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20 Jahre
in der
Bremischen Bürgerschaft
In eigener Sache:
Dies ist keine auch nur annähernd vollständige Geschichte der
grünen Bürgerschaftsfraktion. Es ist nur ein lockerer Streifzug
durch diese Geschichte. Wem dabei ganz andere Geschichten
und Ereignisse einfallen, die vielleicht wichtiger sind als die
hier skizzierten, der möge sie unbedingt festhalten. Erst die
Kenntnis der Vergangenheit erklärt die Gegenwart. Fehler und
Irrtümer sind auch in diesem Text, sie sind der Kürze der Zeit,
die der politische Alltag lässt, und Gedächtnislücken zu verdanken. Der Autor bittet um Nachsicht.
V.i.S.d.P.: Karoline Linnert
Text: Dieter Mützelburg
Redaktion & Gestaltung: Thomas Kollande-Emigholz
Fotos: Bleiker, Caspari, Heidmann, Quick, Stoss, Rospek,
Wagner – sowie diverse private und nicht identifizierbare aus den Handbüchern der Bremischen
Bürgerschaft
Druck: Geffken & Köllner, Bremen
Bremen im November 2003
Fraktion Bündnis 90/DIE GRÜNEN
in der Bremischen Bürgerschaft
Schlachte 19/20
28195 Bremen
Tel.: 0421/3011-0
Fax: 0421/3011-250
Mail: [email protected]
www.gruene-bremen.de
Zwanzig Jahre – wir haben nichts ausgelassen
Zwanzig Jahre grüne Erfolgsgeschichte mit ein paar Beulen und krummen Ecken. 1983
haben wir mit fünf Abgeordneten begonnen, die auch noch rotieren sollten (und es größtenteils auch taten). Wir hatten jährlich wechselnde Fraktionsvorsitzende, den ersten
Rollstuhlfahrer im Parlament und immer Blümchen auf den Pulten in der Bürgerschaft.
Die Presse war begeistert: Endlich mal was Anderes, und Sympathie und Verteufelung
haben unserem Selbstbewusstsein ziemlich gut getan.
Drei grüne Müllbroschüren (leider vergriffen) haben die Welt nicht verändert, die
Rammelboxen nach dem Utrechter Modell waren auch nicht durchzusetzen, Bremen wurde keine freie Flüchtlingsstadt und die Hemelinger Marsch leider bebaut. Aber anderes
Grünes ist heute kein Skandal mehr: Tenever wird teilweise abgerissen, Bremens Entschuldung als unabdingbar anerkannt, die Kritik am Bremer Gesellschaftsunwesen Allgemeingut, und das Weserkraftwerk kommt bestimmt.
Heute sind wir trotz Verkleinerung des Parlaments dreizehn Abgeordnete. Dazwischen
liegen Veränderungen und Beständigkeit. Längst gehören wir selbstverständlich zu den
›Altparteien‹ und streben gar nicht mehr an, uns auf jeden Fall von den anderen zu unterscheiden. Wir rotieren nicht mehr, vermarkten Inhalte und Personen, reden mit der BildZeitung, wurden im Bürgerschaftspräsidium und bei der Kontrolle des Verfassungsschutzes zugelassen und besuchen die Handelskammer.
Unverändert sind die grundlegenden Überzeugungen: Es geht nachhaltiger, ökologischer und gerechter, und das wäre richtig von Vorteil für unsere Stadt. Geblieben ist
auch der Spaß an der Politik und die feste Überzeugung, dass Bremen uns braucht. Noch
viel länger als zwanzig Jahre.
Karoline Linnert, im November 2003
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Karoline Linnert, auch von Anfang an dabei. Die heutige Fraktionsvorsitzende ausnahmsweise
nicht politisch, sondern als Goldschmiedin aktiv.
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Woher wir kommen
1978 begann es. Wie aus dem Nichts gekommen eroberten sie in kleinen und größeren Städten die
Stadtparlamente: Grüne Listen, alternative Listen, bunte Listen – unter vielen Namen traten sie zu
Kommunalwahlen an und gewannen. So bunt wie die Namen war auch die soziale und politische Zusammensetzung. Vom liberalen Wirtschaftskurs der SPD/FDP-Bundesregierung enttäuschte Sozialdemokraten trafen sich mit Latzhosenträgerinnen aus der Umweltbewegung, militante ›Kein AKW hier
und anderswo!‹ saßen mit konservativen Naturschützern zusammen, und mittendrin die Anhänger der
verschiedenen zerstrittenen kommunistischen Grüppchen.
So war es auch in Bremen, dem norddeutschen Zentrum der Anti-AKW-Bewegung. 29 Sozialdemokraten traten im Januar 1979 aus ihrer Partei aus, darunter der Bundesvorsitzende der UmweltschutzInitiativen, Peter Willers, und die Krankenschwester Christa Bernbacher. Als sie erklärten, zur Bürgerschaftswahl 1979 antreten zu wollen, erhielten sie erheblichen Zulauf aus der vielfältigen Bremer alternativen Szene. Die radikaleren Teile dieser Szene organisierten gleichzeitig eine Alternative Liste nach
dem Vorbild der Berliner AL. Vereinigungsgespräche beider Gruppen scheiterten. Bei der
Wahl im Oktober erreichte die BGL in der Stadt
Bremen 5,1 % und zog mit 4 Abgeordneten in
die Bürgerschaft ein. Die AL bekam nur 1,4 %
und löste sich bald auf.
Die BGL kam mit ihrer bunten Herkunft nicht
klar. Als sich 1979 die Partei DIE GRÜNEN gründete und diese kurz danach in Baden-Württemberg eine Serie von Wahlerfolgen startete,
schloss sich ein Teil der BGL den Grünen an.
Ein anderer Teil pflegte die Anti-Parteien-Tradition der alternativen Szene. In den Jahren 1981
und 1982 erlebte die Bundesrepublik riesige Demonstrationen gegen AKWs in Brokdorf, gegen
Christine Bernbacher. Vor 22 Jahren die erste ›Geschäftsstelle‹ der
die Startbahn West am Frankfurter Flughafen Partei, heute die Ehrenvorsitzende. Niemand anders kann die
und gegen die Raketennachrüstung in Bonn. Die Geschichte der Bremer Grünen so anschaulich erklären wie sie –
Grünen waren immer dabei, während die BGL hier anhand von Plakaten aus der Vorzeit.
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keine Rolle spielte. Schließlich trat der Abgeordnete Peter Willers 1982 aus der Bürgerschaftsgruppe
der BGL aus und vertrat nun die Partei DIE GRÜNEN im Parlament.
Seit der Gründung der Partei entwickelten sich auch die Bremer GRÜNEN schnell. Das erste Parteibüro in Christine Bernbachers Wohnzimmer in Schwachhausen verband zwar Politik mit gutem Essen,
ohne das es bei Christine nicht ging, war aber auf Dauer für die junge Partei zu privat. Sie mieteten
einen Laden in der Straße Auf den Häfen im Ostertor. Ab 1981 fanden dort die ›Grünen Montage‹ statt,
wo jede und jeder vorbeikommen durfte, der in oder mit den Grünen über politische Fragen streiten
wollte. Oft drängten sich montags in dem zu kleinen Raum mehr als 50 Diskutanten. Über die grüne
Strategie wurde dann hinterher beim Essen in Gianni Buccinis ›Trattoria‹ bei der Mitternachtspizza
entschieden und die Wahlkämpfe des Jahres 1983 wurden vorbereitet.
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Die erste Fraktion
1983-1987
Wie es dazu kam
Im März 1983 waren DIE GRÜNEN erstmalig in den Deutschen Bundestag gewählt. Im Land Bremen
erreichten sie dabei gut 8 % der Stimmen, der Einzug in die Bremische Bürgerschaft schien so gut wie
sicher. Allerdings waren die GRÜNEN damals noch nicht konkurrenzlos. In der Bürgerschaft saß seit
1979 die vierköpfige Gruppe der Bremer Grünen Liste (BGL),
die sich bei der Parteigründung der GRÜNEN geweigert hatte, in die Partei einzutreten. Ihr Wortführer, Olaf Dinné, hatAlle sind gleich
te nach wie vor viele Anhänger unter Atomkraftgegnern und
Am Anfang der Partei stand der Grundsatz
linken Intellektuellen. Zugleich organisierte sich auf der Lin›Alle sind gleich, und niemand darf Macht
ken die Betrieblich-Alternative Liste (BAL), die um Anhänhaben.‹ Also bekamen die frisch gewählger kommunistischer Gruppen, sogenannte Ökosozialisten,
ten Abgeordneten Probleme, als die
und aktive Gewerkschafter warb.
Bürgerschaftsverwaltung sie um Benennung eines Fraktionsvorsitzenden bat.
Die Aufstellung der Liste dauerte zwei volle Tage. Über
Doppelspitzen und Quotierung waren
dreißig Bewerber wollten auf die Liste. Quotierung war da1983 noch nicht so bekannt wie heute.
mals noch nicht üblich, Parteizugehörigkeit war auch nicht
Aber trickreich waren die Grünen auch
entscheidend. Streit gab es vor allem darüber, ob Grüne
damals. Also beschlossen sie, alle 5 Moeventuell eine SPD-Minderheitsregierung tolerieren würden.
nate einen neuen Vorsitz zu wählen und
die anderen vier zu Stellvertretern zu erDas Wahlprogramm umfasste mehr als 100 eng beschrienennen. Das war Gleichheit pur. Gegen
bene Schreibmaschinenseiten. Abschalten aller AKWs,
Ende der zwei Jahre stand die Rotation an,
Stopp der Raketenaufrüstung und Austritt aus der Nato fanund außerdem kam heraus, dass 24 Moden sich dort ebenso wie die 35-Stunden-Woche für den
nate durch 5 geteilt nicht gleich 5 mal 5
öffentlichen Dienst und die Schließung der Müllverbrenist. Eine Abgeordnete musste zu kurz kommen. Oder nicht. Christine Bernbacher –
nungsanlage.
unorthodox wie so oft – erklärte, sie verIm Wahlkampf ging es dann aber nur um die drohende
zichte auf die Rotation und bleibe in der
Schließung der Werft ›AG Weser‹. Zwischen FDP, der SPD
Bürgerschaft. Das Vorsitzendenproblem
mit Hans Koschnick und der BAL ging es um die Schuldfrawar gelöst, Christine aber hatte fortan ein
ge. Die Grünen setzten dennoch auf ihre eigenen Themen.
Problem mit der Partei.
Zwei Plakate prägten den Wahlkampf ›Wir haben die Erde
nur von unseren Kindern geborgt‹ und die Bremer Stadt-
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musikanten, die in wildem Ritt mit der Sonnenblume Richtung Parlament eilten. Erfolgreich. Am 26.9.
wurden mit 5,4 % fünf Grüne gewählt, davon einer aus Bremerhaven.
Die erste grüne Fraktion rotierte noch in der Mitte der Wahlperiode. Alle fünf Monate wechselte der
Fraktionsvorsitz. In den Deputationen waren die Grünen nur Gäste ohne Antrags- und Stimmrecht. In
der Geschäftstelle Am Dobben arbeiteten neben dem Geschäftsführer Rainer Oellerich (seit
1983) vier MitarbeiterInnen.
Die Abgeordneten aus Bremen:
Peter Willers (bis Okt. ‘85)
Umwelt, Wirtschaft, Friedenspolitik
geb. 1935, Angestellter; heute: Pensionär; trat
1991 aus der Partei aus, Aktivist in Bürgerinitiativen
Christine Bernbacher (bis Okt. ‘87)
Umwelt, Bau
geb. 1930, Krankenschwester; heute: im Ruhestand; Ehrenvorsitzende der Bremer Grünen
Einzug der ersten Fraktion in die Bürgerschaft. ›Stopp der RaketenChristiane Bodammer (bis Okt. ‘85)
Soziales, Jugendpolitik
geb. 1952, Lehrerin; kein Mitglied, bis dato
für die GRÜNEN im Rundfunkrat von Radio
Bremen
Dieter Mützelburg (bis Okt. ‘85)
Innenpolitik, Finanzen, Sport, Justiz
geb. 1943, Hochschullehrer; heute: Projektleiter; Landesvorsitzender und Mitglied des
Kreisvorstands Mitte/Östliche Vorstadt
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nachrüstung!‹ hieß 1983 die politische Losung. Und das kleine
Pflänzchen ist ein Symbol für das künftige Wachstum der Grünen.
Ralf Fücks (Okt. ‘85 bis Juni ‘88)
Wirtschaft, Finanzen
geb. 1951, Sozialwissenschaftler; heute: Vorstand
der Heinrich-Böll-Stiftung
Uwe Helmke (Okt. ‘85 bis Okt. ‘87)
Bildung, Sport
geb. 1925, Lehrer; heute: im Ruhestand, trat 1999
aus der Partei aus
Uwe Voigt (Okt. ‘85 bis Okt. ‘87)
Gesundheit, Innenpolitik
geb. 1951, Apotheker
Martin Thomas (Aug. ‘86 bis Juni ‘99)
Innenpolitik, Friedenspolitik
geb. 1950, Industriekaufmann
Die Abgeordneten aus Bremerhaven:
Hans-Peter Wierk (bis Okt. ‘85)
Bildung, Wissenschaft
geb. 1947, Lehrer; lebt heute in Niedersachsen
Karsten Bischoff (Okt. ‘85 bis Okt. ‘87)
Häfen, Wissenschaft
geb. 1948, Lehrer
Highlights im Hohen Haus
In dieser Wahlperiode wurde sehr häufig auf Initiative der Grünen über ›große‹ Politik diskutiert. Die
Nachrüstung der Bundeswehr, der 40. Jahrestag der Kapitulation und die Atompolitik der Bundesregierung standen ebenso im Mittelpunkt wie die Zukunft der Bundeswehr oder die Fischfanggründe vor
Island und Grönland. Bei den großen Friedensdemos war die Fraktion auf der Straße und gegen Rüstungstransporte stöckelte Christine Bernbacher über Bahngleise.
In der Lokalpolitik stritt sich Christine mit Senatorin Evi Lemke ein ums andere Mal um die ›Dreckschleuder‹ Müllverbrennungsanlage, bis diese die Schließung versprach. Dieter Mützelburg kämpfte
gegen Senator Frankes Schulschließungspläne, und Ralf Fücks bedrängte den Senat mit Ideen zu
Rüstungskonversion und alternativer Produktion, was bis in die Gewerkschaften hinein gut ankam.
Höhepunkt aus grüner Sicht war Christine Bernbachers Weigerung, einer Verfassungsänderung zuzustimmen. Damals war Einstimmigkeit vorgeschrieben. Sie blockierte so lange, bis sie den Umweltschutz als verbindliches Staatsziel in der Bremer Verfassung verankert hatte.
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Grüne der ersten Generation wie aus dem Bilderbuch: Selbst gestrickt und mit langen Haaren. Die
erste Hälfte der ersten grünen Fraktion (1983-1985).
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Papierflut
Als die Parteiflügel sich bekriegten, war
die schärfste Waffe im Kampf das Positionspapier. Davon gab’s in der Bremer
Fraktion und Partei große Mengen. Erst
1992 stoppte die Fraktionssprecherin Karoline Linnert diesen schönen Brauch,
indem sie ein ›Papierverbot‹ verkündete.
Hier einige Auszüge aus diesen Werken:
›Öko ist völlig out. Weite lila Gewänder
und selbstgestrickte Pullover werden
bekichert. Unter Jugendlichen ist Öko
heute ein Schimpfwort.‹ (Rotkäppchenpapier, u.a. von Helga Trüpel, Dieter
Mützelburg und Martin Thomas, 1985.
Der Name leitet sich von einer Kneipe
her, in der das Papier nachts geschrieben worden sein soll).
›Bremens Finanzen werden von einem
kleinen Insider-Klüngel beherrscht.‹
(›Der Bremer Finanzklüngel‹ von Ralf
Fücks). Dieser Krimi ist leider undatiert, wäre aber sicher heute noch aktuell. Leider ist er unvollendet.
›Die Grünen brauchen endlich wieder
Visionen!‹ (Bilanz nach 10 Jahren Arbeit für die Grünen von Jochen Rieß.
Mitglied des Landesvorstands, 1989).
›Wenn Du noch ein Papier dieser Art
schreibst, dann veröffentliche ich alle.‹
(Martin Thomas an Ralf Fücks, 1988).
Und zum Schluss Helga Trüpels Papier
von 1993: ›Ankommen am Ende oder
Erwachsenwerden tut weh‹.
Die zweite Fraktion
1987-1991
Der Weg in die zweite Fraktion
Mit 8,4 % waren die Grünen im Frühjahr 1987 die Wahlsieger
und mit ihnen Marieluise Beck, die damals zum ersten Mal im
Land Bremen gewählt wurde. Der bundesweite Erfolg strahlte
nach Bremen aus. Aber nicht nur der Erfolg, sondern auch der
parteiinterne Umgang damit. Da in Bonn die SPD im Bund eine
Zusammenarbeit mit den Grünen ablehnte, weil sie wegen ihrer Anti-Nato-Haltung nicht zum Grundgesetz stünden, brach
auch der innergrüne Streit um Regierungsbeteiligungen wieder auf. Die Parteiflügel hatten begonnen, sich in ›Strömungen‹ zu organisieren.
Die Kandidatenaufstellung in Bremen war weitgehend von
den Flügelkämpfen geprägt. Fast alle PolitikerInnen, die für
den Rest des vergangenen Jahrhunderts die Bremer Grünen
repräsentierten, waren im Mai 1987 dabei: Helga Trüpel und
Ralf Fücks, Martin Thomas und Elisabeth Hackstein, Christine
Bernbacher und Dieter Mützelburg (die letzten beiden wurden
im Flügelpoker ausgesiebt). Die Kandidatenaufstellung dauerte bis in den späten Abend. Die Listenplätze ab Platz 13
wurden von wenigen Mitgliedern fast auf Zuruf nominiert.
Das Wahlprogramm war hingegen kurz und ließ sich nicht
auf viel Grundsätzliches ein: Originell und zugespitzt wollte
es sein. Und an manchen Punkten war es das auch. Bremen
sollte eine ›Freie Flüchtlingsstadt‹ werden, in der jeder Flüchtling aus jedem Land ein lieber Gast ist. Für jeden Quadratmeter neue Straße sollten zwei Quadratmeter entsiegelt werden.
Auf der Vulkan-Werft sollten Zeppeline für die Luftfahrt gebaut
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werden, womit zugleich ein Ausbau des Flughafens verhindert werden sollte. Eine Parole, die die Grünen damals erfanden, ging tatsächlich in die neuere Stadtgeschichte ein: ›Stadt am Fluss‹ oder, wie wir
drastisch formulierten: ›Nicht mit dem Arsch, sondern mit dem Gesicht zur Weser!‹
Im Wahlkampf ging es mehr um den sozialdemokratischen Filz im Land Bremen, das seit Jahren mit
absoluter Mehrheit von der SPD beherrscht wurde, und um Arbeitsplätze auf den Werften und in der
Industrie. Die Sozialdemokraten mit ihrem neuen und noch relativ jungen Bürgermeister Wedemeier
spielten die soziale Alternative zur Bonner ›neoliberalen‹ Kohl-Koalition. Sie hatten ein großes Plus:
Für eine Mark hatte Wedemeier die gewerkschaftliche Wohnungsgesellschaft Neue Heimat gekauft und
damit über 60.000 Mietwohnungen vor der Zwangsversteigerung gerettet.
Am Ende hatten die Wahlforscher Unrecht. Die SPD fiel
zwar auf 50,5 %, behielt aber ihre knappe Mehrheit. Die CDU
sank auf unter 25 %. Wahlsieger waren die kleineren Parteien. In Bremerhaven fasste der Rechtsextremismus Fuß, die
DVU holte erstmals ein Mandat. Die FDP kehrte nach vier
Jahren Pause mit rund 10 % in die Bürgerschaft zurück. DIE
GRÜNEN verdoppelten mit 10,1 % ihre Stimmanteile und ihre
Mandate. 10 Abgeordnete, darunter zwei aus Bremerhaven,
saßen im Parlament. Die stadtbremische Liste war erstmals
quotiert. DIE GRÜNEN hatten deshalb mit 40 % den höchEinig beim parlamentarischen Fußballturnier, aber
sportlich erfolglos; im politischen Leben zwar zerstrit- sten Frauenanteil aller Fraktionen.
ten, aber sehr erfolgreich: Die grüne Fraktion und ihre
Mithelfer 1987.
Parlamentarische Höhepunkte
Die Wahlperiode sah den SPD-Senat von einem Skandal in
den nächsten taumeln. Die ersten beiden waren noch bitter ernst: Korruption und Abzocke in den Krankenhäusern und Missorganisation der Partei beim sogenannten Geiseldrama. Zweimal gab es Untersuchungsausschüsse, in denen DIE GRÜNEN sich als treibende Kraft der Aufklärung zeigten. Zweimal
mussten die verantwortlichen Senatoren kurz nach Ende der Untersuchungen gehe. Der dritte Fall, der
›Fall Griesche‹, war eher eine Posse. Eine Zeitung druckte einen Brief des Finanzsenators Grobecker an
einen verdienten Parteigenossen, dem er ein Amt versprach, das er gar nicht vergeben konnte.
Politisch wichtiger waren damals die Auflösung der DDR und die deutsche Einheit. Ein Prozess, bei
dem die Grünen am Rande standen. Er strahlte dennoch nach Bremen aus. Mit dem schnellen Wachsen der Proteste im Osten entstand auch in Bremen eine große Zahl von Protest- und Bürgerinitiativen,
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die allerdings überwiegend kommunal orientiert waren: Gegen Straßenausbau und neue Gewerbegebiete, für neue Gesamtschulen und gegen Kulturabbau. Die Grünen glänzten in diesen Debatten, die
SPD war in der Defensive und die CDU weitgehend sprachlos. So fiel in der Bürgerschaft kaum auf, dass
die grüne Fraktion aus untereinander zerstrittenen Einzelkämpfern bestand, der nach dem Wechsel
von Ralf Fücks in den Bundesvorstand im April 1990 auch der charismatische Repräsentant fehlte. Am
Ende der Wahlperiode rückten Bewerber von eigentlich aussichtslosen Listenplätzen nach, weil besser
platzierte Bewerber verzichteten.
Die Abgeordneten aus Bremen:
Dr. Helga Trüpel (seit Okt. ‘87)
Frauen, Jugend, Wissenschaft, Kultur
geb. 1958, Literaturwissenschaftlerin; heute:
Unternehrmerin, Vizepräsidentin der Bürgerschaft
Ralf Fücks (bis April ‘89)
Finanzen, Arbeit, Häfen
Irmgard Jahnke (Okt. ‘87 bis Okt. ‘91)
Bau, Verkehr
geb. 1948, Sozialwissenschaftlerin; 1994 ausgetreten.
Horst Frehe (Okt. ‘87 bis Dez.. ‘90)
Soziales, Justiz
geb. 1951, Jurist; heute: Richter; zeitweise aus der
Partei ausgetreten
Ralf Fücks mit dem grünen Symbol: Die Sonnenblume. Nach der Wahl 1991 wurde er Umweltsenator.
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Dr. Elisabeth Hackstein (seit Okt. ‘87)
Umwelt
geb. 1949, Umweltwissenschaftlerin; heute: Dezernentin in Nordrhein-Westfalen, Mitglied seit
1994.
Martin Thomas
Inneres, Sport
Dr. Carola Schumann (Okt. ‘87 bis Jan. ‘90)
Gesundheit
geb. 1944, Sozialwissenschaftlerin; heute: Referentin im niedersächsischen Sozialministerium
Dr. Paul Tiefenbach (Okt. ‘87 bis Okt. ‘91)
Wirtschaft
geb. 1951, Unternehmer
Anni Ahrens (ab April ‘89)
Umwelt, Energie
geb. 1920, Gastwirtin, gest.: Januar 2001
Dr. Wolfram Sailer (ab Okt. ‘87)
Medien, Bildung
geb. 1953, Gewerkschaftssekretär; heute:
Lehrer
Marie-Luise Franzen (Jan. bis Okt. ‘91)
Gesundheit
geb. 1934, Juristin; heute: für die Grünen Bürgerdeputierte in der Bezirksverordnetenversammlung Steglitz-Zehlendorf in Berlin
Die Abgeordneten aus Bremerhaven:
Manfred Schramm (seit Okt. ‘87)
Häfen
geb. 1949, Lehrer; heute: Lehrer
Hans-Joachim Sygusch (April ‘89 bis Okt. ‘91)
Bildung
geb. 1952, Lehrer; heute: Oberschulrat beim Senator für Bildung; trat 1992 zur SPD über.
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Eberhard Pfleiderer (bis April ‘89)
Bildung
geb. 1947, Lehrer; heute: Lehrer, parteilos
Die dritte Fraktion – Ampelkoalition
1991-1995
Der Weg zur Fraktion
Seit Dezember 1990 gab es keine grüne Fraktion mehr im Bundestag, 4,8 % in Westdeutschland reichten nicht. Selbst in
Bremen kam der Spitzenkandidat Ralf Fücks nur auf gut 8 %.
DIE GRÜNEN wollten nichts mit der deutschen Einheit zu tun
haben und die Westdeutschen nichts mit den Grünen.
In Bremen war das anders. Zwanzig Jahre regierte die SPD
mit absoluter Mehrheit. In vielen Stadtteilen wuchs Unzufriedenheit mit dem Senat. Neue Straßen vor der Haustür waren
unbeliebt, neue Schulen hingegen wollten viele Eltern. Im letzten Jahr vor der Wahl zog Bürgermeister Wedemeier die Notbremse. Er feuerte Bildungssenator Franke, der nichts von
Elterninitiativen für neue Gesamtschulen hielt. Und er machte
die Straßenplanung zur Chefsache. Alle Projekte wurden gestoppt. Das stoppte aber nicht die Bürgerinitiativen, die sich
zusammenschlossen. Und ebenso wenig ließen sich Kulturschaffende und Sozialprojekte vom Protest gegen sozialdemokratische Bürokratie abhalten.
Das war ein guter Nährboden für grüne Politik. Mit vielen
Aktionen gegen die Verkehrspolitik und die Gewerbeflächenpolitik des Senats wie das große ›Staucafé‹ auf dem Osterdeich/Stader Straße
Das grüne Wahlprogramm war trotz angestrebter Regierungsbeteiligung weitgehend ein Oppositionsprogramm: Keine neuen Straßen und hundert Millionen für den ÖPNV, statt
Gewerbe und Wohnen auf der grünen Wiese mehr Naturschutz.
Teuflische PCs
Bis 1988 waren Computer bei den Grünen
verboten. Dann schafften sich erst der
Landesvorstand und darauf die Fraktion
für die Buchhaltung PCs an. Folge: Großes
Geschrei unter den Mitarbeitern. ›So etwas nicht bei uns!‹ Und viele Abgeordnete
teilten diese Meinung. ›Gefährlich für die
Gesundheit und außerdem kulturlos‹,
hieß es, und: ›Bei mir nicht!‹ Die eine und
der andere dachten anders. So wurden
zahllose Sitzungen mit der PC-Frage bestritten, bis dann eine Vertagung herauskam. Ein Expertengutachten und der Entwurf einer Betriebsvereinbarung müsse
her. Nach vielen Monaten lag sie auf dem
Tisch der Betriebsrätin. ›Nicht mehr als 2
Stunden am PC und nach 45 Minuten eine
Pause‹, war einer der Vorschläge. Dann
waren Wahlen, im Herbst 1991 kamen
neue Abgeordnete, und Wolfram Sailer
und Maria Spieker schleppten nach kurzer
Zeit nagelneue Laptops an. Ganz ohne
Betriebsvereinbarung. Nun wurde diese
schnell abgeschlossen, bald hatten fast
alle Mitarbeiter und Abgeordneten PCs.
Ob die Dienstvereinbarung jemals angewendet wurde weiß niemand. Vielleicht
gilt sie ja noch.
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Wohnungen für Asylbewerber und Drogenabhängige in allen Stadtteilen – das schauderte den traditionellen SPD-Wähler.
Nach dem Debakel in der Bundestagswahl nahm bei den Grünen das ›Flügelschlagen‹ ab. Das zeigte auch die Bremer Liste zur Wahl. ›Linke‹ hatten nur wenig Chancen. Neben Helga Trüpel, Ralf Fücks, Elisabeth
Hackstein und Martin Thomas aus der alten Fraktion gab
es viele neue und auch ein paar alte Namen.
Das Wahlergebnis war eine Sensation. Die SPD hatte
über 10 % verloren und brauchte Koalitionspartner. Mit der
FDP hätte es zwar knapp gereicht, aber das war in den Augen der SPD ebenso wenig ein verlässliches Bündnis wie
eines mit den Grünen (die zwar mit 11,4 % etwas zugelegt
hatten, aber nur um ein Mandat gewachsen waren auf elf,
davon eines in Bremerhaven. Die DVU hatte mit Proteststimmen gut 6 % erhalten und erstmals eine Fraktion in
einem Landtag).
Ein Mahnmal in der Hemelinger Marsch: Im WahlNach harten internen Auseinandersetzungen stimmten
kampf eine Drohung an den SPD-Senat, der tatsächlich ein gewaltiger Stimmenverlust der Sozialdemodie Grünen den Koalitionsverhandlungen mit SPD und FDP
kraten folgte, führte der Versuch, die Marsch als
zu. Sieben Wochen
Naturfläche zu erhalten, zweieinhalb Jahre später zum
dauerten die GespräEnde des Ampelsenats und zum Sturz von Senator
che, bei denen insbeFücks.
sondere zwischen FDP
und Grünen Gegensätze oft unüberbrückbar schienen. Wir hatten
uns im Umwelt-, Verkehrs- und Kulturbereich zwar weitgehend durchgesetzt, beim Bau des CT III in Bremerhaven nicht, die Flächenfragen
wurden verschoben, und in der Schulpolitik gab es einen Kompromiss: Mehr Gesamtschulen, aber auch neue Gymnasien.
An dieser Frage und an der Ressortverteilung brach der Streit in Die jüngste deutsche
aller Zeiten:
der Partei öffentlich aus; reaktionäre Bildungspolitik und Abspei- Ministerin
Mit 33 Jahren wurde
sung mit den leichtgewichtigen Ressorts Umwelt/Stadtentwicklung Helga Trüpel 1991
und Kultur/Ausländerintegration (die FDP sollte Wirtschaft und In- Senatorin für Kultur
neres bekommen) ließen das Fass überlaufen. Auf der entschei- und Ausländerdenden Mitgliederversammlung wurde die Vereinbarung mit einer integration.
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Stimme Mehrheit abgelehnt. Nach verheerendem bundesweiten Medienecho griff der Bundesvorstand
ein und empfahl auf einer zweiten Versammlung wenige Tage später den Eintritt in die Regierung. Diese
Versammlung, von mehr als 250 Mitgliedern besucht, stimmte dann mit großer Mehrheit zu. Es gab die
bisher einzige Senatsbeteiligung der Grünen in Bremen. Helga Trüpel und Ralf Fücks wurden am 11.
Dezember 1991 zu Senatoren gewählt.
Parlamentarische Höhepunkte
Die Umstellung auf Regierungsarbeit fiel schwer. Eine vom Fraktionsvorstand geführte Fraktion war
etwas Neues. Und im Parlament den Senat verteidigen zu müssen, sogar ungeliebte SPD- oder FDPSenatoren, war noch schwerer. Mit besonderer
Freude hackte die CDU wechselnd auf FDP und
Grünen herum, denen sie ständig Verrat ihrer
Prinzipien vorwarf.
Das Parlament hatte wichtige Probleme zu
lösen. Das Bundesverfassungsgericht hatte Bremen als Haushaltsnotlageland anerkannt und
ihm Bundeshilfen zugesprochen. Es ging um die
Verwendung der Milliarden, um ein wirksames
Sanierungsprogramm, dem möglichst alle wichtigen Kräfte in Bremen zustimmen konnten.
Das gelang, ebenso wie ein neues Schulgesetz, das den Schulen Autonomie und Eltern
und SchülerInnen mehr Mitsprache bringen
sollte. Ein erfolgreiches Wohnungsbauprogramm wurde begonnen und ein Gesetz zur För- Rauchen für Bremen: Grüne Abgeordnete bemühen sich 1994
derung des ÖPNV beschlossen. Die Kulturein- verzweifelt, wie es der Koalitionspartner FDP forderte, die Steuereinzu verbessern. Wahrscheinlich muss diese Aktion zum 20richtungen erhielten mehr Geld und neues Füh- nahmen
jährigen Jubiläum wiederholt werden.
rungspersonal. Im November 1994 wurde die
Landesverfassung so geändert, dass Volksentscheide und Bürgerbegehren ermöglicht wurden. Auch
die Selbstauflösung der Bürgerschaft wurde beschlossen.
Bis ins Jahr 1995 hing über der Koalition das Flächenproblem. DIE GRÜNEN hatten die Bebauung der
Hemelinger Marsch im Senat durch ein Veto verhindert. Die FDP kartete nach. Angeblich hatte der Umweltsenator ohne Zustimmung des Senats einen Teil der Marsch als schützenswertes Flora-Fauna-
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Habitat-(FFH)-Gebiet der EU gemeldet. Die FDP sah das als Grund, aus dem Senat auszuziehen und
einen Abwahlantrag gegen Umweltsenator Fücks zu stellen. Mehrere vorherige Abwahlanträge der CDU
waren gescheitert. Diesmal jedoch gab es auch SPD-Abgeordnete, die drohten, gegen Fücks zu stimmen. Fücks trat nicht zurück und erhielt im Parlament keine ausreichende Mehrheit, um im Amt zu
bleiben. Die Ampelkoalition war zerbrochen, und auch Rot-Grün hatte keine sichere Mehrheit. Die Bürgerschaft löste sich auf, Neuwahlen wurden für Mai angesetzt.
Die Abgeordneten aus Bremen:
Dr. Helga Trüpel (bis Dez. ‘91)
Senatorin für Kultur und Ausländerintegration
Ralf Fücks (bis Dez. ‘91)
Senator für Umwelt und Stadtentwicklung
Dr. Elisabeth Hackstein
Bau, Stadtentwicklung, Umwelt, Häfen
Dieter Mützelburg (erneut seit Okt. ‘91)
Haushalt, Bau, Verkehr, Häfen
Karoline Linnert (seit Okt. ‘91)
Soziales
geb. 1958, wiss. Mitarbeiterin; heute: Fraktionsvorsitzende
Martin Thomas
Inneres, Sport
Christine Bernbacher (erneut seit Okt. ‘91)
Gesundheit
Vizepräsidentin der Bremischen Bürgerschaft
Walter Ruffler (Okt. ‘91 bis Juni ‘95)
Arbeitsmarkt, Migration
geb. 1949, Lehrer; heute: Berufsschullehrer
und Modellbauunternehmer
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Maria Spieker (seit Okt. ‘91)
Frauen, Jugend, Wirtschaft
geb. 1951, wiss. Mitarbeiterin; heute: Leiterin der
VHS-Sektion Bremen-Süd.
Dr. Hermann Kuhn (seit Okt. ‘91)
Wissenschaft, Europapolitik
geb. 1945, Schriftsetzer
Marieluise Beck (seit Dez. ‘91 bis Okt. ‘94)
Arbeitsmarkt, Wirtschaft
geb. 1952, Lehrerin; heute: Bundestagsabgeordnete und parlament. Staatssekretärin
Dr. Wolfram Sailer (Dez. ‘91 bis Juni ‘95)
Bildung, Kultur
Ute Treptow (Nov. ‘91 bis Juni ‘95)
Arbeitsmarkt
geb. 1954, Gewerkschaftssekretärin; heute:
Versicherungsberaterin
Aus Bremerhaven:
Manfred Schramm
Häfen, Wirtschaft
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Die Fraktion zu Beginn der 13. Wahlperiode und –
selten! – komplett mit den Deputierten in der 14.
Legislaturperiode
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Die vierte Fraktion –
Vergangenheitsbewältigung und Widerstand
1995-1999
Der Weg zur Fraktion
Erster Spatenstich für die Schule Am Weidedamm. Die
grüne Fraktion protestiert gegen gebrochene Senatsversprechen und für moderne Schulen.
In Bremen war im ganzen Hin und Her um das Ende der
Ampelkoalition der Wahlerfolg der Grünen bei der Bundestagswahl 1994 schon fast vergessen. Mit 7,3 % gelang die Rückkehr nach Bonn, und Marieluise Beck war
mit 12,1 % im Land Bremen dabei.
In der knappen Zeit zwischen Auflösung der Bürgerschaft und Wahl mussten ein Wahlprogramm formuliert
und die Liste aufgestellt werden. Oberstes Ziel der Grünen war eine erneute Beteiligung am Senat, und zwar
ohne FDP. Im Vorfeld der Wahl gab es hinreichende Anzeichen, dass die SPD ebenfalls auf Rot-Grün zielte. Die
Mehrzahl der ›Abweichler‹ bei der Abwahl von Ralf Fücks
war nicht auf der neuen SPD-Liste.
Inhaltlich waren die Aktivitäten der grünen SenatorInnen Trüpel und Fücks Kern des Programms: Eine zurückhaltende Flächenpolitik mit dem Schlagwort Innenentwicklung, die Realisierung des Konzepts ›Stadt am Fluß‹,
die Öffnung der alten Hafenreviere für Wohnungsbau und
modernes Gewerbe sowie die Modernisierung der Bremer Kultureinrichtungen. Ganz nebenbei hofften die Grünen, dass in einem Senat ohne FDP auch eine weniger
autoorientierte Verkehrspolitik und eine liberalere Ausländerpolitik möglich werde.
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Die Liste wurde weitgehend von den Abgeordneten der alten Fraktion dominiert. Lediglich an Stelle des Bildungspolitikers Wolfram Sailer, der nicht antrat, schob sich der
Lehrer Helmut Zachau als Newcomer nach
vorn. Neulinge landeten ebenso wie die Kandidaten der grünen Jugend auf ungünstigen
Plätzen.
Neu im Wahlkampf war das Auftreten der
Wählervereinigung ›Arbeit für Bremen‹ (AfB),
einer Abspaltung der SPD, die statt Rot-Grün
eine bürgerliche Koalition mit der CDU anstrebte. Ihr Wahlprogramm hieß Friedrich
Rebers. Der Ex-Chef der Sparkasse sollte als
Grüne Fraktion im Matsch: Es war kein Betriebsausflug ins WattenGarant der Bremer Sanierung alle Bürgerinnen
meer, sondern praktischer Einblick in die Verschmutzung der
und Bürger auf Zusammenhalt statt Streit –
Nordsee, die im Watt besonders auffällig ist.
wie in der Ampelkoalition – verpflichten.
Die AfB-Parolen fanden in der Öffentlichkeit Anklang und viel Unterstützung aus der Bremer Wirtschaft. Ihr Einzug in die Bürgerschaft schien
sicher. Dennoch war die Überraschung am Wahltag groß: Mit knapp mehr als 11 % sorgte sie für eine
Sensation, die SPD kam nur noch auf 33 %, ein verheerendes Ergebnis für Bürgermeister Wedemeier,
der das Handtuch warf. Die CDU wurde gleich stark wie die SPD, FDP und DVU verschwanden aus der
Bürgerschaft.
Zweiter Wahlsieger waren DIE GRÜNEN mit 13,1 %, ihrem bisher besten Ergebnis im Land Bremen. 14
Abgeordnete hatte die neue Fraktion, darunter zwei aus Bremerhaven. Rot-Grün hatte eine Mehrheit
von vier Stimmen. Das schien einigen Sozialdemokraten zu knapp. Sie führten eine Urabstimmung in
der Partei durch, in der zwischen Bildungssenator Scherf und dem früheren Chef der Senatskanzlei
sowie zwischen Rot-Grün und großer Koalition entschieden wurde. Ganz knapp siegte die große Koalition, deutlich hingegen Scherf, der für Rot-Grün stand. – Damit begann die noch heute regierende
große Koalition.
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Höhepunkte im Parlament
Anfangs hatte die Fraktion große Probleme, sich mit der Oppositionsrolle anzufreunden. All zu oft hielten Abgeordnete der Regierungsfraktionen dagegen, ›Das haben Sie doch in der Ampel mitgemacht‹.
So war die Ampelkoalition an allem Schuld, am Haushaltsdefizit, an der Arbeitslosigkeit, an Löchern in
den Dächern von Schulen. Die SPD und Bürgermeister Scherf hatten offenbar nie in der Regierung gesessen.
In der Öffentlichkeit gab es große Bewegung. Volksinitiativen gegen Schulraumnot, Tierversuche
und vor allem gegen die Privatisierung der städtischen Wohnungsbaugesellschaften fanden auch bei
vielen Sozialdemokraten Unterstützung. In zahlreichen Debatten, die vor allem Hermann Kuhn und
Karoline Linnert über diese Fragen führten, kam die SPD mit ihrem rabiaten Kurswechsel häufig in
Argumentationsnotstand. Ebenso wichtig war die Auseinandersetzung um den Sanierungskurs: Während DIE GRÜNEN Teile der Bundeshilfen in Bremens Entschuldung stecken wollten, legte die Koalition
ein gewaltiges Investitionsprogramm vor: Ausbau der Uni, Tourismuseinrichtungen und viel Straßenbau. Die AfB stand in dieser Frage an der Seite der Regierung. Eine Klage vor dem Staatsgerichtshof
gegen zu hohe Investitionsmittel in einer Zeit ohne Haushalt führte zu einem Teilerfolg. Der Senat braucht
die Zustimmung des Parlaments und dafür wiederum einen parlamentarischen Haushaltsausschuss.
Dieser wurde eingerichtet, die Finanzdeputation und auch die Justizdeputation wurden abgeschafft.
Gegen Ende der Wahlperiode, als absehbar wurde, dass über den Haushalt nicht alle Vorhaben
finanziert werden könnten, begann die große Zeit der Gesellschaftsgründungen. ›Kapitaldienstfinanzierung‹ hieß das neue Zauberwort.
Immer dabei und gar nicht wegzudenken, egal ob in der Politik,
der Kultur, beim Wein oder Fußball: Rechtsanwalt Rainer Oellerich
(ganz rechts), von 1983 bis 2000 Geschäftsführer der Fraktion.
Heute ist er Direktor der Bremischen Bürgerschaft.
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Die Abgeordneten aus Bremen:
Dr. Helga Trüpel (erneut seit Juli ‘95)
Wirtschaft, Kultur
Ralf Fücks (bis Juni ‘96)
Wirtschaft
Karoline Linnert
Soziales, Haushalt
Dieter Mützelburg
Haushalt, Bau, Verkehr, Justiz
Dr. Elisabeth Hackstein (bis März ‘96)
Umwelt, Bau, Verkehr
Helmut Zachau (seit Juni 1995)
Bildung, Arbeitsmarkt
geb. 1948, Lehrer
Maria Spieker (bis Juni ‘99)
Frauen, Jugend
Dr. Hermann Kuhn
Wissenschaft, Europa
Vizepräsident der Bürgerschaft
Christine Bernbacher (bis bis Juni ‘99)
Petitionen
Dr. Arendt Hindriksen (Juni ‘95 bis Juni ‘99)
Arbeit, Häfen
geb. 1947, Verleger; heute: Unternehmer
Elisabeth Wargalla (seit Juni ‘95 bis Juni ‘99)
Umwelt, Bildung
geb. 1949, Justizangestellte
Martin Thomas (bis Juni ‘99)
Inneres, Sport
Karin Krusche (seit Juni bis Juli ‘95 und ab März ‘96
bis Juni ‘99)
Bau, Verkehr, Kultur, Regionalpolitik
geb. 1950, Lehrerin
Klaus Möhle (seit Juli ‘96 bis Juni ‘99)
Arbeitsmarkt, Bau
geb. 1952, Handwerker
Manfred Schramm
Wirtschaft, Häfen
Gerhild Engels (seit Juni ‘95 bis Juni ‘99)
Gesundheit, Migration
geb. 1949, Krankenpflegerin
Die Abgeordneten aus Bremerhaven:
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Die fünfte Fraktion – Politik im Umbruch
1999-2003
Der Weg zur Fraktion
Die Stimmung unter den Bremer Grünen vor der Wahl 1999 war
Schlagabtausch
gereizt bis depressiv. Nach den Bundestagswahlen im Herbst 1998,
Abg. Teiser (CDU): ›Ach so, eins noch,
bei denen Marieluise Beck mit 12 % der Stimmen das beste Ergebwir lehnen Ihren Antrag ab.‹
nis der Grünen in der Republik erzielte, gab es endlich eine rotAbg. Mützelburg (Bündnis 90/DIE
grüne Regierung in Berlin. Deren Start war ernüchternd, erste ReGRÜNEN): ›Begründung!‹
formen, wie bei den Minijobs, hatten eine negative Resonanz in
Abg. Teiser: ›Die brauchen wir nicht.
Sie wissen doch, dass wir Ihre Anträge
der Öffentlichkeit. Grüne Projekte wie Ökosteuer und Atomausstieg
naturgemäß ablehnen!‹
wurden halbherzig angegangen. DIE GRÜNEN verloren bei Landtagswahlen deutlich, während die SPD sich behauptete.
In Bremen schien die große Koalition unangefochten. Sie verkaufte ihr 4,6 Milliarden teures Investitionsprogramm als den selig machenden Pilgerweg ins Paradies,
auf dem jeder Opfer bringen müsse. Die Grünen wurden als kleinkarierte Nörgler und Bedenkenträger
dargestellt, die keine Alternative zum Sanierungskurs des Senats wüssten. Und Henning Scherf wurde
als Leuchtturm auf diesem Pfad präsentiert. Offensichtlich wirkte dieses Konzept bis in die eigenen
Reihen. An Regierungsbeteiligung nach der Wahl glaubte keiner der Spitzenleute der Partei. Es gab
ständig ratloses Gezänk um die richtige Antwort auf das Eigenlob des Senats, Plakate wie Wahlkampfstrategie waren düster gehalten: Der Senat mache alles falsch – er versiegele alle Grünflächen, mache
die Schulkinder in verrottenden Schulen unglücklich und vertreibe ausländische Einwanderer gegen
Recht und Gesetz. Kurz: Große Koalition sei menschenfeindlich und undemokratisch.
In diese für die Grünen schwierige Situation platzte die Beteiligung Deutschlands an der Invasion in
den Kosovo. Der parteiinterne Streit war – auch in Bremen – heftig. Viele bisherige Anhänger der Partei
empfanden die Zustimmung der Grünen als Bruch mit den Grundsätzen der Partei. In dieser Lage war
es schwer, überhaupt aktive Wahlkämpfer zu gewinnen. Auf der Straße wurden sie als Kriegstreiber
und Verräter beschimpft. Es gab für die Grünen kaum andere Themen als den Kosovo-Krieg, die örtliche
Politik kam kaum noch vor.
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Die grüne Liste zur Wahl war eine interessante Mischung aus alt und neu. Hinter der Spitzenkandidatin Helga Trüpel stand der erfahrene Schulpolitiker Helmut Zachau. Mit Karin Mathes bekam die
Umweltpolitik ein neues Gesicht, und mit Anja Stahmann und Matthias Güldner schob sich die Generation der Dreißigjährigen nach vorn. Auch Jörg Hutter, stadtbekannter Vorkämpfer für die Gleichstellung
schwuler Beziehungen erhielt einen aussichtsreichen Platz. Während des Wahlkampfs sanken die Hoffnungen auf ein gutes Ergebnis immer mehr, selbst die größten Optimisten rechneten mit Verlusten.
Als die Stimmen ausgezählt waren, schlug die Depression in Wut und neue Kampfeslust um. Die
Parteien der Koalition hatten fast 80 % der Stimmen erhalten, die Grünen nur 8,9 % (in der Stadt
Bremen 9,1 %). Die AfB flog aus der Bürgerschaft, alle anderen Parteien holten nicht mal 3 %, nur die
DVU bekam in Bremerhaven ein Mandat. Den 89 Koalitionsabgeordneten stand nun eine grüne Opposition mit 10 Abgeordneten gegenüber.
Höhepunkte in der Bürgerschaft
Vor allem zu Beginn der Wahlperiode war es
schwer, sich öffentlich gegen die überwältigende Mehrheit bemerkbar zu machen. Sie
stimmte, oft ohne plausible Argumente, grüne Anträge nieder. Wir versuchten, durch eine
Klage vor dem Staatsgerichtshof gegen das
›Beleihungsgesetz‹ zu mehr Zurückhaltung
bei der Verlagerung staatlicher Aufgaben auf
GmbHs zu zwingen, was nicht ganz erfolglos
war.
Kinder zu Gast bei den Grünen in der Bürgerschaft: DIE GRÜNEN
Im Lauf der Zeit – und je mehr die Koalitierreichten 2003 eine Änderung der Landesverfassung. Jetzt sind
Rechte der Kinder festgeschrieben.
on von Misserfolg zu Misserfolg torkelte –
gewannen wir an Fahrt. Es begann mit der
Musical-Pleite und dem unbebauten Grundstück am Bahnhof, der Abgang des Ocean- und Space-ParkInvestors Köllmann folgte. Als dann die Ergebnisse der Pisa-Studie bekannt wurden, war die Kinderund Schulpolitik öffentlich so wichtig wie die Investitionspolitik. Jetzt führten die Abgeordneten erfolgreich Debatten, bei denen sich die Koalition schwer tat; Karoline Linnert zur Haushaltspolitik, Helga
Trüpel zu den Pleiten in der Wirtschaftspolitik und Dieter Mützelburg zur diffusen Schulpolitik punkte-
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ten. Höhepunkt war aber die Auseinandersetzung um den Untersuchungsausschuss Bau und Immobilien (grüner Obmann Matthias Güldner), den die Grünen durchsetzten. Auch die Beschimpfungen von
Henning Scherf, der die Grünen als Nestbeschmutzer und den beschuldigten Bauunternehmer Zech als
großen Bremer bezeichnete, ändern nichts daran, dass viele im Ausschuss aufgeworfene Fragen heute
Gegenstand staatsanwaltlicher Ermittlungen und Anklagen sind.
Ein Dauerbrenner seit zwanzig Jahren: Der Kampf um die Erhaltung des Hollerlands als Naturschutzgebiet. DIE GRÜNEN
unterstützen diese Bürgerinitiative von Anfang an. Ihr Sprecher, Gerold Janssen, heute 80 Jahre alt, kandidierte 1983 für
die GRÜNEN zur Bürgerschaft.
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Die Abgeordneten aus Bremen:
Dr. Helga Trüpel
Wirtschaft, Kultur
Helmut Zachau (bis Aug. 2000)
Haushalt, Bildung
Austritt aus der Partei 2001
Karoline Linnert
Soziales, Haushalt
Dr. Hermann Kuhn
Vizepräsident der Bürgerschaft
Dr. Karin Mathes (seit Juni ‘99)
Umwelt, Energie
geb. 1955, Umweltwissenschaftlerin
Dieter Mützelburg
Bau, Verkehr, Regionalpolitik, Haushalt,
Bildung
Anja Stahmann (seit Juni ‘99)
Jugend, Medien, Arbeitsmarkt
geb. 1967, Bildungsreferentin
Dr. Matthias Güldner (seit Juni ‘99)
Inneres, Sport
geb. 1960, Referatsleiter beim Senator; für
Soziales
Karin Krusche (erneut seit Aug. 2000)
Bau, Verkehr, Sport, Regionalpolitik
Die Abgeordneten aus Bremerhaven:
Manfred Schramm
Wirtschaft, Häfen, Haushalt
Doris Hoch (seit Juni ‘99)
Gesundheit
geb. 1954, Krankenschwester
In den letzten dreieinhalb Jahren Geschäftsführerin der Fraktion: Die Juristin Anni Nottebaum.
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Die sechste Fraktion – die jüngste Fraktion
2003-...
Die Bundespartei hatte sich von den harten
Auseinandersetzungen um militärische Einsätze der Bundeswehr im Ausland erholt. In der
rot-grünen Bundesregierung erreichten die Minister Joschka Fischer und Renate Künast hohe
Werte auf der Skala der beliebtesten PolitikerInnen. Überraschend wurden die Grünen bei den
Bundestagswahlen 2002 Wahlsieger und erreichten 8,6 % der Stimmen. In Bremen erreichte Marieluise Beck zum dritten Mal bundesweit
die besten Ergebnisse für die Grünen und zog
wieder in den verkleinerten Bundestag ein.
Die gute Stimmung, die in der Schlussphase des Wahlkampfes aufkam, trug auch die Vorbereitungen der Bürgerschaftswahl. Programmkommission und Landesvorstand begannen ohne große Pause mit den Vorbereitungen zur Bürgerschaftswahl. Die Werbeagentur, die den Bundestagswahlkampf organisierte, wurde auch in Bremen beauftragt.
Die politische Lage im Land war jetzt für die Grünen besser als in den Vorjahren. Viel gefärbter Putz
war von der großen Koalition abgefallen, brüchiges Mauerwerk und hohler Beton kamen zum Vorschein.
Pleiten der Großmannssucht von SPD wurden öffentlich: Die Musical-Pleite, kein Ocean Park mehr für
Bremerhaven, eine leere Betonhülle namens Space Park, eine ganz und gar überflüssige Trainingsrennbahn. Zugleich wurde unwiderlegbar deutlich, das Bremens Schulen und Kindergärten am Tabellenende in Deutschland stehen. Und die Arbeitslosigkeit nahm nicht ab, die Löcher bei den Steuereinnahmen hingegen nahmen zu.
Das Programm der Partei und der Wahlkampf setzten bei diesen Widersprüchen der Regierung an.
Erstmals in der Bremer Parteigeschichte wurden die Bildungs- und Ausbildungschancen der Kinder
und Jugendlichen das wichtigste Thema für die Grünen. ›Bildung von Anfang an‹ und ›eine Schule, die
jedes Kind fördert‹ waren die zentralen Forderungen. Traditionelle grüne Themen, wie der Kampf gegen
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den ›Flächenfraß‹ oder die Ausländerpolitik, waren zwar wichtig, aber nicht so wichtig wie die Politik
für Kinder.
›Alles neu macht der Mai‹ war eine Parole bei der Aufstellung der Kandidaten. Mit Karoline Linnert
statt Helga Trüpel gab es nach 16 Jahren einen Wechsel auf Platz eins. Die Liste insgesamt wurde wesentlich verjüngt. Mit Dieter Mützelburg und Hermann Kuhn verzichteten zwei in den letzten zehn Jahren im Parlament und in der Öffentlichkeit angesehene ältere Abgeordnete. Mit Matthias Güldner, Anja
Stahmann und Karin Krusche rückten Abgeordnete nach vorn, die für die Grünen ebenso wie die Umweltpolitikerin Karin Mathes viel Öffentlichkeit organisiert hatten. Der große Clou aber: Vier Vertreter
der grünen Jugend wurden gut platziert. Ähnlich war die Tendenz in Bremerhaven. Nach 16 Jahren schied
Manfred Schrammm aus, der Kreisvorsitzende Peter Lehmann (21) trat an seine Stelle.
Der Wahlkampf selbst war von SPD und CDU als ›Nichtangriffspakt‹ organisiert. Ohne Grüne hätte er
gar nicht stattgefunden. So viele junge und alte Grüne in allen Stadtteilen unterwegs, und so viel Zustimmung hatten wir bisher in Bremen noch nicht erlebt. Die Organisation durch den Landesvorstand
klappte, seine SprecherInnen Klaus Möhle und Silvia Schön machten der Partei ein schönes Abschiedsgeschenk vor ihrem Einzug in die Bürgerschaft.
Die Wahl aber entschied letztlich Henning Scherf. Seine Drohung, er trete zurück, wenn die SPD nicht stärkste Partei werde
und es somit ein Signal gegen die große Koalition gebe, zog Wähler an. Die SPD legte leicht zu, die CDU stürzte um acht Prozent
ab, FDP und DVU erhielten nur in Bremerhaven ein Mandat. Die
Grünen holten vier Prozentpunkte mehr als 1999. 12,9 % für GRÜN
im Land. Mit 13,5% gab es das beste Ergebnis aller Zeiten in der
Stadt Bremen. Und ohne die Scherf-Drohung hätte es vielleicht
noch besser ausgesehen. Bei den gleichzeitigen Wahlen zu den
Beiräten erhielten die Grünen 18,4 %.
Die große Koalition geht vorerst weiter. DIE GRÜNEN haben im
verkleinerten Parlament jetzt zwölf Mandate im Landtag und elf
in der Stadtbürgerschaft. Weil sie bei den Wählern aus EU-Staaten 20 % der Stimmen erhielten, gab es dort ein zusätzliches
Mandat. Und ganz an der Spitze stehen die Grünen im Altersdurchschnitt. Mit gut 39 Jahren die jüngste Fraktion, vier von dreizehn
Abgeordneten sind unter 30 Jahre alt. Acht Abgeordnete sind Frauen. Diese Fraktion ist rekordverdächtig.
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Die Abgeordneten aus Bremen:
Karoline Linnert
Fraktionsvorsitzende
Haushalt, Verfassung, Soziales
Dr. Matthias Güldner
Inneres, Migrationspolitik
Dr. Helga Trüpel
Vizepräsidentin der Bürgerschaft
Kultur, Wirtschaft
Klaus Möhle (erneut seit Juni 2003)
Wirtschaft
Dr. Karin Mathes
Umwelt, Haushalt
Anja Stahmann
Bildung, Medien
Karin Krusche
Bau, Verkehr, Sport, Regionalpolitik
Jan Köhler (seit Juni 2003)
Finanzen, Justiz
geb. 1975, Jurist
Silvia Schön (seit Juni 2003)
Wissenschaft, Arbeitsmarktpolitik
geb. 1959, Geschäftsführerin der Bremer Umweltberatung
Jens Crueger (seit Juni 2003)
Umwelt, Jugend
geb. 1984, Student
Tanja Prinz (seit Juni 2003)
Soziales, Kultur
geb. 1979, Dipl.-Politologin
Die Abgeordneten aus Bremerhaven:
Doris Hoch
Gesundheit
Peter Lehmann (seit Juni 2003)
Häfen
geb. 1982, Student
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Die grüne Fraktion, gestern, heute – und was kommt morgen?
Ein beliebtes Thema für die Kaffeepausen im Grünen-Büro ist die Frage, ob wir grüne Abgeordnete
denn überhaupt noch ›Volksvertreter‹ im besten Sinne, nämlich ›Vertreter des Volkes‹ sind. Da heißt es
dann, wir diskutierten schließlich die meiste Zeit auf Meta-Ebenen und in einer politischen Fachsprache, die außerhalb der politischen Sphären fast niemand verstehen könne.
Nun ja, im Laufe der Zeit ist die grüne Fraktion eben nicht nur an der Zahl der Abgeordneten, sondern
auch an politischer Erfahrung und Professionalität gewachsen. Wer die Schlachte 19/20 kennt, weiß allerdings,
dass eine gewisse Professionalität auf der einen und der
Hang zum ›kreativen Chaos‹ auf der anderen Seite kein
zwingender Gegensatz sein müssen. Wir sind eben eine
Fraktion bestehend aus 13 Individualisten – dafür findet
aber wohl (fast) jeder Sympathisant bei uns seinen persönlichen ›Volksvertreter‹.
Ich meine, genau in diesem Sinn sollten wir uns auch
fort- und weiterentwickeln, sollten uns unsere Heterogenität, unsere Ecken und Kanten nicht nehmen lassen, sondern mit der daraus entstehenden Kreativität wie mit einem Pfund wuchern. Auch wenn man unter den momentanen politischen Umständen allzu leicht den Eindruck
bekommt, die eigenen politischen Initiativen ja doch nur
für die Ablage zu produzieren – nutzen wir diese Zeit,
schärfen wir unser Profil inhaltlich und seien wir gespannt
auf die Zeit, wenn die grüne Fraktion in einer Koalition zu
bestehen haben wird. Die heterogene Mischung aus neuen, jungen und erfahrenen Abgeordneten lässt mich positiv in die politische Zukunft schauen. Statt uns
Sorgen um unsere personelle Zukunft machen zu müssen, können wir uns ganz den Inhalten widmen.
Also, weiter ran ans Werk!
Jens Crueger, im November 2003
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Anni
Ahrens
Marieluise
Beck
Christine
Bernbacher
Christiane
Bodammer
Jens
Crueger
Gerhild
Engels
Horst
Frehe
Ralf
Fücks
Dr. Matthias
Güldner
Dr. Elisabeth
Hackstein
Dr. Arendt
Hindriksen
Doris
Hoch
Irmgard
Jahnke
Jan
Köhler
Karin
Krusche
Dr. Hermann
Kuhn
Gewusst, wer?
Es fehlen leider die Fotos von Karsten Bischoff,
Marie-Luise Franzen, Uwe Helmke und Ute Treptow,
die es auf wundersame Weise nicht in unser Handbuch der
Bremischen Bürgerschaft geschafft haben.
Peter
Lehmann
Karoline
Linnert
Dr. Karin
Mathes
Klaus
Möhle
Dieter
Mützelburg
Eberhard
Pfleiderer
Tanja
Prinz
Walter
Ruffler
Dr. Wolfram
Sailer
Silvia
Schön
Manfred
Schramm
Dr. Carola
Schumann
Maria
Spieker
Anja
Stahmann
Hans-Joachim
Sygusch
Martin
Thomas
Dr. Paul
Tiefenbach
Dr. Helga
Trüpel
Uwe
Voigt
Elisabeth
Wargalla
Hans-Peter
Wierk
Peter
Willers
Helmut
Zachau
in der Bremischen Bürgerschaft
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