S C H WA N G E R S C H A F T v i a WA L A 1 6 „Nicht gemacht, sondern empfangen“ TEXT: LAURA KRAUTKRÄMER; FOTOS: STEPHANIE SCHWEIGERT Die Zeit der Schwangerschaft bringt völlig neue Erfahrungen. Manchmal tauchen auch ganz neue Fragen auf: Woher kommt eigentlich dieses Kind, das da in meinem Bauch heranwächst? Und wie schaffen wir es, seiner Ankunft voll guter Hoffnung entgegenzusehen? Der anthroposophische Arzt Dr. med. Bart Maris hat Anregungen. Regenbogenschnecke, grüner Drache und Minihaus bringen Farbe ins Sprechzimmer von Dr. Bart Maris. 06 In anderen Umständen sein – die meis- zu Beginn der Schwangerschaft. „Man ten Frauen erleben ihre Schwangerschaft sieht im Hintergrund ganz deutlich viele nicht nur körperlich als Ausnahmezu- Gesichter, das ist die Welt der Ungeborestand. Dr. med. Bartholomeus (Bart) Ma- nen. Normalerweise ist der Vorhang geris ist anthroposophischer Frauenarzt schlossen, aber Maria kommt mit dem und begleitet seit vielen Jahren Frauen ungeborenen Kind auf die Erde“, bewährend der Schwangerschaft. Mit sei- schreibt er. „Ihr Blick ist ganz innerlich ner Frau, der Kinderärztin Nicola Fels, und auf das Kind bezogen. Ihr Schleier praktiziert er seit 1997 in einer Gemein- umhüllt vor allem sie selbst: Sie schützt schaftspraxis im Therapeutikum Krefeld. sich und schafft es auf diese Weise, sich Ruhig, fast verhalten erzählt der 57-Jäh- nicht zu verausgaben.“ rige von seinen Erfahrungen und seinem Blick auf die Vorgänge der Schwanger- Die Überzeugung, dass es ein vorgeburtschaft. „Für mich ist das Allerwichtigste liches Leben gibt, hat auch direkte Kondas Bewusstsein davon, dass ein Kind sequenzen für alles, was mit dem Beginn nicht gemacht, sondern empfangen wird. der Schwangerschaft zusammenhängt, Und dass es von irgendwoher kommt etwa das Thema künstliche Befruchtung. und nicht aus dem Nichts entsteht“, be- „Empfängnis ist etwas anderes als die Betont er gleich zu Beginn. „Leben nach fruchtung – die kann man natürlich madem Tod, das ist uns heute geläufig, aber nipulieren. Doch danach kann man eiLeben vor der Empfängnis, das ist immer gentlich sinngemäß nur die Hand hinnoch ungewohnt.“ halten und hoffen, dass etwas kommt.“ Dennoch, so Dr. Maris, könnten die Frauen natürlich versuchen, sich vorzubereiOFFEN SEIN FÜR DAS, WAS KOMMT Ein treffendes Bild für die Schwanger- ten – wie eine gute Gastgeberin, die ihre schaft sieht Dr. Maris in Raffaels „Sixti- Wohnung schön herrichtet und sich im Vorfeld Gedanken über die Bedürfnisse nischer Madonna“. In einer Schublade neben seinem Schreibtisch liegt ein gan- ihrer Gäste macht. Da sind einerseits zer Stapel davon als Kunstpostkarten. ganz praktische Fragen, etwa zur Ernährung, zum Umgang mit Alkohol oder NiDer Arzt schenkt sie seinen Patientinnen kotin. Die oftmals pauschal eingesetzten Nahrungsergänzungsmittel beurteilt der Arzt skeptisch, schließlich lässt sich der erhöhte Bedarf an bestimmten Stoffen, zum Beispiel Eisen, in der Regel auch über die Ernährung decken. Aber auch in anderen Bereichen gibt es Veränderungen: „Manche Frauen haben Schwierigkeiten, sich wie gewohnt engagiert in ihrem Beruf einzubringen. Viele erleben, dass sie nicht mehr so geistesgegenwärtig sind wie sonst“, hat er beobachtet. „Wenn meine Patientinnen wegen dieser Veränderungen verunsichert sind, dann ermuntere ich sie immer: ‚Das ist doch schön! Das Beste, was Sie für sich und ihr Kind machen können, ist schlafen, träumen, ein bisschen spazieren gehen ...‘“ Dr. Bart Maris ist niedergelassener Gynäkologe und führt mit seiner Ehefrau eine Gemeinschaftspraxis in Krefeld. DAS BABY IM KASTEN Doch einfach guter Hoffnung sein, das fällt Frauen heute oft schwer. Nicht zuletzt die vielfältigen pränatalen Diagnose-Möglichkeiten schaffen gegenläufige Tendenzen – aus anthroposophischer Sicht eine problematische Ent- ➤➤ 07 S C H WA N G E R S C H A F T v i a WA L A 1 6 Die Welt mit anderen Augen sehen INTERVIEW: ELISABETH MENZEL; FOTOS: STEPHANIE SCHWEIGERT „Herzlichen Glückwunsch, Sie sind schwanger!“ Mit einem Mal steht das Leben von Regina und Marcus Rieger aus Esslingen Kopf. Die Freude ist groß. Doch gleichzeitig tauchen viele Fragen auf. Wird alles gutgehen? Schaffen wir das? Wo wollen wir entbinden? Im Interview berichten sie von Thilos Geburt und warum sie sich bewusst für eine anthroposophische Klinik entschieden haben. „Die ‚Sixtinische Madonna‘ (r.) ist ein treffendes Bild für die Schwangerschaft“, findet Dr. Bart Maris. wicklung. Auch den in vielen Fällen unnötig eingesetzten Ultraschalluntersuchungen steht Dr. Maris kritisch gegenüber. „Oft habe ich das Gefühl, das kleine Ungeborene versteckt sich geradezu. Doch wir kommen mit dem Ultraschall und spüren es auf.“ Das Baby wird vermessen, mit Normwerten verglichen, man überprüft, ob alles nach Plan läuft. Das Ultraschallbild auf dem Monitor erzeugt eine unnatürliche Distanz: „Wenn die Geschwister dabei sind, zeigen die Eltern auf den Bildschirm und sagen: ‚Guck mal, da ist das Baby!‘ Doch die Kinder wundern sich: ‚Warum ist das Baby schwarz-weiß? Und warum ist es in diesem Kasten, nicht in Mamas Bauch?‘“ vielleicht am besten als ein umfassender Verdichtungsprozess beschreiben, als Weg der Seele aus der Welt der Ungeborenen auf die Erde. Interessanterweise bildet die befruchtete Eizelle in den ersten zwei Wochen vor allem ihre Umgebung aus: Eihäute, die Anlage der späteren Plazenta – eine eigene kleine Höhle. Später schwebt das Kind in der Schwerelosigkeit des Fruchtwassers. „Ich muss immer schmunzeln, wenn die Frauen mich bei der Untersuchung fragen, wie viel denn ihr ungeborenes Baby gerade wiege. Meine Antwort lautet dann: ‚Nichts!‘ Wenn es jetzt rauskäme, würde es 1.200 Gramm wiegen, aber im Moment ist es schwerelos.“ Dem Geheimnis der Schwangerschaft kommt man per Ultraschall jedenfalls nicht auf die Spur, so Dr. Maris’ Erfahrung. „Eine Patientin hat das einmal wunderbar ausgedrückt. Sie war in der achten Woche schwanger und freute sich sehr. Sie hatte den ganz starken Eindruck, dass ihr Kind unendlich groß, geradezu kosmisch groß sei. Auf dem Ultraschallbild schrumpfte das Baby dann aber auf einen kleinen Punkt zusammen und dieses ursprüngliche Gefühl war verloren.“ Die Schwangerschaft lässt sich VERTRAUEN STATT ANGST ➤➤ 08 Sich auf das Abenteuer von Schwangerschaft und Geburt einzulassen, kann eine beglückende Erfahrung sein. Leider überschattet jedoch heute nicht selten eine unbestimmte Angst das Lebensgefühl der Schwangeren. Nicht zuletzt die Informationen, die das Internet zu jeder noch so abwegigen und seltenen Komplikation bereithält, wecken häufig völlig unnötige Sorgen. Dr. Maris’ Anregungen zum Umgang mit solchen Ängsten sind verblüffend einfach: „Ich empfehle den Frauen, einfache Kinderlieder zu singen, ein Gebet oder ein Gedicht zu sprechen, mit der Hand auf dem Bauch. Auf diese Weise können sie den Kontakt zum Ungeborenen pflegen.“ Auch die Zusammenarbeit mit einer Hebamme, die im Wechsel mit der Ärztin oder dem Arzt die Vorsorgeuntersuchungen macht, wirke vertrauensbildend. Dr. Maris ermuntert werdende Mütter außerdem zu einer kleinen Bildmeditation: „Versuchen Sie abends vor dem Einschlafen fünf Minuten lang etwas von der Stimmung der ‚Sixtinischen Madonna‘ zu empfinden. Das kann unendlich viel Vertrauen und Ruhe geben.“ Gerade in unserer auf Quantifizierung und Optimierung ausgerichteten Zeit kann die Schwangerschaft auf diese Weise ganz neue Qualitäten in unser Leben bringen, etwa ein Gefühl der spirituellen Anbindung. Schwangersein als Begegnungsmöglichkeit mit einer geistigen Welt – wenn man sich darauf einlässt. LITERATURTIPP: Christa van Leeuwen/Dr. Bart Maris. Schwangerschaftssprechstunde. Stuttgart: Verlag Urachhaus (die überarbeitete Neuausgabe soll im März 2014 erscheinen). Wie habt ihr von Reginas Schwangerschaft erfahren? Gab es Anzeichen? Regina: Im Urlaub wurde mir bei einer Bootsfahrt plötzlich sehr schlecht. Und ich hatte ungewöhnlichen Heißhunger auf Chips. Dass ich schwanger sein könnte, daran dachte ich zunächst nicht. Doch irgendwann hattet ihr Gewissheit. Wart ihr aufgeregt? Marcus: Wir waren überrascht. Aber die Freude war auch riesengroß. Und dann wollten wir einfach die ersten drei Monate gut überstehen. Regina: Beim ersten Kind ist die Situation noch ungewohnt. Wie wird sich der Babybauch anfühlen? Was müssen wir organisieren? Wie schaffen wir das Leben mit einem Kind? Es gibt so viele Fragen. Auf einmal sieht man die Welt mit anderen Augen. Stress bei der Arbeit? Staubflusen auf dem Fußboden? Solche Dinge werden plötzlich unwichtig. Wie war die Schwangerschaft? Regina: In den ersten Monaten war mir dauernd übel. Auch die Müdigkeit hatte mich fest im Griff. Und gegen Ende war mir der Bauch ziemlich im Weg. Marcus: Aber die Schwangerschaft an sich verlief ohne Zwischenfälle. Wir waren immer sehr beruhigt, wenn der Arzt ➤➤ sagte: „Alles normal!“ 9