Das Heilige Römische Reich Eine Einführung Bearbeitet von Klaus Herbers, Helmut Neuhaus 1. Auflage 2015. Taschenbuch. 371 S. Paperback ISBN 978 3 8252 3298 6 Format (B x L): 12 x 18,5 cm Weitere Fachgebiete > Geschichte > Europäische Geschichte Zu Inhaltsverzeichnis schnell und portofrei erhältlich bei Die Online-Fachbuchhandlung beck-shop.de ist spezialisiert auf Fachbücher, insbesondere Recht, Steuern und Wirtschaft. Im Sortiment finden Sie alle Medien (Bücher, Zeitschriften, CDs, eBooks, etc.) aller Verlage. Ergänzt wird das Programm durch Services wie Neuerscheinungsdienst oder Zusammenstellungen von Büchern zu Sonderpreisen. Der Shop führt mehr als 8 Millionen Produkte. UTB 3298 Eine Arbeitsgemeinschaft der Verlage Böhlau Verlag · Köln · Weimar · Wien Verlag Barbara Budrich · Opladen · Farmington Hills facultas.wuv · Wien Wilhelm Fink · München A. Francke Verlag · Tübingen und Basel Haupt Verlag · Bern · Stuttgart · Wien Julius Klinkhardt Verlagsbuchhandlung · Bad Heilbrunn Lucius & Lucius Verlagsgesellschaft · Stuttgart Mohr Siebeck · Tübingen Orell Füssli Verlag · Zürich Ernst Reinhardt Verlag · München · Basel Ferdinand Schöningh · Paderborn · München · Wien · Zürich Eugen Ulmer Verlag · Stuttgart UVK Verlagsgesellschaft · Konstanz Vandenhoeck & Ruprecht · Göttingen vdf Hochschulverlag AG an der ETH Zürich Klaus Herbers Helmut Neuhaus Das Heilige Römische Reich Ein Überblick BÖHLAU VERLAG KÖLN WEIMAR WIEN · 2010 Klaus Herbers ist Professor für Mittelalterliche Geschichte und Historische Hilfswissenschaften an der Universität Erlangen-Nürnberg. Helmut Neuhaus ist dort Professor für Neuere Geschichte mit dem Schwerpunkt Frühe Neuzeit. Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abruf bar. ISBN 978-3-8252-3298-6 (UTB) ISBN 978-3-412-20412-9 (Böhlau) © 2010 by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Köln Weimar Wien Ursulaplatz 1, D-50668 Köln, www.boehlau.de Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig. Einbandgestaltung: Atelier Reichert, Stuttgart Satz: Peter Kniesche Mediendesign, Tönisvorst Druck und Bindung: AALEXX Druck GmbH, Großburgwedel Gedruckt auf chlor- und säurefreiem Papier. Das eingesetzte Papier stammt aus nachhaltig bewirtschafteten Wäldern. Printed in Germany ISBN 978-3-8252-3298-6 5 Inhalt Vorwort.......................................................................................... 7 I Zur Einführung: Das Heilige Römische Reich – Orte, Zeiten und Personen....................................................... von Klaus Herbers 9 II Das mittelalterliche Heilige Römische Reich ......................... 23 von Klaus Herbers 1 Die Karolinger: Von Aachen nach Forchheim . ................. 23 2 Die Ottonen: Sachsen und Italien rücken in den . Mittelpunkt......................................................................... 45 3 Die Salier: Zwischen Mittelrhein, Burgund und Italien.......... 77 4 Die Staufer: »hie Welf, hie Waiblingen« – Schwaben, Sizilien und Burgund........................................ 109 5 Vom Interregnum bis zur Etablierung der Luxemburger: Zwischen Rheinland und Osten (1254–1346) . ................. 141 6 Luxemburger und Habsburger: Böhmen und der . Südosten (1346–1495), Prag und Wiener Neustadt .......... 163 III Das frühneuzeitliche Heilige Römische Reich ........................ von Helmut Neuhaus 1 Reichsreform und Reformation: Zwischen Worms, Wittenberg und Augsburg . ............................................... 2 Konfessionalisierung: Das Reich zwischen Trient, Kloster Berge und Heidelberg ........................................... 3 Dreißigjähriger Krieg: Von Böhmen nach Westfalen......... 4 Das Reich im Zeitalter des Absolutismus: Von der Türkenfront zur Rheingrenze............................................. 5 Das Ende des Reiches: Zwischen Berlin und Wien........... 195 195 215 227 245 269 IV Ausblick: Orte vermitteln Geschichte – Erinnerungen an das Alte Reich .................................................................... 293 von Helmut Neuhaus 6 V Anhang .................................................................................. 1 Stammtafeln....................................................................... 2 Geburts-, Sterbe- und Begräbnisorte der Römischen Könige und Kaiser.............................................................. 3 Begräbnisorte der Römischen Könige und Kaiser (Karte). 4 Die Römischen Könige/Kaiser der Neuzeit als Wahlmonarchen des Heiligen Römischen Reiches............ 5 Die Kurfürsten des Heiligen Römischen Reiches . 1356–1806.......................................................................... Inhalt 305 305 311 313 314 315 VI Quellen und Literatur . .......................................................... 320 1 Mittelalter ......................................................................... 320 2 Neuzeit............................................................................... 333 VII Register................................................................................... 346 1 Ortsregister........................................................................ 346 2 Personenregister................................................................. 357 VIIIAbbildungsnachweise............................................................. 371 7 Vorwort In Wien, nahe der Südostgrenze des Heiligen Römischen Reiches, legte Kaiser Franz II. am 6. August 1806 dessen Kaiserkrone nieder und erklärte das Reich für beendet. Dieser Vorgang zu Beginn des 19. Jahrhunderts markiert in der deutschen Geschichte ein ebenso tiefgreifendes Ereignis wie ein Jahrtausend zuvor die Kaiserkrönung Karls des Großen durch Papst Leo III. am Weihnachtstage des Jahres 800 in Rom. Angesichts neuer Reichs- und Staatsgründungen auf deutschem Boden im 19. und 20. Jahrhundert wurde das an antike römische Traditionen anknüpfende, Mitte des 12. Jahrhunderts als »Sacrum Romanum Imperium« (Heiliges Römisches Reich) bezeichnete Herrschaftsgebilde zum »Alten Reich«, dessen Raum sich oftmals veränderte, zunächst vergrößerte und dann mehr und mehr auf den Kern Mitteleuropas verkleinerte. Binnengrenzen wurden im Westen und Süden zu Außengrenzen, während die Nord- und Ostgrenzen von langer Dauer waren. Am Ende erstreckte sich das Reich zwischen Rhein und Oder und von den Nordund Ostseeküsten bis zum Südhang der Alpen. Den Verfassern kam es darauf an, die fast tausendjährige Geschichte dieses Heiligen Römischen Reiches unter maßgeblicher Einbeziehung der Schauplätze im Überblick zu erzählen und dabei immer wieder den lokalen Aspekt zu betonen. Zugleich ging es ihnen um eine das Mittelalter und die Neuzeit umfassende Darstellung, in der die Kontinuitäten der Reichsgeschichte deutlich werden sollten. Zu ihnen gehört wesentlich die föderale Grundstruktur, die ein Kennzeichen deutscher Geschichte bis in die Gegenwart geblieben ist. Vorliegende Taschenbuch-Ausgabe geht zurück auf unser im Böhlau-Verlag erschienenes Werk „Das Heilige Römische Reich. Schauplätze einer tausendjährigen Geschichte (843–1806) aus dem Jahre 2005, das bereits 2006 in zweiter Auflage erschien. Bei unveränderter Grundkonzeption wurde der Text erneut durchgesehen und geringfügig überarbeitet, aber auf die über 300, zum Teil farbigen Abbildungen mußte mit Blick auf den Umfang eines Studienbuches weitgehend verzichtet werden. Wieder abgedruckt werden die die einzelnen Kapitel einleitenden Karten sowie der Anhang mit Stammtafeln und Übersichten; die kurzgefaßten Quellen- und Literaturverzeichnisse wurden aktualisiert. 8 Vorwort Wir danken Katrin Bauer und Luise Laube für die Erarbeitung der Register und nicht zuletzt dem Böhlau-Verlag für die Aufnahme des Buches in die Reihe „UTB für Wissenschaft“. Erlangen am 6. August 2009 Klaus Herbers Helmut Neuhaus 9 I Zur Einführung: Das Heilige Römische Reich – Orte, Zeiten und Personen Im ersten Buch von »Dichtung und Wahrheit« schildert Goethe, wie er als kleiner Junge begann, in seiner Vaterstadt Frankfurt am Main Geschichte zu entdecken. Er beschreibt den Römer, das Rathaus und die Königswahlstätte. Der Dichter wuchs an einem Ort auf, an dem die Geschichte des Alten Reiches noch greifbar war, in Frankfurt, der Reichsstadt, wo zu seinen Lebzeiten noch immer die Römischen Könige gewählt und im sogenannten Frankfurter »Dom« gekrönt wurden. Im fünften Buch von »Dichtung und Wahrheit« erzählt Goethe dann ausgesprochen anschaulich den Ablauf der Krönungsfeierlichkeiten für Joseph II., Sohn Maria Theresias und Kaiser Franz’ I., im Jahre 1764. Dann das Jahr 1806: Ein Einschnitt, weniger für Goethe, aber für viele seiner Zeitgenossen; die Mutter des Dichters bedauerte ausdrücklich, wie anders und ungewohnt es war, nun nicht mehr die Bitten für den Kaiser im kirchlichen Gebet zu hören. Was aber war dieses Reich, das Goethe noch in einer ganz konkreten Weise in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts wahrnahm? Es hatte sich im Laufe der Zeit verändert. Goethe sah einen wichtigen Einschnitt im 13. Jahrhundert: »Von Karl dem Großen vernahmen wir manches Märchenhafte; aber das Historisch-Interessante für uns fing erst mit Rudolf von Habsburg an, der durch seine Mannheit so großen Verwirrungen ein Ende gemacht«, so schrieb er wiederum in »Dichtung und Wahrheit« (1. Buch). Das Kaisertum der Karolinger schien ihm fern, fern auch noch die Salier- und Stauferherrlichkeit des »Hochmittelalters«. Es muß damit zusammenhängen, daß Goethe mit den Personen erst ab dieser Zeit »etwas anfangen konnte«, vielleicht auch, weil sich die Beziehungen zur eigenen Gegenwart leichter ziehen ließen, zur Realität der Freien Reichsstadt Frankfurt in der Mitte des 18. Jahrhunderts. Denn weiter heißt es: »Auch Karl der Vierte zog unsere Aufmerksamkeit an sich. Wir hatten schon von der Goldnen Bulle und der peinlichen Halsgerichtsordnung gehört, auch daß er den Frankfurtern ihre Anhänglichkeit an seinen edlen Gegenkaiser, Günther von Schwarzburg, nicht entgelten ließ. Maximilianen hörten wir als einen Menschen- und Bürgerfreund loben, und daß von ihm prophezeit worden, er werde der letzte Kaiser aus einem deutschen Hause sein; welches 10 Zur Einführung denn auch leider eingetroffen, indem nach seinem Tode die Wahl nur zwischen dem König von Spanien, Karl dem Fünften, und dem König von Frankreich, Franz dem Ersten, geschwankt habe. Bedenklich fügte man hinzu, daß nun abermals eine solche Weissagung oder vielmehr Vorbedeutung umgehe: denn es sei augenfällig, daß nur noch Platz für das Bild eines Kaisers übrig bleibe; ein Umstand, der, obgleich zufällig scheinend, die Patriotischgesinnten mit Besorgnis erfülle.« Goethes Bemerkungen unterstreichen insgesamt die lebensweltlichen Zusammenhänge von Geschichte. Geschichte wird zwar durch Menschen gestaltet, aber sie geschieht unter verschiedenen Rahmenbedingungen, von denen Raum und Zeit besonders wichtig sind. Außerdem wird Geschehenes immer wieder unterschiedlich erinnert. Nicht nur für Goethe machen Orte Geschichte gegenwärtig, verdichten historische Erfahrungen. Deshalb fragt die Geschichtswissenschaft in jüngerer Zeit immer häufiger nach den »lieux de mémoire«, den Erinnerungsorten, die Geschichte wieder entstehen lassen, Identitäten stiften, aber auch in der Geschichtserinnerung ihrerseits wieder neue Realitäten schaffen können. Weil sich die Orte im Laufe der Zeit weiter entwickelten, weil sie mit verschiedenen Konnotationen belegt wurden, bezeugen sie nicht nur den Ablauf der Geschichte, sondern zugleich die Veränderbarkeit von Geschichte und von entsprechenden Geschichtsbildern. Der Gegenstand dieses Buches ist aber mit einem Titel verknüpft, der zunächst fremd erscheint. »Sacrum Romanum Imperium«: Heiliges Römisches Reich, diese Bezeichnung findet sich in den Quellen erstmals 1157 bzw. 1180/1184, dann seit dem 15. Jahrhundert häufig mit dem Zusatz »deutscher Nation«. Mit den Begriffen »Heilig«, »Römisch« und »Reich« hatte Goethe es noch leichter als wir. Das »Heilige« entzauberte die Säkularisation, eine universal-römische Position wurde im Zeitalter der Nationalstaaten des 19. Jahrhunderts zunehmend obsolet, und vom Reich will in Deutschland seit 1945 niemand mehr reden. Die Bezeichnungen selbst haben aber ihre Geschichte. Erst in der Stauferzeit wurde der Begriff Sacrum Imperium (Heiliges Reich) verwendet. Neben Sacrum Imperium finden wir Imperium Romanum (Römisches Reich), Sacrum Imperium Romanum (Heiliges Römisches Reich) oder gar Sacratissimum Imperium (Heiligstes Reich). Die Titel variierten über lange Zeit, besonders zwischen 1157 und 1263; vielleicht ist sogar der Ursprung für die häufige Verwendung in dieser Zeit Das Heilige Römische Reich 11 im römischen Notariat zu suchen. Doch die Anfänge des Reiches lagen noch weiter zurück, obwohl es kein Gründungsdatum für dieses Heilige Römische Reich gibt. Die Frage nach den Anfängen ist offensichtlich schwerer als die nach dem Ende. Die Schwierigkeiten, ein griffiges Datum für den Beginn zu finden, liegen auch darin begründet, daß dieses Reich zum einen mit römisch-kaiserlichen Traditionen verbunden wurde, zum anderen weil es mit einer Entwicklung in Zusammenhang steht, die eher Deutschland betrifft, denn sowohl die Begriffe Imperium und Regnum können im Deutschen mit »Reich«, »Herrschaft« übersetzt werden. Eine mögliche Unterscheidung in Kaiser- und Königreich wird oft nicht beachtet, weil im Deutschen nur ein Wort für beide lateinische Begriffe zur Verfügung steht. »Reich«, mittelhochdeutsch »rîche«, bedeutete ursprünglich Macht, Herrschaft, später auch das dieser Macht unterworfene Gebiet oder den entsprechenden Herrschaftsbereich. Die Wendung »Reich der Deutschen« (regnum Teutonicorum) taucht in den Großen Salzburger Annalen zur Königserhebung Arnulfs von Bayern im Jahre 919 in einer Handschrift des Klosters Admont aus der Mitte des 12. Jahrhunderts auf, aber ansonsten wurden vergleichbare Bezeichnungen vorwiegend in Italien verwendet. Durch die Briefe und Manifeste des Investiturstreites seit den 70er Jahren des 11. Jahrhunderts förderte Papst Gregor VII. (1073–1085) mit der betonten Verwendung der Begriffe Rex Teutonicorum und Regnum Teutonicum die Opposition gegen Heinrich IV. und zugleich die Vorstellung eines (für Italien und das Papsttum nicht zuständigen!) nationalen deutschen Königtums. Dem stellte man im Norden unter anderem Titel wie Romanorum rex (König der Römer) entgegen. Wann aber formierte sich aus dem ostfränkischen Regnum, das durch die Teilungen des Karolinger-Reiches seit 843 entstanden war, Deutschland? Zu dessen »Geburtsstunde« sind wiederholt Datierungsvorschläge gemacht worden: die Straßburger Eide 842 oder wenig später der Vertrag von Verdun 843, als das Karolinger-Reich in drei Teile, vor allem aber in Ost- und Westfranken geteilt wurde, sind in der Regel die frühesten Vorschläge. Weitere Abgrenzungen nach dem weitgehenden Verschwinden des Mittelreiches 869/870 im Vertrag von Meersen, später in Ribémont 880 gegenüber dem Westen, deuteten schon in dieser Zeit auf die »Westgrenze« des späteren Reiches. Auch der Herrschaftsbeginn eines Nichtkarolingers im Jahre 911, der dieses 12 Zur Einführung ostfränkische Reich erstmals regierte, Konrads I. (911–918), oder das Königtum Heinrichs I. aus dem sächsisch-ottonischen Haus ab 919, galten lange als Geburtsstunde Deutschlands, und eine Vielzahl von Vorschlägen und Begründungen ließe sich aus der Literatur des 19. und 20. Jahrhunderts anfügen. Dennoch entsprach diesen Daten kaum ein Eigenbewußtsein, so daß die »Nationes«-Forschungen in den vergangenen Jahrzehnten im Gründen alle konkreten Zeitangaben stark in Frage gestellt haben. Vielmehr seien Deutschland und Frankreich in einem langsamen Prozeß entstanden, der erst im 11. Jahrhundert zu einem gewissen Abschluß gekommen sei. Der spätere Reichstitel Sacrum (Romanum) Imperium bezog sich aber explizit auf die römischen Traditionen. Das Kaisertum wurde seit der Spätantike und dem Untergang des weströmischen Reiches nur noch in Konstantinopel fortgeführt. Der oströmische Kaiser beanspruchte Herrschaftsrechte im Westen besonders in Ravenna, Rom und Süditalien. Als sich Rom und die Päpste im 8. Jahrhundert auch durch die langobardische Bedrohung zunehmend zu den Franken hin orientierten, schien auch für die neue Schutzmacht des Papstes der Kaisertitel angemessen. Vor diesem Hintergrund war die Kaiserkrönung Karls des Großen 800 ein einschneidendes Ereignis. Nun schien das Imperium von Ostrom auf die Franken übergegangen zu sein, obwohl man dies in Byzanz anders sah, und eine solche Übertragung (Translatio Imperii) erst viel später im Westen explizit formuliert wurde. Hinter dem Titel stand aber die Vorstellung, das Römische Reich sei niemals untergegangen. Nachdem die Päpste die Vergabe des Kaisertums weitgehend an sich ziehen konnten, blieb dieses jedoch nicht auf einen der Herrscher Ostfrankens, Westfrankens oder Italiens festgelegt, sondern die Auszeichnung wechselte, bis sie seit 962 mit der Kaiserkrönung Ottos I. des Großen als römisches Kaisertum trotz einiger konkurrierender Versuche weitgehend dem König von Ostfranken-Deutschland vorbehalten blieb. Otto I. baute jedoch auf Traditionen auf, die durch die Kaiserkrönung Karls des Großen grundgelegt waren. Deshalb wäre es verkürzt, wollte man ausschließlich das für das Heilige Römische Reich wichtige Jahr 962 als Anfangsdatum heranziehen. Seit 800 waren die Weichen für ein Imperium im Westen gestellt, und seit 843 auch die Weichen für die Entstehung eines ostfränkisch-deutschen Regnums. Mit Rom und Aachen waren zugleich seit Karl dem Großen die Orte hervorgehoben, Das Heilige Römische Reich 13 die zu den wichtigsten Schauplätzen des künftigen mittelalterlichen Reiches werden sollten, so daß die Darstellung zumindest hier beginnen sollte, wenn auch gestritten werden darf, ob damit schon im strengen Sinne eine dann tausendjährige Reichsgeschichte begann. Somit ist die Person, die durch die Niederlegung der Kaiserkrone des Heiligen Römischen Reiches am 6. August 1806 das Ende dieses Reiches besiegelte, Kaiser Franz II., ebenso wie das Ende des Reiches sicher zu benennen, nicht aber die Person, mit der alles anfing. Da Kaiser Franz II. mit diesem Akt das Heilige Römische Reich für beendet erklärte, damit nicht etwa ein anderer aus dem Westen sich an seine Spitze setzen könne, war das Reich ein Gebilde geworden, das inzwischen unabhängig von der Person zumindest aus einer gewissen Anzahl von Institutionen bestand, vor allem aus dem Reichstag, dem Reichskammergericht, auch den Reichskreisen, und das an rechtliche Bestimmungen und Verfahrensweisen gebunden war, wenn auch seine Verfassung insgesamt schwächer ausgeprägt war als in manchen der benachbarten Staaten. Wie stark aber das Imperium auf Personen oder auf Gebiete und Institutionen bezogen wurde, hat die Geschichte dieses Reiches maßgeblich geprägt, wie die Bemerkungen zum Reichsbegriff schon angedeutet haben. Dies wirkt sich auch auf die Dokumentation und Darstellung dieser »tausendjährigen« Geschichte aus, denn in den ersten Jahrhunderten müssen aus sachlichen Gründen die verschiedenen Herrscher stärker im Vordergrund stehen, zumal sie verschiedene Gebiete dieses Reiches immer wieder unterschiedlich geprägt haben, wie die Überschriften der ersten Kapitel verdeutlichen: Dazu gehörten das Rhein-Maas-Gebiet ebenso wie später Sachsen, Schwaben, Böhmen oder Österreich, um nur einige wichtige Räume zu nennen. Neben diesen Prägungen kam es erst nach und nach – gerade in der Auseinandersetzung und unter Rezeption von antiken und kirchenrechtlichen Denkfiguren – zu Vorstellungen von transpersonaler Herrschaft, zur Konzeption eines Reiches als einem unabhängigen Gebilde, zu Überlegungen, wie beispielsweise in der Zeit zwischen Tod eines Kaisers und Erhebung eines neuen Königs oder Kaisers die Funktionsweise dieses Reiches sichergestellt werden könne. Die wichtigsten Ergebnisse dieser Institutionalisierung, die verstärkt ab dem 12. Jahrhundert greifbar wird, waren für das Reich vor allem die Goldene Bulle Kaiser Karls IV. (1356) mit wichtigen Bestimmungen zu Wahl, Vakanz und Rechten der herausgehobenen Kurfür- 14 Zur Einführung sten, sowie insbesondere weitere Festlegungen im 15. Jahrhundert zu Reichstag und Reichskammergericht. Viele dieser verfassungsgeschichtlichen Entwicklungen entstanden aus konkretem Anlaß, in Krisensituationen und schufen damit den Rahmen, der dann – sich bei grundsätzlicher Offenheit mehr und mehr ab 1495 verfestigend – Orientierung und Handlungsstrukturen im Reich der Frühen Neuzeit bestimmte. Die Tatsache, daß die Epoche des Mittelalters eher den Weg zu dieser Struktur, die Frühe Neuzeit eher die Funktionsweisen erkennen läßt, hat die Art und Weise der vorliegenden Darstellung beeinflußt, denn die Kapitel zur mittelalterlichen Phase müssen stärker Personen und Entscheidungssituationen dieses Reiches thematisieren, während sich die Kapitel zur Frühen Neuzeit demgegenüber viel mehr auf strukturelle und verfassungs- und politikgeschichtliche Tendenzen konzentrieren können. Auch deshalb wird für die Geschichte bis ins 15. Jahrhundert eine große Anzahl an Stammtafeln benötigt. Wenn es aber in diesem Buch nicht nur um Zeiten, sondern auch um Orte und Räume geht, so sind einleitend einige geographische Faktoren in den Blick zu rücken. Seit 1032 bestand das Römische Reich für lange Zeit aus drei Teilreichen: Italien, Burgund und Deutschland. Durch die Wahl und Krönung wurde der König unmittelbarer Herrscher des deutschen Reichsteils. Ob es für die anderen Teile eigener Krönungen bedurfte oder welche Bedeutung das Kaisertum für die Herrschaft in Italien besaß, war umstritten. Die Aufgabe von Reichsrechten in Italien begann im 13. Jahrhundert; auch Burgund entwuchs spätestens seit dem 14. Jahrhundert dem Einfluß des Reiches. Aber suggerieren die Karten unserer Geschichtsatlanten nicht ein falsches Bild, wenn sie das Reich wie einen modernen Flächenstaat abbilden? Dies beklagte zur Mitte des 20. Jahrhunderts vor allem der Mittelalterhistoriker Theodor Mayer. Die daraus folgende Formel vom sogenannten »Personenverbandstaat« behält sicher eine gewisse Berechtigung, obwohl sie vor allem dazu diente, die Unterschiede zwischen mittelalterlicher (auch frühneuzeitlicher) und moderner Staatlichkeit hervorzuheben. Dennoch verfügte ein solcher Personenverbandstaat auch über Institutionen, die sich auf die Fläche bezogen. Jedoch sollte im Auge behalten werden, daß Herrschaft über Personen die Grenzen vielfach überschreiten konnte. Die drei genannten Regna – Italien, Burgund und Deutschland – hatten zudem unterschiedlichen Anteil an Prägungen durch die Antike. Das Heilige Römische Reich 15 Dort, wo antike Strukturen weiter vorherrschten oder anverwandelt wurden, dominierten auch stärker flächenbezogene Institutionen. Die vergleichenden Forschungen zu Staatlichkeit, Verfassung und Institutionalisierung zeigen im Zusammenhang der europäischen Geschichte, wie sehr Entwicklungsvorsprünge durch eine Romanisierung begründet sein konnten. Denkt man an den deutschen Raum, so besaßen die Gebiete westlich des Rheines und südlich der Donau solche Vorprägungen, die erst im Laufe der Jahrhunderte durch Ausgleichs- und Anpassungsprozesse verändert wurden, bis sie sich zuweilen im späten Mittelalter und in der Frühen Neuzeit sogar umkehren konnten. Grundsätzlich ergab dies jedoch zunächst ein West-Ost- und ein Süd-Nord-Gefälle. Peter Moraw hat zur Charakterisierung dieses Grundbefundes die Formel von einem Älteren und Jüngeren Europa geprägt, denen das Reich in ganz unterschiedlicher Weise je nach Epochen und Gesichtspunkten zugehören konnte. Da der König nicht in allen Regna und in allen Regionen des Reiches schon aufgrund der eingeschränkten Möglichkeiten von Kommunikation und Transport gleichermaßen präsent sein konnte, spricht man im Anschluß an Peter Moraw von »königsnahen«, »königsfernen« und »königsoffenen« Regionen, die aber ebenso während der Herrschaftszeit der unterschiedlichen Dynastien, ja auch der einzelnen Könige variieren konnten, denn es gab keine Hauptstadt. Dies führte dazu, daß manche früher wichtigen Schauplätze des Reiches heute nur vermeintlich an der Peripherie liegen. Aber schon die Zeitgenossen empfanden gewisse Gegenden als »königsfern«, gleichsam außerhalb des Reiches befindlich, denn sonst hätten die Kurfürsten im 15. Jahrhundert Kaiser Friedrich III. (1440–1493) kaum auffordern können, er solle (von Österreich) »ins Reich« kommen; gemeint war das, was zuweilen auch als »Binnenreich« bezeichnet wird. Nicht nur die Karte zu den Grablegen der Herrscher können andeuten, wie sehr gerade im Mittelalter die wichtigen Orte immer wieder wechselten. Die innere räumliche Struktur des Reiches basierte jedoch zunächst noch kaum auf den Vorgaben des Königtums, sondern Adelige und Kirche prägten den Raum ebenso. Neben den Herzogtümern, deren Stammesbezogenheit zunehmend in Frage gestellt wird, hatten die Karolinger die Grafschaften gestärkt, jedoch gab es weiterhin die natürlichen Siedlungslandschaften, die durch Flußläufe und Gebirge bestimmt waren, außerdem die Dorfmarken, Talschaften, Wald- und Markgenos- 16 Zur Einführung senschaften oder die Grundherrschaftsverbände. Auch die kirchliche Gliederung in Kirchenprovinzen, Diözesen, Pfarreien prägte den Raum ebenso wie die Klosterimmunitäten und später die Städte. Damit gab es eine Vielzahl von raumgliedernden Elementen, die sich häufig überlagerten und deren Gewicht jeweils variieren konnte. Die Kommunikation innerhalb dieses Reiches war eingeschränkt. Der König versuchte, durch persönliche Präsenz an den wichtigsten Orten seine Herrschaft zu demonstrieren. Dazu nutzte er ebenso wie andere mobile Personengruppen die Verkehrswege. Welches waren neben den zahlreichen kleinen Wegen von Ort zu Ort, von Nachbarschaft zu Nachbarschaft, die wichtigsten Kommunikationsachsen und Reisewege im Reich? Der Rhein verband das Bodenseegebiet mit dem niederrheinisch-lothringischen Raum und berührte wichtige alte Bischofsstädte, die Traditionen des antiken Römischen Reiches vermittelten und fortentwickelten. Durch die Burgundische Pforte führte dieser Weg nach Burgund zum Knotenpunkt Chalon-sur-Saône, wo die Rhône als weitere Achse diente. Beide Flußsysteme verbanden so das Mittelmeer mit dem Nord- und Ostseeraum. Weiter nach Westen führte eine Straße ins Pariser Becken und zugleich zu den im 12./13. Jahrhundert wichtigen Orten der Champagne-Messen. Das Rhein-Main-Gebiet war ein weiterer, fast natürlicher Knotenpunkt mit der alten Metropole Mainz sowie der Furt- und Pfalzstadt Frankfurt. Über den Main, aber auch über Straßen gelangte man von Worms oder Frankfurt nach Franken, Schwaben oder Bayern mit den wichtigen Zentren Nürnberg, Ulm, Augsburg oder Regensburg, wo der Weg nach Süden oder Osten fortgesetzt werden konnte. Von Worms aus konnte man ebenso über Saarbrücken und Metz das Pariser Becken erreichen. Nach Norden war die Hohe Straße berühmt. Von Mainz aus führte sie über Fulda und bei Eisenach durch die Thüringer Pforte nach Erfurt, weiter dann nach Naumburg, Breslau, Krakau und Kiew mit Abzweigen nach Böhmen oder in das östliche Sachsen. Nachdem im 10. Jahrhundert Magdeburg an Bedeutung gewonnen hatte, war dieser östliche Ort durch den Hellweg über das heutige Ruhrgebiet mit dem Rheinland verbunden. Diese Straße stellte vom 9. bis 11. Jahrhundert, aber auch noch darüber hinaus, eine wichtige Verbindung in west-östlicher Richtung dar. Wichtige Straßen nutzten häufig die Flußtäler: Elbe, Oder und Weichsel gewannen als Wasserwege langsam an Bedeutung, und wichtig war seit dem frühen Mittelalter