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Das zwölfte Kamel
System/Umwelt-Theorie und Kommunikationsmanagement
Eberhard Blanke / Frank Uhlhorn (2016)
1. Die Ausgangslage – ein Beispiel ..................................................................................1
2. Systemtheoretischer Ansatz eines Kommunikationsmanagements ........................2
3. Binärer Code ................................................................................................................3
4. Programme ...................................................................................................................6
5. Problembezug...............................................................................................................9
6. Das zwölfte Kamel ..................................................................................................... 11
1. Die Ausgangslage – ein Beispiel
Die Evangelischen Studierendengemeinden in Deutschland (ESGn)1 haben, nach einer Hochphase
der 1970-er Jahre, in den zurückliegenden Jahren (gemeint ist der Zeitraum bis 2010) einen vergleichbar schmerzhaften Aderlaß insbesondere in finanzieller und personeller Hinsicht erlitten. So
sind diese Funktionsgemeinden an der Schnittstelle von Kirche und Gesellschaft in eine bedrängte
Lage geraten. Parallel zur Ressourcenverknappung ist außerdem eine verschärfte Situation im Bezug auf die inhaltliche Positionierung zu beobachten, insofern die ESGn nicht nur seitens der kirchlichen Organisationen, sondern auch seitens der Universitäten, der Studierenden und der gesamtgesellschaftlichen Diskussionslage Gegenwind erfahren.
Was sich so auf Bundesebene abspielt, lässt sich auf Landesebene wieder finden. Davon können
die Pastorinnen und Pastoren der Hochschulpfarrämter im Bereich der niedersächsischen Landeskirchen (Braunschweig, Hannover, Oldenburg) beredtes Zeugnis ablegen. Die in der StudierendenPastoren-Konferenz Niedersachsen (SPKN) organisierten Hochschulpastoren und -pastorinnen haben erstens einen massiven Stellenabbau hinnehmen müssen und sind zweitens in eine paradoxe
Klemme geraten. Die Ansprüche der Kirchen und der Universitäten an die Studierendengemeinden
und deren Pastoren/innen sind auf der einen Seite gestiegen und zugleich – womöglich damit strukturell gekoppelt – auf der anderen Seite gesunken, wenn nicht beinahe aufgegeben. So erleben sich
die ESGn gleichzeitig als überbeansprucht – mit Gottesdiensten vielfältiger Fasson, mit Gruppen1
Siehe www.bundes-esg.de.
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angeboten, mit Beratungsanfragen, mit organisatorischen und bürokratischen Verpflichtungen u. v.
a. m. – und als unterfordert bzw. nicht gefordert in ihrer Funktion zwischen Kirche und Universität.
Die Lage ist offenbar nur mit einer paradoxen Beschreibung zu fassen, nach der die ESGn einerseits
aufgrund der kaum zu bewältigenden Arbeit heiß laufen und nach der sie andererseits, im Zusammenhang mit der inhaltlichen Unterforderung, leer laufen. Kurz: Die Arbeit der ESGn ist ins Stocken geraten. Abstrakter formuliert wäre zu sagen: In der momentanen Situation erweist sich die
Arbeit der Evangelischen Studierendengemeinden zugleich als notwendig, wenn man auf die Anforderungen aus der Umwelt (Kirche, Universität, Studierende) blickt, und als aufs Ganze gesehen
verzichtbar bzw. nicht-notwendig. Was nun?
Aufgrund der skizzierten Problemlage dürfte einsichtig zu machen sein, dass ein konzises Kommunikationsmanagement vonnöten ist. Die im folgenden unterstellte Voraussetzung dafür lautet,
dass ein entsprechendes Management sich aus in der Sache gegebenen Gründen auf organisatorische Aspekte – im Sinne von Organisations-, Personal- und Finanzberatung – erstreckt, sich aber
darin nicht erschöpft. Der Rahmen ist weiter zu ziehen, sodass die genannten Beratungsbereiche
darin ihren ihnen angemessenen Platz finden können. Der hierfür passende Rahmen ist im Kommunikationsmanagement zu finden. Denn: Organisationen und die damit verbundenen Personal- und
Finanzentscheidungen sind kommunikative Dimensionen, die auf kommunikative Weise zu bearbeiten sind. Daher ist Kommunikation als der umfassende Rahmen sozialer Systeme vorauszusetzen,
vor dessen Hintergrund Detailfragen organisatorischer, personalpolitischer und finanzbezogener
Themen sinnvoll verhandelbar erscheinen.
2. Systemtheoretischer Ansatz eines Kommunikationsmanagements
Wenn soziale Systeme – so wie am Beispiel der ESGn angedeutet – entweder heiß laufen oder ins
Stocken geraten und daran ihre – immer schon gegebene – Notwendigkeit als auch Nicht-Notwendigkeit zugleich beobachten können, lassen sich derartige Paradoxien anhand System/Umwelt-theoretischer Überlegungen analysieren und neu strukturieren. Im Falle der ESGn in Niedersachsen, die
sich im Sinne des hier vorgestellten Kommunikationsmanagements haben beraten lassen, wurde
deutlich, dass deren Paradoxie mit dem theoretischen Begriffspaar von notwendig/nicht-notwendig
angemessen erfasst werden konnte. Die aus der Umwelt (Kirche, Universität, Studierende) der
ESGn an diese herangetragenen Erwartungen konnten seitens des Systems ESG so gedeutet werden,
dass die eigene Arbeit zugleich als notwendig und nicht-notwendig eingestuft werden konnte. Dabei
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blieben beide Seite unbestimmt. Die Arbeit der ESGn wurde als ,irgendwie‘ notwendig und als ,irgendwie’ nicht-notwendig erkannt.
Zugleich wurde die Paradoxierung der ESGn durch deren Umwelten in das System der Studierendengemeinden selbst aufgenommen, sodass sie die eigene Arbeit zugleich als ,irgendwie‘ notwendig und zugleich nicht-notwendig betrachteten – und daran heiß liefen bzw. ins Stocken gerieten.
Ein System/Umwelt-theoretischer Ansatz der Kommunikationsberatung greift in dieser Situation
auf ein Ensemble an Unterscheidungen zurück, die sowohl theoretisch als auch praktisch verwendet
werden können. Im folgenden wird an die analytische und konstruktive Verwendbarkeit der System/
Umwelt-Theorie angeknüpft, um Grundlinien eines neuen Modells von Kommunikationsberatung
bzw. -management darzustellen.
Gegeben sei ein soziales System – im Beispielfall die ESGn in Niedersachsen. Soziale Systeme
sind Kommunikationssysteme. Das System reicht so weit, wie die Kommunikation reicht. Soziale
Systeme sind operativ geschlossen, d. h. in ihren systeminternen Operationen auf die ihnen verfügbaren Elemente bezogen. Dabei schließen systeminterne Operationen an systeminterne Operationen
rekursiv an, der eigene Input wird zum Output der zum Input wird. Insofern prozessieren soziale
Systeme selbstreferentiell. Sie können nicht in ihrer Umwelt tätig sein. Umgekehrt hat die Umwelt
ebenfalls keinen operativen Zugriff auf das System. System und Umwelt verhalten sich in ihren
Operationen exklusiv zueinander. Das System ist System, weil es nicht Umwelt ist. Genauer: Mittels seiner eigenen, selbstreferentiellen Operationen differenziert sich das System autark aus und
generiert genau dadurch seine Umwelt. Umwelten sind stets Umwelten spezifischer Systeme. So
gesehen bestimmt das Spezifische bzw. Bestimmte (System) nach Maßgabe seiner Operationen das
Unbestimmte, wodurch zugleich neues Unbestimmtes produziert wird.
Eine auf diese Weise angewandte Unterscheidung von System und Umwelt kann im Falle sozialer Systeme operativ etabliert werden. Dies führt dazu, dass soziale Systeme wie z. B. die ESGn ,am
Reißbrett‘ konstruiert, strategisch konzipiert bzw. neu erfunden und positioniert werden können.
Damit wird aber zugleich deren Umwelt neu erfunden, die für das System eine bestimmte Funktion
erhalten kann. Umwelt ist stets Umwelt für ein System.
3. Binärer Code
Das angedeutete Theoriekonstrukt lässt sich beratungspraktisch auf soziale Systeme, wie die ESGn
eines ausgebildet haben bzw. neu auszubilden genötigt sind, in folgender Weise anwenden.
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Das Kommunikationsmanagement muss zunächst bei der Problemlage des sozialen Systems
ESGn ansetzen. Das System wird in einem ersten Schritt auf zwei Seiten hin analysiert, nämlich auf
die Notwendigkeit seines Bestehens und auf seine Nicht-Notwendigkeit hin. Die damit gegebene
Paradoxie, dass ein System zugleich notwendig und nicht-notwendig ist, beinhaltet, dass es keine
ontologische Seinsnotwendigkeit für sich beanspruchen kann. Das System ist als kontingent beobachtbar, d. h. es ist auch anders möglich. Diese Kontingenz ermöglicht es dem System, sich von
Umweltzuschreibungen abzukoppeln und eigenständig aufzubauen. Wird diese Annahme akzeptiert,
geht es im zweiten Schritt darum, das System mithilfe eines binären Codes, darauf basierender Programme und wiederum daraus abgeleiteter Maßnahmen neu zu erfinden und zu positionieren.
Schließlich gehören zu den Meilensteinen ,Binärer Code‘, ,Programme‘ und ,Maßnahmen‘ per se
evaluative Maßnahmen. In all diesen Schritten arbeitet ein solches Kommunikationsmanagement
strikt funktional. Die Entwicklung bzw. Erfindung eines binären Codes ist unter zwei Aspekten näher zu betrachten.
(a) Zum einen besteht ein binärer Code aus einem positiven und einem negativen Wert, die sich
alternierend ausschließen. In der Regel sind diese Werte nach dem ,Nicht‘-Prinzip formuliert. Der
positive Wert designiert den Bereich, innerhalb dessen die Operationen des Systems stattfinden, der
negative Wert bezeichnet den unbenutzten Möglichkeitsraum der verwendeten Operationen und
kann daher als Reflexionswert gelten.
In der System/Umwelt-Theorie nach Niklas Luhmann dient das Modell des binären Codes zur
Erläuterung der operativen Geschlossenheit und Selbstreferentialität von Funktionssystemen der
modernen Gesellschaft. Die Operationen eines Funktionssystems – wie z. B. Politik, Recht, Religion, Wirtschaft oder Wissenschaft – können jeweils auf einen systemspezifischen binären Code zurückgeführt werden. Ihre sukzessiv einander anschließenden Operationen, die das jeweilige System
von Moment zu Moment etablieren, richten sich an einem je spezifischen Code aus. Im Politiksystem kann der Code mit den Begriffen Macht/Nicht-Macht, im Rechtssystem mit Recht/Unrecht, in
der Religion mit Immanenz/Transzendenz, in der Wirtschaft mit zahlen/nicht-zahlen und in der
Wissenschaft mit wahr/falsch angegeben werden. Das Besondere ist, dass die binären Codes der
Funktionssysteme nicht ineinander überführbar sind. Die gesellschaftlichen Funktionssysteme sind
wechselseitig weder ersetzbar noch austauschbar.
Auf ein Kommunikationsmanagement angewendet, leitet die Entwicklung oder Erfindung eines
binären Codes für ein soziales System dazu an, ein Maximum an Reduktionsleistung gegenüber der
Komplexität der Umwelt zu erreichen. Im Beispielfall der ESGn wurde der binäre Code Eigenes/
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Nicht-Eigenes (bzw. Kür/Nicht-Kür) entwickelt. Das heißt: Bis auf Weiteres werden nur selbst gewählte Tätigkeiten ausgeführt. Dagegen werden von außen herangetragene, nicht-eigene Tätigkeiten unterlassen.
Der binäre Code ist das Nadelöhr, durch welches das zwölfte Kamel (s. u.) in das System eintritt.
Das Spezifische dieses Ansatzes liegt darin, dass von der übermächtigen Umweltkomplexität zunächst vollständig abgesehen werden kann. Das ist als ein immenser Fortschritt insbesondere für
kirchliche Non-Profit-Organisationen anzusehen, weil die Umwelt stets als überkomplex erlebt
wird. Eine System/Umwelt-orientiertes Kommunikationsmanagement wird deutlich machen können, dass es nicht um gegenstands- oder beobachtungsrelevante Selektionen des Systems aus dem
Umweltangebot gehen kann. Stattdessen wird sich ein System genau dann von seiner Umwelt unterscheiden können, wenn es aufgrund einer binären Codierung arbeitet. Auf diese Weise generiert
das System sich selbst – und zugleich damit seine Umwelt – und wird nicht mehr durch überkomplexe Erwartungen, Ansprüche oder Ressourcenanforderungen bzw. -kürzungen unter Druck gesetzt
oder stillgestellt.
(b) Zum anderen ist das Charakteristikum der binären Codierung, dass der Code sich durch Programme entfalten muss. Theoretisch ist diese Anforderung darin begründet, dass der Code aufgrund
der Zweiwertigkeit seines Plus- und Minuswertes die Bestimmung der Systemoperationen in einen
(reflexiv) unendlichen Regress führen würde. Dieser Regress ist durch weitere Kriterien zu stoppen
(s. u.).
Ein funktional aufgebautes Kommunikationsmanagement für soziale Systeme beginnt mit einem
binären Code. Damit wird die bisherige Kommunikationsberatung von der Orientierung an einem
Leitbild auf den Bezug zu einer Leitdifferenz umgestellt. Der binäre Code des Systems fungiert als
dessen Leitdifferenz, an dem sich alle weiteren Operationen ausrichten können.
Mit der binären Codierung wird zugleich von Was- auf Wie-Fragen bzw. -Antworten umgestellt.
Darin kommt die Erfahrung zum Tragen, dass sich nicht klären lässt, was genau die ESGn seien.
Auf diese Was-Frage wird es stets eine Vielzahl disparater Antworten geben, die zudem das unproduktive Ergebnis interner Konflikte hervorbringen werden. Vielmehr ist zu klären, wie die ESGn
operieren sollen, um sich als System und damit als ,identifizierbare‘ ESGn aufzustellen. Ein auf
diese Weise differenztheoretisch ansetzendes Kommunikationsmanagement versucht daher nicht,
eine (nur als zugleich tautologische und paradoxe) identische Realität des Systems mit sich selbst
zu konstruieren. Vielmehr geht es davon aus, dass ein soziales System sich als Unterschied zu sei-
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ner Umwelt konstituiert. Ein System ist ein System, nicht aber System und Umwelt zugleich. „Man
kann jetzt sagen: Ein System ‚ist‘ die Differenz zwischen System und Umwelt.“ 2
Die Umstellung von Was- auf Wie-Fragen oder, stärker noch, die Umstellung von ontologischen auf funktionale Bestimmungen führt im Hintergrund die Umstellung von (alteuropäischen) Perfektibilitätstheorien auf Problemtheorien
mit sich. Perfektibilitätstheorien behandeln Formen der Realität, z. B. soziale Systeme, als ‚natürlich‘ bzw. wahrscheinlich gegeben und sehen deren faktisch gegebene defizitäre Konstitution als Abweichung von einem vorgestellten und
durch Sollensanweisungen zu erreichenden perfekten Status an. Theorien mit konstituierendem Problembezug dagegen,
zu denen sich die System/Umwelt-Theorie zählt, gehen von der Unwahrscheinlichkeit sozialer Systeme und deren
Funktionieren aus, um von dorther auf Beschreibungsmodi für deren tatsächliches Bestehen zu kommen.3
Parallel zur Umstellung von Wahrscheinlichkeiten auf Unwahrscheinlichkeiten bzw. von Perfektibilität auf Problembezug setz ein funktional basiertes Kommunikationsmanagement nicht bei ‚natürlichen‘ oder wahrscheinlichen Leitbildern, sondern bei Leitdifferenzen an. Wurde bei Leitbild-Prozessen die Wahrscheinlichkeit von Kommunikation unterstellt, geht der Ansatz bei einer Leitdifferenz von der Unwahrscheinlichkeit der Kommunikation (auch und insbesondere von Organisationssystemen) aus – um diese dann programmatisch in Wahrscheinlichkeit zu transformieren.
4. Programme
Binäre Codes stellen ein soziales System auf eigene Füße und generieren von dorther dessen Umwelt, Programme ermöglichen die Kommunikation des Systems mit seiner Umwelt. Der Code führt
zur operativen Schließung des Systems, die Programme zur kognitiven Öffnung. Schließung ist
Voraussetzung von Öffnung. Nur dann kann ein System die Umwelteinflüsse nach seiner eigenen
Rationalität verarbeiten und daraus umgekehrt Kommunikationsofferten an die Umwelt richten.
Damit ist und bleibt eine Überfrachtung des Systems durch unverarbeitbare Umweltkomplexität
ausgeschlossen und das System erarbeitet sich – für sich selbst und für seine Umwelt – eine eigene
Komplexität. Dafür stehen die Programme. Die Anzahl der Programme ist empirisch auszutarieren.
Es mag nur ein einziges Programm sein, in dem sich die Komplexität des Systems ausbilden kann.
2
Luhmann, Niklas; Baecker, Dirk (2006): Einführung in die Systemtheorie. 3. Aufl. Heidelberg, S. 66.
Vgl. Luhmann, Niklas (2007): Vorbemerkungen zu einer Theorie sozialer Systeme. In: Luhmann, Niklas; Jahraus,
Oliver (Hg.): Aufsätze und Reden. [Nachdr.]. Stuttgart, S. 7–30, dort S. 8: „Der eine Weg setzt eine Ordnung als gegeben voraus und problematisiert deren Defekte. Die klassischen Titel dafür waren Perfektion und Korruption bzw. Privation. […] Zum anderen Theoriemodell geht man über in dem Maße, als man gerade das Normale für unwahrscheinlich
hält.“
3
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In der Regel ist aber von zwei oder mehr Programmen auszugehen. Bei den ESGn wurden die Programmbereiche Verkündigung, Dialog, Beratung und Gemeinschaft entwickelt.
Programme sind ein Set an Regeln, die Umweltirritationen für das System bearbeitbar machen
und daraus systemeigene Komplexität und Kommunikationsofferten an die Systemumwelt ermöglichen.4 Es kann zwischen Konditional- und Zweckprogrammen unterschieden werden, je nachdem,
ob die Auslösebedingungen zurück oder voraus liegen. Konditionalprogramme funktionieren nach
dem Schema ,wenn – dann‘, Zweckprogramme nach dem Schema ,um – zu‘.
Programme stehen orthogonal zum binären Code des Systems, insofern beide Seiten des Codes in
jedem der Programme reflektierbar sind. Programme operieren zwar nur auf der positiven Seite des
systemeigenen Codes, beziehen sich aber reflexiv auf beide Seiten – eben um den unendlichen Regress stoppen zu können. Orthogonal bedeutet dann, dass der Code und die Programme unabhängig
voneinander sind. Ein- und derselbe Code kann durch unterschiedliche, ja sogar durch gegensätzliche Programme entfaltet werden.
Das orthogonale Verhältnis von binärem Code und Programmen mag am Vergleich mit einem Kaffeevollautomaten veranschaulicht werden. Der Automat produziert Kaffee; alles was nicht Kaffee ist, produziert er nicht. Darauf aufbauend
sind unterschiedliche Programme eingebaut, mit denen man etwa einen schwachen, einen starken oder einen mit Milch
versetzten Kaffee herstellen kann. Außerdem kann die Programmkomplexität dadurch noch gesteigert werden, dass man
die Kaffeebohnen sowohl für die schwache als auch die starke Variante fein, mittel oder grob mahlen lassen kann und
dass ein Milchaufschäumer die Programmebene komplettiert.
Programme sind schließlich in einzelne Maßnahmen zu fassen, die zeitlich, sachlich und sozial
strukturiert planbar sind. Alle Maßnahmen eines sozialen Systems sind, so wie der binäre Code oder
die Programme auch, kontingent. Sie sind weder unmöglich noch notwendig. Die einzig sinnvolle
Anforderung ist, dass sie funktionieren.
Es gibt keine richtigen oder falschen Codes, Programme und Maßnahmen, aber alle drei sind –
und zwar unter ständigem internen Rückbezug von Maßnahmen auf Programme und von Programmen auf den Code – Bedingung dafür, dass das System operativ funktioniert. Das System kann so
permanent interne Konsistenzprüfungen vornehmen, um das Fortbestehen des Systems zu garantie-
4
Vgl. Luhmann, Niklas (1995/2004): Die Realität der Massenmedien. Wiesbaden, S. 37: „In der Praxis wird der unendliche Regress durch eine weitere Unterscheidung gestoppt: die von Codierung und Programmierung. Es muß im System
einen (möglicherweise änderbaren) Satz von Regeln geben, die das Paradox der Informativität der Nichtinformation
auflösen, eben die Programme, mit deren Hilfe man entscheiden kann, ob etwas im System als informativ behandelt
werden kann oder nicht.“
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ren. Fortbestehen heißt: für sich und für die Umwelt zu funktionieren. Funktionieren aber bedeutet,
ein Problem zu lösen, dass nur dieses System löst.
Im Falle der erforderlichen Neuaufstellung der ESGn in Niedersachsen gewann der Beratungsprozess seine Konkretion
in der Entwicklung einer Imagekampagne. Die Kampagne basiert auf der Bildung eines Systems der ESGn, das aufgrund des binären Codes Eigenes/Nicht-Eigenes (bzw. Kür/Nicht-Kür) und den Programmbereichen Verkündigung,
Dialog, Beratung und Gemeinschaft operiert. Die auf diese Weise strukturierte Arbeit der ESGn wird dann durch Videoclips dargestellt. In jeder Studierendengemeinde werden pro Semester mindestens sechs Videos über die spezifischen
Aktivitäten produziert, wie z. B. ein Video über die Trauerfeier für die der anatomischen Forschung zur Verfügung gestellten Leichname. Die Videos dienen sowohl der Kommunikation mit den Studierenden als auch der Imagekommunikation mit ausgewählten Zielgruppen, insbesondere im Bereich universitärer und kirchlicher Entscheidungsträger. Die
Kampagne läuft zunächst für ein Jahr und ist nach der Evaluation auszubauen oder nachzujustieren.
Das Ziel des hier beschriebenen funktional basierten Kommunikationsmanagements lautet: Es muss
funktionieren. Andere Maßstäbe des Erfolgs oder Misserfolgs sind damit ausgeschlossen. Die Kontingenz anderer Ziele bedeutet allerdings nicht, dass es beliebig wäre, die Ziele zu erreichen – oder
auch nicht. Das operierende System wird sich vielmehr Ziele setzen, die einerseits für das System
erreichbar sind, andererseits für das System auf Zielerreichung hin prüfbar sind. Dies scheint am
ehesten dadurch gewährleistet zu sein, wenn Zielgebungen in Zahlen ausgedrückt werden. Ziele
sind ausschließlich quantitativ, also in Größenrelationen oder in absoluten Zahlen, messbar. Erst aus
quantifizierbaren Messungen ergibt sich so etwas wie eine systeminterne Prüfbarkeit bzw. Evaluation, die über ein ,gutes Bauchgefühl‘ hinausgeht. Qualitäten sind einzig und allein in Quantitäten
evaluierbar.
Auf diese Weise wird aber erneut die operative Geschlossenheit und Autarkie eines sozialen Systems gefördert. Was und wie etwas funktioniert, legt das System selbstbestimmt fest und stärkt dadurch wiederum seine eigenen, rekursiven Operationen.
Vielleicht ist diese Autarkie aber auch eine der Hürden bei der Einführung eines funktional basierten Kommunikationsmanagements. Denn offenbar ziehen sich soziale Systeme gerne auf ,objektive‘ bzw. objektivierbare, externe, umweltbezogene Ziele, Ansprüche, Erfolge, Wirkungen usw.
zurück. Dies scheinen allerdings brüchigere Konstruktionen zu sein als die Konstruktion eines autokatalytischen und operativ geschlossenen Systems, das, gerade weil es spezifische Funktionen zu
erbringen plant, dann eben potentiell alles in den Blick nehmen kann, also universell zu arbeiten in
der Lage ist.
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5. Problembezug
Ergänzend zu dem bisher Gesagten ist auf einen spezifischen Aspekt eines funktional basierten
Kommunikationsmanagements hinzuweisen, der gleichermassen theoretisch als auch praktisch von
unverzichtbarer Bedeutung ist. Man wird sagen können, dass die zugrunde gelegte System/UmweltTheorie ausschließlich in der Praxis funktioniert. Als blosse Theorie birgt sie demgegenüber unlösbare Paradoxien, die u. a. darin bestehen, dass sich Probleme und Lösungen theoretisch als ein- und
dasselbe darstellen lassen. Daher ist unter dem Begriff ,Problembezug‘ zweierlei fest zu halten:
5.1 Ein funktional orientiertes Kommunikationsmanagement kommt zum einen (aber nicht nur)
für soziale Systeme in Betracht, die an Problemlagen kranken oder (im äußersten Falle) sich aufgrund eigener Problemlagen aufzulösen beginnen (oder bereits aufzulösen begonnen haben). Der
hier vorgeschlagene System/Umwelt- bzw. differenztheoretische Ansatz eines Kommunikationsmanagements setzt daher beim Problem der jeweiligen Organisation an. Es ist in gewisser Hinsicht geradezu Voraussetzung, dass das soziale System, an das sich das Kommunikationsmanagement richtet, eine Problemkonstruktion erzeugt hat, die so als nicht mehr auflösbar auftritt. Erst Probleme
bringen ein System dazu, seine Konstruktion neu zu formulieren. Dabei geht es um einen zirkulären
bzw. paradoxen Bezug von Problem und Problemlösung. Mit Paul Watzlawick ist davon auszugehen, dass die in der Regel bereits unternommenen Lösungsversuche der betreffenden Organisation
ihr selbst als Probleme im Wege liegen, Probleme also bereits Lösungen sind und Lösungen als
Probleme auftreten.5 Wenn aber Lösungen zu Problemen geronnen sind, kann man von Lösungen
erster Ordnung sprechen. Dann wird die Lösung in der gleichen logischen oder kognitiven Klasse
gesucht, zu der das zu lösende Problem gehört. Selbstverständlich kann es Lösungen erster Ordnungen geben, aber wo diese nicht mehr hinreichen, ist eine andere Klasse von Lösungen heranzuziehen, die sich als Lösungen zweiter Ordnung bezeichnen lassen. Eine Lösung zweiter Ordnung bezieht sich nicht mehr auf vorfindliche, gegebene Probleme oder Problembeschreibungen. Vielmehr
wird das Problem gerade darin gesehen, dass sich ein System an vorfindliche Probleme hält. Die
Bezeichnung ,vorfindliches Problem‘ bezeichnet aber genau die für ein System unverarbeitbare
Umweltüberfrachtung.
Stattdessen ist auf eine Lösung zweiter Ordnung abzuzielen, die sich auf ein Problem (bzw. eine
Problembeschreibung) zweiter Ordnung bezieht. Dazu kann u. a. die an das System gerichtete prak5
Auch zum Folgenden vergleiche die Unterscheidung von Lösungen erster und zweiter Ordnung nach Watzlawick,
Paul; Weakland, John H.; Fisch, Richard (1988): Lösungen. Zur Theorie und Praxis menschlichen Wandels. 4. Aufl.
Bern.
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tische Aufforderung dienen: Erfinden Sie ein Problem! Auf diese Weise kann der Zirkel (bzw. die
Paradoxie der Identität) von Problem und Problemlösung auf einer anderen Ebene als bisher operativ angegangen werden. Außerdem könnte sich der Zusatzeffekt einstellen, dass das erfundene Problem ertragreicher gelöst bzw. entparadoxiert werden kann als das vorfindliche Problem.6
(b) Damit wird zum anderen erkennbar, dass die hier beschrieben Theorie des Kommunikationsmanagements ausschließlich in der Praxis funktioniert. Verbleibt sie dagegen Theorie, läuft sie sich
darin fest. Das scheint daran zu liegen, dass Paradoxien theoretisch bzw. logisch oder kognitiv nicht
auflösbar sind. Sie bleiben theoretisch gesehen wahrscheinlich auch deshalb unlösbar, weil sie genau in dieser Dimension der Logik, Sprache oder Erkenntnis gebildet (konstruiert) sind.
In der Praxis aber sind Paradoxien auflösbar, nämlich durch zeitliche Entfaltung. Ein Kommunikationsmanagement, das hierauf abzielt, wird daher wenig deuten und erklären, sondern viel Wert
auf Praxis legen. Es wird der problembehafteten Organisation im schwächsten Fall operationalisierbare Empfehlungen geben 7, im stärksten Fall Weisungen. Jovial formuliert hieße das: Das System
hat zu arbeiten, nicht zu räsonieren. Aber das musste es zuvor ja auch schon. Neu ist aber, dass das
System nun wissen kann, wie es gehen kann. Der Weg führt nun über die binäre Codierung und die
daran anschließende Programmierung zur Ausbildung eines operativ geschlossenen, selbstreferentiellen und darin autarken Systems.
Funktionales Kommunikationsmanagement geht auf praktische Umsetzungen zu. Ergebnisse zählen nicht theoretisch, sondern praktisch. Zugleich wendet ein funktionales Kommunikationsmanagement die für das beratene System gültige Theorie autologisch auf seine eigene Praxis an. Beratungen sind weder Erläuterungen noch Erklärungen, sondern – in diesem Falle – performative
Kommunikationen, man könnte versuchsweise auch sagen: Handlungen.
6
Vgl. Luhmann, Niklas: Über Natur. In: Luhmann, Niklas (Hg.): Gesellschaftsstruktur und Semantik. Studien zur Wissenssoziologie der modernen Gesellschaft, (Gesellschaftsstruktur und Semantik, 4), Frankfurt am Main, S. 9–30, hier S.
30: „Wenn eine Paradoxieauflösung nicht mehr befriedigend funktioniert, duß man auf die Ausgangsparadoxie zurückgehen, man muß reparadoxifizieren und es mit einem anderen Auflöseschema versuchen.“ Das Stichwort der injunktiven Weisung entspricht hier dem Begriff des injunktiven Paradoxes, vgl. Luhmann, Niklas (1995): Die Realität der
Massenmedien. Wiesbaden., S. 213.
!7 Vgl. Luhmann, Niklas (1995): Die Realität der Massenmedien. Wiesbaden., S. 214: „Man mag durchaus Vorschläge
unterbreiten; aber […] können dies nur Denkanstöße sein.“
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6. Das zwölfte Kamel
Die Funktion eines auf diese Weise gebauten Kommunikationsmanagements lässt sich mit der Metapher vom zwölften Kamel formulieren. Einerseits ermöglicht das zwölfte Kamel die Entfaltung
der paradoxen Identität von Problem und Lösung, andererseits ist es in seiner Funktion dafür selbst
ein Paradox, indem es zugleich notwendig und nicht-notwendig ist. Die im folgenden mitgeteilte
Erzählung vom zwölften Kamel gibt annäherungsweise Auskunft über die Funktion und Wirkungsweise eines zwölften Kamels im Kontext problemverfangener Systeme. In der durch Luhmann verwendeten Fassung lautet die Erzählung so:
„Ein wohlhabender Beduine hatte die Erbfolge unter seinen drei Söhnen testamentarisch geregelt. Es ging um die Aufteilung seiner Kamele. Der älteste, Achmed, sollte die Hälfte des Bestandes erhalten. Für den zweiten Sohn, Ali, war ein
Viertel vorgesehen. Dem jüngsten, Benjamin, war nur ein Sechstel zugedacht. Uns mag diese Disposition, weil ungleich
verteilend, als willkürlich und ungerecht erscheinen. Sie entsprach aber genau dem Wertverhältnis der Söhne, gesehen
unter dem Gesichtspunkt der Fortführung des Geschlechts, und sie entsprach genau der Freude des Vaters bei ihrer Geburt: Der zweite Sohn hatte nur Bedeutung für den Fall, dass der erste ohne männliche Nachkommen sterben sollte,
usw. Daher die Regel der Verringerung des Anteils.
Nun hatten die äußeren Umstände vor dem Tod des Vaters die Zahl der Kamele beträchtlich reduziert. Als der Vater
starb, waren noch elf Kamele vorhanden. Wie sollte geteilt werden? Achmed beanspruchte unter Berufung auf das ohnehin anerkannte Vorrecht des Älteren sogleich sechs. Aber das ist mehr als die Hälfte. Die anderen widersprachen. Es
kam zum Streit, der vor den Richter getragen wurde. Der Richter machte folgendes Angebot. Er sagte: ich stelle euch
eines meiner Kamele zur Verfügung. Gebt es mir, so Allah will, so bald wie möglich zurück. Mit zwölf Kamelen war
die Teilung leicht. Achmed erhielt die Hälfte, d. h. sechs. Ali bekam sein Viertel, nämlich drei. Benjamin wurde nicht
benachteiligt, er erhielt sein Sechstel, nämlich zwei. So waren elf Kamele verteilt, und das zwölfte Kamel konnte zurückgegeben werden.
Die Frage ... ist eine doppelte, nämlich (1): War das zwölfte Kamel nötig, und wozu war es nötig? Und, damit streng
zusammenhängend, (2) Wurde es zurückgegeben? Wenn es zur Teilung nötig war, war es dann nach der Teilung nicht
mehr nötig? Wie wäre es, wenn die Teilung nachträglich angefochten wird? Müsste man es für diesen Fall zurückfordern können, als Prozesskamel, als jeweils diensttuendes Kamel? Und kann man über die Rückgabe entscheiden, ohne
den Grund zu kennen, aus dem Kamel nötig war? Müssen Richter Leihkamele haben? Ist es etwa das ihre, wie wir
neumodisch sagen würden: Legitimation? Musste das Kamel überhaupt real geliefert werden, oder hätte die Fiktion
genügt?“ 8
Im Hinblick auf ein System/Umwelt-theoretisches Kommunikationsmanagement mögen dazu abschließend wenige Hinweise genügen. Dabei liegt der Fokus auf der zentralen Frage jeglicher Beratung im kommunikativen und organisationalen Bereich. Die Frage lautet: Wie kommt es zu Verän-
8
Luhmann, Niklas 2000: Die Rückgabe des zwölften Kamels. Zum Sinn einer soziologischen Analyse des Rechts. In:
Zeitschrift für Rechtssoziologie 21 (2000), Heft 1, 3-60.
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derungen auf Seiten des beratenen Systems? 9 Die Antwort mag lauten: Veränderungen oder Änderungen eines sozialen Systems, das sich aufgrund zu lösender Problemlagen an einen Berater, eine
Agentur oder vergleichbare Einrichtungen wendet, können ausschließlich im beratenen System
selbst stattfinden. Daher ist es notwendig bzw. anders gar nicht machbar, dass das Kommunikationsmanagement als eine Krücke, als eine vorübergehende Hilfskonstruktion, eben als ein zwölftes
Kamel funktioniert. Daraus ergibt sich folgende (in sich selbst) paradoxe Situation: Einerseits geht
das System sowohl ohne als auch mit Beratung nicht auf, andererseits geht das System nur mit und
Ohne Beratung zugleich auf. Anders formuliert: Das Paradox des zwölften Kamels ermöglicht eine
Auflösung des paradox strukturierten Systems. Die Lösung liegt in einem zeitweiligen, ja geradezu
momenthaften Einsatz des zwölften Kamels. Ein Kommunikationsmanagement, das sich auf diese
Weise als zwölftes Kamel einbringt, ermöglicht auf Seiten des beratenen Systems den Übergang
von einer Systemblockade zum (erneut) operativ fähigen System.
Die Parabel von der Hin- und Rückgabe des zwölften Kamels ist insbesondere in der Rechtssoziologie diskutiert worden.10 Einzelne Diskussionsbeiträge beziehen sich auch auf theologische
Momente.11 Darin wird deutlich: Das zwölfte Kamel ist notwendig und nicht notwendig zugleich.
Es ist in sich selbst eine paradoxe Konstruktion und wird als solche dem problembelasteten System
ausgeliehen. Das zwölfte Kamel ist – mit anderen Worten – real und virtuell (nicht fiktional) zugleich. Das zu beratene System funktioniert weder mit dem Bestand von elf Kamelen noch mit der
Ausleihe des zwölften Kamels. Aber ohne zwölftes Kamel funktioniert es gleichfalls nicht. Doch
nach Rückgabe des zwölften Kamels ist das System (wieder oder neu) dasselbe, weil es ein anderes
geworden ist. Es ist sich selbst paradox – dasselbe und ein anderes zugleich – aber es funktioniert
wieder. Und wahrscheinlich funktioniert es solange, bis es wieder einmal ein zwölftes Kamel benötigt.
Dies bedeutet in der Konsequenz des hier dargestellten Kommunikationsmanagements, dass es
als zwölftes Kamel strikt funktional einzusetzen ist. Als solches kann es sowohl ein Problem für
eine Lösung sein, die ein Problem geworden ist, als auch eine Lösung für ein Problem, die noch
9
Vgl. dazu Luhmann, Niklas; Fuchs, Peter (2001): Kommunikationssperren in der Unternehmensberatung. In: Luhmann, Niklas; Fuchs, Peter (Hg.): Reden und Schweigen. 1. Aufl., [Nachdr.]. Frankfurt/Main, S. 209–227.
10 Teubner, Gunther; Luhmann, Niklas; Baecker, Dirk (Hg.) (2000): Die Rückgabe des zwölften Kamels. Niklas Luhmann in der Diskussion über Gerechtigkeit. Stuttgart.
11 Folkers, Horst (2000): Johannes, ins Gespräch über die Gerechtigkeit vertieft mit Aristoteles. Epilegomena zum 12.
Kamel des Niklas Luhmann. In: Teubner, Gunther; Luhmann, Niklas; Baecker, Dirk (Hg.): Die Rückgabe des zwölften
Kamels. Niklas Luhmann in der Diskussion über Gerechtigkeit. Stuttgart: Lucius & Lucius, S. 61–108.
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nicht als Lösung funktioniert. Das zwölfte Kamel ist und bleibt beides, ein Problem und eine Lösung zugleich.
Mit einer anderen Metapher könnte das, was das zwölfte Kamel leistet, auch als Joker beschrieben werden. Die Metapher vom Joker funktioniert vor allem im Hinblick auf die angedeutete Notwendigkeit von Lösungen zweiter Ordnung.
Wenn bei einem Kartenspiel der Joker gespielt wird, kann er für jede mögliche Spielfarbe eingesetzt werden, oder aber
sein Einsatz definiert, dass es ab sofort mit einer anderen Spielfarbe weiter geht, sodass z. B. statt mit Herz nun mit Pik
weitergespielt wird. Aber: Der Joker ist rar, sein Auftreten ist unwahrscheinlich. Aufgrund seiner eigenen Unwahrscheinlichkeit aber kann er operativ dazu eingesetzt werden, um Unwahrscheinlichkeiten in Wahrscheinlichkeiten zu
transformieren. Weitere Metaphern in Äquivalenz zum zwölften Kamel sind denkbar, sollen hier aber nicht weiter verfolgt werden.12
Alles in allem bringt ein funktionales Kommunikationsmanagement die Neuerfindung sozialer Systeme und ihrer Umwelt mit sich. Die Einführung dieses Modells eines Kommunikationsmanagements anhand des zwölften Kamels fungiert selbst als zwölftes Kamel und erfindet damit das
Kommunikationsmanagement neu. Ein Kommunikationsmanagement, das mit Hilfe des zwölften
Kamels arbeitet, ist notwendig und nicht notwendig, es ist real und virtuell zugleich.13
12
Außer der einen Möglichkeit, einen über Metaphern hinaus gehenden Ansatz mitzuführen. Für die Metaphern, mit
denen das zwölfte Kamel als zwölftes und nicht als elftes oder als dreizehntes Kamel bezeichnet werden kann, wäre
eine Meta-Metapher zu finden, die die Funktion des Kamels womöglich systemübergreifend bzw. systemdurchgreifend
fokussieren könnte. Für eine solche Metapher bietet sich die Chiffre „imaginärer Wert“ aus der Mathematik an. Das
zwölfte Kamel ist ein imaginärer Wert. In der Mathematik bezeichnet eine imaginäre Zahl i die spezifische Fassung
einer komplexen Zahl. Eine imaginäre Zahl ergibt sich aus der Wurzel einer negativen reellen Zahl, sodass die Formel
lautet: √-1 = i. Eine imaginäre Zahl bzw. ein imaginärer Wert ist zugleich kein Wert und ein doppelter Wert. Sie funktioniert je nachdem, wie sie funktioniert. Ihre Funktion ist ein bzw. ihr Eigenwert.
13 Ein entsprechendes Modell von Kommunikationsmagagement versucht die Agentur „das 12te Kamel – Kommunikationsmanagement“ im Nonprofit- und Profit-Bereich umzusetzen, siehe daszwoelftekamel.wordpress.com.
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