GEMEINSAMES LEBEN Gemeinsames Leben behinderter und nichtbehinderter Kinder Helga Brennenstuhl, Leiterin Kita OLGA BENARIO in Templin über eigene Erfahrungen In der Stadt Templin mit etwa 12.000 Einwohnern gibt es fünf Kindertagesstätten. Unser Kindergarten mit 85 Kindern im Alter von drei bis sechs Jahren liegt in der Nähe des Stadtzentrums und ist die einzige Integrationseinrichtung. Die tägliche Öffnungszeit beträgt zehn Stunden, bei Bedarf wird verlängert. Mitteilung des Vorhabens vor den Stadtverordneten sicherten uns die Unterstützung durch die Kommune, den Träger unserer Einrichtung. In Gruppenelternversammlungen, bei Elterngesprächen und schließlich im Kita-Ausschuß brachten wir den Eltern unser Anliegen nahe und waren über deren aufgeschlossene Reaktion positiv überrascht. Der Einstieg in die Integration Auf Initiative von Frau Dr. Neumüller bildeten wir ein Beraterteam: eine Kinderärztin, eine Fachärztin für Neuropsychiatrie, ein Rehabilitationspädagoge, Sonderpädagogen, Fachschullehrer, Eltern und Erzieherinnen. In diesem Gremium wurden alle weiteren Sachfragen diskutiert. Bereits vor der Wende hatten wir in Einzelfällen behinderte Kinder in der Kita zu betreuen. Dennoch erlebten wir im Ort, wie Menschen mit Behinderungen ausgesondert wurden, und seit längerem bewegte uns die Frage, ob und wie eine gemeinsame Erziehung behinderter und nichtbehinderter Kinder gestaltet werden könnte. Ein Berg von Hindernissen wird abgetragen Im Prozeß des Suchens trafen wir auf die Fachschule für Sozialpädagogik in Templin. Und hier unterstützte uns insbesondere Frau Dr. Neumüller, engagiert und zuversichtlich, auf unserem Weg in Richtung Integration. In der Fachliteratur lesen wir: „Integration ist in jedem Fall möglich, wenn die entsprechenden Bedingungen gegeben sind...“ Wir standen vor einem Berg von Hindernissen: – Wir hatten kaum Fachwissen und Erfahrungen im heilpädagogischen, medizinischen Bereich; – unser Haus mit damals sieben Gruppen und 134 Kindern war voll; jede Gruppe hatte nur einen Raum, d.h., es fehlte an Rückzugs- und Ausweichsmöglichkeiten u.a. für Kleingruppenarbeit; Es begann eine intensive Auseinandersetzung jeder einzelnen Mitarbeiterin verbunden mit den Fragen: Möchte ich mit behinderten Kindern arbeiten? Kann ich es überhaupt? Bin ich den – mir noch weitgehend unbekannten – Anforderungen gewachsen? Mehrere Gespräche mit unserer Amtsleiterin, ein Termin beim Bürgermeister und die 13 GEMEINSAMES LEBEN – – – – die sanitären Einrichtungen waren nicht behindertengerecht; Zugänge zum Haus für Rollstuhlfahrer kaum möglich; eine therapeutische Betreuung war nicht abgesichert, Heil- und Hilfsmittel standen nicht zur Verfügung; außerdem fehlten uns Grundkenntnisse für Antragsverfahren, Kostenübernahme und Leistungskataloge. – – In der gemeinsamen Erziehung liegt eine große Herausforderung an die Erzieherpersönlichkeit. – In der Vorbereitung auf diese neue, anspruchsvolle Aufgabe führten wir eine intensive Auseinandersetzung um folgende Aussagen: – – – – Behinderte Kinder sind zunächst einmal Kinder; behinderte Kinder sollen nicht normalisiert, sondern individualisiert werden; durch gemeinsames Leben können sie auf dem Weg zur eigenen Lebensbewältigung unterstützt werden. – – – Deutlich wurde uns, daß Behinderung neben der ursprünglichen Schädigung, die zu bestimmten Einschränkungen und Funktionsbeeinträchtigungen führt, auch eine Beeinträchtigung im sozialen Bereich bedeutet. Behindert zu sein heißt, abhängiger zu sein als ein nichtbehinderter Mensch. Ursachen dafür liegen jedoch nicht ausschließlich in der Schädigung, sondern vielfach im Verhalten der umgebenden Menschen, der Umwelt. Ein sorgsames Ausbalancieren von Abhängigkeit und Selbständigkeit mit jedem einzelnen Kind schien uns notwendig. jedem Kind, unabhängig von seinem äußeren Erscheinungsbild, eine persönliche Zuwendung zuteil werden muß, die es braucht; Situationen in der Gruppe so gestaltet werden müssen, daß sich für alle Kinder geeignete Kontakt- und Spielmöglichkeiten ergeben; auch in ersten Ansätzen sich entwickelnde Fähigkeiten wahrgenommen und unterstützt werden müssen; eine positive, gelassene Atmosphäre hergestellt und aufrechterhalten werden muß trotz besonderer Anspannungen, wie sie sich u.a. durch schwer ertragbares Verhalten (Bewegungsunruhe, Stereotypien, Aggressionen) ergeben können; Kindern nach Bedarf Ruhe- und Rückzugsmöglichkeiten angeboten werden müssen; regelmäßig die notwendigen Pflegemaßnahmen wahrgenommen werden müssen; Kinder mit erheblicher körperlicher Behinderung regelmäßig getragen werden müssen; erforderliche Hilfs- und Stützfunktionen im Alltag beachtet werden müssen, sie sind von außerordentlicher gesundheitlicher Bedeutung (vgl. Dichans, Wolfgang: Der Kindergarten als Lebensraum für behinderte und nicht behinderte Kinder; Köln 1993). Wir kamen zu der Einsicht, daß die genannten Anforderungen weitgehend auch in Regelgruppen Gültigkeit haben. Die Chance, die sich allen Beteiligten im gleichberechtigten Zusammenleben bietet, wurde uns noch bewußter. Seit 1991 nehmen alle pädagogischen Mitarbeiterinnen unseres Kindergartens an einer langfristigen Fortbildung zum Thema „Integration“ teil, und eine Vertiefung und Qualifizierung unserer pädagogischen Arbeit finden statt. Als grundlegende Anforderung an jede Erzieherin in ihrer Gruppenarbeit erkannten wir, daß 14 GEMEINSAMES LEBEN Unsere Konzeption für die gemeinsame Erziehung entsteht Die Anerkennung als teilstationäre Einrichtung Vom Landessozialamt wurden vor Ort die Voraussetzungen überprüft und folgende Rahmenbedingungen für die Anerkennung gefordert: Unser Kindergarten soll als integrativer Lebensraum gestaltet werden. Hier können sich Menschen angstfrei begegnen, eine Akzeptanz der jeweiligen Besonderheit gegenüber entwickeln und soziale Integration als wechselseitigen Prozeß erfahren. Das behinderte Kind lernt sogenannte Normalität und das nichtbehinderte Kind wesentliches Sozialverhalten. Die Familien mit behinderten Kindern erleben Teilnahme am öffentlichen, gemeinschaftlichen Leben. – – – – Wir formulierten folgende Ziele: – – – – Selbstvertrauen, Selbständigkeit und Kreativität jedes einzelnen Kindes stehen im Mittelpunkt unserer Pädagogik. die Fähigkeiten der Kinder, nicht ihre Defizite sind richtungsweisend. die jeweiligen Fähigkeiten und Erfahrungen im Verstehen der Umwelt werden erprobt. Projekte mit der Möglichkeit zu je spezifischer Beteiligung werden entwickelt. – – – Die Arbeit an der Konzeption und die damit verbundene Situationsanalyse vollzogen sich in mühevoller, monatelanger Arbeit im Streitgespräch mit allen Mitarbeiterinnen und unter Einbeziehung der Eltern. Wir dachten über viele Dinge nach, die sonst im Alltag untergingen, und kamen zu neuen Einsichten, deren Umsetzung uns nicht immer leichtfiel. Es zeichneten sich Probleme ab, die noch gelöst werden wollten. Im März 1991 reichten wir über unseren Träger einen Antrag zur Anerkennung als „teilstationäre Einrichtung“ beim Landesamt für Soziales und Versorgung/Cottbus und beim zuständigen Jugendamt ein. – – – 15 zwei ausgebildete Erzieherinnen pro Gruppe, die zur Fortbildung zum Thema „Gemeinsame Erziehung“ bereit sind; mindestens fünf behinderte Kinder müssen aufgenommen werden; die therapeutischen Maßnahmen finden in der Einrichtung statt; vor der Aufnahme ist ein amtsärztliches Gutachten einzuholen, das zusammen mit dem Aufnahmeantrag der Eltern an das Landesamt für Soziales und Versorgung in Cottbus eingereicht wird; eine Zusatzfinanzierung des überörtlichen Trägers erfolgt nur bei Anerkennung der Behinderung nach 39/40 KJHG; für die Förderung bei sogenannter „seelischer Behinderung“ ist seit 1995 die Jugendhilfe, d.h. das Jugendamt zuständig; Hilfsmittel müssen von den Eltern selbst entsprechend § 45 BSHG beantragt werden; für jedes Kind ist ein Förderplan zu erstellen, der halbjährlich fortgeschrieben wird und die Grundlage für die Abrechnung darstellt; kommen Kinder aus umliegenden Orten, gibt es die Möglichkeit des Behindertentransports (den in Ausnahmefällen auch die Eltern selbst übernehmen können); er wird ebenfalls finanziert; Kostenvoranschläge müssen eingereicht werden; die räumlichen Bedingungen und die sanitären Voraussetzungen müssen im Kindergarten verbessert werden. GEMEINSAMES LEBEN Stellen wurde von einer Aufnahme abgeraten, mit Ausnahme einer Therapeutin (ihr Kommentar: es wäre einen Versuch wert, würde aber sehr schwer werden). Nach zwei Jahren erhielten wir rückwirkend zum Januar 1993 die Anerkennung als teilstationäre Einrichtung. Zwei Jahre intensiver Arbeit, und d.h. auch Verbesserung der Rahmenbedingungen lagen hinter uns: – – – – – – Zusammen mit der potentiellen Gruppenerzieherin besuchten wir Julia zu Hause. Wir erlebten, daß Julia kommunikationsfähig ist: mit Blicken und Mimik konnte sie Freude oder Unbehagen ausdrüken, und sie reagierte auf Sprache. Wir entschlossen uns, mit Einverständnis der Mutter, zur probeweisen Aufnahme. Julia besuchte dann stundenweise zusammen mit den Eltern den Kindergarten, und die Familie erlebte ihre Tochter im Kindergartenalltag. Die Kinder der Gruppe waren vorbereitet. Sie nahmen Julia an, akzeptierten, daß sie nicht sprechen und laufen konnte und begannen, sie in ihrer Art in das Gruppenleben mit einzubeziehen: Sie erzählten ihr, zeigten ihr Bücher, brachten weiches Spielzeug an, sie trafen Absprachen für ein gemeinsames Spiel ... Julia blieb in unserem Kindergarten. Ein Rückgang der angemeldeten Kinder ermöglichte eine Reduzierung der Gruppen; die verbliebenen fünf Gruppen wurden auf je 15 Kinder reduziert. In jeder Integrationsgruppe arbeiten zwei Fachkräfte (denen nach Möglichkeit eine Studentin zugeordnet ist). Jeder Integrationsgruppe stehen zwei Räume zur Verfügung. In jeder Integrationsgruppe sind fünf Kinder mit den unterschiedlichsten Behinderungen. Schrägen sichern die Zufahrt für Rollstuhlfahrer, die Sanitäranlagen wurden behindertengerecht saniert. Von den Eltern beantragte Hilfsmittel stehen zur Verfügung. Wir haben ein ganzes Stück des Berges abgetragen und kommen unserem Anliegen, integrativ und situationsorientiert zu arbeiten, immer näher. Wie dieses Beispiel zeigt, brauchen wir vor der Aufnahme eines Kindes fundierte Informationen und die Möglichkeit, mit dem Kind selbst Kontakt aufzunehmen. Hier sind einmal die Fachleute, wie Kinderärzte und Therapeuten, gefragt, dann aber insbesondere die Eltern – sie kennen ihr Kind am besten – und die Gruppenerzieherinnen. Hausbesuche geben uns die Möglichkeit, das Kind in seinem vertrauten Umfeld kennenzulernen und Ansatzpunkte für die Kontaktaufnahme zu finden. Hier fällt es Eltern oft auch leichter, über ihre Bedenken und Ängste zu sprechen und Fragen zu stellen. So wünschen zwar die meisten Eltern für ihr Kind den Spielkontakt zu anderen Kindern, doch fällt es ihnen meist sehr schwer, nach einer Zeit intensiver Betreuung sich auf die Trennung einzulassen. Sie äußern Zweifel, ob im Kindergarten Die pädagogische Praxis unseres Kindergartens – integrativ und situationsorientiert Die Zusammenarbeit mit den Eltern beginnt vor der Aufnahme eines Kindes. Die Mutter eines schwerbehinderten Mädchens stellte in unserem Kindergarten einen Aufnahmeantrag. Julia kann nicht laufen, sich nicht allein setzen, nicht sprechen und nur bedingt greifen. Ihr war ein Platz in einer Einrichtung für geistig behinderte Kinder angeboten worden. Von den zuständigen 16 GEMEINSAMES LEBEN auch genügend Zeit für ihr Kind ist, ob es genug Zuwendung bekommt usw. Klärende Gespräche, aber auch die stundenweisen Besuche von Kind und Eltern in der Einrichtung, vor der Aufnahme und in der Eingewöhnungszeit helfen den Eltern, eine positive Einstellung zum Kindergarten zu entwikeln. Sie erfahren, daß soziales Lernen in der Kindergemeinschaft besser möglich ist, und daß die medizinische Betreuung alleine nicht zu einer befriedigenden Lebensbewältigung und Entwicklung führt. hen einzelne Kinder und manchmal die ganze Gruppe mit in das Geschehen ein. Die Gruppentherapie erleben die Kinder als Höhepunkt: Sie sind mit Freude dabei und erleben, was jeder einzelne kann, was ihm schwerfällt. Anstelle eines defekt-orientierten Therapieverständnisses sind erste Ansätze einer ganzheitlichen pädagogischen Therapie getreten. Werden Erziehung und Therapie getrennt und isoliert voneinander gehandhabt, geht das Bemühen weitgehend am Kind vorbei. Therapie in der Gemeinschaft der Kindergruppe Alles, was fährt und fliegt – gemeinsames Lernen im Projekt Unsere Kinder werden in der Regel von Sprach- und Physiotherapeuten (zwei- bis dreimal wöchentlich) im Kindergarten betreut. Anfangs bekamen einige Kinder zusätzlich noch Spiel- und Beschäftigungstherapie. Diese wurde dann von der Therapeutin in einem gesonderten Raum, teilweise ein – bis eineinhalb Stunden, mit jeweils nur einem Kind durchgeführt. Hier wurden die Kinder, losgelöst vom Gruppenleben, therapiert. Aktuelle Befindlichkeiten des Kindes fanden keine Berücksichtigung, und das Kind entwickelte Unlust und Widerstand. Für uns zeichnete sich ab, daß die ständige Aussonderung und „Übertherapie“ der Entwicklung des Kindes nicht entgegenkommt. Eine Neuorientierung, insbesondere auch bei den therapeutischen und medizinischen Fachkräften, ist notwendig. Wir führten in unserem Haus eine intensive Auseinandersetzung mit den beteiligten Therapeuten, werteten unsere Erfahrungen aus, studierten Fachliteratur und einigten uns auf folgendes Vorgehen: Die Therapeuten versuchen, die Therapie in den Gruppenalltag einzubetten. Sie bleiben mit den Kindern im Gruppenbereich, bezie- Ich möchte nicht verschweigen, wie schwierig sich anfangs die planmäßige Gruppenarbeit gestaltet hat und noch immer gestaltet. Wir waren oft unzufrieden und dachten, nicht genug zu leisten. Es fehlte uns ein Gefühl dafür, was dem einzelnen Kind zugemutet werden kann und wieviel Zeit es für ganz alltägliche Handlungen benötigt. Unsere Beobachtungen sind manchmal noch zu oberflächlich. wir sind dabei zu lernen, differenzierte Beobachtungsergebnisse den jeweiligen Aufgaben voranzustellen und diese dann genau zu strukturieren: Was kann jedes Kind, was können wir fordern und wo, in welchem Bereich kann es gefördert werden. Ich möchte ein Beispiel voranstellen: Unser Kindergarten liegt in der Nähe des Krankenhauses. die Kinder erleben häufig, wie Kranken-, Feuerwehr- und Polizeiautos und Rettungshubschrauber im Einsatz sind. Viele unserer Kinder haben an den Fahrzeugen und an dem Geschehen großes Interesse, viele Gespräche und Spiele finden zu diesem Thema statt. 17 GEMEINSAMES LEBEN durch den Raum, bewegt sich mit seinem Rollstuhl geschickt durch das Haus und äußert auch mal den Wunsch, in einer anderen Gruppe spielen zu wollen. Er fühlt sich gleichberechtigt. Einigen Kindern fiel es schwer, einzusehen, daß Christian - ein Kind mit Querschnittlähmung, Wasserkopf und Nierenschädigung diese Autos nicht bezeichnen kann, während Julian – ein geistig und sprachlich behinderter Junge – sich außerordentlich gut zu diesem Thema mitteilen kann. Die Erzieherin stieg vermittelnd ein, ein gemeinsames Thema „Alles was fährt und fliegt“ stand im Raum; wir machten uns auf den Weg, gemeinsam, entsprechend den individuellen Fähigkeiten jedes einzelnen Kindes, tätig zu werden. Die Kinder freuten sich, brachten ihre Lieblingsfahrzeuge von zu Hause mit, plazierten sie im Raum und es entstanden je spezifische Arbeitsschritte. Einige Kinder fotografierten ihre Autos, andere malten und schnitten aus. Alexander konnte diese Feinarbeit aufgrund seiner Spastik nicht. Er übernahme die Klebearbeit in einer Auto-Mappe und auf dem Wandfries. Alle Kinder erlebten, daß sie gebraucht wurden und stolz zeigten sie ihren Eltern die entstandenen Werke. Ergebnisse, Erkenntnisse und offene Probleme Nimmt man „Gemeinsame Erziehung“ ernst, so wird in vielen Situationen deutlich, wie wichtig es ist, Ansprechpartner zu haben, mit den Problemen nicht allein zu bleiben. Das Zusammenwirken von Eltern, Kindergarten, Therapeuten und Ärzten ist grundlegend für eine erfolgreiche Integration. Fachkompetenz und damit ständige Fortbildung sind gefordert. Die Zusammenarbeit mit medizinischen Fachkräften ist wichtig, die pädagogischen Mitarbeiter müssen lernen,wie man beispielsweise einem querschnittsgelähmten und nierenkranken Kind die Blase ausdrückt, daß sich unkontrolliertes Eßverhalten bei einem an Mukoviszidose erkrankten Kind sehr negativ auswirkt bzw. welche Hilfestellung gegeben werden muß, wenn ein spastisches Kind krampft. Die Art der Hilfestellung muß mit jedem Kind spezifisch erlernt werden. Als nächster Schritt stand eine gemeinsame Busfahrt an. Einige Kinder befragten den Busfahrer, ob er Platz für Christians Rollstuhl hätte, ansonsten würden sie mit dem Zug fahren. Die Busfahrt konnte stattfinden. Die Kinder erlebten, daß ein Rollstuhlfahrer nicht ohne fremde Hilfe in den Bus kommt und empörten sich darüber. Autobus-Lieder wurden gesungen, und die Kinder stellten beeindruckt fest: „Christian sitzt in zwei Fahrzeugen gleichzeitig – im Rollstuhl und im Bus“. Diese Busfahrt war ein schönes Erlebnis, und Christian brachte mit dem Satz „Ihr seid alle lieb zu mir!“ seine Freude über das Erlebte zum Ausdruck. Zusammenfassend nun einige Ergebnisse und Erkenntnisse unserer Arbeit: – – Wir erinnerten uns an seinen Anfang in der Gruppe: Er hatte kein Selbstvertrauen und gebrauchte seine Hände nicht. Heute möchte er alles selbst machen, robbt eigenständig – 18 Bei entsprechenden Bedingungen ist die Aufnahme auch schwerbehinderter Kinder möglich. Die Verbesserung des Sozialverhaltens beim gesunden Kind ist nachweisbar; Stärken und Schwächen der eigenen Person und des anderen werden bewußter erlebt. Das behinderte Kind wird im Zusammenleben mit gesunden Kindern besser GEMEINSAMES LEBEN – – – auf die Bewältigung des alltäglichen Lebens vorbereitet. Das Sozial- und Leistungsverhalten wird positiv beeinflußt, z.B. die Kontaktfreudigkeit, die Selbständigkeit, Kommunikationsfähigkeit, die geistige Ansprechbarkeit und die Vielfalt in Gestaltungsmöglichkeiten. Eltern erfahren Begleitung auf dem schwierigen Weg, die Behinderung ihres Kindes anzunehmen, sie fühlen sich angenommen und entwickeln einen offeneren Kontakt zu ihren Mitmenschen. – Dieser Beitrag „Gemeinsames Leben behinderter und nichtbehinderter Kinder“ wurde von Helga Brennenstuhl bei dem 2. Pädagogischen Forum 1996 im Sozialpädagogischen Fortbildungswerk Brandenburg (SPFW) in Blankensee vorgetragen. Nach dem Vortrag erfolgte in einer Arbeitsgruppe eine lebhafte Diskussion. Die in der nachfolgenden Übersicht zusammengefaßten Diskussionssplitter belegen die intensiven Gespräche. Offene Probleme, die engagierte Mitarbeit verlangen: – – – – – – – – – die betreuungsfreie Zeit im Kindergarten ist unzureichend, Planung und Reflexion der pädagogischen Arbeit kommen zu kurz; überregionale und regionale Weiterbildungsveranstaltungen sind zur Zeit unzureichend. Die Integrationstheorie ist anerkannt, die Praxis braucht Hilfe in der Umsetzung; Therapeuten sollten sich dem integrativen Moment noch mehr öffnen und ihre Arbeit in die Integrationsgruppe verlegen; Therapien müssen gut ausbalanciert sein, um eine Therapiemündigkeit des Kindes zu vermeiden; Gesundheits- und Krankenkassen müssen einen Angebotskatalog über mögliche Therapien erstellen; aufgeschlossene Sponsoren sind gefragt; mehr Augenmerk für behindertengerechte Begehbarkeit öffentlicher Wege und Einrichtungen; arbeitsfähige, interdisziplinäre Arbeitsund Beratungsteams sind notwendig; Konkurrenzdenken ist nicht zum Wohle des Kindes und verhindert integratives Arbeiten; Erzieherinnen müssen sich auf den Weg machen, gemeinsam zu planen, zu gestalten und Konflikte zu lösen; 19 GEMEINSAMES LEBEN Diskussionssplitter – Integrative Erziehung kann nicht von oben diktiert werden, die positive Einstellung jeder einzelnen Erzieherin ist die Grundlage für erfolgreiche Integration; – Unterstützung für die Erzieherinnen ist notwendig: so wird aus dem Wollen tatsächlich Können: Fachliteratur, Fortbildung in Theorie und Praxis und ein sorgsames Ausbalancieren der Arbeitszeit in Betreuungszeit und kinderfreie Zeit zum Vorbereiten, Planen, Reflektieren und für die Zusammenarbeit mit den Eltern; – Behinderte Kinder dürfen nicht ausgegrenzt werden. Das Zusammenleben von anfang an ist notwendig, um Berührungsängste erst gar nicht aufzubauen; – Abschiednehmen vom Defizit-Denken! Genau hinschauen und hinfühlen - was kann das Kind, das ist die entscheidende Frage; – Auf Eltern behutsam zugehen; Können wir uns in Eltern hineinversetzen, die mit einem behinderten Kind leben? Geduld und Einfühlungsvermögen sind wichtig: die Eltern kennen ihr Kind am besten, wir brauchen ihre Mitarbeit; – Verhaltensauffälligkeit? – Wo beginnt sie? – Integration erfordert ein gutes Zusammenspiel von Eltern, Erzieherinnen, Träger, Ämtern, Therapeuten und Ärzten; – Integration verlangt, Ressourcen in jeder Beziehung ausfindig zu machen und kooperativ zu nutzen. 20