431 1.1 Festingers Theorie der sozialen Vergleichsprozesse

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Herkner / Kapitel 6 / Teil 3A
431
III. GRUPPENPROZESSE
1. KONFORMITÄT UND SOZIALE VERGLEICHSPROZESSE:
1.1
Festingers Theorie der sozialen Vergleichsprozesse:
„ Konformität = weitgehende Übereinstimmung von
Verhaltensweisen, Einstellungen und Meinungen;
ist in jeder Gruppe notwendig, sonst
keine zielgerichteten Aktivitäten (ohne
Konformität ständiger Streit)
Weiterbestehen der Gruppe gefährdet (ohne
Konformität keine Sympathie)
Konformität entsteht durch:
o Prozesse der wechselseitigen Verstärkung und Bestrafung
(Konformität = imitatives Verhalten)
o aber auch ohne erkennbare äußere Verstärker (vor allem in
Situationen, die für Gruppenmitglieder neu und unbekannt sind);
wie das geht erklärt Festingers Theorie…
„ Theorie der sozialen Vergleichsprozesse (Festinger, 1950):
•
Mensch hat das Bedürfnis, seine Meinungen zu überprüfen;
Grund:
solange Meinungsunsicherheit -> Verhaltensunsicherheit, d.h. mehrere Verhaltensalternativen, aber
man weiß nicht, was tun -> aversiver Zustand
(= intrapersoneller Konflikt)
•
alle Meinungen liegen nach Festinger auf einem Kontinuum:
-
ein Pol = Meinungen über physische Realitäten: kann man
selbst überprüfen, z.B. alle Zitronen sind sauer
-
anderer Pol = Meinungen aus dem Bereich der „sozialen
Realität“: sind prinzipiell nicht rational-empirisch
falsifizierbar, z.B.
¾ religiöse, moralische, metaphysische
Meinungen,
¾ Meinungen über Einstellungen, Meinungen über
soziale Normen
¾ Meinungen über eigene Fähigkeiten
hierfür braucht man Vergleich mit anderen
Personen
Herkner / Kapitel 6 / Teil 3A
•
432
Bereich der „sozialen Realität“ hat große persönliche
Bedeutung. Um hier zu klaren „bewiesenen“ Ansichten zu gelangen
-> soziale Vergleichsprozesse:
Hierfür werden aber nur geeignete Bezugspersonen (oder
Bezugsgruppen) herangezogen, nämlich solche, die einem
hinsichtlich wichtiger Merkmale ähnlich sind (z.B. soziale
Herkunft, Einstellungen, Fähigkeiten, ev. Alter)
•
3 Möglichkeiten für Ergebnisse der sozialen Vergleichsprozesse:
(1) Einigkeit innerhalb der Bezugsgruppe UND zwischen
Bezugsgruppe und der sich vergleichenden Person
Î fragliche Meinung gilt als gesichert (= günstigster Falle)
(2) Einigkeit innerhalb der Bezugsgruppe ABER Diskrepanz
zwischen Bezugsgruppe und der sich vergleichenden
Person
Î Person gleicht ihre Meinung an die der Bezugsgruppe an
Î Person ändert ihre Meinung so, dass sie der Bezugsgruppe
ähnlicher wird
(hier auch konsistenztheoretische Erklärung:
Meinungsdivergenz als unbalancierter Zustand)
(3) Uneinigkeit innerhalb der Bezugsgruppe. Bei wichtigem
Problem -> Prozesse zur Bildung einer einheitlichen Meinung,
die von ganzer Gruppe akzeptiert werden kann (daher:
Ansteigen der Kommunikationshäufigkeit in so einem Fall)
•
EXPERIMENT von Sherif (1935):
Zustandekommen von Konformität durch soziale
Vergleichsprozesse
autokinetisches Phänomen: wenn in völlig dunklem
Raum kurzzeitig Lichtpunkt dargeboten wird, dann
erscheint er bewegt, obwohl er sich nicht bewegt;
Grund: Augen vollziehen ständig schnell aufeinander
folgende, ruckartige Bewegungen, dadurch trifft
Lichtpunkt aus unterschiedliche Netzhautstellen und
erscheint bewegt
VPn sollten schätzen, wie weit sich der Lichtpunkt
bewegt; zuerst
-
Einzelversuch: keine Möglichkeit, die eigene
Schätzung zu überprüfen, da allein in
abgedunkeltem Raum; sehr
unterschiedliche Schätzungen (ein
paar cm bis ¼ m), dann
Herkner / Kapitel 6 / Teil 3A
433
-
Gruppenversuch: 2-3 VPn schätzen gemeinsam, d.h.
Person hat die Möglichkeit, ihre
Schätzung an der der anderen
Personen zu überprüfen. Im Laufe
der Gruppenversuche immer
weitere Angleichung der
Schätzungen der Personen
aneinander, d.h. Gruppe „einigte
sich“ auf eine für alle akzeptable
Lösung, dann wieder
-
Einzelversuch: VPn behielten ihre Schätzungen aus
der Gruppe bei (Meinung wurde sehr
lange beibehalten; in Untersuchungen
zwischen 28 Tagen bis 1 Jahr später)
Verhalten der VPn entspricht genau der Theorie
von Festinger:
•
Î
VPn sind mit Situation konfrontiert, in der
Meinungsbildung notwendig ist, aber es ist
nicht möglich, Richtigkeit der eigenen Meinung
zu überprüfen
Î
Einsetzen von sozialen Vergleichsprozessen:
zunächst divergierende Meinungen -> werden
als aversiv erlebt -> daher: Meinungen
beginnen zu konvergieren bis Konformität
erreicht ist
Î
eine auf diese Art gebildete Meinung wird als
„richtig“ angesehen und auch außerhalb der
Gruppensituation beibehalten
Festinger beschränkte Gültigkeitsbereich der Theorie auf
Meinungen und Fähigkeiten (Schachter hat ihn dann auf Gefühle
ausgedehnt, siehe unten)
ABER: Unterschied zwischen Meinungs- und
Fähigkeitsvergleichen:
Î
bei Meinungen kann durch soziale Vergleiche stabile
Gruppennorm entstehen
Î
bei Fähigkeiten ist das nicht unbedingt der Fall
Grund: Es gibt keine besseren oder schlechteren
Meinungen, aber es gibt größere und geringere
Fähigkeiten.
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434
Die meisten Personen wollen bessert sein als der
Durchschnitt -> soziale Vergleichsprozesse
würden daher ständiger Wettbewerb bewirken,
daher Einschränkung / Verhinderung von diesem
durch andere Faktoren
Entscheidender Faktor bei sozialen Fähigkeitsvergleichen
= Selbstwerterhaltung
Î
Vergleiche mit Person mit höheren Fähigkeiten bedrohen
den Selbstwert -> werden daher oft vermieden
Î
bei Fähigkeiten daher Vorliebe für Vergleiche nach unten
(= downward comparison, Hakmiller, 1966)
ABER: Vergleiche nach unten nicht nur bei Fähigkeiten,
sondern bei ALLEN Selbstaspekten, die Selbstwert
und Wohlbefinden beeinflussen (z.B. auch bei Geld,
Gesundheit)
-
passiver Vergleich nach unten:
Person vergleicht sich mit anderer Person, die
schlechtere Position hat als sie selber
-
aktiver Vergleich nach unten:
Person wertet andere Person ab oder behindert sie,
damit bei dieser Person objektive Verschlechterung
auftritt
Vgl. dazu Selbstwerterhaltungstheorie von Tesser (1986)
-> differentiertere Aussagen:
Vergleich mit anderer Person ist nur dann selbstwertbedrohend, wenn
o andere Person auf einer zentralen Selbstdimension
überlegen ist
o gleichzeitig große psychologische Nähe zur
Vergleichsperson besteht
Ö sozialer Vergleich kann hier verschiedene Wirkungen
haben:
- eigene Position wird objektiv verbessert (Wettbewerb)
- Vergleichsperson wird behindert
- psycholgische Distanz zur Vergleichsperson wird vergrößert
- Selbstbild wird neu definiert (bisher zentrale
Vergleichsdimension wird dabei an periphere Position
gerückt
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1.2
435
Weitere Erklärungsansätze:
„ Erwartungen aus lerntheoretischer Sicht:
•
jemand ist umso eher bereit, seine Meinung zu ändern, je
seltener er für Äußerung dieser Meinung verstärkt wurde und
je öfter er dafür bestraft wurde
•
jemand, der oft für Äußerung seiner Meinung verstärkt wird,
wird diese Meinung kaum ändern
EXPERIMENTE dazu von Mausner (1954):
autokinetisches Phänomen wie bei Sherif (siehe oben),
aber:
o Einzelversuch:
VPn mussten Bewegungen des Lichtpunkts schätzen
(200x), dabei:
- ½ VPn Verstärkung in 82 % der Fälle durch „richtig“
des VL
- ½ VPn Bestrafung in 82 % der Fälle durch „falsch“
des VL
o Zweiergruppen (jeweils 2 Personen, die in
Einzelnversuch sehr unterschiedlich geurteilt hatten
zusammen), 3 Arten von Paaren:
- beide VPn im Einzelversuch verstärkt
- eine VP im Einzelnversuch verstärkt, die andere
bestraft
- beide VPn im Einzelversuch bestraft
Ergebnis:
Î
Konformität nur dann, wenn mindestens 1 VP aus
der Dyade in Einzelversuch NICHT verstärkt worden
war
Î
beide VPn in Einzelversuch nicht verstärkt
-> Einigung auf eine „mittlere“ Meinung
Î
1 VP im Einzelversuch verstärkt, die andere nicht
-> Konformität, und zwar: verstärkte VP beharrt
auf ihrer Meinung, nicht verstärkte VP gibt nach
Î
beide VPn im Einzelversuch verstärkt -> keine
konforme Meinung
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436
„ Wirksamkeit des Balanceprinzips in Konformitätssituationen:
Meinungs-/Einstellungsdivergenz zwischen 2 Personen A und B
•
ist nur dann unangenehm, wenn A und B einander
sympathisch sind (d.h. unbalancierter Zustand)
-> hier Herstellung einer Urteilskonformität
•
wenn A und B einander unsympathisch sind, dann wird dagegen
Meinungs-/EinstellungsKONFORMITÄT als unangenehm erlebt
-> hier Herstellung einer Urteilsdifferenz
EXPERIMENT dazu von Sampson & Insko (1964):
wieder autokinetisches Phänomen wie bei Sherif, aber
anderes Design, und zwar: VPn mussten in Dyaden
Bewegung des Lichtpunktes beurteilen, dabei 1 echte VP +
1 falsche VP (= Mitarbeiter des VL)
- ½ VPn: falsche VP1 = außerordentlich freundlich und
zustimmend
- ½ VPn: falsche VP2 = abweisend und beleidigend
dann Einstellungsmessung:
Î falsche VP1 wird von VPn als sympathisch beurteilt
Î falsche VP2 wird von VPn als unsympathisch beurteilt
dann 4 VB:
- VB1: sympathische falsche VP / ähnliche Urteile
(balanciert)
- VB2: sympathische falsche VP / abweichende Urteile
(unbalanciert)
- VB3: unsympathische falsche VP / ähnliche Urteile
(unbalanciert)
- VB4: unsympathische falsche VP / abweichende Urteile
(balanciert)
Falsche VPn beharrten überall auf ihren Meinungen
-> Meinungsänderung zur Herstellung eines balancierten
Zustands daher nur auf Seite der richtigen VPn möglich
Ergebnis: spricht für Heiders Version der Balancetheorie
Î keine Urteilsänderung bei sympathischer falscher
VP / ähnliches Urteil und unsympathischer falscher
VP / abweichendes Urteil (weil eh balancierte
Zustände vorliegen)
Î Urteilsänderung bei:
o sympathische falsche VP / abweichendes Urteil: hier
Angleichung der Urteile
o unsympathische falsche VP / gleiches Urteil:
hier:
Vergrößerung der Urteilsdifferenz
(hier Meinungsänderung weil unbalancierte Zustände)
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437
„ Zweifel an Festingers Postulat (Goethals & Nelson, 1973):
-
ausschließlich ähnliche Personen kommen für soziale
Vergleichsprozesse in Frage
-
Gewissheit hinsichtlich eigener Meinung wird nur durch
Übereinstimmung mit ähnlichen Personen bestärkt
EXPERIMENTE von Goethals & Nelson (1973) dazu zeigten:
Î
Übereinstimmung mit ähnlichen Personen bei
Einstellungen vergrößert das Vertrauen in die
Richtigkeit dieser Einstellung
Î
ABER: bei wertbezogenen Meinungen verringert
die Übereinstimmung mit ähnlichen
Personen das Vertrauen in die Richtigkeit
dieser Meinung;
Grund: Meinungen von unähnlichen
Personen werden hier als objektiv
glaubwürdiger betrachtet
attributionstheoretische Erklärung dafür:
Person, die sozialen Vergleichsprozess anstrebt, will wissen, ob ihr
Urteil richtig ist oder nicht. Dabei 2 bedeutsame Variablen, und
zwar:
- Grad der Übereinstimmung mit der Vergleichsperson
- Ausmaß der Ähnlichkeit der Vergleichsperson mit einem
selber:
¾ Übereinstimmung mit ähnlicher Person MUSS keine
Bestätigung des eigenen Urteils sein, weil ähnliche Person
dieselben urteilsverzerrenden Tendenzen hat wie man selber,
d.h. trotz Übereinstimmung ist hier Personenattribution
möglich
¾ Übereinstimmung mit unähnlicher Person ist vermutlich
NICHT durch dieselben urteilsverzerrenden Tendenzen
zustandegekommen (weil die unähnliche Person je ANDERE
urteilsverzerrende Tendenzen hat als man selber), daher hier
Stimulusattribution möglich.
Folge:
Übereinstimmung mit unähnlicher Person
= besonders überzeugende Bestätigung des
eigenen Urteils
(experimentell bestätigt von Fazio, 1979)
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1.3
438
Konflikt zwischen physischer und sozialer Realität:
„ Konflikt zwischen physischer und sozialer Realität:
= Nicht-Übereinstimmung zwischen
- eigener Meinung über einen objektiv überprüfbaren
Sachverhalt (= physische Realität) und
- einhelliger Meinung von anderen Personen (= soziale
Realität)
-> ist besonders unangenehm
Noch unangenehmer ist das Ganze, wenn die anderen Personen
von einem selber positiv bewertet werden.
Dem Betroffenen stellt sich nun die Frage:
- soll er seinen eigenen Sinnen und seiner Vernunft vertrauen oder
- soll er nachgeben und sich der Mehrheit anschließen
„ EXPERIMENT von Asch (1951):
VPn sollen Standardlinie mit 3 Vergleichslinien vergleichen
und angeben, welche der 3 Linien gleich lang wie die
Standardlinie ist (ABER: normalsichtige Person KANN da
nur auf die richtige Lösung kommen…)
8er-Gruppen (1 richtige VP und 7 falsche VPn) schätzten in
18 Durchgängen; falsche VPn schätzten dabei 12x falsch;
Sitzordnung war so, dass VP immer zuletzt schätzen
musste (Schätzung außerdem öffentlich, d.h. laut vor der
ganzen Gruppe) -> für richtige VP ist diese Situation
äußerst unangenehm, sehr oft reagierten VPn daher auch
entsprechend heftig (hieran zeigt sich der hohe Grad der
Unangenehmheit, wenn man als Einzelnen eine Meinung
vertritt, die von der Meinung der Gruppe abweicht)
Ergebnis:
-
in ca. 1/3 der Fälle ließen sich VPn von der Gruppe
zu Fehlurteil verleiten (entweder völlige
Übereinstimmung mit Gruppe oder Annäherung an
Gruppe)
-
große interindividuelle Unterschiede:
¾ manche VPn gaben fast immer dem Gruppendruck
nach
¾ einige VPn gaben nie dam Gruppendruck nach
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„ Unterschiedliche Reaktionen der Personen auf Gruppendruck
(d.h. Nachgeben oder nicht) können erklärt werden mit:
(1) unterschiedliche Lernerfahrungen der Personen:
•
jeder Mensch wird für richtige Urteile verstärkt; Grund: richtige
Urteile ermöglichen erfolgreiches Handeln und bringen unter
anderem soziale Verstärker wie Zustimmung und Anerkennung
ein
•
jeder Mensch wird für das Akzeptieren der Meinung der anderen
verstärkt; Grund: Urteile anderer Menschen sind manchmal
richtig; abweichende Standpunkte führen oft zu Bestrafung
Ö
je nachdem, ob und wie massiv Person in der
Vergangenheit für eigene Meinungen oder Akzeptieren
von fremden (richtigen und falschen) Meinungen verstärkt
wurde, verhält sie sich eher unbeeinflussbar oder
nachgiebig
(2) Ausmaß des Nachgebens hängt auch ab von Situationsfaktoren:
•
•
Gruppengröße:
-
bei nur 1 anderen Person (also in Zweier-Gruppe) lässt sich
Person kaum von ihrer abweichenden Meinung abbringen
-
bei 2 anderen Personen (also in Dreier-Gruppe) höherer
Einfluss des sozialen Druckes
-
ab ca. 3 anderen Personen Höhepunkt des Effekts des
sozialen Druckes; bei größeren Gruppen keine weiter
Zunahme des Effekts
Konsistenz der Meinungen der Gruppe:
-
wenn mehrere Personen in der Gruppe möglichst vollständig
übereinstimmende Meinung vertreten, dann zieht Person
den Schluss daraus, dass es sehr unwahrscheinlich ist,
dass sich mehrere Personen auf dieselbe Art irren (von
Asch bestätigt) -> daher nachgeben
-
ABER: Konformitätsdruck der Majorität verliert an
Wirksamkeit, wenn mindestens ein anderes
Gruppenmitglied die Person unterstützt (Allen,
1975)
•
Unsicherheit der Person mit der abweichenden Meinung
(eigene Meinung könnte ja auch falsch sein)
•
Vermeidung von antizipierten Strafreizen (z.B. Gelächter,
Kopfschütteln der Gruppe, wenn Person auf ihrer Meinung
beharrt
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440
ABER: VPn, die über abweichende Urteile der Gruppe informiert
waren, gaben dem Majoritätsdruck weniger nach,
wenn sie ihr eigenes Urteil anonym (d.h. nicht vor
den anderen) abgeben konnten (Experiment von
Deutsch & Gerard, 1955)
(3) Klarheit / Eindeutigkeit der Urteilssituation:
•
wenn Aufgabe wegen ihrer Unklarheit eher dem Bereich der
sozialen Realität angehört, dann stärkerer Einfluss
anderer Personen auf die Urteilsbildung,
d.h. bei schwierigen und/oder unklaren Aufgaben ist die
Beeinflussbarkeit größer als bei leichten und/oder klaren
Aufgaben (z.B. Aufgaben, die dem Bereich der physischen
Realität angehören)
•
Urteile aus dem Gedächtnis (d.h. Person gibt ihr Urteil ab,
nachdem Reizmaterial entfernt wurde) unterliegen mehr dem
Druck fremder Meinungen als Urteile, die während der
Wahrnehmung des Reizmaterials abgegeben werden (Deutsch &
Gerard, 1955)
„ Scheinanpassung an Gruppe vs. echte Meinungsänderung:
Frage: kommt es hier zu echter Meinungs-/Einstellungsänderung
oder handelt es sich nur um äußeres, verbales Nachgeben
gegenüber dem Gruppendruck, während eigene Meinung
beibehalten wird?
•
Problem dabei:
VP, die gerade Gruppenurteil zugestimmt hat, kann nicht einfach
gefragt werden, ob sie ehrlich war oder nicht, denn sie würde kaum
eine ehrliche Antwort auf diese Frage geben…
daher:
-
VPn nach der Gruppensitzung noch einmal allein ihre
Meinung äußern lassen
-
nach Gruppensitzung Majoritätsmeinung angreifen und
Meinung der VP ermitteln -> bleibt Gegenpropaganda
wirkungslos, dann muss VP vom Gruppenurteil überzeugt
gewesen sein
ABER: hier könnte es auch sein, dann VP in Gruppensitzung
gegen ihre eigene Überzeugung der Gruppenmeinung
zugestimmt hat = einstellungsdiskrepantes
Verhalten; Folge: tatsächliche Meinungsänderung
aufgrund des vorhergehenden einstellungsdiskrepanten
Verhaltens
Herkner / Kapitel 6 / Teil 3A
•
441
Experimente zeigen:
-
bei sehr klaren Aufgaben (z.B. Linienvergleiche bei Asch)
kommt es nur sehr selten zu echter Meinungsänderung
-
in unklaren Situationen (z.B. Sherifs autokinetisches
Phänomen) wird das in der Gruppe gebildete Urteil meistens
akzeptiert
-
Unter Druck der anders urteilenden Mehrheit kommt es nicht
nur dazu, dass Personen ihre öffentlichen Urteile der Mehrheit
annähern, sondern auch gleichzeitig zu Verbesserung der
Wahrnehmungsleistung der Personen (wurde mit Hilfe der
Signalentdeckungstheorie bei Helligkeitsurteilen nachgewiesen,
Upmeyer, 1971), d.h. Majoritätsdruck beeinflusst zwar die
Antworttendenzen der Person, NICHT aber ihre Wahrnehmungen
und Meinungen.
„ Experimente = Extremfälle (z.B. Linienvergleich von Asch ist eindeutig
dem Bereich physische Realität zuordenbar); im Alltag aber oft nicht so
eindeutige Situationen, daher Annahme, dass in Realsituationen
Gruppenmeinungen in höherem Ausmaß die private Meinung
beeinflussen können. Daher Frage:
Welche Faktoren tragen dazu bei, dass Gruppenmeinungen zu
echten Meinungs- und Einstellungsänderungen führen?1
(1) Bewertung des Senders:
je positiver der Sender bewertet wird, desto einflussreicher
ist er, daher: je attraktiver die Gruppe für die Person ist, desto
eher bewirkt sie eine echte Meinungsänderung bei
ihr
Attraktivität der Gruppe ist umso höher:
-
je mehr positive Reize sie anbietet (z.B. Anerkennung)
-
je ähnlicher die Gruppenmitglieder zu einem selber
wahrgenommen werden
-
je mehr die Gruppenmitglieder über Merkmale verfügen, die
man selbst als positiv bewertet
Experimente haben gezeigt:
1
Î
attraktive Gruppen sind einflussreicher als negativ
bewertete Gruppen
Î
Einfluss der attraktiven Gruppe bleibt bestehen, wenn
Person ihre Meinung einzeln und anonym äußert
Das Ganze ist ein Spezialfall der Einstellungsänderung durch Kommunikation, bei der der
Sender der meinungsändernden Mitteilung keine Einzelperson, sondern eine Gruppe ist.
Herkner / Kapitel 6 / Teil 3A
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ABER:
Î
geringer Einfluss von unattraktiven oder negativ
bewerteten Gruppen tritt nur dann auf, wenn es sich z.B.
um kurzlebige Laborgruppe handelt (Kiesler & Corbin,
1965)
Î
bei dauerhafter Gruppe (z.B. in den meisten
Realsituationen) haben auch unattraktive Gruppen starken
Einfluss auf Meinungen und Einstellungen der Person
konsistenztheoretische Erklärung dafür:
-
wenn man eine Gruppe, mit der man länger
zusammenarbeiten muss, negativ beurteilt, dann
entsteht eine unbalancierte Struktur -> Inkonsistenz
kann nur aufgelöst werden durch Aufwerten der
Gruppe und Akzeptieren der Gruppenmeinung
-
bei unattraktiver Gruppe, mit der man nur kurz
zusammenarbeiten muss, entsteht keine Inkonsistenz,
Abwertung der Gruppe ist hier kein Problem, daher: keine
Meinungsänderung
EXPERIMENT dazu von Kiesler & Corbin (1965):
-
½ VPn: Versuch nach Gruppensitzung beendet
½ VPn: nach der Gruppensitzung weitere
Treffen mit der Gruppe notwendig
Ergebnis:
Î bei kurzlebigen Gruppen:
Einstellungsänderung steigt mit Attraktivität der
Gruppe
Î bei langlebigen Gruppen:
Einstellungsänderung auch bei unattraktiver
Gruppe
(2) Verantwortungsaufteilung:
Besonderheit der Gruppensituation: Sie bietet außerdem noch eine
andere Möglichkeit zur Dissonanzreduktion, und zwar:
Aufteilung oder Abschiebung der Verantwortung (Sande &
Zanna, 1987).
Daher: ob es zu Einstellungsänderung oder Verantwortungsaufteilung kommt, hängt ab von:
- Bindung der Person an die Einstellung
- Bindung der Person an die Gruppe
Herkner / Kapitel 6 / Teil 3A
443
Î
bei starker und zentraler Einstellung eher
Verantwortungsabschiebung für unerwünschtes Verhalten
auf die Gruppe und KEINE Einstellungsänderung
Î
wenn Bindung an Gruppe stärker ist als die Einstellung,
dann Einstellungsänderung
Î
Verantwortungsaufteilung gelingt in größeren Gruppen
leichter als in kleineren Gruppen
(3) Zusammenhang mit Selbstzielen (Greenwald & Breckler,
1986):
bei Konflikten zwischen sozialer und physischer Realität
werden gleichzeitig 2 unverträgliche Selbstziele aktiviert
Î dadurch besondere Belastung und Unangenehmheit der
Situation
Ö
1.4
-
öffentliches Selbst strebt nach Anerkennung durch die
Gruppe -> daher Tendenz zur Konformität
-
privates Selbst will eigenen Leistungsansprüchen
entsprechen und korrekte Meinungen vertreten
ob und wie oft konformes Verhalten auftritt, hängt ab von
relativer Stärke der beiden Selbstmotive (und die
wiederum ist sowohl dispositions- als auch situationsbedingt)
Einfluss von Minoritäten:
„ Kritik von Moscovici (1976) an Konformitätsforschung, die sich
an Asch und Festinger orientiert:
Î
es wird immer nur der Einfluss einer mächtigen Majorität auf
eine Minorität untersucht bzw. bestätigt
Î
ABER: es kann auch eine Majorität von einer Minorität
beeinflusst werden (z.B. alle Erneuerungen in
Wissenschaft, Kunst, Politik kommen dadurch zustande)
„ Postulate von Moscovici (1976):
•
Ob Minderheit beeinflussen kann hängt ab vom Verhaltensstil der
Minderheit: wenn Minderheit konsistent und konsequent ihren
Standpunkt vertritt, dann wird Majorität unsicher und damit
eher bereit, sich von Minorität beeinflussen zu lassen
•
Im Unterschied zum Einfluss der Majorität bleibt der Einfluss der
Minorität NICHT auf oberflächliche Verhaltensanpassung
beschränkt, sondern führt zu echter Meinungsänderung
Herkner / Kapitel 6 / Teil 3A
444
„ Experimente von Moscovici, et al. (1969):
(1) VPn müssen Farbreize benennen und Helligkeit beurteilen; 36
Durchgänge, alle Farbreize hatten die gleiche Farbe (Blau), aber
unterschiedliche Helligkeit
6er-Gruppen mit 4 echten und 2 falschen VPn, nach jeder
Farbdarbietung öffentliche Beurteilung -> dabei bezeichneten die
falschen VPn die Farben als grün
- VB1: konsistente Minderheit: falsche VPn sagen immer grün
- VB2: inkonsistente Minderheit: falsche VPn sagen in zufälliger
Reihenfolge 24x grün und 12x blau
- KG: keine falschen VPn drinnen
Ergebnis:
bei konsistenter Minderheit höhere Beeinflussung der VPn als
bei inkonsistenter Minderheit
(2) Minoritätseinfluss bezieht sich nicht nur auf das öffentliche
Verhalten, sondern auf „latente“ Urteilsprozesse
dazu: Ermittlung von Unterschiedsschwellen für Blau- und GrünAntworten bei VB „konsistente Minderheit“ und KG
VPn sahen 16x Grün bzw. Blau, mussten nach jeder Farbe Namen
aufschreiben (d.h. nicht öffentlich und jetzt unbeeinflusst)
Ergebnis:
Minderheiteneinfluss von vorher bewirkte Änderung der
Farbkategorisierung, d.h. bei VPn verschob sich Grenze zwischen
Grün und Blau in den blauen Bereich hinein (d.h. sie nannten öfter
etwas grün, das eigentlich blau war)
Ö Minoritäteneinfluss ist auf latenter Ebene stärker als auf
Verhaltensebene (auch VPn änderten jetzt ihre Meinung, die
das öffentlich nicht gezeigt hatten)
(3) Erweiterung des Experiments durch Hinzufügung weiterer
Bedingungen, und zwar:
- „konsistentes Individuum“ (3 echte VPn + 1 falsche VP, die
konsistent grün sagt)
- „einstimmige Majorität“ (1 echte VP + 3 falsche VPn, die immer
grün sagen)
- „nicht-einstimmige Majorität“ (3 echte VPn + 2 falsche VPn)
außerdem: Fragebogen zur Beurteilung der anderen VPn
Ergebnis:
Î konsistente Minderheit kann Mehrheits-Verhalten
beeinflussen, ABER: die Minderheit darf KEINE Einzelperson
sein (hier kein Einfluss)
Herkner / Kapitel 6 / Teil 3A
445
Î größere Verhaltensänderung bei einstimmiger Majorität;
ABER: konsistente Minderheit hat genauso viel Einfluss
wie nicht-einstimmige Majorität
Î hinsichtlich der „latenten“ Änderungen ergaben sich
Verschiebungen der Kategoriegrenze Grün in den blauen
Bereich NUR bei konsistenter Minderheit
Î Angehörige der konsistenten Minderheit wurden als
urteilssicherer, aber nicht als kompetenter
wahrgenommen
Î keine Unterschiede in soziometrischem Wahlstatus zwischen
falschen und echten VPn, d.h. abweichende Minderheit
wurde NICHT abgelehnt!
„ Kritik an Moscovici:
keine befriedigende theoretische Erklärung für die Ergebnisse
•
Moscovici: hohe Verhaltenskonsistenz und geringer
Konsensus in Gesamtgruppe bewirkt
Personenattribution für Minderheits-Standpunkt
(Attribution an Sicherheit und Überzeugung),
ABER:
keine Begründung WARUM ausgerechnet
Sicherheit und Überzeugung und nicht z.B.
Dogmatismus und Dummheit…
•
Herkner: VPn betrachten nicht die Gesamtgruppe, sondern die
wegen ihrer absonderlichen Urteile auffallende Minderheit.
Konsistent urteilende Minderheit = Gruppe mit hohem
Konsensus und hoher Konsistenz, daher nach Kelley
(1967) hier Stimulusattribution, d.h. Beobachter führt
Verhalten der Minderheit nicht auf persönliche Disposition
der Minderheit zurück, sondern auf Reizaspekte, daher
Verunsicherung des Beobachters und
Meinungsänderung
•
andere Erklärung: Dissonanztheorie
unter Druck der Minderheit / Mehrheit äußert echte VP
meinungs- oder wahrnehmungsdiskrepantes Urteil
Î Majoritätsdruck ist hinreichende Rechtfertigung für
Verhalten, daher keine Dissonanz und keine
Meinungsänderung
Î Minoritätsbeeinflussung hingegen erzeugt Dissonanz
(Minderheit = relativ machtlos, daher kein Grund, sich von ihr
beeinflussen zu lassen) -> Verringerung der Dissonanz durch
Meinungsänderung
Herkner / Kapitel 6 / Teil 3A
446
„ Unklar ist, welche Aspekte des Verhaltens der Minderheit
einflussfördernd sind:
•
Konsistenz kann auch den Eindruck von Rigidität erwecken und
damit abstoßend wirken
EXPERIMENT von Nemeth, et al. (1974):
-
VB1: konsistent grün
VB2: konsistent grün-blau
VB3: zufällig (grün und grün-blau mit gleicher
Häufigkeit aber irgendwann)
VB4: systematisch (bei helleren Dias grün, bei
dunkleren Dias grün-blau)
Ergebnis:
•
Î
kompromissbereite Minderheit (= konsistent
grün-blau) ist wesentlich einflussreicher als
sture Minorität (konsistent grün)
Î
größten Einfluss hatte VB4 „systematisches
Antwortmuster“ (hier klarer Zusammenhang
zwischen Reizeigenschaften und Antwort)
Gruppenkohäsion spielt wichtige Rolle für Einfluss der Minderheit
auf die Mehrheit (Wolf, 1979):
-
hohe Gruppenkohäsion (d.h. Mitglieder der Gruppe beurteilen
einander positiv) -> mehr Einfluss der Minderheit
-
niedrige Gruppenkohäsion (d.h. gegenseitige Ablehnung der
Gruppenmitglieder) -> weniger Einfluss der Minderheit
„ Neuere Minoritätenforschung:
größere Vielfalt der experimentellen Methoden, aber auch der
theoretischen Standpunkte
•
größerer Realismus des verwendeten Reizmaterials
(z.B. Meinungen und Einstellungsobjekte, wie Abtreibung,
Umweltverschmutzung, etc.)
•
mehrere differenzierende Unterscheidungen:
(1) Verhaltensstil und Verhandlungsstil (Mugny, 1982):
o Verhaltensstil kann sein:
-
konsistent (d.h. man vertritt eine Position mit logischer
Konsistenz)
-
inkonsistent (d.h. man vertritt wechselnde Positionen)
Herkner / Kapitel 6 / Teil 3A
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o Verhandlungsstil kann sein:
Ö
-
rigid (d.h. eine extreme Position wird ohne
Zugeständnisse verteidigt)
-
flexibel (d.h. man verhält sich gemäßigter und
kompromissbereiter
Experimente zeigen: konsistent-flexible Minderheit ist
einflussreicher als konsistent-rigide Minorität (z.B.
Nemeth, 1974)
(2) Unterscheidung von numerischen und sozialen
Minderheiten:
o numerische Minderheit:
vertritt anderen Standpunkt als Majorität, aber gehört
derselben Kategorie an
o soziale Minderheit (= „Doppelminorität“):
vertritt anderen Standpunkt als Majorität und gehört
einer anderen sozialen Kategorie an als die Majorität
(z.B. religiöse Minderheit, Homosexuelle, usw.)
Ö
Experimente zeigen: soziale Minoritäten haben weniger
Einfluss als numerische Minoritäten (Maas, et al., 1982)
(3) Konversionstheorie von Moscovici (1980):
= Ergänzung des ursprünglichen Ansatzes, und zwar:
Begründung, warum Majorität nur oberflächliche
Verhaltensanpassung bewirkt, Minorität dagegen eine
echte Einstellungsänderung:
Sowohl abweichende Minoritäts- als auch Majoriätsstandpunkte lösen einen Konflikt aus, ABER unterschiedliche
Konflikte, daher unterschiedliche Folgen, und zwar:
o Majorität bewirkt interpersonellen Konflikt -> soziale
Vergleichsprozesse, dabei kein tieferes Nachdenken
über das sachliche Problem, daher Folge: oberflächliche
Verhaltensanpassung
o Minorität bewirkt kognitiven Konflikt -> Validierungsprozesse, dadurch vertiefte Auseinandersetzung mit
dem Problem, Folge: Einstellungsänderung
Î
Einstellungsänderung durch Minorität ist umso
wahrscheinlicher, je stärker der Konflikt ist
Herkner / Kapitel 6 / Teil 3A
448
ähnlicher theoretischer Standpunkt von Nemeth (1986):
-
Minoritäten veranlassen „divergente“ Überlegungen
(originell / kreativ)
-
Majoritäten veranlassen „konvergente“ Überlegungen
(konventionell) und Anpassung
Ähnlichkeit beider Theorien mit anderen Theorien der
Einstellungsänderung (z.B. ELM von Petty & Cacioppo, 1980):
o Minoritätentheorien:
Minderheiten lösen generell gründliche
Verarbeitungsprozesse aus, daher bewirken sie
dauerhafte Einstellungsänderungen
o Einstellungstheorien:
sowohl Minoritäten als auch Majoritäten können
Einstellungsänderung bewirken, ob Einstellungsänderung
auftritt, hängt ab von:
-
Motivation und Fähigkeit der Zielperson (d.h. des
Empfängers)
-
Überzeugungskraft der Argumente des Senders
¾ Minorität im Vorteil, wenn sie sich konsistent
verhält, weil geschlossenes und sicheres Auftreten einer
Minderheit zu gründlichem Nachdenken animiert
¾ Majorität kann aber auch gründliche InfoVerarbeitung und Einstellungsänderung bewirken,
nämlich:
⎯
wenn es um persönlich wichtige Einstellungsobjekte geht
⎯
wenn es sich um eine Gruppe handelt, mit der
man sich selber verbunden fühlt
Herkner / Kapitel 6 / Teil 3A
449
(4) Theorie von Mullen (1987):
-
Unterschiede in Verhalten und Erleben von Minorität und
Majorität
Erweiterung der Selbstaufmerksamkeitstheorie
zentrale Hypothese:
Î
je kleiner die Minorität (im Verhältnis zur
Gesamtgruppe) ist, der man selbst angehört, desto
größer ist die Selbstaufmerksamkeit und desto mehr
wird eigenes Verhalten bewusst kontrolliert
Î
je größer die Majorität (im Verhältnis zur
Gesamtgruppe), der man selber angehört, desto geringer
ist die Selbstaufmerksamkeit und
Verhaltenskontrolle
Î
entscheidender Faktor = Other-Total-Ration
(= Verhältnis zwischen Größe der anderen Teilgruppe, der
man nicht angehört, und Größe der Gesamtgruppe: je
größer Other-Total-Ratio, desto höher ist
Selbstaufmerksamkeit und Verhaltenskontrolle
experimentell bestätigt:
-
sehr hohe Korrelation zwischen Other-Total-Ratio und
Selbstaufmerksamkeit
-
sehr starke positive Zusammenhänge zwischen OtherTotal-Ratio und sozial erwünschtem Verhalten (z.B.
prosoziales Verhalten)
-
sehr starke negative Zusammenhänge zwischen OtherTotal-Ratio und unerwünschtem Verhalten (z.B. social
loafing, d.i. schlechte Leistung durch verminderte
Anstrengungsbereitschaft in Gruppen)
D.h.
Ö Je kleiner die Minorität, zu der man gehört, desto
größer ist die Bereitschaft zu Konformität und
Altrusimus
Ö Je größer die Majorität, zu der man gehört, desto
größer ist die Neigung zu Faulheit und Aggressivität
Herkner / Kapitel 6 / Teil 3A
1.5
450
Geselligkeitsbedürfnis (Affiliationsbedürfnis):
„ Experimente von Schachter (1959):
Ausgangspunkt = Alltagsbeobachtung, dass Menschen in Spannungszuständen oft die Gesellschaft anderer Menschen dem Alleinsein
vorziehen (= need for affiliation);
daher Annahme:
Mensch, der gerade intensives Angsterlebnis
hat, wird sich eher Kontakt zu anderen
Personen wünschen als entspannter Mensch.
1. Experiment:
-
VG1: Ankündigung von sehr schmerzhaften elektrischen Schlägen
-> starke Angst bei VPn
VG“: elektrische Schläge sind harmlos und kaum spürbar
-> schwache Angst bei VPn
dann Wartezeit, hierfür Fragebogen, auf dem VP angeben soll, ob sie
lieber allein oder mit anderen gemeinsam warten möchte, und
Erhebung der Stärke der Angst
Ergebnis:
Ö
/3 der VPn mit starker Angst wollten lieber gemeinsam mit anderen
VPn warten als allein
1
/3 der VPn mit schwacher Angst wollten lieber gemeinsam warten
2
Spannungszustände führen zu erhöhtem
Geselligkeitsbedürfnis, aber keine Erklärung, warum das so ist,
daher
2. Experiment:
Frage: Ist durch Angst verursachtes Geselligkeitsbedürfnis unspezifisch
oder richtet es sich nur auf bestimmte Personen?
selbes Design, aber als Partner in Wartezeit stehen zur Verfügung
- ½ VPn andere VP
- ½ VPn Studentin, die auf Prüfung wartet
Ergebnis:
-
Ö
60 % wollten lieber gemeinsam mit anderen VPn warten;
niemand wollte gemeinsam mit der Studentin warten
In schwierigen Situationen sucht man sich nicht beliebige
Gesellschaft, sondern „Leidensgenossen“
Herkner / Kapitel 6 / Teil 3A
451
Gründe dafür nach Schachter:
(1)
Flucht:
(2)
Information:
(3)
direkte
Angstreduktion:
indirekte
Angstreduktion:
soziale
Vergleichsprozesse:
(4)
(5)
gemeinsames Pläneschmieden mit dem
Leidensgenossen, wie man der unangenehmen und
ungewohnten Situation entgehen könnte
vielleicht hat Leidensgenosse mehr Info über die
ungewohnte Situation, die er einem erzählt
teilnahmsvolle Zuwendung des Leidensgenossen
(geteiltes Leid = halbes Leid)
Angst durch Ablenkung vergessen
hat der andere auch Angst? wenn ja wie viel? wie viel
Angst ist der Situation angemessen? usw.
3. Experiment:
Variation der Kommunikationsbedingungen in der Wartezeit
-
VB1: VPn allein oder gemeinsam mit anderer VPn, wenn
gemeinsam, dann kein Sprechen über das Experiment
(dadurch Ausschließen von Flucht und Info als Begründung,
daher eventuell lieber allein)
-
VB2: VPn allein oder gemeinsam mit anderer VPn, wenn
gemeinsam, dann überhaupt kein Sprechen miteinander (hier
1-4 ausgeschlossen, aber soziale Vergleichsprozesse sind auch
beim Schweigen möglich, nämlich durch effiziente non-verbale
Kommunikation)
Ergebnis:
VPn zogen in allen Bedingungen das gemeinsame Warten vor, daher
Wunsch nach sozialen Vergleichen als Ursache des Geselligkeitsbedürfnisses
„ Bestätigung der These von Schachter durch andere
Experimente:
•
EXPERIMENT von Wrightman (1960):
Fragebogen zur Erhebung der individuellen Angststärke
vor und nach der Wartezeit -> Angst war nach
gemeinsamem Warten gesunken = typisches
Resultat von sozialen Vergleichsprozessen; bei
allein wartenden VPn keine Angstreduktion
•
EXPERIMENT von Gerard & Rabbie (1961):
Annahme: Geselligkeitsbedürfnis in unklarer Situation
ist verursacht durch Wunsch nach sozialem
Vergleich,
daher:
Geselligkeitsbedürfnis schwächer, wenn
soviel Info über Meinungen und Gefühle
Herkner / Kapitel 6 / Teil 3A
452
anderer Menschen in dieser Situation
vorliegt, dass sozialer Vergleich nimmer
notwendig ist
Anordnung wie bei Schachter, VPn saßen aber während
angsterregender Instruktion allein in Kabinen, dabei
Messung des PGR (= psychogalvanischer Reflex =
elektrischer Hautwiderstand), von dem VPn wissen, dass
er objektives Maß für Stärke von Gefühlen ist
weitere Aufteilung der 2 Angstbedingungen:
- VB1: VP erhält während der Instruktion Info über
ihren eigenen PGR und den der gleichzeitig
anwesenden anderen Person
- VB2: VP erhält nur über eigenen PGR Info
- VB3: VP erhält keine Info
Ergebnis:
in VB1 wesentlich geringeres Affiliationsbedürfnis
als in VB2;
Grund:
VPn brauchen keine sozialen Vergleiche
mehr, weil sie eh schon entsprechende
Info hatten
•
EXPERIMENT von Rabbie (1974):
Variation der Ungewissheit des bevorstehenden
Schmerzes
- ½ VPn: elektrische Schläge sind für Person sehr
schmerzhaft (Gewissheit)
- ½ VPn: elektrische Schläge werden nur von ca. ¼
der Personen als schmerzhaft empfunden,
andere Personen spüren eventuell gar nix
(Ungewissheit)
Ergebnis:
Bei Ungewissheit höheres Affiliationsbedürfnis
„ Würdigung von Schachters Theorie:
Î
Erweiterung von Festingers Theorie der sozialen
Vergleichsprozesse:
-
bei Festinger: soziale Vergleichsprozesse vor allem bei nicht
überprüfbaren Meinungen und Urteilen über
eigene Fähigkeiten
-
bei Schachter: soziale Vergleichsprozesse auch bei Gefühlen
notwendig (daraus später Entwicklung von
Schachters Gefühlstheorie)
Herkner / Kapitel 6 / Teil 3A
453
„ Neuere Untersuchungen -> Verallgemeinerung von Schachters
Ansatz:
•
ganz allgemein erzeugen Zustände hoher Aktiviertheit (nicht nur
emotionale Erregungszustände) in unklaren Situationen
gesteigertes Geselligkeitsbedürfnis (Mills & Mintz, 1972)
ABER:
wenn VPn eine adäquate Erklärung für ihre erhöhte
Aktiviertheit, dann KEIN erhöhtes Affiliationsbedürfnis
Grund:
•
Situation = klar und eindeutig, daher sind
soziale Vergleiche nicht notwendig
Wunsch nach sozialen Vergleichen jeder Art macht
Anwesenheit passiver Vergleichspersonen notwendig, daher Anstieg
der Affiliationstendenz
EXPERIMENT von Singer & Shockley (1965):
VPn machten Leistungstest, dann erhielten sie Info über
ihren Punktwert
- VB1: VPn erfuhren nur eigenen Punktwert (keine
Info, ob der gut oder schlecht ist)
- VB2: VPn erfuhren eigenen Punktwert und außerdem
Info über Abschneiden anderer Personen
dann Wartezeit, die VPn allein oder mit anderen VPn
verbringen konnten
Ergebnis:
Affiliationstendenz war stärker, wenn Person keine
Info über Abschneiden der anderen bekommen
hatte
•
Ergänzung der Theorie von Schachter durch
Selbstwerthypothesen (= Einschränkung der Schachter-Theorie):
große Angst und anderes starkes Gefühl löst nicht immer
erhöhtes Bedürfnis nach Geselligkeit aus:
Î in Situationen, in denen Person Angst vor Selbstwertbedrohung oder ungünstiger Selbstdarstellung hat, ist sie
lieber allein (Experiment von Sarnoff & Zimbardo, 1961)
Î in Situationen mit Angst vor physischer Bedrohung dagegen
erhöhte Affiliationstendenz
Herkner / Kapitel 6 / Teil 3A
•
454
weitere Einschränkung der Theorie von Schachter:
ängstliche Personen bevorzugen nicht immer Anwesenheit von
Menschen in ähnlicher Situation; oft werden Menschen mit ähnlicher
Persönlichkeit oder hilfsbereite Menschen vorgezogen, d.h.
Gesellschaft von Menschen, von denen man sich größten Nutzen
erwartet (z.B. Erleichterung)
1.6
Konformität und Kommunikation:
„ Um Konformität zu erzielen, muss Gruppe kommunizieren. Bei
vielen unterschiedlichen Meinungen zu einem Thema (d.h. hohe
Streuung der Meinungen) -> Herstellung von Konformität ist
schwierig. Gefährdung einer einheitlichen Gruppenmeinung
durch Personen mit Extremmeinungen, daher: extreme
Einstellungen dieser Personen müssen beeinflusst werden
„ Experimente zeigen:
Î
passiver Kommunikationsstatus eines Gruppenmitglieds umso
höher, je mehr sein Standpunkt vom Gruppenmittelwert
abweicht, d.h. auf Vertreter von Extremposition wird mehr
eingeredet (Festinger & Thibaut, 1951)
Î
Kommunikationsfrequenz in Gruppe ist umso höher,
- je wichtiger diskutiertes Meinungsobjekt für die Gruppe
ist
- je attraktiver die Gruppe selber für die einzelnen
Gruppenmitglieder ist
Î
wenn Extremperson ihren Standpunkt trotz zahlreicher
Beeinflussungsversuche nicht binnen einer gewissen Zeit
ändert, dann
- Sinken der Kommunikationsfrequenz mit ihr
- Absinken des soziometrischen Wahlstatus dieser Person
Ö
Î
Extrempersonen werden so aus Gruppe ausgeschlossen
ob Extremperson dem Druck nachgibt, hängt davon ab, wie
attraktiv die Gruppe für diese Person ist: bei hohem Interesse,
in der Gruppe zu bleiben -> Meinungsänderung
Herkner / Kapitel 6 / Teil 3A
455
1.7 Eine allgemeine Einflusstheorie:
soziale Einflusstheorie von Latané (1981) (theory of social impact):
•
= allgemeine Einflusstheorie nach dem Vorbild von
physikalischen Theorien, die auf viele verschiedene Einflusssituationen angewandt werden kann
•
2 grundlegende Faktoren:
Stärke der Einflussquelle (hängt ab von Macht, Fähigkeit, Status)
Nähe der Einflussquelle zur Zielperson (d.h. räumliche oder
zeitliche Nähe)
außerdem wichtig: Anzahl der Einflussquellen
Formel: I = f(S*I*N)
Einflussstärke I (= impact) hängt ab von 3 Variablen, und zwar:
- Stärke S (= strength)
- Nähe I (= immediacy)
der Einflussquellen
- Anzahl N (= number)
zwischen Stärke, Nähe und Anzahl der Einflussquellen besteht eine
multiplikative Beziehung, d.h. Einflussstärke ist eine Funktion des
Produkts von Stärke, Nähe und Anzahl der Einflussquellen
•
Î
ist eine der 3 Variablen Null, dann kein Einfluss dieser
Einflussquelle
Î
der zusätzliche (marginale) Einfluss einer Einflussquelle ist umso
geringer, je mehr Einflussquellen vorhanden sind (d.h.
psychologischer Unterschied zwischen 11 und 12 Personen ist
geringer als zwischen 1 und 2 Personen)
Î
Einfluss mehrerer Einflussquellen -> Vergrößerung oder
Multiplikation des Einflusses
Î
Einfluss wird verkleinert (dividiert), wenn Einflussquelle auf
mehrere Zielpersonen gerichtet ist (d.h. z.B. bei konstanter
Einflussquelle Publikum nimmt das Lampenfieber mit der Zahl der
Zielpersonen, d.s. Darsteller auf der Bühne,ab)
Theorie wurde erfolgreich auf verschiedene Situationen und
Fragestellungen angewandt, z.B.:
o
mit der Publikumsgröße zunehmende Nervosität von Darstellern
oder Vortragenden (multiplikative Wirkung der Einflussquelle)
o
mit zunehmender Zahl von Zuschauern geringere Chance für
Notfallopfer, dass ihm geholfen wird (Einfluss wird bei mehreren
Zielpersonen und einer Einflussquelle dividiert)
Herkner / Kapitel 6 / Teil 3A
456
o
je mehr Personen gemeinsam essen gehen, umso kleiner ist das
Trinkgeld des Einzelnen für den Kellner
o
Einstellungsänderung umso kleiner, je größer die Zahl der
Empfänger ist
o
älteres Publikum mit relativ hohem Status ruft mehr Aufregung bei
Vortragendem hervor wie jüngeres Publikum mit relativ niedrigem
Status
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