EXTRA: Raumakustik 1 Stressfreie Kommunikation: Die renovierten Klassenräume der Staatlichen Berufsschule II in Aschaffenburg. Foto: Knauf/Ernst Decken für Denker Bessere Raumakustik fürs Büro, Schulen und Veranstaltungsräume. M enschen können sich besser konzentrieren und nachdenken, sobald akustische Beeinträchtigungen minimiert werden. Räume für Denker sind demnach eher ruhig und klein, sollen die Konzentration nicht stören und individuelle Interpretation ermöglichen. Die Welt des Nachdenkens ist von absorbierenden Materialien umgeben: Gelochtes, Geschlitztes, Perforiertes. Fast scheint es, als würden Denkstrukturen mit akustischen Absorptionsstrukturen korrelieren und einander bedingen. Die akustische »Tarnkappe« für Individualisten und Einzelgänger. Optisch eher Nester; auditiv mehr räumliches Oropax. Menschen können besser miteinander kommunizieren und einander verstehen, sobald der Direktschall unverfälscht und frei von störender Reflektion wahrgenommen wird und Sprachverständlichkeit signifikant vorherrscht. Räume für Redner und Zuhörer sind daher eher akustisch bedämpft und mit wenig bis ohne Echo zu hören. Die Welt des Miteinanderredens und des Zuhörens ist auch von absorbierenden Materialien umgeben: auch für die Gruppe sind Löcher, Schlitze und offene Strukturen Garanten für direkte Ansprache ohne irritierenden Nachhall. So, als ginge es um das Ausblen- 14 den der Raumumgebung, um Verhinderung von Interaktion; bloß keine harten Materialien und reflektierende Flächen. Eine Frage der Hörkompetenz Das »Wort«, sei es individuell gelesen in akustischer Konzentration, sei es gesprochen und gehört in Gruppendynamischer Verständnisinterpretation, kann gern auf harte Wände und Decken mitsamt ihrer schwer berechenbaren Hall- und Störreflexion verzichten. Absorptionsdesigner sind gefragt, soll kognitives Verständnis und Lernerfolg zu verzeichnen sein. Der Raum als »dritter« Lehrer kann nur mit absorbierender Haut und akustischer Tarnung funktionieren. Gestalterisch versierter Umgang mit absorbierenden Materialien wäre von Nöten. Leider gibt es aktuell kaum ausgebildete Akustikdesigner mit einem Händchen für Absorptionsgestaltung. Raumakustik und deren Gestaltung ist immer dann hoch brisant und evident, wenn sie für Beschwerden, Erkrankungen, Demotivation und andere Schäden verantwortlich gemacht werden, die volkswirtschaftlich teuer zu stehen kommen. Die Fragen »wann macht Hörbares ausbau + fassade 06.2017 Design und Trockenbau krank?« oder »Leistungsstark durch gute Hörbedingungen im Raum?« werden schon seit geraumer Zeit erörtert. Was Mediziner und Psychologen längst anmahnen und einfordern, versuchen jetzt erst »hörkompetente« Designer und Planer in ihre Gestaltungskonzepte einfließen zu lassen. Auditiver Balanceakt Ein »stimmiger« Raum, das »gestimmte« Klassenzimmer, das »bestimmte« Büro, der »stimmliche« Tagungsraum. Differenzierung zwischen bewusstem Hören und Nicht-Hören ist leistungs- und motivationsentscheidend. Der akustische Impuls als Störung oder als Anreiz? Mit einem Mal interessiert die Unterscheidung von einerseits Minimierung von akustischen Störungen bei gleichzeitiger Optimierung von Hörsamkeit. Wie sieht dieser auditive Balanceakt eigentlich aus? Welche Materialien in welcher Dimension, Proportion, Struktur und Oberflächenbeschaffenheit sind für die jeweiligen Klanganforderungen überhaupt geeignet? Offenbar verfügt jedes Material neben optischer Ästhetik auch über spezifische Klangqualität. Materialien, die reflektieren oder absorbieren, werden zum Gestaltungsmittel für gute Raumakustik. Dort, wo »gute« Raumakustik das Lern- und Lehrverhalten von Schülern und Lehrern optimieren kann, wo Freude an Arbeit durch auditive Raumwahrnehmung gesteigert wird, wo klangtherapeutische Maßnahmen im Raum medizinisch wertvoll werden, überall dort werden ökonomische Vorteile einer gut gestalteten Raumakustik ersichtlich, nein, sie werden »erhört«. »Gesunde« Raumakustik definiert mit einem Mal Ökonomie und Nachhaltigkeit. Krankmachende Akustik wird mit klangtherapeutischem Design optimiert. Akustikdesign als Antwort Konzentrierte Büroarbeit braucht einerseits klangliche Abschottung und kommunikative Öffnung zur Gruppe anderseits. Hören, was andere sagen und das Nichthören störender Nebengespräche charakterisieren die akustische Herausforderung. Ein »akustischer Schirm«, rasch gespannt und ebenso schnell zusammengefaltet, ist eine Designantwort. Zumal Büroarbeit sich wandelt, vom visuell optischen hin zu akustisch kommunikativen Anwendungs- und Verhaltenswerten. Akustikdesign wird sich neben dem wohlgefälligen Augendesign etablieren und im Verbund das Kompetenzfeld eines jeden verantwortungsbewussten Gestalters komplettieren. Die Lehrinhalte an den Hochschulen werden sich entsprechend anpassen. Gestaltung von Materialien im Raum mit entsprechenden akustischen Eigenschaften wird zur Grundausstattung jeden Designers gehören. Damit werden versierte, bislang auf Optik konzentrierte Designer von ihrem gepflegten Autismus befreit. Physikalische Akustiker und Akustikdesigner werden zusammen arbeiten müssen; und sie tun gut daran, sich mit Weiteren, vor allem Humanwissen- www.ausbauundfassade.de 2 Die elliptischen Deckenkonstruktionen im Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung in Göttingen. Foto: Knauf/Braun schaftlern, zusammenzutun. Technik, Gestaltung und Medizin vollziehen auf diese Weise eine einhellige und gut klingende Allianz, die flexible, individuell einstellbare und rasch reagierende Lösungen hervorbringt. Schallabsorption Kommunikation und Information sind grundlegende Bestandteile einer modernen Bildungs- und Leistungsgesellschaft. Qualifikation und Kompetenzerwerb basieren im Beruflichen wie im Privaten auf Signalverarbeitung, visuell und auditiv. Gesehene und gehörte Informationen sind Bausteine von Wissensvermittlung. Sich konzentrieren können auf Lesen und/oder Zuhören, erfordert eine ruhige Raumumgebung. Erreicht werden diese Ruheräume in der Regel durch Schallbedämpfung und Nachhallzeitreduktion. »In Ruhe arbeiten zu können« bedeutet Schallabsorption, Schallschlucken. Jedoch ist jede Raumsituation gehört anders. Neben der allgemeinen und ausrechenbaren, theoretischen Rechenformel nach DIN 18 041 ist bei entsprechender Lebendigkeit sprechender und hörender Menschen in Räumen mehr notwendig als statische und unveränderliche Durchschnittlichkeit. Denkende Lebewesen brauchen absorbierende Räume für unverfälschte direkte Kommunikation und Information. Gelochte Gipsplatten Eine kleine Exkursion durch neuere akustisch optimierte, sprich absorbierend gestaltete Denk-Räume: 15 EXTRA: Raumakustik zu den ausgerichteten Akustikpanels angeordnet werden sollten. Das ließ sich mit den länglichen Panels sehr gut realisieren.« Linear-Lochplatten Gestalterische Herausforderung der ganz besonderen Art ist in Göttingen zu finden. Die elliptischen Deckenkonstruktionen im neuen Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung in Göttingen forderten großes Können von allen Beteiligten. Die Planetenbahnen wurden CNC-gesteuert in die Gipsplatten gefräst. Vor allem aber ist neues Gestaltungsbewusstsein in der Korrelation zwischen Licht und Akustik gefordert. Basierend auf einem von den Architekten veranlassten akustischen Gutachten wurde auch der Schallabsorptionsgrad der Deckenkonstruktion vorgegeben. Schließlich trägt die Decke entscheidend zur Raumakustik bei. Gewünscht war ein Absorptionsgrad von rund 80 Prozent, entsprechend einem a-Wert von 0,8. Diese Schallabsorption wurde mit Akustik Linear-Lochplatten des Typs 12/25 Quadratlochung umgesetzt. Die Platten, die mit einem schwarzen Akustikvlies hinterlegt sind, wurden zusätzlich mit 20 mm Mineralfaser abgedeckt. Insgesamt ein überzeugendes Beispiel, wie rationaler und wissenschaftlicher Anspruch mit gestalterischer Qualität vereinbar ist. 3 Das »Campus One« der Hochschule für Musik in Karlsruhe ist eine dynamische und renommierte Ausbildungsstätte. In den neu umgebauten und renovierten Klassenräumen der Staatlichen Berufsschule II in Aschaffenburg herrscht neuerdings eine gedämpfte Raumakustik. Lehrer wie Schüler lernen wieder mit Spaß und Freude, weil sie Gesprochenes sehr gut verstehen und Kommunikation störungsfrei möglich ist. Auch Architekt Andreas Lutterbach ist zufrieden: »Prägnantes Gestaltungselement bei der Berufsschule II in Aschaffenburg sind liegende Rechteckformen, wie an der Bandrasterfassade. Innen passten die rechteckigen Akustikplatten mit der länglich-ovalen, dichten Lochanordnung im Design gut ins Gestaltungskonzept. An den Decken hatten wir rechteckige Langfeldleuchten geplant, die dort flexibelspielerisch in einem freien Verbund im Spannungsfeld 16 Frei hängende Vorsatzschalen Normalerweise gliedert sich die Welt der Raumakustik in zwei generelle Hemisphären: Vortragsräume mit viel Absorption und wenig Nachhall, damit das Wort gut zu verstehen ist, und in Räume für die Musik mit ihren langen Nachhallzeiten und viel Reflexion, damit durch die reflektierten und mehrfach überlagerten Intonationen Hörgenuss erst möglich wird. Im Erweiterungs- und Neubau der Musikhochschule Karlsruhe bietet ein neuer Multimediakomplex viel Raum für musikalische Ausbildung sowie für die Behandlung von Theorie und Vorlesung. Der imposante Quader überzeugt mit seinen technischen Details wie 11 m hohen, frei hängenden Vorsatzschalen sowie hohen Oberflächenqualitäten. Die Hochschule für Musik in Karlsruhe ist eine renommierte Ausbildungsstätte. Studenten aus der ganzen Welt werden hier zu Musikern, Musiktheoretikern, Komponisten und Musikjournalisten ausgebildet. Steigende Studentenzahlen bedeuten aber auch einen steigenden Platzbedarf. Um diesen Platz nicht über das Stadtgebiet Karlsruhes zu verteilen, sondern konzentriert an einem Ort zu bieten, wurde die Idee eines festen Campus geschaffen. Campus One, so der Name, soll die verschiedenen Institute und Lehrräume zusammenfassen. Neben einem neuen Unterrichtsgebäude entstand auch ein Multimediakomplex. Konzentriertes Arbeiten und rationaler Vorlesungsstil werden gewährleistet durch perfekt abgestimmte Raumakustik. Das Foyer mit 11 m hohen, frei hängenden Vorsatzschalen und den Akustikplatten in der abgeschrägten Decke sorgen für eine deutliche Verbesserung der Schallsituation. ausbau + fassade 06.2017 Design und Trockenbau Brandschutz und Akustik Wie saniert man ein Gewölbe in einem historistischen Gebäude und schafft trotzdem eine sehr gute Akustik? Im Königin-Katharina-Stift in Stuttgart gelang das offenbar beispielhaft. Hier wurden Kreuzgewölbe nach historischem Vorbild in moderner Trockenbauweise neu konstruiert. Das Königin-Katharina-Stift in Stuttgart, gegründet 1818 und seit 1903 an seinem heutigen Ort, ist eine der bekanntesten Schulen der schwäbischen Landeshauptstadt. In unmittelbarer Nähe zum Hauptbahnhof und an einer der verkehrsreichsten Stellen der Stadt gelegen, kann man nicht von einem ruhigen Umfeld sprechen. Vor allem nicht, weil die Baustelle für das viel diskutierte Projekt Stuttgart 21 bald immer näher an das im historistischen Stil erbaute Schulgebäude rückt. Das Großprojekt in der Nachbarschaft nahm das Schulverwaltungsamt der Stadt Stuttgart zum Anlass, die in die Jahre gekommene Schule zu modernisieren. Erste Maßnahme dabei: Neue Fenster, um den Straßenund Baulärm außen und die Lernkonzentration innen zu halten. Damit war die Modernisierung nicht beendet. »Es ging vor allem darum, das Gebäude bei Brandschutz und Akustik auf den aktuellen Stand zu bringen«, so einer der beteiligten Planer aus dem Architekturbüro Glück + Partner GmbH, das die Generalplanung der Umbaumaßnahme übernommen hatte und von den Projektsteuerern der Kubus 360 GmbH und der Bauleitung der T-Bau-Projekt GmbH unterstützt wurde. Sie alle wollten, dass die Vorgaben des Denkmalschutzes ebenso eingehalten wurden wie die Vorgaben des Bauherrn, den Kostenrahmen eng einzuhalten. Das Ergebnis kann sich sehen und hören lassen. Mit viel Einsatz, Wissen und den richtigen Partnern gelang es, sowohl die historisch wertvollen und denkmalgeschützten Gewölbe in den Aufenthalts-, Transfer- und Erschließungszonen zu erhalten als auch eine zeitgemäße Akustik zu realisieren. Vor allem die Verwendung von Trockenbauelementen bei den Gewölben half hier, einige Probleme zu lösen, die bei einer Konstruktion mit Metall-Rabitz-Gewebe und Putz nicht so einfach in den Griff zu bekommen gewesen wären. Diese Konstruktionsart fanden die Planer beim Bestand vor, entschieden sich aber in Rücksprache mit den Handwerkern für eine Trockenbau-Lösung. So wurden beispielsweise die Kreuzgratgewölbe in den Gängen und Treppenhäusern, deren Standsicherheit nicht mehr gewährleistet war, mit vorgefertigten Trockenbauelementen nachgebaut. Heilende Wirkung im Fokus Dieser kurze Streifzug durch aktuelle Beispiele verbesserter Raumakustik zeigt, wie vielfältig und komplex Ansprüche an »beruhigte« Räume geworden sind, und wie groß die Herausforderungen für Planer wachsen, sobald die Effekte »guten« Hörens in Räumen gesundheitlich unbedenklich und kognitive Leistung beziehungsweise Konzentration ermöglicht werden sollen. Nach dem Licht ist jetzt vermehrt die unterstützende und manchmal auch heilende Wirkung von Raumakustik in den Fokus der Bemühungen gerückt. Jetzt geht es darum, die physikalische Seite der Raumakustik in ebenso hochwertige gestalterische Ästhetik überzuführen. Akustikdesign eben. Prof. Rudolf Schricker, Innenarchitektur und Raumkultur 4 Das Königin-KatharinaStift in Stuttgart. Das Gebäude wurde in Sachen Brandschutz und Akustik auf den neuesten Stand gebracht. Fotos 3, 4: Knauf/Schwarz www.ausbauundfassade.de 17