beginnende, milde Epidemien5) .
Neben allgemeinen Massnahmen zur Expositionsprophylaxe besteht die derzeit einzige
Präventionsmöglichkeit für Risikopatienten in
der passiven Immunisierung mit Palivizumab
(Synagis®), einem neutralisierenden monoklonalen Anti-RSV-Antikörper. Palivizumab
wird während der RSV-Saison in monatlichen
Abständen in einer Dosis von 15 mg/kg Körpergewicht intramuskulär verabreicht. In einer randomisierten, placebo-kontrollierten
Studie (IMPACT-Studie) wurde nachgewiesen,
dass Palivizumab bei ehemaligen Frühgeborenen ≤ 35 SSW die Hospitalisationsrate signifikant von 10.6% auf 4.8% senkt (relative Reduktion 55%) 6) . In der Subgruppe mit BPD
verringerte Palivizumab die Hospitalisationsrate in nicht signifikanter Weise von 12.8% auf
7.9% (relative Reduktion 39%). Die Letalität
wurde nicht beeinflusst. Unkontrollierte Studien mit unterschiedlichen Einschlusskriterien ergaben bei Palivizumabbehandelten Patienten Hospitalisationsraten zwischen 1.6 und
9.0%7)–14) . Palivizumab ist sicher und gut verträglich7). Eine auf Meldungen an die Food and
Drug-Administration in den USA beruhende
Studie über schwere unerwünschte Ereignisse bei Kindern unter 2 Jahren brachte Palivizumab mit 28% der Meldungen in Zusammenhang15).Eine kausale Verknüpfung konnte aber
nicht hergestellt werden16). Von einer interdisziplinären Expertengruppe wurden in den USA
Empfehlungen zur Indikation von Palivizumab
ausgearbeitet, die bereits mehrmals angepasst und aufgrund aktueller Daten im 2014
zuletzt aktualisiert wurden22). Neu wird Palivizumab für Frühgeborene deutlich restriktiver
empfohlen als in den vorhergehenden Versionen. Nationale Empfehlungen anderer Länder
variierten schon immer erheblich und bleiben
im Allgemeinen restriktiver formuliert.
In der Schweiz kam die 1999 konstituierte
interdisziplinäre Arbeitsgruppe nach sorgfältiger Analyse der verfügbaren Daten und einer
Kosten-Effektivitäts-Analyse zum Schluss,
dass die routinemässige Verabreichung von
Palivizumab gemäss IMPACT-Kriterien nicht
gerechtfertigt ist1) . Für diese Beurteilung
massgebend waren die bescheidene Wirksamkeit, die fehlende Beeinflussung der Letalität
sowie die hohen direkten Kosten von
Fr. 60 000.– bis Fr. 100 000.– zur Verhütung
einer einzigen RSV-Hospitalisation. Dennoch
verfügte das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) im Jahr 2000 in Anlehnung an die
Einschlusskriterien der IMPACT-Studie6) die
limitierte Kassenzulässigkeit von Palivizumab
(1) für ehemalige Frühgeborene mit einem
Alter von ≤ 6 Monaten zu Beginn der RSVSaison und (2) für Kinder mit vorbestehender
und bereits behandelter BPD im Alter von
≤ 12 Monaten zu Beginn der RSV Saison. Im
Jahr 2002 hat die interdisziplinäre Arbeitsgruppe Empfehlungen für die Schweiz formuliert2). Diese Empfehlung wurde 2004 revidiert
und neu formuliert. Palivizumab ist empfohlen
für Frühgeborene ≤ 31 SSW mit schwerer BPD
(gemäss Definition) bis ins Alter von 12 Monaten. Die Indikation für Frühgeborene ≤ 31
SSW mit mittelschwerer BPD soll individuell
gestellt werden, und für jene Frühgeborenen
≤ 31 SSW mit leichter BPD wurde Palivizumab
nicht empfohlen.
Interdisziplinäre Arbeitsgruppe aus Mitgliedern ader Pädiatrischen Infektiologie Gruppe der Schweiz (PIGS), bder Schweizerischen Gesellschaft für Pädiatrische Pneumologie (SGPP),
c
der Schweizerischen Gesellschaft für Kinderkardiologie (SGK) und dder Schweizerischen Gesellschaft für Neonatologie (SGN).
14
Empfehlungen
Vol. 28 Nr. 2 2017
Palivizumab für Kinder mit kongenitalem Herzvitium
In der eingangs erwähnten randomisierten,
placebo-kontrollierten Studie3) bewirkte die
Verabreichung von Palivizumab an Kinder < 24
Monaten mit kongenitalem Herzvitium eine
Reduktion des RSV-Hospitalisationsrisikos
von 9,7% auf 5,3% (relative Reduktion 45%,
95% Vertrauensintervall 23–67%). In der Subgruppenanalyse beschränkte sich eine signifikante Risikoreduktion auf Kinder < 6 Monaten
(12,2% vs. 6,0%) und solche mit nicht-zyanotischen Vitien (11,8% vs. 5,0%). Eine Reduktion
der Letalität wurde nicht nachgewiesen. Aufgrund dieser Studienresultate wurde in den
USA die Indikationsliste für Palivizumab erweitert und anhand neuerer Daten in der aktuellen Empfehlung nochmals angepasst. Kinder
mit hämodynamisch signifikantem kongenitalem Herzvitium qualifizieren dort bis ins Alter
von 12 Monaten für Palivizumab22) .
Eine populationsbasierte Studie4) aus dem
Kanton Bern, in der Hospitalisationsdaten von
1997 bis 2003 untersucht wurden, ergab für
Kinder mit kongenitalem Herzvitium nach
gleicher Definition wie oben3) ein absolutes
RSV-Hospitalisationsrisiko, das viermal kleiner war als in den USA18) . Altersabhängige
Hospitalisationsraten sind in Tabelle 1 zusammengefasst. Die so etablierten absoluten
RSV- Hospitalisationsrisiken lagen im internationalen Vergleich im Inzidenzbereich von
Gesamtpopulationen ohne Risikofaktoren. Für
die Altersgruppe von Säuglingen < 6 Monaten,
für die eine signifikante Risikoreduktion durch
Palivizumab nachgewiesen werden konnte3) ,
lag das relative Hospitalisationsrisiko für
Kinder mit kongenitalem Herzvitium lediglich
bei 1.4 (95% Vertrauensintervall 0.6–3.1). In
dieser Studie wurde für Kinder mit kongenitalem Herzvitium eine signifikant höhere Letalität dokumentiert (1/10 vs. 0/719, p=0.014).
Hierbei handelte es sich um einen einzigen
Todesfall, der nicht hätte verhindert werden
können, weil das Herzvitium erst anlässlich
der RSV-Hospitalisation diagnostiziert wurde.
Für verschiedene Altersgruppen wurde berechnet, dass zur Verhinderung einer einzigen
RSV-Hospitalisation zwischen 80 und 259
Patienten mit kongenitalem Herzvitium behandelt werden müssten4) .
Überarbeitete Empfehlungen für
die Verabreichung von Palivizumab
in der Schweiz
Aufgrund der dargelegten Daten zur Epidemiologie von RSV-Hospitalisationen bei Kindern mit Risikofaktoren und zur Wirksamkeit
bei Kindern mit kongenitalem Herzvitium
formuliert die interdisziplinäre Arbeitsgruppe
folgende Empfehlungen:
1.Die routinemässige Verabreichung von Palivizumab gemäss den bei Swissmedic registrierten oder den vom BSV als kassenpflichtig festgelegten Indikationen wird
nicht empfohlen. Entscheidend für dieses
Statement sind, dass (1) die Wirksamkeit
von Palivizumab bescheiden ist, (2) sich der
RSV-Hospitalisationsverlauf ehemaliger
Frühgeborener ohne zusätzliche Risikofaktoren in der Schweiz nicht substanziell von
Nicht-Frühgeborenen unterscheidet und (3)
die Verabreichung von Palivizumab nicht
wirtschaftlich ist.
2.Ehemalige Frühgeborene mit bronchopulmonaler Dysplasie (BPD): Säuglinge mit
BPD weisen ein substanziell erhöhtes Hospitalisationsrisiko auf. Für Kinder im chronologischen Alter < 12 Monaten zu Beginn
der RSV-Saison und schwerer BPD gemäss
internationaler Konsensusdefinition17) empfiehlt die Arbeitsgruppe deshalb die Verabreichung von Palivizumab (Tabelle 2). Für
Kinder mit mittelschwerer BPD kann Palivizumab in Erwägung gezogen werden. Die
Indikationsstellung erfolgt durch die zuständigen Neonatologen und pädiatrischen
Pneumologen. Für Kinder mit leichter BPD
wird Palivizumab nicht empfohlen.
Altersgruppe (Monate)
Hospitalisationsrate
1
<6
6–12
12-24
>24
Kinder mit
Herzvitium1
2.5 (0.8–5.6)
2.0 (0.9–3.8)
0.5 (0.1–1.8)
1.3 (0.6–2.3)
Kinder ohne
Herzvitium1
1.8 (1.6–2.0)
1.2 (1.1–1.3)
0.2
(0.16–0.23)
0.7 (0.6–0.8)
Relatives
Risiko
1.4 (0.6–3.1)
1.6 (0.8–3.2)
2.7 (0.7–9.7)
1.8 (1.0–3.3)
pro 100 Patientenjahre; 95% Vertrauensintervall in Klammern
Tabelle 1: RSV-Hospitalisationsrisiko für Kinder mit oder ohne hämodynamisch signifikantes
kongenitales Herzvitium im Kanton Bern, 1997 bis 20034)
15
3.Kinder mit hämodynamisch signifikantem
kongenitalem Herzvitium: Aufgrund der bescheidenen Wirksamkeit von Palivizumab3) ,
des geringen Hospitalisationsrisikos in der
Schweiz, das im internationalen Vergleich
in den Inzidenzbereich für Kinder ohne Risikofaktoren fällt, und der daraus folgenden
exzessiv hohen Kosten zur Verhinderung
einer RSV-Hospitalisation4) , wird die routinemässige Verabreichung an Kinder mit
kongenitalem Herzvitium nicht empfohlen.
Bei Vorliegen individueller Risikofaktoren
kann Palivizumab für Kinder im chronologischen Alter von < 12 Monaten zu Beginn der
RSV-Saison indiziert sein. Risikofaktoren
sind zyanotische Vitien, Vitien mit schwerer
pulmonaler Hypertonie und/oder klinisch
manifeste Herzinsuffizienz, sofern die chirurgische Korrektur vor Beginn der RSVSaison nicht infrage kommt19) .
Die Indikationsstellung erfolgt durch den
zuständigen Kinderkardiologen.
4.Andere Risikofaktoren: Theoretisch könnte
für Neugeborene, welche im seit 2011 eingeführten NG-Screening mit Cystischer
Fibrose diagnostiziert wurden, eine RSVProphylaxe diskutiert werden. Die grosse
klinische Variabilität (häufig geringe respiratotorische Probleme im Säuglingsalter)
und die absolut fehlenden Daten zum Nutzen der RSV-Prophylaxe bei dieser Population rechtfertigen keine generelle Indikation für die Gabe von Palivizumab. Dasselbe
gilt für Säuglinge mit spinalen Muskelatrophien oder ähnlichen Myopathien. Für Säuglinge mit anderen Risikofaktoren wie z. B.
Immundefekte, Down-Syndrom, anatomische Lungenfehlbildungen, neuromuskuläre
oder andere konsumierende Krankheiten ist
Palivizumab ebenfalls weder registriert noch
kassenzulässig. In ausgewählten Individualfällen, in denen die Verabreichung sinnvoll
erscheint, ist die Finanzierung und die OffLabel Anwendung durch den verschreibenden Arzt vorgängig zu regeln.
5.Palivizumab ist nicht indiziert und nicht
wirksam20) für die Therapie der etablierten
RSV-Infektion.
6.Generell gibt es keine Indikation für Palivizumab jenseits des 2. Lebensjahres.
7.Allgemeine Empfehlungen: Es ist wichtig,
betroffene Eltern sorgfältig darauf aufmerksam zu machen, dass Palivizumab das RSVHospitalisationsrisiko bei Kindern mit BPD
oder Herzvitium nur teilweise senkt (40–
50% niedrigeres Hospitalisationsrisiko wegen einer RSV-Infektion, 25% niedrigeres
Risiko einer Hospitalisation aufgrund einer
Empfehlungen
Vol. 28 Nr. 2 2017
Atemwegsinfektion aller Ätiologien) und
dass der Verlauf einer hospitalisationsbedürftigen RSV-Infektion trotz PalivizumabProphylaxe nicht günstig beeinflusst wird.
Ebenso sollen die Eltern darauf aufmerksam gemacht werden, dass Rauchexposition und Krippenbesuch10) das Hospitalisationsrisiko erhöhen und bei Hochrisikopatienten nach Möglichkeit vermieden werden sollten. Die Beratung kann zudem dazu
genutzt werden, die aktiven Impfungen
gegen Pneumokokken (ergänzende Impfempfehlung für alle Säuglinge ab Alter 2
Monate, inkl. Frühgeborene < 32 SSW bzw.
< 1500 g, pulmonale und kardiale Risikopatienten) und Influenza (pulmonale und kardiale Risikopatienten ab dem Alter von 6
Monaten) zu empfehlen. (www.bag.admin.
ch/infekt/impfung/d/index.htm).
Bei BPD und kardialen Indikationen ist der
Kostenträger von Synagis die IV.
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23)Pignotti MS, Leo MC, Pugi A et al.; Consensus
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prophylaxis in RSV disease. Pediatr Pulmonol.
2016;51:1088-1096.
Korrespondenzadresse
Prof. Dr. David Nadal
Abteilung für Infektiologie
Universitäts-Kinderspital Zürich
Steinwiesstrasse 75
8032 Zürich
[email protected]
Definition
Gabe von Palivizumab
FiO2 > 0.21 für mindestens 28 Tage plus:
schwer
2.5 (0.8–5.6)
•< 32 SSW bei Geburt; FiO2 > 0.3 und/oder PPV/CPAP mit 36 Wochen
oder bei Entlassung
•≥ 32 SSW bei Geburt; FiO2 > 0.3 und/oder PPV/CPAP mit 56 Tagen
oder bei Entlassung
empfohlen
mittelschwer
1.8 (1.6–2.0)
•< 32 SSW bei Geburt; FiO2 < 0.3 mit 36 Wochen oder bei Entlassung
•≥ 32 SSW bei Geburt; FiO2 < 0.3 mit 56 Tagen oder bei Entlassung
individuelle Indikationsstellung
•< 32 SSW bei Geburt; FiO2 = 0.21 mit 36 Wochen oder bei Entlassung
•≥ 32 SSW bei Geburt; FiO2 = 0.21 mit 56 Tagen oder bei Entlassung
nicht empfohlen
1.6 (0.8–3.2)
2.7 (0.7–9.7)
leicht
Relatives Risiko
1.4 (0.6–3.1)
Tabelle 2: Indikation zur Verabreichung von Palivizumab an Kinder < 12 Monate zum Beginn der RSV-Saison gemäss Schweregrad der bronchopulmonalen Dysplasie (BPD)17) . Weil CPAP ebenfalls für nicht-pulmonale Pathologien angewendet wird, wurde im Januar 2017 von der Schweizerischen Gesellschaft für Neonatologie ein Schweizer Konsens zur Spezifizierung festgelegt. Der Sauerstoffbedarf mit 36 Wochen wird mit
einen Sauerstoff-Reduktionstest von 30 Minuten bestimmt, während dem die Sättigung mindestens 90% betragen muss.
16
Fortbildung Autismus - Spektrum - Störung
Vol. 28 Nr. 2 2017
Autismus-Spektrum-Störung, ein gesundheitspolitisches Problem
Nadia Chabane, Lausanne
Übersetzung: Rudolf Schlaepfer, La Chaux-de-Fonds
gemein anerkannten und für die Betreuung
von ASS am besten geeigneten Modellen3) .
Trotzdem verbleibt die allgemeine Anwendung
dieser Änderungen noch delikat. Dazu müssen in den kommenden Jahren folgende wichtigsten Arbeitsachsen verfolgt werden:
Liebe Kollegen, wir haben die Einladung, einen
Beitrag zu dieser Nummer von Paediatrica
unter dem Thema Autismus-Spektrum-Störungen (ASS) zu leisten, mit grosser Freude und
grossem Interesse angenommen. Kinderärzte
stehen heute in den Strategien zur Erkennung,
Diagnostik und Koordination der Betreuung
von Kindern mit ASS an vorderster Stelle. Sie
sind ebenfalls bei der Umsetzung der Good
Practice in diesem Bereich gefordert.
Autismus-Spektrum-Störungen betreffen
weltweit ca. 1% der Bevölkerung. Sie sind
selten isoliert und eine Komorbidität, genetische Syndrome und neurologische und metabolische Krankheiten betreffend, wird in 20
bis 30% der Fälle gefunden1). Oft sind sie beim
Kind und im Verlaufe der Entwicklung mit
psychiatrischen Störungen verbunden (Angststörungen und Gemütskrankheiten, ADHS
usw.)2). Im Verlaufe der letzten 20 Jahre haben
Arbeiten der Neurobiologie zu einem besseren Verständnis der klinischen Erscheinungsformen und der entwicklungsneurologischen
Grundlagen geführt. Diese Kenntnisse haben
dazu beigetragen, unsere Sicht der Betreuungsstrategien von Menschen mit ASS zu
modifizieren und unser Verständnis der ätiologischen Grundlagen in Frage zu stellen. Das
Konzept selbst der ASS verweist heute eher
auf eine Behinderung denn auf eine psychiatrische Krankheit. Diese Änderung des Krankheitsverständnisses geschah nicht reibungslos, insbesondere in Europa, wo Autismus
noch durch eine mehr psychoanalytische
Brille betrachtet wurde. Patientenorganisationen und Fachleute haben sich bemüht und
bemühen sich weiterhin um eine Anpassung
der Praktiken und um die Umsetzung von all-
1)Besseres Verständnis der klinischen und
entwicklungsbedingten Merkmale von ASS,
was eine entsprechende Ausbildung von
Fachleuten und betreuenden Familienmitgliedern erfordert. Alle Berufsrichtungen
sind gefordert: Pädiater, Neuropädiater,
Kinderpsychiater, Lehrkräfte, Psychologen,
Sozialpädagogen, Fachkräfte aus Logopädie, Psychomotorik, Ergotherapie und Früherziehung usw.). In diesem sich dauernd
entwickelnden Bereich ist eine solide Fortbildung unumgänglich. Als Beispiel sei Fortbildung über die Besonderheiten des kognitiven Verhaltens von Menschen mit ASS
genannt, Besonderheiten welche die Art
und Weise bedingen, wie diese Personen
Informationen verarbeiten und wie sie demzufolge ihre physische und soziale Umwelt
erleben. Diesen Besonderheiten muss Rechnung getragen werden, um das Funktionieren dieser Menschen zu verstehen, um ihre
Bedürfnisse und Ressourcen zu identifizieren, die Betreuung anzupassen und ihr
Lern- und Anpassungspotential zu fördern.
2)Systematische Suche nach Warnzeichen
von ASS im Alter von 12 bis 24 Monaten, im
Rahmen einer strukturierten Früherkennungspolitik für Kinderärzte
3)Schneller und erleichterter Übergang von
Früherkennung zur spezialisierten Abklärung durch ausgebildete und erfahrene
Fachteams
4)Schaffung eines Programmes zur individualisierten, auf die Bedürfnisse der betroffenen Person und ihrer Familie zentrierten
Betreuung, gestützt auf internationale Empfehlungen, und laufend den sich ändernden,
entwicklungsbedingten Bedürfnissen angepasst
Die wissenschaftliche Literatur weist klar
nach, dass die Frühdiagnose mit 18–36 Mo-
17
naten den Zugang zu intensiver Entwicklungsförderung und Verhaltenstherapie begünstigt.
Es ist deshalb wichtig, dass diese grundlegenden Massnahmen rasch umgesetzt werden.
Diese während den letzten 20 Jahren studierten Interventionsmodelle haben in kontrollierten Studien den Beweis ihrer Wirksamkeit
erbracht4),5) . Sie können die Entwicklung des
Kleinkindes beeinflussen und durch die Verbesserung der kognitiven Funktionen ASSbedingte Behinderungen begrenzen, funktionelle Kommunikation ermöglichen und
problematisches Verhalten verringern. Diese
Verbesserung korreliert direkt mit einer früh,
vor dem Alter von 4 Jahren, eingesetzten adäquaten Betreuung.
Für später diagnostizierte Kinder und Jugendliche muss ebenfalls eine adaptierte Betreuung stattfinden. Um einen personalisierten
Betreuungsplan erstellen zu können, ist es
wichtig, eine umfassende funktionelle Standortbestimmung durchzuführen. Dieser Betreuungsplan soll globale und koordinierte, durch
entsprechend ausgebildete Fachleute durchgeführte Interventionen umfassen, um die
Entwicklung des Kindes in seiner Gesamtheit
zu fördern: Kommunikation und Sprache, soziale Interaktionen, Gefühle und Verhalten,
sensorische und motorische Funktionen, Autonomie im täglichen Leben. Wesentlich bei
der Betreuung ist auch, die Besonderheiten
der Familie zu berücksichtigen. Die ganze
Familie muss bei der Ausarbeitung des individuellen Betreuungsplanes miteinbezogen werden, sie muss angehört werden und soll eine
spezifische Betreuung und Ausbildung geniessen. Dieses Konzept einer reellen Partnerschaft zwischen Familie und Fachpersonen
bedingt einen Wissenstransfer in beide Richtungen und eine Arbeitsteilung. Dies stellt für
Fachleute oft eine Herausforderung dar und
stürzt die etablierte Rollenverteilung um.
Die Problematik des Autismus, der ASS, ist
demnach inter- und transdisziplinär. Sie betrifft nicht nur den medizinischen und paramedizinischen Bereich, sondern erfordert
eine enge und dynamische Zusammenarbeit
aller betroffenen Akteure: Sonderschule,
Lehrkräfte, Kleinkindbetreuung und Gesellschaft gesamthaft, um die bestmögliche
Aufnahme und Eingliederung dieser Kinder,
sowie unser gemeinsames Ziel, Zugang zu
Autonomie, Sozialisierung und guter Lebensqualität zu erreichen.
Fortbildung Autismus-Spektrum-Störung
Vol. 28 Nr. 2 2017
Referenzen
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http://www.has-sante.fr/portail/jcms/c_935617/
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Rapport NICE,2013
https://www.nice.org.uk/guidance/qs51
Rapport KCE, 2014
https://kce.fgov.be/sites/default/.../KCE_233Bs_
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5) Dawson G, Jones EJ, Merkle K, Venema K, Lowy R,
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1150-9.
Korrespondenzadresse
Prof. Nadia Chabane
Directrice du Centre Cantonal Autisme
Département de Psychiatrie, CHUV
1011 Lausanne
[email protected]
Der Autor hat keine finanzielle Unterstützung und keine
anderen Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert.
18
Fortbildung Autismus - Spektrum - Störung
Vol. 28 Nr. 2 2017
Diagnose von Autismus-SpektrumStörungen heute: Eine umfassende Evaluation im Interesse von Kind und Familie
Sabine Manificat, Lausanne
Übersetzung: Rudolf Schlaepfer, La Chaux-de-Fonds
Autismus-Spektrum-Störungen (ASS) beinhalten sehr unterschiedliche klinische Bilder, und
ihre Häufigkeit (mittlere Prävalenz 1/100)1)
rechtfertigt es unbedingt, dass wir uns bemühen, sie besser ausfindig zu machen, zu dokumentieren und zu beschreiben, um so früh als
möglich und auf Grund der ermittelten Besonderheiten Hilfe «nach Mass» leisten zu können.
Der internationale wissenschaftliche Konsens
betrachtet ASS als Ausdruck einer multifaktoriellen Hirnfunktionsstörung, abhängig von
polygenen Erbfaktoren und Umweltfaktoren
(Infektionen, toxisch, fötale Störung usw.).
Dennoch ist das Zusammenspiel der Ursachen
dieser Funktionsstörung, d. h. Hirnstrukturen,
neurobiologische Mechanismen und neurobiochemische Faktoren, weiterhin unklar.
Die internationalen Empfehlungen ASS betreffend 2) - 4) sind sich über die Wichtigkeit einig,
dass der diagnostische Prozess mit standardisierten Evaluationsmittel und durch ein
pluridisziplinäres, geschultes und geübtes
Team durchgeführt wird.
Weit entfernt davon, rein deskriptiv vorzugehen, verfechten wir eine «Aktionsdiagnostik»,
die darin besteht, die Begegnung mit dem
Kind oder Erwachsenen zu nutzen, um durch
eine interdisziplinäre Abklärung nicht nur die
Diagnose, sondern auch das Funktionieren
des Kindes zu erfassen, und alle Kräfte ausfindig zu machen, auf die sich die Begleitpersonen des Kindes stützen können, und die
natürlicherweise zu personalisierten Vorschlägen für das therapeutische Vorgehen
führen.
Die Autismus-Spektrum-Störungen:
Aktuelle Definition
Autismus-Spektrum-Störungen (ASS) sind
schwere kindliche Entwicklungsstörungen.
Vor dem Alter von 30 Monaten beginnend,
kennzeichnen sie sich durch die Unfähigkeit,
normale soziale Kontakte herzustellen, Mangel an Interesse für und Reaktionsfähigkeit
gegenüber Mitmenschen, Fehlen oder schwere Störung verbaler und non-verbaler Kommunikation, stereotypes Verhalten und vermin-
derte spontane und erfinderische Tätigkeiten.
Bis Mai 2013 definierten die internationalen
Klassifizierungen (DSM-IV5) , CIM 106)) diese
Störungen kategorial, wobei die einzelnen
Kategorien auf qualitativem und quantitativem
Beschreiben von Symptomen (autistische
Trias) beruhten, unter Berücksichtigung des
Alters, in welchem sie auftreten. Es sei daran
erinnert, dass man unter der Benennung tiefgreifende Entwicklungsstörungen (Pervasive
Developmental Disorders) folgende Krankheiten aufführte: Autismus, Asperger-Syndrom,
nicht näher umschriebene pervasive Entwicklungsstörungen, desintegrative Störungen des
Kindesalters, Rett-Syndrom.
Mit dem Erscheinen der Klassifikation DSM-5
(siehe Kasten 1) 5) wurde der kategoriale Ansatz der ASS-Definition durch einen dimensionalen ersetzt. Die interindividuellen Variationen der Symptomatologie dieser
Entwicklungsstörungen führen dazu, dass
eine Beschreibung der beobachteten Symptome nach Dimensionen bevorzugt wurde; dies
ermöglicht insbesondere im Rahmen der
Forschung eine genauere Beschreibung der
Phänotypen. So findet man z. B. keine Kategorie «Asperger-Syndrom» mehr, sondern
«ASS ohne assoziierte Intelligenzminderung,
ohne assoziierte Sprachstörung». Das RettSyndrom wird eine Differentialdiagnose. Im
Übrigen werden in dieser neuen Klassifikation
die Störungen der gegenseitigen sozialen Interaktion und sozialen Kommunikation unter
«Andauernde Defizite der sozialen Kommunikation und sozialen Interaktion, die sich über
mehrere Lebensbereiche erstrecken» zusammengefasst. Das Alter schliesslich, in welchem die Störungen auftreten, das im DSM-IV
unter 3 Jahren sein musste (was u. a. das
Asperger-Syndrom vom Autismus unterschied), wird im DSM-5 nuanciert, indem eine
Störung in früher Kindheit vorhanden sein
muss, sich aber erst später voll manifestieren
kann (siehe Domäne C).
Ein weiterer Beitrag dieser neuen Definition
von ASS ist, dass der Schweregrad der Störung berücksichtigt wird. Im Zusammenhang
19
mit dem Begriff des Spektrums, der eine Abstufung der Symptome beinhaltet, werden der
Einfluss der Symptome auf die Funktionsfähigkeit der Person und die dadurch erfolgten
Einschränkungen präzisiert; für jedes der
beiden Hauptkriterien (soziale Kommunikation und restriktive Interessen und Aktivitäten),
wird festgehalten, ob die beobachteten Symptome sehr viel, viel oder einfache Hilfe erfordern, wobei die Abstufung der Hilfebedürftigkeit näher beschrieben wird.
Standardisierte Evaluation
Die Wahl der Evaluationsmittel ist abhängig
von Alter und Profil der untersuchten Person.
Im Allgemeinen umfasst die Abklärung im
Centre Cantonal Autisme folgende Punkte:
Diagnostische Stufen
Die Autism Diagnostic Evaluation Schedule
(ADOS-2)7) besteht aus 5 Modulen, abhängig
von Alter und expressivem Sprachniveau des
Kindes. Sie besteht darin, dem Kind spielerische Aktivitäten anzubieten, in deren Verlauf
sein Sozial- und Kommunikationsverhalten,
sowie seine Interessen und sein Aktivitätspattern beobachtet werden. Die Evaluation wird
als signifikant für ASS betrachtet, wenn der
Schwellen-Score erreicht wird. Ein Vergleichsscore ermöglicht es, den Schweregrad zu
beurteilen (minim/leicht/mässig/schwer).
Als indirekte Evaluation dient das ADI-R8) , ein
Leitfaden für das Interview einer Bezugsperson, meist Eltern, die das Kind kennt und
insbesondere im Alter von 4–5 Jahren kannte
(Zielalter des diagnostischen Algorithmus).
Grenzen dieses Evaluationsmittels sind gegeben durch den Informationsgrad der Auskunftsperson, der bei älteren Kindern oder
grosser Geschwisterzahl u. U. schlechter ist.
Mittel zur Entwicklungs-/kognitiven Evaluation
Auch hier bestimmen klinisches Bild und Alter
die Wahl des Testinstrumentes: Bei sehr jungen Kindern die Mullen Messskalen9) , WPPSI
IV10) , WISC IV11) für Kinder und Jugendliche,
und WAIS IV12) für Erwachsene sind die am
häufigsten verwendeten.
In gewissen Fällen (wenn das Kind nicht imstande ist, auf einen Test einzugehen, bei dem
die verbale Sprache wesentlich ist) kann auf
WNV-Skala13) oder PEP-R14) zurückgegriffen
werden, die ein Bild des Entwicklungsstandes
des Kindes vermitteln und eine Hilfe bei der
Planung passender Massnahmen sein können.
Das durch diese Tests ermittelte Profil dient
als Argument zugunsten von ASS: Klassischerweise heterogen, wird es Stärken im
Fortbildung Autismus-Spektrum-Störung
Autismus-Spektrum-Störung
299.00 (F84.0)
A. Andauernde Defizite der sozialen Kommunikation und sozialen Interaktion, die
sich über mehrere Lebensbereiche erstrecken und sich durch folgende Merkmale zeigen (aktuell oder in der Entwicklungsgeschichte):
1.Defizite der sozial-emotionalen Reziprozität; diese reichen von sozialer Annäherung auf ungewöhnliche Weise
und dem Fehlen von normaler, wechselseitiger Konversation über verringertes Teilen von Interessen, Emotionen und Affekt bis hin zu völligem
Fehlen der Initiierung oder Erwiderung
sozialer Interaktionen.
2.Defizite des nonverbalen kommunikativen Verhaltens in der sozialen Interaktion; diese reichen von schlecht integrierter verbaler und non-verbaler
Kommunikation über Abweichungen in
Blickkontakt und Körpersprache oder
Einschränkungen beim Verstehen und
Einsetzen von Gestik und Mimik bis zum
völligen Fehlen von Gesichtsausdruck
und non-verbaler Kommunikation.
3.Defizite, soziale Beziehungen in einer
Weise zu entwickeln und aufrechtzuerhalten, die dem Entwicklungsstand
entsprechen (ausser denen mit Bezugspersonen); diese reichen von
Schwierigkeiten, das Verhalten an den
sozialen Rahmen anzupassen über
Schwierigkeiten, sich in Rollenspiele
mit anderen hineinzuversetzen oder
Freundschaften zu schliessen bis hin
zu einem offensichtlich fehlenden Interesse an Menschen.
B.Restriktive, repetitive Verhaltensweisen,
Interessen und Aktivitäten, die sich
durch mindestens zwei der folgenden
Merkmale zeigen:
1.Stereotype oder repetitive Sprache,
Bewegungen oder Verwendung von
Gegenständen (wie einfache motorische Stereotypien, Echolalie, repetitive Verwendung von Gegenständen,
oder der Gebrauch idiosynkratischer
Phrasen).
2.Übermässiges Einhalten von Routinen,
ritualisierte Muster an verbalem und
non-verbalem Verhalten, oder übermässiger Widerstand gegen Veränderungen (wie Bewegungsrituale, Behar-
Vol. 28 Nr. 2 2017
ren auf dem selben Weg oder dem
gleichen Essen; wiederholtes Fragen oder
extremer Distress bei kleinen Veränderungen).
3.Fixierung auf sehr eingeschränkte Interessen, die in Intensität oder Thema ungewöhnlich sind (wie eine starke Bindung
an oder Beschäftigung mit ungewöhnlichen Gegenständen; Interessen, die
übermässig eng umgrenzt sind oder denen sehr intensiv nachgegangen wird).
4.Über- oder Unterempfindlichkeit auf sensorische Reize oder ungewöhnliches Interesse an sensorischen Aspekten der
Umgebung (wie die augenscheinliche
Gleichgültigkeit gegenüber Schmerz,
Hitze oder Kälte, ablehnende Reaktion
auf bestimmte Geräusche oder Texturen,
übermässiges Riechen oder Berühren
von Gegenständen, Faszination mit Licht
oder sich drehenden Gegenständen).
C.Die Symptome müssen in früher Kindheit
vorhanden sein, können sich aber erst
dann voll manifestieren, wenn die sozialen
Anforderungen die beschränkten Fähigkeiten übersteigen, oder später im Leben
durch erlernte Strategien versteckt sein.
Zusätzliche Spezifizierungen:
•Mit/ohne intellektuelle Behinderung
•Mit/ohne Sprachentwicklungsverzögerung.
•Assoziationen mit bekannten medizinischen, genetischen Krankheiten oder
Umweltrisikofaktoren.
•Assoziationen mit entwicklungsneurologischen, psychologischen oder Verhaltensstörungen mit Katatonie
In den Bereichen A und B muss ausserdem
bei der Diagnostik der Schweregrad spezifiziert werden.
Aus: Colin Müller, M.A., DSM-5: Diagnosekriterien Autismus-Spektrum-Störung.
Anmerkung des Autors: Weil mir die
deutschsprachige Version des DSM-5 nicht
zugänglich war, habe ich die Kriterien
selbst aus dem Englischen übersetzt. Meine Übersetzung ist natürlich nicht offiziell
und kann in Details von der offiziellen
Version abweichen.
D.Die Symptome führen zu klinisch bedeutsamer Beeinträchtigung in sozialen, beruflichen oder anderen aktuell wichtigen
Funktionsbereichen.
E.Die Symptome lassen sich nicht durch intellektuelle Behinderung oder globale Entwicklungsstörung besser erklären. Eine
intellektuelle Behinderung und Autismus
kommen häufig zusammen vor; um komorbide Diagnosen einer Autismus-SpektrumStörung und einer intellektuellen Behinderung zu stellen, sollte die soziale Kommunikation unter dem erwarteten Niveau
für die allgemeine Entwicklungsstufe sein.
Anmerkung: Individuen mit einer gut etablierten DSM-IV-Diagnose einer autistischen Störung, Asperger-Syndrom oder
atypischem Autismus, sollten die Diagnose
Autismus-Spektrum-Störung erhalten. Individuen, die deutliche Defizite in sozialer
Kommunikation haben, deren Symptome
aber nicht die Kriterien für eine AutismusSpektrum-Störung erfüllen, sollten auf
eine soziale Kommunikationsstörung untersucht werden.
Kasten 1
Absolute Warnsignale beim
Kleinkind:
•Fehlen von Geplapper, Zeigen mit dem Finger oder anderen Gesten im Alter von 12 Monaten
•Fehlen von Worten mit 18 Monaten
•Fehlen spontaner Wortassoziationen (nicht Echolalie) mit 24 Monaten
•Verlust von Sprache oder sozialer
Kompetenzen in jedem Alter
(nach Baird et al. 2003)
Kasten 2
20
Fortbildung Autismus - Spektrum - Störung
Vol. 28 Nr. 2 2017
non-verbalen oder im Gegenteil im verbalen
Bereich zeigen.
Spezifische Evaluationen: Logopädie, Psychomotorik
Evaluation des adaptiven Verhaltens mittels
VABS II (Vineland Adaptative Behaviour Scales)
Die VABS II15) bestehen in einem semistrukturierten Gespräch mit den Eltern. Sie erlauben
Kompetenzen im täglichen Leben (allgemeine
Pflege wie Toilette, essen, sich ankleiden),
Kommunikation (zuhören, sprechen, schreiben), motorische Kompetenzen, zwischenmenschliche Beziehungen, Spiel- und Freizeitverhalten, sowie Sich beschäftigen können
und Autonomie zu beurteilen. Die Befunde
werden in Altersäquivalenten ausgedrückt,
d. h. das Resultat beschreibt für jeden getesteten Bereich das vom Kind erreichte mittlere
Kompetenzniveau.
Eventuell zusätzliche Skalen, insbesondere um
Komorbiditäten zu evaluieren (ADHS, Zwangsstörungen, depressive Störungen usw.)
Eine neuropädiatrische Untersuchung ergänzt
systematisch unsere Evaluation, mit je nach
klinischem Bild ergänzenden Laborabklärungen.
Verschiedenartige klinische Bilder
Das diagnostische Vorgehen wird je nach Alter des Kindes und Kontext verschieden sein.
Frühdiagnose
Mit 12 oder 18 Monaten durch eine atypische Entwicklung16) (siehe Kasten 2) – verspätete Sprachentwicklung, Schwierigkeit
mit dem Kind Kontakt herzustellen, stereotype Bewegungen, repetitives Spielen – aufmerksam gemacht, steht oft der Kinderarzt
hinter der Frage nach Abklärung; immer
häufiger hat er, um seine Beobachtungen den
Eltern gegenüber zu untermauern, seinen
klinischen Eindruck mittels M-CHAT17) bereits
überprüft.
Die Begegnung mit verschiedenen Fachleuten und das Teilnehmen an den verschiedenen, über ein bis zwei Wochen verteilten
Abklärungen erlaubt den Eltern, sich an den
Gedanken einer verschiedenartigen Entwicklung ihres Kindes zu gewöhnen. Es ist für sie
auch eine Gelegenheit, unmittelbar Ratschläge zu erhalten, wie ihrem Kind beim Kommunizieren zu helfen, und Strategien, um die
alltäglichen Schwierigkeiten zu meistern.
In diesen stark emotionsgeladenen Situationen mit Kleinkindern hat das diagnostische
Team die Aufgabe, falls dies nicht schon geschehen ist, um das Kind herum ein Netzwerk
aufzubauen: Logopädie, Psychomotorik, Früherziehungsdienst und die Suche nach der
geeignetsten Fachperson, dieses Netzwerk zu
koordinieren.
In allen internationalen Empfehlungen als prioritäres Ziel beschrieben, hat die Frühdiagnose
Notfallcharakter, denn die Zeit, die verstreicht,
bis die notwendigen Massnahmen umgesetzt
sind, bereitet den Weg für Komplikationen.
Zudem kann auf Grund der Plastizität des
kleinkindlichen Gehirns eine signifikante Beeinflussung der Entwicklung erwartet werden.
Das Centre Cantonal Autisme entwickelt derzeit, im Rahmen der kantonalen Gesundheitspolitik, kantonale Strukturen zur Frühintervention, die sehr jungen Kindern (18 bis 36
Monate) eine intensive Entwicklungsbegleitung vom Typ Early Start Denver Model18) anbieten können.
Diagnostik beim Schulkind ohne
Intelligenzdefizit
Sofern zuvor nie erwähnt, kann die Diagnose
die Situation entspannen, indem verwirrende
Verhaltensweisen eines Kindes, das offenbar
über alle Fähigkeiten verfügt um zu lernen und
zu verstehen, damit eine Erklärung finden. Die
schulische Situation ist oft heikel, da das Kind
als Störefried, als unerzogen empfunden wird,
was in extremen Fällen zum Schulausschluss
führen kann.
Für die Eltern stellt die Diagnose oft das Ende
eines langen und mühsamen Hürdenlaufes
dar, während welchem sie alle verfügbaren
Ressourcen mobilisieren mussten, um einerseits die Besonderheiten ihres Kindes (insbesondere problematisches Verhalten) zu meistern und andererseits die Kritiken ihrer
Umgebung auszuhalten. In diesem Zusammenhang hat das Aussprechen der Diagnose
Autismus oft eine rettende Wirkung, allerdings unter der Bedingung, dass die Nebenwirkungen des autistischen Verhaltens rasch
durch adäquate Massnahmen eine Lösung
finden.
Diagnostik des Kindes mit Intelligenzdefizit in Sonderschulung
Diese Situation wird noch angetroffen, sollte
aber mit der Zeit verschwinden. Ziel der Autismusdiagnostik ist es in diesem Fall, Einblick
in die autismusbedingten, die Entwicklung
zusätzlich zum Intelligenzdefizit behindernden
Faktoren zu verschaffen. Es soll damit ein
Anpassen der pädagogischen Massnahmen
ermöglicht werden, insbesondere alternative
21
oder unterstützte Kommunikation. Oft können
auch, vor dem Hintergrund neuer Kenntnisse,
neue ätiologische Spuren erforscht werden.
Diagnostik beim Jugendlichen
Eine solche kann im Rahmen einer krisenbedingten Spitalaufnahme (psychotisch anmutende oder depressive Episode, Selbstmordversuch) erforderlich werden. Ist die akute
Episode beherrscht und lässt das Verhalten
des Jugendlichen einen Autismus vermuten,
wird er uns zur Abklärung überwiesen.
Oder der Jugendliche wird uns auf Grund eines
Lebenslaufes, wie weiter oben für Schulkinder
ohne Intelligenzdefizit beschrieben, zugewiesen. In diesem Fall verursachen unerkannte
und folglich über längere Zeit nicht beachtete
ASS sekundäre Komplikationen, in Form von
Lern- und Verhaltensstörungen, sozialer Ausgrenzung, Missbrauch durch Gleichaltrige und
damit häufig Verlust des Selbstwertgefühles
bis zur eigentlichen Depression, mit völlig
überforderten Eltern. Da die einzelnen Entwicklungsbereiche unabhängig voneinander
fortschreiten, ist das klinische Bild oft sehr
dysharmonisch und die Autonomie trotz guter
Kompetenzen eingeschränkt.
In diesen komplexen Situationen erlauben die
zeitgleichen pluridisziplinären Ansätze, Umstände zu klären, die zur Diagnose führen. Oft
findet man die entsprechenden Elemente
beim Lesen einer gut dokumentierten Krankengeschichte, jedoch verteilt über längere
Zeitabschnitte, bei Kontakten mit verschiedenen Fachleuten, was es verunmöglicht, die
entscheidenden Informationen herauszufiltern, die schliesslich zur Diagnose führen.
Diese Art Diagnose wirft ein neues Licht auf
die Problematik dieser Jugendlichen und
kann/soll das Wiederaufnehmen der Lernprozesse und des Soziallebens ermöglichen, und
deren Lebensqualität wiederherstellen. Der
Weg dazu ist jedoch nicht einfach und benötigt die Begleitung durch Fachleute (Lehrkräfte, Therapeuten, Erzieher usw.), welche die
autistische Denkweise gut kennen und ihre
Interventionen anzupassen wissen, unter
gleichzeitiger Behandlung der Komorbiditäten.
Differentialdiagnose und
Komorbiditäten
Neurologische Störungen und assoziierte
Pathologien werden durch das neuropädiatrische Team besprochen, wir beschränken uns
in diesem Artikel auf die pädopsychiatrischen
Abklärungen.
Bei Kleinkindern sind die häufigsten Differentialdiagnosen der einfache Sprachentwick-
Fortbildung Autismus-Spektrum-Störung
lungsrückstand, spezifische Sprachstörungen
und nicht autistische Entwicklungsstörungen.
Es fällt manchmal schwer, diese Krankheitsbilder zu unterscheiden, insbesondere da sie
assoziiert auftreten können: Hat das Kind mit
einem Entwicklungsrückstand Schwierigkeiten zu kommunizieren, weil es ihm an Mitteln
dazu fehlt oder weil es zusätzlich an ASS leidet? Von der spezifischen Sprachstörung,
einst Ausschlussdiagnose, wird heute angenommen, dass sie mit ASS koexistieren kann.
Später können soziale Schwierigkeiten des
Kindes auch im Rahmen von ADHS, intellektueller Frühreife, Gilles de la Tourette Syndrom oder Zwangsstörungen auftreten.
Beim Jugendlichen mit sozialer Ausgrenzung
müssen ASS von Sozialphobie, depressiven
Störungen oder psychotischen Episoden im
Rahmen einer Schizophrenie unterschieden
werden. In diesem Zusammenhang kann die
anamnestische Suche nach dem zeitlichen
Auftreten der Störungen, nach Zeichen in der
frühen Kindheit oder Einnahme toxischer,
halluzinogener oder Wahnvorstellungen erzeugender Substanzen die diagnostischen
Überlegungen leiten.
Die Diagnose – und was weiter?
Der Frühdiagnose muss eine unmittelbare
Intervention folgen, in Form einer beim Kleinkind empfohlenen Methode (z. B. Early Start
Denver Model18)). Idealerweise ist diese global, intensiv, individuell angepasst und wird
durch alle Personen angewendet, die sich mit
dem Kind befassen. Ziel ist es, alle Entwicklungsbereiche zu stimulieren, unter besonderer Berücksichtigung der Kommunikation. Es
soll eine möglichst normale Entwicklung erreicht oder angestrebt werden.
Beim älteren Kind wird das weitere Vorgehen
durch die diagnostischen Schlussfolgerungen
und das Funktionieren des Kindes bestimmt.
Es kann darum gehen, Kommunikationshilfen
einzuführen (visuelle Hilfen, PECS19) , Unterstützung durch Gestik usw.), durch Psychomotorik einen harmonischen Gebrauch des
Körpers oder mittels Ergotherapie gezieltes
Handeln zu fördern, durch individuelle Begleitung oder durch Beteiligung an einer Übungsgruppe Sozialisationshilfen zu bieten.
Auf jeden Fall sind Anerkennung der ASS und
Kenntnis der individuellen Ausdrucksformen
eine wertvolle Hilfe, um das betroffene Kind
in seiner Entwicklung zu führen, um Komplikationen vorzubeugen und seine Bezugspersonen bei der Erziehung zu unterstützen, und
so seine Beteiligung am Familien- und Sozialleben zu erleichtern.
Vol. 28 Nr. 2 2017
In allen Phasen dieses Prozesses spielt der
Kinderarzt eine entscheidende Rolle:
- Erkennen von Warnzeichen schon im frühesten Alter, Berücksichtigen der Befürchtungen der Eltern
- Eltern begleiten und dazu bringen, eine Abklärung der Entwicklung ihres Kindes durch
ein spezialisiertes Team zu akzeptieren
- Einbringen seiner Kenntnisse von Kind und
familiärem Umfeld anlässlich der pluridisziplinären Synthese, bei welcher die geeignetste Vorgehensweise geplant wird
- Unterstützen der Familie in Anschluss an
die Diagnosestellung
- Die Umsetzung der empfohlenen Massnahmen und die Entwicklung des Kindes überwachen, Begleitung der Eltern und Hilfe bei
Formalitäten (Aufnahme in Kinderkrippe,
IV-Anmeldung usw.)
- Beratung der Eltern in Schlüsselphasen, bei
wichtigen Entscheiden.
Referenzen
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parallels explosion of research into its biology and
causes. JAMA psychiatry 2013;70: 9-10.
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Wechsler pour la période pré-scolaire et primaire-Quatrième édition, (2014).
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Wechsler pour enfants et adolescents - Cinquième
édition, (2016).
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16)Bair, ., Cas, H. Slonim, V. Diagnosis of autism. BMJ
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22
17)Charma, ., Baron-Cohe, ., Baird, G., Cox, A.,
Wheelwright, S., Swettenham, J., et Drew, A. Commentary: The Modified Check-list for autism in
Toddlers. ; discussion 149-151. (Classe III) Journal
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18)Dawson, G., et al. Randomized, controlled trial of
an intervention for toddlers with autism: the Early
Start Denver Model. Pediatrics 2010; 125: e17-23 .
19)Carr, D. & Felce, J. «Brief report: increase in production of spoken words in some children with autism
after PECS teaching to Phase III». Journal of autism
and developmental disorders 2007; 37: 780-787.
Korrespondenzadresse
Dre Sabine Manificat
Médecin adjointe
Allières
Av. de Beaumont 23
CH-1011 Lausanne
[email protected]
Der Autor hat keine finanzielle Unterstützung und keine
anderen Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert.
Fortbildung Autismus - Spektrum - Störung
Vol. 28 Nr. 2 2017
Aetiologische Faktoren und Komorbiditäten
der Autismus-Spektrum-Störungen
Marine Jequier Gygax1, Anne M. Maillard, PhD1, Lausanne
Übersetzung: Rudolf Schlaepfer, La Chaux-de-Fonds
Autismus-Spektrum-Störungen (ASS) betreffen eine grundlegende Funktion unserer Gesellschaft, d. h. die Fähigkeit zu kommunizieren und sozial zu interagieren. Im DMS-51)
beruhen die diagnostischen Kriterien dieser
Entwicklungsstörung auf einem Zusammenspiel von Verhaltensstörungen, wie ein Defizit
an sozialer Interaktion und Kommunikation
oder das Vorhandensein beschränkter, stereotyper und repetitiver Verhaltensmuster
(siehe auch Artikel von S. Manificat).
Der Begriff Spektrum verweist auf die extreme Heterogenität des im Begriff ASS zusammengefassten klinischen Phänotypus. Die
Störung variiert sowohl in Schweregrad als
auch in der Art der beobachteten Symptome
und Verhalten. So beinhaltet das Spektrum
nonverbale Kinder mit schwerem Entwicklungsrückstand ebenso wie Kinder mit einem
guten kognitiven Potential oder gar ausserordentlichen Kompetenzen in spezifischen kognitiven Bereichen (insbesondere Gedächtnis).
ASS sind oft mit anderen Entwicklungsstörungen assoziiert, wie intellektuelle Defizite,
spezifische Sprachstörungen oder Aufmerksamkeitsdefizit mit/ohne Hyperaktivitätsstörung (ADHS). Zu dieser grossen Komplexität
kommt noch die Entwicklungsdynamik hinzu,
mit Symptomen die in dauerndem Wandel
begriffen und entwicklungsabhängig sind.
Die Erblichkeit von ASS ist beträchtlich und
variiert je nach Studie von 38% bis 90% 2). Eine
neuere Studie aus Schweden schätzt die
Erblichkeit der ASS auf 50% der Bevölkerung,
und legt nahe, dass genetische Faktoren das
Risiko eine ASS zu entwickeln, zur Hälfte erklären. Die Autoren zeigen ebenfalls, dass in
einer Familie, in welcher diese Diagnose bei
einem Familienmitglied gestellt wurde, das
Risiko für «genetisch Nahestehende», eine
ASS zu entwickeln, erhöht ist3) .
Zur grossen klinischen Heterogenität kommt
eine nur bruchstückhafte Kenntnis der ätiologischen Faktoren und neurobiologischen Mechanismen, die der ASS zugrunde liegen,
hinzu. Alle Studien stimmen darin überein,
1
dass genetische, epigenetische, metabolische
und Umweltfaktoren zur Entwicklung von ASS
beitragen4), 5) . Wir wollen hier aktuelle Kenntnisse zu den ätiologischen Faktoren, und anschliessend gewisse häufig beobachtete Komorbiditäten von ASS darstellen.
Genetik der Autismus-SpektrumStörungen
Entsprechend der klinischen Heterogenität ist
auch die genetische Architektur der ASS sehr
variabel. Sie umfasst monogene und polygene
Faktoren, und sowohl seltene Genomvarianten mit starker Penetranz für ASS wie gängige
Genomvarianten mit schwächerer Penetranz,
deren Häufung aber Ursache einer ASS sein
kann6) . Die bekanntesten monogenen, mit
ASS assoziierten Formen wurden schon vor
einigen Jahren beschrieben (Tab. 1). Ihr Studium ermöglichte die Identifizierung gewisser
«pathogener Mechanismen»6), 7) , ohne jedoch
ein Korrelat zu einem spezifischen klinischen
ASS-Phänotyp herstellen zu können.
Dank Fortschritten im Bereich der Genetik
konnten in neuerer Zeit seltene und gängige
Varianten polygener Formen mit ASS assoziiert
werden8),9). Diese schliessen Kopienzahlvaria­
tionen (CNV) ein, die in einer Modifizierung der
Chromosomenarchitektur bestehen, mit Verlust (Deletion) oder Übermass (Duplikation) an
genetischem Material in einer mehr oder weniger grossen Chromosomenregion, und eine
variable Anzahl Gene betreffen10) (Abb. 1).
Im Verlaufe der letzten Jahre wurden zahlreiche CNV sowie deren Assoziation mit Entwicklungsstörungen wie z. B. ASS entdeckt.
Es ist interessant festzustellen, dass ein CNV
einerseits mit ASS, Schizophrenie oder intellektuellem Defizit assoziiert sein kann, und
andererseits ein und dieselbe Störung durch
mehrere CNV bedingt sein kann.
Die CNV (Deletion und Duplikation) auf dem
Chromosom 16 in der Region 16p11.2 wurden
in klinischer und molekularer Hinsicht in den
letzten Jahren gut untersucht, und weitere
CNV werden erforscht (Tab. 2). Für gewisse
Centre Cantonal Autisme, Centre Hospitalier Universitaire Vaudois (CHUV), Lausanne
23
CNV beträgt das Risiko, ASS zu entwickeln bis
40% (z. B. Duplikation 1q21.1) 11) . Als Beispiel
sei erwähnt, dass die Prävalenz der CNV
16p11.2 für Deletion und Duplikation 1/1000
beträgt12),13) . Das Risiko ASS zu entwickeln ist
ca. 20% für die Deletion und ebenso gross für
die Duplikation. Nur die Duplikation wurde mit
der Schizophrenie assoziiert. Diese CNV erklären ca. 1% aller ASS-Fälle9),14) . Die klinischen Manifestationen sind zahlreich (energetische Störung, Entwicklungsverzögerung,
spezifische Sprachstörung, Makro- oder Mikrozephalie) und können sich schon früh in der
Entwicklung zeigen.
Perinatale Faktoren, mütterliche
Krankheiten und Umweltfaktoren
Perinatale Asphyxie, Frühgeburtlichkeit und
intrauterine Wachstumsstörung sind bekannte Risikofaktoren für eine suboptimale
Hirnentwicklung, mit Auswirkungen auf höhere kognitive Funktionen wie die soziale Kognition15) . Prä- und perinatale Risikofaktoren, die
möglicherweise mit ASS einhergehen können,
unterteilen sich in zwei Gruppen: Umweltbedingt toxische Elemente (Valproinsäure, Alkohol, Kokain) und mütterliche Krankheiten
(Diabetes, Autoimmunkrankheiten, Allergien
und Infekte wie Röteln, CMV, Influenza während der Schwangerschaft). Schliesslich
könnten gewisse Umweltfaktoren wie Pestizide, Luftverschmutzung (Feinpartikel) oder
gewisse hormonaktive Stoffe (Endocrine Disrupters) durch Beeinflussung der frühen Entwicklung gewisser Hirnstrukturen, eine Rolle
beim Auftreten von ASS spielen. Studien am
Tier gehen wohl in diese Richtung, es gibt
derzeit jedoch keine formelle wissenschaftliche Beweise, die erlauben, eine Beziehung
zwischen diesen Umweltfaktoren und einer
pathogenen Wirkung auf den Menschen herzustellen16) .
Stoffwechselkrankheiten
Obwohl bei weniger als 10% der ASS-Patienten vorhanden17) , werden verschiedene Stoffwechselkrankheiten, wie Phenylketonurie,
Kreatinmangel-Syndrome, Purinstoffwechselstörungen oder Adenylsuccinatlyasemangel,
mit dem Auftreten von ASS in Zusammenhang
gebracht. ASS können Erstmanifestationen
einer Oligosaccharidose sein. Metabolische
Abklärungen sind bei einem Kind mit ASS indiziert, dessen klinische Anamnese Elemente
wie Lethargie, zyklisches Erbrechen, früh
aufgetretene Epilepsie, autistische Regres­
Fortbildung Autismus-Spektrum-Störung
sion, unerklärter Immundefekt und/oder Dysmorphiezeichen, kognitiver Entwicklungsrückstand, Automutilation, Muskelschwäche
sowie neurologische Zeichen wie Tonusanomalien oder Ataxie aufweist (vollständige
Übersicht siehe18)).
Mit ASS assozierte Komorbiditäten
Motorische Entwicklungsstörung
Die Besonderheiten der motorischen Entwicklung bei ASS haben schon früh Aufmerksamkeit erregt19) und umfassen eine verzögerte
Entwicklung motorischer Kompetenzen, repetitive motorische Verhaltensweisen (Stereotypien), und ein auffälliges Gehmuster (Zehenspitzengang, Ataxie, instabile Haltung).
Insbesondere wurden gewisse Finger- und
Handstereotypien sowie Gehmodelle, im Vergleich zu stereotypen Bewegungsmuster bei
Patienten mit Entwicklungsrückstand oder bei
Vergleichspopulationen, als typisch für ASS
erkannt20) . Das Vorhandensein dieser Stereotypien ist im Allgemeinen mit einer schwere-
Vol. 28 Nr. 2 2017
ren kognitiven Störung und einer ungünstigeren Entwicklung verbunden. Beinahe 90% der
Patienten mit ASS weisen kognitive Defizite
und eine Störung der motorischen Entwicklung auf21) .
Spezifische Sprachstörung
Obwohl die verzögerte Sprachentwicklung im
DMS-5 nicht mehr zu den diagnostischen
Kriterien der ASS gehört, handelt es sich um
eine häufige Komorbidität. Die Differentialdiagnose zwischen spezifischer Sprachstörung
(z. B. Dysphasie) und ASS ist beim jungen
Kind oft schwierig und erfordert eine spezialisierte Abklärung. Bei ASS können in der Tat
mit Ausnahme einer isolierten expressiven
Störung alle Arten Sprachstörung beobachtet
werden22). Allgemein leiden Kinder mit ASS an
einem gestörten Sprachverständnis und einer
pragmatischen verbalen (und nonverbalen)
Sprachstörung. Eine pragmatische Sprachstörung besteht in der Unfähigkeit, Sprache und
nonverbale Zeichen (Gesten, Kontext) in der
Syndrom
Gen
Klinische Charakteristika
Fragiles-X-Syndrom
FMR1
Schwere der ASS korreliert mit geistiger
Retardierung, Angstgefühlen, Schlafstörungen
43), 44)
Interaktion korrekt einzusetzen. Kinder mit
ASS haben ein sehr beschränktes Bewusstsein des Sprachgebrauches und wenden
Kommunikation unpassend oder ungenügend
an. Es fällt ihnen oft schwer, eine Unterhaltung aufrecht zu erhalten und Redewendungen zu folgen. Die Störung der Pragmatik
bleibt selbst beim erwachsenen ASS-Patienten mit einem guten kognitiven Niveau und
ohne Störungen des Wortverständnisses bestehen23), 24) .
Zu den charakteristischen, bei Kleinkindern
mit ASS und Sprachverzögerung beobachteten Zeichen gehört fehlendes Zeigen mit dem
Finger, fehlende Reaktion beim Nennen seines Vornamens, unmittelbare oder verzögerte
Echolalie, eigentümliche Prosodie, Gebrauch
der Drittperson um von sich selbst zu sprechen. Ältere Kinder kennzeichnen sich durch
phrasenhafte, «auswendig gelernte» Ausdrucksweisen sowie wörtliche Interpretation
und für bare Münze nehmen (Schwierigkeit
Humor, Ironie, Doppelsinn zu verstehen). Eine
ASS-Patienten mit
Syndrom
Syndrom-Patienten
die ASS aufweisen
2–3%
20–40%
3–4%
40–80%
unbekannt*
25%
Dysmorphie (längliches Gesicht, Prognathismus,
grosse Ohren, manchmal Makrozephalie)
Tuberöse Sklerose
Bourneville45)
TSC1,
TSC2
Entwicklungsrückstand und Auftreten von ASS,
assoziiert mit früh manifesten infantilen
Spasmen
Hypopigmentierte Flecken, Angiofibrome,
shagreen Patches, intrakardiale Rhabdomyome,
kortikale Tubera
Neurofibromatose
Typ 1 46)
NF1
Café-au-lait-Flecken, kutane und zerebrale
Neurofibrome, N.opticus-Gliome, Makrozephalie, manchmal geistige Retardierung
ASS assoziiert mit Aufmerksamkeitsstörungen
(mit/ohne Hyperaktivität)
Dystrophinopathie
Typ Duchenne 47)
Xp21
Muskelschwäche, Zehenspitzengang, neuropsychiatrische Störungen die mit einer Deletion des
distalen Exons auf dem Dystrophin-Gen
korrelieren
unbekannt*
17%
Angelman Syndrom
– Duplikation 15q48)49)
UBE3A
Hypotonie, geistige Retardierung,
schwer gestörte Sprachentwicklung, Epilepsie
1–2%
>40%
PTEN HamartomTumor-Syndrom50)
PTEN
Makrozephalie, geistige Retardierung, fokale und
generalisierte epileptische Anfälle
unbekannt*
unbekannt*
*«Unbekannt» bedeutet, dass die Assoziation von ASS mit dem monogenen Syndrom bekannt und beschrieben ist, die Zahlen zur Prävalenz jedoch unbekannt oder in der Literatur inkonstant sind.
Tabelle 1: Beispiele monogener mit ASS assoziierter Syndrome
24
Fortbildung Autismus - Spektrum - Störung
Vol. 28 Nr. 2 2017
verzögerte Sprachentwicklung ist deshalb
beim Kleinkind ein Warnzeichen. Im Gegensatz zum Kind mit ASS zeigt ein Kind mit einer
spezifischen Sprachstörung Freude am gemeinsamen Spielen und der Austausch ist
qualitativ und quantitativ gefälliger. In beiden
Fällen soll das Kind auf eine mögliche Hörstörung abgeklärt werden, mittels Audiogramm
und/oder evozierten Potentialen.
Epilepsie
Die Epilepsieprävalenz bei Patienten mit ASS
wird allgemein auf 30% geschätzt, mit zwei
Spitzen für das Auftreten einer Epilepsie: Die
erste im Kleinkindesalter, die zweite in der
Adoleszenz25). Bei gewissen klinischen Bildern
kann eine autistische Regression epileptischen Ursprungs vermutet werden, wie im
Falle erworbener Aphasie bei einer während
dem Schlaf sehr aktiven Epilepsie (vom Typ
kontinuierliche Spike-Wave-Aktivität), oder
bei spät auftretenden infantilen Spasmen26) .
Bei einem Kind mit ASS, das eine verzögerte
Sprachentwicklung, geringes oder fehlendes
Interesse für die Klangumwelt zeigt und an
Schlafstörungen leidet, sollte ein EEG durchgeführt werden.
Bei pädiatrischen Patienten mit tuberöser
Sklerose Bourneville (TSB) besteht das Risiko,
gleichzeitig mit spät auftretenden infantilen
Spasmen eine kognitive Regression zu erfahren27) . Selbst ohne Regression ist die kognitive Entwicklung im Allgemeinen ungünstig und
das ASS-Risiko bei gleichzeitigem Bestehen
von infantilen Spasmen höher28) . Frühzeitiges
Beherrschen der infantilen Spasmen durch
Vigabatrin soll die Schwere der Symptomatik
von ASS begrenzen29) . ASS können auch bei
kindlichen epileptischen Syndromen wie
West-, Lennox-Gastaut-, Doose- oder DravetSyndrom (schwere myoklonische Epilepsie
des Säuglings) auftreten30) .
Der Typ mit ASS assoziierter epileptischer
Krisen (und epileptiforme Pattern) ist variabel; es gibt keine für Autismus spezifische
Epilepsieform und antiepileptische Behandlung31) . In der Praxis, und angesichts der
häufigen Assoziation von Epilepsie und ASS,
muss beim geringsten Verdachtsmoment und
insbesondere bei kommunikativer und sprachlicher Verhaltensregression sowie bei TSB an
Epilepsie gedacht werden.
Schlafstörungen
Schlafstörungen (Einschlafstörungen, unbefriedigende Schlafdauer und –qualität) kommen bei 40-90% der Patienten mit ASS vor32) .
Diese Störungen werden bei der Anamneseaufnahme von allen Angehörigen angegeben.
Zahlreiche Studien dokumentieren bei Patienten mit ASS kürzere Schlafdauer, verminderten Anteil REM-Schlaf und häufiges Aufwachen nachts33) . Ein bekannter Mechanismus
besteht in einem gestörten zirkadischen
Rhythmus, bedingt durch eine Anomalie der
Gene, welche die Melatoninproduktion regulieren (Clock Genes) 34) . Je schlechter ein Kind
mit ASS schläft, desto grösser ist das Risiko,
hyperaktives Verhalten und schwere Stereotypien zu entwickeln32) .
Bei einem Kind mit Schlafstörungen sollten,
als Vorbedingung für das versuchsweise Einführen einer medikamentösen Therapie vom
Typ Melatonin, verhaltenstherapeutische
Massnahmen (Einschlafrituale, Schlafhygiene) ergriffen werden. Retrospektive (auf
Rückmeldungen der Eltern beruhend) und
prospektiv randomisierte Studien35) haben die
Wirksamkeit von Melatonin nicht nur auf
Schlafqualität und –dauer, sondern auch auf
Symptome wie Angstgefühle und soziale
Schwierigkeiten nachgewiesen. Eine weitere
prospektive Studie hat gezeigt, dass die
Mehrzahl der Kinder mit ASS auf eine Melatonindosis von 1 oder 3 mg, 30 Minuten vor
dem Schlafengehen verabreicht, ansprechen,
mit einer Verbesserung des Einschlafens
während 17 Wochen, ohne Nebenwirkungen
und ohne Leber-, Nieren- oder endokrine
Funktionsstörungen36) .
Gastrointestinale Störungen
Die Assoziation gastrointestinale Störungen
und ASS hat eine hohe Prävalenz, je nach
Studie bis zu 90% 37) . In einer neueren Studie
weisen 37% der Kinder mit ASS gastrointestinale Störungen auf, v. a. in Form von Obstipation, verglichen mit pädiatrischen Vergleichspopulationen signifikant häufiger als andere
Störungen wie Durchfall, Erbrechen, schmerzhafte Darmperistaltik, Magenschmerzen38) .
Pathophysiologisch weisen Kinder mit ASS
und gastrointestinalen Störungen eine mit
entzündlichen Magendarmkrankheiten, wie
Mo. Crohn oder ulzerös-hämorrhagische Kolitis, vergleichbare Schleimhautentzündung
auf39). Gewisse Autoren erörtern die mögliche
Rolle des Mikrobioms beim Entstehen der
besonderen Verhaltensformen von Kindern
mit ASS, und die Wirkung von Therapien wie
Diäten (Ausschluss von Gluten/Kasein, ketogene Diät), Behandlung durch Probiotica oder
Stuhltransplantation40), 41), 42) . Keine dieser
Massnahmen ist derzeit anerkannt und die
ersten Resultate benötigen eine Bestätigung
bevor diese Therapien empfohlen werden
können.
Schlussfolgerung
Abbildung 1: Kopienzahlvariationen (CNV) auf einem Chromosomenpaar. Links befindet sich
ein («normales») diploides Chromosomenpaar mit 2 Kopien der Region. Die Deletion charakterisiert sich durch das Vorhandensein einer einzigen Kopie der Region auf dem Chromosomenpaar, während die Duplikation das genetische Material auf einem der Chromosomen verdoppelt, was zu 3 Kopien der Region führt.
25
ASS sind multiple Störungen mit zahlreichen
Facetten, oft mit weiteren Störungen verbunden. Spezifisch ist ASS jedoch die gestörte
soziale Interaktion und eine mangelhafte oder
unangepasste Anwendung der Kommunikation. Initial wird man sich vergewissern, dass
Fortbildung Autismus-Spektrum-Störung
das Kind nicht an einem neurosensorischen
Defizit, wie Hör-, Seh- oder neuro-ophthalmologischer Störungen leidet, welches die Entwicklung von Kommunikationskompetenzen
behindern könnte.
Am Entstehen von ASS sind zahlreiche und
noch schlecht verstandene Ätiologien und
pathogenetische Faktoren beteilig, und die
vorliegende Übersicht erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Man kann festhalten, dass die derzeit untersuchten biologischen Mechanismen ganz allgemein an der
Hirnentwicklung beteiligt sind, ohne dass ein
spezifischer Zusammenhang mit ASS nachgewiesen werden könnte. Wohl haben genetische Untersuchungen bei der Suche nach der
Ätiologie in der klinischen oder Grundlagenforschung eine vorrangige Rolle eingenommen, der Blick des Klinikers verbleibt jedoch
zentral beim Erkennen des klinische Bildes
und seiner Variabilität. Nur ein gemeinsamer
Einsatz klinischer Kompetenzen und wissenschaftlicher Forschung werden zu einem
besseren Verständnis der ASS und der Rolle
der verschiedenen Risikofaktoren führen.
Kinder bei denen eine Autismus-Spek­trumStörungen vermutet wird, müssen pluridisziplinär abgeklärt werden. Dabei steht der Kinderarzt in vorderster Linie und ist auf
mehreren Ebenen tätig: Von Frühdiagnostik
bis zur Langzeitbetreuung gewisser Komorbiditäten und Unterstützung der Familie.
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CNV Lokalisation
ER/ID*
ASS
Schizophrenie
1q21.1
Deletion/Duplikation
Duplikation
Deletion/Duplikation
7q11.23
Deletion/Duplikation
Duplikation
7q36.3
Duplikation
Duplikation
15q11.2-13.1
Duplikation
Duplikation
15q13.3
Deletion
Deletion
Deletion
16p13.3
Duplikation
Duplikation
Duplikation
16p11.2
Deletion/Duplikation
Deletion/Duplikation
Duplication
22q11.2
Deletion/Duplikation
Duplikation
Deletion
Deletion
Duplikation
22q13.3
*Entwicklungsrückstand/intellektuelle Defizite
Tabelle 2: Wichtigste mit ASS und weiteren Entwicklungsstörungen assoziierte CNV. Angepasst
nach Malhorta und Sebat2)
26
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ajmg.b.30493.
Korrespondenzadresse
Marine Jequier Gygax, neuropédiatre FMH
Centre Cantonal Autisme
Les Allières
Av. Beaumont 23
1010 Lausanne
Tél: +41213148029
[email protected]
Die Autoren haben keine finanzielle Unterstützung und
keine anderen Interessenkonflikte im Zusammenhang mit
diesem Beitrag deklariert.
27
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Keuchhusten-Impfung der Schwangeren
zum Schutz von Mutter und Kind
Wie aus den Sentinelladaten der letzten Jahre klar ersichtlich ist, bleibt der Keuchhusten (Pertussis) auch in der Schweiz eine häufige
Erkrankung.1 Diese Entwicklung war für EKIF und BAG der Anlass, die Pertussis-Impfempfehlungen seit 2011 mehrmals anzupassen.2
Für Kinder ab 4 Jahren, Jugendliche und Erwachsene stehen für Boosterimpfungen gegen Diphtherie, Tetanus und Pertussis Boostrix®
(dTpa) und mit zusätzlichem Schutz gegen Kinderlähmung Boostrix® Polio (dTpa-IPV) zur Verfügung.3 Ende November 2016 wurde
für diese Impfstoffe die Zulassung durch Swissmedic erweitert, sodass nun gegen Pertussis auch eine Impfung im 3. Trimenon
der Schwangerschaft in Betracht gezogen werden kann.3 Schon seit 2013 hat die EKIF/BAG-Empfehlung eine Keuchhustenimpfung
im 2. oder 3. Trimenon der Schwangerschaft vorgesehen.4
Säuglinge sind besonders gefährdet –
Mütter die häufigste Infektionsquelle
Der Keuchhusten ist besonders gefährlich für
Säuglinge, treten doch die schwersten Erkrankungen in den ersten Lebensmonaten auf. In den
ersten Lebenswochen ist die Todesrate am höchsten. Diese in vielen Ländern gemachten Beobachtungen gelten auch für die Schweiz, wie aus
dem letzten SPSU Jahresbericht 2015 hervorgeht:
20 von insgesamt 25 hospitalisierten Kindern
betrafen Säuglinge <6 Monaten, darunter ein
Todesfall.5 Auch wenn vielerorts Pertussis-Impfprogramme etabliert sind, bleibt der Erreger
Bordetella pertussis weiter endemisch. Dies ist
auch erklärbar durch die neuere Erkenntnis, dass
B. pertussis durch asymptomatische Träger weiter
verbreitet werden kann.6 Geschwister und Eltern,
speziell aber die Mütter, gelten als die häufigste
Übertragungsquelle für Pertussis-Infektionen.5,7
Impfung der Schwangeren
für Nestschutz des Neugeborenen
Die Impfung von Schwangeren verfolgt zwei Ziele
(Abbildung 1): Eines ist der Schutz von Mutter und
Ungeborenem im Verlauf der Schwangerschaft.
Zudem gewähren die mütterlichen Antikörper, die
über die Plazenta an das ungeborene Kind weitergegeben werden, auch einen Schutz des Neugeborenen in den ersten Wochen nach der Geburt
(Leihimmunität), bis der Säugling mit der Grundimmunisierung selbst einen Impfschutz aufbauen
können.8
Erfahrungen mit Impfen während der
Schwangerschaft in anderen Ländern
Um Neugeborene mittels Leihimmunität ab dem
Zeitpunkt der Geburt vor einem Keuchhusten zu
schützen, gilt die Pertussis-Impfung während der
Schwangerschaft als die beste Strategie. Die USA
empfiehlt seit 2012, zum Schutz vor Keuchhusten
bei jeder Schwangerschaft eine dTpa-Impfung zu
applizieren.9 Auch die WHO (2015) empfiehlt zum
Schutz von Schwangeren und Neugeborenen eine
Impfung während der Schwangerschaft.10 Nachdem in England im Jahr 2012 insgesamt 14 Kinder
unter drei Monaten an Pertussis verstorben waren,
wurde dort ein Impfprogramm für werdende Mütter
eingeführt.11 Diese erhalten zwischen der 28. und
38. Schwangerschaftswoche einen KombinationsImpfstoff dTpa-IPV, um zur Geburt möglichst
hohe Titer mütterlicher Antikörper zu erzielen.12 In
einer Analyse zum 3-Jahres-Follow-up konnte
eine Schutzwirkung gegenüber laborbestätigten
Infektionen von jungen Säuglingen von über 90%
Ziele beim Impfen in der Schwangerschaft
Schutz von Mutter
und Ungeborenem
im Verlauf der
Schwangerschaft
Schutz des Neugeborenen
in den ersten Wochen
nach der Geburt
Abbildung 1: Die zwei Ziele beim Impfen in der Schwangerschaft: Schutz der Mutter und des Neugeborenen8
festgestellt werden. Mit einer Impfabdeckung von
knapp 65% konnte die Inzidenz an Keuchhustenerkrankungen und Pertussis bedingter Todesfälle
bei <3 Monate alten Säuglingen gesenkt werden.11
Daten deuten darauf hin, dass die Leihimmunität
die Immunantwort des Säuglings auf einige Impfantigene vermindern kann. Die klinische Relevanz
dieser Beobachtung ist nicht bekannt.3,11,13
Schwangerschaftswoche geimpft. Die Impfungen
wurden gut vertragen, die Ergebnisse zeigten
keine schwerwiegenden unerwünschten Wirkungen, welche mit dem Impfstoff in Verbindung
gebracht werden konnten.14
Es gibt zurzeit keine Hinweise für ein erhöhtes Risiko
für eine Erkrankung nach der Grundimmunisierung
bei Kindern, deren Mütter während der Schwangerschaft gegen Pertussis geimpft wurden.11
Die Empfehlung 2017 von EKIF/BAG lautet: «Neu wird
schwangeren Frauen in jeder Schwangerschaft
eine Pertussisimpfung (dTpa) empfohlen, unabhängig vom Zeitpunkt der letzten Pertussisimpfung
oder Pertussiserkrankung. Die Impfung soll vorzugsweise im 2. Trimester (13.–26. SSW) durchgeführt werden (Nachholimpfung möglichst im 3. Trimester so früh wie möglich). Diese Impfstrategie
ist zu priorisieren und zu fördern».15 Boostrix® ist
für diese Indikation im 3. Trimester gemäss aktualisierter Fachinformation nun zugelassen, wie
weiterhin natürlich auch für den nun alle 10 Jahre
zu wiederholenden Booster für Personen mit
regelmässigem Kontakt zu Säuglingen <6 Monaten.
Der Anwendung von Boostrix® (Polio) sollte stets
eine Nutzen-Risiko-Abwägung voraus gehen.
Die Sicherheit der PertussisImpfstoffe für Mutter und Kind
Die Sicherheit wurde beim Einsatz des obgenannten
Impfprogramms an mehr als 17 000 Schwangeren
beobachtet: Im Vergleich zu Daten einer historischen, nicht geimpften Vergleichsgruppe wurden
bei den geimpften Schwangeren keine auffälligen Sicherheitssignale in Bezug auf mütterliche,
geburtshilfliche oder neonatale Risiken beobachtet.12 Eine neuseeländische Studie belegt zudem
die Sicherheit von Boostrix® bei der Anwendung
im dritten Trimenon der Schwangerschaft: 793
Frauen wurden zwischen der 28. und der 38.
Neuerung im Impfplan 2017 zur Pertussisimpfung in der Schwangerschaft
Text: Prof. Dr. Hanspeter Gnehm. GSK Schweiz
Für weitere Informationen beachten Sie bitte die Kurzfachinformationen auf der rechten Seite.
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dTpa) bei Erwachsenen. BAG Bulletin 2011; 51:1161-1171. 3. Fachinformationen Boostrix® und Boostrix® Polio, GSK, www.swissmedicinfo.ch 4. Anpassung
der Impfempfehlung gegen Pertussis: für Jugendliche, Säuglinge in Betreuungseinrichtungen und schwangere Frauen. BAG Bulletin 2013; 09:118-123.
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Schützen Sie Säuglinge vor Pertussis
Anzeige
Impfen der Schwangeren sowie des Umfelds des Säuglings
mit einer Pertussis Boosterimpfung1, 2,3,*
2.
1.
Geschwister
Medizinische
Fachpersonen
Erzieher
Kinderbetreuer
Säugling < 6 Monate
Schwangere
Impfen in der Schwangerschaft –
Nestschutz:1
Eltern
zukünftige Eltern
Grosseltern
Boostrix® im 3. Trimenon der Schwangerschaft verabreichen.* Für das 2. Trimenon
liegen keine Zulassungsstudien vor.2,3
Empfehlung BAG/EKIF:1
- Neu wird in jeder Schwangerschaft eine
Pertussisimpfung (dTpa) empfohlen.
- Vorzugsweise im 2. Trimenon, bis
möglichst anfangs des 3. Trimenons.
In Anlehnung an BAG: Schweizerischer Impfplan 2017
Boostrix® 1 Impfdosis =
3-facher Schutz2
Boostrix® Polio 1 Impfdosis =
4-facher Schutz3
Referenzen: 1. Bundesamt fur Gesundheit (BAG). Schweizerischer Impfplan 2017. Richtlinien und Empfehlungen. 2. Fachinformation Boostrix®, www.swissmedicinfo.ch 3. Fachinformation Boostrix® Polio, www.swissmedicinfo.ch
Boostrix®, kombinierter Diphtherie-Tetanus-azellulärer Pertussis-Impfstoff (dTpa). W: Diphtherie-Toxoid, Tetanus-Toxoid, Pertussis-Toxoid, filamentöses Hämagglutinin von B. pertussis, Pertactin von B. pertussis. I: Boosterimpfung gegen
Diphtherie, Tetanus und Pertussis von Personen ab 4. Geburtstag. Nicht zur Grundimmunisierung verwenden! D/A: Eine Impfdosis zu 0,5 ml. Die Injektion erfolgt tief intramuskulär. Nicht intravasal anwenden. Nicht mit anderen Impfstoffen
mischen. KI: Bekannte Überempfindlichkeit gegen einen der Bestandteile; akute, schwerwiegende fieberhafte Erkrankung; Enzephalopathie unbekannter Ätiologie innert 7 Tagen nach einer vorgängigen Impfung mit einem Pertussis-enthaltenden Impfstoff; vorübergehende Thrombozytopenie oder neurologische Komplikationen nach einer vorgängigen Impfung gegen Diphtherie und/oder Tetanus. WV: Wenn nach einer vorherigen Impfung mit einem Pertussis-enthaltenden Impfstoff
folgende Ereignisse aufgetreten sind, sollte die Entscheidung zur Gabe des Impfstoffes sorgfältig abgewogen werden: Temperatur ≥ 40.0 °C innerhalb von 48 Stunden nach der Impfung ohne sonst erkennbare Ursache, Kollaps oder schockähnlicher Zustand (hypotonisch-hyporesponsive Episode) innerhalb von 48 Stunden nach der Impfung, oder anhaltendes, untröstliches Schreien über mehr als 3 Stunden innerhalb von 48 Stunden nach der Impfung, oder Krampfanfälle mit oder
ohne Fieber innerhalb der ersten 3 Tage nach der Impfung; Thrombozytopenie oder Blutgerinnungsstörung (Blutungsrisiko bei i.m.-Injektionen); psychogen bedingte Synkope (Injektion). IA: Boostrix kann gleichzeitig mit anderen Impfstoffen
oder Immunglobulinen – jeweils an einer anderen Injektionsstelle – angewendet werden. Immunantwort kann durch immunsuppressive Therapie oder Immundefizienz beeinträchtigt sein. SS: Impfung kann im 3. Schwangerschaftstrimenon
in Betracht gezogen werden. Zur Anwendung im 1. und 2. Trimenon liegen keine Daten aus prospektiven klinischen Studien am Menschen vor. Man geht davon aus, dass der Fötus bei einer Impfung mit Boostrix unabhängig vom Zeitpunkt der
Schwangerschaft keinen Schaden nimmt. Sollte in der Schwangerschaft nur in Fällen angewendet werden, in denen der zu erwartende Nutzen die möglichen Risiken für das Ungeborene überwiegt. Die Sicherheit der Anwendung während
der Stillzeit wurde nicht untersucht. Sollte während der Stillzeit nur angewendet werden, wenn die möglichen Vorteile die möglichen Risiken überwiegen. UW: sehr häufig: Reizbarkeit, Schläfrigkeit, Reaktionen an der Injektionsstelle (Schmerz,
Rötung, Schwellung), Müdigkeit, Unwohlsein, Kopfschmerzen; häufig: Anorexie, Diarrhöe, Erbrechen, gastrointestinale Störungen, Übelkeit, Fieber, Schwindel, Reaktionen an der Injektionsstelle wie Verhärtung und sterile Abszessbildung; selten
oder sehr selten: Angioödem, allergische Reaktionen einschliesslich anaphylaktische Reaktionen, UW des Nervensystems (z.B. Konvulsionen). Lag.: Bei +2 °C bis +8 °C lagern. Nicht einfrieren. P: Fertigspritze mit separat beigelegter Nadel, ×1 und
×10. AK: B. Stand der Information: September 2016. GlaxoSmithKline AG. Ausführliche Angaben finden Sie unter www.swissmedicinfo.ch. Unerwünschte Arzneimittelwirkungen melden Sie bitte unter [email protected].
Boostrix® Polio, kombinierter Diphtherie-Tetanus-azellulärer Pertussis-inaktivierter Poliomyelitis-Impfstoff (dTpa-IPV). W: Diphtherie-Toxoid, Tetanus-Toxoid, Pertussis-Toxoid, filamentöses Hämagglutinin von B. pertussis, Pertactin von
B. pertussis, inaktiviertes Poliovirus Typ 1, inaktiviertes Poliovirus Typ 2, inaktiviertes Poliovirus Typ 3. I: Booster-Impfung gegen Diphtherie, Tetanus, Pertussis und Poliomyelitis von Personen ab dem 4. Geburtstag. Nicht zur Grundimmunisierung
verwenden! D/A: Eine Impfdosis zu 0,5 ml. Die Injektion erfolgt tief intramuskulär. Nicht intravasal anwenden. Nicht mit anderen Impfstoffen mischen. KI: Bekannte Überempfindlichkeit gegen einen der Bestandteile; akute, schwerwiegende
fieberhafte Erkrankung; Enzephalopathie unbekannter Genese innert 7 Tagen nach einer früheren Impfung mit einem Pertussis enthaltenden Impfstoff; vorübergehende Thrombozytopenie oder neurologische Komplikationen nach einer vorgängigen Impfung gegen Diphtherie und/oder Tetanus. WV: Wenn nach einer vorherigen Impfung mit einem Pertussis-enthaltenden Impfstoff folgende Ereignisse aufgetreten sind, sollte die Entscheidung zur Gabe des Impfstoffes sorgfältig
abgewogen werden: Temperatur ≥ 40,0°C innerhalb von 48 Stunden nach der Impfung ohne sonst erkennbare Ursache, Kollaps oder schockähnlicher Zustand (hypotonisch-hyporesponsive Episode) innerhalb von 48 Stunden nach der Impfung,
oder anhaltendes, untröstliches Schreien über mehr als 3 Stunden innerhalb von 48 Stunden nach der Impfung, oder Krampfanfälle mit oder ohne Fieber innerhalb der ersten 3 Tage nach der Impfung. Thrombozytopenie oder Blutgerinnungsstörung (Blutungsrisiko bei i.m.-Injektionen), psychogen bedingte Synkope (Injektion). IA: Boostrix Polio kann gleichzeitig mit anderen Impfstoffen oder Immunoglobulinen an unterschiedlichen Stellen verabreicht werden. Immunantwort kann
durch immunsuppressive Therapie oder Immundefizienz beeinträchtigt sein. SS: Impfung kann im 3. Schwangerschaftstrimenon in Betracht gezogen werden. Zur Anwendung im 1. und 2. Trimenon liegen keine Daten aus prospektiven klinischen
Studien am Menschen vor. Man geht davon aus, dass der Fötus bei einer Impfung mit Boostrix Polio unabhängig vom Zeitpunkt der Schwangerschaft keinen Schaden nimmt. Sollte in der Schwangerschaft nur in Fällen angewendet werden, in
denen der zu erwartende Nutzen die möglichen Risiken für das Ungeborene überwiegt. Die Sicherheit der Anwendung während der Stillzeit wurde nicht untersucht. Sollte während der Stillzeit nur angewendet werden, wenn die möglichen
Vorteile die möglichen Risiken überwiegen. UW: sehr häufig: Reaktionen an der Injektionsstelle (Schmerz, Rötung, Schwellung), Schläfrigkeit, Kopfschmerzen, Müdigkeit; häufig: Appetitlosigkeit, Reizbarkeit, Fieber ≥ 37,5°C, ausgedehnte Schwellung der Extremität, an der die Impfung vorgenommen wurde, Reaktionen an der Injektionsstelle (wie Blutung, Hämatom, Pruritus, Verhärtung, Wärme, Taubheit), gastrointestinale Beschwerden (wie Erbrechen, Bauchschmerzen, Übelkeit);
selten oder sehr selten: Angioödem, allergische Reaktionen einschliesslich anaphylaktische Reaktionen, UW des Nervensystems (z.B. Konvulsionen). Lag.: Bei +2°C bis +8°C lagern. Nicht einfrieren. P: Fertigspritze mit separat beigelegter
Nadel x1. AK: B. Stand der Information: September 2016. GlaxoSmithKline AG. Ausführliche Angaben finden Sie unter www.swissmedicinfo.ch. Unerwünschte Arzneimittelwirkungen melden Sie bitte unter [email protected].
GlaxoSmithKline AG, Talstrasse 3–5, CH-3053 Münchenbuchsee, Tel. +41 (0)31 862 21 11, Fax +41 (0)31 862 22 00, www.glaxosmithkline.ch
Webshop: www.gskvaccinesdirect.ch
1008054
CH/BOO/0004/16/24.02.2017/03.2017/Ca
* der Anwendung sollte stets eine Nutzen-Risiko-Abwägung voraus gehen.
Fortbildung Autismus-Spektrum-Störung
Vol. 28 Nr. 2 2017
Neurokognitive Besonderheiten des
Autismus
Evelyne Thommen, Laetitia Baggioni, Aline Tessari Veyre1
Übersetzung: Rudolf Schlaepfer, La Chaux-de-Fonds
Kinder mit einer Autismus-Spektrum-Störung
(ASS) haben zahlreiche neurokognitive Eigenarten. Einige davon, z. B. sensorische, findet
man in den DSM-5-Kriterien. Andere betreffen eher den kognitiven Bereich und können
zu besonderen Kompetenzen (z. B. visuelles
Gedächtnis) oder dann zu Schwierigkeiten
(soziale Kognition, exekutive Funktionen, eingeschränkte Interessen) führen. Solche Besonderheiten können im Übrigen Facetten der
Persönlichkeit von Menschen mit ASS sein,
die diese für sich beanspruchen.
Man spricht heute von Neurodiversität, um
diese Unterschiede, die nicht unbedingt Defizite sind, zu charakterisieren. Die heutige
Sicht berücksichtigt diese Besonderheiten, die
für die betreffende Person von Vorteil sein
können oder im Gegenteil eine behindernde
Situation schaffen können, je nachdem wie die
Gesellschaft oder das persönliche Umfeld mit
dem besonderen kognitiven Stil umgeht.
Wir gehen in diesem Artikel auf die neurokognitiven Besonderheiten von Menschen mit ASS
ein, in Bezug auf Informationsverarbeitung,
soziale Kognition und exekutive Funktionen.
Abbildung 1: Darstellung unangenehmer auditiver Empfindungen durch eine praktisch
averbale Person mit ASS (aus3) S. 11)
1
Informationsverarbeitung
Sensorische Besonderheiten
Menschen mit ASS beschrieben als erste ihre
besonderen sensorischen Schwierigkeiten1)
(Abb. 1). Diese sind nun im DSM-5 unter Kriterium B aufgeführt, und werden somit bei der
Diagnosestellung berücksichtigt2) .
Die Überempfindlichkeit äussert sich oft
durch ein Vermeidungs- oder Fluchtverhalten,
durch Isolierung, während bei Hyposensibilität sensorische Bedürfnisse durch aktive
Suche nach Sinnesempfindungen befriedigt
werden. Das Beobachten des Verhaltens ist
folglich wesentlich, um die sensorischen Aspekte zu beurteilen. Oft hängen Hyper- oder
Hyposensibilität von der betreffenden sensorischen Empfindung ab (auditiv, visuell, taktil,
Geschmack, Geruch, vestibulär und propriozeptiv). Ein und dieselbe Person kann z. B.
eine tiefe Sensibilitätsschwelle im auditiven
Bereich haben, und daneben ein sehr hohes
taktiles Empfindungsvermögen. Die Sensibilitätsschwelle kann auch in Bezug auf dieselbe
Sinnesempfindung variieren. Man kann dann
eine Überempfindlichkeit für gewisse Klangwellenlängen und verminderte Empfindlichkeit für andere beobachten. Alle diese Feinheiten unterstreichen, wie wichtig bei der
Betreuung dieser Personen eine eingehende
sensorische Abklärung ist. Es erlaubt uns z. B.
zu verstehen, warum gewisse Kleinkinder
bestimmte Nahrungsmittel nicht mögen oder
Kleidungsstücke nicht ertragen. Dennoch
werden diese Elemente heute noch von zu
wenigen Fachpersonen berücksichtigt. Zahlreiche neuere Studien gehen der Beschreibung und der Frage der Prävalenz dieser Sinnesstörungen bei Autismus nach. Ausderau et
al.4) schlagen ein Mittel zur Evaluation von 4
Arten sensorischer Reaktion vor:
•HYPO: Hyposensible sensorische Reaktion
Die Person reagiert nicht auf gewisse Stimuli und antwortet z. B. nicht, wenn man sie anspricht.
HES-SO, Haute école spécialisée de Suisse occidentale, EESP, Lausanne
30
•HYPER: Hypersensible sensorische Reaktion
Die Person reagiert übertrieben auf gewisse Reize, die sie zu stören oder ihr Schmerzen zu verursachen scheinen, wie z. B. berührt werden, gewissen Lauten ausgesetzt
sein oder Nahrungsmittel essen müssen.
•SIRS: Repetitives Suchen nach sensorischen Erfahrungen und Stimuli (Sensory
Interests, Repetitions, and Seeking behaviours)
Es kann sich um eine Person handeln, die
z. B. visuelle Sensationen sucht, indem sie
beobachtet, wie Staub in einem Lichtstrahl
tanzt, oder die sich wiegt, um ihren Gleichgewichtssinn zu stimulieren.
•EP: erhöhte und verfeinerte Wahrnehmung
(Enhanced Perception)
Es ist die Fähigkeit, Dinge bis in ihre kleinsten Details zu erfassen. Die betreffende
Person wird damit geringste Veränderungen ihrer Umgebung feststellen.
Die Autoren schlagen auf der Basis dieser vier
Kategorien sensorischer Reaktionen verschiedene sensorische Personenprofile vor. Es
werden 4 Untergruppen berücksichtigt (siehe
4), S. 939) 4) . Die Untergruppe «leicht» («Mild
Subtype») umfasst Kinder, die für alle Arten
sensorischer Reaktionen relativ tiefe Ergebnisse zeigen. Im Gegensatz dazu werden in
der Gruppe «extrem gemischt» («ExtremeMixed Subtype») Kinder zusammengefasst,
bei denen die Ergebnisse in allen 4 Kategorien
sensorischer Antworten hoch sind. Kinder der
übrigen zwei Untergruppen zeigen heterogenere sensorielle Reaktionen. So entspricht die
Untergruppe «sensorischer Not» («SensitiveDistressed Subtype») Kindern, die in den Kategorien HYPER und EP hohe Ergebnisse erzielen, während sie in den beiden anderen
Kategorien eher unterdurchschnittlich abschneiden. Die Untergruppe «vermindert und
besorgt» («Attenuated-Preoccupied Subtype») weist die gegenteilige Konstellation auf,
mit hohen Ergebnissen für HYPO und SIRS
und tieferen in den beiden anderen Kategorien.
Es muss betont werden, dass die sensorischen Besonderheiten von den übrigen Aspekten der ASS unabhängig zu sein scheinen,
dass sie jedoch herangezogen werden können, um Schwierigkeiten von Menschen mit
ASS zu verstehen, insbesondere Stereotypien
und eingeengte Interessen.
Fortbildung Autismus - Spektrum - Störung
Vol. 28 Nr. 2 2017
fen umschrieben. Vermeulen und Degrieck9)
sprechen von kontextueller Blindheit oder von
Detaildenken, um zu beschreiben, dass Menschen mit ASS unfähig sind, wahrgenommene
Elemente in ihrem Zusammenhang zu integrieren. Das Detaildenken ist ein kognitiver Stil
der mit Autismus behafteten Person, das ihm
ausserordentliche Kompetenzen bringen
kann, aber auch Schwierigkeiten, wenn ein
Detail störend wirkt und die betreffende Person daran hindert, zu verstehen, wie sie sich
in einem bestimmten Kotext verhalten muss.
Soziale Kognition
Menschen mit ASS haben grosse Schwierigkeiten, Gefühlsregungen und Befindlichkeit
ihres Gegenübers zu verstehen, und sich
insbesondere vorzustellen, was nicht direkt
beobachtbar ist, wie Gefühle, Gedanken, Erwartungen, Absichten10) . Man spricht von der
Schwierigkeit, sich in die Gedanken anderer
hineinzuversetzen (Theory of Mind, ToM). In
Studien dazu werden Kinder aufgefordert, das
Verhalten ihres Gegenübers auf Grund dessen
vorauszusagen, was diese Person weiss oder
glaubt. Bevor sie ToM beherrschen, denken
3-jährige Kinder, dass jedermann weiss, was
sie selbst wissen und nicht weiss, was auch
sie nicht wissen. Sie können sich Gedanken
oder Annahmen, die sich von den ihrigen unterscheiden, nicht vorstellen. Mit 4-5 Jahren
können sie die Perspektive Anderer einnehmen. Sie können dann eine Handlung voraussagen in Funktion dessen, was der Betreffende glaubt, selbst im Wissen, dass letzterer
sich irrt. In seiner Synthese der Arbeiten zur
ToM-Entwicklung von Kindern mit ASS argumentiert Kimhi11) zugunsten eines Entwicklungsrückstandes und nicht einer Beeinträch-
tigung. Sie erörtert ebenfalls einen für die
Praxis wichtigen Gesichtspunkt. Kinder mit
ASS können Aufgaben, die das Verstehen von
Bewusstseinsvorgängen Anderer voraussetzen, im Schulrahmen lösen, haben aber
Schwierigkeiten, dies im täglichen Leben zu
verallgemeinern. Die Schwierigkeit zu verstehen, wie Gedanken und Absichten das Verhalten bedingen, ist, aus dieser Perspektive betrachtet, eng mit den Störungen des
Sozialverhaltens verbunden. So verstehen
Menschen mit ASS soziale Situationen nicht
in gewohnter Weise und handeln deshalb oft
inadäquat.
Unsere Untersuchungen12) zeigen ebenfalls,
dass die soziale Kognition bei Menschen mit
ASS wohl beeinträchtigt ist, sich im Verlaufe
der Zeit aber entwickeln kann. Wir haben
longitudinale Beobachtungen bei 65 4-10-jährigen Kindern gesammelt, 36 Kinder mit ASS
(52- bis 128-monatig) und 29 Kontrollen (56bis 126-monatig). Als Evaluationsmethode
wurde TEC13) , das Verständnis von Gefühlsregungen, und das ToMStorybook14) , das verschiedene ToM-Aspekte beurteilt, verwendet.
Der Vergleich zwischen Kindern mit ASS und
Kontrollkindern (Abb. 2 und 3) zeigt globale
Vorteile zugunsten letzterer. Die statistische
Varianzanalyse (ANOVA) zeigt, dass Kontrollkinder im ToMStorybook bessere Resultate
erzielen als Kinder mit ASS (F1;63=88,
p<.001); dasselbe gilt für TEC (F1;63=26,
p<.001). Beide Gruppen verbessern ihre Fähigkeiten mit der Zeit, wie es die Varianzanalyse für ToMStorybook (ANOVA mit wiederholten Messungen: F1;63=38, p<.001, kein
Interaktionseffekt) sowie für TEC (ANOVA mit
wiederholten Messungen: F1;63=28, p<.001,
kein Interaktionseffekt) nachweist.
TEC erste
Sitzung
TEC zweite
Sitzung
Mittelwert
ToM erste
Sitzung
ToM zweite
Sitzung
Mittelwert
Beeinträchtigte zentrale Kohärenz
Happé und Frith5) analysieren eine Besonderheit des Autismus, der in einer beeinträchtigten zentralen Kohärenz («central coherence»)
besteht. Dieser Begriff bezieht sich auf die
Fähigkeit, Wahrnehmungen und Kenntnisse
zusammenhängend und global zu verwerten,
um daraus eine Synthese zu machen. Die Fähigkeit zur Metarepräsentation ist an diese
zentrale Kohärenz gebunden, eine Funktion
die auf einem höheren Niveau Elemente eines
tieferen Niveaus zu organisieren versteht. Die
zentrale Kohärenz entspricht der normalen
Verarbeitung von Informationen, die es ermöglicht, aus einzelnen Wahrnehmungselementen
auf einem höheren Niveau einen Gesamtzusammenhang zu schaffen. Die Hypothese einer beeinträchtigten zentralen Kohärenz beruht auf Forschungsergebnissen über die
perzeptuellen Fähigkeiten von Menschen mit
ASS.
Vergleicht man Stärken und Schwächen von
Menschen mit ASS, stellt man einerseits ausserordentliche Fähigkeiten bei Aufgaben fest,
welche die Berücksichtigung von Details verlangen, obwohl die Integration der Einzelelemente in ein Ganzes ihre Leistung beeinträchtigt. Sie sind bei integrativen Aufgaben
benachteiligt. Diese aussergewöhnlichen Fähigkeiten werden beispielsweise bei Personen
festgestellt, die viel schneller Aufgaben mit
verflochtenen Figuren zu lösen imstande
sind6) .
In ihren Arbeiten bestreiten Mottron et al.7)
die Idee einer zentralen Kohärenzbeeinträchtigung beim Autismus. Aus ihrer Sicht sind
Personen mit ASS durchaus fähig, einen globalen Gesichtspunkt einzunehmen, sofern
ihre Aufmerksamkeit auf die globalen Aspekte der Aufgabe gerichtet ist. Im Allgemeinen
bevorzugen sie es jedoch, ihr Augenmerk auf
Einzelelemente zu richten.
Die Arbeiten von Bowler et al.8) zum Gedächtnis zeigen, dass Menschen mit oder ohne ASS
sich eine Liste von Musikinstrumenten besser
einprägen können, wenn die Beziehung zwischen den zu memorisierenden Begriffen
verbal erklärt wurde. Die Leistungen der
Probanden mit ASS blieben jedoch unterhalb
jener der Vergleichsgruppe. Dieses Ergebnis
ist wichtig, denn es lässt darauf schliessen,
dass die Kompetenzen von Menschen mit ASS
durch das Hervorheben von Aspekten modifiziert werden können, auf die sich ihre Aufmerksamkeit nicht spontan richten würde.
Im klinischen Sprachgebrauch werden die
Besonderheiten bei der Verarbeitung von
Wahrnehmungselementen mit anderen Begrif-
Kinder mit ASS
Kontrollkinder
Abbildung 2: Entwicklung von Theory of Mind
(ToM) während einem Zeitintervall von 6 Monaten bei Kindern mit ASS und Kontrollkindern
31
Kinder mit ASS
Kontrollkinder
Abbildung 3: Entwicklung des Verständnisses von Gefühlsregungen (TEC) während einem Zeitintervall von 6 Monaten bei Kindern
mit ASS und Kontrollkindern
Fortbildung Autismus-Spektrum-Störung
Diese Ergebnisse zeigen die Entwicklungsmöglichkeit von ToM, eine Entwicklung die
durch das Einsetzen spezifischer Lehrmethoden zum besseren Verständnis von Gefühlsregungen und Gedanken Anderer gefördert
werden kann, wie dies in der Arbeit von
Howling, Baron-Cohen et Haldwin15) vorgeschlagen wird.
Exekutive Funktionen
Exekutive Funktionen umfassen 4 Hauptfunktionen: Handlungsplanung, Arbeitsgedächtnis, Impulskontrolle, Flexibilität16),17) . Sie ermöglichen die Verhaltens- und Handlungs­steuerung durch Aufmerksamkeitskontrolle.
Planung ist eine kognitive Funktion, die es
erlaubt, durch das Ausarbeiten von Aktionsstrategien Probleme zu lösen. Es geht darum,
Verhaltensmuster zu organisieren und schrittweise zu kontrollieren, um sich ihrer Wirksamkeit zu vergewissern.
Flexibilität entspricht der Fähigkeit, sein Verhalten anzupassen, wenn das angestrebte Ziel
nicht erreicht wird. Es geht dann darum, den
Schwerpunkt der Aufmerksamkeit auf einen
stichhaltigeren Stimulus zu richten.
Das Arbeitsgedächtnis besteht aus zwei Komponenten. Visuospatiale Informationen werden im Gedächtnis durch einen «visuellräumliches Notizbuch» genannten Prozess
gespeichert, während die «phonologische
Schleife» das Aufbewahren verbaler Informationen erlaubt. Diese exekutive Funktion ermöglicht es, eine Information während einem
kurzen Zeitraum in Erinnerung zu behalten
Vol. 28 Nr. 2 2017
und gleichzeitig eine andere Information zu
behandeln. Der Betreffende ist damit imstande, zwei Aufgaben gleichzeitig auszuführen.
Die gespeicherte Information wird dauernd
aktualisiert.
Die Impulskontrolle schliesslich ist ein Prozess, dank welchem ein Verhalten oder eine
dominierende Aktion verhindert werden können. Sie bezieht sich somit auf die Kontrolle
des Verhaltens.
Zahlreiche Studien weisen eine Beeinträchtigung der exekutiven Funktionen bei Menschen mit ASS nach. Planung und Flexibilität
scheinen die am meisten betroffenen exekutiven Funktionen zu sein, während Impulskontrolle und Arbeitsgedächtnis relativ erhalten
sind, obwohl manchmal auch dort Schwierigkeiten zu beobachten sind18) .
Im Rahmen unserer Forschungsarbeiten19)
haben wir longitudinal, in eineinhalb Jahren
Abstand, Flexibilität und Arbeitsplanung bei
24 6-15-jährigen Kindern mit ASS untersucht.
Wir benutzten zwei Sub-Tests des BADS-C20) .
Der erste Sub-Test besteht im Regelnändern
beim Kartenspiel und erlaubt es, die Fähigkeit
des Prüflings zu testen, die Änderung trotz
dem Widerspruch zwischen erster und zweiter Regel vorzunehmen (Flexibilität). Der
zweite Test, der Zooplan-Test, evaluiert die
Fähigkeit, einen Parcours zu planen, um die
Örtlichkeiten auf dem Plan unter Einhaltung
gewisser Regeln zu besuchen.
Der Test der Regeländerung beim Kartenspiel
deckt oft die grosse Schwierigkeit für Kinder
mit ASS auf, geänderten Anweisungen zu
folgen. Die meisten unter ihnen wenden nach
dem Wechsel die gleiche Regel an wie zuvor,
und sind unfähig, ihre Antworten anzupassen.
Die Fortschritte nach eineinhalb Jahren sind
minim. Kinder die versuchen, die Regeln zu
ändern, sind selten. Abbildung 4 zeigt die
Antworten in Abhängigkeit der vom Kind angewendeten Strategie.
Die Aufgabe mit der Parcoursplanung erwies
sich als extrem schwierig, gewisse Kinder
besuchen alle Orte, andere starten jedesmal
wieder beim Eingang, um einen neuen Ort zu
besuchen (Abb. 5). Das Resultat des Tests
wurde durch Subtrahieren der Fehler von den
erfolgreichen Ergebnissen (unter Berücksichtigung der Vorgabe erreichte Orte) berechnet.
Kinder mit ASS begingen mehr Fehler als sie
Erfolge erzielten, und machten zwischen den
beiden Testsitzungen keine Fortschritte.
Die Planungsschwierigkeiten werden durch
zahlreiche Studien belegt16),21). Sie sind ausgeprägter, wenn das Kind zusätzlich ein Intelligenzdefizit aufweist. Zu beachten ist, dass
diese neuropsychologischen Tests nur wenig
mit Situationen des täglichen Lebens zu tun
haben. Immerhin ist zu sagen, dass diese
Schwierigkeiten, eine erste Handlung auszuführen und gleichzeitig die folgenden zu planen, in verschiedenen Bereichen des täglichen Lebens ein Hindernis sein kann. Pugliese
et al.21) konnten zeigen, dass die Schwierigkeiten Handlungen einzuleiten, ein Prädiktor
adaptativer Funktionen ist.
Die Schwierigkeit seine Aufmerksamkeit von
einem Ziel abzuwenden und auf ein anderes
Erste
Sitzung
Zweite
Sitzung
Korrekter Wechsel
Benutzt eine
der Regeln, mit
andere Regel, wie
einem oder
abwechselnd ja
mehreren Fehlern
und nein sagen
Wendet dieselbe
Regel wie beim
ersten Spiel an
Keine Regel
feststellbar
Abbildung 5: Beispiel der Planung eines Kindes, das für den Besuch
jedes Ortes immer wieder beim Eingang startet
Abbildung 4: Anzahl Kinder, aufgeteilt nach Art der Reaktion auf die
Änderung der Regeln beim Kartenspiel; Zeitintervall zwischen den
beiden Sitzungen eineinhalb Jahre
32
Fortbildung Autismus - Spektrum - Störung
Vol. 28 Nr. 2 2017
zu richten, könnte ein Ansatzpunkt sein, um
die Eigenartigkeit der bei Autisten beobachteten Verhaltensweisen zu verstehen, insbesondere repetitive und stereotype Verhalten und
gestörte soziale Kommunikation21),22) . Diese
Fähigkeit ist in zahlreichen Situationen des
täglichen Lebens notwendig (z. B. Problemlösung, Änderungen tolerieren und sich ihnen
anpassen, von einem Gesprächsthema oder
einer Aktivität zur anderen wechseln, gemeinsames Spielen usw.). Es muss unterstrichen
werden, dass die Störung der Flexibilität bei
Autismus ohne Intelligenzminderung geringer
ist21) .
Die Impulskontrolle ist eine der exekutiven
Funktionen die, im Gegensatz zu Planung und
Flexibilität, wenig gestört scheint. Die diesbezüglichen Studien sind jedoch umstritten. Einige Studien zeigen, dass die Impulshemmung
bei Menschen mit ASS erhalten ist, während
andere Störungen ab dem frühesten Kindesalter nachweisen16) .
Wie die Impulskontrolle wurde das Arbeitsgedächtnis lange Zeit als eine bei Autismus erhaltene Funktion betrachtet. Verschiedene
Studien unterstreichen jedoch ein nicht optimales Funktionieren. Das Arbeitsgedächtnis
soll prädiktiv in Bezug auf Kommunikationsfähigkeit und Geschicklichkeit im täglichen Leben sein21) .
Exekutive Funktionen spielen in der tagtäglichen Funktionsweise sowohl im Kindes- als
im Erwachsenenalter eine vorherrschende
Rolle. Obschon der IQ das Lösen von Aufgaben, die exekutive Funktionen evaluieren,
positiv beeinflusst, und als Indikator für soziale und kommunikative Kompetenz herangezogen werden kann, stellen die exekutiven
Funktionen den besten Prädiktor für die Entwicklung dieser Fähigkeiten dar21),16) .
Was bringt es dem Pädiater?
Die hier beschriebenen neurokognitiven Besonderheiten erlauben es, diagnostische Verhaltensweisen von Kindern mit ASS früh zu
erkennen. Ebenso können damit ihr Verlauf
beurteilt und entsprechende Betreuungsmassnahmen in die Wege geleitet werden.
Es ist für Eltern oft schwer, mit sensorischen
Schwierigkeiten umzugehen. Das Verstehen,
dass es sich weder um eine Laune noch ein
Erziehungsproblem handelt, kann dem Pädiater helfen, mit den Eltern nach Lösungen zu
suchen, diese Schwierigkeiten zu umgehen.
Beim Kleinkind können z. B. Schutzvorrichtungen gegen schmerzhafte sensorische Reize
sinnvoll sein. Dies erfordert eine sensorische
Abklärung, die durch Ergotherapeuten durch-
geführt werden kann. So können für das Kind
erträgliche Begleitumstände gewählt werden,
wie weniger reizende Kleider oder weniger
störende Pflegehandlungen, oder es kann
eine Desensibilisierung vorgenommen werden. Auch sollte die sensorische Funktion
vermehrter Reizsuche untersucht werden. Sie
können für das Kind gefährlich sein und erfordern Vorkehrungen, um das Kind dazu zu
bringen, weniger gefährliche Reize mit derselben Funktion zu suchen. Es ist z. B. besser,
eine Schaukel einzurichten, als dass sich das
Kind auf nicht dafür vorgesehenen Gegenständen schaukelt.
Die im Zusammenhang mit Informationsverarbeitung und globalem Umweltverständnis
auftretenden Schwierigkeiten müssen zweifellos berücksichtigt werden und verlangen
das Einführen entsprechender Anpassungen.
Grundlegende Anpassungen sind visuelle Anhaltspunkte, Klarstellung der wesentlichen
Umweltelemente, Einführen eines Programmes, um das Erlernte progressiv zu generalisieren. Ein vermindertes Interesse für gewisse
Aspekte in seinem Umfeld muss respektiert
werden, kann aber kanalisiert werden, indem
es z. B. nur für begrenzte Zeitabschnitte zugelassen wird.
Die Unfähigkeit sozialer Interaktionen, wie
das Verstehen von Gefühlsregungen und ToM,
aber auch eine verzögerte Entwicklung der
Kommunikation führen bei diesen Kindern zu
grossen Schwierigkeiten. Es ist wichtig, ihnen
rasch alternative Kommunikationsmittel zur
Verfügung zu stellen; dies ermöglicht anschliessend Massnahmen, die ihnen ihr soziales Umfeld besser verständlich machen, indem man sie lehrt, Gefühle und dann das
Verhalten ihres Gegenüber zu interpretieren.
Schwierigkeiten im Zusammenhang mit den
exekutiven Funktionen Planung und Flexibilität können deutlich durch visuelle Strukturierung des Tagesablaufes und der Aktivitäten
des Kindes vermindert werden.
Diese wenigen, nicht umfassenden Empfehlungen zeigen, wie wichtig es ist, die neurokognitiven Besonderheiten des Autismus zu
verstehen, um Eltern und Fachleuten Massnahmen und Anpassungen vorschlagen zu
können, die eine günstigere Entwicklung
möglich machen.
33
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20)Emslie H, Wilson FC, Burden V, Nimmo-Smith I,
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21)Pugliese CE, Anthony L, Strang JF, Dudley K, Wallace GL, Kenworthy L. Increasing adaptive behavior
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22)Faja S, Dawson G, Sullivan K, Meltzoff AN, Estes A,
Bernier R. Executive function predicts the development of play skills for verbal preschoolers with
autism spectrum disorders. Autism Research 2016;
9(12): 1274-84.
Korrespondenzadresse
Prof. Evelyne Thommen
Haute école de travail social et de la santé,
EESP, Lausanne et Université de Fribourg
HES-SO, Haute école spécialisée de Suisse
occidentale, University of Applied Sciences
and Arts, Western Switzerland
Ch. des Abeilles 14,
CH – 1010 Lausanne
[email protected]
Die Autoren haben keine finanzielle Unterstützung und
keine anderen Interessenkonflikte im Zusammenhang mit
diesem Beitrag deklariert.
34
Fortbildung Autismus - Spektrum - Störung
Vol. 28 Nr. 2 2017
Partnerschaftliches Modell bei der
Begleitung eines Kindes mit einer
Autismus-Spektrum-Störung
Nadia Chabane, Lausanne
Übersetzung: Rudolf Schlaepfer, La Chaux-de-Fonds
Einführung
Jedes hundertste Kind ist von einer AutismusSpektrum-Störung (ASS) betroffen. Berücksichtigt man diese international anerkannte
Prävalenz1) , dann wären in der Schweiz
ca. 80 000 Personen betroffen. Bezieht man
Eltern, Geschwister und nahe Verwandte ein,
dann berührt diese Problematik weit über
250 000 Menschen in ihrem täglichen Leben.
Ohne angebrachte Betreuung ab der frühesten Kindheit erfordert die schwere und chronische Behinderung durch ASS (Autonomieverlust und gestörte Sozialisierung) eine oft
sehr belastende Begleitung bis ins Erwachsenenalter.
Diese Störungen stellen heute ein echtes gesundheitspolitisches Problem dar, unterstrichen durch die Tatsache, dass die Betroffenen
(Familien und Vereinigungen) sich aktiv für die
Umsetzung validierter, in Europa und international empfohlener Betreuungsstrategien einsetzen2) . Das Fehlen eines allgemeinen Zugangs zu solchen Strategien, in der Schweiz
wie in anderen europäischen Ländern, stellt
angesichts der aktuellen diagnostischen
Kenntnisse und verfügbaren Betreuungsmodellen ein Paradox dar. Die sich aus unangemessenen Massnahmen ergebenden menschlichen und wirtschaftlichen Kosten sind
beträchtlich. Ungeeignete Massnahmen haben oft eine Verschlimmerung der Behinderung zur Folge, mit schweren Verhaltensstörungen und, damit verbunden, erheblichen
Schwierigkeiten der Gesundheits-, Erziehungs- und Bildungssektoren, darauf einzugehen (Schulausschluss, Versagen der Aufnahmestrukturen, langdauernde, dieser Art
Behinderung nicht angepasste Aufnahmen in
psychiatrischen Abteilungen).
Diese Situation verlangt, dass die Betreuung
dieser Störungen von allen betroffenen Partnern (Kleinkindererziehung, Schule, Gesundheitssektor usw.) heute überdacht werden
muss. Dies bedingt vorerst eine Sensibilisierung bezüglich Besonderheiten der ASS aller,
die an der Betreuung der betroffenen Kinder
beteiligt sind (z. B. Erkennen der Zeichen,
Kenntnis bewährter Verfahren usw.), um diese
Störungen mit einer gemeinsamen Sprache
anzugehen.
Allen beteiligten Fachleuten sollte auch eine
vertiefte, spezifische Ausbildung zu Betreuungsmodellen und Anpassung ihrer Praxis im
täglichen Umfeld der Betroffenen angeboten
werden, in Funktion ihrer Kompetenzbereiche
(z. B. Verhaltensmodelle für spezialisierte
Erziehungsstrukturen, spezifische logopädische Rehabilitationstechniken für Kommunikation usw.).
Globales Betreuungsmodell
von ASS
Internationale Konsensuskonferenzen und
Forschungsarbeiten (insbesondere aus Grossbritannien, Frankreich und Belgien) 2) , welche
die Prinzipien evidenzbasierter Praxis respektieren, empfehlen heute bei der Betreuung
von Personen mit ASS unmissverständlich
Vorgehensweisen, die bei der Betreuung von
Personen mit ASS, die folgende Punkte integrieren:
- Erkennung mit 18 Monaten und Frühdiagnose vor dem Alter von 36 Monaten; die
Diagnose soll auf einer funktionellen und
pluridisziplinären medizinischen Abklärung
beruhen
- Frühintervention mit Programmen, deren
Wirksamkeit wissenschaftlich validiert
wurde
- Regelmässig evaluierte individuelle Erziehungsprogramme
- Einschulung in angepassten pädagogischen
Strukturen
- Unterstützung bei der Sozialisierung in allen Lebenssituationen, entsprechend dem
Funktionsniveau der Person mit ASS.
Logopädische Betreuung zur spezifischen
Rehabilitation der verbalen und nonverbalen
Kommunikation sowie durch Psychomotorik,
um Fein- und Grobmotorik und Sensorik zu
fördern, gehören meist zu den Betreuungsstrategien von Kindern mit ASS.
35
Eine wesentliche Rolle spielt das Alter, in
welchem diese Massnahmen ergriffen werden. Intensive Intervention beim sehr jungen
Kleinkind mit ASS (im Alter von 12–18 Monaten), wie dies heutzutage in verschiedenen
europäischen Ländern, den USA, in Kanada
und Australien im Rahmen wissenschaftlich
evaluierter Programme (ABA, ESDM) der Fall
ist, wird als bestes Mittel betrachtet, um
Entwicklung und Kompetenzen des Kindes zu
optimieren und damit eine bestmögliche soziale Integration zu erreichen. Mehrere randomisierte Studien3)-6) bestätigen eine klinisch
signifikant positive Entwicklung in Bezug auf
kognitive Funktionen, Kommunikation und
soziale Anpassungsfähigkeit nach 2–3 Jahren
intensiver Intervention. Die frühzeitige strukturierte Intervention setzt erhebliches Fachwissen und Kontrolle der Vorgehensweisen
voraus. Sie muss deshalb von kompetenten,
entsprechend ausgebildeten und supervisierten Fachpersonen umgesetzt werden. Bildung
und Beteiligung der Eltern sind wesentliche
Faktoren für eine positive Entwicklung. Das
Programm seinerseits muss laufend evaluiert
und angepasst werden, um den individuellen
Bedürfnissen des Kindes gerecht zu werden.
Gesamthaft ist festzuhalten, dass dieses
Vorgehen ein dauerndes Anpassen der Methode voraussetzt, entsprechend den aktuellen
Empfehlungen, die alleine die Qualität der
Betreuung und die Überwachung deren Wirksamkeit gewährleisten.
Unabhängig vom Alter des Kindes muss die
Wahl von Methodik und Hilfsmitteln (die sich
in dauernder Entwicklung befinden), auf
Grund rigoroser Kriterien betreffend Wirksamkeit und Fehlen von Nebenwirkungen, sowie
allgemeinem Konsens stattfinden. In einem
so sensiblen Bereich müssen die Good Practice-Empfehlungen regelmässig und in Übereinstimmung mit den wissenschaftlichen Erkenntnissen angepasst werden. Von der
Diagnose bis zur globalen Betreuung betreffen die eingesetzten Massnahmen eine grosse Anzahl Fachleute, deren Fachwissen sich
ergänzen und gegenseitig bereichern muss,
um eine gemeinsame Sichtweise der Betreuung von Kind und Familie zu entwickeln.
Von der Abklärung zum personalisierten Betreuungsplan des Kindes:
Eine Partnerschaft von Spezialisten
der Diagnostik und Spezialisten
der Betreuung
Die diagnostische Evaluation von Entwicklungsstand und Gesundheit des Kindes ermöglicht es, Interventionsstrategien und Be-
Fortbildung Autismus-Spektrum-Störung
handlungsziele zu definieren. Es handelt sich
um eine entscheidende Phase, in welcher die
Zusammenarbeit der verschiedenen Partner
wesentlich ist. Die diagnostischen und funktionellen Befunde müssen mit den betreuenden
Personen aus den medizinischen, paramedizinischen, pädagogischen und erzieherischen
Fachbereichen ausgetauscht werden. Im gegenteiligen Fall sind diese Abklärungen, und
seien sie noch so ausgearbeitet, von geringem
Nutzen. Nur der gegenseitige Informationsund Gedankenaustausch ermöglicht dem betreuenden Team, einen personalisierten Betreuungsplan zu erstellen. Abklärungen und
therapeutische Massnahmen müssen vernetzt sein. Pädagogisches Schulteam, Kinderarzt, Logopädin, Kinderpsychiater oder
Psychologin müssen über dieselben Infor­
mationen das Kind, den Betreuungsplan und
die gesteckten Ziele betreffend verfügen.
Evaluationen werden gemeinsam durchgeführt und ebenso notwendige Anpassungen
zur besseren Förderung des Kindes gemeinsam beschlossen. Dieses synergistische Modell schliesst ein sektorielles Vorgehen aus
und bevorzugt eine partnerschaftliche transdisziplinäre Vision, und bedingt eine enge
Koordination und eine Kultur des Austausches, die verallgemeinert werden muss.
Der Behandlungsplan muss demnach idealerweise durch Familie, Diagnose- und Betreuungsteam gemeinsam umrissen werden. Er ist
dynamisch und die vorerst auf der initialen
Abklärung beruhenden und auf das Kind abgestimmten Massnahmen müssen, auf Grund
regelmässiger Evaluationen (im Allgemeinen
jährlich) und insbesondere bei wichtigen
Meilensteinen (Schuleintritt oder -wechsel,
Adoleszenz und Übergang ins Erwachsenenalter usw.) laufend angepasst werden. ASS
sind nicht statisch und der Behandlungsplan
muss der Entwicklung und dem Potential des
Kindes folgen (Abb. 1 und 2).
Der individuelle Behandlungsplan soll Kohärenz und Kontinuität von Entwicklung und
Lebenslauf des betroffenen Kindes gewährleisten. Es müssen der Beitrag aller daran
Teilhabenden sowie die Modalitäten der
Koordination festgehalten werden, und
ebenso welche Fachperson (Kinderarzt,
Kinderpsychiater usw.) die Rolle des Koordinators übernehmen wird.
Personalisierte Massnahmen:
Partnerschaft zwischen betreuenden Fachleuten
Globales Vorgehen kann nicht in einem Aneinanderreihen erzieherischer, pädagogischer,
Vol. 28 Nr. 2 2017
Abbildung 1: Betreuumg von Kind und Familie
sonderpädagogischer oder psychologischer,
heterogener und eklektischer Massnahmen
bestehen. Es setzt die Koordination aller an
der Betreuung des Kindes beteiligten Akteure
voraus. Der «integrative» Charakter des Behandlungsplanes berücksichtigt die Bedürfnisse und das Potential von Kind und Familie
sowie die eingangs durchgeführten Evaluationen. So gibt es denn kein «globales Modell»
für die Betreuung von ASS, sondern vielmehr
individuell angepasste, «massgeschneiderte»
Modelle, die den Eigentümlichkeiten jedes
Kindes entsprechen.
Die Betreuung wird durch ein Team erfahrener
Fachpersonen, mit regelmässiger Fortbildung und Supervision, durchgeführt, die dem
Kind gegenüber eine gemeinsame Sprache
und Interaktion benutzen.
In Übereinstimmung mit aktuellen internationalen Empfehlungen gründen die Interventionen dem Kind gegenüber auf erzieherischen,
Verhaltens- und Entwicklungsansätzen. Sie
sind ausgerichtet auf Kommunikation, Sprache, Imitation, Spiel, soziale Interaktion, motorische Organisation, Planung von Handlungen, Anpassungsfähigkeit im täglichen Leben,
und beinhalten Strategien, um Verhaltensstörungen vorzubeugen oder deren Folgen zu
mindern. Es wird ebenfalls auf emotionale und
sensorielle Aspekte Rücksicht genommen.
Die Intervention setzt voraus, dass kurz- und
mittelfristig zu erreichende funktionelle Ziele
36
festgelegt werden. Diese Ziele müssen regelmässig in Zusammenarbeit mit der Familie
sowie den für die Supervision Verantwortlichen evaluiert und angepasst werden.
Diese Ziele sind im Allgemeinen dann erreicht,
wenn das Kind fähig ist, das Gelernte auf neue
Situationen, in neuer Umgebung und gegenüber verschiedenen Personen zu verallgemeinern (z. B. einer anderen Person als Eltern
oder Erziehern eine Frage stellen).
Derzeit durch Konsenskonferenzen empfohlene Interventionen sind Verhaltens- und Entwicklungsmodelle sowie strukturierte Erziehung (Abb. 3):
•VERHALTEN: Angewandte Verhaltensanalyse
(Applied Behavior Analysis ABA) 7)
•ENTWICKLUNG: Early Start Denver Model
(ESDM) für Kinder unter 4 Jahren3)
•STRUKTURIERTE ERZIEHUNG: Behandlung
und Bildung für autistische und ähnlich
kommunikations-beeinträchtigte Kinder
(TEACCH) 8)
Die Verwendung unterstützender und alternativer Kommunikationsmittel zur Förderung des
Sprachverständnisses, als Alternative zur gestörten verbalen Funktion des Kindes, muss mit
Begleitstrategien kombiniert werden, z. B.
PECS (Picture Exchange Communication System, lori Frost und Andrew Bondy), ein Mittel
zur Kommunikation durch Austausch von Ab-
Fortbildung Autismus - Spektrum - Störung
Vol. 28 Nr. 2 2017
Abbildung 2: Personalisierter Betreuungsplan
bildungen. Das non-verbale Kind soll mit Hilfe
dieses Kommunikationsmittels lernen können,
durch den Bilderaustausch mit seinem Gegenüber etwas anzufordern (einen Gegenstand
oder eine Aktivität wünschen). In einem zweiten Schritt wird das Kind lernen, mit Hilfe von
PECS Sätze zusammenzustellen, Attribute zu
verwenden und weitere Sprachmittel, wie Fragen und Antworten, Kommentare machen usw.
einzusetzen. Das Hilfsmittel fördert die Entwicklung der verbalen Sprache9).
Diese verschiedenen Ansätze schliessen sich
nicht aus, und die Betreuungsteams können
je nach den Bedürfnissen und Eigentümlichkeiten des Kindes, z. B. Verhaltensstrategien
wie ABA mit einer von TEACCH inspirierten
Strukturierung seines Umfeldes kombinieren.
Die Qualität des affektiven, emotionellen Erlebens der Person mit ASS ist ein zentrales
Anliegen der betreuenden Fachleute. Auch
muss die Beziehung zu Familie und weiterem
Umfeld erfasst werden. Eine vermehrte Erforschung dieser systemischen Aspekte (im weitesten Sinne des Wortes) wäre besonders
wünschenswert, um ihre Anwendung bei der
Betreuung von Menschen mit ASS zu verfeinern.
der Eltern getragen, welche die Kohärenz der
Interaktionen mit ihrem Kind gewährleisten
und ihm das Generalisieren des Gelernten
ermöglichen11) . Es ist wünschenswert, den
Familien die Möglichkeit einer Begleitung anzubieten, ohne sie aufzudrängen, in Form eines Erziehungsprogrammes und indem sie an
den Sprechstunden ihres Kindes teilnehmen.
Es können den Eltern je nach Bedarf verschie-
Partnerschaft Familie – betreuende
Fachleute
Die Betreuung von Personen mit ASS muss
global betrachtet und unter Einschluss der
Familie koordiniert werden. Die Familie nimmt
in jeder Phase, von der Diagnostik bis zur Erstellung und Durchführung des Behandlungsplanes eine zentrale Stellung ein. Richtigkeit
und Wirksamkeit der beschlossenen Massnahmen werden durch die unmittelbare Präsenz
Abbildung 3: Empfohlene Ansätze
37
dene Begleitungsmodelle angeboten werden
(Abb. 4). Geschwister sollten nicht vergessen
werden. Sie sind oft die ersten oder einzigen
«Gleichaltrigen», die ihr Geschwister mit ASS
durch gemeinsames Spielen stimulieren, und
so Lernprozesse, Sozialisierung und die Freude an gemeinsamen Aktivitäten fördern. Es
kann für sie schwierig sein, mit einem Geschwister zu leben, dessen Verhalten sie nicht
immer verstehen und mit dem sie vermehrt zu
kommunizieren wünschten. Sie können auch
ein Gefühl des Verlassenseins erleben, durch
Eltern die sich intensiv für das Geschwister mit
ASS einsetzen. Es können ihnen begleitende
Massnahmen vorgeschlagen werden, je nach
Kontext, Bedürfnis und Erwartungen (Abb. 5).
Der Einbezug der Familie ist demnach wesentlich, um Entwicklung und Wohlbefinden
des Kindes mit ASS und das Gleichgewicht
der Familie zu gewährleisten. Eltern sind
Entwicklungs- und Verhaltensexperten ihres
Kindes. Sie sind wesentliche Partner bei allen Betreuungsangeboten und gewährleisten
zu einem wesentlichen Teil die Kontinuität der
Betreuung. Enge Zusammenarbeit (Anhören,
Austausch, gemeinsames Planen usw.) ist
anfangs bei der Diagnostik und anschliessend
bei Planung und regelmässiger Evaluation der
individuell angepassten Betreuung unumgänglich.
Fortbildung Autismus-Spektrum-Störung
Vol. 28 Nr. 2 2017
Referenzen
Abbildung 4: Betreuung der Familie
Schlussfolgerung
Jeder Mensch mit ASS kann, unabhängig von
seinem Alter, eine positive Entwicklung erfahren, in unterschiedlichem Masse und unter
Berücksichtigung seiner Besonderheiten, und
unter der Bedingung, dass die angebotenen
Interventionen seinen Bedürfnissen, Schwierigkeiten und Möglichkeiten angepasst werden. Die Betreuung muss als individualisiertes
Programm betrachtet und, ausgehend von den
anfangs festgelegten Zielen, laufend aktualisiert werden. Das Programm beruht auf einem
ersten funktionellen Befund der Kompetenzen.
Der Erfolg beruht weitgehend auf der Koordi-
nation der Fachleute unter sich und mit der
Familie. Alle Beteiligten (Eltern, Erzieher,
Lehrkräfte, Therapeuten) teilen so eine gemeinsame, langfristig abgestimmte und kohärente Strategie.
Ein die verschiedenen Fachbereiche übergreifender Ansatz, der Kompartimentierung vermeidet, in welchem die Kompetenzen eines
jeden dazu dienen, die Ausarbeitung eines
individuell abgestimmten Betreuungsprogrammes zu schaffen, und der die Zusammenarbeit
mit Kind und Familie zum Ziel hat, ein solcher
Ansatz gewährleistet eine adäquate, sorgfältige und dem Verlauf angepasste Betreuung.
1) Centers for Disease Control and Prevention. Prevalence of Autism Spectrum Disorders Autism and Developmental Disabilities Monitoring Network, 14 Sites, United States, 2008, Morbidity and Mortality
Weekly Report (MMWR) Surveillance Summaries,
March 30, 2012 61 (SS03); 1-1.
2)HAS 2012: http://www.has-sante.fr/portail/
jcms/c_953959/fr/autisme-et-autres-troubles-envahissants-du-developpement-interventions-educatives-et-therapeutiques-coordonnees-chez-l-enfantet-l-adolescent
ANESM, HAS. Autisme et autres troubles envahissants
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Saint-Denis: ANESM, HAS, 2012. www.anesm.sante.
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pdf
NICE, 2011: https://www.nice.org.uk/guidance/qs51
NICE quality standards describe high-priority areas for
quality improvement in a defined care or service area.
Each standard consists of a prioritised set of specific,
concise and measurable statements. They draw on
existing guidance, which provides an underpinning,
comprehensive set of recommendations, and are designed to support the measurement of improvement.This
quality standard covers autism in children, young people and adults, including both health and social care
services.
KCE, 2014: https://kce.fgov.be/.../prise-en-chargede-l’autisme-chez-les-enfants-et-les-adolescents-unguide-de-pratiques
3) Rogers SJ, Dawson G. (2010). Early start Denver model
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Greenson et al. Randomized, controlled trial of an intervention for toddlers with autism: the Early Start
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9) Frost LA, Bondy AS. Picture exchange communication
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Inc.
10)Estes A, Vismara L, Mercado C, Fitzpatrick A, Elder L,
Greenson J, Lord C, Munson J, Winter J, Young G,
Dawson G, Rogers S. The impact of parent-delivered
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Korrespondenzadresse
Prof. Nadia Chabane
Centre Cantonal Autisme
Les Allières
Av. de Beaumont 23, CH-1011 Lausanne
[email protected]
Abbildung 5: Betreuung der Geschwister
38
Der Autor hat keine finanzielle Unterstützung und keine anderen Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem
Beitrag deklariert.
Fortbildung Autismus - Spektrum - Störung
Vol. 28 Nr. 2 2017
Früherkennung von Kindern mit
Autismus-Spektrum-Störungen:
Erfahrungen im Tessin
Gian Paolo Ramelli, Bellinzona
Übersetzung: Rudolf Schlaepfer, La Chaux-de-Fonds
Autismus ist eine Störung der Hirnentwicklung, die sich klinisch durch die Kombination
von qualitativen Anomalien im Bereiche der
sozialen Kommunikation, der Sprache und ein
rigides und stereotypes Verhalten auszeichnet. Wir wissen heute, dass eine frühzeitige
Rehabilitationstherapie, ab dem Alter von 2
Jahren, Prognose und Lebensqualität dieser
Patienten wesentlich verbessern kann. Der
Grund dafür liegt in der bedeutenden Hirnplastizität, die es ermöglicht, zahlreiche Entwicklungsprozesse in diesem jungen Alter zu
beeinflussen1) . Die Frühdiagnose des Autismus ist aus diesem Grund für die Zukunft des
Kindes von grösster Bedeutung.
Leider wird die Diagnose einer AutismusSpektrum-Störung heutzutage in den meisten
Fällen insbesondere bei Kindern mit einem
hohen funktionellen Potential2) immer noch
spät, oftmals erst im Schulalter, gestellt.
Hingegen stellen die Eltern Besonderheiten in
der Entwicklung oft schon lange fest, bevor
die Diagnose bestätigt wird.
Die Diagnose Autismus-Spektrum-Störung
(ASS) wurde im Tessin vor 2009 oft erst nach
dem Alter von 4 Jahren gestellt. Dies verzögerte die möglichen therapeutischen Massnahmen und alle betroffenen Kinder wurden
im Verlauf de facto in eine Kleinklasse eingeschult.
Beim Kleinkind besteht die Schwierigkeit der
Diagnosestellung darin, dass die Variabilität
der Symptome und der Entwicklung von einem Individuum zum anderen sehr gross ist.
Spezifische, regelmässig festgestellte Frühzeichen des Autismus sind Aufmerksamkeitsstörung, die Tendenz, sein Gegenüber nicht
anzusehen, eingeschränkte Reaktion auf den
eigenen Namen, wenig Imitationsverhalten,
fehlendes funktionelles und erfinderisches
Spielen und das Auftreten repetitiver Aktivitäten und spezieller Interessen.
Die Entwicklung von Screening-Tests zur frühen Diagnosestellung ist deshalb wichtig,
auch angesichts der Tatsache, dass keine
biologischen Marker bekannt sind.
Deshalb wurde der M-CHAT-Test (Modified
Autism Checklist for Toddlers) bei der 2-Jahres-Kontrolle eingeführt. Beim M-CHAT müssen die Eltern 23 Fragen zur frühen Entwicklung, speziell zur Entwicklung der sozialen
Interaktion beantworten3) .
Ab 2009 wurden die Kinderärzte im Tessin
darauf hin sensibilisiert, den M-CHAT im
praktischen Alltag anzuwenden. Kinder mit
einem sprachlichen Entwicklungsrückstand
und pathologischen Werten im M-CHAT werden an unsere neuropädiatrische Abteilung
zur weiteren, standardisierten Abklärung
überwiesen.
Der Tessin verfügt somit seit 2009 über systematische Daten zur Erfassung der Diagnose
einer ASS im frühen Kindesalter. Aufgrund der
aktuell verfügbaren internationalen Daten
beträgt die Prävalenz des primären Autismus
6 Fälle auf 1000 Einwohner4) . Ausgehend von
einer Einwohnerzahl von 350‘000 und 2700
Geburten jährlich, wird die jährliche Inzidenz
von Kindern mit einer ASS im Tessin auf ca.
16 geschätzt.
Von 2009 bis 2012 stellten wir bei 41 Kindern
(33 Knaben und 8 Mädchen) die Diagnose
einer ASS. Das mittlere Alter bei Diagnosestellung betrug während diesem Zeitabschnitt
3.2 Jahre. Von 2013 bis 2016 wurde Dank der
Früherkennung 47 neue Fälle (38 Knaben und
9 Mädchen) in einem mittleren Alter von 2.4
Jahren diagnostiziert (Abb. 1).
Die Einführung eines systematischen ASSScreenings hat somit eine frühzeitigere Betreuung dieser Patienten ermöglicht und damit die Voraussetzung einer signifikanten
Verbesserung ihrer kognitiven, emotionalen
und sozialen Kompetenzen. Wir haben zudem
eine Beschleunigung ihrer Entwicklung und
eine Verbesserung ihres Intelligenzquotienten
sowie der ASS-bedingten Verhaltensweisen
und Symptome beobachten können. Diese
Ergebnisse sind bereits 1-2 Jahre nach Therapiebeginn feststellbar. Zudem erreicht die
Grosszahl der Kinder bei Therapieabschluss
ein funktionelles Sprachniveau.
Abbildung 1: Die Grafik zeigt das mittlere Alter der Kinder bei Diagnosestellung. Während den
ersten 4 Jahren (2009-2012) wurde der M-CHAT noch sporadisch durchgeführt und das mittlere Alter betrug 3.2 Jahre. Während der zweiten Periode (2013-2016) wurde der M-CHAT
systematisch angewendet und das mittlere Alter bei Diagnosestellung sank auf 2.4 Jahre.
39
Fortbildung Autismus-Spektrum-Störung
Vol. 28 Nr. 2 2017
Die frühe Intervention basiert auf einer Verhaltenstherapie nach der ABA-Methode (Applied Behavior Analysis). Es handelt sich um
eine interdisziplinäre Zusammenarbeit, wobei
auch logopädische und ergotherapeutische
Aspekte einbezogen wurden. Die Patienten
können heute in eine Regelklasse mit Unterstützung durch eine sonderpädagogisch geschulte Lehrkraft eingeschult werden.
Die aktuelle Forschung zeigt, dass die Früh­
intervention eine positive Entwicklung des
Kindes mit ASS ermöglicht. Dank Frühdiagnostik und –intervention besuchen im Tessin
derzeit 60% der Kinder mit ASS die Regelschule.
Zusammenfassend stellen wir fest, dass mit
dem Einführen des M-CHAT bei der 2-JahresUntersuchung die Anzahl zugewiesenen Kinder mit Verdacht auf ASS an unserer Abteilung für Neuropädiatrie deutlich zugenommen
hat. Die Anzahl erreicht praktisch die Gesamtheit der Autismuspatienten in der Tessiner
Bevölkerung. Es muss zudem unterstrichen
werden, dass das Screening zur Diagnose vor
dem Alter von 3 Jahren und damit zur frühzeitigen Betreuung führt.
Wir betrachten es deshalb als wesentlich,
dass die Praxispädiater in der Lage sind, Kinder mit ASS frühzeitig zu erkennen, damit ihre
Betreuung vor dem Schulalter beginnen kann.
Früherkennung und –intervention sind entscheidend für die Entwicklung und damit
schulische Integration des Kindes.
Referenzen
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Demonstrate Optimal Progress Between Age Two
and Four. J Autism Dev Disord 2016; 46: 2160-73.
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Korrespondenzadresse
Prof. Dr. med. Gian Paolo Ramelli
Dipartimento di Pediatria EOC
Servizio di Neuropediatria
Ospedale San Giovanni
6500 Bellinzona.
[email protected]
Der Autor hat keine finanzielle Unterstützung und keine
anderen Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert.
40
Fortbildung
Vol. 28 Nr. 2 2017
Belastungsuntersuchungen bei Kindern
mit einem angeborenen Herzfehler
Sarah Simmen1, Emanuela Valsangiacomo Buechel1, Martin Christmann1, Zürich
Einleitung
Belastungsuntersuchungen stellen ein wichtiges Instrument zur Abschätzung der körperlichen Leistungsfähigkeit nicht nur von Sportlern, sondern auch von Patienten, insbesondere mit Lungen- und Herzerkrankungen, sowohl im Kindes- als auch im Erwachsenenalter dar. In der pädiatrischen Kardiologie dienen Belastungsuntersuchungen zum
einen zur Beurteilung der körperlichen Leistungsfähigkeit im Verlauf nach der Behandlung eines angeborenen Herzfehlers, zum
anderen auch zur Abklärung möglicher myokardialer Ischämien oder Rhythmusstörungen
in der Nachsorge1) .
Ziel der Belastungsuntersuchung ist eine
maximale Leistungserbringung. Hierbei werden kontinuierlich und gleichzeitig verschiedene Parameter gemessen und berechnet.
Belastungsuntersuchungen können als Ergometrie oder als Spiroergometrie durchgeführt
werden. Bei der Ergometrie werden während
zunehmender Last (meist gemessen in Watt)
die Vitalparameter (Blutdruck, Herzfrequenz,
periphere Sauerstoffsättigung) zusammen mit
einer EKG-Ableitung (in der Regel 12-KanalEKG) dokumentiert. Bei der Spiroergometrie
werden zusätzlich durch ein Mundstück oder
eine Maske die Sauerstoffaufnahme (VO2 )
und CO2 -Abgabe (VCO2 ) gemessen; somit
wird das pulmonale System unter Belastung
mitbeurteilt2) .
Bei Kindern mit einem angeborenen Herzfehler beeinflussen einerseits die Physiologie des
Herzfehlers, andererseits die resultierende
Hämodynamik nach der operativen Korrektur
die Leistungsfähigkeit. Für die rechtzeitige
Erkennung einer Verschlechterung der Leistungsfähigkeit sollten bei Kindern mit einem
angeborenen Herzfehler spiroergometrische
Belastungsuntersuchungen in der kardiologischen Nachsorge seriell durchgeführt werden.
Grundlagen der Spiroergometrie
Hauptfunktion des kardiovaskulären Systems
ist die ausreichende Sauerstoffbereitstellung
für den Körper. Hierfür bedarf es eines engen
Zusammenspiels von verschiedenen, am Sauerstofftransport und -metabolismus beteiligten Organsystemen (Abb.1). Der Gasaustausch von Sauerstoff (O2 ) und Kohlendioxid
(CO2 ) wird über eine adäquate Lungenfunktion aufrechterhalten. Der Transport des mit
Sauerstoff beladenen Blutes (gebunden an
Hämoglobin in den Erythrozyten) benötigt ein
funktionierendes zirkulatorisches System,
bestehend aus der Blutpumpe Herz sowie
dem Gefässsystem. In den sauerstoffabhängigen Endorganen wird Sauerstoff während
des aeroben Stoffwechsels zu ATP, dem Energieträger unserer Körperzellen, metabolisiert.
Letztendlich wird die gewonnene Energie in
Leistung/Bewegung durch Muskelarbeit umgesetzt. Um unter Anstrengung vermehrte
Arbeit leisten zu können, ist ein in allen Teilbereichen dieser Kaskade funktionierendes
System notwendig. Einschränkungen auf einer oder mehrerer Ebenen können zu einer
eingeschränkten körperlichen Leistungsfähigkeit führen. Die Spiroergometrie misst neben
den sich verändernden Vitalparametern (z. B.
Herzfrequenz, Blutdruck, Atemfrequenz, Sauerstoffsättigung) auch die Veränderung von
Sauerstoff- und CO2 -Gehalt in Inspiration und
Exspiration und korreliert diese zu der erbrachten Leistung. Weitere, unten beschriebene Parameter werden durch moderne Spiroergometrie-Geräte zusätzlich berechnet.
Indikationen, absolute Kontraindikationen und Abbruchkriterien
Tabelle 1 gibt einen Überblick über Indikationen und Kontraindikationen und zeigt Abbruchkriterien einer Belastungsuntersuchung.
Detaillierte Listen von Kontraindikationen sowie Abbruchkriterien bei Belastungstests wurden unter anderem von der American Thoracic
Society (ATS) publiziert1),3) ,4).
Durchführung
Spiroergometrien bei Kindern müssen von
einem erfahrenen Team durchgeführt und
überwacht werden. Speziell bei Kindern mit
einem angeborenen Herzfehler wird die Anwesenheit eines Kinderkardiologen empfohlen5),6) . Das Team soll mit Notfall- und Reanimationssituationen vertraut sein, auch wenn
die Spiroergometrie eine sichere Untersuchung mit nur geringen Risiken für die Probanden darstellt4),5) .
Um eine erfolgreiche Durchführung sicherzustellen, müssen Kinder vor der Untersuchung
mit den Abläufen vertraut gemacht werden.
Ferner ist bei Kindern zu beachten, dass sie
emotional unreif sind und sie daher Ermutigung und positive Unterstützung vom Betreuungsteam brauchen, um die erwünschte
Leistung zu erbringen5) .
Belastungsuntersuchung können auf einem
Laufband oder Fahrradergometer durchge-
Indikationen
Absolute Kontraindikationen
Abbruchkriterien
-
-
-
-
-
- Akuter, fieberhafter Infekt
- Akuter Myokardinfarkt oder Instabile
Angina pectoris
- Akuter Asthmaanfall
- Akute Myokarditis
- Unkontrollierte schwere Hypertonie
- Akute Entgleisung einer Stoffwechselstörung
- Subjektive Erschöpfung
- Auffällige Blässe
-Dyspnoe
-Schwindel
-Kopfschmerzen
- Angina pectoris
- Unphysiologische Blutdruck- oder Herzfrequenzantworten
- Signifikante Herzrhythmusstörungen
- Erregungsleitungs- oder Erregungsrückbildungsstörungen
Beurteilung der Belastungstoleranz und
- intoleranz
Präoperatives Hilfsmittel für die Indikation eines Eingriffes
Erfassung von Herzrhythmusstörungen und Myokardischämien bei Belastung
Abklärung belastungsabhängiger Symptome
Überprüfung der Effektivität einer eingelei-
teten Therapie
Tabelle 1. Indikationen, Kontraindikationen und Abbruchkriterien von Belastungsuntersuchungen1),3),4)
Abteilung Kardiologie, Kinder-Herzzentrum, Universitäts-Kinderklinik, Zürich
1
41
Fortbildung
führt werden. Der Untersuchungszeitraum
beträgt idealerweise 6–12 Minuten. Eine längere Untersuchung kann aufgrund nachlassender Motivation oder Aufmerksamkeit zu
einem Abbruch des Tests vor Erreichen der
maximalen Leistung führen7) . Die gesamte
Untersuchung erfolgt unter kontinuierlicher
Überwachung von Herzrhythmus und Vitalparametern. Bei der Spiroergometrie atmet der
Proband durch ein Mundstück oder eine Gesichtsmaske, mit einem darin eingebauten
Filter, der stetig die O2 - und CO2 -Werte der
Ein- und Ausatmungsluft misst. Anhand der
erhobenen Messwerte können weitere Parameter direkt durch das Gerät berechnet
werden.
Laufband vs. Fahrradergometer
Sowohl für Laufband als auch Fahrradergometer gibt es Vor- und Nachteile hinsichtlich der
Anwendung in der pädiatrischen Kardiologie.
Auf dem Laufband können bereits sehr kleine
Kinder untersucht werden. Diesen wird zusätzlich ein Gurt angelegt, welcher an einem
Seil befestigt ist und sie vor einem Sturz
schützt. In der Literatur sind Spiroergometrien ab dem 3. Lebensjahr beschrieben7) . Eine
gewisse motorische Reife wird in diesem Fall
vorausgesetzt. Die Erfahrung zeigt jedoch,
dass diese individuell sehr unterschiedlich ist
und selten bereits bei 3-jährigen Kindern
ausreicht.
Ein weiterer Vorteil des Laufbandes liegt in
der den Kindern vertrauten Bewegung, welche
im Vergleich zum Fahrradergometer die Arbeit
einer grösseren Muskelmasse verlangt und
bei der mit einer erhöhten Wahrscheinlichkeit
das kardiovaskuläre System den limitierenden
Faktor der Leistungserbringung darstellt7). Die
Vol. 28 Nr. 2 2017
5–10% höheren VO2max-Werte, die erreicht
werden, stellen gegenüber dem Fahrradergometer ebenfalls einen Vorteil dar7) .
Anders als beim Laufband ist die Arbeitslast
auf dem Fahrradergometer gewichtsunabhängig, was bei adipösen Patienten als wichtiger
Vorteil angesehen wird5). Zudem wird auf dem
Fahrradergometer aufgrund der kleineren
Oberkörperbewegungen der Blutdruck zuverlässiger gemessen und das EKG weist weniger
Artefakte auf.
Protokoll
Es existieren verschiedene Belastungsprotokolle. Man unterscheidet zwischen Stufenund Rampenprotokollen. Bei Stufenprotokollen (wie z. B. dem Bruce-Protokoll) wird die
Belastung stufenweise erhöht, wobei die Stufendauer meist 3 Minuten beträgt. Rampenprotokolle zeichnen sich durch eine sehr kurze
Stufendauer aus, was für die Bestimmung der
anaeroben Schwelle von Vorteil ist7). Abbildung 2 zeigt schematisch den Unterschied von
Rampen- und Stufenprotokollen.
Parameter
Entsprechend Abbildung 1 erfordert die Leistungserbringung auch bei Kindern mit einem
angeborenen Herzfehler ein enges Zusammenspiel zwischen den Systemen Atmung,
Herzkreislauf und dem End-Organ Muskel.
Die im Rahmen der Leistungsdiagnostik mittels Spiroergometrie gewonnen Parameter
versuchen möglichst genau dieses Zusammenspiel zu charakterisieren. Graphisch werden von den modernen Spiroergometriegeräten die Messwerte in der 9-Felder-Tafel nach
Wassermann dargestellt8) . In der Folge werden die in der Beurteilung von Kindern mit
einem angeborenen Herzfehler relevantesten
Parameter zusammengestellt und Limitationen und Einflussfaktoren auf die Untersuchung benannt.
Herzfrequenz
Die Herzfrequenz steigt bei gesunden Probanden während Belastung beinahe linear mit
steigendem Sauerstoffverbrauch an. Gut trainierte Probanden zeigen einen verzögerten
Anstieg der Herzfrequenz. Im Gegensatz dazu
haben untrainierte Probanden oder Patienten
mit Herzinsuffizienz oft einen schnelleren
Herzfrequenzanstieg4) .
Das Verhalten der Herzfrequenz bei Kindern
wurde in verschiedenen Studien untersucht.
Die Antwort der Herzfrequenz bei Kindern ist
unabhängig vom Alter und Geschlecht und
variiert mit der Methode der Belastung7),10) .
Werden Herzfrequenzwerte bei Fahrradbelastungen von 195/min und bei Laufbandbelastungen von 200/min erreicht, so wird dies als
Ausbelastung betrachtet11) .
Nach Beendigung einer Belastung sinkt die
Herzfrequenz exponentiell ab, man spricht von
der «Heart rate-Recovery» (HRR)12) . Die Herzfrequenz erholt sich schneller bei jüngeren
Kindern, Knaben und nicht übergewichtigen
Kindern13) . Herz Patienten hingegen zeigen
häufig eine verzögerte HRR12) . Singh et al.
zeigten, dass ein 12-wöchiges Rehabilitationsprogramm bei Kindern mit einem angeborenen
Herzfehler zu einer deutlichen Besserung der
HRR führte, ohne dass immer eine Steigerung
der Leistung (gemessen an VO2max, s. unten)
beobachtet wurde12) . Somit könnte eine adäquate HRR ein erstes Zeichen für eine verbesserte kardiovaskuläre Antwort darstellen.
Blutdruck
Physiologisch steigt der Blutdruck unter Belastung an und fällt nach Belastung wieder
ab9) . Bei Kindern mit einem angeborenen
Herzfehler kann der Blutdruckanstieg unzureichend sein. Ursachen können eine Aortenklappenstenose oder auch eine eingeschränkte linksventrikuläre Funktion sein. Bei
Aortenklappeninsuffizienzen kann es durch
den erhöhten O2 -Bedarf des Myokards bei
Belastung und dem durch die Insuffizienz
bedingten relativen Minderangebot (in der
Diastole) unter Belastung zu Ischämiezeichen
(klinisch und im EKG) kommen.
Abb. 1: Zusammenspiel der Organsysteme im Rahmen der O2 -Aufnahme und CO2 -Abgabe
42
Maximale Sauerstoffaufnahme/peak
VO2
Die maximale Sauerstoffaufnahme während
der Belastung ist der wichtigster Messwert für
Fortbildung
Vol. 28 Nr. 2 2017
Zunahme entsteht durch vermehrt anfallendes Laktat oberhalb der anaeroben Schwelle,
welches durch Bikarbonat gepuffert und als
CO 2 abgeatmet wird. Die «ventilatorx
equivalents»-Methode berechnet VAT mittels
des Verhältnisses der Atemminutenvolumen
und der VO2 -Kurve1) .
Wird die anaerobe Schwelle bei einer Belastung erreicht, so kann davon ausgegangen
werden, dass ein kardialer Faktor für die Limitierung des Tests verantwortlich war1) .
Abb. 2: Schematische Darstellung von (A) Stufen- und (B) Rampenprotokoll; W=Watt
die kardiopulmonale Leistungsfähigkeit (peak
VO2 oder VO2max) 4) . VO2max entspricht der
maximalen Menge O2, welche das kardiovaskuläre System den arbeitenden Muskeln liefern kann. Neben der kardialen Funktion muss
hierbei auch die pulmonale Funktion mitbeurteilt werden, da die erreichte VO2max auch
durch pulmonale Erkrankungen beeinflusst
wird. Eine gesunde Lunge und Atemphysiologie vorausgesetzt, hängt die Höhe von VO2max
von der Fähigkeit des kardiovaskulären Systems ab, das Herzzeitvolumen während körperlicher Belastung zu steigern14) . Als alters-,
geschlechts- und gewichtsabhängiger Wert
wird er in ml O2/(kg*Min.) angegeben und gilt
als bester Index für die aerobe Kapazität und
somit der kardiovaskulären Leistungsfähigkeit4) . In verschiedenen Studien wurden
VO2max-Normwerte für Kinder präsentiert14),15) .
O2 -Puls (O2P)
Stellt sich bei Patienten mit Herzerkrankungen die Frage, ob das Schlagvolumen unter
Belastung angemessen gesteigert werden
kann, so nimmt der Sauerstoffpuls eine zentrale Bedeutung ein. Die Sauerstoffaufnahme
pro Herzschlag wird definiert als Sauerstoffpuls (O2 -Puls) und entspricht dem Produkt
aus Schlagvolumen und arteriovenöser Sauerstoffextraktion7) . Der O2 -Puls verhält sich
proportional zum Schlagvolumen und ist bei
Patienten mit einem reduzierten linksventrikulären Auswurfvolumen (wie bei Patienten
mit «single-ventricle» Physiologie, schweren
obstruktiven Läsionen, schweren Klappeninsuffizienzen) und pulmonalen oder systemischen vaskulären Krankheiten vermindert14) .
Anämien oder Polycythämien sowie die Herzfrequenz beeinflussende Medikamente (z. B.
eine beta-Blocker-Therapie) können den O2 -
Puls beeinflussen und müssen deshalb in die
Beurteilung mit einbezogen werden14) . Liegt
bei einem Patienten in Ruhe eine verminderte
Funktion des linken Ventrikels vor, so kann
anhand des O2 -Pulses die Fähigkeit zur Steigerung des Schlagvolumens im dynamischen
Zustand abgeschätzt werden.
Respiratory exchange Ratio (RER)
Das Verhältnis der CO2 -Ausatmung und der
O2 -Aufnahme (VCO2/VO2 ) wird RER genannt1).
Für eine korrekte Interpretation des kardiopulmonalen Status eines Probanden, muss
dieser eine maximale Leistung erbringen. Die
Respiratory Exchange Ratio (RER) kann helfen
einzuschätzen, ob der Proband während des
Belastungstests eine maximale Leistung erbracht hat14) . In Ruhe entspricht RER dem respiratorischen Quotienten (RQ) und ist <1.
Wird die anaerobe Schwelle überschritten,
steigt RER >1. Bei Kindern werden RER-Werte
von 1.05 oder 1.08 mit einer angemessenen
Leistung bzw. Ausbelastung in Verbindung
gebracht2),14) .
Ventilatory anaerobic threshold (VAT)
Die anaerobe Schwelle (VAT) stellt den Punkt
dar, bei dem während zunehmender Belastung
der aerobe Metabolismus die Muskeln nicht
mehr ausreichend mit Energie versorgen
kann. Dieser Vorgang wird limitiert durch die
Menge an Sauerstoff die über das kardiovaskuläre System den Muskeln geliefert und in
Energie umgewandelt wird14) . VAT sinkt mit
dem Alter und ist bei Kindern mit einem angeborenen Herzfehler vermindert7) . Die anaerobe Schwelle kann mit 2 unterschiedlichen
Methoden bestimmt werden. Die «V-slopeMethode» definiert als VAT den Zeitpunkt, an
dem VCO2 ohne Hyperventilation überproportional zum VO2 -Anstieg ansteigt. Die VCO2 -
43
VE/VCO2 Slope
Das Atemminutenvolumen (VE, in l/Min.)
steigt während zunehmender Belastung bis zu
einem Punkt oberhalb von VAT linear an, proportional zu VCO214) . Das Verhältnis VE/VCO2
sinkt zu Beginn der Belastung ein wenig ab,
da das Ventilations-Perfusions-Verhältnis optimiert wird. Anschliessend bleibt die Steigung VE/VCO2 ziemlich konstant und steigt
erst gegen Ende der Belastung stärker an2) .
Der lineare Abschnitt der Kurve wird VE/VCO2
Slope genannt und gilt als Index für die GasAustausch-Effizienz während Belastung14) .
Die Bedeutung des VE/VCO2 Slopes für Kinder ist bei der aktuellen Studienlage noch
unklar, wobei aber gezeigt werden konnte,
dass Kinder mit komplexen angeborenen
Herzfehlern erhöhte VE/VCO2 -Slope-Werte
aufweisen16) .
Abb. 3: Belastungsuntersuchung auf dem
Laufband
Fortbildung
Rhythmus
Belastungsuntersuchungen helfen, belastungsabhängige Arrhythmien zu demaskieren.
Nebst Begleitarrhythmien bei verschiedenen
Herzfehlern, spielt die Ergometrie eine entscheidende Rolle in der Diagnostik von insbesondere drei spezifischen Rhythmusstörungen: (A) supraventrikuläre Tachykardien, (B)
Long-QT-Syndrom und (C) katecholaminerg
polymorph ventrikuläre Tachykardie (CPVT).
A)Bei Patienten mit Präexzitationen (deltaWelle im EKG) dienen Belastungsuntersuchungen dazu, Eigenschaften der akzessorischen Leitungsbahn zu testen.
Verschwindet während der Belastung die
Präexzitation im EKG, so spricht dies für
eine schlechte Leitungseigenschaft der
akzessorischen Leitungsbahn. Das Risiko
für die Entwicklung von schnellen ventrikulären Antworten auf Vorhofarrhythmien,
insbesondere Vorhofflimmern, ist in diesem
Fall geringer als wenn Präexzitationen bei
Belastung persistieren7) .
B)Das Long-QT-Syndrom, eine angeborene
Ionenkanalerkrankung, zeichnet sich durch
ein verlängertes QT-Intervall im EKG aus.
Ergänzend zu den bekannten diagnostischen Schwartz-Kriterien kann die Bestimmung der frequenzkorrigierten QT-Zeit
(QTc) in der Nachbelastung (3–4 Minuten
nach Belastung) als ergänzender Messwert
zur Risiko-Stratifizierung herangezogen
werden7),17),18) . Hierbei werden QTc-Werte ≥
480 ms zu diesem Zeitpunkt als erhöhtes
Risiko gewertet.
C)Die CPVT stellt eine ebenfalls genetisch
bedingte Rhythmusstörung dar, bei der
häufig nur unter Belastung polymorphe
ventrikuläre Extrasystolen oder ventrikuläre Tachykardien auftreten. Neben der Diagnosestellung wird die Belastungsuntersuchung auch zur Bewertung einer
prophylaktischen medikamentösen Therapie eingesetzt7) .
Einsatz und Nutzen der Spiroergometrie bei Kindern mit angeborenen Herzfehlern
Die Spiroergometrie wird zur Beurteilung der
Leistungsfähigkeit von Kindern mit angeborenem Herzfehler als objektive Messmethode
eingesetzt. Mit den Ergebnissen der Untersuchung sollen Indikationen und Erfolg von
operativen oder interventionellen Eingriffen
bewertet werden. Auch sollen anhand der
Ergebnisse Empfehlungen hinsichtlich körperlicher Aktivität im Alltag abgegeben werden
Vol. 28 Nr. 2 2017
können. Zudem hilft sie subjektive Beschwerden der Patienten zu objektivieren und ein
eventuelles kardiologisch-organisches Korrelat zu testen.
Die meisten angeborenen Herzfehler, die einen operativen Eingriff notwendig machen,
führen im Langzeitverlauf häufig zu einer unterschiedlich stark eingeschränkten Leistungsfähigkeit16). Hierfür können eine chronotrope Inkompetenz (z. B. Sinusknotendysfunktion), aber auch eine reduzierte Ejektionsfraktion des linken Ventrikels sowie
Klappeninsuffizienzen oder -stenosen mögliche Ursachen sein. Eine besondere Stellung
nehmen in diesem Kontext Kinder mit einem
univentrikulären Herzen und einer Glennoder Fontanphysiologie (bidirektionale – oder
totale cavo-pulmonale Anastomose) ein. In
dieser Patientengruppe erfolgt die Lungenperfusion nach operativer Palliation passiv. Diese
Patienten zeigen im Vergleich zu anderen
kardialen Vitien und der Normalpopulation in
der Regel deutlich eingeschränkte Werte für
VO2 max19) .
In der Folge möchten wir exemplarisch einige
Vitien und die typischen Fragestellungen an
die Spiroergometrie zusammenfassen:
Transposition der grossen Arterien
(TGA):
Nach Koronarchirurgie im Rahmen der arteriellen Switch-Operation (ASO) im Neonatalalter kommt in dieser Patientengruppe der
Frage nach Hinweisen für Myokardischämien
unter Belastung als frühes Zeichen der koronaren Insuffizienz eine besondere Rolle zu.
Aortenstenose:
Beurteilung des Blutdruckverhaltens unter
Belastung sowie Erfassung von subendokardialen Ischämien.
Fallot`sche Tetralogie:
Beurteilung der Leistungsfähigkeit vor dem
Hintergrund von im Langzeitverlauf auftretenden Re-Stenosen oder Insuffizienzen im Bereich des rechtsventrikulären Ausflusstrakts
mit evtl. Dilatation der rechten Kammer. Die
Leistungsfähigkeit in der Belastungsuntersuchung ist ein Baustein in der Indikationsstellung für einen Pulmonalklappenersatz.
Patienten mit Fontanphysiologie
(totale cavo-pulmonale Anastomose)
Beurteilung der Leistungsfähigkeit. Eine Zunahme der Zyanose unter Belastung kann
44
Ausdruck einer Fenestrierung zwischen Fontanconduit und rechtem Vorhof, oder vorhandener venovenöser Kollateralen sein. Die
chronotrope Kompetenz unter Belastung oder
andere Arrhythmien werden erfasst.
Fazit
Die Spiroergometrie stellt ein etabliertes
Verfahren für die differenzierte Leistungsund Funktionsdiagnostik bei Erwachsenen
und Kindern dar. Sinnvolle Belastungsuntersuchungen bei Kindern mit angeborenen
Herzfehlern können ab dem 8. Lebensjahr
sowohl auf dem Laufband als auch auf dem
Fahrradergometer durchgeführt werden. Hierbei wird eine höhere Ausbelastung auf dem
Laufband und eine durch weniger Bewegungsartefakte bessere Rhythmusanalyse auf dem
Fahrrad erreicht. Die maximale Sauerstoffaufnahme (VO2max) stellt einen der wichtigsten
Messwerte der Leistungsdiagnostik dar. Als
alters-, geschlechts- und gewichtsabhängiger
Wert wird er in ml O2/(kg*Min.) angegeben
und gilt als bester Index für die aerobe Kapazität und somit der kardiovaskulären Leistungsfähigkeit. Bei Rhythmusstörungen kann
die Spiroergometrie als Hilfsmittel in der Diagnostik und Therapiesteuerung dienen. Dabei
muss betont werden, dass eine Belastungsuntersuchung nicht isoliert betrachtet werden
soll, sondern immer im Kontext mit den üblichen kardiologischen diagnostischen Modalitäten interpretiert werden muss.
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Korrespondenzadresse
Dr. med. Martin Christmann
Facharzt Kinder- und Jugendmedizin
Schwerpunkt Kinderkardiologie
Universitätskinderspital Zürich
Steinwiesstrasse 75
CH-8032 Zürich
[email protected]
Die Autoren haben keine finanzielle Unterstützung und
keine anderen Interessenkonflikte im Zusammenhang mit
diesem Beitrag deklariert.
45
Hinweise
Vol. 28 Nr. 2 2017
Werden die Rechte der Kinder mit
Migrationshintergrund respektiert?
Jean Zermatten1, Sion
Übersetzung: Rudolf Schlaepfer, La Chaux-de-Fonds
Allgemeine Bemerkungen
Allgemein gesehen besteht in unserem Land
derzeit die Tendenz, Migration zu «kriminalisieren» und gegenüber Migranten, seien es nun
Männer, Frauen oder Kinder, ein Gefühl des
Misstrauens zu wecken. Migranten werden
damit «verdächtig» und man wird eher eine
Lösung im Sinne von Wegweisung oder Rückführung suchen als eine wohlwollende und
gastliche Haltung einnehmen.
Dabei verlangt Art. 22 der UNO-Konvention
über die Rechte des Kindes (in der Folge Konvention) von den 195 Staaten, darunter die
Schweiz, welche dieses Dokument ratifiziert
haben, «... geeignete Massnahmen (zu treffen),
um sicherzustellen, dass ein Kind, (...) angemessenen Schutz und humanitäre Hilfe bei der
Wahrnehmung der Rechte erhält, die in diesem
Übereinkommen (...) festgelegt sind».
Zudem erinnert diese Konvention daran, dass
keine Kategorie Kinder aufs Abstellgleis geschoben werden darf: Sowie ein Kind sich auf
dem Territorium eines Staates befindet, geniesst es alle Rechte, die Minderjährigen
(< 18 Jahre) zustehen. Dieses Prinzip gilt auch
für Migrantenkinder, seien sie nun in Begleitung
ihrer Eltern oder nicht. Kinder mit Migrationshintergrund stellen in den Augen der Konvention eine besonders verletzliche Population dar.
Es beunruhigt uns deshalb, festzustellen, wie
stark Abkapselungsreflexe gegenüber Migration spielen und wie schnell Staaten elementarste Verpflichtungen vergessen.
Verpflichtungen der UNO-Konventions-Vertragsstaaten
Unter Vertragsstaat versteht man einen Staat,
der die Konvention ratifiziert hat und damit
Teil dieses internationalen völkerrechtlichen
Vertrages ist; die Konvention wurde durch die
Schweiz ratifiziert und ist am 26. März 1997
rechtskräftig geworden.
Eine Konvention ist ein verpflichtendes völkerrechtliches Abkommen, d. h. dass die ratifizierenden Staaten sich verpflichten, deren
Verfügungen auszuführen; im Gegensatz zu
einer Erklärung, Empfehlung oder Richtlinie
usw. hat die Konvention obligatorischen Charakter: Die Vertragsstaaten «... achten die in
diesem Übereinkommen festgelegten Rechte
und gewährleisten sie jedem ihrer Hoheitsgewalt unterstehendem Kind ...» (Art 2. Abs. 1
der Konvention).
Die erste Pflicht der Vertragsstaaten besteht
darin, die notwendigen Massnahmen zur Beachtung der Rechte aller Kinder innerhalb ihres Hoheitsgebietes zu ergreifen: Dieses
Prinzip wendet sich demnach auch auf Kinder
mit Migrationshintergrund an.
Zweite Auflage: Die Vertragsstaaten verpflichten sich, alle gesetzlichen, administrativen
und weiteren (z. B. finanziellen) Massnahmen
zu ergreifen, um die Konvention umzusetzen.
Drittens verpflichten sich die Vertragsstaaten,
dafür zu sorgen, dass die allgemeinen Prinzipien der Konvention angewendet werden. Es
gibt deren 4:
- Nicht-Diskriminierung (Art. 2): Mit anderen
Worten: Alle Kinder, Mädchen, Behinderte,
Flüchtlinge, ausländische Herkunft, Minderheiten sollten die gleichen Rechte haben
wie alle übrigen;
- Das Wohl («the best interest») des Kindes
(Art. 3): Kernstück der Konvention: Wird ein
Entscheid einem Kind oder einer Kindergruppe gegenüber getroffen, ist das höhere
Interesse des Kindes ein Gesichtspunkt, der
vorrangig zu berücksichtigen ist;
- Das Recht auf Leben, Überleben und Entwicklung (Art. 6): Dieses Recht muss im
weitesten Sinne verstanden werden; es sind
nicht nur Leben und Gesundheit gemeint,
sondern die kindliche Entwicklung als Ganzes, geistig, emotional, sozial und kulturell;
- Die Meinung des Kindes (Art. 12): Kinder
haben das Recht, angehört zu werden, und
ihre Meinung muss ernst genommen werden.
Vierte Pflicht der Vertragsstaaten: Dem Kind
die Ausübung der subjektiven, in der Konven-
tion aufgeführten Rechte garantieren. Für
Kinder mit Migrationshintergrund sind dies:
•Art. 10: Von einem Kind oder seinen Eltern
gestellte Anträge, um zwecks Familienzusammenführung in einen Vertragsstaat
einreisen oder diesen verlassen zu können,
sollen «wohlwollend, human und beschleunigt bearbeitet» werden.
•Art. 22: «Die Vertragsstaaten treffen geeignete Massnahmen, um sicherzustellen,
dass ein Kind, das die Rechtsstellung eines
Flüchtlings begehrt oder (…) als Flüchtling
angesehen wird, angemessenen Schutz und
humanitäre Hilfe bei der Wahrnehmung der
Rechte erhält, die in diesem Übereinkommen (…) festgelegt sind, und zwar unabhängig davon, ob es sich in Begleitung seiner
Eltern oder einer anderen Person befindet
oder nicht.»
•Art. 9: Sieht das Recht des Kindes vor, nicht
von seinen Eltern getrennt zu werden.
•Art. 7 und 8: Erwähnen die Verpflichtung,
das Recht des Kindes auf seine Identität,
einschliesslich seine Staatsangehörigkeit,
seinen Namen und seine gesetzlich anerkannten Familienbeziehungen zu achten.
Der Vertragsstaat muss über die Einhaltung
der Rechte der Kinder durch regelmässige
Berichte an den UNO-Ausschuss über die
Rechte des Kindes Rechenschaft ablegen. Der
erste regelmässige Bericht der Schweiz wurde
2002 vorgelegt. Der UNO-Ausschuss richtete
unter anderen folgende Subjects of Concern
an die Schweiz:
Punkt 50. «(…) the Committee remains concerned that the procedure used for unaccompanied minors is not always in their best
interests nor fully in line with relevant provisions of the Convention. In addition, in relation to the reservation made to article 10 of
the Convention, the Committee is concerned that the right to family reunification is
too restricted.»
In Punkt 51 werden eine Reihe Empfehlungen
bezüglich Vereinfachung und Beschleunigung
der Verfahren, Bezeichnung eines Rechtsvertreters, Zugang zu medizinischer Betreuung
und Bildung sowie Erleichterung der Familienzusammenführung gemacht1) .
In den Schlussbemerkungen zum zweiten,
dritten und vierten Staatenbericht der
Schweiz von 20152) kritisiert der UNO-Ausschuss für die Rechte des Kindes die Schweiz
erneut:
Jugendrichter des Kantons Wallis (1980-2005), Mitglied des UNO-Ausschusses über die Rechte des Kindes (2005-2013), Präsident dieses Ausschusses (2011-2013), Kinderrechtsexperte. www.childsrights.org
1
46
Hinweise
Vol. 28 Nr. 2 2017
68. Der Ausschuss (…) bleibt jedoch besorgt
darüber, dass bei Asylverfahren von unbegleiteten minderjährigen Asylsuchenden (UMA)
«the best interest» des Kindes nicht immer
vorrangig beachtet wird, und dass im Zusammenhang mit dem Vorbehalt zu Art. 10 der
Konvention das Recht auf Familienzusammenführung für vorläufig aufgenommene Personen zu stark eingeschränkt ist. Ausserdem ist
der Ausschuss besorgt darüber:
a)dass bedeutende kantonale Unterschiede
in Bezug auf die Aufnahmebedingungen, die
Integrationsunterstützung und die Sozialleistungen für asylsuchende Kinder und
Flüchtlingskinder bestehen; so gibt es beispielsweise Kinder, die in Militärbunkern
oder Zivilschutzanlagen untergebracht werden;
b)dass «Vertrauenspersonen» für unbegleitete asylsuchende Kinder keine Erfahrung in
der Kinderbetreuung oder auf dem Gebiet
der Kinderrechte aufweisen müssen;
c)dass der Zugang asylsuchender Kinder zu
weiterführenden Bildungsabschlüssen erschwert ist und keine harmonisierte Praxis
für die Zulassung zu Berufsausbildungen
besteht;
d) dass das beschleunigte Asylverfahren, das
auch am Flughafen möglich ist, bei Kindern
ebenfalls angewendet werden kann;
e)dass im Vertragsstaat eine beträchtliche
Anzahl Sans-Papier-Kinder (Kinder ohne
legalen Aufenthaltsstatus) lebt und dass
diese Kinder mehrfacher Benachteiligung
ausgesetzt sind, beispielsweise beim Zugang zur Gesundheitsversorgung, zur Bildung (insbesondere auf Sekundarstufe)
und zu Berufsausbildungen, und dass es
keine Strategien zur Behebung dieser Benachteiligungen gibt.
Der Ausschuss formulierte deshalb zahlreiche
Empfehlungen an die Schweiz2) , die bei weitem nicht Klassenerster ist ...
Einige problematische Situationen
«The best interest» des Kindes
Die Schweiz wurde kürzlich in Strassburg
gerügt (Entscheid vom 8.11.2016) 3) ; der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte
(EGMR) schätzt, die Schweiz habe das Wohl
des Kindes in Sachen Familienzusammenführung nicht genügend berücksichtigt. Der
diesbezügliche Antrag eines Vaters mit doppelter, schweizerisch-ägyptischer Nationalität, seinen 15-jährigen Sohn aus Ägypten in
die Schweiz kommen zu lassen, wurde 2006
abgelehnt. Der Entscheid des EGMR stellt
eine Verletzung des Rechtes auf Achtung
seiner gesetzlich anerkannten Familienbeziehungen (Art. 8) fest.
Freiheitsentzug
Kinder mit Migrationshintergrund (begleitet,
getrennt oder unbegleitet) sollten nicht in
Haft gesetzt werden. Migration darf nicht als
Vergehen betrachtet werden und nicht rechtfertigen, ein Kind deswegen zu inhaftieren.
Dies ist keine Windmacherei, sondern wiederspiegelt die Doktrin des UNO-Ausschusses
über die Rechte des Kindes, wie dies in den
Allgemeinen Bemerkungen Nr. 64) und den
Empfehlungen in Anschluss an den Day of
general discussion on the rights of all children in the context of international migration,
2012 (Pt. 78) formuliert wird: «(...) In this
light, States should expeditiously and completely cease the detention of children on
the basis of their immigration status 5).»
Eine 2016 durch Terre des Hommes durchgeführte Untersuchung liefert endlich objektive
Zahlen über Freiheitsentziehung von Kindern
mit Migrationshintergrund: 2015 wurden in
der Schweiz 142 Kinder zwischen 15 und 18
Jahren im Zusammenhang mit ihrem Migrantenstatus inhaftiert.
Spiegelbildlich zeigt dies, dass wir in dieser
Beziehung unsere Verpflichtungen nicht einhalten, denn wir haben in unseren Gesetzestexten die Inhaftierung von 15- bis 18-Jährigen nicht ausgeschlossen, wie es der
UNO-Ausschuss über die Rechte des Kindes
fordert; und wir wissen seit langem, dass sich
Freiheitsentzug kurz-, mittel- und langfristig
negativ auf die kindliche Entwicklung auswirkt. Und wir wissen auch sehr genau, dass
es Alternativen zum Freiheitsentzug gibt,
selbst wenn Kinder ein Vergehen begangen
haben.
Es handelt sich um Kinder, die «Migrationsopfer» und keinesfalls «Täter eines Migrationsdeliktes» sind. Es besteht somit kein Grund,
sie einzusperren.
Unterkunft
Die Wahl der Unterkunft für Migrantenkinder
hängt davon ab, ob sie in Begleitung ihrer Eltern sind oder nicht. Die Praxis unterscheidet
sich stark von einem Kanton zum anderen.
Unbegleitete minderjährige Asylsuchende
(UMA) sollten in einer Pflegefamilie oder einem (sozialpädagogischen) Heim für Kinder/
Jugendliche untergebracht werden. Der Aus-
47
schuss stellt fest, dass sie sich manchmal in
Zivilschutzräumen befinden und «24 Heures»
berichtete kürzlich (November 2016) «Sieben
ohne ihre Eltern in die Schweiz gelangte Kinder, davon drei am selben Abend, versuchten
im Verlauf der vergangenen Wochen in einem
Heim für minderjährige Asylbewerber, ihrem
Leben ein Ende zu setzen. (...) Glücklicherweise benötigte keines Intensivpflege. (...) Die
Gründe ihrer Verzweiflung sind vielfältig.
Diese Vorgänge decken aber auch Mängel im
Aufnahmesystem auf: Es gibt im EVAM [Etablissement Vaudois d’Accueil des Migrants]
nicht genügend Erzieher; ihre Anzahl liegt weit
unter den Normen, die in Heimen für in der
Schweiz wohnhafte Jugendliche gelten. (...)»
Strikte Anwendung der DublinVerordnung
Im Herbst 2016 wurde die Schweiz in der sogenannten «Como-Affäre», einer Migrationssperre in Europa und an den Toren der
Schweiz, angeprangert. Der ungenügende
Zugang zu Information, die Rückweisung an
der Grenze und das Fehlen einer der Konvention entsprechenden Betreuung für UMA ist
weiterhin aktuell. Gemäss Dublin III müssen
unbegleitete Minderjährige im Hinblick auf
Familienzusammenführung unterstützt werden; es wurden diesbezüglich Mängel festgestellt.
Die Schweiz ist eines der Länder, welche die
Dublin-Prozedur am strengsten anwenden.
Dieser exzessive Formalismus führt zu Verletzungen der Kinderrechte. Im Namen der
Dublin-Verordnung werden Familien getrennt,
Kinder werden am Stellen eines Antrages
gehindert, Kinder mitten im Schuljahr aus ihrer Schulklasse gerissen ...
In solchen Fällen kann und sollte die Schweiz
von der Ermessensklausel in Art. 17 der
Dublin-Verordnung Gebrauch machen, die
vorsieht: «Die Mitgliedstaaten sollten insbesondere aus humanitären Gründen oder in
Härtefällen von den Zuständigkeitskriterien
abweichen können (...) und einen gestellten
Antrag auf internationalen Schutz prüfen,
auch wenn sie für eine solche Prüfung nach
den in dieser Verordnung festgelegten verbindlichen Zuständigkeitskriterien nicht zuständig sind6) .»
Warum macht die Schweiz von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch, und weist Kinder an der
Grenze zurück, ohne ihnen Gelegenheit zu
geben, einen Antrag auf Asyl zu stellen? Kinder unterwegs sollten in erster Linie als Kin-
Hinweise
Vol. 28 Nr. 2 2017
der angesehen und nicht auf Grund ihres Migrationsstatus diskriminiert werden; die von
Politikern und administrativen Instanzen beschlossenen Massnahmen dürfen die Grundrechte dieser Kinder nicht verletzen.
Schlussfolgerung
Die Schweiz sieht sich einem Zustrom von
Migranten gegenüber; darunter befindet sich
eine grosse Anzahl Kinder. Ende 2016 wurden
5000 UMA verzeichnet: Dies ist kein Grund
zur Panik und anzunehmen, unser Land laufe
Gefahr, von gefährlichen Minderjährigen
heimgesucht zu werden. Es sollte vielmehr
eine Gelegenheit sein, unserer humanitären
Tradition treu zu sein, sich solidarisch zu zeigen und die gesetzlichen Möglichkeiten (insbesondere die Klausel des Art. 17 der DublinVerordnung) zugunsten einer Politik der
Öffnung und nicht der Abkapselung zu nutzen.
Die Geschichte wird uns diese Haltung zugute
schreiben; sie erfordert jedoch eine ernsthafte Mentalitätsänderung und ein Bewusstwerden unserer Verpflichtungen.
Wir müssen zu unseren internationalen Verpflichtungen zurückfinden, die von uns erwarten, dass wir Kinder, alle Kinder, respektieren.
Referenzen
1) Concluding observations of the Committee on the
rights of the child: Switzerland, 13.06.2002.
CRC/C/15/Add. 182.
2) Schlussbemerkungen zum zweiten, dritten und
vierten Staatenbericht der Schweiz, CRC/C/CHE/
CO/2-4 (Übersetzt aus dem Englischen vom Bundesamt für Sozialversicherungen).
3) Case of El Ghatet v. Switzerland, (Application no.
56971/10).
4) Ausschuss für die Rechte des Kindes, Allgemeine
Bemerkungen No 6 (2005), CRC/GC/2005/6.
5) Committee on the rights of the child (CRC), Report
of the 2012 Day of general discussion «The rights
of all children in the context of international migration».
6) Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen
Parlaments und des Rates.
Korrespondenzadresse
[email protected]
Der Autor hat keine finanzielle Unterstützung und keine
anderen Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert.
48
Hinweise
Vol. 28 Nr. 2 2017
Nationale Strategie zu Impfungen –
den Schutz der Bevölkerung optimieren
Virginie Masserey Spicher, Bern
Auch wenn die Wirksamkeit der Impfungen als
Präventionsmassnahme wissenschaftlich belegt ist und die Durchimpfungsraten bei Kindern in der Schweiz in den ersten Lebensjahren hoch sind, gibt es bei einzelnen Impfungen
und bei bestimmten Zielgruppen noch Lücken
und Verbesserungspotenziale. Dabei beruhen
Impflücken bei einzelnen Personen nicht nur
auf der Ablehnung der Impfung oder auf mangelnder Sensibilität für das Thema, sondern
auch auf fehlenden Kenntnissen, Mangel an
verlässlichen und leicht zugänglichen Informationen oder Schwierigkeiten im Zugang.
Um den Impfschutz der Schweizer Bevölkerung zu optimieren, hat der Bundesrat an
seiner Sitzung vom 11. Januar 2017 eine nationale Strategie zu Impfungen (NSI) verabschiedet. Das Bundesamt für Gesundheit
(BAG) hatte die Grundlagen zur Strategie in
enger Zusammenarbeit mit Fachpersonen
und involvierten Akteuren erarbeitet. An drei
Workshops haben 2014 über 30 Fachleute
sowie Vertreterinnen und Vertreter der
Hauptakteure Bedarf, Ziele, vorrangige Massnahmen sowie Rollen und Verantwortlichkeiten der Akteure erörtert und festgelegt.
Die nun vorliegende Nationale Strategie zu
Impfungen ist eine Rahmenstrategie. Ihre
Rolle besteht darin, eine optimale Zusammenarbeit zwischen allen involvierten Akteuren in
der Schweiz sicherzustellen. Sie orientiert
sich an folgenden drei Hauptzielsetzungen:
1.Die Akteure erachten Impfungen als sehr
wichtig für die Gesundheit der Bevölkerung.
Sie informieren einheitlich über Impfungen
und führen sie durch. Zudem unterstützen
sie innovative Massnahmen im Impfbereich.
2.Die Bevölkerung hat Vertrauen in die offiziellen Impfempfehlungen und in die Sicherheit der empfohlenen Impfungen. Sie erkennt die Bedeutung der Impfung zum
eigenen Schutz und zum Schutz anderer.
Impfentscheide können gut informiert getroffen werden.
3.Der Zugang zu sachdienlichen, klaren und
transparenten Informationen und zu den
Impfungen ist für alle einfach.
Zur Erreichung dieser drei Ziele braucht es ein
breites Spektrum an Massnahmen. Die NSI
definiert dazu fünf Interventionsachsen mit
insgesamt 15 Handlungsfeldern.
49
Die erste Interventionsachse «Stärkung des
Verantwortungsbewusstseins und Unterstützung der Akteure» richtet sich an die involvierten Fachpersonen und Institutionen. Beispielsweise ist der Schweizerische Impfplan
vom BAG dahingehend zu optimieren, dass er
für die Akteure besser nachvollziehbar und
einfacher anwendbar wird. Zudem soll die
Impfberatung durch Ärztinnen und Ärzte unterstützt und gefördert werden. Damit Ärztinnen und Ärzte im Impfgespräch den persönlichen Fragen und Anliegen ihrer Patientinnen
und Patienten gut begegnen können, müssen
sie über geeignete Instrumente für die Beratung der Patientinnen und Patienten verfügen
und für ihre Leistungen adäquat entschädigt
werden. Die routinemässige Nutzung eines an
ein Expertensystem gebundenen elektronischen Impfausweises kann sie bei der Überprüfung des Impfstatus oder mit automatischen Erinnerungen für die Nachhol- und
Auffrischimpfungen massgeblich unterstützen. Nicht zuletzt ist die Sicherstellung der
Verfügbarkeit der im Impfplan vorgesehenen
Impfstoffe Teil dieser Interventionsachse.
Die zweite Interventionsachse «Kommunikation und Angebote für die Bevölkerung» umfasst
fünf Handlungsbereiche. Sie tragen dazu bei,
die Akzeptanz des Schweizerischen Impfplans
in der Bevölkerung durch unterschiedliche
Herangehensweisen zu verbessern. So soll
die Bevölkerung leicht Zugang zu impfrelevanten Informationen haben. Dabei unterstützt
das BAG die Gesundheitsfachleute mit Kommunikationsinstrumenten, mit welchen sie
ihre Patienten aktiv informieren können. Der
Zugang zu Impfinformationen und Impfungen
ist auch in Schulen und Kindertagesstätten
ein wichtiges Anliegen und der Impfstatus
jedes Kindes ist beim Schuleintritt und am
Ende der obligatorischen Schulzeit zu überprüfen. Zudem gilt es auch für Erwachsene
den Zugang zu Impfungen zu erleichtern.
Impfungen, die von der obligatorischen Krankenpflegeversicherung (OKP) übernommen
werden, sollen in diesem Zusammenhang von
der Franchise ausgenommen werden. Auch
die breite Verwendung des elektronischen
Impfausweises und nicht zuletzt eine einfache, effiziente und faire Behandlung von Gesuchen um Entschädigung/Genugtuung bei
Schäden aus Impffolgen gehören zu den angeführten Massnahmen.
Bei der dritten Interventionsachse «Ausbildung und Koordination» liegt der Schwerpunkt
zum einen auf der Aus- und Weiterbildung der
Hinweise
Gesundheitsfachleute. Ziel ist das Thema
Impfungen in die Aus- und Weiterbildung aller
Gesundheitsfachpersonen zu integrieren.
Auch der Erfahrungsaustausch zwischen den
Kantonen soll gefördert werden. Mit der vierten und fünften Interventionsachse werden
die Anliegen «Überwachung, Forschung und
Evaluation» und «Spezifische Strategien», welche sich auf spezifische übertragbare Krankheiten ausrichten, aufgenommen.
Die Nationale Strategie zu Impfungen weist
Schnittstellen mit anderen nationalen Strategien auf, die einen Bezug zu übertragbaren
Krankheiten haben. Die NSI leistet einen
Beitrag zur Zielerreichung dieser Strategien,
wie zum Beispiel zur Nationalen Strategie zur
Prävention der saisonalen Grippe (GRIPS), zur
Strategie Antibiotikaresistenzen (StAR) oder
zur Nationalen Strategie NOSO gegen Spitalund Pflegeheiminfektionen.
Zusammenarbeit der involvierten
Akteure
In der Schweiz sind zahlreiche Akteure in
unterschiedlichen Bereichen in die Impfung
involviert: Bund, Kantone, Gesundheits- und
Bildungsfachleute, Bildungseinrichtungen,
Gesundheitsinstitutionen, Kindertagesstätten, Versicherer, die Zivilgesellschaft und der
Privatsektor. Eine der Hauptherausforderungen besteht darin, eine optimale Zusammenarbeit zwischen den Akteuren aufzubauen –
von der Zulassung der Impfstoffe durch die
Medikamentenkontrollbehörde über die Erarbeitung der Empfehlungen bis hin zur Umsetzung des Impfplans durch den Bund, die
Kantone und die Gesundheitsfachleute der
verschiedenen Disziplinen.
Vol. 28 Nr. 2 2017
folgen. Sie wird konkrete Massnahmen sowie
einen Zeitplan für ihre Realisierung beinhalten. Auch die Kompetenzen und Zuständigkeiten sowie die Finanzierung der Massnahmen
sind zu regeln. Workshops werden mit den
bereits in der Erarbeitung der Strategie involvierten Partnern und Akteuren durchgeführt.
Ziel dieser Workshops ist es, die Massnahmen
zu priorisieren, welche dann Eingang in den
Aktionsplan finden werden. Eine weitere wichtige Etappe wird die Genehmigung des Aktionsplans Ende 2017 sein. Die eigentliche
Umsetzung der Nationalen Strategie zu Impfungen soll im Januar 2018 starten. Eine erste
Evaluation der ergriffenen Massnahmen ist für
2022 geplant.
http://www.bag.admin.ch/nsi
Korrespondenzadresse
Dr Virginie Masserey Spicher
Abteilung Übertragbare Krankheiten
Sektion Infektionskontrolle und
Impfprogramm
Bundesamt für Gesundheit
Schwarzenburgstrasse 157
3003 Bern
[email protected]
Die gute Zusammenarbeit und das Engagement all dieser Akteure ist für das Erreichen
der strategischen Ziele von grundlegender
Bedeutung. Insbesondere den Gesundheitsfachleuten kommt als primäre Ansprechpartner für die Bevölkerung bei der Umsetzung
der NSI eine wichtige Rolle zu. Von den Ärztinnen und Ärzten wird erwartet, dass sie das
Thema Impfungen mit ihren Patientinnen und
Patienten systematisch angehen und sich
dafür einsetzen, dass ihr Impfstatus immer
auf dem neuesten Stand ist.
Was sind die nächsten Schritte?
Das BAG ist beauftragt, nun die Umsetzung
der Nationalen Strategie zu Impfungen zu
planen. Die Umsetzungsplanung soll wiederum in Zusammenarbeit mit den Akteuren er-
50
Hinweise
Vol. 28 Nr. 2 2017
Europäische Impfwoche:
Die Erwachsenen impfen,
um die Säuglinge zu schützen
Impfungen dank elektronischem
Impfausweis aktuell halten
Andrea Valero, Abteilung Übertragbare Krankheiten, Sektion Prävention und Promotion,
Bundesamt für Gesundheit, Bern
Anlässlich der Europäischen Impfwoche
vom 24. bis 30. April 2017 unter dem Motto
«Meine Impfung. Dein Schutz.» empfiehlt
das Bundesamt für Gesundheit (BAG) allen
Personen, ihren Impfstatus zu überprüfen
und fehlende Impfungen wenn nötig nachzuholen. Die Kinderärztinnen und Kinderärzte
können diese Aktion unterstützen, indem sie
die Eltern entsprechend informieren.
schaft hierzu sehr. Diese Fortschritte reichen
aber noch nicht, um Ausbrüche zu verhindern,
wie sie seit Anfang des Jahres auftreten. Damit die Masern ganz eliminiert werden können,
ist eine Beibehaltung der Anstrengungen aller
Beteiligter erforderlich: Auch in Zukunft ist es
wichtig, den Impfstatus der Eltern systematisch zu überprüfen, damit bei Bedarf Nachholimpfungen verabreicht werden können.
Säuglinge haben bei einer Masern- oder
Keuchhustenerkrankung ein erhebliches Risiko für Komplikationen. Manchmal sind es die
Eltern selbst, die ihr Kind mit diesen Krankheiten anstecken. Um eine solche Infektion zu
vermeiden, ist es daher entscheidend, dass
die Eltern und die Familie geimpft sind, ebenso
die Personen im näheren Umfeld der Kinder.
Impfempfehlungen für Keuchhusten und für Masern
Fortschritte bei der Maserndurchimpfung
Die Nationale Strategie zur Masernelimination
2011–2015 hat zu Fortschritten bei den
Durchimpfungsraten geführt. Das BAG
schätzt den wertvollen Beitrag der Ärzte-
Seit Anfang 2017 gibt es eine neue Empfehlung für die Keuchhustenimpfung in der
Schwangerschaft: Unabhängig vom Zeitpunkt
der letzten Impfung sollen sich schwangere
Frauen in jeder Schwangerschaft gegen
Keuchhusten impfen - idealerweise im 2. Trimester. Ausserdem ist eine Impfung für 25- bis
29-Jährige sowie für alle Personen mit engem
Kontakt zu Säuglingen unter sechs Monaten
notwendig. Für Masern sollten alle nach 1963
geborenen Personen, die die Krankheit noch
nicht hatten, die fehlenden Impfungen bis zu
den insgesamt zwei Dosen nachholen.
Meine
Impfung
Dein
Schutz
Eltern und Bezugspersonen
von Säuglingen impfen sich –
und schützen damit die Kleinsten
vor gefährlichen Krankheiten.
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Impf-Infoline : 0844 448 448
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51
Der elektronische Impfausweis ist ein einfaches, modernes und effizientes Instrument,
um auf dem neusten Stand zu bleiben. Das
System verschickt E-Mail- oder SMS-Benachrichtigungen, wenn eine Impfung fehlt oder
eine Auffrischung angezeigt ist. Während der
Impfwoche kann der elektronische Ausweis
gratis erstellt und validiert werden. Erhältlich
ist dieser über die Webseite www.meineimpf­-
ungen.ch.
Für die Information junger Eltern steht
ein vom BAG herausgegebener Flyer zur
Verfügung, der über die Risiken von
Masern und Keuchhusten für Säuglinge
informiert. Die Seite www.sichimpfen.ch
bietet ebenfalls zahlreiche nützliche
Angaben zur Impfung und zum bestmöglichen Schutz.
Zudem ist ein entsprechendes Poster
für den Einsatz in der Arztpraxis
erhältlich.
Sämtliches Informationsmaterial kann
kostenlos online bestellt werden auf
www.bundespublikationen.admin.ch,
Suchwort «Keuchhusten».
Korrespondenzadresse
[email protected]
Hinweise
Vol. 28 Nr. 2 2017
Kinderschutzgruppen der KKJ der CH
11.11.2016 - Wissenschaftliche
Jahrestagung
Christoph Stüssi und Anita Müller, Münsterlingen
Ort
Inselspital Bern, Auditorium Ettore Rossi
Organisation
Klinik für Kinder und Jugendliche Münsterlingen
Der Morgen der Jahrestagung war der Thematik «Kinderschutz bei Kindern psychisch kranker Eltern» gewidmet. In der ersten Präsentation beleuchteten Michèle Berndt und Silvia
Reisch aus Münsterlingen anhand von Fallbeispielen die interdisziplinäre Zusammenarbeit
bei Kindern psychisch kranker Eltern in der
Liaison von Pädiatrie und Kinder- und Jugendpsychiatrie. Anita Müller fasste die Problematik zusammen und zeigte zudem, wie sich in
solchen Fällen ambulante und stationäre
Vorgehensweisen ergänzen.
Danach illustrierte Ruedi Winet von der Kesb,
Bezirk Pfäffikon, ZH, die Interdisziplinarität im
Kinderschutz und zeichnete die Wege auf, wie
die Kesb in einen Fall einbezogen werden
kann/soll. Er fokussierte auf das Erfassen der
Gefährdung bei Kindern mit psychisch kranken Eltern, den Abklärungsgang und die
Kompetenzen der Beteiligten inkl. der Aufenthaltsbestimmung.
Wie wirkt sich die psychische Krankheit eines
oder beider Elternteile auf ihre Kinder aus?
Daniel Schechter, der in Genf und New York
arbeitet, stellte detailliert dar, dass Vertrauen
und Selbstregulation auf einer gesunden Beziehung zu gesunden Eltern beruht und sonst
die Dysregulation droht. Er unterstrich dies
insbesondere mit einer breiten Palette von
präzisen Studien aus der eigenen und von
fremden Forschungsgruppen aus verschiedenen Ländern, und demonstrierte die Auswirkungen auf die Zusammenarbeit zwischen
neuronalen Zentren im ZNS und deren molekularer Basis.
Der Nachmittag gehörte dem brisanten und
für die Kliniken leidigen Thema des in fast jedem Fall erbitterten Streits, um die Finanzie-
rung der Kinderschutzarbeit und die Abgeltung der Fälle mit Kinderschutz-Charakter.
Was ist zu finanzieren? Schutz und Unterkunft, Medizinische Behandlung, Rechtsvertretung, Sozialpädagogische Familienbegleitung (SPF). Anita Müller präsentierte die
Resultate einer Umfrage bei den Schweizer
Kinderkliniken und Kinderspitälern und zeigte
danach auf, dass die Finanzierung von Patienten mit somatischen und psychischen Pathologien und Kinderschutzfragen in die finanzielle Zuständigkeit der Krankenkassen fallen.
Wenn Kinder nach einer solchen ersten Phase
mehr Zeit im Spital bleiben müssen, weil sie
beispielsweise aus organisatorischen Gründen noch nicht entlassen werden können und
weiterhin professionelle Betreuung benötigen,
geht die Unterbringung zu Lasten der Gemeinden, der Kanton ergänzt durch einen Elternbeitrag, während die Behandlung weiterhin zu
Lasten der Krankenkassen abgerechnet wird
und «ambulanten» Charakter hat. Das gleiche
gilt für die «Schlupfhaus-Patienten», Unterbringung zu Lasten Gemeinden/Kanton, Behandlung zu Lasten KK. Sie unterstrich dabei,
welchen enormen Aufwand es bei jedem
einzelnen Fall bedeutet, die Abwehrhaltungen
der verschiedenen Kostenträger zu durchbrechen und die an sich klaren gesetzlichen Lösungen auch durchzusetzen.
Die Organisatoren wollten deshalb alle Player
und insbesondere die Kostenträger zu Wort
kommen lassen, um so eine gemeinsame
Diskussion anzustossen und einen Weg zu
bahnen, um wegzukommen von der jahrelangen, kleinlichen Abwehrpolitik, insbesondere
der Krankenkassen, um deren Sachbearbeitern und Vertrauensärzten letztlich ein klares,
gegenseitig anerkanntes, zeit- und ressourcensparendes Vorgehen vorschlagen zu können. Bereits im September hatte der Krankenkassenverband santésuisse für ein Referat
und die Diskussion zugesagt, zog diese Zusage
dann jedoch eine knappe Woche vor dem
11.11. wieder zurück mit der unhaltbaren Ausrede, dass es von Seiten Kassen nichts zu
präsentieren gäbe, Kinderschutzfälle seien
52
gemeinwirtschaftliche Kosten und die Kassen
seien nicht zuständig, Abgrenzungsprobleme
gäbe es deshalb keine. Diese, von den Organisatoren der Fachtagung als unanständigen
Affront gewertete Haltung ist ignorant und
zynisch. Keine Frage, dass die Kassen hier klar
falsch liegen: Jeder Kinderschutzfall betrifft
ein Kind mit zumindest grosser psychischer
Not und damit nicht nur einer Schutzbedürftigkeit, sondern auch der Notwendigkeit zu
professioneller Abklärung und Therapie.
Genau dies setzte Magdalena Meyer-Wiesmann mit ihrer jahrelangen Erfahrung als Gemeindepräsidentin in ihrem Referat als Vertreterin des Schweizerischen Gemeindeverbandes
in Beziehung zu den rechtlichen Grundlagen
und den dadurch begründeten Verfahrensschritten und zeigte dann deren Finanzierung
auf. Besonders zu unterscheiden sind dabei
freiwillige von angeordneten Massnahmen.
Astrid Strohmeier als Beraterin von Gemeinde- und Kantonsbehörden mit dem beruflichen Hintergrund als Gemeinde-Sozialarbeiterin ergänzte die Abklärung der Finanzierung
und der Zuständigkeiten dafür bei Kindesschutzfällen und illustrierte die komplexen
Wege über die örtliche und die sachliche Zuständigkeit, welche Basis sind für (subsidiäre)
Kostengutsprachen und letztlich eine kontinuierliche Kinderschutzarbeit auch in schwierigen Fällen sichern. Die Kosten, insbesondere
für Fremdplatzierungen sind enorm und können kleinere Gemeinden finanziell überfordern. Sie stellt deshalb die Frage, ob die
Prozesse nicht mit einem z. B. kantonalen
Kostenpool beschleunigt werden könnten. Sie
betont, dass trotz dieser Sachfragen immer
das Kindswohl im Mittelpunkt steht, eine
lange Verfahrensdauer an sich aber auch eine
gewisse Kindswohlgefährdung darstellt.
Danach zeigte Elisabeth Rietmann die Beratungs- und Finanzierungsmöglichkeiten der
Opferhilfe gemäss OHG. Dieses verlangt, dass
unterstützte Personen/Kinder effektiv Opfer
sind. Dies ist aber bei praktisch allen Fällen
von Kinderschutz und insbesondere bei häuslicher Gewalt gegeben, denn die Kinder sind
mittendrin. Sie zeigte im Besonderen auf,
dass die Diskussion über die (finanziellen)
Zuständigkeiten nicht nur die dringend nötigen Handlungen verzögert, sondern insbesondere den Unterstützungsprozess verlangsamt
und damit das Familiensystem noch weiter
verunsichert anstatt ihm Halt zu geben – und
zudem dem Vertrauen in Behörden und Organe schadet.
Hinweise
Vol. 28 Nr. 2 2017
Christoph Stüssi präsentierte zum Abschluss
Fakten und Anleitung dafür, wie Kinderschutzfälle unter DRG, insbesondere mittels der
«Komplexbehandlung Kinderschutz» dokumentiert und damit deren Finanzierung durch
die Krankenkassen gesichert werden kann
und muss. Dass sich Kinderschutzfälle mit
entsprechender CHOP-Codierung abrechnungstechnisch von den übrigen Fällen mit
gleicher DRG differenzieren und damit korrekt
abgegolten werden können, ist abhängig davon, dass diese DRG und die CHOP-Codierung
auch konsequent bei Kinderschutzfällen genutzt und alle entstandenen Kosten auch auf
den Fall und nicht «gemeinwirtschaftlich»
abgerechnet werden.
Zusammenfassung und Links zu den Referaten werden auf der Homepage der Schweizerischen Gesellschaft für Pädiatrie (SGP) aufgeschaltet.
Korrespondenzadresse
Dr. med. Christoph Stüssi
Chefarzt Pädiatrie Spital Thurgau AG
Klinik für Kinder und Jugendliche
Kantonsspital
8596 Münsterlingen TG
[email protected]
53
Hinweise
Vol. 28 Nr. 2 2017
Helpline Seltene Krankheiten
Sabrina Strebel, Saskia R. Karg und Matthias R. Baumgartner*, Zürich
Merkmale von seltenen Krankheiten
Eine Krankheit gilt in Europa als selten, wenn
sie weniger als eine von 2000 Personen betrifft. Die Mehrzahl der seltenen Krankheiten
weist jedoch eine wesentlich geringere Prävalenz, d. h. 1 zu 50 000 oder oft sogar < 1 zu
100 000 auf. Heute sind mehr als 7000 verschiedene, seltene Krankheiten identifiziert.
Obwohl jede einzelne nur eine geringe Anzahl
Menschen betrifft, ergibt dies für alle zusammen 6-8% der Bevölkerung. Somit sind in der
Schweiz rund 500 000 Menschen und in Europa rund 30 Millionen Menschen von einer
seltenen Krankheit betroffen1) .
Die ersten Symptome treten meist im Kindesalter auf und zwei Drittel der diagnostizierten
Fälle sind Kinder oder Jugendliche. Die Ursache für rund 80% der seltenen Krankheiten ist
genetisch bedingt 2) .
Gemeinsame Herausforderung
trotz unterschiedlicher Krankheitsbilder
Die Symptome und das Erscheinungsbild jeder einzelnen Krankheit sind äusserst heterogen. Trotzdem weisen seltene Krankheiten
einige Gemeinsamkeiten auf. Sie verlaufen
überwiegend chronisch und sind oft invalidisierend und/oder lebensbedrohlich. 80% der
Krankheiten verkürzen die Lebenserwartung
der Betroffenen und man geht davon aus,
dass 35% der Todesfälle im ersten Lebensjahr
auf eine seltene Krankheit zurückzuführen
sind 3) .
Durch die statistische Seltenheit, die damit
verbundene geographische Streuung und den
begrenzten medizinischen Kenntnisstand,
stossen Betroffene meist auf vergleichbare
Erlebnisse und Schwierigkeiten. Oft durchleben sie eine jahrelange Odyssee der Ungewissheit bis die richtige Diagnose gestellt
werden kann. Das Wissen von Ärzten und
Spezialisten ist begrenzt und oft fehlen diagnostische Tests. Betroffene und ihre Familien
sind zudem nicht selten damit konfrontiert,
dass weder Krankenkassen noch die Invalidenversicherung die Kosten für (gen-)diagnostische Abklärungen übernehmen. Ist die
korrekte Diagnose gestellt, steht den Betrof-
fenen häufig keine wirksame Therapie zur
Verfügung. Ein grosses Hindernis zur Entwicklung von Behandlungs- und Forschungsprogrammen stellt die niedrige Prävalenz jeder
einzelnen Krankheit dar. Zudem ist der Markt
aus Sicht der pharmazeutischen Industrie
beschränkt, was die Investition in die Entwicklung von komplexen, spezifischen Therapien
nicht lohnenswert macht. Für nur gerade 5%
der seltenen Krankheiten existiert eine Behandlung, die meisten sind unheilbar 3) .
Zu dieser grossen Belastung für die Betroffenen und ihre Familien kommen eine erschwerte soziale, berufliche und politische Integration und häufig der psychische Leidensdruck
infolge Isolation hinzu. Noch längst nicht alle
Betroffenen können auf eine Patientenorganisation zurückgreifen. Meist hängt es vom
Engagement der Betroffenen und ihrem Umfeld sowie den behandelnden Ärzten und Experten ab, ob ein Krankheitsbild ins Bewusstsein der Öffentlichkeit tritt und auf politischer
Ebene, bei der Pharmaindustrie, bei Geldgebern und in der Forschung für ihre Krankheit
etwas bewirkt werden kann.
Das Angebot der Helpline Seltene
Krankheiten
In der französischsprachigen Schweiz gibt es
bereits seit 2014 eine Initiative der beiden
Universitätskliniken Centre Hospitalier Universitaire Vaudois und Hôpitaux Universitaires de
Genève (www.info-maladies-rares.ch) 4) . Das
Portal gibt Einsicht in das klinische Angebot,
gibt Informationen über Krankheitsbilder und
verfügbare Spezialisten in der welschen
Schweiz. Zudem sind zwei Beraterinnen am
CHUV und HUG über die Mailbox des Portals
oder die telefonische Helpline erreichbar.
Nach dem Vorbild der Helpline in der welschen
Schweiz hat die Helpline Seltene Krankheiten
(www.kispi.uzh.ch/helpline-selten) Mitte Mai
2016 am Kinderspital Zürich ihre Arbeit aufgenommen. Sie ist eine unabhängige Dienstleistung für Kinder und Erwachsene in Zusammenarbeit mit dem Universitätsspital Zürich. Die
Helpline dient als Anlaufstelle für Informationen rund um seltene Krankheiten für Betroffene, Angehörige, Gesundheitsfachpersonen
* Abteilung für Stoffwechselkrankheiten, Kinderspital Zürich, Steinwiesstrasse 75, 8032 Zürich
54
sowie involvierte und interessierte Personen.
Patienten und ihr Umfeld fühlen sich oft alleingelassen, da es schwierig ist, verlässliche Informationen zu erhalten oder Unterstützung,
die hilft, ihre alltäglichen Probleme zu lösen.
Aktuell betreffen 60% der Anfragen Erwachsene und 40% Kinder. Die Helpline informiert
über bestehende Patientenorganisationen,
krankheits- und personenbezogene Ressourcen, Experten und Fragen zu Forschungsprojekten. Zudem erhalten Anfragende Auskunft
über Ansprechpersonen betreffend fachspezifischen medizinischen Fragen, rechtlichen
Fragen, Fragen im Sozialversicherungsbereich, finanzielle Unterstützung, Kostenübernahmen, Bezug von Hilfsmitteln und allgemein
Unterstützung im Alltag. Anfragen können telefonisch während bestimmten Zeiten oder per
E-Mail gemacht werden (+41 44 266 35 35,
[email protected]).
Durch die Ansiedlung am Kinderspital, die
Vernetzung mit Fachärzten und Spezialisten,
aber auch durch die Zusammenarbeit und den
Erfahrungsaustausch mit der Helpline in der
welschen Schweiz können für Betroffene und
ihr Umfeld Informationen bereitgestellt werden, die sie beim Umgang mit den Herausforderungen einer seltenen Krankheit unterstützen.
Referenzen
1) Bocoud M, Paccaud F. Estimating the prevalence
and the burden of rare diseses in Switzerland: a
short report. Institute of Social and Preventive
Medicine 2014.
2) Institute of Medicine (US) Committee on Accelerating Rare Diseases Research and Orphan Product
Development; Field MJ, Boat TF, editors. Rare Diseases and Orphan Products: Accelerating Research and Development. Washington (DC): National Academies Press (US); 2010.
3) Global Genes, Rare Disease: Facts and Statistics.
4) Strom A, Murphy A, Lazor R, D’Amato L, Bonafé L,
Barbey F. Portail romand des maladies rares: refonte du site web et bilan d’activité de la Helpline.
Paediatrica 2015 ; 26(3): 27
Korrespondenzadresse
Dr. Saskia R. Karg
Abteilung für Stoffwechselkrankheiten
Kinderspital Zürich
Steinwiesstrasse 75
8031 Zürich
[email protected]
Pharma-News
Elternbasierte Prävention zur Stärkung von
Kindern und Jugendlichen
altersgemässe Informationen erhalten
und sich auf einem von Fachpersonen
moderierten Forum austauschen können.
Die gesunde Entwicklung der Kinder zu
fördern heisst auch, die suchtkranken Eltern in ihrer Elternrolle zu unterstützen.
Die Website www.elternundsucht.ch
wurde mit betroffenen Eltern entwickelt
und bietet Hilfe dazu, wie sie der Elternrolle trotz noch nicht überwundener
Sucht gerecht werden können.
Die Eltern stehen im Zentrum der
Suchtprävention
Eines der Ziele der Suchtprävention ist
es, den Konsumeinstieg zu verzögern
und risikoreichen Konsum vorzubeugen.
Mütter und Väter spielen dafür eine
wichtige Rolle. Deshalb ist die Unterstützung der Eltern im Hinblick auf
Suchtprävention bei ihren Kindern eine
zentrale Aufgabe von Sucht Schweiz.
Dies beginnt bereits bei der Schwangerschaft, indem Sucht Schweiz schwangere
Frauen und ihre Partner für die Risiken
des Alkohol- und Tabakkonsums während der Schwangerschaft und der Stillzeit sensibilisiert. (siehe auch Anzeige
auf Seite 56)
Angebote für Eltern von Jugendlichen
Für Eltern von Teenagern bietet Sucht
Schweiz spezifische Leitfäden für das fa-
milieninterne Gespräch über den Umgang mit Alkohol, Tabak, Cannabis und
Internet an. Neun Elternbriefe behandeln
Themen wie den Ausgang, den Gruppendruck, das Setzen von Grenzen sowie
das Gespräch während der Jugendzeit
und sind im Webshop (shop.addictionsuisse.ch) von Sucht Schweiz bestell- und
herunterladbar. Diese Dokumente eignen sich ideal fürs Auf legen im Wartesaal.
Eltern haben ausserdem die Möglichkeit, sich für einen elektronischen Newsletter einzuschreiben, der zwei bis vier
Mal pro Jahr erscheint und aktuelle jugendspezifische Themen behandelt.
Unter der Telefonnummer 0800 104 104
beraten die Fachpersonen von Sucht
Schweiz kostenlos bei Fragen zu Suchtmittelkonsum, Internetnutzung oder
Glücksspiel.
Suchtbetroffene Eltern
Für Familien mit suchtkranken Eltern
sind besondere Angebote geschaffen
worden. Denn Schätzungen gehen davon aus, dass rund 100 000 Kinder mit
mindestens einem suchtkranken Elternteil aufwachsen. Sie haben bessere
Chancen, sich ohne gravierende Störungen zu entwickeln, wenn sie darüber
reden können und frühzeitig Unterstützung erhalten. Für betroffene Kinder
und Jugendliche hat Sucht Schweiz die
Website www.papatrinkt.ch respektive
www.mamatrinkt.ch geschaffen, wo sie
Vielen Dank für Ihre
Unterstützung
Sucht Schweiz stellt eine breite Palette
von kostenlosen Informationen für Eltern und suchtbetroffene Familien zur
Verfügung (http://www.suchtschweiz.
ch/eltern/). Im Verlauf der ersten Jahreshälfte 2017 wird Sucht Schweiz die
bestehenden Angebote mit einer Facebookseite ergänzen. Durch verschiedene
Kommunikationsmassnahmen sollen die
Angebote breiter bekannt gemacht werden. Vielen Dank fürs Weitersagen!
Im Übrigen wird die Hälfte der Aktivitäten von Sucht Schweiz durch Spenden
von Privatpersonen getragen. Sind Sie
auch dabei? Dann machen Sie vom Postkonto 10-261-7 gebrauch. Danke.
1008082
Sucht Schweiz ist eine unabhängige, gemeinnützige Stiftung mit dem Zweck,
Probleme zu verhindern oder zu vermindern, die durch Suchtmittelkonsum
oder anderes Suchtverhalten entstehen.
Dadurch leistet Sucht Schweiz einen
wichtigen Beitrag zur Förderung der
Gesundheit, insbesondere von gefährdeten Bevölkerungsgruppen. Als nationales
Kompetenzzentrum ist Sucht Schweiz in
der Prävention, Wissensvermittlung und
Forschung tätig und unterstützt betroffene Personen sowie Angehörige mit einem Beratungsdienst und der Direkthilfe.
Sensibilisierung und Unterstützung
von Fachleuten
Gleichzeitig misst Sucht Schweiz der
Sensibilisierung von Fachleuten im Bereich Kinderbetreuung und Sucht grosse
Wichtigkeit zu. Es werden verschiedene
Weiterbildungen zum Thema «Sucht
und Familie» angeboten. Zudem können Fachleute, die mit Kindern zwischen vier und acht Jahren arbeiten,
unter http://boby.suchtschweiz.ch auf
Material zurückgreifen, das eine aktive
Unterstützung von Kindern aus suchtbetroffenen Familien ermöglicht: Neben dem
bestellbaren Bilderbuch bietet die Website Hörgeschichten mit einem Hund,
dessen Herrchen ein Problem mit Alkohol hat. Ein pädagogisches Heft rund um
die Geschichten ist ebenfalls erhältlich.
Hinweise
Vol. 28 Nr. 2 2017
Schwangerschaft und Alkohol/Tabak:
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Die Stiftung Sucht Schweiz hat Ende 2016
eine Informationsbroschüre über das Thema
Alkohol und Tabak während der Schwangerschaft veröffentlicht, die für Schwangere und
ihr Umfeld bestimmt ist. Sie wurde in Zusammenarbeit mit Experten in Sucht, Geburtshilfe und Pädiatrie ausgearbeitet und ist Teil eines Projektes, das vom Nationalen Programm
Alkohol finanziell unterstützt wird. Im Laufe
des Jahres 2017 ist die Erarbeitung eines
Online-Ratgebers für Ärzte über das Thema
Schwangerschaft und Alkohol/Tabak geplant.
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MÖGLICHE AUSWIRKUNG
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AUF DIE SCHWANGERS
DES KINDES
UND DIE GESUNDHEIT
Korrespondenzadresse
Sucht Schweiz
Avenue Louis-Ruchonnet 14
Case postale 870
1001 Lausanne
Tel. 021 321 29 11
[email protected]
Wozu eine Charta für SGP-Mitglieder?
Information für unsere Praxiskollegen
Nicole Pellaud, SGP-Präsidentin, Genf und Sion
Übersetzung: Rudolf Schlaepfer, La Chaux-de-Fonds
Unsere Mitglieder haben auf den Erhalt dieser
Charta sehr unterschiedliche Reaktionen gezeigt, es scheint mir deshalb sinnvoll, Hintergründe und Zweck des in Vorstand und Delegiertenversammlung diskutierten Vorgehens
klarzustellen.
In gewissen grösseren Städten entstehen
Ärztezentren, die Ärzte einstellen, die nicht
alle immer gemäss den in der Schweiz gültigen pädiatrischen Empfehlungen praktizieren,
die lokalen Netzwerke nicht kennen und Kinder betreuen, ohne über eine pädiatrische
Ausbildung zu verfügen.
Wie kann unter diesen Umständen den Eltern
gegenüber die Qualität der Betreuung, die sie
in Ihrer Sprechstunde antreffen, herausgestellt werden? Warum sollen Eltern eher einen
Kinderarzt aufsuchen, der den in der Schweiz
validierten Ausbildungskriterien entspricht,
als einen anderen Arzt?
Es geht nicht darum, unseren Mitgliedern einen Good-practice-Ausweis auszustellen oder
sie mit Leitlinien zu versorgen, sondern den
Kinderarztpraxen, die es wünschen, eine Information für Eltern zur Verfügung zu stellen,
die aufzeigt, weshalb es sich lohnt, einen
Kinderarzt aufzusuchen.
Es steht jedem SGP-Mitglied frei, diese Charta, die unseren Einsatz zugunsten der Kinder
und Jugendlichen in der Schweiz würdigt, in
seiner Praxis aufzulegen.
Korrespondenzadresse
[email protected]
56
Juristisches
Vol. 28 Nr. 2 2017
Neues Kindesunterhaltsrecht
ZGB). Diese Massnahme verbessert die
Lebensqualität der Kinder, durch die Begünstigung des Elternteiles, der für ihren
Unterhalt aufkommt.
Bénédicte Laville, Fribourg
Übersetzung: Rudolf Schlaepfer, La Chaux-de-Fonds
Das neue, am 1. Januar 2017 in Kraft getretene
Kindesunterhaltsrecht berücksichtigt eine Reihe von geäusserten Kritiken des vorher gültigen Rechts, das Ungleichbehandlungen zwischen verheirateten und unverheirateten
Eltern schuf und das Kind finanziell benachteiligte.
Es wurden mehrere Mechanismen geschaffen, um eine bessere Berücksichtigung der
finanziellen Bedürfnisse des Kindes zu
gewähr­leisten:
1.Vorrang der Unterhaltspflicht zugunsten
des minderjährigen Kindes: Nach früherem Recht konnte der Unterhaltsbeitrag an
das Kind bei beschränkten finanziellen
Mitteln vermindert werden, wenn er den
Anteil des geschiedenen Ehegatten konkurrenzierte. Das neue Recht führt eine Hierarchie unter den verschiedenen Unterhaltsbeiträgen ein, um eine Verschlechterung
der kindlichen Situation zu vermeiden. So
hat die Unterhaltsverpflichtung gegenüber
einem minderjährigen Kind Vorrang gegenüber den übrigen familienrechtlichen Unterhaltspflichten (Art. 276a Abs. 1 ZGB).
2.Unterhaltsbeitrag zur Gewährleistung
der Betreuung des Kindes: Die Betreuung
eines Kindes verursacht Kosten, sei sie nun
durch Dritte (Kinderhort, Tagesmutter, aus­
serschulische Betreuung usw.) oder durch
die Eltern sichergestellt. Die durch die Eltern aufgewendete Zeit verursacht indirekte
Kosten, die sich in der Praxis als vermindertes Erwerbseinkommen auswirken, beziehungsweise durch vermehrt Haushalt und
Familien­aufgaben gewidmetem, unbezahltem Zeitaufwand. Während Umfang und
Dauer der zu leistenden Betreuung der
Kinder im Rahmen des nachehelichen Vorsorgeunterhaltes festgehalten werden (Art.
125 Abs. 2 Ziff. 6 ZGB), wurden diese Elemente im Falle unverheirateter Mütter früher nicht berücksichtigt. Um die Gleichheit
zwischen verheirateten und unverheirateten
Eltern herzustellen, schreibt das Gesetz nun
vor, dass der Unterhaltsbeitrag auch dazu
dienen soll, die Betreuung des Kindes durch
die Eltern oder durch Dritte zu gewährleisten (Art. 276 Abs. 2 und Art 285 Abs. 2
ZGB).
3.Verjährung: Die Dauer während welcher
ein Kind seine Ansprüche gegenüber seinen
Eltern geltend machen konnte, ohne sich
einer Verjährungseinrede gegenüber zu
sehen, unterschied sich je nachdem, ob der
unterhaltspflichtige Elternteil die elterliche
Sorge innehatte oder nicht. In ersterem Fall
lief die Verjährung nicht, solange die elterliche Sorge rechtskräftig war. Um seine
Rechte zu wahren, hatte das minderjährige
Kind im gegenteiligen Fall, d. h. wenn der
unterhaltspflichtige Elternteil die elterliche
Sorge nicht innehatte, sei es infolge Scheidung, Entzug der elterlichen Sorge oder im
Falle nicht verheirateter Eltern, keine andere Wahl, als gegen den unterhaltspflichtigen
Elternteil gerichtlich vorzugehen. Indem mit
dem neuen Recht die Verjährung erst nach
der Volljährigkeit des Kindes beginnt
(Art. 134 Ziff. 1 OR), bleibt die persönliche
Bindung zwischen unterhaltspflichtigem
Elternteil und Kind erhalten. Die Stellung
des Kindes ist damit in finanzieller Hinsicht
besser geschützt.
4.Besserstellung des Kindes bei gerichtlichen Verfahren: Gemäss Art. 299 bis 301a
ZPO kann das Gericht für das Kind wenn
nötig einen Beistand anordnen, um es in
Fragen seine Unterhaltsbeiträge betreffend
und auch im Falle eines Verfahrens zu vertreten.
5.Teilung der beruflichen Vorsorge: Es ist
erwähnenswert, dass am 1. Januar 2017
eine Reform in Kraft getreten ist, welche
die Teilung der beruflichen Vorsorge im
Scheidungsfall betrifft und indirekt Folgen
auf die finanzielle Lage der Kinder hat. Im
Prinzip wird das während der Ehe und bis
zum Zeitpunkt der Einleitung des Scheidungsverfahrens erworbene Vorsorgeguthaben bei der Scheidung hälftig geteilt
(Art. 122, 123 ZGB). Der Richter hat jedoch
seit dem 1. Januar 2017 die Möglichkeit,
dem berechtigten Ehegatten, der nach der
Scheidung den Unterhalt der gemeinsamen
Kinder übernimmt, mehr als die Hälfte der
Austrittsleistung zuzuteilen, unter der Bedingung, dass der verpflichtete Ehegatte
noch über eine angebrachte Alters- und Invaliditätsvorsorge verfügt (Art. 124b Abs. 3
57
Auswirkungen und konkrete Anwendung dieser Reform des Kindesunterhaltsrechtes sind
angesichts des erst vor kurzem erfolgten Inkrafttretens noch schlecht bekannt, und es
bestehen noch Fragen zur praktischen Umsetzung. Der Gesetzgeber hat insbesondere darauf verzichtet, eine Berechnungsmethode für
die Unterhaltsbeiträge festzulegen, und überlässt es somit dem Ermessen des Richters,
die Höhe des Unterhaltsbeitrages im Einzelfall
zu bestimmen. Es wird interessant sein, die
Entwicklung der diesbezüglichen Recht­
sprechung zu verfolgen.
Korrespondenzadresse
Benedicte Laville
Responsable Secteur juridique UPCF
Rue de l’Hôpital 15
Case postale 1552
1701 Fribourg
[email protected]
Aktuelles aus dem pädiatrischen Fachbereich
Neonatologie Update 2016
Matthias Roth-Kleiner, Lausanne
Romaine Arlettaz Mieth, Zürich
Organisation
Schweizerische Gesellschaft für Neonatologie
(SGN)
Vorstand
Präsident: Matthias Roth-Kleiner, Lausanne
Vize-Präsidentin: Romaine Arlettaz Mieth,
Zürich
Past-Präsident: Riccardo Pfister, Genève
Quästor: Sven Schulzke, Basel
Mitglieder: Marion Mönkhoff, Zollikerberg;
Thomas Berger, Luzern; Mathias Nelle, Bern
Webseite
www.neonet.ch
Mitgliederzahl der SGN
Voll-Mitglieder: 154
Ausserordentliche Mitglieder: 30
Kollektivmitgliedschaften: 3
Ehrenmitglieder: 4
Sekretariat
Schweizerische Gesellschaft für Neonatologie
Meeting.com, Sàrl
Rue de Pâquis 1, CP 100
CH-1033 Cheseaux-sur-Lausanne
Email: [email protected]
Tel.: +41 21 312 9261
Fax: +41 21 312 9263
Aktivitäten
Jahres-Kongresse
- 12.01.2016, Basel:
«Developmental aspects of neonatal lung
diseases»
- 10.01.2017, Zürich:
«Challenges in perinatal and neonatal infectious diseases»
Alle Vorträge können angeschaut werden
auf unserer Homepage.
Link: www.neonet.ch (Go and see !!!)
- 16.01.2018, Bern:
«Hot Topics in Neonatology».
Unterstützung und Förderung der Forschung
Die SGN zeichnet jedes Jahr anlässlich der
Jahresversammlung diverse Kollegen aus für
die Qualität ihrer Forschungsarbeiten und
unterstützt damit auch finanziell die Forschung im Perinatalbereich.
Die Preisträger des Jahres 2017 sind:
- Milupa Fellowship Award (CHF 10’000.-)
Christoph Rüegger (Melbourne)
«Nasal high-frequency oscillation to treat
apnea of prematurity: a crossover, randomized clinical study»
- Best short presentation - Severin Kasser
et al. (Basel)
«Cortical response to sensory stimuli in
newborns after birth - the NociCop trial»
- Best poster presentation - Ralf Eberhard
et al. (Zurich)
«The enlightened chest in an extremely
preterm girl»
- Case of the Year Award 2016 - Thomas
M. Berger et al. (Luzern)
«Unusual course of hyaline membrane disease - pulmonary interstitial glycogenosis»
Internet- Auftritt der SGN:
Auf unserer Internetseite www.neonet.ch
stellen wir Ihnen diverse wichtige Informationen zu unserem Fachbereich zur Verfügung.
Untenstehend finden Sie einige Beispiele:
- Eine Sammlung von fast 200 «cases of the
month» stellt Ihnen wichtige und interessante Fälle der Neonatologie vor, visuell
und leserfreundlich aufbereitet in pdf-Format. Diese können einfach gemäss Organbefall oder mit Schlüsselwörtern gesucht
werden.
- Alle Vorträge des Jahreskongresses der
SGN von Januar 2017 in Zürich können angeschaut werden, entweder auf Computer,
oder auch via Tablet oder Smartphone,
dank einer professionnellen Aufnahme- und
Wiedergabetechnik.
- Eine Liste mit Informationen zu allen Neonatologie-Abteilung der Schweiz, die von
der «Commission for the Accreditation of
Neonatal Units» (CANU) evaluiert und validiert wurden mit Angabe der Dauer der
zugelassenen fachspezifischen Weiterbildungsdauer in Neonatologie und Pädiatrischer Intensivmedizin.
- Eine Liste der aktuell gültigen Guidelines
der SGN.
58
Vol. 28 Nr. 2 2017
Prüfung zum Schwerpunkt Neonatologie
FMH
Die nächste Prüfung findet im September
2017 (schriftlich) und November 2017 (mündlich) in Zürich statt.
Zusätzliche Informationen werden zu gegebener Zeit auf der Webseite der SGN publiziert
(http://www.neonet.ch/en/education/examination-committee/) oder sind direkt beim
Präsidenten der Prüfungskommission erhältlich: Dr. M. Stocker ([email protected])
start4neo – Kurse in Neugeborenen-Reanimation
Unter Aufsicht der SGN werden in praktisch
allen Regionen der Schweiz «Start4neo» Kurse
angeboten für alle Berufsgruppen des Gesundheitswesens, die Neugeborene bei der
Geburt betreuen. Jedes Jahr werden ca 1000
Fachpersonen (Kinderärzte, Geburtshelfer,
Anästhesisten, Hebammen und Pflegefachpersonen) ausgebildet in der NeugeborenenReanimation mittels praxisorientierten Szenarien. Interssierte wenden sich direkt ans
Sekretariat ([email protected]) für
zusätzliche Informationen oder für die Anmeldung zu einem Kurs.
M. Roth-Kleiner, Präsident SGN
R. Arlettaz Mieth, Vize-Präsidentin SGN
Korrespondenzadresse
[email protected]
Aktuelles aus dem pädiatrischen Fachbereich
Vol. 28 Nr. 2 2017
Pädiatrische Infektiologie
Christoph Berger, Zürich
Fachorganisation
Pediatric Infectious Diseases Group
of Switzerland (PIGS)
Internetseite
www.pigs.ch
Kontakt: [email protected]
Vorstand
Präsident: Prof. Dr. med. Christoph Berger,
Universitäts-Kinderspital Zürich
Sekretärin: Dr. med. Anita Niederer-Loher,
Ostschweizer Kinderspital St. Gallen
Kassier: Dr.med. Alessandro Diana,
Clinique des Grangettes, Chêne-Bougeries
Anzahl Mitglieder
47
Allgemeines
Die pädiatrische Infektiologiegruppe Schweiz
(PIGS) setzt sich zusammen aus pädiatrischen
Infektiologen, aus Spitalpädiatern mit Interesse an pädiatrischer Infektiologie, sowie
aus infektiologisch interessierten Kinderärzten und Assistenzärzten in Ausbildung
zum Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin.
PIGS steht - insbesondere auch jungen - infektiologisch interessierten Kinderärztinnen und
Kinderärzten der Schweiz offen, unabhängig
davon, ob sie neben dem Facharzt für Kinderund Jugendmedizin auch über denjenigen der
Infektiologie verfügen oder diesen anstreben.
PIGS hat sich zum Ziel gesetzt, Voraussetzungen für ein qualitativ hoch stehendes Management von Kindern mit Infektionskrankheiten
zu schaffen. Dies erfolgt einerseits durch
Verfassung nationaler Empfehlungen zum
Management wichtiger pädiatrisch-infektiologischer Krankheitsbilder und andererseits
durch Initiierung und Durchführung von Studien. PIGS sieht sich als Bindeglied zwischen
der Schweizerischen Gesellschaft für Pädiatrie und der Schweizerischen Gesellschaft für
Infektiologie und engagiert sich auch in der
Zusammenarbeit mit anderen Fachgesellschaften zu Themen, die die pädiatrische
Infektiologie betreffen (z. B. Schweizerische
Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe).
Die halbjährlichen Sitzungen dienen als offenes Forum zur Diskussion von gemeinsamen
Empfehlungen und multizentrischen Studienprotokollen. Sie werden ergänzt durch
Fallvorstellungen, Informationen von PIGS
Mitgliedern über ihre Mitarbeit in verschiedenen Arbeitsgruppen, Projekten und Richtlinien
zum Management von Infektionskrankheiten.
PIGS-Mitglieder vertreten die schweizerische
pädiatrische Infektiologie auch in internationalen Expertengruppen und stehen als Mitautoren von AWMF-Leitlinien oder im Handbuch
der Deutschen Gesellschaft für pädiatrische
Infektiologie in engem Austausch mit den
europäischen Kollegen.
Hauptaktivitäten im Jahr 2016 waren die Verfassung der «Leitlinie zur Abklärung und Vorbeugung von Infektionskrankheiten und Aktualisierung
des
Impfschutzes
bei
asymptomatischen asylsuchenden Kindern
und Jugendlichen» und die Fertigstellung der
nationalen Konsens-«Empfehlungen zur Diagnose und Behandlung von akuten osteoartikulären Infektionen im Kindesalter» gemeinsam
mit der Expertengruppe Kinderorthopädie der
Schweizerischen Gesellschaft für Orthopädie
und Traumatologie und der Schweizerischen
Gesellschaft für Kinderchirurgie (siehe Paediatrica Vol. 28 / Nr. 1 / Seite 8, bzw. www.
pigs.ch). Sie ergänzen bestehende Empfehlungen (z. B. Diagnose und Therapie der
Harnwegsinfektion, der aktuen Otitis media,
Pneumonie etc., siehe www.pigs.ch) und zeigen mit nationalem Konsens für eine zielgerichtete rationale Antibiotikatherapie die Anstrengungen im Sinne der nationalen Strategie
Antibiotikaresistenzen (www.star.admin.ch),
an welcher PIGS sich zusammen mit der SGP
aktiv beteiligt. Zu den nationalen Strategien
(Impfungen und Noso) hat PIGS Stellungnahmen mit pädiatrisch-infektiologischen Aspekten eingebracht.
Zweiter Schwerpunkt war und ist die Auswertung der Swiss Pediatric Sepsis Study, in
welcher in gut vier Jahren fast 1000 Kinder
mit Sepsis eingeschlossen werden konnten
(erste Publikationen siehe www.pigs.ch, weitere folgen).
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Ein dritter Schwerpunkt war der 5. PIGS Intensive Course in Pediatric Infectious Diseases
im November 2016 in St.Gallen. Dieser Kurs,
der sich an Assistenzärztinnen und Assistenzärzte in Weiterbildung in oder mit Interesse an pädiatrischer Infektiologie richtete,
hat sehr grosses Interesse, gute Diskussionen
und positive Feedbacks ausgelöst. Zusammenfassungen der Referate können auf der
PIGS Website eingesehen werden.
Hinweise für pädiatrisch-infektiologisch interessante Veranstaltungen finden Sie ebenfalls
auf der PIGS-Website. Das nächste PIGS
Meeting findet am 10. Mai 2017 in Bern statt.
Interessenten sind jederzeit willkommen
Korrespondenzadresse
Prof. Dr. med. Christoph Berger
Präsident PIGS
Universitäts-Kinderspital Zürich
8032 Zürich
[email protected]
Aktuelles aus dem pädiatrischen Fachbereich
Gynea - Schweizerische Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendgynäkologie
Ruth Draths, Luzern, Präsidentin
Die Schweizerische Arbeitsgemeinschaft für
Kinder- und Jugendgynäkologie setzt sich zum
Ziel, Wissen und Kenntnisse über die gynäkologischen Erkrankungen, Symptome, Untersuchungsmethoden und Therapien bei kleinen
und heranwachsenden Mädchen zu fördern.
weiter aufzubauen. Ebenso besteht eine intensive Zusammenarbeit mit der Kinder- und
Jugendgynäkologischen Arbeitsgruppe in
Deutschland und vor allem durch unser Vorstandsmitglied Francesca Navratil auch weiteren Ländern.
Aktivitäten
Zukünftige Tätigkeit
Alle Vorstandsmitglieder sind in ihren Arbeitsfeldern, in Praxen und Kliniken aktiv und engagieren sich an Fort- und Weiterbildungen im
In- und Ausland, so auch an den wichtigsten
jugendgynäkologischen Fortbildungen im
Jahr, dem Women’s Health Congress, dem
Symposium Jugendgynäkologie und Kontrazeption in Pfäffikon sowie am Jahreskongress
der SGGG. Wie bereits 2015 war die Gynea
auch am Jahreskongress der Schweizerischen
Gesellschaft für Pädiatrie mit einem Vortrag
präsent.
2017 wird die Gynea an verschiedenen Kongressen präsent sein:
Am Women’s Health Congress in Lausanne
gestaltet die Gynea gemeinsam mit der SGRM
der gynäkologischen Endokrinologie einen
Jugendgynäkologischen Block. Im März findet
in Pfäffikon wieder das ganztätige Symposium
zu Jugendgynäkologie und Kontrazeption
statt. Im April findet das zwei-jährliche Symposium Jugendgynäkologie in Berlin statt,
dieses Jahr als gemeinsame Fortbildung der
Deutschen, Österreichischen und Schweizerischen Arbeitsgemeinschaft. Im Juni 2017 kann
die Gynea am Jahreskongress der SGGG ein
Hauptthema zum Thema ‚Hotspot Endokrinologie in der Jugendgynäkologie’ gestalten.
Am Women’s Health Congress leitete die Gynea eine spannende Session mit drei Vorträgen und Diskussionen über Kontrazeption bei
Töchtern von BRCA- positiven Müttern, PCOS
in der Adoleszenz sowie über die Intimchirurgie bei Jugendlichen.
Im Frühling fand das 9. Symposium Jugendgynäkologie und Kontrazeption in Pfäffikon
unter der wissenschaftlichen Leitung der
Gynea, statt. Dieses eintägige Symposium
bietet eine Fülle praxisrelevanter Themen
rund um die Jugendgynäkologie und beleuchtet aktuelle Aspekte der Kontrazeption.
Am Jahreskongress der SGGG (Schweizerische
Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe)
gestaltete die Gynea zwei Workshops zu den
Themen «Sexuelle Gewalt an Kindern und
Jugendlichen» und «Fertilitätserhaltung bei
Mädchen mit onkologischen Erkrankungen».
Netzwerk
Gynea pflegt die interdisziplinäre Zusammenarbeit mit anderen Fachgesellschaften wie
der Pädiatrie, der gynäkologischen Endokrinologie und der Psychosomatik und ist mit
Vorstandsmitgliedern in verschiedenen Arbeitsgruppen vertreten, um die Vernetzung
Personelles
Auf Ende 2015 sind die vorgängigen CoPräsidentinnen Irène Dingeldein und Renate
Hürlimann zurückgetreten. Wir möchten an
dieser Stelle beiden Kolleginnen ganz herzlich
für ihr grosses Engagement für die Gynea
danken.
Seit dem 1. Januar 2016 wurde nun das Präsidium von Ruth Draths, Gynäkologie, übernommen, Vizepräsidentin wurde Dorit Hoffmann,
Pädiatrie.
Für Michal Yaron, die aus dem Vorstand zurückgetreten ist, wurde Isabelle Navarria zum
Vorstandsmitglied ernannt.
Der Vorstand setzt sich wie folgt zusammen:
Ruth Draths, Präsidentin, Dorit Hoffmann,
Vizepräsidentin und Irène Dingeldein, Renate
Hürlimann, Gabriele Merki, Isabelle Navarria,
Francesca Navratil, Saira-Christine Renteria.
Organisatorisches
Im Berichtsjahr traf sich der Vorstand zu drei
Sitzungen jeweils in Bern und Zürich. Der
Austausch unter den Vorstandsmitgliedern
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Vol. 28 Nr. 2 2017
und der Geschäftsstelle ist rege. Ob per
E-Mail oder Telefon – die Erreichbarkeit aller
ist gegeben und die Kommunikation schnell
und aktiv. Gynea hat 135 Mitglieder in der
ganzen Schweiz, der jährliche Mitgliederbeitrag beträgt CHF 50.–
Korrespondenzadresse
Geschäftsstelle Gynea
Breitingerstr. 23
CH-8002 Zürich
[email protected]
www.gynea.ch
Personelles
Vol. 28 Nr. 2 2017
IN MEMORIAM
Andrea Poretti 12. 04. 1977 - 22. 03. 2017
Eugen Boltshauser, für die Schweizerische Gesellschaft für Neuropädiatrie
drea hat sich in diesem Bereich langfristig
engagiert und profiliert.
Wir trauern um einen besonderen Kollegen
und Freund. Unfassbar ist die Nachricht, dass
Andrea kürzlich unerwartet in Baltimore gestorben ist.
Andrea Poretti stammte aus Bioggio (TI, Nähe
Lugano). Er hat 2002 in Bern das Medizinstudium abgeschlossen. Anschliessend arbeitete
er an einer Dissertation («Outcome of craniopharyngioma in children: long-term complications and quality of life») in der Neuropädiatrie
– Neuroonkologie am Kinderspital Zürich.
Diese später viel zitierte Arbeit war wohl der
Anstoss, sich zum Neuropädiater weiterzubilden. Nach einem Jahr Pädiatrie am Ospedale
Civico in Lugano absolvierte Andrea die Weiterbildung in Pädiatrie - Neuropädiatrie – Neurologie in Zürich. Ich hatte das grosse Privileg,
Andrea während 15 Jahren zu begleiten und
zu unterstützen. Er war ein hervorragender
und allseits beliebter Assistent. Er hatte stets
ein gutes Einvernehmen mit der Ärzteschaft
auf allen Stufen, den paramedizinischen Berufen und insbesondere mit den Patienten und
den Eltern. Neben seiner tagefüllenden klinischen Tätigkeit begann Andrea zu publizieren,
er war ausserordentlich wissbegierig, engagiert, «produktiv» – bereits als Assistent umfasste seine Publikationsliste 25 Einträge. Ich
konnte ihn für das von mir seit Jahren gepflegte Gebiet der Kleinhirnaffektionen begeistern,
ihm gleichsam den «Stab» weitergeben – An-
Nach Abschluss der Facharzt-Weiterbildung
wechselte Andrea als Research Fellow nach
Baltimore an die Johns Hopkins School of
Medicine zu Prof. Thierry Huisman, der zuvor
Chefarzt der Kinder-Radiologie/Neuroradiologie am Kinderspital Zürich war. Unter seinem Mentoring war Andrea wissenschaftlich
sehr erfolgreich. Seine klinisch-neuropädiatrischen sowie bildgebenden Kenntnisse prädestinierten ihn für übergreifende Projekte.
Aufgrund seiner profunden Kenntnisse in
Neuropädiatrie und «Advanced Imaging» wurde Andrea in Editorial Boards mehrerer Zeitschriften gewählt (Cerebellum & Ataxias,
Journal of Neuroimaging, American Journal of
Neuroradiology, Neuropediatrics). Dank vieler
persönlicher Kontakte war Andrea ein gefragter Referent, national wie international. Im
August 2015 wurde er zum Assistant Professor of Radiology und Head of Pediatric Neuroimaging Research befördert. Aktuell war
seine Promotion zum Associate Professor in
Vorbereitung. Seit einigen Monaten konnte
Andrea auch klinisch im Kennedy Krieger Institute (ebenfalls in Baltimore) arbeiten – ihm
schwebte eine Kombination von wissenschaftlicher und klinischer Tätigkeit vor. Die an ihn
oft gestellte Frage, wann er in die Schweiz
zurückzukehren gedenke, beschäftigte ihn, er
liess die Antwort aber offen.
Die erfolgreiche Karriere änderte nichts an
Andrea’s Art und liebenswürdiger Persönlichkeit: er blieb der Inbegriff von Zuverlässigkeit,
Hilfsbereitschaft und Bescheidenheit. Andrea
pflegte den Kontakt zu zahlreichen Mitgliedern der Schweizerischen Gesellschaft für
Neuropädiatrie, sei es per Mail oder persönlich anlässlich von Besuchen in der Schweiz.
Zahlreiche nach seinem Tod erhaltene Rückmeldungen belegen die hohe Wertschätzung,
die Andrea genossen hat. «Ihn kennengelernt
zu haben, war ein Privileg» schrieben viele.
Andrea hinterlässt in fachlicher und menschlicher Hinsicht eine grosse Lücke. Er wird uns
fehlen.
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Korrespondenzadresse
[email protected]
Lesebrief
Vol. 28 Nr. 2 2017
Überlegungen eines Kinderarztes an der
Wende zum Ruhestand
Yvon C. Heller, Nyon
Übersetzung: Rudolf Schlaepfer, La Chaux-de-Fonds
Nach 30 Jahren Tätigkeit bin ich Kindern,
Jugendlichen, ihren Eltern und allen, die sie
betreut haben, dankbar für die zahlreichen
Gelegenheiten partnerschaftlicher Zusammenarbeit, die sich im Verlaufe der Jahre ergaben. Mit dem Entstehen zahlreicher Hilfsangebote und der Entwicklung pädiatrischer
Spezialgebiete (Kinderkardiologie, Kinderpsychiatrie usw.) wurde die Notwendigkeit enger
Zusammenarbeit noch wichtiger. Es geht im
heutigen Umfeld darum, die Zersplitterung
der Pädiatrie zu vermeiden und die globale
Vision von Kind und Familie nicht zu verlieren.
Die sektorielle Entwicklung der Pädiatrie ist
eine Quelle der Einsamkeit und Isolierung,
nicht nur des Arztes, sondern auch von Kind
und Familie. Die globale Betrachtung der Gesundheit und die Rolle des Kinderarztes
gewinnen damit eine ganze besondere Bedeutung, und das Schaffen von Netzwerken, an
welchen das Kind und sein Umfeld beteiligt
sind, umso grössere Bedeutung und Sinn.
einen gemeinschaftlichen Ansatz des Gesundheitswesens zu entwickeln, in ein Jahrhundert meistern, in welchem sich eine personalisierte/genomische Vision der Medizin
anzeigt?
In Bezug auf chronische Krankheiten und
(physische und geistige) Behinderungen sind
bei der Betreuungsplanung vor allem die
Schule, aber auch Sozial- und Kinderschutzdienste unabdingbare Partner geworden. Dieser pluridisziplinäre Ansatz ermöglicht es den
beteiligten Fachkräften nicht nur, sich zu
koordinieren, sondern auch aufmerksamer
auf Kind und Familie zu hören, und das Kind
damit am Betreuungsplan teilhaben zu lassen,
wie dies in der UN-Kinderrechtskonvention
empfohlen wird.
Damit der Kinderarzt in Zukunft weiterhin
existieren kann, ist es meiner Meinung nach
notwendig, dass er aus seiner Praxis, seinem
Labor und seinem Spital hinausgeht, um im
Lebensbereich des Kindes aktiv zu werden,
um sich dort gemeinsam mit seiner Familie,
für the best interest des Kindes einzusetzen,
um die Bedürfnisse aller Kinder und Jugendlichen bestmöglich zu vertreten, z. B. der Kinder
mit einer Behinderung oder mit Migrationshintergrund. Integrative Gesundheitskonzepte,
die effiziente, gerechte und allgemeinzugängliche Gesundheitsdienste voraussetzen, sind
ein Ansatz der ins Auge gefasst werden sollte.
Ein in diesem Zusammenhang wichtiges
Element ist die Verfügbarkeit von Übersetzern
für fremdsprachige Kinder. Nur so können sie
und ihre Familien an einem Betreuungsplan
teilhaben. Ohne diese Unterstützung kann der
Kinderarzt seine Aufgabe, anzuhören, zu begleiten und zu betreuen nicht angemessen
wahrnehmen. Die pluridisziplinäre Betreuung
ist damit ein wichtiges Mittel, um deren Qualität in Zusammenarbeit mit Kind und Familie
zu gewährleisten. Der Kinderarzt nimmt daran
teil als Bindeglied zwischen den verschiedenen Perspektiven. Und den notwendigen
Rahmen dazu bildet das Übereinkommen über
die Rechte des Kindes.
Wie können wir den Übergang von einem
Jahrhundert, im Verlaufe dessen so viele
Anstrengungen unternommen wurden, um
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