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Soziale Arbeit Schweiz
Trav ail social Suisse
Lav oro sociale Sv izzera
Lav ur sociala Sv izra
AvenirSocial Sektion Zentralschweiz
Schwarztorstrasse 22, PF/CP, CH-3001 Bern
T. +41 (0) 31 380 83 00
zentralschweiz@av enirsocial.ch,
www.av enirsocial.ch/de/zentralschweiz
Per E-Mail an: [email protected]
Departement des Innern
Kollegiumstrasse 28
6431 Schwyz
Luzern, 20. September 2016
Vernehmlassung zur Teilrevision des Gesetzes über die Sozialhilfe (ShG)
Sehr geehrte Frau Regierungsrätin Steimen-Rickenbacher
Sehr geehrte Damen und Herren
AvenirSocial Sektion Zentralschweiz nimmt fristgerecht an der Vernehmlassung zur Teilrevision
des Gesetzes über die Sozialhilfe des Kantons Schwyz teil.
AvenirSocial - Soziale Arbeit Schweiz - vertritt die Interessen der Professionellen mit einer
Ausbildung in Sozialarbeit, Sozialpädagogik, Soziokulturelle Animation, Kindererziehung und
Sozialpädagogische Werkstattleitung auf Ebene Fachhochschule, Höhere Fachschule oder
Universität in der Schweiz.
Ziel ist die Vernetzung der Professionellen der Sozialen Arbeit sowie die Vertretung und Wahrung
ihrer beruflichen, wirtschaftlichen und sozialen Interessen. Dem nationalen Verband, AvenirSocial
Schweiz, sind 13 Sektionen in der deutsch- und französischsprachigen Schweiz angegliedert, die
AvenirSocial in den Regionen vertreten.
AvenirSocial hat viel Erfahrung mit dem Thema Sozialhilfe, besitzt den Überblick über die
unterschiedlichen Entwicklungen in den Kantonen, beteiligt sich auf kantonaler und nationaler
Ebene in diversen Gremien und ist zudem Mitglied bei der SKOS. Artikel 12 in der
Bundesverfassung garantiert Menschen in Not, die nicht für sich selber sorgen können, Hilfe,
Betreuung und Mittel, die für ein menschenwürdiges Dasein unerlässlich sind. Grundsätze in der
Sozialen Arbeit sind individuelle Hilfeleistung, professionelle Beratung, Begleitung und
Unterstützung nach dem Berufskodex von AvenirSocial.
Die Teilrevision ist eine Sparmassnahme. Sie bekämpft die Armen und nicht die Armut!
AvenirSocial Sektion Zentralschweiz lehnt die Teilrevision ShG grundsätz lich ab.
Zur Vernehmlassung generell:
Die revidierten Skos-Richtlinien sind im Kanton Schwyz erst seit dem 1.1.2016 in Kraft, der Zeitpunkt
der Änderung des ShG ist ungünstig. Fachpersonen der Sozialen Arbeit und Klienten und Klientinnen
werden verunsichert, wenn Gesetze und Verordnungen häufig geändert werden und es stellt sich
keine Praxiserfahrung ein.
Das Ziel der Teilrevision ist bekannt: es sollen Kosten von Fr. 2 Mio. im Jahr in der Sozialhilfe gespart
werden. Bei kurzfristig eingesparten Sozialhilfeleistungen werden mehr Obdachlosigkeit, Kriminalität,
Verschuldung, sozialer Isolation und chronischen Krankheiten in der Gesellschaft riskiert und damit
höhere Folgekosten.
Die Ursachen von Armut liegen hauptsächlich in der Gesellschaft und in der Wirtschaft. Die
Teilrevision geht jedoch von einer individuellen Ursache und einem hauptsächlich eigenen
Verschulden für den Bezug von Sozialhilfe aus. SozialhilfebezügerInnen werden mit einer Kürzung
der Sozialhilfe deswegen bestraft. Wie kamen die Zahlen - 10 respektive - 20% zustande? Die
Sozialhilfe funktioniert nach dem Bedarfsdeckungsprinzip. Dieses orientiert sich an einem aktuellen
und konkreten Bedarf. Der Bedarf der Beziehenden ist nicht plötzlich um 10 % gesunken.
Die Sozialhilfequote in der Schweiz ist im Jahr 2005 und 2014 mit 3,2% unverändert (BFS). Die
Sozialhilfequote ist im Kanton Schwyz in dieser Zeit sogar von 1,7% auf 1,5% gesunken. Die Kosten
in der Sozialhilfe steigen nicht, weil immer mehr Menschen Sozialhilfe beziehen, sondern wegen
höheren
Mietkosten
und
der
Verlagerung
der
Invalidenversicherung
und
der
Arbeitslosenversicherung in die Sozialhilfe.
Anreizsysteme sind zudem seit der letzten Revision (2005) in den Skos-Richtlinien vorhanden und
sollen konsequent eingesetzt werden.
Zur Vernehmlassung im Detail:
Paragraph 16
Absatz 2
AvenirSocial Sektion Zentralschweiz ist einverstanden, dass die Skos-Richtlinien auf
Gesetzesstufe verankert werden. Wir beantragen, dass die geltenden S kos-Richtlinien mit
1.1.2016 festgehalten werden. Es ist aber ein totaler Widerspruch, die Skos-Richtlinien zu
übernehmen und gleichzeitig kantonal die Beträge massiv zu kürzen!
Absatz 3
AvenirSocial beantragt die Aufhebung der Kürzung um 10%. Das soziale Existenzminimum muss
garantiert sein. Der reduzierte Grundbedarf (GBL) für 1 und 2 Personenhaushalte ist bereits heute
zu tief (BFS). Im Kanton Schwyz würde nach der Teilrevision eine Person Fr. 189.-/Monat weniger
erhalten, als das BFS errechnet.
Die Ungleichbehandlung in der Sozialhilfe verursacht zusätzliches Leid. Anhand ein paar Zahlen
zum sozioökonomischen Profil der sozialhilfebeziehenden Menschen in der Schweiz 1 erhalten die
Armutsbetroffenen ein Gesicht:
- Ein Drittel der Menschen, die Sozialhilfe beziehen, sind Kinder und Jugendliche; sie haben
keinen Einfluss auf das Haushaltbudget der Eltern. Sie sind aber die Leidtragenden und
spüren die Konsequenzen im Alltag, indem sie weniger Zugang zu Bildung, Gesundheit,
Freizeitaktivitäten und Partizipation haben.
1 vgl. Bundesamt für Statistik, jährlicher Überblick über die Sozialhilfe:
http://www.bfs.admin.ch/bfs/portal/de/index/themen/13/03/03.html
2
-
Ein Drittel der Menschen, die Sozialhilfe beziehen, sind im 1. Arbeitsmarkt tätig. Ihr Lohn
reicht aber nicht aus, um für den Lebensunterhalt der Familie aufzukommen oder sie sind
auf Abruf im Stundenlohn angestellt.
-
Der Anteil der über 55-Jährigen in der Sozialhilfe ist sehr hoch da sie altersbedingt geringere
Chancen auf dem ersten Arbeitsmarkt haben.
-
Über 40% aller Sozialhilfebeziehenden sind weniger als 1 Jahr von der Sozialhilfe abhängig.
Der Grossteil der Sozialhilfebeziehenden zeigt intensive Bemühungen, den Lebens unterhalt wieder selbständig bestreiten zu können.
Betreffend die Leistungen mit Anreizcharakter (EFB und IZU) sind wir der Meinung, dass es
seitens der Politik ein widersprüchliches Signal aussendet, einerseits eine Verstärkung des
Anreizsystems zu fordern und andererseits genau bei diesen Leistungen unverhältnismässig viel
zu sparen. Der Anreizcharakter wird weiter geschwächt. Die EFB-Bezugsquote der unterstützten
Personen im Kanton Schwyz ist bei 12% und liegt im Vergleich mit 21 anderen K antonen im letzten
Drittel (vgl. Studie BASS, 2014).
Die Anreize dienen dazu, eine Verbesserung der Situation der Beziehenden und damit eine
Ablösung von der Sozialhilfe zu erreichen. Bemühungen seitens der BezügerInnen und damit
verbundene Eigenverantwortung sollen gebührend honoriert werden – gerade bei einkommensschwachen Haushalten machen Fr. 100.- mehr oder weniger einen grossen Unterschied.
Personen in stationären Einrichtungen erhalten nach Skos-Richtlinien Fr. 255.- bis 510.-, aktuell
sind es in Schwyz 375.- 2 (neu dann abzüglich Fr. 38.-). Ergänzungsleistungen zu IV und AHV
sehen im Kanton Schwyz für persönliche Auslagen einen Betrag von Fr. 435.-/Mt. vor.
Gesellschaftliche Teilhabe und Selbstbestimmung von Personen in stationären Einrichtungen
werden mit diesen Kürzungen weiter beschnitten und folgen nicht den Massnahmen der UNBehindertenrechtskonvention.
Absatz 4
AvenirSocial beantragt die Aufhebung der Kürzung um 20%. Das soziale Existenzminimum muss
für alle Altersgruppen gesichert sein. Die Gleichbehandlung in der Sozialhilfe ist damit nicht mehr
garantiert.
Im Kanton Schwyz sind heute 10% aller SozialhilfebezügerInnen junge Erwachsene (18-25Jährige):
- 69% haben keine Ausbildung, der Anteil in der ständigen Bevölkerung der Schweiz beträgt
allerdings nur 26.4 %;
- 29,8% sind in der Berufslehre oder regulär im Arbeitsmarkt tätig;
- knappe 30 % der jungen Erwachsenen besuchen eine Schule;
- 39% sind arbeitslos 3.
2
Laut Kantonalem Handbuch Sozialhilfe 2015 gibt es für Personen in stationären Einrichtungen keine kantonale Regelung.
Sind Fr. 375.- ein Mittelw ert?
3 vgl. Bundesamt für Statistik, jährlicher Überblick über die Sozialhilfe:
http://www.bfs.admin.ch/bfs/portal/de/index/themen/13/03/03.html
3
Anstatt dem Fazit des Sozialberichtes des Kantons Schwyz (2014) Folge zu leisten und präventive
Massnahmen im Sinne von „Bildung gegen Armut“ auszubauen, wird rigoros gekürzt. AvenirSoci al
findet dies auf der ganzen Linie inakzeptabel. Daher ist unbedingt zu prüfen, ob die eingesparten
Mittel in einen Projektfonds für Integrations- und Ausbildungsangebote einbezahlt werden sollen.
Freie Meinungsäusserung ist ein Grundrecht
AvenirSocial Zentralschweiz wünscht sich eine vielfältige Debatte mit unterschiedlichen
Sichtweisen zum Thema Sozialhilfe. Wir haben im Zusammenhang mit dieser Vernehmlassung
mehrfach festgestellt, dass sich Institutionen und Organisationen der Sozialen Arbeit im Kanton
Schwyz nicht an der Diskussion beteiligen, obwohl sie zum Thema viel zu sagen hätten. Wir
beobachten mit grossem Bedenken, dass die Organisationen Angst vor Konsequenzen haben,
sollten sie sich der Meinung der politischen Mehrheit im Kanton widersetzen.
Die Armutsbetroffen und BezügerInnen von wirtschaftlicher Sozialhilfe äussern sich im Kanton
Schwyz nicht und treten unter keinen Umständen an die Öffentlichkeit. Es muss ein Klima der
freien Meinungsäusserung, der Offenheit und Solidarität in der Gesellschaft im Kanton Schwyz
wiederhergestellt werden, damit die öffentliche Meinungsbildung mit den Betroffenen stattfinden
kann. Aktuell ist dies nicht der Fall.
AvenirSocial Sektion Zentralschweiz stellt zudem 3 weitere Forderungen:
1. Forderung nach Mitwirkung/ Konsultation bei der Erarbeitung in allen Phasen des
Gesetzgebungsprozesses.
2. Forderung nach präziseren Angaben im erläuternden Bericht zur Vernehmlassungsvorlage
in der Tabelle „Struktur der Unterstützungseinheiten-Berechnungsbasis Reduktion GBL um
10%“ und differenzierte Begriffserklärungen beispielsweise bei „besonderen Wohnformen“.
Zudem die Benennung der unterschiedlichen Auswirkungen für die betroffenen Personen.
Benennung der Schnittstellen zum Kantonalen Handbuch für Sozialhilfe und mögliche
weitere Verordnungen.
3. Bei Annahme der Revision fordern wir eine Evaluation nach 5 Jahren
- wie viel wurde eingespart?
- welche Konsequenzen hatten die Kürzungen für die Klientel und die Professionellen der
Sozialen Arbeit?
- welche finanziellen Auswirkungen hatten die Kürzungen auf andere Bereiche der
öffentlichen Hand?
Armut bekämpfen:
AvenirSocial Sektion Zentralschweiz unterstützt die Strategie, die Armut zu bekämpfen und dadurch
nachhaltig Sozialhilfekosten zu senken (vgl. Bericht von Caritas 2015 „Wohin steuert die Schweiz in
der Armutspolitik“). Dies muss aber mit ganzheitlichen, langfristig angelegten und gezielten
Massnahmen geschehen, wie es sich beispielsweise im Bereich der Jugendarbeitslosigkeit zeigt.
Strukturelle Veränderungen im Kanton Schwyz müssen zwingend angegangen werden (vgl. Bericht
zur Vernehmlassung, Kapitel 3.1):
1) Fachpersonen der Sozialen Arbeit in der wirtschaftlichen Sozialhilfe und Berufsfeldern der
Sozialen Arbeit, denn professionelle Beratung und Unterstützung sind unerlässlich um
4
längerfristig Kosten einzusparen, weil Mittel schonend und zielführend eingesetzt werden.
Die komplexen Situationen erfordern spezifisches Fachwissen. Zudem werden besondere
Bedürfnisse von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen berücksichtigt und
ressourcenorientiert an einer selbstbestimmten und unabhängigen Zukunft gearbeitet.
2) Zugang zu Information über Beschwerderechte in der Sozialhilfe garantieren.
3) Ausserfamiliäre Kinderbetreuung muss
vorhanden und bezahlbar sein, damit
Alleinerziehenden und Familien mit kleinem Budget die Vereinbarkeit von Beruf und Familie
gelingt und die Familienarmut reduziert werden kann. (vgl. dazu Caritas zu Familienarmut)
4) Innerkantonaler Lastenausgleich in der Sozialhilfe (SKOS Factsheet 2014)4 schafft eine
solidarische Kostenaufteilung unter den Gemeinden.
5) Prämienverbilligungen zur Entlastung des Haushaltsbudgets bei kleinen und mittleren
Einkommen.
6) Ergänzungsleistungen für Familien mit kleinen Einkommen.
7) Integrations- und Ausbildungsangebote für unterschiedliche Zielgruppen.
8) Zugang zu kostendeckenden Stipendien.
9) Kantonaler Armutsbericht inkl. Massnahmen und Befragung von Armutsbetroffenen.
(vgl. Bericht von Caritas 2015)5
Für allfällige Rückfragen stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung.
Kenntnisnahme und die Berücksichtigung unserer Argumente.
Wir danken für Ihre
Freundliche Grüsse
AvenirSocial Sektion Zentralschweiz
Runa Mathys
Vorstandsmitglied
Seraina Imfeld
Vorstandsmitglied
4http://skos.ch/fileadmin/user_upload/public/pdf/grundlagen_und_positionen/grundlagen_und_studien/2014_Lastenausgleic
hSH_Factsheet_d.pdf
5 „Wohin steuert die Schweiz in der Armutspolitik“
5
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