.M *. Donnerstag 2. Juli 1891. DEUTSCHE MEIJICINIS CHE WO CHENS 011111F T. Mit Berücksichtigung des deutschen Medicinaiwesens nach amtlichen Mittheilullgell, der ¿ifÏentlichen Gesundheitspflege und der Interessen des irztlichen Standes. Begründet von Dr. Paul Borner. Siebzehnter Jahrgang. Redacteur Geh. Sanitäts-Rath Dr. S. Guttmann in Berlin W. Von Prof. Riedel in Jena. Jahr aus Jahr ein fordert der Karbunkel seine Opfer unter den älteren Leuten ; ein Theil derselben geht pyaernisch zu Grunde , ein anderer macht ein schweres Krankenlager durch, um nach Monate langem Leiden mit gewaltiger Narbe davonzukommen. Je älter und kachectischer der Kranke, desto ungünstiger die Prognose; trifft das Leiden einen Diabetiker, so pflegt die Ausbreitung des Karbunkels eine besonders rapide, der Verfall der Kräfte ein sehr rascher zu sein. Wie viel Procent Karbunkulöser zu Grunde gehen, kann ich nicht mit Bestimmtheit angeben; ich weiss nur, dass es relativ viele sind, und glaube, dass jeder ältere praktische Arzt Todesfälle am Karbunkel zu beklagen hat. Schuld an diesen Todesfällen ist fast immer die Behandlung der Kranken, da das Leiden an sich meist ein ganz geringfügiges ist; nur ganz ausnahmsweise gerathen Gifte von solcher Intensität in die Talgdrüsen , dass alsbald der ganze Organismus inficirt ist. Nur einmal in meinem Leben habe ich, während meiner Assistentenzeit, einen Karbunkel (er verdiente kaum diesen Namen , war mit mehr Recht noch als Furunkel zu bezeichnen) am Unterarme eines jüngeren Mannes gesehen, der trotz derber Incisionen am vierten Krankheitstage, als Patient sich zum ersten male vorstellte, binnen 7 Tagen zum Tode an Pyaemia multiplex führte, hernach nie wieder, wie ich überhaupt keinen Todesfall an Karbunkel erlebt habe. Für gewöhnlich entwickelt sich der Karbunkel relativ langsam aus dem primären Furunkel, nachdem letzterer vernachlässigt worden ist von Seiten des Patienten. Statt durch einen derben Kreuzschnitt den Furunkelpfropf spalten zu lassen, werden warme Breiumscbläge applicirt; dieselben führen vielfach - das soll gar nicht geleugnet werden - zum Ziele, zur Erweichuiig und Ausstossuug des Pfropfes; oft bewirken sie aber gerade das Gegentheil des Erstrebten: sie begünstigen die Infection der nächstliegenden Talgdrüsen, die ja beständig dem Einfiasse der durch die Umschläge gelösten Eiterkörperchen resp. Coccen ausgesetzt sind; aus dem isolirten Furunkel entstehen multiple, vorläufig ihren primären Charakter als Talgdrüsen- resp. Haarbalgentzündungen festhaltend, sichtbaren Karbunkel ebenfalls geschwollen - aber nicht starr infiltrirt - ist, weil diese Schwellung sich ganz allmählich in der gesunden Umgebung verliert, ahnt der Unerfahrene gar nicht, dass unter dem anscheinend kleinen Karbunkel ein mächtiges, drei- his viermal grösseres Infiltrat steckt, dessBn Querdurchmesser an der Basis in manchen von mir operirten Fällen bis zu 10, selbst 15 und 20 cm betrug, während seine grösste Höhe resp. Dicke von der Muskelfascie bis zur Oberfläche des dem Auge zugänglichen Karbunkels gewöhnlich 1'J2 bis 2 cm nicht überschritt. H.S. Gil. C.S. K. C.S. G-H. H.S. E. J. E. J. MF. Schnitt durch einen volistaudig entwickelten Karbankel; derbes Infiltrat (J J) auf der Muskelfascie (M F) ruhend; nur Jer höchste centrale Theil es Kab,inke1s (K) ist dein Auge zugänglich ; er enthält zahlreiche Eiterpfröpfe , die in der Zeichnung au- gedeutet sind ; über dem peripheren Theile des lutiltiates liegt überall gesuude Haut (G H). Hantschnitt) lasten durcit die gesunde Haut Die Kreuzschuitte beginnen bei X X (11 S bis C S = Circularschuitt; der Karbnukel (K) bleibt unverletzt. E - Exstirpalions- , d. h. die Treuuungslinie der gesuudeis Haut vom Infiltrate; letzteres wird im zweiten Acte der Operation von der Muskelfascie (lt F) abgelöst. linie Wie zunächst der primäre, sodann der multiple Furunkel nur eine Zeit lang als solcher in seiner typischen Form existirt, so auch der Karbunkel mit seinen eben geschilderten Eigentliümlichkeiten, dem zunächst noch scharf abgegrenzten, breithasigen subcutauen, nur in der Mitte cutanen, derb-eitrigen Infiltrate. Wird dem Eiter nicht Luft geschafft, so geht die Entzündung von der Basis des Infiltrates ringsum im subcutanen Gewebe weiter, doch präsentirt sich diese Entzündung anatomisch etwas anders , als diejenige des Infiltrates. Letzteres spiegelt gewissermaassen immer das Bild des primären Furunkels wieder; das Starre, Derbe des Furunkelpfropfes also aus parallel nebeneinander in die Tiefe strebenden Pfröpfen findet sich, wenn auch in etwas abgeschwächtem Maasse, auch im Infiltrate, während die secundär um das Infiltrat entstehende Entzündung mehr den Charakter eines entzündlichen Oedems trägt, dementsprechend aber auch viel rascher fortschreitet, nicht Gebiet der Pfröpfe, auch wenn letztere allmählich ein grösseres selten den Beginn einer schweren Aligemeininfection bezeichnend. bestehend. Das zwischen den Pfröpfen gelegene Gewebe ist inifitrirt, doch überschreitet dieses Infiltrat zunächst nur wenig das Terrain occupiren, bis zu Zehn- resp. Zwanzigpfennigstück-G-rösse; solange das Infiltrat nicht die Pfröpfe weithin überschreitet, sind wir berechtigt, von multiplen Furunkeln zu sprechen; zum Kar- bunkel gehört noch etwas anderes. Zum Karbunkel gehört die Ausbreitung des Infiltrates im cutaiien und suhcutanen Bindegewebe, unabhängig von neuen Talgdrüseninfectionen, eine in tieferen Gewebsschichten radiär weiterwandernde Entzündung mit Production von gánz besonders derben, mit Eiterkörperchen durchsetzten Gewebsmassen. Zwischen den auseinandergedrängten Bindegewebs- und elastischen Fasern der Subcutis lagern sich unter starker Quellung des Gewebes Eiterkörperchen in solcher Masse ab, dass ein flacher, derber Tumor entsteht, dessen Basis, der Muskelfascie aufgelagert, vielleicht dreibis viermal so gross ist, als seine von den primären Furunkeln durchsetzte Spitze (vgl. die beistehende Figur). Der dem Auge zugängliche Karbunkel ist also wenigstens drei- bis viermal so klein, als das eitrige Infiltrat in der Tiefe; weil die Haut rings um den Während selbst bei grossen Infiltraten manche Kranke noch sich relativ wohl fühlen, wenig oder gar nicht fiebern, pflegt das oft rapide Auftreten des entzündlichen Oedems von Schütteifrösten und hohem Fieber eingeleitet zu werden-; das bis dahin immer noch locale Leiden wird allgemein, die letzte Barrière ist gefallen, und ungehindert strömt das von den Coceen producirte Gift in den Organismus hinein, für die direkte Ansiedelung derselbell die nöthigen Bedingungen schaffend, damit neue Eiterherde sich an entfernten Stellen entwickeln können. So endet ein ursprünglich ganz harmloser, seiner Localisation in der Haut entsprechend ungefähr- licher Process, der jeder Lymphdrüsen-, jeder intermusculären, jeder periostalen Eiterung gegenüber vollständig in den Hintergrund treten müsste, nicht selten mit tödtlicher Aligemeininfection. Selbstverständlich können einzelne Metastasen auch schon in früheren Stadien der Krankheit auftreten, selbst zu einer Zeit, wenn von Karbuukel noch keine Rede ist, wenn noch ein einfacher Furunkel vorliegt; jeder, auch der kleinste Eiterherd im Körper 111 Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. I. Die Exstirpation cIes Karbunkels. Verlag von Georg Thieme, Leipzig- Berlin. No. 27 DEUTSOHE MEDICINISOHE WOCHENSOHRIFT. kann ja Ausgangspunkt eines zweiten oder mehrerer Herde werden. Die Geschichte der acuten Osteomyelitis beweist ja hinlänglich, dass durch den Furunkel die Coccen, welche später im Knochen sich entwickeln, importirt werden können. Neben mehreren Fällen von Osteomyelitis acuta habe ich 2 mal grosse intermusculäre Abscesse in direktem Anschluss an Furünkel entstehen sehen. Interessanter waren aber folgende Metastasen: 75jähriger Mann; seit ca. 10 Tagen grosser Karbunkel auf dein Rücken, der mit Breiumschlägen behandelt, dem Patienten wenig Beschwerden macht. Seit 2 Tagen ganz plötzlich Erblindung des rechten Auges, rasche Panophthalmitis, hohes Fieber mit heftigen Schmerzen ohne eine Spur von weiterer Metastase. Exstirpation des Karbunkels, Enucleatio bulbi bei 39,5 M. T. Sofortiger Abfall des Fiebers; Temperatur Abends normal. Heilung. 28jähriger Mann; Karbunkel am Kinn seit ca. 10 Tagen; anfangs fieberlos, vor 3 Tagen Schüttelfrost bei 400 Temperatur; lebhafte Dyspnoe, blutiger Auswurf. Links hinten in der Höhe der Scapula liess sich bald eine circumscripte mehr als faustgrosse Dämpfung nachweisen; Patient hustet einige Wochen lang ganz enorme Quantitäten mehr weniger reinen Blutes aus, hellroth, schaumig, niemals rostfarben. Dann wurde das Sputum längere Zeit eitrig, enthielt elastische Fasern, während der Kranke in ganz extremer Weise herunterkam. Die gedämpfte Partie wurde allmählich heller, das Sputum erst katarrhalisch, dann ganz serös, woraufvollstäudige Genesung erfolgte nach ca. l wöchentlichem Krankenlager. Den Karbunkel hatte die Exstirpation inzwischen längst zur Heilung gebracht. 5øjähriger Mann hatte vor Jahresfrist einen kleinen Karbunkel im Nacken, der bei indifferenter Behandlung heilte. Einige Monate sptter begann der Kranke über dumpfe Kopfschmerzen zu klagen, für die bei dem überaus rüstigen Metzgcrmeister von herkulischem Körperbau kein rechter Grund zu 1ndeu war. Monate lang blieb der Fall vollständig unklar, die Kopfschmerzen wurden immer intensiver, der ganze Schädel dröhnte dem unermüdlich weiter arbeitenden Manne, der eine grosse Familie zu versorgen hatte. Da trat Unbesinnlichkeit und mangelhaftes Sehen auf, die ]inke Körperhälfte zeigte Abnormitäten, die sich plötzlich, im Ver]aufe von 24 Stunden zur completen Parese entwickelten. Ein zugezogener Augenarzt (Dr. Thier in Aachen) constatirte Stauungspapille, ein Nervenarzt (Dr. Goldstein ebendaselbst) bestimmte genau die Stelle, wo der diagnosticirte Gehirnabscess sitzen musste. Der nur wenig auf Druck empfindliche Schädel wurde geöffnet, und ein grosser Gehirnabscess entleert. Leider hatte der Eingriff nur vorübergehenden Erfolg; es kam zu einem gewaltigen Prolapsus des Gehirnes, der wiederholt abgetragen wurde in der Annahme, dass noch mehr Eiter dahinter stecken müsse; derselbe wurde aber trotz mehrfacher Punctionen nicht gefunden. Patient ging nach Monate langem Leiden zu Grunde, und die Section ergab in der That einen zweiten tiefer liegenden Eiterherd im Gehirne, der nicht getroffen war. In diesem Falle kann man natürlich an dem Zusammenhange zwischen Karbusikel und Gehirnabscess zweifeln, doch bin ich um so weniger geneigt dazu, weil ich noch einen zweiten Fall von multiplen Hirnabscessen operirt habe, hei dem ein Karbunkel freilich noch längere Zeit vorhergegangen war. Stricte beweisen lässt sich ein solcher Zusammenhang nicht, doch muss man auf der anderen Seite die Frage aufwerfen, wie sich sonst Eiterbildung im Gehirne ganz gesunder Leute erklärt. Dasselbe erkrankt sehr selten primär, d. h. durch Ansiedelung von zufällig auf dem Wege der Athmung u. s. w. in den Kreislauf gerathenen Coccen, sondern wird gewöhnlich secundär inficirt (Otitis media, Empyema pleurae). Fall 1 und 2 sind aber unzweifelhaft ausschliesslich durch Infection vom Karbunkel aus zu erklären; dort handelte es sich um eine Embolie der Art. centr. retinae, hier um einen infectiösen Embolus in einem kleinen Äste der Art. pulm. mit nachfolgendem Ueber- greifen auf grössere Gefässe, so dass ein typischer Lungeninfarct entstand mit erst rother, dann grauer Hepatisation und Zerfall des Lungengewebes. Derartige Emboli hat man sich gewiss immer als mikroskopisch kleine Gebilde vorzustellen, die überall die kleinsten Gefässe passiren, bis sie sich irgendwo, vielleicht in einem Vas vasis, festsetzen und von dort aus die Arterie selbst in Mitleidenschaft ziehen. Die intermusculären und endostalen Abscesse, die sich zuweilen im unmittelbaren Anschlusse an das Sondiren einer Strictur entwickeln, die ich leider selbst beobachtet habe, lassen sich ja auch nur durch Verschleppung kleinster Partikelchen er- klären. Ein ganz eigenthümliches Krankheitsbild entsteht - wahrscheinlich ganz ausnahmsweise - wenn die Talgdrüsen dea Kopfschwarte inficirt werden. Auf dem Kopfe fehlt das subcutane Bindegewebe, die Haut steht in direktester Verbindung mit der unterliegenden Galea resp. den zur letzteren gehörenden Muskeln; es kann also das oben gezeichnete typische Bild eines Karbunkels nicht entstehen, sondern nur eine multiple Furunkulose, die unter günstigen Bedingungen, d. h. unter Anwendung von warmen Umschlägen eine ganz excessive Ausdehnung erreichen kann. Unvergesslich wird mir der kahle Schädel eines ca. 70 Jahre alten Herrn sein, der, ursprünglich 1) an circumscriptem Furunkel auf der Höhe des Scheitels erkrankt, mit warmen antiseptischen Umschlägen behandelt worden war. Binnen wenigen Tagen war der Kopf erheblich dicker geworden, und zwar im ganzen Gebiete der früher behaarten Kopfhaut. Patient fleberte hoch, war leicht somnolent, hatte Rasselgeräusche auf den Lungen, als ich zugezogen wurde. Die Kopfschwarte erschien überall ca. 2 cm dick, hier ) Angabe der Angehörigen, nicht von ärztlicher Seite beobachtet. und da fanden sich kleine Eiterpfröpfchen auf derselben. Die Aussicht, den Kranken zu retten, war sehr gering, die Familie desselben drang aber auf einen letzten Versuch, zu dem ich um so mehr geneigt war, als der Fall durch seine rapide Entwickelung, seine eigeathümlichen Erscheinungen mich in hohem Maasse interessirte, und die Section gewiss nicht gestattet worden wäre. 2 Schnitte, von der Stirn über den Kopf bis zum Nacken geführt, ergaben, dass die sämmtlichen Talgdrüsen des Kopfes vereitert waren; überall drang das Messer durch Eiterpfröpfe, die noch ganz fest im infiltrirten Gewebe sassen, mit letzterem zusammen eine einzige starre Masse bildend; die Blutung war sehr beträchtlich. Patient ging 2 Tage später zu Grunde, ohne aus seiner Schlafsucht erwacht zu sein. Bei der Schnelligkeit, mit der sich das Leiden entwickelt hatte, wäre wohl überhaupt Hülfe unmöglich gewesen, zumal der Hausarzt der Familie auch erst kurze Zeit vor mir gerufen worden war; bis dahin hatte man auf eigene Hand warme Umschläge applicirt. Der vorstehend geschilderte Fall ist gewiss eine rara avis, ebenso sind die oben erwähnten relativ frühzeitigen Metastasen gerade keine häufigen Ereignisse; ich habe sie nur angeführt, um zu beweisen, dass über dem Haupte jedes an Karbunkel Erkrankten zu jeder Zeit das Damoklesschwert der Metastase schwebt, wenn er auch für gewöhnlich erst in späteren Stadien der Krankheit in Gefahr kommt. Aber auch dies braucht durchaus nicht der Fall zu sein; zahllose Kranke sind unter continuirlicher Anwendung von warmen Umschlägen glücklich davon gekommen. Die Natur macht eben vieles wieder gut, was von denMenschen gesündigt wird; der Eiter bricht an der Spitze des Karbunkels durch und entleert sich in genügender Menge, wodurch die Gefahr beseitigt ist. Es fragt sich nur, wie viele Kranke bei diesem abwartenden Verfahren zu Grunde gehen, bei einem Leiden, das, einzelne Ausnahmefälle abgerechnet, überhaupt keinem Menschen das Leben kosten dürfte. Wenn von zehn mit warmen Umschlägen behandelten Patienten auch nur einer begraben wird - re vera sind es aber mehr -, so ist bewiesen, dass das Verfahren vollständig zu verwerfen ist. In der That wird dasselbe heut zu Tage auch nur noch von sehr wenigen messerscheuen Aerzten, vorwiegend von Laien, geübt; weitaus die meisten Aerzte werden frühzeitig den Furunkel resp. den Karbunkel incidiren und damit eine rationelle chirurgische Behandlung einleiten. Schade nur, dass diese Incisionen, besonders die des KarbunWenn man die beistehende kels, oft nicht ausgiebig genug sind. Skizze betrachtet, wird sofort klar, dass Schnitte durch den dem Auge zugänglichen Theil des Karbunkels unmöglich ge- flügen können; der grössere peripher gelegene Theil des tiefell Infiltrats wird dadurch nicht getroffen, und wenn auch der Schnitt durch das Centrum immerhin einigen Nutzen - in manchen Fällen selbst definitiven Nutzen - schafft, vorüber ist die Gefahr des Weiterschreitens des tiefen Infiltrates, der Ailgemeininfection dadurch nicht. Chirurgen von Fach führen deshalb ihre Schnitte auch weiter, spalten vielfach durch multiple Incisionen das ganze Infiltrat und beseitigen damit sofort die Gefahren, welche den Kranken durch das Weiterkriechen desselben bedrohen. Diese Schnitte müssen natürlich, sollen sie ihren Zweck erreichen, weit durch die gesunde Haut geführt werden; langsam schmilzt dann das unterliegende Infiltrat ein; es dauert zuweilen 2-3 Wochen lang, bis die letzten ursprünglich so derben Massen sich los gestossen haben, und, was das störendste ist, die über dem Infiltrate gelegene, durch multiple event. Kreuzschnitte getroffene gesunde Haut stirbt gar zu leicht ab, da sie in betreff ihrer Ernährung wenigstens theilweise auf das unterliegende infiltrirte Gewebe angewiesen ist, und weiter, weil sie in Gefahr ist, von letzterem immer wieder trotz aller antiseptischer Gegenmaassnahmen inficirt zu werden. Nicht selten legen sich bei Heilung der Wunde die von einander getrennt gewesenen Hautstücke, wenn sie erhalten bleiben, unregelmässig aneinander, so dass eine recht hässliche Narbe resultirt. Alle diese Störungen haben mich veranlasst, ungefähr vom Jahre 1883 an jeden Karbunkel sofort zu exstirpiren. Dadurch wird mit einem Schlage die Materia peccans entfernt, an die Stelle des lebengefährdenden infiltrates tritt eine ganz harmlose Wunde in der Haut und im subcutanen Bindegewebe, wie wir sie jeden Tag bei Exstirpation von kleinen Geschwülsten der genannten Theile anlegen. Weil die ganze von Eiter durchsetzte Masse entfernt wird, kommt die überliegende gesunde Haut, obgleich sie bei der Operation abgelöst wird, weniger in Gefahr, abzusterben, als wenn sie durch multiple Incisionen getrennt auf dem Infiltrate liegen bleibt. Die Chancen gestalten sich in dieser Beziehung natürlich um so besser, je frühzeitiger die Kranken in Behandlung kommen; warten sie so lange, bis das Infiltrat beispielsweise 20 cm Durchmesser hat, so werden natürlich die weithin abgelösten Hautränder mehr oder weniger absterben; dennoch habe ich den Eindruck gewonnen, dass dies nicht in so ausgedehntem Maasse der Fall ist, als wenn man das Infiltrat liegen lässt und nur Kreuzschnitte applicirt, die in diesen Fällen ja auch eine extreme Ausdehnung haben müssen. Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. 846 DEUTSCHE MEDICINISOHE WOCHENSOURIFT. Im Interesse derjenigen Herren Collegen, welche diese Operation noch nicht gemacht haben, will ich dieselbe kurz beschreiben: ,,Patient wird gebadet, das Operationsfeld kurz vor der Operation noch einmal gründlich mit Seife, Aether und Carboiwasser gereinigt. In Narkose wird je nach der Gestalt des Karbunkels, der ja meist kreisrund, zuweilen aber auch oval ist, ein reiner Kreuzschnit oder ein Längsschnitt mit kürzerem darauf gestellten Querschnitte liber den Karburikel weg durch die umgebende, das Infiltrat überdeckende gesunde Haut geführt (vergi. Skizze X - X); dann wird die gesunde Haut rings hart am Rande des Karbunkels, also kreisförmig oder ovallir flach durchschnitten, während der dem Auge zugängliche Theil des Karbunkels vollständig in Ruhe bleibt; er darf weder durch die Kreuzschnitte noch durch den circulären Schnitt verletzt werden, weil seine Verletzung keinen Zweck hat; er soll ja in toto exstirpirt werden. Durch die Kreuzschnitte und den circulären Schnitt sind 4 Hautlappen umschnitten, die jetzt vom Centrum nach der Peripherie hin abgelöst werden, wobei sich das Messer immer hart am Infiltrate hält, also successive weiter in die Tiefe dringt (vergl. Skizze E), bis man an der Basis des Infiltrates und damit zugleich auf der Muskelfascie angekommen, wenn beispielsweise der Karbunkel im Nacken oder auf dem Rücken seinen Sitz hat. Selbstverständlich sind beim Lebenden die Grenzen des Infiltrates nicht so scharf, wie sie in der Zeichnung dargestellt sind, auch weiss man ja zu Beginn der Operation nicht bestimmt, wie weit sich dasselbe erstreckt. Man geht also, nachdem die Lappen eine Strecke weit abgelöst sind , zur Orientirung in die Tiefe ; oft findet man, dass man noch direkt ins Inflitrat fällt; dann müssen eventuell die Kreuzschnitte verlängert, die Lappen noch weiter abgelüst werden, bis man sicher ist, dass die Grenzen des Infiltrates überschritten sind ; dann geht man direkt in die Tiefe bis auf die Muskelfascie. Natürlich sind die abgelösten Lappen etwas starr und unliandlich, weil sie mehr oder weniger von entzündlicher Flüssigkeit durchtränkt sind; man muss derbe scharfe Haken fest einsetzen, um sie an ihrer Basis nach aussen umschlagen zu können ; der zweite Act der Operation erfordert dies. Nachdem alle vier Lappen genügend weit zuräckpräparirt sind, beginnt die Ablösung des Infiltrates von der Muskelfascie. Dabei pflegt es zuweilen heftig zu bluten, wie überhaupt die ganze Operation von Anfang an, weil wir im entzündeten Gewebe arbeiten, ziemlich blutig ist, doch braucht man sich in keiner Weise davor zu fürchten; die anfangs lebhaft spritzenden Gefässe stehen alle auf Compression oder sind durch Urostechung leicht zur Ruhe zu bringen; es sind ja elende kleine Hautgefässe, die nur durch den entzändlichen Process gross gezogen worden sind. Liegt der Kranke auf einem gut zugänglichen Tische, so dass der Assistent bequem coinprimiren kann, so ist die Blutung leicht zu beherrschen. Schieberpincetten fassen allerdings nicht, auch wenn sie noch so spitz sind, weil die blutenden Gefässe ans kleinen Lücken in der Muskelfascie heraustreten; sie rutschen in die Tiefe, wenn sie beim Ablösen des Infiltrates durchschnitten werden, und bluten dann aus der Liicke heraus. Stehen sie auf Compression nicht, so muss man die Muskelfascie kreuzweise mittels einer mit Catgut armirten Nadel durchstechen und dann den Faden zuschnüren, wodurch das Loch in der Fascie verlegt und gleichzeitig das Gefäss zugedrückt wird. Diese TJmstechungen vermeidet man aber, soviel als möglich, weil Catgut in der Tiefe der Wunde liegen bleibt; dasselbe kommt, weil die Wunde eitert, nicht zur Resorption, sondern hält sich, bis es so weit macerirt ist, dass der Knoten abfällt, was zuweilen längere Zeit dauert. Leider sind aber unter den an Karbunkel Leidenden ziemlich viele Indi- viduen mit starkem Fettreichthume eventuell auch mit Fettherz, alte Biertrinker und sonstige Lebemänner; sie werden in der Narkose gewöhnlich dunkelblau, weil venöse Stauung auftritt infolge der mangelhaften Herzaction, sie athmen tief und schnarchend, ohne dadurch die venöse Stauung beseitigen zu können; derartige Kranke bluten bei jeder Operation sehr stark aus den dilatirten Venen, so auch bei der Exstirpation eines Karbunkels; eine gehörige Menge Blut habe ich sie dabei verlieren sehen, aber geschadet hat ihnen das nicht, im Gegentheil, sie freuten sich der herrlichen causa bibendi". Am besten thut man, während der Operation nur comprimiren zu lassen, um die Exstirpation möglichst rasch beenden zu können. Mittels derber mehrzähniger Hakenpincetten - ich benutze immer die schweren für Operationen an Knochen bestimmten - wird das infiltrirte Gewebe gefasst und von der Muskelfascie ringsum losgelöst, bald hier, bald dort, weil bei jeder stärkeren Blutung der Hautlappen wieder angedrückt werden muss; diese Ablösung geht meist glatt und rasch vor sich, weil man die Grenze des Infiltrates an seiner Basis ja ohne Mühe erkennt, was bei der Ablösung der Haut zu Beginn der Operation wegen der Blutung nicht immer leicht ist. Dann wird die zunächst oft erschreckend grosse Wunde provisorisch mit trockener Gaze ausgestopft, die Hautlappen werden in ihre normale Lage gebracht und fest angedrückt, bis Patient aus 847 der Narkose erwacht, die venöse Stauung, falls vorhanden, wieder vorüber ist. Zieht man jetzt die Gaze aus der Wunde heraus, so ist man erstaunt, dass die Blutung fast vollständig aufgehört hat; kleine Gefässe werden event. noch versorgt, dann wird die Wunde abermals, und zwar mit trockener Jodoformgaze ausgestopft und nun lege artis verbunden. ist die Operation am Morgen gemacht, so pflegt abends die Temperatur schon normal zu sein; der Kranke fühlt sich wie im Himmel; das lästige Gefühl im Kopfe, das besonders bei Nackenkarbunkein sich geltend macht, die Benommenheit, der Druck alles pflegt Abends, oder doch am nächsten Morgen, nachdem der Kranke ruhig - vielleicht seit 8 Tagen zum ersten male - geschlafen hat, verschwunden zu sein. Geradezu verblüffend ist der locale Befund an der Wunde beim ersten Verbandwechsel, der stets am nächsten Tage stattfinden muss. Während gestern noch unmittelbar nach der Operation die weitere Umgebung des Infiltrates derb und geschwollen erschien, die Hautlappen selbst sehr starr waren, ist heute das ganze Gewebe weich und fast normal. Die eingestopfte Gaze lässt sich ohne Mühe mittels lauen Karboiwassers entfernen; die Wunde wird nicht wieder ausgestopft, sondern man legt sorgfältig die Lappen in ihre normale Lage zurück; die centrale Oeffnung sichert vollständig den Abfluss der Secrete; falls man nicht zu viel Catgutligatnren eingelegt, falls man radical operirt hatte, verkleben die Lappen rasch wieder mit der Unterlage und mit einander. Kleine Niveaudifferenzen lassen sich leicht nachträglich ausgleichen; da die Lappen vorläufig gefühllos sind, so kann man sie nach einiger Zeit hier und da, wenn's nöthig ist, etwas ablösen und mit den gegenüberliegenden Hauträndern vernähen. Selbstverständ- lich bleibt im Centrum der Wunde ein Hautdefect zurück - der einst dem Auge zugängliche Karbunkel -, welcher langsam per granulationem heilen muss; wenn nicht bei sehr verspäteter Operation centralen Partieen der abgelösten Hautlappen abstarben, geht die Heilung des Defectes gewöhnlich rasch vor sich, weil die Haul von allen Seiten dem Zuge der Narbe folgt; event. ist Transplantation nöthig, doch habe ich bis jetzt sie entbehren können. Aus Vorstehendem ergiebt sich, dass die geschilderte Operation nicht Sache eines völlig ungeübten Arztes ist, der überhaupt kein Messer in die Hand nimmt und jede Blutung scheut, dass aber jeder Arzt, der gelegentlich eine Hernio- oder gar eine Tracheotomie macht, dieselbe wird mit Leichtigkeit ausführen können, wenn ihm zwei Assistenten zur Seite stehen, einer für die Narkose, einer für die Assistenz an der Hand; desgleichen muss bei der starken Blutung für promptes Auswaschen der Schwämme oder Gazebäusche gesorgt werden. Dass gutes Licht, ein fester Tisch u. s. w. nöthig die sind, das liegt auf der Hand; man hat eben alle Vorbereitungen für eine grössere Operation" nöthig, wenn der Karbunkel richtig gross gezogen ist. Weitaus die meisten Aerzte behandeln aber ihre Kranken vom Beginne des Leidens an, sie brauchen also nur zur rechten Zeit zuzugreifen, um statt einer grossen" eine ,,kleine" Operation zu Geht nach derbem Kreuzschnitte durch den primären isolirten oder durch die multiplen Furunkel der Process nicht zuruck, so warte man nicht ab, bis sich in der Tiefe das Infiltrat ausbildet, sondern exstirpire den in Entstehung begriffenen Karbunkel, was zuerst keinerlei Schwierigkeiten hat; mit jedem Tage wird natürlich der Eingriff grösser. In die Hospitäler pflegen die Kranken erst zu kommen, wenn die Karbunkel riesengross geworden sind, trotzdem habe ich, wie oben erwähnt, Dank diesem Verfahren noch keinen Patienten mit Karbunkel - der Kranke mit der allgemeinen Furunkulosis capitis gehört nicht wohl hierher - verloren, obwohl alte Leute, mehrere Diabetiker und andere geschwächte Individuen dazwischen waren. Exstirpirt wurden alle an Truncus und Extremitäten befindlichen machen. Karbunkel, während ich mehrfach versucht habe, Karbunkel im Gesichte durch multiple Incisionen zu heilen. Geglückt ist das auch, aber die Entstellung war eine viel beträchtlichere, als wenn ich den Karbunkel exstirpirt hätte, so dass in Zukunft das Verfahren auch hier eingeschlagen werden soll, wenn der Karbunkel irgend eine erheblich e Ausdehnung erreicht. Gern würde ich Furunkel in der gleichen Weise behandeln, doch steht dem das Bedenken gegenüber, dass Narkose nothwendig ist. Hätten wir bessere local anaesthesirende Mittel, so würde ich unbedingt die Exstirpation des Pfropfes der gewohnten kreuzförmigen Incision vorziehen, weil es oft gar zu lange dauert, bis der starre Pfropf, auch wenn er wirklich gut getroffen, in vier Theile gespalten ist, zur Abstossung kommt; oft genug verklebt die Wunde, trotz der aufgelegten Vaseline, der feuchtwarmen antiseptischen Umschläge wieder; es muss zum zweiten resp. dritten male geschnitten werden, was ich zur Zeit des Carbolsprays, als die Hände der Chirurgen beständig wund waren, an meinen eigenen Furunculis manns hinlänglich zu studiren Gelegenheit gehabt habe. Bei Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. 2: Juli. 848 DEUTSChE MEDICINISC11E WOCI{ENSCHRIFT. No. 27 Furunkeln wird's also wohl vorläufig beim Alten bleiben, während bei den gefährlichen Karbunkein die Exstirpation als die am raschesten und sicb ersten zum Ziele führende Beharidlungsmethode anerkannt werden möge. Ich weiss , dass auch andere Chirurgen dieses Verfahren üben; ich selbst lernte es kennen durch Aachener Studenten, die bei Bard enheuer in Köln gewesen waren; sie hatten ihn eine Exstirpatio carbunculi machen sehen. Ob er es noch jetzt thut, weiss ich nicht; auffallend war mir, dass ich hei einem Be- der nach meiner Ansicht dringend die Exstirpation nöthig gehabt hätte, aber nicht operirt wurde; vielleicht hat Bardenheuer also das Verfahren wieder aufgegeben, was mir sehr leid thun würde. Ich habe es 1885 kurz in König's allgemeiner Chirurgie Heft II beschrieben, doch ist es in der ärztlichen Welt nicht populär geworden, weshalb ich dasselbe hier noch einmal zur Sprache gebracht habe, angeregt durch einen kürzlich operirten Fall; Patient wurde nur noch mit knapper Noth dem Tode entrissen. Für mich sind dabei dieselben Grundsätze rnaassgebend, die ich bei eitrigen Processen an den Knochen befolge. Urn Eiterherde rasch und dauernd zu beseitigen, entferne suche in Köln einen Patienten sah, Eiter, sondern auch gleichzeitig die Sequestralhöhle, wo das irgend möglich ist, und habe damit glänzende Erfolge erzielt (vergi. Berl. ki. Woch. 1890 No. 21). Es soll und muss jeder Eiter enthaltende Herd, gleichgültig wo er sitzt, baldigst und definitiv aus dem Organismus entfernt werden, um jede Möglichkeit einer Allgemeininfection von dort aus zu beseitigen und localen Recidiven vorzubeugen. Während wir aber bei der Vernichtung von Knochenhöhlen vielfach Schwierigkeiten treffen, die beim Sitze der Höhle in der Nähe der Epiphysenknorpel unüberwindlich werden können, bieten circumscripte Eiteransamrnlungen im snbcutanen Bindegewebe technisch gar keine Hindernisse dar; um so mehr erscheint es indicirt, sie möglichst vollständig zu entfernen, was am besten durch Exstirpation geschieht; sie sorgt dafür, dass Ein gefährlicher Entzünduugsherd binnen einer halben Stunde ersetzt wird durch einen völlig harmlosen Substauzveriust in Haut und subcutanem Bindegewebe, Jedes Progressivwerden des localen Processes ebenso sicher ausgeschlossen ist, wie jede Allgemeininfection von dort ans, Der Verlust an gesunder, deii Karhunkel umgehender Haut ein möglichst geringfügiger wird, Dementsprechend die Heilung eine relativ rasche, Die Narhe eine gute sein wird. Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. ich bei der Sequestrotornie, bei der Entleerung von Knochenabscessen, gleichgültig, ob sie acut osteomyelitischen oder tuberculösen resp. luetischen Ursprunges sind, nicht bios die Sequester und den